Archäologie des Terrors

Die Rückkehr der verstossenen Soldaten.

In keinem anderen Land des ehemaligen Ostblocks werden heute so viele Opfer kommunistischer Fememorde ausfindig gemacht, exhumiert, identifiziert und feierlich zu Grabe getragen, wie in Polen. Die umfangreichsten Arbeiten finden zurzeit auf dem Warschauer Powązki-Friedhof und auf dem Gelände des Untersuchungsgefängnisses in Białystok statt.

Müll drüber

Der 25. Mai 1948 war der letzte Tag im heroischen und ereignisreichen Leben des Rittmeisters Witold Pilecki. Gegen 21 Uhr rief man ihn aus der Zelle im Pavillon 10 des Gefängnisses in der Warschauer Rakowieckastrasse auf den Gang hinaus. Zwei Wachmänner stellten sich links und rechts neben ihn. Ein Unteroffizier hielt einen Zettel in der Hand, vor ihm stand ein Eimer mit feingemahlenen Holzspänen. Name? Vorname? Vornamen der Eltern? Geburtsdatum?

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Rittmeister Witold Pilecki vor dem Krieg.

Die beiden Wachmänner fesselten Pilecki die Arme auf dem Rücken, der Unteroffizier bückte sich zum Eimer, stopfte dem Gefangenen eine, dann eine zweite Hand voller Holzspäne in den Mund und wickelte ihm blitzschnell einen Lappen fest ums Gesicht. Fast im Laufschritt ging es dann den Gang entlang, die Treppe runter in den Keller, wieder ein langer Gang, am Ende, rechts, eine offene Stahltür und drei weitere Uniformierte. Sie stellten den Gefangenen in den Türrahmen, hinter dem eine steile Treppe nach unten ihren Anfang nahm. Einer der Männer zog die Pistole aus dem Holster und schoss Pilecki in den Hinterkopf. Die Leiche stürzte die Treppe hinab.

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Auschwitz-Häftling Witold Pilecki.

Bald darauf, mitten in der Nacht, fuhr ein klappriger Lkw durch das Gefängnistor. Unter der fest verschnürten Plane lagen Leichen, darunter auch die von Pilecki. Man entsorgte sie wie Tierkadaver, meistens in entlegenen Friedhofsecken. Wenn sich die ausgehobene Grube als zu klein erwies, wurde auf den toten Körpern so lange herumgetrampelt, bis sie hinein passten. Am Untersuchungsgefängnis in Białystok fanden Archäologen in einem 2 m langen und 1,5 m breiten Erdloch Gebeine von 31 Menschen. Friedhofsmüll wurde später auf die Todesparzellen gekippt, Sträucher und Unkraut wuchsen von alleine. Niemand sollte ihre Leichen je finden, ihr Schicksal sollte für immer vergessen werden.

So endete das Leben des Rittmeisters Witold Pilecki. Eines Soldaten, der 1920 dabei half Polen vor den Bolschewisten zu bewahren und es 1939, als Kavallerist, gegen die Deutschen verteidigte. Eines Untergrundkämpfers der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa), der sich im September 1940 freiwillig bei einer deutschen Razzia in Warschau festnehmen lieβ, um nach Auschwitz zu gelangen. Fast eintausend Tage verbrachte er dort als Häftling Nummer 4859, um zu erfahren, was im Lager vor sich ging. Er organisierte den Widerstand, schickte Berichte nach drauβen, bis er im August 1943 fliehen konnte.

Pilecki kämpfte im Warschauer Aufstand (1.08 – 3.10.1944), ging in deutsche Gefangenschaft und wurde im April 1945 im bayerischen Murnau von den Amerikanern befreit. Bald darauf meldete er sich in Ancona, bei General Władysław Anders, dem Oberkommandierenden der polnischen Streitkräfte in Italien (2. Polnisches Korps), mit er Bitte, nach Polen gehen zu dürfen, um den Untergrund gegen die Sowjets und ihre polnischen Helfer unterstützen zu können.

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Erst geschlagen, dann erkennungsdienstlich erfaβt. Witold Pilecki als kommunistischer Häftling.

Im Mai 1947 geriet Pilecki in die Fänge der politischen Polizei UB und ihrer sowjetischen Berater. Wochenlang dauerten die Verhöre, bei denen ihm das Schlüsselbein und ein Arm gebrochen, sowie sämtliche Zähne ausgeschlagen wurden. „Auschwitz war dagegen ein Kinderspiel“, flüsterte er bei dem einzigen Besuchstermin, den seine Frau zugestanden bekam. Ein Schauprozess folgte, das Urteil: Todesstrafe.

Kein „Bürgerkrieg“, ein Aufstand

„Eines Tages, wenn das Land frei sein wird, wird sich Polen an uns erinnern“, sagte Oberst Łukasz Ciepliński zu seinen Zellengenossen. Er legte sich sein kleines Mutter-Gottes-Medaillon in den Mund, bevor er am 1. März 1951 mit einem Schuss in den Hinterkopf umgebracht wurde. Durch das Medaillon hoffte er besser identifizierbar zu sein. Bisher hat man seine Gebeine nicht gefunden.

Verstoßene Soldaten (żołnierze wyklęci) werden polnische Widerstandskämpfer der antikommunistischen Untergrundorganisationen genannt, die nach dem Krieg im kommunistischen Polen gegen die Sowjets und das von ihnen errichtete Regime gekämpft haben.

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Der spätere Oberst Łukasz Ciepliński vor dem Krieg.

Ciepliński war ein tapferer Soldat, der im September 1939 mit seiner Panzerabwehrkanone sechs deutsche Panzer und zwei Befehlswagen abschoss, im Untergrund zu einem der wichtigsten Befehlshaber der Heimatarmee (AK) im Raum Rzeszów aufstieg und bis zu seiner Verhaftung im November 1947 den Sowjets und den Kommunisten schwer zusetzte.

Ehe Ciepliński sein Todesurteil hörte, widerrief er vor Gericht alle seine Aussagen aus der Untersuchungshaft: „Jedes Verhör endete so, dass ich bewusstlos in einer Blutlache lag. Ich wusste nicht, was ins Protokoll geschrieben wurde und was ich, fast ohnmächtig vor Schmerzen, unterschrieben habe.“

Ciepliński sollte Recht behalten. Spät zwar, erst 20 Jahre nach dem Ende des Kommunismus und aufgrund des wachsenden öffentlichen Drucks, hat sich Polen an ihn und die anderen erinnert. Der Widerstand war groβ. In der Justiz, aus deren Apparat im Zuge der „nationalen Versöhnung am runden Tisch“ nach 1989 kein einziger kommunistischer Richter entfernt wurde. Seitens der postkommunistischen Linken, die Polen acht Jahre lang (1993-1997 und 2001-2005) regierte und ihrer Wahlklientel. Strikt dagegen war, die lange Zeit vorherrschend meinungsbildende „Gazeta Wyborcza“. Schlieβlich gehörte auch der Stiefbruder des Chefredakteurs Adam Michnik, Stefan, zu den stalinistischen Blutrichtern. Bei der Ermordung eines seiner Opfer, des Majors Andrzej Czaykowski, am 10. Oktober 1953, war er sogar persönlich zugegen. Desinteressiert zeigte sich ebenfalls Donald Tusks Bürgerplattform, die Polen zwischen 2007 und 2015 regierte.

