Pater Blachnicki. In Deutschland vergiftet

Erst jetzt kommt die Wahrheit ans Licht.

Am 14. März 2023 traten Justizminister Zbigniew Ziobro, der Chef des Instituts für Nationales Gedenken (IPN) Karol Nawrocki und Staatsanwalt Andrzej Pozorski vor die Medien. Ihre Botschaft: Die 2020 wiederaufgenommene Untersuchung hat eindeutige Beweise dafür erbracht, dass Pater Franciszek Blachnicki (phonetisch Blachnitski) am 27. Februar 1987 das Opfer eines Giftmordes geworden ist.

Dieser Schlussfolgerung liegen nach modernsten Methoden erstellte Gutachten auf dem Gebiet der Anthropologie, der Genetik, der Toxikologie, der Gerichtsmedizin und der medizinischen Analyse zugrunde. Neuentdeckte Unterlagen wurden ausgewertet und neue  Zeugen befragt. Man sei in Polen, Deutschland, Ӧsterreich und Ungarn tätig gewesen. Der Leichnam des Opfers wurde exhumiert. An den wissenschaftlichen Untersuchungen beteiligt waren das Professor-Jan-Sehn-Institut für Forensische Studien in Kraków, die Pommersche Medizinische Universität in Szczecin und die Schlesische Medizinische Universität in Katowice.

Die Motive der Tat liegen auf der Hand, den Tätern sei man auf der Spur, so die Feststellung der Verantwortlichen. Mehr könne man im Augenblick nicht offenlegen.

Auf diese Weise lebt ein hochbrisanter politischer Kriminalfall erneut auf, der die polnische Ӧffentlichkeit seit geraumer Zeit immer wieder beschäftigt. Die wichtigsten Fakten konnten inzwischen rekonstruiert werden.

Der Weg nach Carlsberg

Pater Blachnicki verbrachte die letzten Jahre seines Lebens in erzwungener Emigration. Als General Wojciech Jaruzelski am 13. Dezember 1981 das Kriegsrecht in Polen ausrief und damit eine Welle von Repressalien gegen die Solidarność-Bewegung in Gang setzte, befand  sich Pfarrer Blachnicki in Rom. Es sollte ein kurzer Aufenthalt sein, aber angesichts der neuen Lage überredete ihn der oberste Seelsorger der in der ganzen Welt verstreuten polnischen Diaspora, Bischof Szczepan Wesoły, dazu, nicht nach Polen zurückzukehren. Man konnte sicher davon ausgehen, dass den populären und politisch unbeugsamen Geistlichen die Verhaftung erwartete.

Das Internationale Evangelisierungsszentrum der Bewegung Licht-Leben in Carlsberg heute

Der Bischof bot ihm an, nach Westdeutschland zu gehen, um in dem pfälzischen Städtchen Carlsberg ein Evangelisierungszentrum zu gründen. Dazu wies er Pater Blachnicki eine Immobilie zu, die sich infolge der Nachkriegswirren im Besitz exilpolnischer Kirchenstellen befand.

Pater Blachnicki gab dem Ort den Namen Marianum – Internationales Evangelisisationszentrum Licht-Leben. Es sollte ein Ausstrahlungsort neuer Ideen der Bekehrung nicht nur für Polen, sondern für ganz Osteuropa sein. Zu diesem Zweck gründete er den Christlichen Dienst für die Befreiung der Völker (ChSWN).

„Hirte der Konterrevolution”

Die Aktivitäten des ChSWN zielten darauf ab, Mittel- und Osteuropa von der sowjetischen Herrschaft zu befreien, indem man seine Bürger von der lähmenden inneren Angst befreite, die das kommunistische System ihnen einflößte. Viele Emigranten aus Polen und den Ländern Mittel- und Osteuropas schlossen sich dem ChSWN an.

Es wurden Konferenzen organisiert, um die Befreiungsbestrebungen der Völker, die ihres Rechts auf Selbstbestimmung und politische Unabhängigkeit beraubt worden waren, vorzustellen. Gekrönt wurde diese Arbeit von zwei wichtigen Dokumenten: der Carlsberger Erklärung und dem Manifest für die Befreiung der Völker Mittel- und Osteuropas. Es entstanden ständige Arbeitsgruppen: eine tschechisch-polnisch-slowakische etwa oder eine polnisch-ukrainische, die sich um die Annäherung der Nachbarvölker im Hinblick auf die Zeit nach dem Kommunismus bemühten. Bemerkenswert waren die Märsche für die Befreiung der Völker mit dem Ziel, das Interesse der westlichen Öffentlichkeit für die Lage der Völker Mittel- und Osteuropas zu wecken.

Marsch für die Befreiung der Völker, organisiert vom Christlichen Dienst für die Befreiung der Völker (ChSWN) 1988 in Hambach

Die Ideen des ChSWN wurden auch über die polnische Redaktion von Radio Free Europe verbreitet. In den damaligen Zeiten, ohne Satelliten-TV, Internet und Handy war das von den Amerikanern betriebene und in München ansässige RFE, obwohl dessen Empfang massiv gestört wurde, die wichtigste Informationsquelle für die Völker hinter dem Eisernen Vorhang. Pater Blachnicki, der häufig bei RFE zu Gast war, legte das Wesen des kommunistischen Systems offen und rief zu konkreten Maßnahmen des zivilen Ungehorsams auf.

Seine antikommunistische Effizienz und die Reichweite seines friedlichen Befreiungskreuzzugs versetzten die kommunistischen Machthaber in höchste Alarmstimmung. In enger Abstimmung umspannten die polnische und ostdeutsche Stasi sowie der sowjetische KGB Carlsberg und Pater Blachnicki mit einem Netz von Zuträgern, sie tüftelten Provokationen aus, versuchten seine Arbeit lahmzulegen.

Zeitungsausschnitte mit Anti-Blachnicki-Beiträgen

Gleichzeitig lief eine osteuropaweite Diffamierungskampagne gegen den Pfarrer und sein Werk an. Er wurde bezeichnet als „Hirte der Konterrevolution” (kommunistische Jugendzeitschrift „Molodets Estonii”, „Pfundskerl von Estland“, 24.02.1983), als „Saboteur in Soutane” (die sowjetische „Komsomolskaja Prawda“, 5.02.1983), als „kriegerischer Pfarrer“, „polnischer Ajatollah“, „Politiker in Soutane“, „Theologe der Konterrevolution“ (polnische kommunistische Armeezeitung „Żołnierz Wolności“, „Soldat der Freiheit“, 5.09.1984),  als „zeitgenössischer Kreuzritter“,  „Theologe des nationalen Verrats” (Zentralorgan der polnischen KP „Trybuna Ludu“, „Volkstribüne”, 1.10.1984), als „fanatischer Politiker” (polnische Wochenzeitung „Tu i Teraz”, „Hier und Jetzt“, 29.12.1982) usw., usf.

Broschüren und Bücher des ChSWN gelangten auf illegalen Wegen nach Osteuropa. Sie entstanden im Verlag und in der Druckerei Maximilianum, die ein wichtiger Teil des Vorhabens und im Laufe der Jahre eine Quelle großer Schwierigkeiten und finanzieller Probleme waren. Anhand kürzlich aufgefundener Dokumente wissen wir, dass Pater Blachnicki kurz vor seinem Tod einen Vertrag über zwei Millionen Dollar mit der amerikanischen protestantischen Organisation Campus Crusade for Christ abgeschlossen hatte. Er sollte die Zukunft der Druckerei sichern und die Evangelisierungsprojekte in Polen, Mitteleuropa und der Sowjetunion erheblich ausweiten helfen. Wurde der Priester vergiftet, damit dieses Projekt nicht verwirklicht werden konnte? Die Untersuchung wird sicherlich auch diese Frage zu beantworten versuchen.

Politischer Sprengstoff. Broschüren und Bücher des ChSWN gelangten auf illegalen Wegen nach Osteuropa

Ein charismatischer Priester

Wie sah der Lebensweg desjenigen aus, der eine ganze Generation junger Polen geprägt hat? Blachnicki wurde 1921 in Rybnik, im polnischen Teil Oberschlesiens geboren. Nach dem Abitur 1938 wurde er zum Militärdienst im Divisionskadettenkorps in Katowice eingezogen.

Fähnrich Blachnicki (r. i.B.) bei einer Geländeübung 1938

Er träumte davon, in der Diplomatie zu arbeiten, doch schon bald brach der Krieg aus. Der künftige Priester kämpfte im September 1939 gegen die deutschen Angreifer und wurde bereits im Herbst 1939 in die Untergrundarbeit einbezogen. Im Frühjahr 1940 verhaftete ihn die Gestapo.

Auschwitzhäftling Franciszek Blachnicki

Er wurde in das deutsche Konzentrationslager Auschwitz gebracht. Dort blieb er über ein Jahr lang, war wiederholt dem Tod nahe. Er durchlebte die Hölle der Strafkompanie und blieb auch einen Monat lang im Todesbunker eingesperrt (demselben, in dem die Deutschen später Pater Kolbe ermordeten). Im Herbst 1941 verlegte man ihn ins Gefängnis in Katowice, um ihn vor ein Sondergericht zu stellen. Im Frühjahr 1942 fiel das Urteil: Todesstrafe. Nach Interventionen seiner Familie wurde das Urteil in zehn Jahre Gefängnis umgewandelt.

Zeitungsausschnitt mit der Bekanntgabe von gefällten Todesurteilen, darunter gegen Franciszek Blachnicki, der als „der 21 Jahre alte Franz B.“ bezeichnet wird

Die Monate des Wartens auf den Tod, bevor die Strafe umgewandelt wurde, waren ein Wendepunkt in Blachnickis Leben. Am 17. Juni 1942 erlebte er eine geistige Wandlung. Er beschloss, seinen Glauben mit anderen zu teilen und sein Leben der göttlichen Vorsehung anzuvertrauen.

Den Rest des Krieges verbrachte Blachnicki in den Konzentrations- und Arbeitslagern des Dritten Reiches und trat sofort nach Kriegsende ins Priesterseminar ein. Die Priesterweihe empfing er 1950 auf dem Höhepunkt der Stalinisierung Polens und des Kampfes des Staates gegen die katholische Kirche.

Franciszek Blachnicki (3 v. l. i. B.) als Diakon (erste Stufe des Weihesakraments) 1949

Blachnicki erkannte, dass die Zukunft der Nation und der Kirche im kommunistischen Staat vom Nachwuchs abhängen würde, daher konzentrierte er sich seit Beginn seiner pastoralen Tätigkeit auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. 1957 gründete er aber auch noch den „Kreuzzug der Enthaltsamkeit”, den er ein Jahr später in „Kreuzzug der Nüchternheit” umbenannte, um den starken Alkoholismus der Nachkriegszeit zu bekämpfen. Im Frühjahr 1960 zählte die Bewegung bereits mehr als 100.000 Mitglieder und umfasste rund tausend Gemeinden. Die von ihr herausgegebene Zeitschrift „Niepokalana Zwycięża“ („Die Unbefleckte siegt”) hatte eine Auflage von 120.000 Exemplaren.

Verfolgung

Blachnickis Aktivitäten weckten von Anfang an das Misstrauen der Kommunisten und der polnischen Stasi. Im Jahr 1959 startete die kommunistische Geheimpolizei eine umfangreiche Überwachungsoperation gegen den „Kreuzzug der Nüchternheit”, Deckname „Zawada” („Hindernis’). Bald darauf folgten Dutzende von Hausdurchsuchungen bei Aktivisten, Schikanen und Einschüchterungen. Ende August 1960 umstellte die Polizei das Büro der Bewegung in einer Baracke auf einem Kirchengelände in Katowice. Alle Akten, Publikationen und Möbel wurden beschlagnahmt. Das war das Ende des Vorhabens.

