11.04.2023. Putins Morden macht den ukrainischen Völkermord nicht ungeschehen

Der Staatsbesuch Wolodymyr Selenskyjs in Warschau am 5. April 2023 war ein einziges Festival beiderseitiger Bekundungen von Einigkeit, Solidarität und engster Verbundenheit im Kampf gegen den russischen Überfall auf die Ukraine. In den ansonsten gewohnt kämpferischen und in Warschau mit stürmischem Beifall überschütteten Reden des Gastes, in seinen Lobeshymnen auf die Hilfs- und Opferbereitschaft „unserer polnischen Brüder und Schwestern”, tauchte jedoch das schwierigste historische Thema, die ukrainischen Wolhynienmassaker an etwa 100.000 Polen zwischen 1943 und 1945, nicht auf.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 wurde es von polnischer Seite ganz und gar ausgeklammert. Es sollte in solch harten Zeiten die Beziehungen zu dem sich kämpfend verteidigenden Land nicht belasten. Das funktioniert bis heute, doch immer mehr Polen, auch wenn sie ansonsten hundertprozentig hinter der Ukraine stehen, fällt es schwer, Kiews diesbezügliches beharrliches Schweigen ohne Weiteres hinzunehmen.

Ihre Frage lautet: Sind nicht gerade die grausamen russischen Verbrechen an der ukrainischen Zivilbevölkerung der richtige Anlass für die ukrainischen Eliten, über die Verbrechen der ukrainischen Nationalisten während des Zweiten Weltkriegs nachzudenken? Das ist schwierig und erfordert Mut von der ukrainischen Führung. Wolodymyr Selenskyj, der in anderen Fragen sehr schneidig daherkommt, legt hier eine geradezu beklemmende Hasenfüßigkeit an den Tag.

Im Sommer 1943 machten sich ukrainische  Nationalistenführer: Stepan Bandera, Roman Schuchewytsch, Dmytro Kljatschkiwskyj, Mykola Lebed und andere erneut daran, eine polen- und judenfreie Ukraine zu schaffen. Es war ein von langer Hand vorbereiteter Völkermord, der unter der Schirmherrschaft der deutschen Besatzer stattfand.

Ehemalige ukrainische Hilfspolizisten, die sich bereits bei den Massenmorden an Juden „bewährt” hatten, auch Mitglieder ukrainischer KZ-Wachmannschaften folgten massenhaft dem Aufruf der Nationalisten und desertierten mit ihren Waffen in die Partisanenabteilungen der Ukrainischen Aufständischen Armee. Begleitet von Horden aufgestachelter ukrainischer Bauern, leisteten sie ab Juli 1943 ganze Arbeit. Wichtigster Schauplatz dieses Völkermordes war Wolhynien.

Häuser, Gärten, Kirchen, Friedhöfe und alle anderen Anzeichen  jahrhundertelanger polnischer Anwesenheit in Wolhynien haben Banderas Helden dem Erdboden gleichgemacht und diese Erde in den meisten Dörfern umgepflügt. Wo einst  polnisches Leben war, pfeift heute der Wind über die Brachen oder wogt der ukrainische Weizen.

An mindestens 2.122 Orten wurden polnische Zivilisten, die Großeltern der heutigen polnischen „Brüder und Schwestern”, Kinder jeden Alters, Frauen, Männer, Greise, in wahren Blutorgien, zumeist mit Äxten, Messern, Mistgabeln und Holzknüppeln umgebracht. Ihre sterblichen Überreste haben die ukrainischen Mörder wie Tierkadaver in anonymen Gruben verscharrt. Bis heute verweigert die Ukraine Polen, sie zu bergen und sie menschenwürdig zu bestatten. Dahinter verbirgt sich die panische Angst, dass Hunderte von Gedenkorten in Wolhynien der Ӧffentlichkeit das wahre Ausmaß des bis jetzt beharrlich geleugneten Völkermordes vor Augen führen würden.

Das wiederum würde die Frage nach sich ziehen, warum die Massenmörder und die geistigen Urheber dieser Taten: Bandera, Kljatschkiwskyj, Schuchewytsch, Lebed usw., genauso wie die ukrainischen Freiwilligen der verbrecherischen SS Division „Galizien” in der Westukraine mit unzähligen Denkmälern, Gedenktafeln, Umzügen sowie mit Publikationen, und mit Sondermarken der ukrainischen Post zu Galionsfiguren der ukrainischen Freiheit stilisiert werden. Sie gelten als unbefleckte Patrioten und Helden des späteren Kampfes gegen die Sowjets, die 1944 die Westukraine von den Deutschen zurückerobert haben. Was sie zuvor anrichteten, wird geflissentlich ausgeblendet.

Die intellektuelle Elite der Ukraine ist offensichtlich nicht bereit, das einzusehen und daraus die Konsequenzen zu ziehen. Und Polen?

Polen sollte Selenskyj nicht dazu zwingen, denn das Wichtigste ist jetzt der Sieg an der Front und die zukünftige Sicherheit unseres Teils von Europa. Die Eliten in Kiew müssen selbst erkennen, dass das Wegschauen nicht ewig dauern kann.

Es wird nämlich schwer zu vereinbaren sein, Putin vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu schicken und gleichzeitig Bandera zu loben. Und wie lange kann man die russischen Gräueltaten an einigen Hundert Zivilisten in Butscha als Völkermord bezeichnen und gleichzeitig die Wolhynienmassaker abstreiten oder behaupten, dass das ukrainische Abschlachten Zehntausender polnischer Zivilisten kein Völkermord, sondern höchstens eine weitere Ausprägung „ukrainisch-polnischer Zwistigkeiten” war.

Vor zwanzig Jahren hatte es den Anschein, als wäre die offizielle Ukraine bereit, sich in Sachen Wolhynien mit der Wahrheit zu messen. Im wolhynischen Pawliwka, dem früheren polnischen Poryck, wo im Juli 1943 ukrainische „Freiheitskämpfer” 222 Polen bestialisch ermordet hatten, sagte Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski, neben ihm der ukrainische Präsident Leonid Kutschma: „Kein Ziel oder Wert, selbst ein so hehres wie die Freiheit und Souveränität einer Nation, kann Völkermord, das Abschlachten von Zivilisten, Gewalt und Vergewaltigung, das Zufügen von grausamen Leiden an Mitmenschen rechtfertigen“. Und er fügte hinzu, dass nicht das gesamte ukrainische Volk für dieses Verbrechen an den Polen verantwortlich gemacht werden könne.

„Wir wollen unsere Versöhnung auf der Wahrheit aufbauen: das Gute als gut und das Böse als böse bezeichnen“, diese Worte Kwaśniewskis aus dem Jahr 2003 muss man den ukrainischen Verantwortlichen von heute wieder in Erinnerung rufen. Und warten.

RdP




1.03.2022. Österreichs tiefer Knicks vor Putin

Wien war am 23. und 24. Februar 2023 Schauplatz der Wintertagung der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die 1995 gegründete OSZE ist die größte regionale Sicherheitsorganisation der Welt. Der Parlamentarischen Versammlung (PV) gehören 323 Abgeordnete aus 57 Staaten an. Die diesjährige Winterberatung fand am Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine statt.

Bei vorangegangenen OSZE-Treffen hatten die Gastgeber Großbritannien und Polen keine Russen einreisen lassen. Trotz etlicher Bitten und Appelle es genauso zu halten, haben die österreichischen Behörden russische Vertreter eingeladen, um „die Tür der Diplomatie nicht zuzuschlagen“. Es kamen neun russische Abgeordnete, von denen sechs auf Brüsseler Sanktionslisten stehen und eigentlich mit einem Einreiseverbot in die EU belegt sind. Darunter Delegationschef und Duma-Vizepräsident Pjotr Tolstoi sowie Leonid Sluzki, Leiter des Duma-Außenausschusses, beide begeisterte Verfechter der Krim-Besetzung und des Ukraine-Krieges.

