26.12.2023. Radio+TV. Wie die Rechtsstaatlichkeit in Polen gesundet

Die Ereignisse der letzten Tage vor Weihnachten haben die polnische Politik grundsätzlich verändert. Zum ersten Mal seit dem Ende des Kommunismus sind die Sicherungen des Systems im politischen Konflikt durchgebrannt, sodass der Kampf um die Macht nun chaotisch und ungebremst ausufert.

Bisher war es immer so, dass diejenigen, die die Wahlen gewannen und nach der Macht griffen, ihre vertrauten Juristen einsetzten, um herauszufinden, welche Gesetze angewendet werden könnten und welche geändert werden müssten, um die mit ihren Vorgängern besetzten oder von ihnen geschaffenen Institutionen zügiger als eigentlich vorgeschrieben zu übernehmen. Manchmal wurde dabei das geltende Recht gedehnt, gebogen, aber die rote Linie blieb unangetastet. Prozeduren und Zuständigkeiten wurden eingehalten, entsprechende, demokratisch gewählte, Mehrheiten waren vorhanden.

Dieses Mal jedoch kamen die neuen Machthaber unter Donald Tusk zu dem Schluss, dass ein solcher „Formalismus“ unnötiger Aufwand oder Zeitverschwendung ist, wenn die Dinge schneller und einfacher erledigt werden können.

Die Regierungsmehrheit im Parlament begab sich deswegen nicht auf den umständlichen Weg des Gesetzgebungsverfahrens, der Verabschiedung eines neuen Gesetzes oder der Änderung eines bestehenden, mit drei Lesungen, der anschließenden Debatte im Senat und dem Bangen um die Unterschrift des Staatspräsidenten. Sie verabschiedete stattdessen eine einfache, rechtlich nicht verbindliche Entschließung, die die Regierung dazu aufruft, die öffentlich-rechtlichen Medien einem „Gesundungsprozess” zu unterziehen.

Daraufhin verkündete der neue Kulturminister, dass er alle Organe der öffentlich-rechtlichen Medien auf einen Schlag entlassen habe, obwohl das Gesetz eine solche Befugnis nur dem vom vorherigen Parlament gewählten Medienrat, dessen Amtsperiode erst in eineinhalb Jahren ausläuft, nicht aber dem Minister zugesteht.

Muskelmänner eines privaten Sicherheitsdienstes, der Donald Tusk im Wahlkampf beschützte, überrannten handstreichartig die Gebäude und jagten, im wahrsten Sinne des Wortes, den Intendanten des Fernsehens und die Intendantin des Rundfunks kurzerhand aus ihren Büros. Das Sendesignal des eindeutig nationalkonservativ gefärbten öffentlichen TV-Nachrichtenkanals TVP Info wurde kurzweg, mitten im Sendebetrieb, abgeschaltet. Nicht auszudenken der weltweite Aufschrei der Empörung, wenn sich die Partei von Jarosław Kaczyński so etwas leisten würde.

Die Belegschaften der Fernseh-Nachrichtenzentrale und der Polnischen Presseagentur PAP, die auch ein öffentlich-rechtliches Medium ist, ließen sich nicht überrumpeln und hielten, als dieser Kommentar geschrieben wurde, immer noch ihre Redaktionsräume gemeinsam mit Abgeordneten von Recht und Gerechtigkeit besetzt. Sie hindern „neuberufene” Redaktionsleiter daran, ihre Posten anzutreten. Die massiv aufgefahrene Polizei umstellt die Gebäude, verhält sich jedoch überwiegend passiv. Solidaritätsdemonstrationen finden statt. Eine in einem externen Studio produzierte „Not-Tagesschau” ist die Umkehrung der bisherigen. Sie huldigt Donald Tusk und den seinen.

Tusks Kulturminister und Oberleutnant der Sicherheitsdienste, Bartłomiej Sienkiewicz, störte es nicht, dass jemand anderes juristisch berechtigt sei, die genannten Entscheidungen zu treffen. In einem Kommuniqué verkündete er, dass er den Staat vertritt, dem die Medien gehören, und er daher in dieser Hinsicht freie Hand habe. Das ist etwa so, als würde ein Polizeichef eine Universität betreten und erklären, dass er für die Ordnung im Staat verantwortlich ist und deshalb den Rektor und die Professoren, die ihm nicht passen, entlasse.

Auf diese Weise geht „Kulturminister” Sienkiewicz in die Geschichte der polnischen Demokratie als Schöpfer eines bedeutenden Präzedenzfalls ein. Er  besteht darin, dass Behörden die systemimmanenten Spielregeln ablehnen, die aufgestellt wurden, um zu verhindern, dass der politische Kampf zu einem Catch-as-catch-can, auch Wrestling genannt, entartet.

Die Bedeutung dieses Präzedenzfalls ist groß, denn das Schauspiel mit dem Titel „Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit”, Regie: Donald Tusk, bei dem noch einige Aufzüge angekündigt sind, geht weiter, aber bereits ohne Regeln.

Schließlich haben Tusk und der besagte Sienkiewicz im Wahlkampf gedroht, ihre Vollstrecker, die „kräftigen Männer”, werden auch den „PiS-Nationalbankpräsidenten” und die „PiS-Richter” am Verfassungsgericht im Handumdrehen an die frische Luft setzen. Als juristische Grundlage sollen weitere Sejm-Entschließungen dienen. Eine von ihnen will Justizminister Bodnar dazu nutzen, die knapp viertausend seit 2017 ernannten und vom Staatspräsidenten vereidigten „PiS-Richter” ihrer Ämter zu entheben.

Wie weit die neue „proeuropäische” Mehrheit, wie sie liebevoll in den deutschen Medien umschrieben wird, gehen will, bleibt abzuwarten. An welche Regeln wird sie sich halten? Welche Gesetze gelten noch und welche nicht mehr? Seitdem die „Mutter aller Regeln”, die garantiert, dass überhaupt Regeln in Kraft sind, kurz vor Weihnachten außer Kraft gesetzt wurde, ist alles offen. So auch das Ausmaß des jetzt schon heftigen Widerstandes.

RdP




11.11.2023. Deutsche Medien. Polen richten, statt zu berichten

Acht Jahre lang, als die Nationalkonservativen an der Macht waren, wurden die deutschen Medien in ihrer Polen-Berichterstattung nicht müde, „die Einhaltung demokratischer Spielregeln“ an der Weichsel anzumahnen. Doch plötzlich, nach den am 15. Oktober 2023 abgehaltenen Parlamentswahlen, hat der sattsam bekannte Einstimmen-Chor der deutschen Polen-Berichterstatter einen radikalen Repertoirewechsel vollzogen und schmettert nun die Kantate vom „Willen des Souveräns”, der durch nichts eingeschränkt werden darf.

Das hat damit zu tun, dass Staatspräsident Andrzej Duda dem bisherigen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki den Vortritt bei der Bildung einer neuen Regierung gelassen hat. Die Morawiecki-Partei Recht und Gerechtigkeit hat die Wahlen gewonnen, bildet die größte Fraktion im Sejm, hat aber die absolute Mehrheit verfehlt. Morawiecki hat nun zwei Wochen Zeit, um eine Koalitionsregierung auf die Beine zu stellen. Es ist ein wahrlich schwieriges Unterfangen, denn drei andere Parteien signalisieren den festen Willen, gemeinsam ein Kabinett mit dem deutschen Publikumsliebling Donald Tusk an der Spitze zu bilden, und sie verfügen über eine klare Mehrheit.

Ohne mit der Wimper zu zucken haben, in Anbetracht von Dudas Entscheidung, TAZ und FAZ, Bild und Welt, Spiegel, Tagesspiegel, Tagesschau und alle anderen, von heute auf morgen, eine völlige Umkehr der Rhetorik vollzogen, und niemand stört sich daran.

In den letzten acht Jahren nämlich haben sie unermüdlich darauf hingewiesen, dass, obwohl Recht und Gerechtigkeit zweimal (2015 und 2019) klar die Parlamentswahlen gewonnen hat und ihr Kandidat zweimal (2015 und 2020) ins Staatspräsidentenamt gewählt wurde, das Urteil der Mehrheit der Bürger keine absolute Instanz sei. Das Gegenteil sei der Fall. In einer gesunden Demokratie müsse es „Sicherungen” geben, die diesen „Willen des Souveräns” begrenzen. Man müsse darauf achten, dass das Urteil der Mehrheit nicht in „Autoritarismus“ ausartet und dass es „nicht die Rechte von Minderheiten verletzt“.

Und jedes Mal wenn einer der führenden Politiker von Recht und Gerechtigkeit es wagte, auf  den „Willen des Souveräns“ oder auf das „Urteil der Mehrheit“ hinzuweisen, bekamen die deutschen Hüter der polnischen Demokratie Anfälle von Hysterie mit Komplikationen, in Form von düsteren Visionen vom Aufkommen des Faschismus oder Autoritarismus in Polen. Seit dem 15. Oktober 2023 jedoch sagen sie das genaue Gegenteil von alldem. Nun ist der „Wille der Mehrheit“ für sie unantastbar und darf nicht infrage gestellt werden.