Die kommunistische Propaganda sprach jahrzehntelang nach dem Krieg von „reaktionären und verbrecherischen Banden“, die es nach 1945 mit aller Härte zu bekämpfen galt. Widerspruch war gefährlich. Doch ab Mitte der 80er Jahre lieβen sich solche Behauptungen nicht mehr aufrechterhalten. Der Kommunismus in Polen schwächelte zunehmend, das staatliche Meinungsmonopol wurde von einem schnell wachsenden Umlauf an illegal gedruckten Bulletins, Periodika, Broschüren und Büchern untergraben, die u.a. auch von der verzweifelten Auflehnung der Kämpfer des antideutschen Widerstandes gegen die nachfolgende, sowjetische Okkupation berichteten.

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Juni 1947. Tote Männer des Widerstandes.

Die kommunistische Propaganda begann daraufhin, ab Mitte der 80er Jahre, von einem „tragischen Bürgerkrieg“ nach 1945 zu sprechen, in dem beide Seiten für ihre Überzeugungen kämpften, die es zu akzeptieren galt. So sahen es auch, nach dem Ende des Kommunismus, die bereits erwähnten Gegner der Aufarbeitung.

Doch eine „Ebenbürtigkeit der Ideale“ im Kampf für ein freies, demokratisches Polen oder ein Polen unter kommunistischer Diktatur, kann es nicht geben. Es war kein „Bürgerkrieg“ sondern ein groβer antikommunistischer Aufstand für ein freies Polen. Diesen Standpunkt vertreten inzwischen immer mehr Historiker, er hält zunehmend Einzug in den offiziellen Sprachgebrauch.

Es war ein Aufstand gegen das Vorgehen der Sowjets in Polen. Ende 1945 waren im Land, neben vielen regulären Armeeinheiten, drei NKWD-Divisionen in einer Stärke von etwa 40.000 Mann stationiert, die nur damit beschäftigt waren ihre polnischen Helfer auszubilden und Soldaten, Politiker, Intellektuelle, die ein demokratisches Polen errichten wollten, zu eliminieren. Die Sowjets übernahmen von Deutschen geräumte Gefängnisse, Lager und „betrieben“ die meisten von ihnen weiter als Folter- und Hinrichtungsstätten. Allein zwischen Oktober und Dezember 1944 nahmen sie in den von ihnen „befreiten“ Gebieten zwischen den Flüssen Bug und Weichsel knapp 19.000 Polen fest. Der westlich der Weichsel gelegene Teil Polens befand sich noch bis Mitte Januar 1945 in deutscher Hand.

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Sechzehn führende bürgerliche Politiker und Militärs der Heimatarmee (AK) wurden von den Sowjets im März 1945 zu „Gesprächen“ b. Warschau eingeladen, nach Moskau entführt und abgeurteilt.

Etwa 600 Polen wurden im Juli 1944 bei Augustów von den Sowjets in einer groβangelegten Razzia festgenommen und bald darauf ermordet. Trotz intensiver Suche hat man ihre Gebeine bis heute nicht gefunden.

Am 27. März 1945 luden die Sowjets 16 führende Vertreter der demokratischen Parteien, der Heimatarmee und der polnischen Regierung im Exil in Pruszków bei Warschau zu „Gesprächen“ ein. Alle wurden verhaftet und nach Russland verschleppt.

Sowjetische „Berater“ leiteten 1946 und 1947 umfangreiche Fälschungsaktionen während eines von den Kommunisten organisierten „Referendums“ und der ersten „Parlamentswahlen“ nach dem Krieg, die, wie inzwischen anhand einst geheimer Archive festgestellt, die antikommunistische Opposition gewonnen hatte. Offiziell jedoch, bekam sie nur 10% der Stimmen.

Die von den Sowjets ausgebildeten polnischen „Sicherheitsorgane“ und deren bewaffneter Verband (das sog. Korps der Inneren Sicherheit – KBW) wurden überwiegend von sowjetischen Offizieren in polnischen Uniformen befehligt.

Nein, es war kein „Bürgerkrieg“. Nicht der von den Sowjets völlig abhängige, allein auf sich gestellt nicht überlebensfähige, polnische kommunistische Staats- und Terrorapparat war der eigentliche Gegner, sondern die Sowjets, die das Land besetzten und es gegen den Willen der absoluten Mehrheit seiner Bewohner in ihre Kolonie verwandelten.

Tausende Schicksale gilt es aufzuklären

Erst 2011 konnte das Institut für Nationales Gedenken (IPN) mit der aufwendigen Suche nach den Opfern des Regimes, deren Leichen nach der Hinrichtung verschwunden waren, beginnen. IPN verwahrt vor allem die Akten der ehemaligen polnischen Stasi, hat jedoch auch Befugnisse bei „Verbrechen gegen das polnische Volk“ (deutsche Besatzungszeit, kommunistischer Nachkriegsterror) Untersuchungsverfahren einzuleiten und Anklage vor Gericht zu erheben.

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Ausgrabungsarbeiten auf dem Warschauer Powązki-Friedhof.

Es gilt Tausende Schicksale aufzuklären. IPN-Historiker durchforsten Archive, IPN-Staatsanwälte befragen Zeugen. Alte und neue Luftaufnahmen von Gegenden, in denen man anonyme Gräber von Ermordeten vermutet, werden ausgewertet.

Es ist schon erstaunlich, wie gut man aus der Luft erkennen kann, wo die gewachsene Oberflächenstruktur angetastet wurde, auch wenn es vor Jahrzehnten geschah und vor Ort mit bloβem Auge nicht sichtbar ist. Der Vergleich zwischen deutschen Luftaufnahmen aus dem Jahr 1943 und polnischen des Jahres 1951 hat ergeben, dass in einer weitgehend ungenutzten Ecke des 45 Hektar groβen Warschauer Powązki-Friedhofs (phonetisch: Powonski) 1951 Grubenumrisse zu erkennen sind, die es dort 1943 nicht gab. Anschlieβende Geo-Radaruntersuchungen haben zusätzlich die jahrzehntelang anhaltenden Gerüchte bestätigt, dass auf der sogenannten „Łączka“ (phonetisch.: Uontschka), zu Deutsch „kleine Wiese“, zwischen 1948 und 1956 namenlose Tote verscharrt wurden.

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Auf dem Rücken gekreuzte Arme deuten darauf hin, dass die Opfer gefesselt waren. Stricke haben sich längst spurlos aufgelöst, manchmal findet man Draht oder Elektrokabel.