Um den russischen Gästen Unannehmlichkeiten durch Proteste vor dem Haupteingang zu ersparen, wurden sie durch eine Hintertür in den Tagungsort, die Hofburg am Wiener Heldenplatz, gelotst. Medien waren bei dem zweitägigen Termin nicht erlaubt. Die zu erwartenden Teilnehmer-Proteste im Tagungssaal sollten möglichst wenig Echo finden, wofür eine starr auf das Präsidium ausgerichtete Videoübertragung zu sorgen hatte. Offiziell kam wieder einmal die berühmte österreichische Schlitzohrigkeit zur Geltung, indem es hieß, man möchte verhindern, „dass russische Journalisten hineinkommen, um eine riesige Propagandashow zu machen“.

Die österreichischen Gastgeber taten allen Ernstes so, als würden sie wirklich daran glauben, dass Dialog und Diplomatie mit Russland unter den gegebenen Umständen möglich seien. Jedenfalls war ihnen die Anwesenheit der Russen wichtiger als die der Ukrainer, die zu der Konferenz gar nicht erst angereist sind.

Doch es kam, wie es kommen musste. Statt Beratungen gab es permanent Aufruhr. Die Russen und die übrigen Teilnehmer verließen abwechselnd, unter Protest, den Saal. Es kam zu wüsten Beschimpfungen, flammende Manifeste ersetzten normale Redebeiträge. Dieses unwürdige Schauspiel drang auf verwackelten Handy-Aufnahmen nach außen und hinterließ einen üblen Nachgeschmack. Am Ende lag allen Beobachtern nur eins auf der Zunge: Außer Spesen nichts gewesen.

Das alles war leicht vorhersehbar. Wieso also haben sich die Österreicher darauf eingelassen? Die einzige plausible Antwort lautet, es sollte in Richtung Moskau ein deutliches Zeichen des Wohlwollens gesendet werden.

In Wien gefällt man sich in der Rolle des Vermittlers zwischen West und Ost. Dahinter verbergen sich diverse dubiose, milliardenschwere Geschäfte mit Moskauer Oligarchen, ergänzt durch zwielichtige Mafia- und Geheimdienstkontakte. Wien, einst Moskaus wichtigstes Spionagezentrum hinter dem Eisernen Vorhang, hat diesbezüglich bis heute nichts an Bedeutung eingebüßt.

Nicht zufällig war Bundeskanzler Karl Nehammer nach dem Kriegsausbruch der erste Regierungschef eines EU-Landes, der bereits Mitte April 2022 Putin in Moskau seine Aufwartung machte. Er ist bis heute der einzige geblieben.

Sein Amtsvorgänger Wolfgang Schüssel hatte erhebliche Mühe, sich nach dem Ukraine-Überfall von seinem mit 100.000 Euro pro Jahr dotierten Aufsichtsratsposten beim russischen Mineralölkonzern Lukoil zu lösen. Und bis Mai 2022 saß die ehemalige österreichische Außenministerin Karin Kneissl im Aufsichtsrat des russischen Mineralölkonzerns Rosneft. Noch im Amt, lud sie 2018 Russlands Präsidenten Wladimir Putin zu ihrer Hochzeit in die Steiermark ein. Nach einem gemeinsamen Tanz machte Kneissl einen tiefen Knicks vor ihm. Es war eine trotzige Demonstration der einflussreichen Position Russlands an der Donau.

Die angebliche österreichische Neutralität ist schon vor langer Zeit dauerhaft in eine prorussische Schieflage geraten. In Wien hat man sich bis heute nicht einmal dazu durchgerungen, eine 1949 im Stadtteil Meidling zu Ehren Stalins angebrachte Gedenktafel abzuhängen.

Sich mit Russland einlassen ist wie eine Kobra tätscheln. Ehe man sich umsieht, ist man schon  gelähmt. Deshalb ist Österreich heute Putins Fürsprecher.

RdP




23.02.2023. Joe Bidens klare Warschauer Ansagen. Auch an Deutschland

Neuigkeiten brachte Joe Biden nach Warschau nicht mit. Doch wer die Rede des US-Präsidenten vom 21. Februar 2023 in den Gärten des Warschauer Schlosses mit der geringschätzigen Bemerkung abtut, Biden habe „mit viel Pathos nichts Neues verkündet“, der verkennt nicht nur die enorme Bedeutung der Botschaft, die die Ansprache enthielt, sondern auch den Ernst der Lage, in der Biden das Wort ergriff.

Die Rede des US-Präsidenten fiel nicht nur in die Woche des Jahrestages des russischen Überfalls auf die Ukraine, sondern auch in eine schwierige Phase des Krieges. Den Verteidigern gehen Munition und Männer aus, während Putin immer neue Truppen an die Front wirft. Auch wenn die Frühjahrsoffensive der Russen noch keine Erfolge zeigte, so kommen doch bange Fragen und nagende Zweifel auf: Wie lange hält die Ukraine noch durch? Bekommt sie weiterhin die erforderliche Unterstützung? Spekuliert man im Kreml zu Recht darauf, dass sich Kriegsmüdigkeit im Westen breitmacht und die Ukraine ihrem Schicksal überlassen wird?

All dem musste und wollte Biden entgegentreten, und hielt sich dabei an die antike Erkenntnis „Repetitio est mater sapientiae“, dass „die Wiederholung die Mutter der Weisheit“ sei. Er trug seine Warschauer Rede mit typisch amerikanischem Pathos vor und fand einfache und klare Worte, mit denen er die Haltung Amerikas mit Nachdruck bekräftigte. Falls jemand Zweifel an der Entschlossenheit der USA gehabt haben sollte, der Ukraine weiterhin zu helfen, nach Bidens Warschauer Rede dürften sie zerstreut sein.

Die Ansprache hatte mehrere Adressaten, denen sie unmissverständlich klarmachen sollte, wie Amerika denkt und wie es zu verfahren gedenkt.

Zum einen die Ukraine. Das wichtigste Signal in diese Richtung hatte Biden bereits am Vortag mit seinem unerwarteten Kurzbesuch in Kiew gegeben. In Warschau verkündete er dann ausdrücklich, dass die USA an der Seite der Ukraine bleiben werden, „solange es nötig ist“. „Die Ukraine wird niemals zu einem Sieg für Russland. Niemals“, rief der Präsident. „Es sollte keine Zweifel geben: Unsere Unterstützung für die Ukraine wird nicht nachlassen“.

Zum anderen Russland. Putin erlebe nun etwas, das er nicht für möglich gehalten hätte. Er habe den Westen auf die Probe gestellt mit der Frage, ob sein Angriff unbeantwortet bleibe. „Als er seine Panzer in die Ukraine beorderte, dachte er, wir würden wegschauen“, doch der Westen habe nicht weggeschaut. „Wir waren stark.“ Nun sei klar, dass die Antwort laute: „Russland wird in der Ukraine niemals siegen“.

Der US-Präsident wandte sich auch an die Menschen in Russland: „Die Vereinigten Staaten und die europäischen Nationen wollen Russland nicht kontrollieren oder zerstören“. Der Westen habe vor Kriegsbeginn nicht vorgehabt, Russland anzugreifen, wie Putin behauptet. „Jeder Tag, an dem der Krieg weitergeht, ist seine Entscheidung. Er könnte den Krieg mit einem Wort beenden. Es ist ganz einfach.“

Adressaten waren auch das Gastgeberland Polen und weitere acht Staaten der „Bukarest Neun“, die osteuropäischen Nato-Länder von Estland bis Bulgarien, mit deren Staats- und Regierungschefs sich Biden am Tag darauf in Warschau getroffen hatte. Diese Länder stellen die vorderste Front der kollektiven Verteidigung.

Biden sagte das, was von ihm erwartet wurde. Er bekannte sich unmissverständlich zu Artikel 5 des Nato-Vertrages, der gegenseitigen Beistandsverpflichtung. „Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle“, rief er der Menge zu. Jeder Zentimeter des Bündnis-Territoriums werde verteidigt. Das sei ein „heiliger Eid“. Alles andere wäre eine Überraschung gewesen, doch gerade im östlichen Mitteleuropa kann dieses Bekenntnis nicht oft genug beteuert werden.