So kommt es, dass die Entscheidung des Staatspräsidenten, den Vertreter der größten Partei im Sejm, des Wahlsiegers, als ersten mit der Regierungsbildung zu betrauen, als „ein Anschlag auf den Willen der Wähler“ dargestellt werden kann. Eine Entscheidung, die dem Buchstaben und dem Geist der polnischen Verfassung und den parlamentarischen Gepflogenheiten der Polnischen Republik entspricht. Wo, bitte schön, bleibt hier der Respekt vor den, bis vor Kurzem angeblich noch so wichtigen, „Sicherungen der Demokratie“ (hier in Form der Befugnisse des Präsidenten der Republik)? Wo bleibt die Sorge um die „demokratischen Spielregeln“? Wo die Aufforderung, die demokratischen Gepflogenheiten zu wahren und Brachialitäten zu vermeiden?

Stattdessen überschüttet der deutsche mediale Polen-Chor das polnische Staatsoberhaupt mit Hohn und Boshaftigkeiten. Doch was Wunder, wenn man sieht, wie wenig es braucht, um in den deutschen Medien Polen-Fachfrau oder Polen-Fachmann zu werden. Der streng erhobene Zeigefinger an genehmer Stelle genügt.

RdP




6.11.2023. Vom Glanz der PiS-Ӧkonomie

Ginge es nach den liberalen Kritikern, die immer wieder ein zweites Griechenland, Argentinien bzw. eine zweite Türkei an der Weichsel herbeiredeten, müsste Polen schon längst den Staatsbankrott verkündet haben. Anlass zu solchen Äußerungen gab ihnen die Wirtschafts- und Sozialpolitik der nationalkonservativen Regierung. Sie sprachen verächtlich von einer PiS-Ӧkonomie, deren Grundlagen die „monströse” Wählerbestechung und die Errichtung eines politisch gelenkten Staatskapitalismus wie im benachbarten Weißrussland seien. Nur so, behaupteten sie, konnte sich „das Regime” an der Macht halten.

Dem angeblichen „Regime” gelang es zwar, die Wahlen am 15. Oktober 2023 zu gewinnen, aber ein drittes Mal reichte es nicht zu einer absoluten Mehrheit. Die Opposition, eine Koalition aus drei Parteien, ergreift jetzt die Macht. Jedoch nicht durch eine Revolution und Massendemonstrationen. Nicht durch kühne Angriffe auf die Regierungszentren oder mächtige Proteste, die das Land erschüttern. Sie ergreift sie auf eine langweilige, flache, kleinbürgerliche Art und Weise, nachdem sie ihre Anhänger mobilisiert und eine rechnerische Mehrheit gegenüber ihrem Gegner erreicht hat. Was für ein albtraumhaftes Klischee, nach all der Hysterie der deutschen Medienberichte: eine Wahl gewinnen, die Mehrheit im Parlament erlangen und das ohne einen Aufstand!

Damit geht ein acht Jahre andauernder und sehr interessanter Versuch eines sozialen und politischen Wandels zu Ende. Während im Westen (vor allem nach der Finanzkrise von 2008) über die Notwendigkeit eines solchen Wandels nur geredet und geschrieben wurde, fand er an der Weichsel zur gleichen Zeit tatsächlich statt. Die Partei Recht und Gerechtigkeit nahm auf eine Art und Weise, die in anderen entwickelten Ländern praktisch keine Entsprechung hat, eine echte Korrektur des Modells des neoliberalen Kapitalismus vor. Dieses Modell war und bleibt ein teuflisch schwieriger Gegner, denn es beruft sich auf eine Wesensart der Freiheit, auf die freie Marktwirtschaft. Seine Verfechter erheben gerne den Anspruch, dass dieses Modell allein richtig und damit unangreifbar sei.

Recht und Gerechtigkeit hat es verändert. Es hat Polens Wirtschaft in eine Richtung geführt, die noch immer keinen angemessenen Namen hat. Es ist nicht das erste Mal, dass die Theorie der Realität hinterherhinkt.

Dennoch kann man auf jeden Fall sagen, dass dieses neue System, das wir seit 2015 in Polen haben, eine gerechtere Ordnung ist. Denn die Einkommens-, Status- und wirtschaftlichen Ungleichheiten haben in Polen in den letzten Jahren nicht mehr zugenommen, sondern sind in vielerlei Hinsicht  erheblich zurückgegangen. Das ist vor allem auf eine bewusste Wirtschafts- und Sozialpolitik zurückzuführen, die darauf abzielte, die Schwachen in der Gesellschaft: alte, behinderte, kinderreiche, sozial unterprivilegierte und in der Provinz abgehängte Menschen zu fördern. Bis dahin durfte, wer von ihnen genügend Kraft hatte, in Deutschland Spargel stechen oder in London abwaschen.

Dass sich das änderte, ist das Ergebnis mehrerer seit 2016 eingeleiteter Maßnahmen: Einführung eines allgemeinen monatlichen Kindergeldes von 500 Zloty bis zum 18. Lebensjahr (es soll ab dem 1. Januar 2024 auf 800 Zloty (ca. 180 Euro) erhöht werden). Einer 13. (für alle) und 14. (für die Ärmsten) Rentenzahlung. Der „Antiinflationsschutzschilder” (null Prozent Mwst. auf Lebensmittel, das Aussetzen der Stromsteuer u.v.m.). Kostenloser Medikamente für Rentner ab 65. Der regelmäßigen Erhöhung des Mindestlohns usw.

Hinzu kamen enorme Investitionen in die Entwicklung der abgelegenen Provinzregionen, in deren Wiederanbindung an die von den Vorgängerregierungen stillgelegten Eisenbahnstrecken und Buslinien, in die Wiedereröffnung der geschlossenen Postämter, Polizei- und Krankenstationen.  Das alles ging einher mit der Stärkung der Position der  Arbeitnehmer sowie der  Gewerkschaften.

Dennoch wurde Recht und Gerechtigkeit auch von der polnischen und der westeuropäischen Linken, der eine solche Politik eigentlich sehr nahe sein müsste, heftig bekämpft. Denn diese Politik war verbunden mit dem Hochhalten der traditionellen Werte, vor allem der herkömmlichen Familie. Die polnische Linke derweil, die vor allem im aussterbenden einstigen kommunistischen Establishment, das seine roten Parteibücher gegen goldene Kreditkarten eingetauscht hat und im jungen Hipster-Milieu der Großstädte ihre Anhänger hat, blickt mit bodenloser Verachtung auf die sozialen Niederungen und ihre Bewohner herab. Ihr Metier sind Cannabis-Freigabe, das Töten ungeborener Kinder auf Wunsch, LGBTusw.-Probleme.

Genauso halten es die in Polen sehr zahlreichen Verfechter des Sozialdarwinismus, die ihre politische Heimat vor allem in der Tusk-Partei Bürgerplattform gefunden haben. Tusk selbst hat das im Wahlkampf (am 11.05.2023) so formuliert:  „In Polen ist seit einigen Jahren alles auf den Kopf gestellt, d.h. Könige des Lebens sind diejenigen, die saufen, ihre Kinder schlagen, ihre Frauen verprügeln und sich seit vielen Jahren nicht mit Arbeit befleckt haben. Das ist die politische Traumkundschaft für Machthaber, die selbst sehr ähnlich denken wie diese Klientel.”

Die Vorwürfe an die PiS-Ӧkonomie sind schnell aufgezählt. Sie fördert das Nichtstun der Proleten, erhöht die Arbeitslosigkeit, weil sie den wichtigsten „Vorzug” Polens, eines Billiglohnlandes und den eines Zulieferers von billigen Arbeitskräften vor allem nach Deutschland, abschafft, und sie ruiniert die Staatsfinanzen.

Derweil gelang es den Nationalkonservativen, die größten sozialen Ungerechtigkeiten zu beseitigen, ohne das Land zugrunde zu richten. Sie haben die gigantischen Steuerlecks gestopft und die Staatseinnahmen, trotz enormer Steuersenkungen, verdoppelt.

Faulheit? 2015, als die Tusk-Partei die Wahlen verlor, arbeiteten 62 Prozent der beschäftigungsfähigen Bevölkerung. Heute sind es 72 Prozent.

Arbeitslosigkeit? Obwohl der gesetzliche Mindestlohn seit 2015 kontinuierlich von 1.750 Zloty (ca. 390 Euro) auf 4.300 Zloty (ca. 960 Euro) angehoben wurde, fiel die Arbeitslosigkeit in dieser Zeit von 10,7 auf 5 Prozent, trotz des dauerhaften Zuzugs von einer Million Ukraineflüchtlingen.

Ruinierte Staatsfinanzen? Polens Staatsverschuldung liegt heute bei 50 Prozent des BIP. Im Jahr 2015 betrug sie 51 Prozent. Zum Vergleich: Deutschland aktuell 66 Prozent, Frankreich 110 Prozent, Italien 150 Prozent, Griechenland 180 Prozent. Behauptungen, die Nationalkonservativen verstecken viele Staatsausgaben durch Taschenspielertricks außerhalb des offiziellen Haushalts, werden durch  Angaben, Berichte und Einstufungen des Eurostat und der internationalen Ratingagenturen eindeutig widerlegt. Ihnen entgeht nichts.

Der PiS-Ӧkonomie gelang es, ein Wirtschaftsmodell umzusetzen, das sich, soweit wie es im Kapitalismus möglich ist, an den Bedürfnissen der Menschen und nicht des Kapitals orientiert, und zu diesem Zweck das volle Potenzial des demokratischen Staates nutzt. Polen wurde dabei nicht in den Realsozialismus zurückgedrängt.