Bis zum Sommer 2015 wurden auf der „kleinen Wiese“ Gebeine von etwa 200 Personen ausgegraben. Vierzig von ihnen konnten identifiziert werden. Die Archäologin Natalia Szymczak (phonetisch: Schimtschak) sagt, dass man an den Knochen das Leiden der Opfer ablesen kann. Spuren der Verletzungen, die ihnen beigefügt wurden, sind deutlich erkennbar. Auf dem Rücken gekreuzte Arme deuten darauf hin, dass die Opfer gefesselt waren. Stricke haben sich längst spurlos aufgelöst, manchmal findet man aber Draht oder Elektrokabel. Persönliche Gegenstände sind rar. Vereinzelt ein Kamm, ein Brillengestell, Stofffetzen.

 Mit Stroop in einer Zelle

Die Stoffreste entstammen nicht selten deutschen Uniformen. Um sie zu demütigen, nahm man den Kämpfern des antideutschen Widerstandes oft ihre Kleidung weg und warf ihnen abgetragene deutsche Uniformen vor die Füβe. Polnische Widerstandskämpfer wurden bevorzugt mit deutschen Kriegsverbrechern in eine Zelle gesperrt.

„Liebe Wisia!“, schrieb Oberst Łukasz Ciepliński in seinem letzten Kassiber aus dem Gefängnis. „Ich lebe noch, aber es sind meine letzten Tage. Sitze mit einem Gestapo-Offizier in einer Zelle. Er bekommt Post, ich nicht. Wie gerne würde ich wenigstens ein paar Worte aus Deiner Feder bekommen. (…) Meinen Schmerz lege ich Gott und Polen zu Füβen. (…) Ich danke Gott dafür, dass ich für den heiligen Glauben, für mein Vaterland kämpfen durfte und dafür, dass er mir eine solche Frau und das groβe Familienglück geschenkt hat“.

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Kazimierz Moczarski

Auch der in der Hierarchie der Heimatarmee hoch angesiedelte Journalist Kazimierz Moczarski, der während seines elfjährigen (1945-56) Gefängnisaufenthaltes 49 Foltermethoden, die er später beschrieben hat, erleiden musste, wurde für acht Monate in eine Zelle mit Jürgen Stroop eingesperrt. Stroop war der Chef der deutschen Einsatzkräfte gewesen, die den Aufstand im Warschauer Ghetto (19.04-16.05.1943) niederschlugen. Moczarski überlebte und legte später (1972) Zeugnis ab von der Zeit mit Stroop in seinem Buch „Gespräche mit dem Henker“.

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Jürgen Stroop

Der Standardvorwurf, den man Leuten wie Ciepliński oder Moczarski in den Anklageschriften machte, lautete „Kollaboration mit den Deutschen“. Gestapobeamte, derer man habhaft geworden war, mussten nicht selten, auf erbeuteten deutschen Blankoformularen, Verhörprotokolle und Akteneinträge neu schreiben, damit man solche Anklagepunkte mit entsprechenden „Beweisen“ untermauern konnte.

„Werden Sie meinen Vater finden?“

Jeden Tag kommen Familienmitglieder und schauen bei den Ausgrabungen zu. Alte Menschen, die seit sechzig Jahren auf Nachrichten von ihren Eltern oder Geschwistern warten, die man als „Banditen“ diffamiert hat. Sie bringen Fotos mit. Auf den Bildern sieht man stattlich gebaute Männer, aber in den Gruben liegen geschrumpfte Skelette, die gerademal einem Kindersarg füllen. Eines Tages kam ein alter Mann und fragte: „»Werden Sie meinen Vater finden?« Ich musste weinen. Er auch“, berichtet Natalia Szymczak.

Dr. Krzysztof Szwagrzyk (phonetisch: Schwagschik) leitet und koordiniert die Ausgrabungen in ganz Polen. Ihm obliegt es Angehörige zu benachrichtigen, wenn ihre Nächsten identifiziert wurden. Die Reaktion ist immer dieselbe: das lange Schweigen, der stockende Atem, dann das Weinen im Telefonhörer. Dies alles geht ihm sehr nahe.

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Dr. Krzysztof Szwagrzyk (links im Bild) bei Ausgrabungsarbeiten auf dem Powązki-Freidhof in Warschau.

Einem solchen Anruf gehen Monate akribischer Arbeit voran. Sobald die Archäologen die Gebeine freigelegt haben, sind forensische Anthropologen an der Reihe. Iwona Teul ist eine von ihnen. Sie liest aus den Knochen Behinderungen, Verletzungen, Krankheiten, Schusswunden ab. Nicht selten kann Frau Teul erste Hinweise auf die Identität geben.

Entscheidend ist jedoch die DNA-Analyse. Das IPN gründete zusammen mit der Medizinischen Universität in Szczecin/Stettin eine genetische Datenbank für die Opfer. Angehörige geben DNA-Proben ab. Dennoch gestaltet sich die Identifizierung nicht selten sehr schwierig. Wenn z. B. ätzender Löschkalk auf die Leichen gestreut wurde, ist das entnommene DNA-Material kaum zu gebrauchen.

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Gefunden und identifizieert. „Verstoβene Soldaten“ werden gleich ins Pantheon gebracht.

Auf dem Powązki-Friedhof wird die Suche dadurch erschwert, dass Mitte der 60er Jahre auf die anonymen Massengräber eine meterdicke Schicht aus Erde, Schutt und Kompost aufgetragen wurde. Zwanzig Jahre später, Mitte der 80er Jahre, begann die Friedhofsverwaltung auf Anweisung der polnischen Stasi, auf dem so präparierten Totenfeld neue Grabstätten anzulegen.

Unter den Neubestatteten befinden sich viele verdiente Militärs und andere kommunistische Würdenträger. Einige von ihnen haben die unter ihnen verscharrten Opfer eigenhändig gequält, wie Stasi-Oberst Julia Brystygierowa, oder zum Tode verurteilt, wie die Richter Roman Kryże (phonetisch Krische) und Ilia Rubinow, deren Urteile heute als eindeutige Gerichtsmorde gelten.

Eine Änderung des Friedhofs- und Bestattungsgesetztes war notwendig, damit die zuoberst bestatteten Personen ausgebettet werden können (falls erforderlich, von Amts wegen, sollten die Familien es verweigern), und dadurch die darunter liegenden Toten endlich ein Grab bekommen können. Das Vorhaben, dem Gespräche mit den Familien der Neubestatteten vorausgehen sollen, wird voraussichtlich im Frühjahr 2016 beginnen.

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Identifizierte Tote wurden im September 2015, im Rahmen eines feierlichen Staatsaktes zu Grabe getragen in dem eigens auf der „kleinen Wiese“ erbauten Pantheon. Weitere Beisetzungen sollen folgen, das Bauwerk wird sukzessiv erweitert.