Das Gefängnis in der Mikołowskastraße in Katowice. Hier saß Franciszek Blachnicki 1942 und 1961 ein

Die Kommunisten, die sich mit der großen Popularität des Priesters nicht abfinden konnten, verhafteten ihn schließlich. Im Frühjahr 1961 wurde der Geistliche wegen „Veröffentlichung illegaler Drucke und Verbreitung falscher Nachrichten über die Verfolgung der Kirche“ zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Er saß in demselben Gefängnis in Katowice ein, in dem ihn die Deutschen während des Krieges festgehalten hatten. Damals schrieb er auf: „Man darf den gegenwärtigen Zustand nicht als ein Unglück betrachten und nur in der Hoffnung leben, dass er bald vorübergeht. Im Gegenteil, man muss die Gegenwart als eine Gnade von unschätzbarem Wert betrachten, aus der man das Beste machen muss“.

Nach seiner Entlassung begann er sein Studium an der Katholischen Universität Lublin, wo er promovierte und arbeitete. Da die Behörden seine Habilitation blockierten, verließ er die Universität 1972.

Pfarrer Blachnicki bei der Jugendarbeit in den Sechzigerjahren des 20. Jh.

Blachnicki kehrte bereits in den 1960er-Jahren  zu den Ideen der Oase, eines sehr attraktiven Modells der Evangelisierung von Kindern und Jugendlichen, zurück, aus dem die Bewegung „Lebendige Kirche” und 1976 die Bewegung „Licht-Leben” hervorgingen. Die Oase-Bewegung, deren informelle Hauptstadt Krościenko wurde, ein Dorf und Kurort ca. 110 Kilometer südlich von Kraków, direkt an der slowakischen Grenze, zog Tausende von jungen Menschen an. Die Aktivitäten von Pater Blachnicki waren ein wirksamer Schlag gegen die von den Kommunisten konsequent betriebene Atheisierung und Säkularisierung.

Die enorme Bandbreite der Aktivitäten von Pater Blachnicki in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war in diesem Teil Europas nahezu beispiellos. Unter den Bedingungen eines kommunistischen Staates schuf er eine Massenbewegung, die mit ihrem Programm Hunderttausende von jungen Menschen erfasste. Die Idee der Oase-Bewegung gründet auf einer ganzheitlichen Pädagogik, in der nicht nur Einzelne, sondern ganze Gemeinschaften heranwuchsen. Sie hat das heutige Gesicht der Kirche in Polen und auch das Polens selbst geprägt.

Obwohl die kommunistischen Behörden es verboten haben, entsteht 1979 unter der Leitung von Pfarrer Blachnicki (r. i. B.) in Krościenko ein provisorisches Amphitheater für eine katholische Jugend-Großveranstaltung

Die Erfahrung, gemeinsam zu beten, zu singen oder an der Eucharistie teilzunehmen, hat bei jungen Menschen einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen. Von nun an verbanden sie die Kirche nicht nur mit der Hierarchie, sondern auch mit einer Gemeinschaft von Menschen und mit einer persönlichen Begegnung mit Gott. Das war das Ziel der Oase, die Pater Blachnicki der Licht-Leben-Bewegung vorangestellt hat. Es ging darum, Generationen von Katholiken heranzuziehen, die die Kirche als ihren Ort betrachten um Verantwortung für sie übernehmen zu können.

Abgabe von Beitrittserklärungen zum Kreuzzug zur Befreiung des Menschen, den Pfarrer Blachnicki 1979 ausgerufen hat. Der Beitretende verpflichtete sich, in den folgenden zwölf Monaten keinen Alkohol zu kaufen, zu trinken oder anderen Alkohol anzubieten

Über ihre Aufgaben sagte er Folgendes: „Wenn die Oase-Bewegung bei einer rein religiösen oder erzieherischen Tätigkeit stehen geblieben wäre und gesagt hätte: Wir mischen uns nicht in andere Angelegenheiten ein, denn das ist Politik, dann hätte die Bewegung ihre eigenen Grundlagen geleugnet. Die Probe aufs Exempel für die Echtheit und Fruchtbarkeit einer Bewegung ist ja gerade die Tatsache, dass aus ihr verschiedene Formen des menschlichen Engagements erwachsen“.

All das führte zu weiteren Schikanen, Verhören und Durchsuchungen in der Wohnung von Pater Blachnicki. In einer Studie der polnischen Stasi ist zu lesen: „Die Führung der Bewegung hatte als Hauptziel, sich der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft und dem sozialistischen Modell der Erziehung von Kindern und Jugendlichen entgegenzustellen. 1977 wurde eine spezielle Arbeitsgruppe gebildet, um die Oase-Bewegung zu untersuchen.” Pater Blachnicki konnte stets auf die Unterstützung des Krakauer Metropoliten Kardinal Karol Wojtyła zählen, was insofern von Bedeutung war, als die Staatssicherheit versuchte, die Kirchenhierarchie gegen den Priester auszuspielen, indem sie Gerüchte kolportierte, Blachnicki sei im Grunde ein Stasi-Zuträger.

Pfarrer Blachnicki mit Karol Wojtyła, dem damaligen Erzbischof von Kraków

Im Jahr 1997 erinnerte sich Johannes Paul II. während einer Pilgerreise nach Polen: „Ich besuchte die Oasen an verschiedenen Orten in der Erzdiözese Krakau und verteidigte die Bewegung gegen die Bedrohungen, die von der Stasi ausgingen. Alle wussten es, sowohl die Priester als auch die Jugendlichen selbst, dass der Kardinal von Krakau mit ihnen war, dass er sie unterstützte, ihnen beistand und bereit war, sie im Falle einer Gefahr zu verteidigen“, sagte der Papst. Etwa zwei Millionen Polen sind durch die Oase-Bewegung gegangen. Sie waren es, die den Grundstein für Solidarność legten und die Zivilgesellschaft formten.

Sand ins Carlsberger Getriebe

1984 kamen die neuen Mitarbeiter des Pfarrers, das Ehepaar Andrzej und Jolanta Gontarczyk und ihr Sohn Gajusz, in Carlsberg an. Sie, promovierte Soziologin, war Assistenzprofessorin am Institut für Lehrerbildung in Łódź gewesen, er Leiter der örtlichen Zweigstelle des staatlichen Filmverleihunternehmens. Sie hatten sich an den Aktivitäten der Solidarność in Polen beteiligt und schienen eine der vielen polnischen Emigrantenfamilien der 1980er-Jahre zu sein, die Polens kommunistische Behörden ziehen ließen, in der Hoffnung, die politische Opposition dadurch ausbluten zu lassen. Jolanta Gontarczyk, geborene Lange, berief sich zudem auf ihre deutsche Abstammung. Ihr Vater hatte in der Wehrmacht gedient und nach dem Krieg änderte er seinen Namen in Piławski. Nun konnte die Familie nach ihrer Ankunft in der Bundesrepublik im September 1982, als „Spätaussiedler”, in Düsseldorf schnell Fuß fassen. Sie bekamen bald darauf die deutsche Staatsangehörigkeit, die sie bis heute, neben der polnischen, besitzen.

In Wirklichkeit waren beide Agenten der polnischen Staatssicherheit, die bereits Ende der 1970er-Jahre angeworben wurden und vor ihrer Ausreise auf die Solidarność in Łódź angesetzt waren. Jetzt erhielten sie die Decknamen „Yon” und „Panna” („Jungfrau”). Ab Frühjahr 1982 hatte man das Agentenduo intensiv nachrichtendienstlich geschult, bevor es im Herbst nach Westdeutschland aufbrechen konnte. Sie waren gut abgeschirmt. Ihre verschlüsselten Nachrichten schickten sie an eine konspirative Adresse im oberschlesischen Gliwice. Ihr Betreuer war kein in Westdeutschland tätiger Geheimdienstmitarbeiter, sondern ein in Österreich wirkender polnischer Stasi-Offizier, mit dem sie sich in Salzburg oder im jugoslawischen Split trafen.

Das Ehepaar Gontarczyk während seiner Zeit in Carlsberg

All das zeigt, welch enorme Bedeutung die kommunistischen Behörden Pater Blachnickis Tätigkeit beimaßen. Ein Jahr lang schlichen sich ihre Agenten behutsam und beharrlich ins Vertrauen des immer noch gutgläubigen und in geschäftlichen Dingen im Westen etwas unbedarften Pfarrers ein. Dann erst zogen sie von Düsseldorf nach Carlsberg um. Się gaben sich tüchtig und verbindlich und boten sich dadurch als nützliche Helfer bei der Umsetzung der ambitionierten Pläne des Geistlichen, dem die dabei auftauchenden Probleme über den Kopf zu wachsen drohten, an.

Zu ihren operativen geheimdienstlichen Aufgaben gehörte es, die Aktivitäten des Marianum-Zentrums und des ChSWN zu kontrollieren und zu beeinflussen, die Kontakte Pater Blachnickis zum polnischen Episkopat und zum Vatikan auszuspähen, Informationen über polnische Emigrantengruppen in Westdeutschland zu beschaffen und deren eventuelle Verbindungen zu den US-amerikanischen und westdeutschen Geheimdiensten zu ermitteln.

Unterdessen betraute Pater Blachnicki die Gontarczyks mit immer wichtigeren Aufgaben. Bereits im Juni 1985 wurde Jolanta Gontarczyk Präsidentin des Christlichen Dienstes zur Befreiung der Völker (ChSWN), und ihr Ehemann wurde Berater im Vorstand des ChSWN. Im April 1986 übertrug ihnen Pater Blachnicki weitere wichtige Funktionen: Jolanta Gontarczyk war von nun an in Carlsberg verantwortlich für die Verwaltung und den Empfang sowie den ChSWN, Andrzej Gontarczyk leitete die Druckerei, den Informationsdienst und das audiovisuelle Studio.

Das Agentenduo konnte nun mit der Sabotage beginnen. Jolanta Gontarczyk verschuldete das Zentrum, indem sie Dokumente unterschlug und manipulierte. Ihr Mann beschädigte unauffällig die Maschinen in dem modernen Druckzentrum, das durch kommerzielle Aufträge Geld für Pater Blachnickis Vorhaben verdienen sollte. Immer wieder wurden Druckfristen nicht eingehalten, die Druckqualität entsprach nicht dem vereinbarten Standard, Vertragsstrafen wurden fällig, Druckmaterial ging verloren, Reparaturen mussten vorgenommen werden. Es hieß, die Geräte seien eben störanfällig.

In den letzten dreizehn Lebensmonaten von Pater Blachnicki sollten eigentlich annähernd 1,3 Millionen D-Mark eingenommen werden. Im Carlsberg-Zentrum reichte das Geld derweil nicht einmal für Benzin und Lebensmittel aus. Gegen Ende seines Lebens war der Priester angesichts des sich anbahnenden Desasters extrem überfordert und deprimiert.

Pater Blachnicki bereitete den Sohn des Ehepaars, das sein Werk auf so perfide Weise zerstörte, auf die Erstkommunion vor. Diese Zeremonie fand in Carlsberg statt. Zeugen berichten auch, dass die Gontarczyks fast jeden Tag in frevelhafter Weise die Heilige Kommunion empfingen und auch zur Beichte gingen. Deswegen seien Risse in der Ehe entstanden, denn es gab Zeiten, in denen Andrzej Gontarczyk die Last dieser Heuchelei und Scheinheiligkeit nicht ertragen konnte.