Mit seinem zweiten Besuch in Warschau innerhalb eines Jahres unterstrich Biden unmissverständlich, dass er Polens Schlüsselrolle und seine enormen Anstrengungen, der Ukraine zu helfen, zu würdigen weiß. An das Leid der Flüchtlinge erinnernd, lobte er die Polen für ihre „außerordentliche Großzügigkeit“ in deren dunkelster Stunde. Der polnischen Präsidentengattin rief er gar „I love you“ zu, nachdem er ihren Einsatz für Flüchtlinge gewürdigt hatte.

Polen mit seiner knapp 500 Kilometer langen Grenze zur Ukraine hat fast zwei Millionen Ukrainer aufgenommen und inzwischen weitgehend integriert, ohne sie in Flüchtlingslager oder Sammelunterkünfte zu stecken. Es liefert in großem Ausmaß Munition, Waffen, darunter gut dreihundert Panzer, Kampfausrüstung jeglicher Art, repariert unter Hochdruck beschädigtes Kriegsgerät, trainiert ununterbrochen ukrainische Soldaten und fungiert als Drehscheibe für fast alle ausländischen Waffenlieferungen, die die Ukraine auf dem Landweg erreichen.Gleichzeitig finanziert es zu einem bedeutsamen Teil die Stationierung von knapp 11.000 amerikanischen Soldaten auf seinem Territorium.

Warschau preschte auch wiederholt mit Initiativen zur militärischen Unterstützung für Kiew vor, es fordert ständig neue Sanktionen, mobilisiert andere hilfswillige Staaten und wird nicht müde, Nachzügler zu brandmarken. Russland, so die Warschauer Sicht, muss möglichst dauerhaft angriffsunfähig gemacht werden. Genauso denkt man in Washington.

Dass Biden zum zweiten Mal seit März 2022 nach Polen flog, ohne in Berlin zwischenzulanden, gibt zu denken. Man darf davon ausgehen, dass seine klaren Warschauer Botschaften auch an die unzähligen deutschen Bedenkenträger, Zauderer, Bremser, Russlandversteher und Russlandeinbinder, Kreml-Dialogbeschwörer, Putins Telefonpartner und Friedensstifter auf Kosten der Ukraine gerichtet waren. Haltungen, deren Konsequenzen die Ukraine tragen muss.

Es ist nicht vorstellbar, dass Joe Biden seine klaren Botschaften vor dem Berliner Schloss, am Lustgarten, hätte verkünden können, ohne wütende Proteste und gellende Pfeifkonzerte zu ernten. In der Frontstadt Westberlin war John F. Kennedy noch „ein Berliner“. Im Frontstaat Polen ist Joe Biden ein Warschauer. So ändern sich die Zeiten.

RdP




11.02.2023. Andrzej Poczobut. Weissrussland und die Macht eines ohnmächtigen Polen

Im weißrussischen Grodno wurde dieser Tage der polnische Journalist und weißrussische Staatsbürger Andrzej Poczobut zu acht Jahren verschärfter Lagerhaft verurteilt. Auf Fotos aus dem Gerichtssaal wirkte er gealtert und abgemagert. Immerhin gingen dem Spruch zwei Jahre Untersuchungshaft voraus, in denen Poczobut es ablehnte, sich gegen politische Auflagen und ein Schuldeingeständnis freizukaufen.

Allen war klar, dass das Urteil von Alexander Lukaschenkos Schreibtisch aus diktiert worden war und dass es, dank Richter Dimitrij Bubentschik, der bereits in vielen Prozessen gegen Oppositionelle den Vorsitz führte, garantiert dem Willen des Diktators entsprach. Im Gerichtssaal waren Poczobuts Ehefrau, seine Tochter und seine Eltern anwesend. Wie sein Vater Stanisław berichtete, durfte die Familie nicht mit dem Häftling sprechen. „Ich bin 80, meine Frau ist 79. Wir werden unseren Sohn wahrscheinlich nie wiedersehen.“

Seit den letzten, offensichtlich gefälschten Präsidentschaftswahlen vom August 2020 sitzen in weißrussischen Gefängnissen etwa 1.300 verurteilte politische Häftlinge ein. Einige Hundert weitere warten auf ihren Prozess. Zu beiden Gruppen gehören gut einhundert weißrussische Polen.

Die polnische Minderheit, etwa 5 Prozent der knapp 10 Millionen zählenden Bevölkerung Weißrusslands, ist schon seit Jahren Gegenstand einer entfesselten Willkür und brachialer Repressalien des Regimes. Sie steht unter dem Generalverdacht des „Landesverrats“.

Dabei gesellt sich seit einigen Monaten zur Delegalisierung des Verbandes der Polen, zu Schließungen von polnischen Schulen und der Beschlagnahmung von Kultureinrichtungen, zu Verhaftungen und massiven polizeilichen Einschüchterungen in Form von Hausdurchsuchungen, ständiger Polizeibeobachtung, Vorladungen zu Verhören, kurzfristigen Festnahmen, eine neue barbarische Maßnahme. Es ist die Zerstörung von Gräbern und Friedhofsdenkmälern polnischer Soldaten aus dem Jahr 1939, die diese damals polnischen Gebiete gegen den Einmarsch der Sowjets verteidigt haben. Dasselbe gewaltsame Vorgehen richtet sich gegen Gräber von Soldaten der Partisaneneinheiten der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa). Vierzehn solcher Orte wurden bisher, zumeist bei Nacht, mit Bulldozern plattgewalzt.

Der heute 49-jährige Poczobut erlebte seit 2011 drei Verhaftungen, einmal wurde er zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Stets wurde ihm zum Vorwurf gemacht, er unterziehe, auf weißrussischen Internetseiten und in seiner Berichterstattung für polnische Medien, das Funktionieren des weißrussischen Systems gut belegten, wohldurchdachten und zugleich schonungslosen Analysen. Seine vielgelesenen und vielzitierten Betrachtungen trafen das Regime ins Mark.

Poczobuts Haltung ruft Bewunderung und großen Respekt hervor. Die verschärften Haftbedingungen werden seinen Willen nicht brechen, aber sie können ihn, und darauf zielen sie letztendlich ab, in einen Krüppel verwandeln. Der Kampf um Poczobuts Freiheit ist vor allem ein Kampf um sein Leben.

Trotz aller Kritik und aller Proteste scheint das weißrussische Regime seit mittlerweile knapp dreißig Jahren, seit dem Amtsantritt Lukaschenkos im Juli 1994, unbezwingbar zu sein. Sein schamloses Fortbestehen und dreistes Agieren verschlagen den Menschen in Weißrussland die Sprache und rauben ihnen oft jede Hoffnung.

Auch ihnen ist Václav Havels berühmtes Essay „Die Macht der Ohnmächtigen“ gewidmet, geschrieben 1978 in der Finsternis der kommunistischen Nacht. Der spätere tschechische Staatspräsident, der damals, wie Andrzej Poczobut heute, aus der Gesellschaft ausgeschlossen war und sein Leben als Heizer fristete, vertrat die Ansicht, dass das totalitäre Regime nicht durch Gewalt, sondern durch das Gewicht der Wahrheit und der Meinungsfreiheit zu Fall kommen würde.

Fünfundvierzig Jahre später können wir sagen: Poczobut ist einer, der in dieser Hinsicht sehr viel unternommen hat und einen hohen Preis dafür zahlt. Nichts ist ewig. Regime, wie das von Lukaschenko, brechen manchmal über Nacht zusammen. Erinnern wir uns nur an Ceaușescus Rumänien. Es muss alles dafür getan werden, dass in dem Wettlauf, wer früher das Zeitliche segnet, Andrzej Poczobut nicht unterliegt.

RdP




18.01.2023. Leo bleibt nicht in Lodz

Es gibt die Logik der Schützengräben und es gibt die Logik der politischen Kabinette. Nur manchmal, für eine gewisse Zeit, gelingt es, sie miteinander in Einklang zu bringen.

Es geschah am 1. März 2022. Wenige Tage nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, hat eine ukrainische Aktivistin den damaligen britischen Premierminister Boris Johnson auf einer Pressekonferenz in Warschau zur Rede gestellt. Sie warf ihm vor, er habe Angst nach Kiew zu fahren, wo Bomben auf ukrainische Kinder fallen. Und die Nato wolle nicht für die Verteidigung der Ukraine kämpfen oder wenigstens ein Flugverbot für den ukrainischen Luftraum verhängen, um den Dritten Weltkrieg nicht herauszufordern.