Dr. Szwagrzyk glaubt auf dem freigegebenen Totenfeld anschließend Gebeine von bis zu einhundert weiteren Opfern zu finden. Er hofft, dass auch Oberst Ciepliński dabei sein wird. Die bereits identifizierten Toten wurden im September 2015, im Rahmen eines feierlichen Staatsaktes, in kleinen Holzsärgen zu Grabe getragen. Es entstand das eigens auf der „kleinen Wiese“ erbaute Pantheon. Weitere Beisetzungen sollen folgen, das Bauwerk wird sukzessiv erweitert.

An insgesamt 16 Stellen in ganz Polen sind derzeit Exhumierungen im Gange. Die umfangreichsten Arbeiten finden in Białystok, im und um das Untersuchungsgefängnis in der Kopernikstrasse, statt. Das Gebäude war umgeben von einem groβen Garten. Zuerst haben die Sowjets, die nach dem gemeinsamen Überfall mit Hitler auf Polen, Białystok zwischen September 1939 und Juni 1941 besetzt hielten, dort die Opfer ihrer Morde verscharrt. Dann waren es zwischen 1941 und 1944 die Deutschen. Anschlieβend wieder die Sowjets und ihre polnischen Helfer.

Knapp 400 sterbliche Überreste hat das Team des IPN-Archäologen Adam Falis dort bis zum Herbst 2015 ausfindig gemacht. Der Garten wurde nach und nach bebaut. Es galt den alten Schweinestall abzureiβen, Betonsilos für Schweinefutter, kaputte Laternenmasten zu entfernen, ebenso wie groβ gewachsene Bäume, die manche Gebeine mit ihren Wurzeln eng umschlungen hielten. Im Gefängnis selbst haben Falis‘ Leute meterdicke Keller-Betonfuβböden aufgebrochen. Überlieferte Zeugenberichte erwiesen sich als richtig: tief vergraben man fand Dutzende von Gebeinen.

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Am Untersuchungsgefängnis in Białystok. Bäume haben Gebeine mit Wurzeln umschlungen.

Die Opfer der Deutschen liegen so, wie sie in die Grube gestürzt sind, niedergestreckt von MP-Garben. Die Opfer der Sowjets weisen alle einen Kopfschuss auf. Dazwischen ruhen oft, ordentlich aufgereiht, tote polnische „Banditen“ mit unterschiedlichen Schussverletzungen, die die Überfallkommandos nach Zusammenstöβen aufgelesen und zu den Gruben gebracht haben. Aber es gibt auch Gruben mit den Gebeinen von Frauen und Kindern. Handelt es sich dabei um Polen? Juden? Andere? Man weiβ es nicht und wird es kaum mehr feststellen können. Offensichtlich sind sie im Gefängnis an Krankheiten oder Hunger gestorben.

Anhand von DNA-Abgleichen konnten bis jetzt nur zwei Personen identifiziert werden. Das DNA-Material von weiteren 30 Personen, die der Meinung sind, ihre Nächsten seien in dem Untersuchungsgefängnis umgekommen, liegt vor.

„Sagt bitte meiner Oma“

„Wir können nicht trauern, solange es keinen Leichnam und kein Grab gibt“, sagen die Hinterbliebenen. Manche konnten inzwischen von ihren Qualen befreit werden. Großes Aufsehen erregte die Auffindung von Danuta Siedzikówna, genannt „Inka“, geb. 1928.

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Von Partisanen aus einem Gefangenenkonvoi befreit, trat Dauta Siedzikówna ihrer Abteilung der Heimatarmee als Sanitäterin bei.

Ihren Vater, einen Förster, hatten die Sowjets 1939 aus Ostpolen deportiert. Er starb 1943. Die Mutter wurde im September 1943 bei Białystok von der Gestapo ermordet. Mit 15 Jahren trat „Inka“ der Heimatarmee (AK) bei, bekam eine medizinische Schulung. Im Juni 1945 wurde sie von einer sowjetisch-polnischen Einsatzgruppe, zusammen mit allen Mitarbeitern der Försterei Hajnówka, verhaftet. Von Partisanen aus einem Gefangenenkonvoi befreit, trat sie ihrer Abteilung der Heimatarmee als Sanitäterin bei.

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Unter schwerster Folter gab „Inka“ ihre Kontaktpersonen zum Untergrund und vereinbarte Treffpunkte nicht Preis. Szene aus dem Fensehspiel „Inka“ (2006).

Im Juli 1946 schickte sie der Kommandeur nach Gdańsk/Danzig um Verbandsmaterial zu holen. Dort wurde sie verhaftet. Im Gefängnis weigerte sich die 17jährige unter schwerster Folter ihre Kontaktpersonen zum Untergrund und vereinbarte Treffpunkte preiszugeben. Obwohl minderjährig, wurde sie zum Tode verurteilt. Ein Gnadengesuch ihres Pflichtverteidigers wollte sie nicht unterschreiben, da er ihre Abteilung als eine „Bande“ bezeichnet hatte. In einem letzten Kassiber vor der Hinrichtung bat sie eine Freundin: „Sagt bitte meiner Oma, dass ich mich wie es sich gehört benommen habe .“

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„Inkas“ Gebeine (links) in einer entlegenen Ecke des Garnisonfriedhofs in Gdańsk gefunden.

Da alle vier Soldaten des Hinrichtungskommandos, das Inka in einem Gefängniskeller erschieβen sollte, daneben zielten, wurde sie mit einem Kopfschuss ermordet.

Im Sommer 2015 fand Dr. Szwagrzyk ihre Gebeine in einer entlegenen Ecke des Garnisonfriedhofs in Gdańsk.

© RdP




Wonach suchen Polens Archäologen




Vivat Mai, Dritter Mai!

Polen feiert seine Verfassung.

Am 3. Mai 1791, vor 225 Jahren, gab sich Polen die erste moderne Verfassung Europas, die zweite in der Welt, nach der amerikanischen. Sie sollte die Fortsetzung eines Modernisierungsprozesses sein, der das zum Spielball der mächtigen Nachbarn: Russlands, Preuβens und Österreichs gewordene Land vor dem Untergang bewahren sollte. Sie tat es nicht. Polen wurde für seine Nachbarn erst recht zu einer unerträglichen Provokation, weil sich die alte Adelsrepublik anschickte sich aus ihrer Machtlosigkeit zu befreien.

Die vier Jahre zwischen 1792 und 1795 brachten dramatische Ereignisse: den Verrat des Königs. Einen Aufstand, in dem zum ersten Mal die Polen als Nation: Adel, Klerus, Bürgertum und die Bauernschaft geschlossen in den Kampf um ihre Freiheit zogen. Zwei weitere Teilungen und die Auslöschung des Landes auf der Europa-Karte für die folgenden 123 Jahre.