Der Kampf gegen den neoliberalen Kapitalismus war noch vor einigen Jahren im Westen sehr populär. Vor allem in der Theorie, in den Träumen und Appellen der linken Meinungseliten. In Polen hingegen wurde dieses Modell tatsächlich umgesetzt, aber von „den Falschen”. Ein Großteil der sogenannten Linken (in Polen wie im Westen) hat sie deswegen heftig bekämpft.

Das Wahlergebnis zeigt, dass dieses Experiment, wie auch immer wir es nennen, gestoppt werden wird. Und mit der Zeit, wenn die sozialen Hierarchien, die Recht und Gerechtigkeit umgestoßen hat, sich erneut  verfestigen, wird so mancher merken, dass er sich, wider die eigenen Interessen, für einen Kampf gegen ein imaginäres „Regime” hat missbrauchen lassen.

RdP




21.10. 2023. Polen. Ein demokratisches Land in Europa

Die Kassandrarufe der polnischen totalen (noch) Opposition und ihrer deutschen politischen und medialen Unterstützer und Wegbegleiter haben sich nicht bewahrheitet. Acht Jahre lang bombardierten sie uns mit der Botschaft, dass die Demokratie in Polen im Sterben liege. Wenn irgendetwas an der Weichsel in den letzten Jahren tatsächlich gestorben ist, dann war es ihr Monopol, die Wirklichkeit zu benennen und den Menschen zu sagen, was sie denken sollen. Das hat jedoch nichts mit dem Tod der Demokratie zu tun. Denn was für den etablierten liberalen Mainstream gut ist, muss nicht unbedingt gut sein für die Demokratie oder für Polen. Und meistens ist es das auch nicht.

Was hinter uns liegt, ist eine Wahl, die unter den Bedingungen einer lebendigen und pluralistischen demokratischen Debatte stattgefunden hat. Vor den Polen breitete sich ein weites politisches Spektrum aus:  viele Parteien mit unterschiedlichen politischen Farben, Programmen und Empfindlichkeiten.

Auch die Wahl zwischen den beiden größten Akteuren: der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der Anti-PiS-Koalition war eine echte Wahl. Es handelte sich um zwei grundsätzlich unterschiedliche Visionen von Polen, Europa, der Wirtschaft, der Kultur, der Vergangenheit und der Zukunft.

Die Menschen sahen das und nutzen dieses Angebot. Schon bei früheren Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, die nach einer ähnlichen Logik abliefen, war die Wahlbeteiligung rekordverdächtig hoch. Dieses Mal wurde mit knapp 75 Prozent eine neue Rekordmarke aufgestellt. Das ist der beste Beweis dafür, dass die polnische Demokratie lebendig ist. Sie ist nicht nur ein leeres Ritual. Und die Menschen, anders als in manchen westlichen Ländern, winken nicht resignierend ab und denken sich: „Wenn Wahlen wirklich etwas bewirken könnten, wären sie schon längst verboten worden“.

Auch ist keine der alarmistischen Vorhersagen über das Abweichen Polens vom demokratischen Weg eingetreten. Das Polen des Jahres 2023 ist ein Land, in dem Wahlen pünktlich abgehalten werden, die Opposition volle politische Rechte genießt und ihre erklärten Anhänger einen hohen sozialen und materiellen Status haben. Die Kritiker der Partei Recht und Gerechtigkeit sagen offen auf der Straße, am Arbeitsplatz und in den nationalen Medien, was sie von Kaczyński und Morawiecki halten. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.

In Polen gilt der Grundsatz der demokratischen politischen Kontrolle über die Armee, und die Rücktritte von zwei einflussreichen Generälen vor den Wahlen haben gezeigt, dass dieser Grundsatz weitestgehend respektiert wird. Es gibt keine politischen Gefangenen. Kein einziges Internetportal, keine Zeitung, kein Sender wurde von Amtswegen geschlossen. Die größte Oppositionszeitung des Landes, die „Gazeta Wyborcza”, residiert weiterhin in ihrem riesigen Glaspalast inmitten von Warschau und der Agora-Verlag, ihr Herausgeber, verzeichnete 2022 immerhin einen Umsatz von umgerechnet knapp 260 Millionen Euro.

Polen ist ein Land, in dem das Oberhaus (Senat) und alle Großstädte von der Opposition kontrolliert werden. Die Gerichte urteilen so oder so. Erst kürzlich wurde der Vorsitzende der Regierungspartei, Jarosław Kaczyński, rechtskräftig zu einer astronomischen Geldstrafe von 750.000 Zloty (ca. 170.000 Euro) verurteilt, weil er gegenüber einem Oppositionspolitiker eine falsche Anschuldigung geäußert haben soll. Kaczyński stand vor dem Ruin und schickte sich schon an, sein bescheidenes Haus in Warschau zu verkaufen. Eine von seinem Kontrahenten im Nachhinein vorgeschlagene außergerichtliche Einigung reduzierte die Verbindlichkeit auf umgerechnet ca. 11.500 Euro zugunsten der Ukrainehilfe.

Deutsche Medien haben seinerzeit mit allem Ernst Tatarennachrichten kolportiert, Kaczyński werde den Ausnahmezustand ausrufen, um die Wahlen zu verhindern. Dann hieß es, in der Wahlnacht werde er die Armee auf die Straßen schicken. Wer so etwas behauptet, befindet sich im geistigen Ausnahmezustand der Paranoia. Derweil haben sich Recht und Gerechtigkeit und dessen Vorsitzender schon einmal, 2007, nach verlorenen Wahlen, für acht Jahre anstandslos auf die Oppositionsbänke begeben und sie werden es, wenn sie keinen Koalitionspartner finden, wovon auszugehen ist, auch dieses Mal tun.

Selbst der Oberste Rechnungshof wird von einem Politiker geleitet, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die Regierungspartei zu zerstören. Schließlich ist Polen ein Land, in dem die Bürgerrechte und die Rechte von Minderheiten in der Regel nicht weniger geachtet werden als irgendwo sonst in Europa. Wenn dies das Bild einer Musterdiktatur sein soll, dann muss man sich fragen, welches Land in der Welt in der Lage wäre, eine so hohe Messlatte für Demokratie zu überspringen. Die USA mit ihrer politischen Macht, die offen am Laufband der Plutokratie wandelt? Frankreich mit seiner Polizei, die jedes Jahr mehr als ein Dutzend Bürger bei verschiedenen politischen Demonstrationen tötet? Oder wie wäre es mit Deutschland mit seiner von Politikern bestimmten Zusammensetzung der obersten Gerichte?

Niemand behauptet, dass Polen perfekt ist. Das ist es nicht. Oder dass es nicht besser werden kann. Das kann es. Aber es geht auch darum, der Hysterie und der maßlosen Übertreibung Grenzen zu setzen. Polen ist,  im Gegensatz zu dem was u. a. deutsche Medien gebetsmühlenartig verkünden, nicht von einer schweren Krankheit befallen. Weder vom Autoritarismus noch von der Antidemokratie oder sonst etwas. Es gibt keinen Grund, die Hände dort zu ringen, wo es eigentlich etwas zu feiern gibt.

Die polnische Demokratie ist so gesund wie eh und je. Und sie hat sich dieses Mal, genauso wie 2015 und 2019, als Recht und Gerechtigkeit die Wahlen gewann, die Regierung gewählt, die sie haben will. Ob das die richtige Entscheidung war, steht auf einem anderen Blatt.

RdP




15.09.2023. Wehrhaftes Polen mit Deutschland im Rücken

Der US-Kongress hat in diesen Tagen grünes Licht für den Verkauf von 96 Hubschraubern des Typs AH-64E „Apache” an Polen gegeben. Bis die Maschinen geliefert werden, will Washington Polen Hubschrauber aus Beständen der US-Armee ausleihen.

Glaubt man den technischen Beschreibungen, sind die „Apaches” wahre Wunder der Wehrtechnik, fliegende Höllenmaschinen. Gut gepanzert, ausgestattet mit zwei Typen von Panzerabwehrraketen, ferner mit Flugabwehrraketen, Laserleitmodulen, Feuerleitradaren, Raketenwarnsystemen u. v. m. können sie über einhundert Ziele gleichzeitig verfolgen und ein Dutzend von ihnen treffen. Sie sind kompatibel mit den US „Abrams”-Panzern, von denen Polen 220 Stück gekauft hat. Gemeinsam sollen die beiden Waffensysteme einen undurchdringlichen Riegel entlang der polnisch-weißrussischen Grenze bilden, von wo aus im Ernstfall ein russischer Vorstoß gegen Polen am wahrscheinlichsten ist.

Diese Barriere werden knapp fünfhundert hochmobile amerikanische HIMARS-Raketenwerfer ergänzen. Abhängig vom Raketentyp, mit dem sie bestückt sind, können sie Ziele in einer Entfernung zwischen 30 und 300 Kilometern vernichten. Die HIMARS haben ihre gewaltige Vernichtungskraft bereits im Ukraine-Krieg unter Beweis gestellt, wo sich etwa zwanzig im Einsatz befinden.