Die Erwartung, die Nato würde sich auf einen Krieg mit der Atommacht Russland einlassen, galt sogar für die größten Freunde der angegriffenen Ukraine als unzumutbar. Außerdem ereignete sich der Zwischenfall in Warschau bereits einige Wochen vor der Entdeckung der russischen Kriegsverbrechen, die durch Butscha symbolisiert werden. Danach änderte sich im Westen die Einstellung zum Krieg. Boris Johnson reiste als einer der ersten westlichen Politiker nach Kiew, und sein Land wurde zu einem der wichtigsten Verbündeten der Ukraine, auch in Sachen Waffenlieferungen.

Eines hat sich sicherlich nicht geändert: Niemand im Westen, auch nicht Polen, will den Dritten Weltkrieg. Und das ist verständlich. Auch die Errichtung einer Flugverbotszone ist nach wie vor unmöglich.

Ansonsten ist es aber schon zur Regel geworden, dass die öffentliche Meinung den Politikern in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine stets deutlich voraus ist. Unter ihrem Druck verschiebt sich die Grenze dessen, was den Ukrainern gegeben werden kann, darf und soll. Leider geschieht das viel zu langsam, auch wenn die Angst vor Putins nuklearer Vergeltung mit jeder überschrittenen Schwelle abnimmt.

Nach fast einem Jahr des Krieges ist man bei Panzern aus westlicher Produktion angelangt. Wir in Polen überlegen nur noch, wie wir unsere Leopardpanzer am schnellsten den Ukrainern zukommen lassen können. Derweil grübeln die Deutschen darüber nach, ob sie sie aus eigenen Beständen abgeben und den anderen, so auch uns, erlauben sollen, diese Panzer bereitzustellen. Als Hersteller der Leos hat Deutschland das letzte Wort.

Die Logik des Zauderns prallt wieder einmal mit der Logik der Schützengräben und der in Kälte, Dunkelheit und Ruinen ausharrenden Ukrainer zusammen: „Lasst uns die Angreifer vertreiben und ihnen die Möglichkeit nehmen, Raketen auf unsere Köpfe abzuschießen. So bald wie möglich!“.

Jeder Tag, an dem in Berlin beraten wird, bedeutet weitere tote Soldaten und Zivilisten, mehr Waisen, mehr Menschen, die für ihr Leben traumatisiert sind, und solche, die sich entschließen zu flüchten.

Die Logiken der Kabinette und der Schützengräben können miteinander in Einklang gebracht werden. Was noch im Wege steht, ist der Widerstand des deutschen Bundeskanzlers, der von Polen, Frankreich, Holland, Norwegen, dem Vereinigten Königreich, anderen Verbündeten und deutschen Politikern, auch aus seiner eigenen Regierung, unter Druck gesetzt wird. Am Ende seines schon zum Ritual gewordenen Zauderns wird Olaf Scholz nachgeben müssen.

Doch machen wir uns nichts vor. Dieser Einklang wird von kurzer Dauer sein und es wird so kommen, wie schon oft zuvor. In Anbetracht der Größe des ukrainischen Kriegsschauplatzes werden es zu wenige Panzer sein, und sie werden spät, vielleicht sogar zu spät kommen.

Der Verschleiß an Waffen und Munition ist auf der ukrainischen Seite gewaltig. Um den Sieg davontragen zu können, werden uns die Ukrainer schon bald um Kampfhubschrauber und Flugzeuge, um noch weiter reichende Kanonen und Raketenabschussvorrichtungen, womöglich gar um Kriegsschiffe bitten. So gesehen, blickt das deutsche Zaudern, Schwanken und Innehalten in eine große Zukunft.

RdP




4.01.2023. Was uns in Polen an Joseph Ratzinger so sehr gefiel

Da reibt man sich die Augen und traut seinen Ohren nicht, aber offensichtlich geht es doch. Dieselben deutschsprachigen Medien, die den verstorbenen Papst Benedikt XVI. zu Lebzeiten auf das Gröbste in Verruf gebracht haben, üben sich jetzt in ihren Nachrufen in Zurückhaltung. Auch wenn sie ihm weiterhin ablehnend gegenüberstehen wägen sie ab, versuchen sein Denken und Handeln für ihre Abnehmer nachvollziehbar zu machen. Immerhin, sie haben die rhetorischen Knüppel und Keulen beisetegelegt.

Wo die Gründe für dieses späte Bemühen um elementare Fairness zu suchen sind, ob in den schlechten Gewissen oder in der späten Einsicht, dass es trotz allem einen herausragenden Deutschen zu verabschieden gilt, sei hier dahingestellt.

Denn Ratzinger war ein brillanter Denker, auch wenn sein Gedankengut heutzutage wenig Applaus finden mag. Es hat ihm dennoch viele Ehrungen, Auszeichnungen, Ehrendoktorwürden und Mitgliedschaften eingebracht. Der nach seinem eigenen Bekunden „religiös unmusikalische“ Philosoph Jürgen Habermas, setzte sich eingehend mit Ratzingers Denken auseinander. Im Jahr 2005 veröffentlichten die beiden gemeinsam das Buch „Dialektik der Säkularisierung“, das nach den vorpolitischen, ethischen Grundlagen des modernen Rechtstaates und seiner Macht fragt.

Nach seinem Tod tut man so, als wäre nichts gewesen, dabei war Joseph Ratzinger jahrzehntelang, gerade in Deutschland, Opfer einer medialen Lynchjustiz die ihresgleichen sucht.

Es sind sehr oft dieselben Redakteure, die ihn heute immerhin einen „herausragenden Theologen“ nennen, „einen Meister des geschriebenen Wortes“, dessen Tod „ein langes wie denkwürdiges Kapitel katholischer Kirchengeschichte beschließt“ usw., usf., und sich vorher im Ausdenken von brutal einprägsamen Spott- und Schmähnamen geradezu überboten: „Hardliner“, „Panzerkardinal“, „Großinquisitor“, „Spielball finsterer Mächte im Vatikanstaat“, reaktionär, weltfremd. Er sollte in der Öffentlichkeit als dogmatischer Finsterling erscheinen, als fundamentalistischer Gegner des Fortschritts, der den Menschen von heute nichts zu sagen hat.

Im Zusammenhang mit einem Missbrauchsfalll aus seiner Zeit als Erzbischof von München (1977-1982) sprachen ihn die Medien jüngst, knapp vierzig Jahre später, wegen Lüge und Vertuschung schuldig, ohne einen einzigen glaubwürdigen Beweis und ohne Gerichtsverfahren, nur anhand eines Gutachtens einer Rechtsanwalskanzlei. In Wahrheit führte Benedikt XVI. den Kampf gegen Missbrauch in der Kirche so rigoros und systematisch wie kein Papst vor ihm.

Im Kern ging es bei den Kampagnen gegen seine Person um den Versuch, seinen Charakter öffentlich hinzurichten. Man wollte sein theologisches Werk dauerhaft beschädigen und künftigen Generationen verleiden. Sein Denken wurde diffamiert, weil er nicht dazu bereit gewesen ist, das Wesen des katholischen Glaubens den wechselnden Moden einer postchristlichen Wohlstandsgesellschaft zu unterwerfen, so fortschrittlich sich diese auch geben mochte.

Ging es um philosophische oder wissenschaftliche Fragen, vertrat er die Überzeugung, dass Vernunft und Offenbarung zusammengehören, so, wie das Erforschen der Welt und das Vertrauen in die Schöpfung. Die reine Vernunft ohne Glauben werde kalt und herzlos, wie umgekehrt der Glaube ohne Vernunft blind und fanatisch werde. „Wenn es nicht das Maß des wahren Gottes gibt, zerstört sich der Mensch selbst.“

Der Theologe Ratzinger gewichtete ein hörendes Herz in Richtung Gott und ein demütiges Mitgehen mit der katholischen Tradition stets höher als weltliche Sinnangebote, die Weisheit der Bibel und der Kirchenväter höher als Technik und Wissenschaft, Sanftmut und Gebet höher als politische Programme.