Tod in Carlsberg

Jolanta Gontarczyk vel Lange, die sich durch außergewöhnliche Rücksichtslosigkeit auszeichnete, war eine Art Krankenpflegerin für Pater Blachnicki. Sie kannte und besorgte alle seine Medikamente und verabreichte sie ihm tagsüber in der vom Arzt verordneten Reihenfolge. Selbst wenn es nicht Jolanta Gontarczyk oder ihr Ehemann waren, die die letzte Dosis des Giftes verabreichten, muss sie seine medizinischen Daten an die Zentrale weitergegeben haben. So konnten Fachleute des Geheimdienstes das richtige Gift in der richtigen Dosis vorbereiten.

In der zweiten Februarhälfte 1987 erhielt Pfarrer Blachnicki über Solidarność-Kanäle aus Brüssel die Warnung, die Gontarczyks seien auf ihn angesetzte Agenten. Der Hinweis kam aus Łódź, wo das Duo seine Zuträger-Karriere begonnen hatte, und wo man sich im Solidarność-Untergrundmilieu im Nachhinein auf erlittene Rückschläge und die Verbindung zu den Gontarczyks einen Reim machen konnte.

Pfarrer Blachnickis Sarg in Carlsberg

Am Abend des 26. Februar 1987 traf sich Pater Blachnicki mit seinen engsten Mitarbeiterinnen: Zuzanna Podlewska und Grażyna Sobieraj. Er sagte ihnen, dass die Gontarczyks das Maximilianum in den Ruin getrieben hätten, und kündigte an, am nächsten Tag ein entscheidendes Gespräch mit ihnen zu führen.

Das Gespräch mit Andrzej Gontarczyk, der für die Druckerei zuständig war, verlief nach Zeugenaussagen stürmisch. Es soll zu Handgreiflichkeiten gekommen sein. Gegen Mittag kehrte der Priester in seine Wohnung zurück und fühlte sich krank. Die Qualen setzten nach dem Mittagessen ein. Der Priester bekam einen Erstickungsanfall, musste stark husten, fiel in Ohnmacht.

Dr. Reiner Fritsch, der seit 1982 sein behandelnder Arzt war, wurde hinzugezogen. Er versuchte, den Kranken zu retten, aber die durchgeführten Maßnahmen, darunter eine Injektion ins Herz, schlugen fehl, und Pater Blachnicki starb am Nachmittag. Während des Todeskampfes und nach dem Eintritt des Todes trat aus seinem Mund ein starkes, schaumiges Sekret aus, das mit Papiertüchern abgewischt wurde. Dies führte zu dem Verdacht, dass der Tod durch eine Vergiftung verursacht worden sein könnte. Da jedoch niemandem etwas vorgeworfen wurde, gab es keine Grundlage für eine Autopsie. Dr. Fritsch kam zu dem Schluss, dass die Todesursache eine Lungenembolie war, die in Verbindung mit einem fortgeschrittenen Diabetes zum Tod führte.

Den Agenten geht es gut

Das wirklich Unfassbare geschah aber erst nach Pater Blachnickis Tod. Das enttarnte Agentenehepaar ist nicht etwa Hals über Kopf geflüchtet, sondern lebte, als wäre nichts geschehen, noch ein ganzes Jahr lang in der Bundesrepublik. Einige Monate später war der Verdacht gegen die Gontarczyks bereits so stark, dass auf der Hauptversammlung des Vereins des Christlichen Dienstes zur Befreiung der Völker (ChSWN), dessen Vorsitzende Jolanta Gontarczyk vel Lange auf Empfehlung von Pater Blachnicki war, der Vorwurf der Agentenkollaboration gegen sie erhoben wurde. Dennoch geschah nichts, obwohl westdeutsche Geheimdienste, der Verfassungsschutz und der BND, im Bilde waren. Erst im April 1988, rechtzeitig vor der bevorstehenden Verhaftung gewarnt, wurde das Duo mit Kind von der polnischen Stasi auf dem Landweg über Ӧsterreich, Jugoslawien nach Budapest evakuiert und von dort nach Warschau ausgeflogen. Die westdeutschen Stellen drückten offensichtlich beide Augen zu und waren froh, sich so des Problems der lästigen „Emigrantenquerelen” entledigt zu haben.

In Polen angekommen bekamen die Gontarczyks 10.000 DM als Rückerstattung ihres in Westdeutschland zurückgelassenen persönlichen Vermögens sowie 1.000 US-Dollar für die Renovierung einer sehr großen Wohnung im Warschauer Stadtzentrum, in der Poznańska-Straße, die sie aus einem Wohnungspool der Staatssicherheit erhalten hatten (zuvor war sie die Kontaktadresse mit dem Decknamen „Czanel II“, in der sich Führungsoffiziere mit ihren IMs trafen). Nach dem Ende des Kommunismus gelang es den Gontarczyks, die Wohnung zu privatisieren, und sie um das Jahr 2000 äußerst gewinnbringend zu verkaufen.

Die Ehe zerbrach. Andrzej Gontarczyk lebt heute zurückgezogen in Łódź. Seine geschiedene Frau hingegen, heute Jolanta Lange, scheut in  Warschau keineswegs das Licht der Ӧffentlichkeit. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Vereins „Pro Humanum”, dessen „Aktivitäten darauf abzielen, eine offene Zivilgesellschaft aufzubauen, Diskriminierung zu bekämpfen und soziale Ausgrenzung zu verhindern”, so die Selbstdarstellung.

Jolanta Gontarczyk 1988 und Jolanta Lange heute

Bevor ihre wahre Identität im Jahr 2005 publik wurde, engagierte sich Jolanta Lange im radikalfeministischen Flügel der postkommunistischen Allianz der Demokratischen Linken (SLD). Nachdem die Postkommunisten im Jahr 2001 die Wahlen gewonnen hatten und regierende Partei wurden, bekleidete sie einen hohen Posten im Innenministerium, den sie nach ihrer Enttarnung durch die Medien räumen musste.

Der Oberbürgermeister von Warschau Rafał Trzaskowski und Jolanta Lange

Obwohl die Vergangenheit Jolanta Langes bestens bekannt war, gewährte die Stadt Warschau, die vom führenden Politiker der Bürgerplattform und ihrem Präsidentschaftskandidaten 2020 Rafał Trzaskowski regiert wird, im Jahr 2019 „Pro Humanum” einen Zuschuss von umgerechnet gut 400.000 Euro. Im Dezember 2022 wurde ein weiterer Zuschuss von umgerechnet 270.000 Euro gewährt. Beide Summen für ein vom Verein betriebenes „Multikulturelles Zentrum”. Trzaskowski sieht auch nichts Unpassendes darin, sich mit der ehemaligen rücksichtslosen Stasi-Agentin in der Ӧffentlichkeit zu zeigen.

Jolanta Lange gehört heute zu den führenden Persönlichkeiten der Warschauer linken Szene, setzt sich für LGBTQ-Belange ein, predigt Toleranz und Gleichberechtigung. Ihr unmittelbarer Chef, der Stasi-Oberst Aleksander Makowski, gehört heute zu den führenden Sicherheitsexperten des wichtigsten oppositionellen Fernsehsenders TVN. Der „Pro Humanum”-Vorstand steht derweil fest an Jolanta Langes Seite und „ist sich bewusst, dass diese Angriffe Teil einer größeren Hasskampagne gegen diejenigen sind, die sich für gleiche Bürgerrechte und gegen Diskriminierung einsetzen”, so die offizielle Stellungnahme.

Nach neuesten Berichten hat sich Jolanta Lange im Frühjahr 2023 nach Neuseeland abgesetzt.

Am 6. August 2023 verlieh Staatspräsident Andrzej Duda Pfarrer Franciszek Blachnicki postum die höchste polnische Auszeichnung, den Orden des Weißen Adlers.

© RdP




Kein Pardon 1. Polens Strafrecht wird verschärft

Täter sollen sich fürchten.

Die vom Sejm verabschiedete Änderung des Strafgesetzbuches sieht unter anderem die Einführung einer absoluten lebenslangen Freiheitsstrafe mit feststehender Strafverbüßung bis zum Tode, die Abschaffung der Verjährungsfrist für bestimmte Sexualstraftaten und die Beschlagnahmung von Fahrzeugen, deren Fahrer Alkohol oder Drogen konsumiert haben, vor.

Besserer Schutz durch höhere Strafen

Wie die Verfasser der Strafrechtsnovelle betonen, besteht das Hauptziel der Änderungen darin, den Schutz vor schwersten Straftaten zu verstärken: Gegen die sexuelle Freiheit, insbesondere zum Nachteil von Minderjährigen, bei Verkehrsdelikten, die im Alkoholrausch oder unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln begangen werden. Der Weg zu mehr Schutz führt über höhere Haftstrafen. In erster Linie durch die Anhebung der Strafobergrenze von 15 auf 30 Jahre, die Abschaffung der gesonderten Haftstrafe von 25 Jahren und die Einführung einer absoluten lebenslangen Haftstrafe. Bis jetzt galt ein dreistufiges System: Haftstrafen bis zu 15 Jahren, dann 25 Jahre und anschließend die Höchststrafe lebenslänglich.

Die Verschärfung der strafrechtlich auferlegten Verantwortung stößt auf Kritik derjenigen, die Haftstrafen auch als eine erzieherische Maßnahme betrachten. Sie betonen, dass beides, sowohl die Unvermeidlichkeit von Strafen als auch die Resozialisierung von Gefangenen, wichtig ist. Aus diesem Grund halten sie beispielsweise die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters für Jugendliche von 15 auf 14 Jahre für einen Fehler. Sie argumentieren, dass die Inhaftierung eines Straftäters in einem so jungen Alter nicht sicherstellt, dass er in Zukunft keine Straftaten mehr begeht. Die Gefahr bestehe, dass er, wenn er unter älteren Straftätern lebt, deren Verhaltenskodex übernimmt.

Das Justizministerium entgegnet, dass die Änderungen nur für schwerste Straftaten und Wiederholungstäter vorgesehen sind, und in solchen Fällen müsse das Wohl der Bevölkerung an erster Stelle stehen. Dementsprechend beginnt die Vorstellung der neuen Regelungen auf der Website des Ministeriums mit zwei Aussagen, die gleichsam das Motto der Reform darstellen: „Kriminelle müssen sich fürchten“ und „Die Polen müssen sich sicher fühlen“. Das Ministerium beruft sich dabei auf eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CBOS, die zeigt, dass 69 Prozent der Polen strengere Strafen für Straftäter befürworten.

Die absolute lebenslange Freiheitsstrafe

Vor einigen Jahren erlangte der Fall des Serienmörders und Pädophilen Mariusz Trynkiewicz Berühmtheit. Er wurde 1989 zu viermal lebenslänglich verurteilt. Nach einer Amnestie hat man das Urteil jedoch in 25 Jahre Gefängnis umgewandelt. Im Jahr 2014 sollte Trynkiewicz nach Verbüßung seiner Strafe entlassen werden. Das Gericht befand jedoch, dass der Mann immer noch eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle, und ordnete eine Sicherheitsverwahrung in der Sonderanstalt in Gostynin an. In den folgenden Jahren wurde er wiederholt wegen Besitzes von Kinderpornografie zu insgesamt sechs Jahren Gefängnis verurteilt, zuletzt im Jahr 2021.