Auch wenn während dieser Zeit die Teilungsmächte, ihre Politiker, Lehrer, Polizisten und die Historiker stets verkündeten, dass die Polen keinen eigenen Staat brauchen und auch nie wieder einen haben werden, die Verfassung vom 3. Mai 1791 war das Leuchtfeuer in der Dunkelheit, der Beweis für die Staatsfähigkeit der Nation.

Auf dem genau einhundert Jahre später von Jan Matejko gemalten Gemälde wird König Stanislaus II. August (links), die Verfassung hoch über dem Kopf haltend, von der begeisterten Menge in die Johanneskathedrale in Warschau getragen, wo die Abgeordneten den Treueeid auf die Mai-Verfassung schwören werden. Im Hintergrund das Warschauer Königsschloss, wo die Verfassung verabschiedet wurde.

Die Verfassung vom 3. Mai 1791 auf Deutsch.

Der 3. Mai ist, neben dem 11. November, polnischer Nationalfeiertag.

Der Titel dieses Beitrages entstammt dem Refrain der „Mazurka des 3. Mai“, eines patriotischen Liedes, das Mitte des 19. Jh. entstand, und mit den Worten beginnt: „Sei gegrüβt Mai-Morgenröte, leuchte unserem polnischen Lande…“.

https://www.youtube.com/watch?v=Ni4CZwKc9N8
© RdP




Das Schicksal der Familie Ulma

Am Jahrestag des Ghettoaufstandes in Warschau, wird auch der Polen gedacht, die Juden vor dem Holocaust retteten.

Vor dem Krieg war Józef Ulma ein angesehener und allseits beliebter Bauer in seinem Dorf Markowa bei Łańcut, im heutigen Südostpolen. Als Erster gründete er eine Gärtnerei für Obstsetzlinge. Er brachte den Leuten vor Ort die neusten Methoden der Apfelbaumveredelung bei, züchtete Seidenspinnerraupen und Bienen, bekam Auszeichnungen auf regionalen Landwirtschaftsausstellungen. Seine Leidenschaft galt ebenfalls der Fotografie. Ob Hochzeit, Taufe, eine Beerdigung oder nur für ein Passfoto, Józef Ulma war immer zur Stelle, wenn es darum ging Bilder zu machen. Und das zum Selbstkostenpreis. Mit seiner Frau Wiktoria hatte er sechs Kinder. Im Frühjahr 1944 erwartete sie ihr Siebentes.

Das letzte Foto der Familie Ulma.
Das letzte Foto der Familie Ulma.

Während der deutschen Besatzung versteckten die Ulmas, seit Mitte 1942, in ihrem bescheidenen Haus acht Juden. Als sie sie aufnahmen, wussten sie was sie riskierten. Vor ihren Augen hatten deutsche Gendarmen kurz zuvor die meisten der 120 Juden aus Markowa ermordet. Das Haus der Ulmas stand abseits, doch es gelang nicht ihr Geheimnis zu bewahren.

Das Haus der Ulmas in Markowa.
Das Haus der Ulmas in Markowa, Schauplatz des Verbrechens.

Der Denunziant, Włodzimerz Leś, war ein Ukrainer, der bei der polnischen Polizei in Łańcut diente. Leś war vor dem Krieg mit der jüdischen Familie Schall befreundet. Er gewährte ihnen sogar, gegen Bezahlung, eine Zeitlang Unterschlupf bei sich zu Hause. Als die Deutschen jedoch begannen diejenigen, die Juden versteckten, bei Entdeckung an Ort und Stelle gemeinsam mit ihren Schützlingen zu ermorden, jagte Leś die Schalls fort, jedoch nicht ohne ihr ganzes Vermögen zu behalten. Die Schalls fanden Unterschlupf bei den Ulmas, klopften aber einige Male nachts bei Leś an und forderten ihren Besitz zurück. Das wurde ihnen, der Familie Goldmann, die ebenfalls von den Ulmas versteckt wurde, und den Helfern selbst, zum Verhängnis.

Am 23. März 1944 bekamen vier polnische Fuhrleute die Anweisung mit ihren Pferdewagen um Mitternacht vor der Gendarmeriewache in Łańcut zu sein. Die Aktion leitete der Gendarmeriekommandant von Łańcut, der deutsche Hauptmann Eilert Dieken persönlich. Bei Tagesanbruch des 24. März 1944 rückte der Trupp im Haus der Ulmas an. Die Fuhrleute wurden angewiesen, mit ihren Wagen in einiger Entfernung zu warten.

Bald darauf fielen die ersten Schüsse. Zuerst wurden die beiden Brüder Goldmann und ihre Schwester Golda ermordet. Danach riefen die Gendarmen die Fuhrleute heran, sie sollten bei dem Massaker zusehen. Auf diese Weise sollten weitere Polen vom Verstecken von Juden abgeschreckt werden. Als nächster fand einer der Brüder Schall den Tod, dann dessen Frau Lea mit der kleinen Tochter sowie zwei weitere Angehörige der Familie Schall. Anschlieβend kamen der 44-jährige Józef Ulma und seine zwölf Jahre jüngere, hochschwangere Frau Wiktoria an die Reihe, am Ende ihre schreienden und wimmernden Kinder: Stanisława (Stasia), Barbara (Basia), Włodzimierz (Władek), Franciszek (Franek), Antoni (Antos) und Maria (Marysia).

Nun herrschte Stille. Sechzehn Leichen lagen im und vor dem Haus. Die Gendarmen riefen den Dorfschulzen von Markowa, Teofil Kielar herbei, damit er für das Verscharren der Toten sorge, und widmeten sich selbst dem Plündern. Im Licht der Taschenlampen wurden die Opfer durchsucht. Dieken und sein Stellvertreter Joseph Kokott teilten sich die gefundenen Schmuckstücke. Eine der jüdischen Frauen trug eine Schachtel mit Juwelen bei sich. Die übrigen Gendarmen plünderten das Haus. Truhen, Betten, Geschirr, Vorräte türmten sich auf den Fuhrwerken.

Derweil mussten die zwischenzeitlich herbeigerufenen Dorfbewohner eine tiefe Grube ausheben. Als einer von ihnen einen der Gendarmen bat, die Polen und die Juden separat beerdigen zu dürfen, schoss der Gendarm auf ihn, verfehlte jedoch den Mann, der Schütze war schon zu betrunken. Letztendlich willigten die Gendarmen doch noch ein und es wurden zwei Gruben ausgehoben.

Derweil ging Dieken zur Wache der polnischen Polizei des Dorfes und drohte den Kommandanten zu erschieβen, wenn er weiterhin das Verstecken von Juden auf seinem Gebiet toleriere. Die Aktion endete unweit des Tatortes mit einem Besäufnis der Täter, denen der Dorfschulze drei Liter Wodka bringen musste.

Fünf Tage nach dem Mord gruben Nachbarn nachts die Leichen der Ulmas aus und bestatteten sie auf dem Dorffriedhof. Die ermordeten Juden hat man 1947 auf dem Friedhof für Kriegsopfer im benachbarten Ort Jagiele beigesetzt.