Die Liste der aktuellen polnischen Waffenkäufe ist lang. Sie reicht von 32 amerikanischen Tarnkappen-Mehrzweckkampfflugzeugen vom Typ F-35 über 1.000 südkoreanische K2-Kampfpanzer, 700 Pnzerhaubitzen des Typs K9 und 48 leichte FA-50-Kampfflugzeuge bis hin zu 48 Patriot-Flugabwehrraketensystemen, die das Rückgrat der polnischen Luftverteidigung bilden sollen. Hinzu kommen gewaltige Aufträge, die an eigene Rüstungsunternehmen vergeben werden, wie etwa die Bestellung von eintausend schwimmenden Schützenpanzern vom Typ „Borsuk” („Dachs”). Zudem soll die Zahl der Soldaten von  jetzt 130.000 auf 300.000 ansteigen.

Polen gibt inzwischen fast vier Prozent seines Bruttoinlandproduktes für das Militär aus. Bald sollen es fünf Prozent sein. Für andere Nato-Staaten sind das unerreichbare Höhen.

In Deutschland derweil, ob am Stammtisch oder in der Politik, erntet Polens Aufrüstung viel Spott und Hohn. Nach dem Motto (Originalkommentare unter einem Medienbericht): „Größter EU-Nettoempfänger, aber auf dicke Hose machen” oder „Die Polen schwimmen im EU-Geld aus Deutschland und wissen nicht, wohin damit. Dann kauft man eben Panzer”. Kurzum: Ein paar rechtspopulistische Spinner in Warschau leben für deutsches Geld ihre Sandkastenkindheitsträume aus.

In einem ihrer spöttischen Berichte zum Thema, formulierte die deutsche Tageszeitung „Die Welt” den Vorwurf: „Polen rüstet auf, als ob es keine Verbündeten hätte” und traf damit unversehens den Nagel auf den Kopf.

Polen ist nämlich seit dem russischen Überfall auf die Ukraine Frontstaat geworden. Über sein Territorium laufen die meisten Waffenlieferungen für die Ukraine, kaputtes Kriegsgerät wird in Polen instand gesetzt, hier werden die meisten ukrainischen Soldaten ausgebildet.

Im Rücken hat Polen Deutschland mit seiner, trotz des vor eineinhalb Jahren eingerichteten Sondervermögens, heruntergewirtschafteten und auf Jahre kampfunfähigen Bundeswehr. Mit einer Bevölkerung, die, wie wir seit Neuestem wissen, mehrheitlich nicht mehr zur Unterstützung der Ukraine steht und sich zunehmend zur russlandfreudlichen AfD hinwendet. Im Ernstfall ist mit dem klima- und genderbewegten Deutschland nicht zu rechnen.

Die Amerikaner wiederum, die in Polen inzwischen etwa zehntausend Soldaten stationiert haben, sagen zurecht klipp und klar, dass sie Ihre Jungs nur dann in den Kampf schicken werden, wenn der polnische Verbündete sich selbst militärisch ernsthaft ins Zeug legt.

Und sollten die Russen angreifen, muss jeder Zentimeter polnischen Bodens bis zum letzten verteidigt werden, denn spätestens seit Butscha wissen wir, mit welch schlimmen Kriegsverbrechen eine russische Besetzung verbunden ist.

Die großen Rüstungsanschaffungen sollen vor allem der Abschreckung dienen. Sie sind allemal billiger und Leben schonender als ein durch Schwäche, wie im Falle der Ukraine, provozierter russischer Überfall. Es gibt niemanden, der für Polen diese Hausaufgabe macht. Wie heißt es so treffend: Wenn Du zählen kannst, dann zähle auf Dich selbst.

RdP




12.09.2023. Familie Ulma. Seligsprechung mit vielen Deutungen

Von deutschen Medien einhellig schweigend übergangen, fanden am 10. September 2023 in Markowa, im Südosten Polens, zum ersten Mal in der zweitausendjährigen Geschichte der katholischen Kirche zwei Ereignisse gleichzeitig statt. Die Seligsprechung einer ganzen Familie sowie die Verkündigung der Erhebung eines ungeborenen Kindes zu den Altären. Etwa 40.000 Menschen waren zugegen, darunter Polens Staatspräsident Andrzej Duda und Regierungschef Mateusz Morawiecki.

Die Seligsprechung war ein hochsymbolischer Akt in Zeiten, in denen die natürliche Familie, bestehend aus Mann, Frau und den von ihnen gezeugten Kindern, zunehmend infrage gestellt und das Recht auf Leben ungeborener Kinder weltweit zugunsten des angeblichen „Menschenrechts” auf ihre Abtötung abgeschafft wird.

Deutsche Gendarmen ermordeten am 24. März 1944 Józef Ulma, seine hochschwangere Ehefrau Wiktoria und ihre sechs Kleinkinder, weil sie in ihrem Haus acht Juden versteckt hielten, die auch alle umgebracht wurden. Heute gibt es in Markowa eine Gedenkstätte und ein den polnischen Judenrettern gewidmetes Museum.

Die Mörder der Ulmas handelten nicht unrechtmäßig. Sie töteten in Übereinstimmung mit dem von den deutschen Behörden erlassenen und im Generalgouvernement geltenden Gesetz. Nach diesem Gesetz waren die Verteidiger des Lebens, die Juden Unterschlupf gewährten, die Verbrecher. Die Mörder, Hauptmann Eilert Dieken, sein Stellvertreter  Joseph Kokott und deren Kumpane waren lediglich die Vollstrecker dieses Gesetzes. Sie empfanden Genugtuung und fühlten keine moralische Schuld. Schließlich handelten sie im Einklang mit geltendem Recht.

Die Mörder kannten diese Begriffe wahrscheinlich nicht, aber sie vertraten eine Position namens Normativismus und Rechtspositivismus. Letzterer fußt auf der Idee, dass nur von Menschen gemachte Gesetze zählen und dass alle Geschichten über das Naturrecht oder das moralische Recht in den Papierkorb geworfen werden sollten.

Wenn also gesetzlich festgelegt wird, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Rasse (oder diejenigen, die ihnen helfen) kein Recht auf Leben haben, dann muss das so sein und es gibt keine Diskussion. Nach dem gleichen Prinzip kann Menschen aufgrund ihres Alters (z.B. im vorgeburtlichen Entwicklungsstadium) der rechtliche Schutz des Lebens entzogen werden, und keine moralischen oder natürlichen Normen können das verhindern. Wenn alles im Rahmen der bestehenden Gesetze geschieht, sind moralische Skrupel fehl am Platze.

Einer der Hauptvertreter dieser Strömung in der Zwischenkriegszeit war der österreichische Professor Hans Kelsen, der die Trennung von Recht, Wahrheit und Moral predigte. Er analysierte den Prozess gegen Jesus von Nazareth im Lichte des damals geltenden Rechts und kam zu dem Schluss, dass die  qualvolle Todesstrafe vollkommen legitim und gerecht war. Es ist also möglich, einen Unschuldigen im Glauben an die Majestät des Gesetzes umzubringen mit voller Überzeugung, dass man gerecht und korrekt gehandelt hat.

Es mag hart klingen, aber das ist es, was Christus, die Familie Ulma, die ermordeten Juden und die getöteten ungeborenen Kinder gemeinsam haben. Auch daran erinnert die Seligsprechung von Markowa.

Lesenswert auch: „Das Schicksal der Familie Ulma“,

„Familie Ulma? Falscher Mythos. Schämt euch, ihr Polen!“

RdP




25.08.2023. Referendum. Was Polen dürfen, dürfen Deutsche nicht

Mit wachsendem Erstaunen liest man die deutschen Kommentare zu dem Referendum, das zusammen mit den polnischen Parlamentswahlen am 15. Oktober 2023 abgehalten werden soll. Dass die deutschen Medien ungefähr zweimal pro Woche das Ende der Demokratie in Polen ausrufen, daran hat man sich gewöhnt. Seit dem ersten, 2019 wiederholten,  Wahlsieg der Nationalkonservativen im Herbst 2015 sind schließlich acht Jahre vergangen.

Dass die deutsche mediale Einheitsfront, ob ARD, ZDF, FAZ oder TAZ, ausschließlich das weitergibt, was ihr Polens totale Opposition, wie sie sich selbst bezeichnet, in die Notizblöcke diktiert, ist auch nichts Neues. Doch die Idee, dass eine Volksbefragung sich gegen die Demokratie richtet und ein Boykott die Demokratie stärkt, bleibt für das Erste sehr  gewöhnungsbedürftig.

Schließlich gibt es kaum eine demokratischere Form der Willensbekundung durch den Souverän. Alle Bürger können über wichtige Fragen zur Zukunft des Landes und des politischen Systems bestimmen. Haben am Referendum mehr als fünfzig Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen, so die polnische Verfassung, ist das Ergebnis für die amtierenden und künftigen Regierungen und Parlamente bindend.

Die Fragen lauten:

1. Unterstützen Sie den Ausverkauf von Staatsvermögen an ausländische Unternehmen, der zu einem Verlust der Kontrolle der Polinnen und Polen über strategische Wirtschaftsbereiche führt?

2. Unterstützen Sie eine Anhebung des Rentenalters, einschließlich der Wiedereinführung eines höheren Renteneintrittsalters von 67 Jahren für Frauen und Männer?

3. Unterstützen Sie die Beseitigung der Barriere an der Grenze zwischen der Republik Polen und der Republik Weißrussland?