Die Novelle ändert diese absurde Situation. Sie sieht eine lebenslange Freiheitsstrafe, ohne die Möglichkeit sie auf Bewährung auszusetzen, vor, wenn die Umstände der Tat sowie das Verhalten und der Charakter des Täters darauf hindeuten, dass seine Entlassung eine ständige Gefahr für das Leben, die Gesundheit, die Freiheit oder die sexuelle Freiheit anderer darstellt. Die lebenslange absolute Haft droht auch Wiederholungstätern, die erneut einen Mord, eine schwere Sexualstraftat oder einen Terroranschlag begehen.

Die Frist, nach der „einfach“ lebenslänglich Verurteilte eine bedingte Entlassung beantragen können, wurde von 25 auf 30 Jahre verlängert. Die Bewährungszeit bei einer bedingten Entlassung währt dann bis zum Tode. Aktuell sind es noch 10 Jahre. Die Verjährungsfrist für Mord wird ebenfalls heraufgesetzt: von 30 auf 40 Jahre.

Straftaten ohne Verjährungsfrist

Sexualstraftaten haben sehr oft tragische Folgen für das Leben der Opfer. Ein Beitrag zur Überwindung solcher traumatischen Situationen ist die Bestrafung des Täters, die es dem Opfer leichter macht, sich nicht mehr selbst die Schuld am Erlebten zu geben. Bislang war diese Möglichkeit durch die Verjährungsfrist eingeschränkt. Bei Pädophilen beispielsweise waren es fünf Jahre, in besonders schweren Fällen 10 Jahre. Da es sich bei den Opfern um Kinder handelt, ist die Straftat oft schon verjährt, wenn sie das Erwachsenenalter erreicht haben und psychisch reif genug sind, Anzeige zu erstatten.

Nach Inkrafttreten der Novelle wird der Katalog der Straftaten, die nicht verjähren, um die Vergewaltigung eines Minderjährigen unter 15 Jahren erweitert. Andere pädophile Straftaten verjähren erst, wenn das Opfer das Alter von 40 Jahren erreicht hat. Das Strafmaß für Pädophilie wird verschärft: Die Vergewaltigung eines Kindes wird mit 5 bis 30 Jahren Gefängnis oder lebenslänglicher Haft bestraft. Gegenwärtig geht ein Verurteilter für 3 bis 15 Jahre ins Gefängnis.

Ebenfalls erhöht wird die Strafe bei Sexualdelikten gegen Erwachsene. Wurden sie mit besonderer Grausamkeit begangen, gibt es keine Verjährungsfristen mehr. Eine Vergewaltigung, bei der der Täter besondere Grausamkeit an den Tag legte, wird mit 5 bis 30 Jahren Gefängnis oder lebenslänglicher Haft bestraft (heute sind es bis zu 15 Jahre Gefängnis). Die gleiche Strafe gilt, wenn auf die Vergewaltigung eine schwere Körperverletzung folgt (derzeitiges Strafmaß liegt zwischen 2 und 12 Jahren).

Die Novelle enthält des Weiteren neue qualifizierte Vergewaltigungstatbestände, z. B. Vergewaltigung einer Schwangeren, Vergewaltigung unter Bedrohung mit einer Waffe oder Vergewaltigung mit Bild- und Tonaufzeichnung der Tat. Diese werden derzeit mit 2 bis 12 Jahren Haft bestraft, nach der Änderung mit 3 bis 20 Jahren.

Bei Trunkenheit am Steuer wird das Auto konfisziert

Für viel Aufregung sorgt die neue Bestimmung, die neben dem Entzug der Fahrerlaubnis vorsieht, dass ein Fahrzeug ab 1,5 Promille Alkohol im Blut des Fahrers beschlagnahmt werden muss. Das geschieht unabhängig davon, ob er einen Verkehrsunfall verursacht hat oder nicht. Die Polizei beschlagnahmt den Wagen umgehend für bis zu sieben Tage. In dieser Zeit entscheidet der Staatsanwalt über die Sicherstellung des Fahrzeugs und das Gericht muss die Beschlagnahme sanktionieren.

Kritiker weisen darauf hin, dass sich die Rolle des Gerichts in diesem Fall darauf beschränkt, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft automatisch zu akzeptieren, ohne dass es zu einem Prozess kommt. Unter besonderen Umständen kann das Gericht jedoch von der Anordnung des Entzugs des Fahrzeugs abweichen.

Für Wiederholungstäter im Straßenverkehr, die unter Alkoholeinfluss fahren, gibt es kein Pardon. Sie verlieren das Fahrzeug bereits, wenn der Test einen Blutalkoholgehalt von mehr als 0,5 Promille ergibt. Ist ein Wagen nicht das alleinige Eigentum eines Fahrers, ordnet das Gericht die Hinterlegung des Fahrzeuggegenwertes durch den Fahrer an. Die Wertermittlung des Fahrzeugs erfolgt ohne Einbeziehung von Sachverständigen. Sollte das Fahrzeug zusätzlich in einen Unfall verwickelt gewesen sein, wird der Wert vor diesem Ereignis angesetzt.

Die Strafen für das Fahren unter Alkoholeinfluss werden ebenfalls verschärft, z. B. bei schweren Verletzungen oder dem Tod eines Unfallopfers drohen bis zu 16 Jahre Gefängnis (derzeit bis zu 12 Jahre). Auch Mehrfachtäter bei solchen Unfällen müssen mit einer schweren Strafe rechnen. Bei wiederholter Trunkenheit am Steuer droht ihnen automatisch eine Gefängnisstrafe ohne Bewährung, bei Todesfolge sind es mindestens 5 Jahre.

Das Ministerium verteidigt diese Bestimmungen und weist darauf hin, dass Betrunkene am Steuer eine tödliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer darstellen. Es präsentiert auch eine Liste von EU-Ländern, in denen Fahrzeuge wegen Trunkenheit am Steuer beschlagnahmt werden. Dazu gehören Dänemark, die Schweiz, Frankreich, die Slowakei, Belgien, Finnland. Überall dort hat diese Maßnahme zu einem deutlichen Rückgang bei der Anzahl dieser Delikte geführt.

Protestierende Strafrechtler wurden nicht erhört

Mehr als 170 Strafrechtswissenschaftler appellierten an Staatspräsident Andrzej Duda, sein Veto gegen die Änderung einzulegen. Ihrer Ansicht nach „führt dieser Gesetzentwurf das polnische Strafrecht in die kommunistische Ära zurück“, da er die Resozialisierung als eines der Ziele der Bestrafung ausschließt und eine absolute lebenslange Freiheitsstrafe einführt, „die nach der Europäischen Menschenrechtskonvention verboten ist“. Die Verfasser weisen auch darauf hin, dass die Novelle Verfahrensmängel aufweist, da die Änderungen einiger Bestimmungen erst nach der ersten Lesung des Entwurfs in einer Sejm-Sitzung eingebracht wurden.

Der Staatspräsident teilte diese Einwände nicht und hat die Strafrechtsnovelle am 2. Dezember 2022 unterzeichnet. Sie wird am 3. März 2023 in Kraft treten.

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Kein Pardon 2. Polens Strafrechtsreform – die Gründe

Schwerverbrecher prüfen sehr wohl, was ihnen nach einer geplanten Straftat blühen kann.

Gespräch mit Marcin Warchoł, seit 2015 stellv. Justizminister, Jahrgang 1980, Strafjurist (Studium an der Warschauer Universität), Sejm-Abgeordneter der Partei Solidarna Polska (Solidarisches Polen), des Koalitionspartners von Recht und Gerechtigkeit im Rahmen der regierenden Vereinigten Rechten.

Marcin Warchoł.

Den Appell an den Staatspräsidenten, die Änderung des Strafgesetzbuches nicht zu unterzeichnen, haben 173 Strafrechtswissenschaftler unterschrieben. Sie sind der Meinung, dass es sich um eine Umkehrung des Strafrechts, hin zu dem der kommunistischen Zeit handelt. Sie erklären, dass es ihnen „schwerfällt zu verstehen, dass im 21. Jahrhundert, in einem Land, dessen Verfassung sich auf christliche und humanistische Werte beruft, die Resozialisierung als eines der Ziele der Strafe ausgeschlossen, und die nach der Europäischen Menschenrechtskonvention verbotene absolute lebenslange Freiheitsstrafe eingeführt wurde“. Offensichtlich sind die Strafjuristen in Polen über die Erhöhung der Freiheitsstrafen empört.

Der Staatspräsident, von Hause aus übrigens ebenfalls Jurist, ist darauf nicht eingegangen. Er hat die Strafrechtsnovelle unterzeichnet. In Polen gibt es etwa einhundert juristische Hochschulen. Allein an der juristischen Fakultät der Warschauer Universität lehren und forschen ca. 370 Rechtswissenschaftler. Die 173 Personen aus ganz Polen, die den Aufruf unterzeichnet haben, sind also in Wirklichkeit ein sehr kleiner Teil der juristischen Akademikerzunft. Die Vordenker dieses Vorhabens sind daher offensichtlich gescheitert. Tausende, wie von ihnen erwartet, schlossen sich ihrem Aufruf nicht an.

Ihr Ziel war es den Ist-Zustand beizubehalten und natürlich waren dabei auch Politik und Ehrgeiz mit im Spiel. Viele der Unterzeichner standen und stehen an vorderster Front der politischen Aktivitäten der „totalen Opposition“, wie sie sich selbst nennt: die Teilnahme an Straßenprotesten, das Anschwärzen polnischer Justizbehörden im Ausland, das Eintreten für den Erhalt und die Ausweitung des Richterstaates, den wir teilweise in Polen schon haben. Viele von ihnen äußerten und äußern sich strikt politisch, sehr oft in einer extremen, aggressiven und unwürdigen Weise. Ihre Eintragungen auf Twitter und Äußerungen anderenorts sind diesbezüglich leicht zu überprüfen.

Die Autoren des Protestbriefes sind zweifelsfrei Teilnehmer des politischen Konfliktes, den Polen seit dem Herbst 2015 und dem damaligen doppelten Wahlsieg der Nationalkonservativen (Staatspräsident und Parlament) erlebt, aber sie tragen auch juristische Gegenargumente vor.

Die Lösungen, die wir einführen, sind gleichbedeutend mit einer weitgehenden Änderung der polnischen Strafrechtsphilosophie. Das jetzt geltende Strafgesetzbuch von 1997 ist eindeutig täterorientiert ausgestaltet, es berücksichtigt in erster Linie deren Interessen.

Wie äußert sich das?

Nehmen wir die Urteile im Prozess gegen die Teilnehmer einer brutalen Schlägerei, bei der dem Opfer ein Tritt gegen den Kopf versetzt wurde, wobei die Absicht eindeutig darin bestand den Angegriffenen umzubringen. Das Opfer lag fast drei Monate lang im Krankenhaus und wurde anschließend über ein Jahr lang rehabilitiert, ohne dass es sein Sprechvermögen wiedererlangen konnte. Und wie hat es geendet? Einer der Täter wurde freigesprochen, ein anderer zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und der dritte kam nur deshalb ins Gefängnis, weil er zuvor bereits eine andere Strafe erhalten hatte.

Oder ein weiteres Beispiel. Kürzlich hat ein Appellationsgericht die Strafe für den Mittäter einer Vergewaltigung, die mit dem Tod einer Frau endete, umgewandelt. Das Opfer wurde brutal vergewaltigt, blutend in der Kälte zurückgelassen und starb. Das Gericht reduzierte die Strafe von 25 auf 15 Jahre Haft. Es gibt viele, wie wir meinen, zu viele, solcher Fälle.