Im Jahr 1995 wurden Józef und Wiktoria Ulma posthum mit dem israelischen Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ geehrt, vergeben an Menschen, die ihr Leben einsetzten, um Juden vor der Ermordung zu retten. Von den 24.811 Personen, die ihn bis Ende 2013 zugesprochen bekamen, kommen die meisten (6.454) aus Polen.

Das Denkmal in Markowa.
Das Denkmal in Markowa.

Am 24. März 2004, dem 60. Jahrestag des Geschehens, wurde in Markowa ein kleines Denkmal zu Ehren der Familie Ulma und ihrer Schützlinge enthüllt. Ein Museum das an diejenigen Polen erinnert, die Juden während des Zweiten Weltkrieges retteten, soll den Namen der Familie Ulma tragen. Seine Einweihung wird im März 2016 in Markowa stattfinden.

Das Museum der polen die Juden gerettet haben in Markowa. Entwurf.
Das Museum der Polen die Juden gerettet haben in Markowa. Entwurf.

Museum in Markowa. Satnd der Arbeiten Anfang 2015.
Museum in Markowa. Stand der Arbeiten Anfang 2015.

Den Denunzianten Włodzimierz Leś hat ein Standgericht der polnischen Heimatarmee für sein Verbrechen im Namen der Republik Polen zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde auf offener Straße in Łańcut im September 1944 vollstreckt. Den Gendarmen Joseph Kokott verurteilte ein polnisches Gericht 1958, nach der Überstellung aus der Tschechoslowakei, zum Tode. Die Strafe wurde auf dem Gnadenwege in Lebenslänglich umgewandelt. Kokott starb 1980 in einem polnischen Gefängnis. Hauptmann Eilert Dieken versah nach dem Krieg den Dienst als Kriminalkommissar in Esens. Gegen ihn wurde wegen seiner Verbrechen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, doch ohne Folgen. Dieken starb ohne jemals gerichtlich belangt zu werden.

Zu dem Thema Polen und Juden während der deutschen Besatzungszeit empfehlen wir Ihnen folgende interessante und informative Artikel und Rundfunksendungen:

Famile Ulma? Falscher Mythos. Schämt euch, ihr Polen!

„Die halbe Wahrheit ist nicht die Wahrheit“

und

„Defiance – jüdischer Widerstand, polnische Debatte“

@ RdP 




Sobibors Geheimnisse werden enträtselt

Polen und Israelis uneinig über neue Gedenkstätte.

Neuste Ausgrabungsarbeiten haben viele bisher unbekannte Tatsachen und Umstände über das ehem. deutsche Vernichtungslager Sobibór ans Tageslicht gebracht. Ein Lenkungs-Komitee, berufen von den Regierungen Israels, der Niederlande, der Slowakei und Polens, der Staaten also aus denen die meisten Opfer stammten, soll den Bau einer neuen Gedenkstätte überwachen. Der Entwurf gewann 2013 einen internationalen Wettbewerb.

Der israelische Archäologe Yoram Haimi (links) und der polnische Archäologe Wojciech Mazurek
Der israelische Archäologe Yoram Haimi (links) und der polnische Archäologe Wojciech Mazurek vor den Fundamenten der Gaskammer in Sibibor.

In der letzten Zeit kam es innerhalb des Gremiums zu Meinungsverschiedenheiten. Während die polnische Seite für einen raschen Beginn der Bauarbeiten plädiert, um die Gedenkstätte möglichst noch in Anwesenheit der letzten Überlebenden einzuweihen, bestehen Yoram Haimi, der israelische Chefarchäologe vor Ort und die Gedenkstätte Yad Vashem darauf erst einmal weiter zu graben.

Gaskammer und Himmelfahrtstrasse

Der wichtigste Fund waren die Überreste des Gaskammern-Gebäudes, entdeckt im Sommer 2014. Sie befanden sich unter einer ursprünglich asphaltierten Fläche auf der das 1965 aufgestellte Denkmal für die Opfer stand. Um die Arbeiten zu ermöglichen, wurde das Denkmal vorläufig demontiert. Die Deutschen sprengten das Gaskammern-Gebäude als sie das Lager im Sommer 1943 dem Erdboden gleich gemacht haben.

Makabre Funde
Makabre Funde.

„Bei den Ausgrabungsarbeiten wurden Ziegelfundamente freigelegt und in ihnen Fragmente von vier Gaskammern, jede vier mal fünf Meter groβ. Zudem glauben wir den Platz entdeckt zu haben auf dem der Panzermotor stand, mit dessen Abgasen Menschen umgebracht wurden“, sagte der Polnischen Presseagentur PAP Wojciech Mazurek, der leitende polnische Archäologe vor Ort.

Es gelang auch genau den Verlauf des Zugangsweges, auf dem die Opfer von der Rampe in die Gaskammern getrieben wurden, zu rekonstruieren. Die Nazis nannten ihn zynisch die „Himmelfahrtstrasse“.

Vor allem dank den Nachforschungen des polnischen Historikers Robert Kuwałek (1966-2014) wissen wir, daβ das Gaskammern-Gebäude als „Baderaum“ getarnt war. In den einzelnen Gaskammern, wo bis zu 1200 Opfer gleichzeitig eingesperrt werden konnten, hingen Duschköpfe unter der Decke, durch die die tödlichen Abgase geleitet wurden. Das Töten von etwa 500 Menschen dauerte nicht länger als eine halbe Stunde. Die Leichen wurden auf Schmalspurbahnwaggons zu riesigen Gruben gebracht und dort hineingeworfen. Ende 1942 entstanden aus Eisenbahnschienen gebaute Roste, auf denen die Toten verbrannt wurden. Alle Häftlinge, die zum Bedienen der Gaskammern und zum Verbrennen der Leichen gezwungen wurden, sind bei der Auflösung des Lagers ermordet worden.

Der 2014 plötzlich verstorbene polnische Histroriker Robert Kuwałek hat vile Geheimnisse von Sobibor enträtselt.
Der 2014 plötzlich verstorbene polnische Histroriker Robert Kuwałek hat viele Geheimnisse von Sobibor enträtselt.

Probevergasung für Himmler

Das Vernichtungslager Sobibor entstand 1942 im Rahmen der sog. Aktion Reinhardt im heutigen Länderdreieck Polen-Weiβrussland-Ukraine. Es war der Tarnname für die systematische Ermordung, zwischen Mai 1942 und Oktober 1943, aller Juden und Roma im Generalgouvernement (deutsch besetztes Polen) und in der Ukraine. Ermordet wurden über zwei Millionen Juden sowie rund 50.000 Roma. Zu diesem Zweck entstanden die Vernichtungslager Bełżec, Sobibór und Treblinka. An abgelegenen Orten, inmitten von Wäldern gelegen, mit einer eigens gebauten Gleisabzweigung versehen, dienten sie ausschlieβlich dem Morden. Die Menschen wurden direkt von der Rampe in die Gaskammern getrieben oder gelockt.