4. Unterstützen Sie die Aufnahme von Tausenden illegaler Einwanderer aus dem Nahen Osten und Afrika gemäß dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Zwangsumsiedlungsmechanismus?

Alle diese hochbrisanten Themen bilden die Hauptachse, um die sich die politische Auseinandersetzung in Polen dreht. Die Bürger sind aufgerufen zu entscheiden, wie sie es haben wollen.

Privatisierung. In den acht Jahren der Tusk-Regierung zwischen 2007 und 2015 wurden etwa 1.200 Staatsbetriebe und Banken verkauft, viele unter dubiosen Umständen. Der Gesamterlös von 57 Milliarden Zloty (ca. 13 Milliarden Euro) verflüchtigte sich in den laufenden Staatsausgaben. Die verbliebenen Staatsunternehmen, wie die Fluglinie LOT, der Kupfergigant KGHM, der Energiekonzern Orlen, die einzige noch bestehende größere polnische Bank PKO BP u. e. m. dümpelten vor sich hin und harrten der Privatisierung.

Heute erwirtschaften sie für den Staatshaushalt satte Gewinne (Orlen 2022 nach Steuern knapp 4,5 Milliarden Euro, KGHM gut 1 Milliarde Euro, PKO BP 750 Millionen Euro), expandieren im In- und Ausland, waren und sind in Zeiten der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges wichtige Instrumente des Staates zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen dieser beiden Heimsuchungen.

Die Donald-Tusk-Partei Bürgerplattform (BP) hat kein Programm für Polen vorgelegt und will es auch nicht tun. Sie setzt ausschließlich auf das Hochkochen von Emotionen: „Kaczyński hat Polen in eine Hölle auf Erden verwandelt! Kaczyński muss weg! Er gehört eingesperrt! Auch Ministerpräsident Morawiecki, seine Vorgängerin Frau Szydło, Staatspräsident Duda, Justizminister Ziobro und viele andere sollen sich auf Jahre hinter Gittern gefasst machen!” Und ansonsten? Nach dem Wahlsieg sehen wir weiter. Das muss als Programm genügen.

Offiziell hütet sich Tusk, zu eventuellen Privatisierungen etwas zu sagen, doch die Stimmen aus seinem Umfeld lassen keinen Zweifel daran aufkommen: Die großen Staatsunternehmen, aber auch alle Häfen, Flughäfen, die Eisenbahn muss man „dringend” „verkaufen”, „zerschlagen”, „privatisieren”.

Renten. Tusk verspricht, das Renteneintrittsalter, das die jetzt Regierenden wieder auf das alte Niveau von 60 Jahren für Frauen und 65 Jahren für Männer gebracht haben, nicht zu erhöhen. Doch das hat er auch im Wahlkampf 2007 hoch und heilig versprochen. Nach seinem damaligen Wahlsieg erhöhte er es schlagartig auf 67 Jahre für beide Geschlechter. Für die Frauen war es ein Anstieg um sieben Jahre. Wird er es wieder tun?

Grenzbarriere. Als der weißrussische Diktator Lukaschenka ab Juli 2021 massenweise gut zahlende Migranten aus dem Mittleren Osten und Afrika in sein Land holte, um sie über die Grenze nach Polen zu treiben und das Land so zu destabilisieren, stimmte die Tusk-Partei im Sejm gegen den Bau des fünf Meter hohen elektronikgestützten Metallzauns entlang der Grenze. BP-Politiker, auch Tusk selbst, sprachen sich vehement gegen die Anlage aus, forderten ihren Abriss.

Zwangsverteilung von Migranten. Im Herbst 2015, während der großen „Wir schaffen das”-Migrantenkrise, als Tusk bereits nach Brüssel abgereist war, um EU-Ratspräsident zu werden, stimmte seine Nachfolgerin Ewa Kopacz der zwangsweisen Umverteilung von Migranten zu. Der Wahlsieg der Nationalkonservativen hat das verhindert. Tusk drohte daraufhin aus Brüssel seinem Land mit Sanktionen und finanziellen Strafen. Es ist davon auszugehen, dass er nach seinem eventuellen Wahlsieg diesem Dauermechanismus zustimmt.

Es sei denn, die Ergebnisse des Referendums hindern ihn daran.

Ein weiterer deutscher Vorwurf lautet: Die Volksbefragung verfolgt einen politischen Zweck. Gewiss, aber welches Referendum tut das nicht? Es heißt auch, es handelt sich um eine Manipulation. Doch was um alles in der Welt soll denn hier manipuliert werden? Schließlich steht es jedem frei, die Antwort zu geben, die er für richtig hält, oder gar keine.

Doch der waghalsigste Drahtseilakt, den deutsche Medien in diesem Fall vollbringen müssen, ist, dem Durchschnittsdeutschen, der selbst gerne eine Volksbefragung über die Einwanderung hätte, zu erklären, dass das Referendum in Polen ein demokratiefeindliches Vorhaben und das Nichtabhalten einer solchen Bürgerbefragung in Deutschland ein löblicher Akt der Demokratie ist.

RdP




13.06.2023. Steinmeier als Theologe, Jesus als Zauberer

Auf dem jüngsten Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg (7. bis 11. Juni 2023) war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als der wichtigste Ehrengast zugegen. Er hielt dort nicht nur eine Rede bei der Eröffnung, sondern ließ sich während einer Veranstaltung innerhalb der Reihe Bibelarbeit zur Auslegung einer Passage aus dem Johannesevangelium verleiten, in der von dem Wunder Jesu bei der Hochzeit zu Kana berichtet wird.

Im Gottesglauben des deutschen Staatsoberhauptes scheint es demnach wenig Platz für die Wunder Jesu zu geben. Es habe „schon plausiblere Bibeltexte für eine Bibelarbeit auf dem Kirchentag“ gegeben, sagte Steinmeier. Diese Erzählung mache ihn „jedes Mal ratlos“. Er stellte die Grundsatzfrage, warum so eine Wundergeschichte es überhaupt in die Bibel geschafft habe, und schilderte den Anwesenden seinen quälenden Zweifel, indem er wörtlich fragte: „Jesus als Zauberer: Ist das nicht etwas dick aufgetragen?“

Steinmeier war sich jedenfalls sicher, dass diese Übertreibung nicht in sein persönliches Jesus-Bild passe, ja, ihn sogar aktiv störe. Er rechnete die Menge des verwandelten Wassers um und erläuterte, dass Jesus ungefähr 1.000 der heute gebräuchlichen Flaschen Wasser zu Wein umgewandelt habe. Dies sei eine unglaubliche Menge, die Darstellung klinge fast obszön und nach Lebensmittelverschwendung. Ihm komme „das schiere Übermaß an Wein“ „merkwürdig“ vor.

Dazu bot der deutsche Bundespräsident seine eigene Interpretation an. Positiv las er aus der Bibelstelle heraus, dass, weil der Wein für Lebensfreude und Kraft stehe, Gott uns Freude im Übermaß schenke und „uns zur Feier“ ermuntere.

Zudem sei Jesus auf einer Hochzeit in einem kleinen Dorf am Rande des Römischen Reiches erschienen, um zu zeigen, dass die Landbevölkerung nicht vernachlässigt werden dürfe, da die Demokratie ihre Legitimität verliere, wenn größere Teile der Gesellschaft nicht in die öffentlichen Debatten einbezogen würden. Die Geschichte, die der Evangelist erzählt, zeigt uns, seiner Meinung nach, dass sich die Dinge zum Besseren wenden können.

Als der Bundespräsident anschließend die Versammelten zu mehr Engagement für die Demokratie und zu rebellischem Mut angesichts der Krisen in der Welt aufrief und mit dem Ausruf „Gemeinsam werden wir die Demokratie in diesem Land verteidigen“ schloss, brach, laut Medienberichten, Begeisterung in dem voll besetzten Saal aus. So vollzog sich auf dem evangelischen Kirchentag in Nürnberg die wundersame Verwandlung des „Zauberers” Jesus in einen Altvorderen der deutschen Demokratie.

Frank-Walter Steinmeiers simple Bibelauslegung in Nürnberg regt zu vielen Überlegungen an. Wir wollen uns auf vier beschränken.

Erstens: Die Bibelexegese des Bundespräsidenten und der Beifall, mit dem sie bedacht wurde, sagen viel über den Zustand einer Glaubensgemeinschaft aus, die sich von einer religiösen Institution in eine gesellschaftspolitische Einrichtung verwandelt. Die senkrechte Dimension, die den Menschen mit Gott verbindet, verschwindet. Was bleibt, ist die waagerechte Dimension, die sich auf den Aufbau von zwischenmenschlichen Beziehungen beschränkt.

Zweitens: Die Ausrichter des Kirchentages haben zum ersten Mal den drei christlichen Organisationen, die sich der Tötung ungeborener Kinder widersetzten (Aktion Lebensrecht für Alle e. V./Fulda, Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren e. V./Chemnitz und Hilfe zum Leben e. V./Pforzheim) die Teilnahme an der Veranstaltung verwehrt. Das obwohl sie in ihrem Aufruf zur Online-Teilnahme am Kirchentag beteuerten, dass dieser eine Gelegenheit zum „offenen Dialog“, zum „Brückenbauen“ und zum „Entdecken von Gemeinsamkeiten“ bieten werde. Danach beklatschten sie, als wäre nichts gewesen, Steinmeiers Bibel-Auslegung, dass die Demokratie ihre Legitimität verliere, wenn größere Teile der Bevölkerung nicht in die öffentlichen Debatten einbezogen würden.