Er hat weder an die Kraft eines atheistischen Humanismus noch an eine sittlich verbesserte Menschheit durch Technik und Wissenschaft geglaubt. Er setzte die Anwesenheit des Heiligen ganz selbstverständlich voraus und weigerte sich, das menschliche Dasein aufgehen zu lassen in der Banalität von Leistung, Konsum und Karriere. Die Sakramente der Kirche waren für ihn unverrückbar.

Ratzinger sah die Kirche als die einzige wirkliche Gegenkraft zu der immer weiter um sich greifenden Zivilisation des Todes, die „das Recht“ auf Euthanasie und „das Recht“ auf Abtötung des ungeborenen menschlichen Lebens auf ihren Fahnen trägt, und als die Gegenkraft zu den neuen Formen der modernen Tyrannei, die im Gewand des radikalen Genderismus, Ökologismus und vieler anderer utopischer „Ismen“ daherkommen.

Bescheiden und liebenswürdig im Umgang, blieb er unnachgiebig in der Sache. Seit 1981, als Präfekt der Glaubenskongregation, hatte er eine ganze Kette sehr schwieriger Auseinandersetzungen geführt, was ihm den Vorwurf der Intoleranz und des Mangels an geistigem Denkhorizont eingebracht hat. Er scheute keine Konflikte mit Hans Küng, Ernesto Cardenal, Leonardo Boff, Eugen Drewermann, Gotthold Hasenhuttl und anderen bekannten „Reformtheologen“.

Hinter Ratzinger stand der engagierte, aus den Sakramenten lebende, von der Tradition gestärkte Katholizismus, stand die Ordnung in der Lehre, der Liturgie und die Kirchendisziplin, die er aufrechterhielt, um den Zerfall und das Herüberwechseln der katholischen Kirche ins Protestantische zu verhindern. Die tiefe Krise des Protestantismus, der alle von der katholischen Kirche geforderten Reformen längst umgesetzt hat, gab ihm zusätzlich recht.

Theologen, gegen deren Lehren die Glaubenskongregation Einwände erhob, unternahmen alles, um die Medien und die öffentliche Meinung gegen den Präfekten aufzubringen. Fast jedes Mal versuchte die Presse zu beweisen, dass die Aktivitäten des von Kardinal Ratzinger geleiteten Amtes unter den Katholiken in der ganzen Welt angeblich kritische Stimmen provozieren würden.

Sie schrieben über den im Vatikan herrschenden „Geist der Arroganz“ und die „Diktatur Ratzingers“. Der schmächtige Kardinal und spätere Papst erinnerte daraufhin immer wieder daran, dass „die Freiheit der Theologie sich nicht in der Fantasie über Gott ausdrückt, sondern innerhalb des großen Rahmens bleiben muss, den das Wort Gottes vorgibt“.

Das alles machte Benedikt XVI. zu einem „Ärgernis“. Umso mehr, als er sich nicht beeindrucken ließ vom öffentlichen Druck gegen seine Person, vom Liebesentzug einer Gesellschaft, die als obersten Maßstab nur sich selber anerkennt.

Die Polen haben ihn in ihre Herzen geschlossen. Einen Deutschen, den mit dem polnischen Papst eine tiefe Freundschaft verband. Einen Deutschen der sich noch im hohen Alter die Mühe machte Polnisch zu lernen, um die Gläubigen bei seinem Besuch in Polen im Mai 2006 und bei den Generalaudienzen in Rom direkt ansprechen zu können. Einen Deutschen, der ihrem Gottvetrauen stets höchsten Respekt zollte. Einen Deutschen, den man einfach uneingeschränkt gern haben konnte. Uns wird er sehr fehlen.

RdP




30.12.2022. Polnischer Warnruf auf deutschen Irrwegen

Mut stand 2022 sehr hoch im Kurs. Gefragt waren in diesem vom Krieg geprägten „annus horribilis“ beherzte Politiker, Soldaten und Helfer, aber nicht nur. Am Jahresende sei hier an einen weitgehend verschwiegenen Akt christlichen Mutes erinnert und zwar an den Brief, den der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanisław Gądecki (fonetisch: Gondetski) im Februar 2022 „Aus brüderlicher Sorge“ an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, den „Lieben Bruder im Bischofsamt“, Georg Bätzing, gerichtet hat.

Was Erzbischof Gądecki schrieb erforderte Mut, weil es sich eindeutig gegen den vorherrschenden Zeitgeist richtet. Wer seine Treue zum Evangelium mit einer solchen Deutlichkeit öffentlich bekundet, der setzt sich unweigerlich tausendfach wiederholten Vorwürfen und Schmähungen aus, er sei frauenfeindlich, homophob u.s.w. „In der modernen Welt wird Gleichheit oft missverstanden und mit Uniformität gleichgesetzt. Jeder Unterschied wird als ein Zeichen von Diskriminierung behandelt“, stellt Erzbischof Gądecki dazu fest.

Dem Briefautor ging es um den sogenannten Synodalen Weg, auf den sich, dem Zeitgeist huldigend, die katholische Kirche in Deutschland auf der Suche nach Erneuerung begeben hat. Die Verwirklichung der Reformpläne käme einer so weitgehenden Abkehr von der katholischen Lehre gleich, dass am Ende eine Kirchenspaltung und der Einzug der deutschen Reformer in das Lager des liberalen Protestantismus stünden.

Dieser Gefahr galt „Die brüderliche Sorge“ des Metropoliten von Poznań. Er gliederte seinen Brief in fünf Teile, von denen jeder eine Warnung vor den Versuchungen enthält, denen nicht nur deutsche Katholiken von heute ausgesetzt sind.

Die erste Versuchung besteht darin, die Fülle der Wahrheit außerhalb des Evangeliums zu suchen. Das widerfährt gerade den deutschen „Reformkatholiken“. So etwas, schreibt Erzbischof Gądecki, ist im Laufe der Geschichte immer wieder geschehen.

Man denke nur an die sogenannte Jefferson-Bibel. Der dritte amerikanische Präsident, hauptsächlicher Verfasser der Unabhängigkeitserklärung und einer der einflussreichsten Staatstheoretiker der Vereinigten Staaten, behauptete, dass die Evangelien Passagen enthielten, die sehr weise und erhaben seien, und sicherlich direkt von Jesus stammen, aber auch törichte und triviale Stellen, die, so gesehen, von ungebildeten Aposteln stammen müssten.

In der Überzeugung, dass er über die Kenntnis verfüge, die einzelnen Aussagen nach diesen Kriterien trennen zu können, beschloss Jefferson, das mit einer Schere zu tun. So schuf er einen „moderneren“ Bibel-Text, der nach seiner Ansicht besser als das Original war. Doch gerade in den nach seiner Auffassung „weniger“ anspruchsvollen Abschnitten der Bibel, die unter die „Jefferson-Schere“ fielen, befand sich das proprium christianum – das, was allein dem Christentum eigen ist.

Die zweite Versuchung äußert sich im Glauben an die Unfehlbarkeit der Wissenschaft. Wer ihr erliegt, konfrontiert die Lehre Jesu ständig mit den neuesten Entwicklungen in der Psychologie und den Sozialwissenschaften. Wenn etwas im Evangelium nicht mit dem aktuellen Wissensstand übereinstimmt, versucht er das Evangelium zu „aktualisieren“, in dem Irrglauben Jesus davor schützen zu müssen, sich in den Augen der Zeitgenossen zu blamieren.

Die Versuchung, sich zu „modernisieren“, betrifft inzwischen insbesondere den Bereich der sexuellen Identität. Dabei wird jedoch vergessen, dass sich der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse oft ändert, manchmal sogar dramatisch. Man braucht nur die einst durchaus vorherrschenden wissenschaftlichen Theorien wie Rassismus oder Eugenik zu erwähnen.

Die dritte Versuchung ergibt sich daraus, dass die Katholiken von heute, so Erzbischof Gądecki, unter dem enormen Druck der öffentlichen Meinung leben, was bei vielen von ihnen Scham und Minderwertigkeitskomplexe hervorruft. Der Glaube ist heute kein selbstverständlicher Bestandteil des allgemeinen Lebens mehr, sondern wird oft geleugnet, an den Rand gedrängt und lächerlich gemacht. Daraus ergeben sich die Relativierung und das Verbergen der eigenen christlichen Identität und der religiösen Überzeugungen angesichts eines zunehmend glaubensfeindlichen öffentlichen Lebens.