Diejenigen, die sich gegen eine Änderung des Strafgesetzbuches aussprechen, wollen, dass alles so bleibt. Das Krakauer Juristenmilieu hatte bisher praktisch ein Monopol auf die Gestaltung und Auslegung des Strafrechts in Polen. Sie sind Vertreter der linksliberalen Schule des Strafrechts, die in den letzten Jahren in Polen dominierte. Sie sind nicht in der Lage zu akzeptieren, dass jemand neue Lösungen vorschlagen und eine andere Vision haben kann.

Der erste, der sich einer solchen Vorstellung vom Strafrecht widersetzte, war (der 2010 in der Smolensk-Flugzeugkatastrophe umgekommene Staatspräsident – Anm. RdP) Lech Kaczyński, als er das Amt des Justizministers bekleidete (Juni 2000 bis Juli 2001 – Anm. RdP). Sein Stellvertreter war damals der heutige Justizminister Zbigniew Ziobro. Als Professor Lech Kaczyński Justizminister und Generalstaatsanwalt wurde (in Polen sind diese beiden Ämter vereint – Anm. RdP), schlug er Alarm, dass das Strafgesetzbuch von 1997 zu ungerechten, übermäßig milden Strafen führt.

Wie soll man den Begriff „mild“ verstehen?

Lech Kaczyński wies darauf hin, dass nur 13 Prozent der damals für schwere Straftaten verhängten Strafen Freiheitsstrafen ohne Bewährung waren und dass jeder fünfte Mörder in den Genuss einer außerordentlichen Strafmilderung kam. Er kündigte Änderungen an, die vor allem darauf abzielten, die Strafuntergrenzen zu erhöhen. Er konnte dieses Vorhaben jedoch nicht umsetzen, weil er (2002 – Anm. RdP) die Wahl zum Oberbürgermeister von Warschau gewann. Im Jahr 2005 wurde er dann Staatspräsident.

Im Jahr 2007, fast am Ende der durch einen Koalitionsbruch und vorgezogene Parlamentswahlen unterbrochenen Amtsperiode der ersten nationalkonservativen Regierung (2005 bis 2007 unter Jarosław Kaczyński – Anm. RdP) brachte der damalige Justizminister Zbigniew Ziobro einen entsprechenden Entwurf im Sejm ein. Er konnte nicht mehr verabschiedet werden.

Die jetzige Änderung beruht auf der gleichen Philosophie. Nach 25 Jahren des Wartens ist in Polen endlich eine umfassende Reform des Strafrechts in Kraft getreten. Wir bewegen uns weg von einer Strafphilosophie, die den Täter schützt, hin zu einer Philosophie, die die Interessen des Opfers in den Mittelpunkt stellt und potenzielle Täter von der Begehung von Straftaten abhält. Die Strafen müssen nicht nur unvermeidbar, sondern auch schwerwiegend sein, wobei die Notwendigkeit einer Entschädigung des Opfers zu berücksichtigen ist und dazu führen muss, dass den Tätern der aus der Straftat gezogene Nutzen entzogen wird.

Stimmt es, dass eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt? Könnte es sein, dass aufgrund dieser Verschärfung andere Länder gefährliche Kriminelle nicht mehr an Polen ausliefern werden?

Nein. Erstens hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer Reihe von Urteilen zu diesem Thema geäußert und eine vielfältige Rechtsprechung vorgelegt. Im Falle Griechenlands hat er beispielsweise die Verhängung einer absoluten lebenslangen Freiheitsstrafe für zulässig erachtet, sofern es im Rechtssystem eine Lösung gibt, um die Vollstreckung dieser Strafe ausnahmsweise zu verkürzen, wie etwa den Gnadenakt des Staatspräsidenten. In Polen ist der Akt der Begnadigung ein verfassungsmäßiges Vorrecht des Staatsoberhauptes, so dass diese Bedingung vollständig erfüllt ist.

Zweitens gibt es beispielsweise im Vereinigten Königreich eine lebenslange Haftstrafe ohne Möglichkeit auf Freilassung. Dieses Land ist Mitglied des Europarates, und niemand will es aus dem Europarat hinauswerfen.

Drittens ist die absolute lebenslängliche Freiheitsstrafe auf die brutalsten Gewaltverbrecher beschränkt.

Es geht um zwei Fälle. Der erste ist, wenn wir es mit einem Straftäter zu tun haben, der dauerhaft extrem gefährlich ist. Schließlich erinnern wir uns an die „Lex Trynkiewicz“, als man befürchtete, dass dieser wegen brutaler pädophiler Verbrechen verurteilte Straftäter freikommen würde. Der zweite Fall ist der eines Wiederholungstäters, der wegen eines schweren Verbrechens gegen das Leben, die Gesundheit oder wegen einer terroristischen Straftat bereits zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt wurde und erneut ein schweres Verbrechen begangen hat, für das eine weitere lebenslange Freiheitsstrafe verhängt wurde. In beiden Fällen kann das Gericht die Möglichkeit einer bedingten Entlassung ausschließen, muss es aber nicht.

Bei der „normalen“ lebenslangen Haftstrafe gibt es mehr Veränderungen. Die Bewährungszeit nach einer bedingten Entlassung wird von 10 Jahren auf bis zum Lebensende verlängert. Was bedeutet das eigentlich?

Wir verlängern diese Bewährungszeit, weil wir eine sehr hohe Rückfallquote haben. Etwa 40 Prozent der Straftäter werden innerhalb von fünf Jahren nach ihrer Tat wieder kriminell. Es handelt sich oft um sehr gewalttätige Verbrecher, und die Justiz sollte in solchen Fällen eine lebenslange Kontrolle ausüben.

Der allgemeine Einwand der protestierenden Strafrechtler richtet sich gegen die Erhöhung der Strafen an sich. Sie halten es für ein Dogma, dass die Höhe der Strafe keine Rolle spielt und dass alles durch die magische „Unvermeidlichkeit“ geregelt wird. Ich denke, wir haben in Polen einen neuen Beweis dafür, dass sich dieses Dogma bei Verkehrsdelikten als unwahr erwiesen hat. Es reichte aus, die Bußgelder im Straßenverkehr nach 30 Jahren der heutigen Einkommenslage anzupassen, damit die Autofahrer vorsichtiger fahren und 30 Prozent weniger tödliche Unfälle verursachen als vor der Pandemie.

So ist es. Die Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit nach der Änderung der Rechtsvorschriften ist enorm. Es funktioniert einfach. Die Wirkung einer rationalen Erhöhung der Strafen auf die Verringerung der Kriminalität wurde wiederholt und überzeugend durch die sogenannte ökonomische Analyse der Straffälligkeit nachgewiesen, die insbesondere von Kriminologen in den angelsächsischen und skandinavischen Ländern angewandt wurde. Lassen wir also die linksliberalen Märchen beiseite, dass der Verbrecher nur die Unausweichlichkeit der Strafe im Auge hat. Er prüft auch, was ihm nach der geplanten Straftat blüht. Es lohnt sich also, das Strafgesetzbuch in einer vernünftigen Weise zu ändern.

Hat die Erhöhung der Strafen in anderen Bereichen zur Verringerung der Fallquoten geführt?

Ja. Nehmen wir zum Beispiel die Erhebung von Unterhaltszahlungen. Als Zbigniew Ziobro 2015 zum zweiten Mal Justizminister wurde, lag Polen in dieser Hinsicht an vorletzter Stelle in Europa. Gegenwärtig haben wir bereits eine Verbesserung von über 230 Prozent bei der Eintreibung von Unterhaltszahlungen, dank der Gesetzesänderungen.

Das zweite Beispiel ist der gigantische Anstieg der Mehrwertsteuereinnahmen. Alles, was wir tun mussten, war, Dinge, wie die Ausstellung einer gefälschten Rechnung, in die neuen Straftatbestände aufzunehmen und sie mit sehr harten Sanktionen zu versehen. Und schon funktionierte es. Nachdem diese Änderungen im März 2017 in Kraft traten, betrug die Steigerung der Steuereinnahmen auf Anhieb fast über 30 Milliarden Zloty (ca. 6,3 Milliarden Euro – Anm. RdP). Tendenz steigend!

Das dritte Beispiel sind die Designerdrogen. Wir haben eine Haftstrafe von bis zu 3 Jahren für deren Besitz und bis zu 12 Jahren für den Handel damit eingeführt. Zusätzlich haben wir eine Regelung eingeführt, die verhindert, dass Kriminelle, die den Designerdrogen neue Substanzen beimischen, sich der Verantwortung entziehen können. Damals versuchte der sogenannte „Designerdrogen-König“ durch Auftragsmörder den Justizminister zu beseitigen. Das zeigt am besten, dass Straftäter die Dimensionen der Strafe berechnen und berücksichtigen.

Die Beschlagnahmung von Fahrzeugen betrunkener Fahrer, die in der Strafrechtsnovelle enthalten ist, ist ein interessantes Thema. Sie ist bei den Juristen für Strafrecht nicht so stark umstritten. Wissen Sie warum?

Es handelt sich leider mehrheitlich um von der Wirklichkeit losgelöste Theoretiker. Sie kommen mit kriminellen Praktiken zumeist nur im Straßenverkehr in Berührung. Wenn sie über eine hypothetische Gefahr sprechen, die sie nicht bedroht, halten sie sich vornehm zurück und sehen vor allem die Probleme der Verbrecher.

Wenn sie jedoch ihr Büro an der Universität verlassen und sich auf der Straße wiederfinden, ist der betrunkene Fahrer auch für sie eine echte Bedrohung, die sie fürchten. Und sie sehen, dass eine solche Bedrohung wirksam verringert werden kann. Deshalb akzeptieren sie in diesem Fall unsere Lösungen oder nehmen sie wenigsten schweigend in Kauf.

Schade jedoch, dass sie sich nicht mit der Angst der normalen Bürger identifizieren, die, wie diese Professoren, Angst vor betrunkenen Autofahrern, aber ebenso vor anderen Verbrechern haben. Das ist der beste Test für die Ehrlichkeit der Absichten dieser Akademiker. Ich kann nur hinzufügen, dass die Beschlagnahme der Autos betrunkener oder durch Rauschgift betäubter Fahrer von etwa 65 Prozent der Öffentlichkeit unterstützt wird.

Das neue Strafgesetzbuch sieht 2 bis 15 Jahre für die Annahme eines Tötungsbefehls oder die Vorbereitung einer Tötung vor. Die Gegner der Änderung behaupten, dass damit „Gedankenverbrechen“ bestraft werden, weil man ja noch nichts getan hat.

Das ist doch Unsinn! Heute gibt es eine Strafe für die Vorbereitung von Geldfälschungen. Mord ist ein viel schwereres Verbrechen. Stellen Sie sich vor, ein Rückfalltäter, der ein schweres Verbrechen begangen hat, ist gerade aus dem Gefängnis entlassen worden. Und unsere liberalen Gesetze führen dazu, dass 40 Prozent der Menschen wie er wieder in die Kriminalität zurückkehren. Und dann wird er mit einem detaillierten Plan der Wohnung einer Person festgenommen, mit Fotos der Kinder, mit einer Liste, wer im Haus ein- und ausgeht und wann die Kinder von der Schule zurückkommen. Was ist das also? Das ist Vorbereitung. Soll sie weiterhin straffrei bleiben? Sollten wir das einfach so lassen? Auf keinen Fall!