Drittens: Deutsche Medien haben die Teilnahme des Bundespräsidenten an einer religiösen Veranstaltung nicht kritisiert. Dieselben Medien rümpfen oft genug die Nase, wenn polnische Politiker an katholischen Veranstaltungen, z. B. an Debatten in der Journalisten-Hochschule von Radio Maria, teilnehmen oder dem Sender selbst Rede und Antwort stehen. Anders als in Bezug auf Polen kam es niemandem an Rhein und Spree in den Sinn zu behaupten, dass das Verhalten des Bundespräsidenten gegen den Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat verstößt. Niemand warf ihm vor, er vermische zwei Aufträge, den politischen und den religiösen, oder biedere sich aus politischem Kalkül der Kirche an.

Viertens: Niemand behelligte Steinmeier, von Christ zu Christ, mit der Frage, wie viel Verwässerung verträgt der christliche Glaube eigentlich, bis er seine Substanz verliert?

RdP




4.06.2023. Lex Tusk, Lex Merkel, Lex Schröder, Lex Schwesig, Lex…

Die Hysterie ist groß und man wundert sich sehr. Die geplante Kommission zur Ausleuchtung russischer Einflussnahmen auf die polnische Politik soll ein Anschlag auf die Rechtsstaatlichkeit und die Opposition im Lande, vor allem aber auf Donald Tusks politische Karriere sein.

Dabei haben Tusk, seine engsten politischen Mitarbeiter und deren mediale Unterstützer monatelang immer wieder lautstark gefordert, endlich einen solchen Ausschuss einzusetzen. Er sollte die Regierenden: Jarosław Kaczyński, Mateusz Morawiecki u. v. a. m. bloßstellen, weil sie angeblich gemeinsame Sache mit Putin gemacht haben und weiterhin machen.

Sie hatten, so der Vorwurf, vor dem Ukraine-Krieg Kontakte zu putinfreundlichen konservativen Politikern wie Marine Le Pen oder Viktor Orban unterhalten. Und sie haben nicht schnell genug, weil „erst” Mitte April 2022, knapp zwei Monate nach Kriegsausbruch, die „mit ukrainischem Blut befleckten” Kohleimporte aus Russland gestoppt. Die EU hat dazu zwar ein halbes Jahr gebraucht, aber was solls. Schlimmer noch, sie sollen sogar gemeinsam mit Putin eine polnisch-russische Aufteilung der Ukraine geplant haben, so der Tusk-Intimus und ehemalige Außenminister Sikorski.

Kurzum: Die gegenüber Russland wohl am unversöhnlichsten eingestellte Regierung Europas ist in Wirklichkeit ein perfekt getarnter Ring von Putin-Fans. Donald Tusk selbst und ihm ergebene Medien, wie die „Gazeta Wyborcza” oder der Fernsehsender TVN, um nur zwei von vielen zu nennen, haben diese Behauptung nicht bloß einmal aus voller Kehle kundgetan.

Ein alter chinesischer Fluch lautet: „Sollen deine Wünsche in Erfüllung gehen!”. Die Regierenden haben sich Tusks permanente Aufforderungen zu Herzen genommen. Der vor Kurzem angebahnte Untersuchungsausschuss soll, fairerweise, ihre eigene bisherige Amtszeit (2015 bis 2022) auf russische Einflussnahmen hin, aber auch die von Tusk und seiner ein Jahr lang amtierenden Nachfolgerin Ewa Kopacz (2007-2015) durchleuchten.

Das sorgt im Tusk-Lager für Panik. Und allein schon der krasse Unterschied im Fotobestand in den Archiven der Weltmedien erklärt, warum das so ist. Es gibt nämlich kein einziges Foto von Putin gemeinsam mit Jarosław Kaczyński, Morawiecki oder Staatspräsident Andrzej Duda. Sie haben Putin nie getroffen. Deswegen machte ihnen Tusk seinerzeit immer wieder den Vorwurf der Russophobie.

Die Auswahl der gemeinsamen Fotos Tusks mit Putin, von denen viele einen herzlichen, vertrauensvollen Umgang belegen, ist hingegen groß. Ebenso bemerkenswert ist die Zahl von Putin- und russlandenthusiastischen TV-Mitschnitten aus Tusks Parlamentsreden, Pressekonferenzen, seinem Besuch im Kreml 2008, Putins Polen-Besuch 2009, Tusks Begegnungen mit Putin in Katyn vor (am 7.04.2010) und nach der Smolensk-Flugzeugkatastrophe (am 10.04.2010).

Das macht sich nicht gut. Noch schlechter macht sich Tusks politische Ӧffnung und Annäherung an Russland, die auch nach dem russischen Überfall auf Georgien 2008 und der Krim-Annexion 2014 fortgesetzt wurden. Tusks Devise lautete: „Wir wollen Dialog führen mit einem Russland, so wie es ist”.

Und so nahm das Unheil seinen Lauf. Anstatt die Gas- und Ӧlimporte zu diversifizieren, setzte Tusk auf eine völlige Abhängigkeit von Russland. Es gab eine innige, vertraglich verbriefte Kooperation der Geheimdienste. Russlands Außenminister Lawrow wurde im September 2010 nach Warschau eingeladen, um polnische Botschafter aus der ganzen Welt bei ihrer Jahreskonferenz zu briefen. Sogar der polnische zentrale Wahlausschuss reiste noch im Mai 2013 „zur Schulung” nach Moskau.

Tusk trägt dafür die volle politische Verantwortung. Aber das weiß man bereits ohne den Ausschuss, der angeblich Tusk und die Seinen diskreditieren soll. Dafür hat bereits das eigene Russland-Gebaren ausreichend gesorgt. Allenfalls kann die die Kommission die Hintergründe zutage fördern.

Jetzt schreien Tusk und mit ihm all die Gegner der polnischen Regierenden im In- und Ausland Zeter und Mordio. Es hagelt Vorwürfe und schwere Anklagen. Zu Recht?

  1. Angeblich sind die Entscheidungen der Kommission nicht anfechtbar. Die Kontrolle der Gerichte fehlt.

FALSCH. Die Kommission ist ein Organ der öffentlichen Verwaltung und erlässt Verwaltungsentscheidungen, die die Möglichkeit beinhalten, dagegen Rechtsmittel einzulegen. Gegen die Beschlussfassungen der Kommission (erste Instanz) kann daher beim Woiwodschafts-Verwaltungsgericht (zweite Instanz) und beim Obersten Verwaltungsgericht (dritte Instanz) Berufung eingelegt werden. Beide Gerichte können die Entscheidungen der Kommission aussetzen, aufheben, sie an diese zur erneuten Prüfung zurückverweisen. Sie können nicht nur Verfahrensfehler der Kommission beanstanden, sondern die Zuständigkeit an sich ziehen und selbst in der Sache ein Urteil fällen.

  1. Die Entscheidung der Kommission führt dazu, dass man nicht mehr für den Sejm kandidieren kann.

FALSCH. Nach polnischem Recht dürfen nur Personen, die wegen einer vorsätzlichen Straftat, die von Amts wegen verfolgt wird und rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden, nicht für den Sejm kandidieren. Die Kommission kann keine Haftstrafen verhängen. Das eventuelle Verbot, 10 Jahre lang keine öffentlichen Ämter zu bekleiden, bezieht sich nicht auf den Parlamentssitz.

  1. Die Kommission wird ihre Arbeit am 17. September 2023, unmittelbar vor den Parlamentswahlen, abschließen.

FALSCH. Die Kommission wird, wie im Gesetz vorgesehen, am 17. September 2023 den ersten Bericht über ihre Arbeit vorlegen. Dieser wird zukünftig jährlich abgegeben werden.

4. Warum eine Überprüfungskommission und nicht ein parlamentarischer  Untersuchungsausschuss? Das wird die Politisierung fördern.

FALSCH. Im Gegenteil, die Kommission wird weniger politisiert dadurch, dass sie nicht nur Parlamentarier, sondern auch externe Experten einbeziehen kann. Darüber hinaus haben alle parlamentarischen Fraktionen das Recht, ihre Kandidaten für die Kommission vorzuschlagen. Staatspräsident Duda hat gerade eine Novelle vorgelegt, keine Parlamentarier, sondern nur Fachleute in die Kommission zu berufen.

  1. Die Kommission wurde gegen Donald Tusk eingesetzt, daher wird sie in den Medien als „Lex Tusk“ bezeichnet.

FALSCH. Von Donald Tusk ist in dem Gesetz nirgendwo die Rede. Es geht um russische Einflussnahmen während und nach seiner Amtszeit.

Doch was waren die Beweggründe für Tusks Russlandliebe? Vielleicht erfahren wir bald mehr darüber. Der Verdacht liegt jedenfalls nahe, dass Tusk auch in diesem Fall als politischer Ziehsohn und eifriger Willensvollstrecker Angela Merkels agiert hat. Das „pflegeleichte” Polen unter Tusks Führung sollte Deutschland in seiner grenzenlos russlandorientierten Politik durch etwaige Vorbehalte, laut formulierte Ängste oder gar mahnende Warnungen keine Steine in den Weg legen. Tusk sorgte dafür und wurde für seine Treue, auf Betreiben Berlins, mit dem Amt des EU-Ratsvorsitzenden belohnt.