„Getreu der Lehre der Kirche dürfen wir nicht dem Druck der Welt oder den Modellen der gerade vorherrschenden Kultur nachgeben, weil das zur moralischen und geistigen Bestechlichkeit führt. Es gilt die Wiederholung abgedroschener Slogans und Standardforderungen wie die Abschaffung des Zölibats, das Priestertum der Frauen, die Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene oder die Segnung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu vermeiden. So ist die „Aktualisierung“ der Begriffsbestimmung der Ehe in der EU-Grundrechtecharta lange noch kein Grund, das Evangelium zu verzerren“, schreibt Erzbischof Gądecki.

Die vierte Versuchung besteht darin, das gesellschaftliche Leben zu kopieren. „Ich bin mir bewusst, dass die Kirche in Deutschland kontinuierlich Gläubige verliert und dass die Zahl der Priester von Jahr zu Jahr abnimmt. Die Kirche steht in dieser Hinsicht vor der Gefahr eines korporativen Denkens: »Es gibt einen Personalmangel, wir sollten die Einstellungskriterien senken«. Daher die Forderung, die Verpflichtung zum priesterlichen Zölibat aufzuheben, Frauen ins Priesteramt zu berufen und gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu segnen“.

Und schließlich die fünfte Versuchung, sich dem Druck zu beugen. Hierzu stellt der polnische Oberhirte unter anderem fest: „Trotz Empörung, Ächtung und Unpopularität, kann die Katholische Kirche, die der Wahrheit des Evangeliums treu ist und gleichzeitig von der Liebe zu jedem Menschen angetrieben wird, nicht schweigen und diesem falschen Menschenbild zustimmen, geschweige denn es segnen oder fördern.“

Das wohldurchdachte, mit vielen starken Argumenten versehene Schreiben von Erzbischof Gądecki, das hier nur fragmentarisch wiedergegeben werden konnte, hat in Deutschland keine Diskussion ausgelöst. Nur einige kurze Notizen in kircheninternen Zeitschriften waren ihm gewidmet. Im Grunde wurde es totgeschwiegen.

Darüber hinaus wiesen deutsche Bischöfe, die am Veränderungsprozess am aktivsten beteiligt sind (Bischof Bätzing ist einer von ihnen), mit einem Eifer, der einer besseren Sache würdig ist, darauf hin, dass Erzbischof Gądecki den Brief nur in seinem eigenen Namen und nicht im Namen des polnischen Episkopats geschrieben habe.

Das ist richtig, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass der Brief den Kern des Problems trifft. Er umschreibt sehr präzise die Versuchungen, denen die Katholiken in Deutschland ausgesetzt sind und die Situation in vielen anderen Ländern, darunter, leider, teilweise auch die Lage der Kirche in Polen.

Ist Erzbischof Stanisław Gądecki ein einsamer Rufer in der Wüste? Zum Glück noch nicht, und außerdem, wie man sieht, wer dem Evangelium vertraut, hat nicht auf Sand gebaut.

RdP




22.12.2022. Wintertest. Russland ist entbehrlich geworden

Die Kältewelle, die im Dezember 2022 über Europa hinwegfegte, hatte auch politische Folgen, und zwar von epochaler Bedeutung. Es ist nämlich klar geworden, dass Russland es nicht geschafft hat, Europa mit seinen Energiewaffen in die Knie zu zwingen. Die europäischen Energieversorgungssysteme haben zwar geächzt, aber sie sind nicht zusammengebrochen:

Die Lichter blieben an. Die Fabriken arbeiteten. Die Einkaufszentren waren geöffnet, und die Wohnungen wurden beheizt, auch wenn das alles viel mehr gekostet hat als noch vor einem Jahr.

Es geschah während die beiden Nord Stream-Gasleitungen außer Betrieb sind, die russischen Gaslieferungen durch Sanktionen auf ein winziges Rinnsal gestutzt wurden und die EU-Staaten sich auf einen Höchstpreis für russisches Erdgas festgelegt haben.

Europa wurde durch zusätzliche Flüssiggaslieferungen aus den USA und Katar und durch die ersten Transporte von den neuen Gasfeldern vor der Küste Mosambiks, einer sehr vielversprechenden Versorgungsquelle, gerettet. Zudem schaffte es der Westen, seinen Energieverbrauch zu drosseln.

Jetzt deutet alles darauf hin, dass unser Kontinent durch den Winter kommen wird, ohne in eine katastrophale Energienotlage zu geraten. Wir haben noch den Januar und den Februar vor uns, die beiden kältesten Monate des Jahres, aber es ist bereits klar, dass das neue System funktioniert. Der erste und wichtigste Test ist bestanden.

Für Russland gleicht das einer Katastrophe. Offensichtlich hat Putin den freien Markt unterschätzt. Gewiss, der freie Markt ist nicht perfekt, aber eins muss man ihm lassen: Er ist sehr flexibel. Höhere Preise generieren zusätzliche Lieferungen aus anderen Quellen.

Die Energiekarte in der Hand, wollte Putin den Westen zwingen, seine Unterstützung für die kämpfende Ukraine zurückzuziehen. Doch er konnte diese Karte nur einmal ausspielen. Jetzt kann er den Westen nicht mehr mit der Drohung einschüchtern, die Energielieferungen zu unterbrechen. Die Drohung hat sich als leer erwiesen.

Zudem hat Putin im Zuge dieser Inszenierung seine eigene Wirtschaft zerstört. Warum? Weil Russland, abgesehen von Gas und Öl, nichts produziert, was für die Außenwelt von existenzieller Bedeutung wäre. Und inzwischen gehören die Zeiten, in denen Russland ein großer Energieexporteur war, der Vergangenheit an.

Außer den Atomwaffen hat Russland alles in die Waagschale geworfen, was es besitzt. Vergeblich. Wenn der Westen den ersten Winter übersteht, wird er auch in den darauffolgenden Wintern Herr der Lage sein und umso besser ohne russische Importe auskommen. Er wird auch die Inflation in den Griff bekommen, die Europa und den Vereinigten Staaten so sehr zu schaffen macht.

Diese Gesamtentwicklung zeichnet sich immer deutlicher ab und sie wird sich durchsetzen, freilich unter einer Bedingung: Es werden mit Putin keine faulen Kompromisse geschlossen.

RdP




14.12.2022. Monsieur le Russlandversteher

„Dumme Gedanken hat jeder, nur der Weise verschweigt sie“. Wilhelm Buschs klugen Ratschlag vermag der französische Staatspräsident leider bis heute nicht zu beherzigen. Im April 2022 nur noch deshalb ein zweites Mal in den Élysée-Palast gewählt, weil er nicht Marine Le Pen heißt, legt der ansonsten zu Recht als sprunghaft geltende Emmanuel Macron eine eiserne Beharrlichkeit an den Tag, wenn es darum geht, im Ukrainekrieg Verständnis für Russland aufzubringen.

Seit Beginn des russischen Überfalls am 24. Februar 2022 ließ Monsieur le Président wissen, dass Putin kein „Schlächter“ sei und die russischen Gräuel in der Ukraine kein „Völkermord“ sind. Er machte sich Putins Behauptung zu eigen, dass es sich bei den Russen und Ukrainern um zwei „Brudervölker“ handelt. Er warnte dringend davor, Russland am Ende künftiger Friedensverhandlungen zu „erniedrigen“.

Kürzlich (am 3. Dezember 2022) sattelte Macron im französischen Fernsehen noch einmal drauf. Nach mehr als zehn Monaten des russischen Vernichtungsfeldzugs und der russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine verwies er auf Wladimir Putin, der noch vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine „Sicherheitsgarantien“ für sein Land gefordert hatte. Wenn Russland sich zu Friedensgesprächen bereit erkläre, müsse der Westen, so Macron, auf diese Forderungen „eingehen“.