Dr. Mikołaj Małecki, Strafjurist an der Jagiellonen-Universität in Kraków, weist im Internet darauf hin, dass die Novelle eine Haftstrafe von insgesamt bis zu 30 Jahren für Bagatelldiebstahl vorsieht.

Ich weiß natürlich nicht, ob der von Ihnen zitierte Wissenschaftler sich nur so anstellt oder wirklich so schwer von Begriff ist. Hier handelt es sich doch eindeutig um Täter, die ihr Leben auf zynische Weise so geplant haben, dass sie es durch Kriminalität bestreiten, Häuser, Wohnungen und Autos anderer Leute in Serie ausrauben oder stehlen. Es gibt Rekordhalter, die Hunderte solcher Straftaten auf dem Buckel haben.

Die bisherige Gesetzeslage war so, dass jede weitere Straftat stärker belohnt wurde, weil der Täter auch bei mehreren hundert Diebstählen, die in kurzen Abständen begangen wurden, so bestraft wurde, als hätte er eine einzige Straftat begangen. Eine unvernünftigere und zugleich ungerechtere Lösung lässt sich nur schwer finden.

In der Novelle haben wir auch einen neuen Straftatbestand eingeführt, den „besonders dreisten Diebstahl“, wenn zum Beispiel jemandem auf der Straße das Telefon oder die Handtasche entrissen oder Taschendiebstahl begangen wird. Nichts untergräbt bei Opfern und Strafverfolgungsbeamten mehr den Glauben an die Gerechtigkeit, als zu sehen, wie ein Taschendieb am nächsten Tag, nachdem er gefasst wurde, wieder seinen kriminellen Aktivitäten nachgeht. Heute erhält ein solch dreister Dieb oft nur eine Geldstrafe, die geringer ist als der Wert seiner Beute, und seine Tat wird oft als Ordnungswidrigkeit behandelt. Es zahlt sich für ihn aus, weiter zu stehlen. Unsere Lösung tritt dieser Situation wirksam entgegen.

Bei all diesen Verschärfungen im Strafgesetzbuch gibt es eine Änderung, die nicht damit zusammenhängt, und den Eindruck vermittelt, als wäre sie genau das Gegenteil der bisher geschilderten Maßnahmen. Sie haben die Schwelle, bis zu der eine Handlung eine Ordnungswidrigkeit darstellt, von 500 Zloty (ca. 105 Euro – Anm. RdP) auf 800 Zloty (ca. 170 Euro – Anm. RdP) angehoben. Diebe können nun für 300 Zloty mehr stehlen, ohne sich strafbar zu machen. Wie kam es zu dieser Idee?

Ab dem 1. Januar 2023 wird der Mindestlohn 3.490 Zloty (ca. 740 Euro – Anm. RdP) betragen. Das bedeutet eine Erhöhung um 480 Zloty (ca. 102 Euro – Anm. RdP) gegenüber dem 2022 geltenden Betrag, d. h. eine Anhebung um ganze 15,9 Prozent. Das ist viel. Es war schon immer so, dass ein Viertel des vorgeschriebenen Mindestlohnes die Grenze zwischen einem Vergehen zu einem Verbrechen bildete. Wenn also der Mindestlohn gestiegen ist, muss auch der Schwellenwert steigen, damit die Täter unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Tat vergleichbar behandelt werden.

RdP

Das Interview erschien im Wochenmagazin „Do Rzeczy“ („Zur Sache“) vom 7. Dezember 2022.




Krimineller Export spült Arzneien fort

Polens Patienten sind die Leidtragenden.

Auch in Polen quellen die Apothekenregale über. Wenn jedoch Patienten die eine oder andere Arznei kaufen wollen, lautet die Auskunft oftmals: „Haben wir nicht“. Die Medikamentenmafia war, wieder einmal, schneller. Endlich soll es den Ganoven nun an den Kragen gehen.

Die Liste der Präparate, die schwer oder gar nicht zu bekommen sind, wies im Spätherbst 2018 knapp zweihundert Produkte aus. So läuft es seit Jahren, lediglich die einzelnen Arzneien im Verzeichnis variieren.

Mangelware in Polen, bei Veröffentlichung der letzten Übersicht, waren zum Beispiel: Diprophos – ein Hormonpräparat gegen starkes Rheuma. Rudotel – gegen Angstzustände. Elin – ein Verhütungsmittel neuester Generation. Die Liste umfasst auch Medikamente gegen Lungenerkrankungen (z.B. Berodual), Insuline (zwanzig Posten), Gerinnungshemmer (z. B. Clexane), Arzneien gegen Schizophrenie und Epilepsie, zudem Impfstoffe für Kinder und Milchersatzpräparate.

Fachleute sprechen von einer „umgekehrten Lieferkette“. Medikamente aus dem Groβhandel und aus Apotheken werden gesetzeswidrig nach Westeuropa verbracht, wo die Preise deutlich höher sind. Beispielsweise kostet der Gerinnungshemmer Clexane in Polen umgerechnet knapp 25 Euro, in Deutschland das Vierfache pro Packung und Neulasta gegen Folgen der Chemotherapie 715 Euro, in Deutschland hingegen 1.740 Euro. Wem es gelingt eine gröβere Partie über die Grenze zu bringen, der hat schnell einige Zehntausend Euro verdient.

Umgekehrte Lieferkette.

 

Polen – Westeuropa. Woher rühren solche Preisunterschiede?

Um die bis dahin extrem hohen Apothekenpreise bestimmter Medikamente zu drücken, wurde für diese verschreibungspflichtigen Arzneimittel in Polen 2012 eine Preisbremse eingeführt. Man findet diese Produkte im so genannten „Verzeichnis erstattungsfähiger Arzneimittel“, das seit September 2018 gut 4.300 Präparate umfasst (2012 waren es etwas mehr als 3.300).

Darunter befinden sich so genannte Grundarzneimittel, für die ein Pauschalbetrag von 3,20 Zloty (ca. 0,80 Euro) gezahlt wird, und so genannte ergänzende Arzneimittel, für die der Patient 30 beziehungsweise 50 Prozent des Preises zu entrichten hat. Für Medikamente auβerhalb des Verzeichnisses zahlen Patienten den vollen Marktpreis.

Das „Verzeichnis erstattungsfähiger Arzneimittel“ wird sechsmal im Jahr neu festgelegt und das Gesundheitsministerium verhandelt jedes Mal die Preise mit den Herstellern neu. Diese gewähren erhebliche Preisnachlässe, denn sie wollen unbedingt mit ihren Produkten in das „Verzeichnis erstattungsfähiger Arzneimittel“ aufgenommen werden, da ihre Medikamente auf dem freien Apothekenmarkt für die meisten polnischen Normalverbraucher, oft Rentner, schlicht unerschwinglich sind.

Die Preise sind genau festgelegt, die Gewinnmargen begrenzt, und zwar EU-weit auf das, nach Litauen (14 Prozent), zweitniedrigste Niveau in Höhe von 16 Prozent. Zum Vergleich: Deutschland 24, Griechenland 35, Luxemburg 48 Prozent.

Dementsprechend kosten in Polen Medikamente, wie Atrovent und Berodual (gegen Bronchitis) im Durchschnitt 42, beziehungsweise 50 Prozent weniger als in Deutschland. Fragmin und Fraxiparine (gegen tiefe Venenthrombose) 43, beziehungsweise 33 Prozent weniger. Vesicare (gegen häufigen Harndrang) 46 Prozent, Xarelto (gegen Venenthrombose) 40 Prozent weniger usw., usf.

Das Ergebnis: die Medikamentenpreise sind im EU-Vergleich niedrig, aber manche Arzneien kann man, wegen krimineller Machenschaften, nur schwer bekommen. Wobei gesagt werden muss: für die meisten polnischen Patienten sind die Preise vieler Medikamente aus dem „Verzeichnis erstattungsfähiger Arzneimittel“ immer noch sehr hoch. Für das besagte Vesicare müssen sie umgerechnet 25 Euro bezahlen, für Xarelto ca. 35 Euro pro Packung. Dabei betrug der in Polen statistisch am häufigsten gezahlte Lohn 2018 ca. 610 Euro brutto.

Deswegen wurde das Programm Medikamente 75 +, wie im Wahlkampf 2015 versprochen, noch von der Regierung Beata Szydło eingeführt. Knapp 1.200 Arzneimittel, die vor allem im hohen Alter benötigt werden, bekommen Rentner über 75 Jahre kostenlos verschrieben.

Lesenswert: „Wieviel verdienen die Polen 2018“

Der Dreh

Im Mai 2018 ist der polnischen Polizei eine siebenköpfige Bande ins Netz gegangen, die 2017 und Anfang 2018 landesweit Medikamente im Wert von umgerechnet 25 Millionen Euro zusammengetragen und auβer Landes geschafft hat. Der Fall ist exemplarisch für das Vorgehen der Betrüger.
Unter den Festgenommenen waren mehrere Apotheker, ein Arzt, der Eigentümer eines Pharma-Groβhandelsunternehmens und seine Mitarbeiter. Einige hundert Apotheken fungierten als Zulieferer.

Der Groβhandelsunternehmer gründete in einem heruntergekommenen Gewerbegebiet bei Lublin eine GmbH für Arztdienstleistungen. Sie bestand aus einem Zimmer. Einmal in der Woche, laut Info-Tafel an der Tür, war Sprechstunde zu der jedoch nie ein Patient erschien.

Statt Patienten zu behandeln war ein Arzt damit beschäftigt Blankorezepte zur Bestellung von Medikamenten für die „Praxis“ im Gewerbegebiet auszustellen. In „befreundeten“ Apotheken, die Abgesandte des Groβhändlers regelmäβig aufsuchten, wurden dann, gegen Vorlage der Rezepte, die Bestellscheine ausgefüllt, abhängig davon, was es gerade Interessantes im Angebot gab: Krebsmedikamente, Arzneien gegen Diabetes, Depressionen und ADHS, Impfpräparate. Die Polizei hat etwa 1.500 solcher Blankobestellscheine sichergestellt.

Die Kuriere bezahlten, lieβen einen satten „Aufpreis“ zurück, brachten die Ware ins Gewerbegebiet. In einer der „Praxis“ benachbarten Baracke wurde die Ausbeute für den Weitertransport nach Deutschland, Holland, Groβbritannien umgepackt und mit entsprechenden Aufklebern versehen. Immer wieder fuhren Kleintransporter vor.

Um den Schein von Legalität zu wahren, betrieben manche Apotheken eine betrügerische doppelte Buchführung. Andere täuschten die Entsorgung von Medikamenten vor oder hatten zusätzlich einen kleinen, befreundeten Ärzte- und Patientenring aufgebaut, der ihnen Rezepte beschaffte, damit sie den kriminellen Groβhandel beliefern konnten. Mit solchen Gefälligkeiten kann sich mancher Arzt und Patient scheinbar problemlos ein gutes Zubrot verdienen.

Untersuchungen gehen davon aus, dass etwa jede zehnte Apotheke in solche Machenschaften verwickelt ist. Der Wert des kriminellen Exportes wird auf umgerechnet 350 bis 500 Millionen Euro jährlich geschätzt. Derweil wurden noch 2016 eine halbe Million Patienten beim ersten Apothekenbesuch ohne die ihnen verschriebenen Gerinnungshemmer abgewiesen, eine Million ohne Mittel gegen Pankreatitis, so das polnische Justizministerium.