Er war eine Bauernfigur auf dem Schachbrett der deutschen Russlandpolitik. Die Rollen des Königs, der Königin und aller anderen Figuren waren bereits Angela Merkel, Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel, Manuela Schwesig, Matthias Platzeck, Armin Laschet, Wolfgang Kubicki, Sahra Wagenknecht  u. v. a. m. zugedacht.

Ein Teil von ihnen amtiert weiter, der Rest genießt unbelangt den Ruhestand, wird gar, wie Frau Merkel, mit Orden behängt. Derweil steigt die russlandfreundliche AfD im Ansehen, huldigt Putin auf den Straßen und in den sozialen Netzwerken, gemeinsam mit anderen rechten Milieus, mit der Linken, mit den radikalen Ӧko-, Klima- und Friedensbewegten sowie den sehr vielen ungebundenen deutschen Putin-Sympathisanten.

Ein Untersuchungsausschuss in Deutschland zur Aufarbeitung all dessen? Nichts dergleichen. Dafür, ohne offensichtlich das entsprechende Gesetz überhaupt gelesen zu haben, Unterstellungen und hysterische Attacken auf das polnische Bestreben, die Russland-Verstrickungen auszuleuchten. Treue zu erfahren ist Glück. Deutschland lässt seine polnischen Russlandversteher nicht im Stich.

RdP




29.05.2023. Deutschlands Geld und die Versöhnung

In öffentlichen Debatten über Reparationen, die Deutschland Polen für Kriegsschäden schuldet, wird jenseits der Oder oft das folgende Argument angeführt: Da eine Versöhnung zwischen unseren Nationen stattgefunden hat, ist es nicht angebracht, Ansprüche aus der Vergangenheit zu stellen. Manchmal wird in diesem Zusammenhang sogar der berühmte Brief der polnischen  an die deutschen Bischöfe aus dem Jahr 1965 mit den denkwürdigen Worten „Wir vergeben und bitten um Vergebung“ zitiert. Als  hätte der Episkopat im Namen des polnischen Staates auf Reparationen verzichtet.

Dies ist eine klassische Verwechslung zweier Perspektiven: der moralischen und der rechtlich-politischen, wo symbolische Gesten finanzielle Verpflichtungen angeblich aufheben. Interessanterweise misst die deutsche Politik dieselbe Angelegenheit mit zweierlei Maß, abhängig davon, ob es sich um west- oder osteuropäische Staaten handelt, von Israel ganz zu schweigen.

Es gab einige bedeutende Versöhnungsgesten deutscher und französischer Staatsoberhäupter und Regierungschefs. Erinnern wir an Konrad Adenauers und General de Gaulles Teilnahme an der Versöhnungsmesse in der Kathedrale von Reims im Juli 1962 und an die Umarmung der beiden anlässlich der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages im Januar 1963. Viele haben bis heute vor Augen, wie Helmut Kohl und François Mitterrand im September 1984 Hand in Hand auf dem Schlachtfeld von Verdun stehen.

Von Geld war anlässlich dieser symbolträchtigen Zeremonien nie die Rede. Ob Reims oder Verdun, wie selbstverständlich zahlte die Bundesrepublik Reparationen aus dem Ersten Weltkrieg an Frankreich weiter. Die letzte Tranche von 70 Millionen Euro hat die Bundesbank im Jahr 2010 nach Paris überwiesen.

Dass Berlin auch ein anderes Maß anwenden kann, das haben die Tschechen schmerzlich erfahren müssen. Es lohnt sich, daran zu erinnern, denn es kann eine wichtige Lehre für andere sein.

Nach der Samtenen Revolution und dem Sturz des Kommunismus wurde Václav Havel Präsident der Tschechoslowakei und war entschlossen, eine Aussöhnung mit Deutschland herbeizuführen. Das lag zum einen an seiner Überzeugung, dass der Weg in den Westen über Deutschland führte, und zum anderen an der zutiefst moralischen Perspektive, die er der politischen Realität zugrunde legte. Es ist daher nicht verwunderlich, dass er bei seinem ersten Auslandsbesuch am 2. Januar 1990 in Bonn bei einem Treffen mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker das Prinzip der kollektiven Verantwortung und die Gewalt verurteilte, die die Sudetendeutschen während der 1945 durchgeführten Vertreibung aus der Tschechoslowakei auf der Grundlage der Beneš-Dekrete erfahren hatten.

Václav Havel verstand seine Worte als eine großzügige Geste des guten Willens, die den Weg zur Versöhnung öffnete. Er wollte durch einen symbolischen Akt, der seiner Meinung nach die historische Gerechtigkeit widerspiegelt, die Hand zur Aussöhnung reichen. Die Deutschen hingegen sahen darin ein Zeichen der Schwäche und einen Beweis für die Legitimität der von ihren Landsleuten erhobenen Ansprüche. Sie zogen politische Konsequenzen aus dem moralischen Akt und begannen, unter Berufung auf Havels Worte, die Rückgabe ihres in der Tschechoslowakei verbliebenen Eigentums zu fordern.

Dabei ignorierten sie völlig die Gründe, warum die Deutschen nach dem Krieg aus dem tschechischen Sudetenland vertrieben wurden. Sie hatten in der Zwischenkriegszeit eine fünfte Kolonne gebildet, die auf Hitlers Befehl zur Liquidierung des tschechoslowakischen Staates wesentlich beitrug. Prag wollte nicht, dass sich eine ähnliche Situation in Zukunft wiederholen würde.

Die deutschen Ansprüche an die Tschechische Republik wurden in den Folgejahren zu einem Zankapfel zwischen den beiden Staaten. Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher weigerten sich entschieden, den deutsch-tschechischen Nachbarschaftsvertrag zu unterzeichnen, solange dieser eine Bestimmung über die rechtliche Absicherung des Eigentums der Tschechen im ehemaligen Sudetenland nach der Wende enthielt. Die Verhandlungen zogen sich aufgrund der unnachgiebigen Haltung Berlins in die Länge, aber Prag war hartnäckiger und setzte sich schließlich durch. Das Dokument wurde erst 1996 unterzeichnet, während ein ähnlicher Vertrag zwischen Polen und Deutschland bereits 1991 unterschrieben und ratifiziert wurde.

Die Haltung der Deutschen war die größte Enttäuschung Havels in seiner Außenpolitik. Berlin hatte die moralische Geste eines Idealisten und Romantikers auf das Feld der kalten und rücksichtslosen Realpolitik überführt.

Jetzt erleben wir ein ähnliches Verhalten in der Frage der Kriegsreparationen, die Polen geschuldet werden: Der erwähnte Brief der Bischöfe oder die Umarmung zwischen Kohl und Mazowiecki im niederschlesischen Krzyżowa/Kreisau im November 1989 werden auf die finanzielle Dimension reduziert, als ob symbolische Gesten die fälligen Reparationen aufheben würden. Frankreich hatte es da besser.

RdP




24.04.2023. Angela die Ausgezeichnete

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel für außergewöhnliche Verdienste das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland „in besonderer Ausführung”verliehen. Es ist die höchste deutsche Auszeichnung.

Deutsche Bundespräsidenten erhalten es von Amts wegen, aber in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik haben bisher nur zwei Bundeskanzler, Konrad Adenauer und Helmut Kohl, diesen Orden erhalten. Nicht einmal Willy Brandt, immerhin der einzige Friedensnobelpreisträger unter allen deutschen Kaisern, Königen, Staatspräsidenten und Kanzlern, wurde für würdig genug befunden, derart geehrt zu werden.

Anders Angela Merkel. Sie hat Putin in der internationalen Politik und wirtschaftlich stets gestärkt und so letztendlich, wenigstens indirekt, die Saat des Krieges gemehrt. Und nun, nach all der Kritik an Merkels langjähriger Politik, Deutschland in ein Bündnis mit Putins Russland zu drängen, geht der höchste deutsche Orden an die wichtigste Architektin dieses Vorhabens.

Der ehemaligen DDR-Bürgerin wird nachgesagt, dass sie auf ihrem Schreibtisch stets das Porträt einer anderen souveränen ostdeutschen Frau stehen hat, das von Sophie von Anhalt-Zerbst, der späteren russischen Zarin Katharina II., die 1729 in Pommern geboren wurde. Sie hat Russland in ein Imperium verwandelt. Die Tilgung Polens von der Europakarte für 123 Jahre gehört mit zu den „Glanzleistungen” ihrer Politik. Aus dem westlichen Teil Pommerns, ihrem Wahlkreis jenseits der Oder, wurde  Angela Merkel viele Jahre lang in den Bundestag gewählt.

Ihr irritierendes Beharren darauf, dass sie im Grunde alles richtig gemacht hat, wurde mit der nun vorgenommenen Ehrung im Nachhinein geadelt. Musste das unbedingt sein?

Steht der deutsche Bundespräsident etwa in der Schuld von „Mutti“? Steinmeier ist zwar Sozialdemokrat, aber als Außenminister in zwei Merkel-Kabinetten (2005-2009 und 2013-2017) gehörte er zu den engagiertesten Putinverstehern unter den deutschen Spitzenpolitikern überhaupt und setzte Merkels Russland-Politik hartnäckig um. Weder die Annexion der Krim, noch der Krieg im Donbas und die KGB-Morde an russischen Oppositionellen haben ihn eines Besseren belehrt. Die „deutsch-russische Partnerschaft” war durch nichts zu erschüttern.