Das Vernichtungslager Sobibor entstand 1942 im Rahmen der sog. Aktion Reinhardt im heutigen Länderdreieck Polen-Weiβrussland-Ukraine. Es war der Tarnname für die systematische Ermordung, zwischen Mai 1942 und Oktober 1943, aller Juden und Roma im Generalgouvernement (deutsch besetztes Polen) und in der Ukraine. Ermordet wurden über zwei Millionen Juden sowie rund 50.000 Roma. Zu diesem Zweck entstanden die Vernichtungslager Bełżec, Sobibór und Treblinka. An abgelegenen Orten, inmitten von Wäldern gelegen, mit einer eigens gebauten Gleisabzweigung versehen, dienten sie ausschlieβlich dem Morden. Die Menschen wurden direkt von der Rampe in die Gaskammern getrieben oder gelockt.
Die Vernichtungslager Bełżec, Sobibor und Treblinka entstanden 1942 im Rahmen der sog. Aktion Reinhardt im heutigen Länderdreieck Polen-Weiβrussland-Ukraine.  An abgelegenen Orten, inmitten von Wäldern gelegen, mit einer eigens gebauten Gleisabzweigung versehen, dienten sie ausschlieβlich dem Morden.

In Sobibór wurden zum ersten Mal Mitte April 1942 etwa 250 Juden aus einem nahegelegenen Arbeitslager bei einer „Probevergasung“ umgebracht. Himmler besuchte das Lager am 12. Februar 1943. Da gerade kein Transportzug erwartet wurde, brachte man 100 Frauen aus Lublin, um Himmler den Vernichtungsvorgang zu demonstrieren.

Eine genaue Bestimmung der Zahlen ist nicht möglich, da alle schriftlichen Unterlagen vernichtet wurden. Aussagen von polnischen Eisenbahnern und einzelne Zuglaufpläne erlauben grobe Schätzungen. Die Gesamtzahl der Ermordeten im Lager Sobibór wird auf 150.000 bis 250.000 Menschen geschätzt. Bis zum Frühsommer 1943 waren die Deportationen polnischer Juden aus dem Generalgouvernement so gut wie abgeschlossen. Später waren es auch Juden aus Holland, Deutschland, Frankreich, Tschechien, der Slowakei und Juden – gefangengenommene Soldaten der Roten Armee. Auch etwa eintausend Polen fanden in Sobibór den Gastod.

Aufstand, Mahnmal, Museum

Am 14. Oktober 1943 kam es in Sobibór zu einem Aufstand. 365 Gefangene konnten aus dem Lager fliehen, davon erreichten etwa 200 den naheliegenden Wald. Bis zum Ende des Krieges konnten nur 47 Flüchtlinge des Lagers untertauchen und haben überlebt. Die SS ermordete danach die zurückgebliebenen Lagergefangenen, die nicht hatten fliehen können. Das Lager wurde dem Erdboden gleichgemacht. Es blieben nur ein unverdächtig aussehender Bauernhof und ein speziell aufgeforsteter Jungwald zurück.

Im Jahr 1961 ließ der polnische Staat ein Mahnmal auf dem Aschefeld errichten. 1993 wurde zum Jahrestag des Aufstandes ein kleines Museum eingerichtet und 2006 eine Gedenkallee mit Bäumen gepflanzt. Sie folgt in etwa der „Himmelfahrtstrasse“ auf der die Gefangenen von der Rampe der Eisenbahn bis zu den Gaskammern gehen mussten.

Die Arbeit der Gedenkstätte und die Pflege der Anlagen wurde von einigen wenigen polnischen Mitarbeitern und Historikern getragen, und von privaten Initiativen aus den Niederlanden, Israel und Deutschland unterstützt. Im Juni 2011 musste die Gedenkstätte wegen Geldmangels des Landkreises vorläufig schließen. Inzwischen funktioniert sie als eine Filiale des Staatlichen Museums Majdanek.

Die polnische Seite weist daraufhin, daβ man bereits die wichtigsten neuentdeckten Elemente im Bauplan der neuen Gedenkstätte berücksichtigt habe. Die Israelis sind der Meinung, die Veränderungen gehen nicht weit genug. Ein Kompromiss sei aber in Sicht, heiβt es.

© RdP




Chopins Herzuntersuchung

165 Jahre nach dem Tod des Komponisten.

Das in der Warschauer Hl.-Kreuz-Kirche aufbewahrte Herz Fryderyk Chopins ist in einem sehr guten Zustand. Das wissen wir seit Mitte September 2014, als die Ergebnisse der im April 2014 durchgeführten Untersuchungen bekanntgegeben wurden.

Die Begutachtung wurde am 14. April 2014 vorgenommen. Auf einer Pressekonferenz in Warschau am 17. September 2014 sagte Prof. Tadeusz Dobosz vom Institut für Gerichtsmedizin der Universität Wrocław/Breslau, einige Historiker hätten in Frage gestellt, dass sich in dem in eine der Säulen der Kirche eingemauerten Behälter tatsächlich das Herz des Komponisten befindet. Die Untersuchung hat diese Zweifel zerstreut.

„Der französische Anatomiepathologe Jean Cruveilhier, der Chopins Leichnam obduzierte und das Präparat anfertigte, verwendete als Behälter kein Glas- sondern ein Kristallgefäβ. Der Deckel ist hervorragend angepasst, das Gefäβ sehr dicht. Beim Verschlieβen solcher Gefäβe wird das Gewinde mit Vaselin eingefettet. Cruvheilhier hat damit nicht gespart. Das Vaselin floss in den Behälter und bildete eine Schicht auf der Konservierungsflüssigkeit, die zusätzlich das Verdampfen verhindert“, sagte Prof Dobosz auf der Pressekonferenz.

Hinter diesem Epitaph in der Warschauer Hl.-Kreuz-Kirche verbirgt sich die Urne mit dem Herz von Chopin.
Hinter diesem Epitaph in der Warschauer Hl.-Kreuz-Kirche verbirgt sich die Urne mit dem Herz von Chopin.

Fryderyk Chopin starb am 17. Oktober 1849 in Paris und wurde auf dem Friedhof Père-Lachaise beigesetzt. Seine Schwester Ludwika brachte sein Herz in das damals zu Russland gehörende Warschau. Das seit 1795 endgültig dreigeteilte Polen sollte erst 1918 wiederauferstehen. Seinen Platz in der Hl.-Kreuz-Kirche fand die nationale Reliquie im Jahr 1880.

Die Hl. Kreuz-Kirche 1945.
Die Hl. -Kreuz-Kirche 1945.