Konkret gelte es, Russlands Widerstand gegen den Nato-Beitritt der Ukraine und die Stationierung von Waffen, „die Russland bedrohen könnten“, zu respektieren. So, als würde ein kriegslüsterner Westen nur davon träumen, seine Raketen auf Moskau zu richten. Doch die Wahrheit sieht anders aus, und Macron tut nur so, als würde er es nicht wissen: Der Westen erlaubt der Ukraine nicht einmal, Raketen auf russische Militärziele jenseits der ukrainischen Grenze abzufeuern, obwohl sie von dort aus angegriffen wird.

Mit anderen Worten, Macron vertritt die These, dass man dem Urheber des größten bewaffneten Konfliktes in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg brav zuhören und bei der Umsetzung seiner erfundenen Bedenken folgsam zur Hand gehen sollte.

Der französische Präsident ist zu seinen russlandfreundlichen Ideen zurückgekehrt, ausgerechnet in einer Zeit, in der Russland kaltblütig versucht, die Ukrainer durch Kälte und Hunger in die Knie zu zwingen. Ohne ein Wort über die Bestrafung des Kriegstreibers Putin zu verlieren und darüber, dass Russland für die Zerstörungen in der Ukraine aufkommen und den Opfern Entschädigungen zahlen muss, will er es erneut in die europäische Sicherheitsarchitektur einbeziehen.

Damit frönt Macron, als wäre nichts geschehen, einer alten französischen Vorstellung, die seit Charles de Gaulles Zeiten vor allem auf dem Unmut über die amerikanische Führung in der Nato fußt und durch die Ausblendung von Befürchtungen und Interessen der Bündnisländer, die an der Nato-Ostflanke liegen, ergänzt wird.

Der Krieg hat Macron nicht verändert. Für Polen ist das eine sehr ernüchternde Erfahrung. Und sie gibt Warschau recht, wenn es eine enge Anlehnung an Amerika sucht, massiv aufrüstet und seine Armee zahlenmäßig aufstockt. Alles um bloß nicht „verbündeten“ Politikern vom Schlage eines Emmanuel Macron ausgeliefert zu sein.

Lesenswert auch: ♦ „Lassen Sie ab von Polen“. Ein Franzose schreibt Staatspräsident Macron.“ „23.05.2022. Emma, Macron, New York Times & Co. Polen stellt sich quer“„28.04.2022. Macron ist nicht gut für Polen“.

RdP




5.12.2022. Deutscher Hochsprung, polnischer Fußball. Eine WM-Nachlese

Ohne Überschwang der Freude, aber auch ohne dem Katzenjammer zu erliegen, verabschiedete sich Polen am Sonntag, dem 4. Dezember vor den Fernsehschirmen von der Fußball-WM in Katar. Die polnische Nationalmannschaft verlor 1 : 3 gegen Frankreich, den Weltmeister von 2018.

Eine Blamage war es nicht, denn die Elf konnte das ungleiche Duell mit dem großen Favoriten über weite Strecken besser als angenommen gestalten. Vorher, mit einer Prise Glück und bei eher mittelprächtigem Können, war es dem polnischen Team gelungen, zum ersten Mal seit 1986, in die K. o.-Runde einer Fußball-WM zu gelangen. Wenigstens „wyjść z grupy“ („aus der Vorrunde herauskommen“) lautete der millionenfach wiederholte, hoffnungsvolle Stoßseufzer, seitdem sich Polen für diese WM qualifiziert hatte. So gesehen kann von Enttäuschung keine Rede sein.

Und sonst?

Vor der WM wurde beklagt, dass durch die Zulassung von vielen „Schwächlingen“ das Turnier nur unnötig verlängert wird, und dass es zu viele Spiele auf nur ein Tor geben würde. Es wäre am besten, so der Tenor, fünf Top-Mannschaften aus Europa und fünf aus Südamerika gegeneinander antreten zu lassen. Der Rest der Welt zähle ohnehin nicht.

Die erste Runde der Meisterschaft hat das widerlegt. Die Teams, die den besten Eindruck machten, waren genau diejenigen, die im Vorfeld als Punktelieferanten abqualifiziert worden waren: Saudi-Arabien, die USA, Kanada oder Japan. Und es geht nicht nur um die sensationellen Ergebnisse, wie Japan gegen Deutschland 2 : 1, sondern um den Stil, den Kampfeswillen, die Freude am Spiel, die sie gezeigt haben.

Ansonsten lassen sich die Überlegungen zur WM und diejenigen, die sie formulieren, in zwei Gruppen einteilen. Den einen geht es um Fußball, den anderen um Katar.

Nach dem Spiel Deutschland-Japan verkündete Moderatorin Monika Olejnik, die Oberfurie des linksradikalen polnischen Journalismus, in ihrer Sendung auf dem Fernsehkanal TVN, dass Deutschland zwar gegen Japan verloren, aber abseits des Spielfeldes gewonnen habe, weil das DFB-Team gegen die Geschehnisse in Katar zu protestieren wagte. „Danke Deutschland!“, platzte es auf Deutsch emphatisch aus ihr heraus, und sie hielt sich, zusammen mit ihren Talk-Gästen, ausschließlich Politikern der Linken, die Hand vor den Mund.

Diese groteske Szene zeigt die Scheinheiligkeit der linksliberalen Medien, der großen Politik und nicht zuletzt des großen Kapitals, die viele Jahre lang Zeit hatten die Fußballweltmeisterschaft in Katar zu verhindern, es aber, aus bekannten Gründen, nicht getan haben. Was blieb, waren leere Gesten.

In Polen überwog einfach die Vorfreude darauf, endlich wieder einem Festival des Spitzenfußballs beiwohnen zu können. Unsere deutschen Nachbarn, soweit man das aus der Ferne überblicken konnte, vermittelten eher den Eindruck, sich auf eine Weltmeisterschaft im Hochsprung vorzubereiten und sich damit zu beschäftigten, ihre moralische Messlatte so hoch zu legen, wie es nur geht. Nicht dabei, sondern dagegen zu sein schien ihr wichtigstes Anliegen zu sein. Schmerzhaft mussten sie auf dem Spielfeld erfahren, dass Haltung keine Leistung ersetzen kann.

Die deutsche Innenministerin trug in Katar stolz die „One-Love“-Binde. Kurz zuvor hatte ihr Kabinettskollege Habeck beim katarischen Scheich um Gas gefleht. Seinem Drängen und Bitten wurde stattgegeben. So war für beides gesorgt, was den Deutschen wichtig ist: die überlegene ethische Gesinnung und die warme Stube für den Winter. Notgedrungen haben die beiden ein triple pack geschnürt, denn eine ungebetene „Gästin“, die Doppelmoral, gesellte sich hinzu und wollte partout nicht enteilen.

Es gibt noch viele Staaten, in denen die Ehe das ist, was sie eigentlich ist: eine dauerhafte Verbindung zwischen Mann und Frau. Dazu gehören u. a. Polen, Griechenland, Japan (wo das vor wenigen Tagen bestätigt wurde), Russland, die Slowakei, Bulgarien, Lettland, die Ukraine, Ungarn usw., usf. Werden deutsche Politiker, Herr Scholz, Herr Habeck, Frau Baerbock, Herr Lindner u. a. jetzt klein beigeben oder konsequenterweise auch bei ihren Besuchen in diesen „Zeichen setzen“ und trotzig die „One-Love“-Binden tragen?

Jedenfalls ist für Abermillionen von Menschen auf der ganzen Welt die WM in Katar das, was sie für große Teile der deutschen Öffentlichkeit nicht mehr zu sein scheint: ein großes Fest des Fußballs. Auch weil die Duelle zwischen den Nationalmannschaften die letzten Bastionen eines Fußballs sind, den es sonst nicht mehr gibt. Hier werden Spieler nicht für Millionenbeträge ge- und verkauft, sie können höchstens eingebürgert werden, aber das ist eher nebensächlich. Man feuert die eigenen Landsleute an, schwingt die eigene Nationalfahne. Nur bei den Weltmeisterschaften besiegt David den Goliath.

Die Begeisterung in Polen (und anderswo) nach der Niederlage Deutschlands gegen Japan war kein antideutscher Reflex, sondern einfach die Freude darüber, dass der Fußball offensichtlich noch nicht verloren ist, wenigstens so lange so etwas passieren kann.