Im Gegenzug schlug ihn Angela Merkel 2016 als Kandidaten der GroKO für die Wahl zum Bundespräsidenten vor und hievte ihn so in das höchste deutsche Staatsamt. Jetzt bekam sie von ihm die höchste deutsche Auszeichnung, obwohl (oder vielleicht gerade weil?) sie jede Selbstkritik scheut. Steinmeier hat sich zwar nach dem russischen Überfall auf die Ukraine von seiner prorussischen Haltung sanft distanziert, aber so ganz falsch konnte sie ja nicht gewesen sein, wenn ihre wichtigste Verfechterin in solcher Weise geehrt wird. Und das gut ein Jahr nach Beginn der russischen Attacke, als auf der Hand liegt, was Putin angerichtet hat.

Das alles setzt ein bitteres Nachdenken in Gang. Trotz der Beteuerungen, Deutschland habe aus dem Flirt mit Putin gelernt, bleibt die deutsche Politik ein Kontinuum. So wie Merkel die SPD-Politik von Bundeskanzler Gerhard Schröder, ein Bündnis mit dem Kreml aufzubauen, fortgesetzt hat, so ehrt nun Bundespräsident Steinmeier, ein ehemaliger SPD-Politiker und Schröders ehemaliger Staatssekretär, Merkel für die Fortsetzung des Flirts mit dem russischen Bären.

Es fällt schwer, dieses nicht auch als eine Geste in Richtung Kreml zu deuten: Wir sind mit euch, wir schämen uns für nichts, wir haben uns nichts vorzuwerfen und wir freuen uns darauf, mit euch bald wieder ‚Geschäfte as usual‘ zu machen. Und die Politikerin, die das Symbol unserer Allianz mit euch ist, schmücken wir so ehrenvoll, wie wir können.

Im Kreml hat man dieses Signal aus Deutschland ganz gewiss mit Genugtuung registriert. Auch das offizielle Warschau hat es wahrgenommen. Das Vertrauen in die deutsche Politik wird es in Polen nicht stärken.

RdP




21.04.2023. Die Flinte nicht ins ukrainische Korn geworfen

Ende gut, alles gut? Die Lage jedenfalls ist im Griff. Die Flut des ukrainischen Weizens ergießt sich seit einigen Tagen nicht mehr unkontrolliert über ganz Polen. Erlaubt sind nur noch verplombte Eisenbahntransfers von der ukrainischen Grenze zu den polnischen Häfen. Wie bereits alle Kraftstofftransporte in Polen, werden die Getreideladungen jetzt zudem von Zoll und Steuerfahndung elektronisch überwacht.

Die Behörden haben buchstäblich im letzten Augenblick die Reißleine gezogen und damit einen gewaltigen Bauernaufruhr abgewendet. Sie überrumpelten Brüssel mit einem sofortigen Importstopp für alle ukrainischen Agrarprodukte. Ungarn, die Slowakei, Rumänien und Bulgarien schlossen sich bald darauf an, und Kiew wurde am Verhandlungstisch dazu gebracht, der neuen Regelung zuzustimmen. Dabei wurde lediglich der Zustand hergestellt, der von Anfang an hätte gelten sollen.

Die gut gemeinte Solidarität mit der Ukraine hat die polnischen Regierenden monatelang alle Warnungen in den Wind schlagen lassen. Derweil sind seit Juli 2022, als die EU für ein Jahr alle Importzölle für ukrainische Einfuhren aufgehoben hatte,  knapp 1,3 Millionen Tonnen Mais, knapp 800.000 Tonnen Weizen und ca. 700.000 Tonnen ukrainischer Raps nach Polen gelangt.

Eigentlich sollten sie über polnische Häfen nach Afrika gebracht werden. Doch in den meisten Fällen geschah genau das nicht. Ukrainische Lkw hielten stattdessen vor großen und kleinen Futtermittelfirmen, Getreide- und Ӧlmühlen, Silo-Großanlagen, um ihre billige Fracht abzuladen. Auf riesigen Flächen fruchtbarster Schwarzböden, bei niedrigen Arbeitskosten und ohne die zahlreichen kostspieligen EU-Vorgaben, erzielen heute dänische, holländische und deutsche Agrarfirmen in der Ukraine Rekorderträge zu Niedrigpreisen, mit denen keine EU-Landwirtschaft mithalten kann.

Die Nachfrage nach polnischem Getreide sank dramatisch und genauso sanken die Preise. Eine Tonne Konsumweizen kostete Anfang April 2023  maximal 1.150 Zloty, während mindestens 1.400 Zloty notwendig sind, um den Bauern eine kleine Gewinnmarge zu gewähren. Nach der Schließung der Grenze für unkontrollierte ukrainische Einfuhren will die Regierung den Bauern nun die entstandene Differenz pro Tonne auszahlen. Staatliche Siloanlagen sollen den polnischen  Weizen aufnehmen, damit die Speicher der Bauern bis zur Ernte leergeräumt sind. Nur so ist der Ruin von Abertausenden von Bauern abwendbar.

Bevor die Abwehrmaßnahmen im Hauruckverfahren eingeführt wurden, versuchte Landwirtschaftsminister Henryk Kowlaczyk, ein enger Vertrauter des Recht-und-Gerechtigkeit-Chefs Jarosław Kaczyński, schnell noch die Katastrophe, deren Herannahen er zunächst tatenlos zugesehen hatte, im Einvernehmen mit der Brüsseler EU-Zentrale, in deren Kompetenz die Handelspolitik fällt, abzuwenden. Dort sah man jedoch keinen Grund zu schnellem Handeln, um der ungeliebten Warschauer Regierungsmannschaft aus der Bredouille zu helfen.

Anders in Warschau. Im Oktober 2023 finden in Polen Parlamentswahlen statt. Der Unmut der Bauern, der traditionellen Wahlklientel der Nationalkonservativen, würde die seit 2015 regierende Partei zweifelsohne um den dritten Wahlsieg in Folge bringen.

Obwohl eigentlich ein enger Vertrauter, wurde Landwirtschaftsminister Kowalczyk im Nu an die Luft gesetzt. Der Einfuhrstopp trat am 16. April mit sofortiger Wirkung in Kraft. Polen berief sich dabei auf die EU-Verordnung Nr. 478 aus dem Jahr 2015. Diese sieht vor, dass ein EU-Staat Einfuhrverbote und -beschränkungen verhängen kann, wenn dies wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung geboten ist. Und die Gefahr war in diesen Tagen in Polen wahrlich im Verzug. Tausende von Treckern standen bereit, um das Land lahmzulegen.

Kaczyński und seine Umgebung stellten wieder einmal ihre viel  gepriesene Handlungsfähigkeit unter Beweis, diesmal jedoch bei der Abwehr einer Gefahr, die sie lange ignorierten und die sie problemlos hätten im Keim ersticken können.

Das geschah zum Unmut Moskaus, wo man sehr auf eine anti-ukrainische Wende im polnischen Volksempfinden gehofft hatte. Ebenso in Deutschland. Die Zeitung „Die Welt” frohlockte bereits: „Diese Aktion Polens stellt die Loyalität zur Ukraine infrage”. Seht her, sind nicht auch die unbequemen polnischen Musterhelfer im Grunde nur kleinliche Egoisten? Und ist Polens Uneigennützigkeit, aus der seine wachsende Bedeutung in der europäischen Politik aufkeimen soll, eine Mär?

Am meisten enttäuscht ist jedoch die „totale”, wie sie sich selbst nennt, Opposition mit Donald Tusk an der Spitze. Im Unmut der Bauern witterte sie eine neuen Gamechanger, die Chance, eine schnelle Wende zu eigenen Gunsten herbeizuführen. Wo sie schon die Hoffnung auf einen harten Winter aufgeben musste, mit erfrorenen alten Menschen in ihren Wohnungen, unbezahlbaren Strom- und Heizkosten, einem Brotpreis von 30 Zloty (ca. 6,50 Euro, heute kostet 1 kg Brot durchschnittlich 8 Zloty, d.h. ca.1,75 Euro).

Doch die Zustimmungswerte für die Regierenden klettern seit Wochen beständig auf die 40-Prozent-Marke zu. Donald Tusk und die ihm genehmen Medien tun plötzlich so, als hätte es ihre dramatischen Aufrufe zur Grenzschließung nie gegeben. Jetzt prangern sie die „mangelnde Solidarität mit der Ukraine” an, sehen in den Sofortmaßnahmen eine „EU-feindliche Eigenmächtigkeit”, „einen neuen Anlauf zum Polexit” und „puren Wahlkampf”.

In Wahrheit jedoch hat das im letzen Augenblick aufgerüttelte Polen drastische Maßnahmen ergriffen, um die EU und die Ukraine zum Handeln zu zwingen, und es war erfolgreich. Die ursprüngliche Idee, ukrainisches Getreide durch Polen auf den Weg nach Afrika zu bringen, musste wiederbelebt werden, nicht mit dem Ziel, der Ukraine das Leben schwer zu machen, sondern den polnischen Landwirten keine Probleme zu bereiten und den sozialen Frieden zu wahren.

RdP