Bis 2015 standen auf Medikamentenschieberei bis zu zwei Jahre Gefängnis. Lange Zeit jedoch sahen Behörden und Gerichte meistens weg, genauso wie bei den riesigen Betrügereien mit der Mehrwertsteuererstattung. Zu Zeiten der Tusk-Regierung (2007 – 2015) galt beides als ein Kavaliersdelikt des aufstrebenden Kapitalismus. Kleine Geldstrafen wurden verhängt oder die Verfahren wurden wegen Geringfügigkeit eingestellt. Wie 2014 im Falle eines Apothekers, der illegal Medikamente im Wert von umgerechnet knapp 10 Millionen Euro auβer Landes gebracht hatte.

Was kann man tun

Die heimischen und ausländischen Hersteller der „gefragten“ Medikamente wollen ihre Lieferungen auf den polnischen Markt nicht erhöhen. Zum einen lässt sich die komplizierte und hochempfindliche Arzneimittelherstellung nicht so einfach von heute auf morgen hochschrauben. Zum anderen ist die Gewinnmarge in Polen, in Höhe von 16 Prozent, niedrig. Als Drittes machen ihnen die aus Polen „exportierten“ Arzneien Konkurrenz auf dem westeuropäischen Markt.

Der Markt wird’s nicht richten

Am einfachsten wäre es, das „Verzeichnis erstattungsfähiger Arzneimittel“ zu verwerfen, damit sich die polnischen Preise denen im Westen angleichen. Die Patienten müssten es nicht zu spüren bekommen, wenn der polnische Staat die gigantischen Zuzahlungen übernähme. Das jedoch ist nicht machbar.

Bewirtschaftung

Die Hersteller und der legale Pharmagroβhandel haben jetzt die Initiative ergriffen. Eigentlich müssen sie jede von den Apotheken bestellte Menge liefern. Mittlerweile wurden die Apotheker aber verpflichtet die Rezepte für „besonders nachgefragte“ Arzneien zu scannen und an den Groβhandel zu schicken.

Als zweite Variante wurden Limits eingeführt, bei denen höchstens drei bis vier Dutzend Packungen pro Monat geliefert werden. Will die Apotheke mehr bestellen, wird nur zum Marktpreis geliefert, und der ist sowohl für die Patienten, wie für die Schieber uninteressant.

Pharmaaufsicht. Der zahnlose Tiger

Lange Zeit war der Pharma-Kontrollmechanismus in Polen so angelegt, dass die kriminellen Exporteure fast unbehelligt agieren konnten. Drei Jahre lang, zwischen 2012 als das „Verzeichnis erstattungsfähiger Arzneimittel“ eingeführt wurde, und Ende 2015, bis zu ihrer Abwahl, hat die Tusk-Regierung diesen Zustand hingenommen. Manche sprechen gar von einem Schutzschirm, der über dem illegalen Prozedere aufgespannt wurde.

Der Haupt-Pharmainspekteur und seine Behörde in Warschau waren ausschließlich für die Kontrolle des Pharmagroβhandels zuständig. Er war nicht weisungsbefugt gegenüber den Woiwodschafts-Pharmainspekteuren und deren Behörden in den sechzehn polnischen Teilprovinzen. Letztere durften nur die Apotheken kontrollieren und mussten die Finger vom Pharmagroβhandel lassen.

Eine Bande, die unter ein und demselben Firmenschild Apotheken und Groβhandel betrieb, was sehr oft vorkam, konnte sich so getrost ins Fäustchen lachen. Bis sich die Behörde in Warschau und die im fernen Rzeszów auf eine gemeinsame Gegenkontrolle einigen konnten und wollten, vergingen Ewigkeiten. Bis dahin hatten die Ganoven längst ihre Zelte abgebrochen.

Wenn man noch hinzufügt, dass die Kontrolleure oft gar nicht in die Firmen reingelassen wurden, dass sie keine Amtshilfe der Polizei in Anspruch nehmen konnten, dass die Kontrolle nur stattfinden durfte wenn der Eigentümer anwesend war, dann hat man das komplette Bild der Machtlosigkeit des damaligen polnischen Staates im Kampf gegen eine straff organisierte Unterwelt vor Augen.

Ein strenges Strafrecht muss her

Erst kurz vor ihrer Abwahl, im April 2015, hatte die Regierung der Tusk-Nachfolgerin Ewa Kopacz ein Pharma-Antiausfuhrgesetz mit ihrer damaligen Parlamentsmehrheit beschlossen. Das Delikt wurde präzise umschrieben, der Apothekenverkauf an den Groβhandel verboten, eine laufend geführte Liste der fehlenden Medikamente eingerichtet. Gleichzeitig jedoch verschwand die bis zu zweijährige Freiheitsstrafe zugunsten von Geldstrafen. Die Pharmaunterwelt, in der Millionen von Euro umgesetzt werden, konnte erneut aufatmen.

Ein neues Pharma-Antiausfuhrgesetz ist seit Sommer 2018 im Parlament und soll bis Anfang 2019 verabschiedet werden. Erst jetzt kann es für die Ganoven eng werden, denn:

● strafbar macht sich jeder, der in irgendeiner Weise an dem Prozess beteiligt ist,

● die Strafen bewegen sich zwischen drei Monaten und fünf Jahren Haft. In besonders schweren Fällen beträgt die Spanne sechs Monate bis zehn Jahre Freiheitsentzug,

● auch Medikamentenverschiebungen aus Apotheken in den Groβhandel innerhalb einer Firma sind nicht erlaubt,

● ein umfassender Umbau der Pharmaaufsicht ist vorgesehen mit dem Ziel ein koordiniertes Kontrollsystem von oben nach unten zu errichten,

● Widerstand und das Erschweren von Kontrollen, Beseitigung von Beweisen, das Vorenthalten von Akten – soll mit einer Geldstrafe bis zu siebzigtausend Euro oder bis zu drei Jahre Gefängnis bestraft werden,

● die Kontrolleure haben freien Zugang zu allen Gebäuden, bekommen bei Bedarf Amtshilfe von der Polizei, die Anwesenheit des Eigentümers ist bei Kontrollen nicht mehr erforderlich,

● Medikamententransporte unterliegen, neben Alkohol, Zigaretten und Kraftstoffen, verschärften Kontrollverfahren der Polizei, des Grenzschutzes und der neuen integrierten Finanzverwaltung, die Zoll-, Finanzämter und die Steuerfahndung in einer Behörde vereint.

Es ist höchste Zeit, denn längst sind kriminelle Banden in das „Geschäft“ eingestiegen, die sonst Rauschgift-, Waffen- oder Menschenschmuggel betreiben. Und sie betreiben es brutal und skrupellos.

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Mantel aus Menschenhaut

Ein Mord entsetzt das Land und harrt der Aufklärung.

Er brachte eine Studentin um und zog ihr die Haut ab, um sich einen Mantel daraus zu nähen. Nach knapp zwanzig Jahren konnte eines der fürchterlichsten Verbrechen in der polnischen Kriminalgeschichte aufgeklärt werden. Oder doch nicht?

Das Triebwerk des Bugsierschleppers „Łoś” („Elch”) heulte zuerst auf, dann fiel die Drehzahl rapide ab. Das gerade einmal zwanzig Meter lange Schiff kann mit seinem Dreihundert-PS-Motor schwere Lastkähne problemlos an das Ufer heranschieben. Mit einem solchen Manöver war der Schlepper am 6. Januar 1999 gerade auf der Weichsel in Kraków/ Krakau beschäftigt, als plötzlich nichts mehr ging. Es war kurz nach vier Uhr nachmittags, die Dunkelheit brach an. „Morgen früh werden wir die Blockierung beheben“, entschied der Kapitän.

Es war menschliche Haut

Es war nichts Ungewöhnliches. Fast jeden Tag holte die dreiköpfige Besatzung Baumwurzeln, Plastikplanen, Autoreifen, die sich in der Schiffsschraube verfangen hatten aus dem Wasser. Doch dieses Mal war es etwas anderes, schwer definierbares. „Erst als ich ein durchstochenes Ohrläppchen sah wurde mir klar: es ist menschliche Haut“, berichtete der Kapitän der Regionalzeitung „Gazeta Krakowska“.

Der Bugsierschlepper „Łoś” („Elch”).

Die Beamten der Wasserschutzpolizei waren auf den ersten Blick der Meinung, entweder sei jemand ertrunken oder als Leiche ins Wasser geworfen worden und dann in die Schiffsschraube geraten. Kurz darauf, als man den Fund an Deck holte und ausgebreitete, wurde jedoch das ganze Ausmaß des Grauens offenbar. „Es war ein Mantel“, so der Kapitän. Keine Knochen, keine Eingeweide, nur Haut, hier und da zerfetzt und zerrissen. Keine Schiffsschraube konnte einen Menschen dermaβen präzise enthäuten. So etwas hatten die Männer noch nie gesehen.

Verschlossen und kontaktscheu

Katarzyna Z. studierte Religionswissenschaften. Das war schon ihre dritte Fakultät. Nach dem Abitur schaffte sie es einen Platz im sehr begehrten Fach Psychologie zu ergattern, aber nach dem ersten Semester brach sie ab. Sie legte eine halbjährige Pause ein, bevor sie Geschichte zu studieren begann, hielt es aber nicht lange durch. Auch das dritte Studium wurde ihr schnell langweilig. Nachher stellte sich heraus, sie hatte während der letzten zwei Wochen ihres freien Lebens die Wohnung am Morgen regelmäβig verlassen, erschien aber kein einziges Mal zu einer Vorlesung.

Katarzyna Z. war 23 Jahre alt als sie eines grausamen Todes starb.

„Ich habe sie nur einmal gesehen, beim ersten Seminar. Danach nie mehr. Sie hatte aufgehelltes, lockiges Haar, trug einen dunklen, weiten Pullover. Sie setzte sich in die letzte Bank, machte einen sehr verschlossenen Eindruck. Wahrscheinlich kann ich mich deswegen an sie erinnern“, gab die Religionsethnologin Dominika Bernasik zu Protokoll.

Am 12. November 1998 nachmittags wollte Katarzyna zusammen mit ihrer Mutter einen Arzttermin wahrnehmen. Sie kam nicht, blieb seither verschwunden und würde wahrscheinlich bis heute als „vermisst“ gelten, wäre da nicht der grausame Fund in der Weichsel gewesen.

Die Feststellung um wen es sich handelte gestaltete sich zu Anfang schwierig. Die Haut hatte lange im Wasser gelegen, ihre Zersetzung war fortgeschritten. Doch eine Woche später entdeckte jemand ein am Knie abgetrenntes menschliches Bein am Ufer. Die Einschnitte am Bein und an der Haut passten genau zueinander. Anhand der Hosenbeinreste konnte Katarzyna identifiziert werden. Der DNA-Befund brachte drei Monate später die Bestätigung.

Hannibal Lecter als Vorbild?

Knapp fünfzehn Jahre vor dem Mord schrieb der amerikanische Thriller-Autor Thomas Harris seinen Beststeller „Das Schweigen der Lämmer“. Der Psychopath Hannibal Lecter entführt und ermordet grausam Frauen im amerikanischen Mittleren Westen. Aus ihren Hautfetzen näht er sich ein Kostüm. Im Jahr 1991 wurde der Roman verfilmt. Der Streifen mit Jodie Foster und Anthony Hopkins in den Hauptrollen gilt als einer der furchterregendsten Filme in der Kinogeschichte und wurde mit fünf Oscars ausgezeichnet.

Anthony Hopkins als Hannibal Lecter in „Das Schweigen der Lämmer“.