Vor der in 2014 durchgeführten Beschau wurde der Behälter zum letzten Mal kurz nach dem Krieg, im Oktober 1945, begutachtet. Während der planmäβigen Zerstörung Warschaus durch deutsche Spreng- und Brandkommandos, zwischen Anfang Oktober 1944 (Kapitulation des Warschauer Aufstandes und die Vertreibung der restlichen Zivilbevölkerung aus der Stadt) und dem 17. Januar 1945 (Einmarsch der Russen), wurde das Gefäβ noch am 12 Januar 1945, auf Betreiben eines deutschen Offiziers, aus der Stadt herausgeholt und in Milanówek bei Warschau dem dort internierten Warschauer Weihbischof Antoni Szlagowski übergeben.

Das so gerettete Herz Chopins hat man kurz nach Kriegsende, am 17.Oktober 1945, dem 96. Todestag des Komponisten, wieder an seinem angestammten Ort untergebracht.

Die Hl.-Kreuz-Kirche heute.
Die Hl.-Kreuz-Kirche heute.

Vor einigen Jahren begann sich eine Gruppe von Wissenschaftlern um die erneute Begutachtung zu bemühen. Der Genetiker Prof. Wojciech Cichy von der Medizinischen Universität Poznań wollte Proben aus dem Herz entnehmen, um festzustellen woran genau Chopin gestorben sei. Und Prof. Tadeusz Dobosz hatte die Befürchtung, dass das Gefäβ womöglich undicht werden, die Konservierungsflüssigkeit verdampfen und das Herz vertrocknen könnte.

Prof. Tadeusz Dobosz
Prof. Tadeusz Dobosz

Nach der Beschau gewährte Prof. Dobosz der „Gazeta Wyborcza“ („Wahlzeitung“) am 17. September 2014 ein Interview. Hier die wichtigsten Auszüge.

Frage: Welches Bild bot sich Ihnen nach der Öffnung der Nische und der beiden Holzkästchen, in denen sich der Behälter befindet?

Prof. Dobosz: Das Kristallgefäβ ist 16 cm hoch und hat einen Durchmesser von 12 cm. Der Stand der Konservierungsflüssigkeit ist hoch, in den 160 Jahren ist vielleicht ein halber Zentimeter verdampft. Alles ist also in bestem Zustand. Wir hatten auch kein Problem mit dem Öffnen der beiden Kästchen, sie waren nicht verschlossen.

Frage: Und wie sieht das Herz aus?

Prof. Dobosz: Auf der Oberfläche gibt es Veränderungen, die auf Tuberkulose schlieβen lassen. Sicherheit hierüber würden wir bekommen, wenn man das Gefäβ, ohne es zu öffnen, in einem Computertomographen durchleuchten könnte. Dazu haben die Kirchenbehörden jedoch ihre Zustimmung verweigert, denn dann müsste das Herz die Kirche verlassen. Abgesehen davon sieht das Herz überraschend gut aus. Lediglich am oberen Rand ist die Struktur der Oberfläche etwas verwischt, aber in der Mitte und unten ist der Zustand ideal. (…)

Frage: Welche Farbe hat es?

Prof. Dobosz: (…) Das Konservierungsmittel hat das Organ ausgebleicht, die natürliche Röte ist verschwunden. Das Herz Chopins ist etwas gröβer als üblich, er litt ja an einer Kreislaufschwäche. Das Herz wurde während der Sektion aufgeschnitten, dadurch wurde es ein wenig verformt. Es wurde aber nicht, was einige Wissenschaftler angenommen haben, in eine Blase oder in ein Säckchen eingenäht.

Frage: Handelt es sich bei der Konservierungsflüssigkeit tatsächlich um Spiritus?

Prof. Dobosz: Es gab eine Hypothese, die besagte, dass es 70prozentiger Cognac gewesen sein soll. Das kann man nicht ausschlieβen, denn die Konservierungsflüssigkeit ist gelb, aber das kann auch durch Blut verursacht worden sein. Das jedoch, werden wir nicht erfahren, denn das Gefäβ ist absolut dicht, es gab keinen Anlass zu einem Eingriff. Wir haben nur eine Schicht Bienenwachs aufgetragen, dort, wo der Deckel auf das Gefäβ aufgesetzt wurde, damit es noch dichter wird.

Frage: Sie waren einer der Wissenschaftler, die auf eine Beschau drängten. Warum?

Prof. Dobosz: Ich wollte überprüfen, wie der Zustand ist und im Bedarfsfall handeln. Ich betreue das Museum für Gerichtsmedizin in Wrocław. Wir haben dort Präparate, die in etwa genauso alt sind, und wir wissen, wie leicht sie der Vernichtung anheimfallen können. Daher mein Drängen. Die Bemühungen dauerten sieben Jahre lang an. Wäre das Gefäβ undicht gewesen und man hätte es öffnen müssen, dann hätte es eine Chance für genetische Untersuchungen gegeben.

Prof. Witt aus Poznań war einer der ersten, der darum ersucht hat feststellen zu dürfen woran Chopin gelitten hat. Wir haben auf diesem Gebiet sowieso einen Nachholbedarf, alle Krankheiten an denen andere groβe europäische Komponisten litten, wurden inzwischen bereits diagnostiziert . Mozart bildet hier eine Ausnahme, aber wir verfügen auch nicht über seine sterblichen Überreste. Alle anderen Persönlichkeiten wurden genetisch untersucht und das brachte viele neue Erkenntnisse über sie. Wir in Polen schätzen unseren gröβten Komponisten so sehr, dass wir vor lauter Hochschätzung das Wissen über ihn nicht erweitern wollen.

Frage: Wer hat sich dem entgegen gestellt?

Prof. Dobosz: Alle, angefangen bei der Familie, wie die Urenkelin einer der Schwestern Chopins. Dagegen waren auch der Warschauer Kardinal Kazimierz Nycz und der vorherige Direktor des Nationalen Fryderyk-Chopn-Instituts (2001 vom Sejm ins Leben gerufen, verwaltet es den gesamten Nachlass des Komponisten – Anm. RdP). Dafür hat uns der jetzige Direktor des Instituts, Dr. Artur Szklener sehr bei den Bemühungen um eine Beschau geholfen. Es gelang auch den Warschauer Metropoliten, Kardinal Kazimierz Nycz umzustimmen, der zu Anfang die Meinung vertrat, man müsse den Willen der Familie respektieren, dann aber seine Meinung änderte, und dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Frage: Ist es nicht schade, dass es nicht gelang die Konservierungsflüssigkeit zu untersuchen?

Prof. Dobosz: Ich bin vor allem froh darüber, dass mit dem Herzen alles in bester Ordnung ist.(…). Die nächste Begutachtung soll in fünfzig Jahren stattfinden. Das werde ich nicht mehr erleben, aber dann erfahren wir wahrscheinlich woran Chopin gestorben ist. Schon heute gibt es Methoden genetische Analysen durchzuführen ohne ein Präparat zu berühren. In fünfzig Jahren wird es hierzu noch mehr Möglichkeiten geben.

Lesenswert auch: „Chopins Flügel befllügelt“.

RdP