Zwar weiß und macht man in Deutschland gemeinhin alles besser, dennoch sei von dieser Warte aus die Bemerkung erlaubt, dass man den Sportlern nicht die Aufgaben von Politikern zumuten sollte. Fußballer verdienen viel Geld mit ihrem Sport, weil sie vor allem das machen, was sie am besten können: Fußball spielen. In anderen Dingen sind sie oft eher blauäugig und unwissend. Wäre es also nicht besser, die Fußballprofis Fußball spielen und die deutschen Polit-Profis ihre Arbeit verrichten zu lassen, allerdings weit weg von den Stadien, wenn möglich? Nur so machen sich beide nicht lächerlich.

RdP




19.11.2022. KoKoPol. Die Vernunft bezwingt Deutschland

Eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer. Dennoch sollte man einen Lichtblick in dem seit einigen Jahren ansonsten ausgesprochen getrübten deutsch-polnischen Verhältnis nicht unerwähnt erlöschen lassen. Wie aus Berlin zu erfahren ist, soll es zum ersten Mal staatliches Geld für die Errichtung und den Betrieb eines Kompetenz- und Koordinierungszentrums für die Polnische Sprache (KoKoPol) auf Bundesebene in Deutschland geben. Das jedenfalls sieht der Entwurf des Bundeshaushalts vor, über den der Bundestag Ende November 2022 abstimmen soll.

Damit dürfte ein Konflikt beigelegt werden, der über dreißig Jahre hinweg anschwoll und sich vor knapp einem Jahr deutlich verschärfte. Damals hat die nationalkonservative Regierungsmehrheit die jährliche staatliche Subvention für den muttersprachlichen Unterricht an den Schulen der deutschen Minderheit in Polen, in den Woiwodschaften Opole/Oppeln und Śląsk/(Ober)Schlesien, um umgerechnet knapp 9 Millionen Euro gekürzt. Die Summe verringerte sich dementsprechend auf umgerechnet ca. 42,5 Millionen Euro und die etwa 50.000 Schüler erhalten nun, statt bisher drei, nur noch eine Stunde Deutschunterricht pro Woche.

Die erste Reaktion Berlins war helle Empörung. Der Bund der Vertriebenen protestierte, einige deutsche Politiker meldeten sich in dramatischem Ton zu Wort und schließlich verurteilte sogar der Europarat die Entscheidung der polnischen Behörden. Doch nach einiger Zeit hat diese Entscheidung endlich den von Polen erhofften Wandel in der Berliner Politik ausgelöst.

In dem 1991 unterzeichneten polnisch-deutschen Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit verpflichteten sich beide Staaten u. a. dazu, „sich zu bemühen, die ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität der Angehörigen der deutschen Minderheit in Polen (…) und der Personen in der Bundesrepublik Deutschland, die polnischer Abstammung sind (…), auf ihrem Hoheitsgebiet zu schützen und (…) entsprechende Möglichkeiten für den Unterricht ihrer Muttersprache oder in ihrer Muttersprache in öffentlichen Bildungseinrichtungen (…) zu gewährleisten.“

Seither wurden in Warschau Jahr für Jahr wachsende Summen für den muttersprachlichen Deutschunterricht in den Minderheitenschulen automatisch im Staatshaushalt bewilligt. Auf der deutschen Seite gab es jedoch von Anfang an Probleme.

Zwar unterzeichnete Polen den Vertrag von 1991 gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung, die aber erklärte sich jahrzehntelang für nicht zuständig und verwies auf die Bildungshoheit der Bundesländer.

Bildlich gesprochen wäre es Berlin am liebsten gewesen, wenn der polnische Botschafter die sechzehn Bundesländer abgeklappert hätte, um dort immer wieder von Neuem wegen einer Verpflichtung, die die deutsche Zentralregierung eingegangen ist, zu   antichambrieren. In jedem Bundesland sollten zudem die dort lebenden Polen zusehen, wie sie die Behörden dazu bringen können, Polnisch als Muttersprache unterrichten zu lassen. Überall wurde natürlich Wohlwollen bekundet, doch bekanntlich gilt: „Herrengunst und Lerchensang klinget wohl und währt nicht lang“.

In manchen Bundesländern, wie in Brandenburg, war die „Herrengunst“ von Dauer und der Polnischunterricht an den dortigen Schulen kann sich sehen lassen. In vielen anderen nicht. Vor Ort wurde blockiert und wer in Berlin intervenierte, wurde wegen „Nichtzuständigkeit“ abgewiesen. Die deutschen Behörden haben dieses Katz-und-Maus-Spiel perfekt einstudiert und es funktionierte auch jahrzehntelang bestens. Deutschlandhörige Regierungen in Warschau, wie die des Postkommunisten Leszek Miller oder des Angela-Merkel-Zöglings Donald Tusk, und die von ihnen nach Berlin entsandten Botschafter haben das brav hingenommen. Auch die Nationalkonservativen warteten sechs Jahre lang, bis, wie man in Polen sagt, „die Sense den Stein traf“ und Warschau endlich die Reißleine zog.

Druck, wie man sieht, macht Sinn. Nicht polnische Minister und Botschafter, sondern der Bund soll die von ihm im Namen Deutschlands eingegangenen Verpflichtungen im eigenen Land durchsetzen, und der Vertragspartner Polen soll eine zentrale Kontaktbehörde bekommen, bei der er vorsprechen kann. Die gestrichenen neun Millionen Euro werden in diesem Fall, so das Versprechen Warschaus, wieder bewilligt.

Eine solche Entwicklung bahnt sich an und es ist zu hoffen, dass sie so umgesetzt wird. Wenn ja, dann hat nicht Polen, sondern die Vernunft den Sieg davongetragen.

RdP




12.11.2022. Prima Klima

Es gibt Schreckensnachrichten, die sich beim genaueren Hinschauen als gar nicht so schlecht entpuppen. Gerade wurde bekanntgegeben, dass der Oktober 2022 in Europa der wärmste in der Geschichte der Temperaturaufzeichnungen auf unserem Kontinent gewesen ist.

Der längst zum Ritual gewordene Klimaerwärmungsaufschrei war wieder einmal groß. Doch ist dieser warme Oktober 2022 in Wirklichkeit nicht eher ein echter Beweis dafür, dass unser Herrgott über uns wacht?

Angenommen, Europa würde gerade jetzt einen sehr kalten Herbst erleben. Womöglich mit Frost, Schneeverwehungen oder gar zufrierenden Häfen. Die Prediger der CO2-Apokalypse wären untröstlich und müssten sich wieder einmal in die Ausflüchte retten: Es sei eine klirrend kalte Ausnahme, die die „menschenverursachte Erderwärmung“ umso eindringlicher bestätigt.

Doch die seelischen Leiden der Klimatisten sind noch das kleinste Übel. Viel schwerer vorstellbar, die Lage von Millionen von Europäern, die schon jetzt, anstatt in einer leichten Jacke draußen herumlaufen zu können, ihre Öl- und Gasheizungen voll aufdrehen müssten. Nicht auszudenken, die Höhe der Heizkosten in Privathaushalten, die Lage der Bäcker und die Folgen für die Brotpreise, das Drama der deutschen Chemieindustrie und der polnischen Kunstdüngerhersteller, die vor allem Erdgas verbrauchen, um nur einige Auswirkungen zu nennen.

Wenn der warme Herbst jemandem zum Nachteil gereicht, dann sind es die Russen. Sehnsüchtig warten sie auf die eisigen Temperaturen, um die Kriegsmüdigkeit in Europa zu schüren und Hunderttausende auf die Straßen zu treiben, mit der Forderung, sich mit Putin zu versöhnen und endlich die Ukraine fallen zu lassen. Die Energiepreise sollen steigen, damit Russland noch mehr Munition in Nordkorea und Kampfdrohnen im Iran kaufen, noch mehr Ukrainer töten und noch größere Zerstörungen in der Ukraine anrichten kann.

Der warme Herbst ist ganz klar unser Verbündeter. Gut, wenn es der Auftakt für den wärmsten Winter seit Beginn der Temperaturmessungen in Europa wäre. Putin zum Verhängnis.

RdP