Hatte sich der Täter von dem Film inspirieren lassen? FBI-Fachleute, von den Krakauer Fahndern um Unterstützung gebeten, waren davon überzeugt.

Katarzyna Z. galt als sehr verschlossen und kontaktscheu. Sie war dabei, als ihr Vater bei einer Bergwanderung in der Hohen Tatra in die Tiefe stürzte. Der Unfall und der qualvolle Tod des Vaters im Krankenhaus hatten ihr sehr zugesetzt. Sie litt an Depressionen.

Sogar der Mutter fiel es schwer zu sagen, wofür sie sich interessierte. Sie hatte kein Hobby. Die beiden einzigen Freundinnen, mit denen sie Umgang hatte, sagten, ihre einzige Leidenschaft sei die Musik der US-Psychedelic-Rockband „Greatful Dead“ gewesen. Eine Woche vor ihrem Tod hatte sie weitere Cassetten der Gruppe in einem Studentenclub bestellt, diese aber nicht mehr abgeholt. Wochenlang durchforsteten die Fahnder das abstruse Psychedelic-Fanmilieu nach Verbindungen und Spuren. Vergeblich.

Im Mai 1999 glaubte die Polizei den Fall gelöst zu haben. In dem Krakauer Vorort Mogiliany wurde eine zerstückelte Leiche gefunden. Die vom Gesicht abgezogene Haut lag zusammengenäht daneben. Ein Sohn hatte seinen Vater ermordet und stülpte sich die Hautmaske über den Kopf, um dem Groβvater den Vater vorzutäuschen.

Zudem studierte der Täter, der Russe Wladimir W., Psychologie an der Jagiellonen Universität. Dort könnte er Katarzyna kennengelernt haben. Doch ein Zusammenhang zwischen den beiden makabren Morden war nicht nachzuweisen. Wladimir W. wurde zu fünfundzwanzig Jahren Haft verurteilt. Inzwischen sitzt er die Strafe in Russland ab.

Das was von Katarzyna Z. geborgen werden konnte, wurde im Juli 1999 beigesetzt. Die restlichen Leichenteile blieben verschwunden.
Dank pathologischen Untersuchungen konnte Katarzynas Todesdatum mit einiger Genauigkeit auf die erste Dezemberhälfte 1998 festgelegt werden. Jedes Jahr um diese Zeit erschien Robert J. an ihrem Grab. Beim Verhör gab er zu Protokoll aus Zeitungen von dem Mord erfahren zu haben und groβes Mitleid mit dem Opfer zu empfinden.

Ein Meister im Häuten

Die Fahnder waren von Anfang an davon ausgegangen, der Täter sei ein Serienmörder. Doch es vergingen Jahre und es ereignete sich kein zweites solches Verbrechen. Man begann zu spekulieren, der Täter sei inzwischen tot oder säße wegen einer anderen Straftat im Gefängnis. Oder hatte der Mörder vielleicht weitere als vermisst geltende Frauen genauso grausam umgebracht und ihre Leichen sehr gut versteckt?

Eines war von vornherein klar: der Täter war ein Meister im Häuten. Einem Menschen die Ganze Haut in einem Stück vom Leib abzuziehen ist sehr schwer. War der Täter ein Kürschner oder ein Metzger, ein Jäger, geübt im Abziehen von Fellen oder gar ein Chirurg? Und war derjenige, der Katarzynas Haut so meisterhaft präpariert hatte auch ihr Mörder oder hatte er lediglich ihre Leiche gefunden und die Gelegenheit genutzt, um seine abartige Neigung auszuleben?

Ein weltweit führender portugiesischer Experte, der Folterspuren an menschlichen Körpern untersucht, wurde hinzugezogen. Er hatte keine Zweifel: Katarzyna war schwer miβhandelt worden. Im Medizinischen Gerichtsinstitut in Wrocław/ Breslau gelang es mit Hilfe der 3D-Technik das Martyrium der jungen Frau, die schweren Hiebe und Tritte, mit denen sie traktiert worden war, zu rekonstruieren. Sportmediziner, die sich bestens mit Kampfsportverletzungen auskannten, bestätigten die Befunde.

Der Peiniger hatte seinem Opfer Anästhetika verabreicht, die eine Schmerz- und Bewusstseinsausschaltung verursachen. Erst nach etwa drei Wochen setzte er ihrem Leben ein Ende.

Zudem gelang es an dem Hosenbein winzige Partikel von Pflanzen auszumachen, die nur an wenigen Orten in Kraków und Umgebung vorkommen.

Viele Indizien, keine Beweise

Nach und nach verdichteten sich die Indizien, die auf Robert J. als den Täter hindeuteten. Der heute 52-Jährige wohnte mit seiner Mutter im Krakauer Stadtteil Kazimierz, unweit der Weichsel. Sein auffälliges Benehmen war bekannt: der Hang zu Frauenunterwäsche, das Beobachten der Frauen im Haus gegenüber durch ein Fernglas.

Robert J. wird dem Haftrichter vorgeführt.

Robert J. hatte einige Jahre vor dem Mord in einem der Krakauer Krankenhäuser eine Zeit lang als Aushilfe im Seziersaal gearbeitet. Später jobbte er im Zoologischen Institut der Jagiellonen Universität, wo er die Häutung von Tieren beobachtet haben könnte. Eines Tages hatte Robert J. aus heiterem Himmel alle Versuchstiere getötet und wurde daraufhin kurzerhand rausgeschmissen.

Die in Kraków eher seltenen Pflanzen wuchsen in der Nähe des hölzernen Sommerhauses, dass Robert J. gehörte. Dort, so die Fahnder, habe er sein Opfer gefoltert und umgebracht. Das Haus brannte jedoch kurz nach dem Mord ab.

Nach der Festnahme auf offener Straβe im Stadtteil Kazimierz am 4. Oktober 2017

(hier ein Polizei-Video)

durchsuchten Fachleute tagelang seine Wohnung. Sogar die Fliesen im Bad, die er kurz nach dem Mord verlegt haben soll, wurden von den Wänden abgeschlagen.

Seit gut zwölf Jahren befindet sich Robert J. in psychiatrischer Behandlung. Diagnose: paranoide Schizophrenie, eine Erkrankung, so die Fahnder, die ein intelligenter und durchtriebener Täter gekonnt vortäuschen kann. Jedenfalls erschien Robert J. viele Jahre lang regelmäβig mit Rezepten eines Psychiaters in seiner Apotheke. Ob er die Medikamente tatsächlich einnahm oder sich auf diese Weise nur eine Legende für den Fall seiner Verhaftung aufbaute? Als ihm bei der Festnahme die Handschellen angelegt wurden, sagte er zu den Beamten, er sei unzurechnungsfähig.

Es heiβt, Robert J. befinde sich zur Beobachtung auf der psychiatrischen Station im Untersuchungsgefängnis in Kraków.

Wie es scheint, hofft die Staatsanwaltschaft, dass sich durch Vernehmungen die Indizien, die gegen gegen Robert J. sprechen, in feste Beweise wandeln werden. Ob diese Rechnung aufgehen wird bleibt vorerst offen. Mord verjährt in Polen nach dreiβig Jahren, neunzehn sind bereits vergangen.

© RdP




Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter

Veränderungen tun Not.

Warum gehen die Polen gegen die Justizreform nicht zu Hundertausenden auf die Straβe? Weil sie den Zustand ihrer Justiz tagtäglich schmerzhaft erfahren. Justizminister Zbigniew Ziobro hat in seiner Rede vor dem Sejm am 18. Juli 2017 den meisten von ihnen aus der Seele gesprochen.

Wir dokumentieren diesen Auftritt hier in Bild und Ton in der polnischen Originalfassung und nachfolgend in einer deutschen Übersetzung. Titel und Zwischentitel von der RdP-Redaktion.

Justizminister Zbigniew Ziobro.

Herr Sejmpräsident, Hohes Haus, verehrte Herrschaften,

(…) ich möchte die Gelegenheit ergreifen und Stellung nehmen zu einigen Sachverhalten, die während dieser Debatte zur Sprache gekommen sind. Vor allem zu den heutigen Äuβerungen der Ersten Vorsitzenden des Obersten Gerichts, Frau Prof. Małgorzata Gersdorf.

Prof. Małgorzata Gersdorf

Frau Prof. Gersdorf hat hier gleich zu Beginn die These aufgestellt, dass eigentlich (…) die Situation im polnischen Justizwesen idyllisch war, alles lief bestens, dann aber kam die böse Regierung von Recht und Gerechtigkeit und plötzlich ist das Ansehen der Gerichte in der Öffentlichkeit geradezu abgestürzt.

Frau Prof. Gersdorf, ich möchte (…) unterstreichen, dass dieselben Medien, die die verschiedensten Pathologien im Justizwesen beschreiben, auch die Vertreter der Regierung kritisieren, ebenso mein Wirken als Justizminister. Es würde mir jedoch niemals in den Sinn kommen deswegen über die Medien herzufallen. (…)

Richter klauen…

Verehre Herrschaften,

nicht Abgeordnete haben Bohrmaschinen, USB-Sticks, Wurstwaren, Hosen gestohlen, Preise für Reiseführer ausgetauscht, wie neulich in Szczecin, oder fünfzig Zloty auf einer Tankstelle mitgehen lassen usw.

Karyatiden am Sitz des Obersten Gerichts in Warschau.

(Es wird immer wieder gemeldet, dass Richter Diebstähle begehen und auf frischer Tat ertappt werden.

Richter Paweł. M. stahl im Juni 2016 in Szczecin/Stettin Teile einer Bohrmaschine im Wert von knapp einhundert Zloty.
Im Juni 2017 wurde die Richterin Wiesława B.-M. in Szczecin ertappt als sie die Preisschilder auf touristischen Reiseführern vertauschte.

Richter Robert W. und seine Frau stahlen in Wrocław/Breslau und Wałbrzych/Waldenburg im Juni 2016 USB-Sticks und andere elektronische Kleinteile im Wert von tausendsiebenhundert Zloty.

Im September 2016 versuchte die Richterin Katarzyna K.-H. in Łódź eine Hose im Wert von einhundertdreißig Zloty zu entwenden.

Im November 2010 stahl der Richter Zbigniew J. Wurst im Wert von fünf Zloty in Tarnobrzeg.

Richter Mirosław T. aus Żyrardów eignete sich im März 2017 auf einer Tankstelle einen Fünfzig-Zloty-Schein an, den eine Kundin auf dem Tresen als Bezahlung für getanktes Benzin gelegt hatte. Der Vorgang wurde durch eine Überwachungskamera dokumentiert – Anm. RdP).

…der Schein der heilen Welt lebt weiter

Ziobro: Die Frau Erste Vorsitzende des Obersten Gerichts ist leider nicht imstande daraus den Schluss zu ziehen, dass es ein Problem gibt, eine Krise in Bezug auf moralische Standards und Prinzipien bei einem Teil der Richterschaft. Frau Prof. Gersdorf neigt dazu das Problem bei den Medien zu sehen und eventuell bei den Politikern, die versuchen aus diesen Affären ihre Schlüsse zu ziehen.

Das idyllische Bild existiert nur im Wunschdenken der Ersten Vorsitzenden des Obersten Gerichts. So etwas gibt es nicht in der realen Welt der Menschen, die fast jeden Tag mit den Pathologien im Justizwesen konfrontiert werden. Ganz zu schweigen von ihren persönlichen Erfahrungen, der Geringschätzung und der Arroganz, die sie tagtäglich in den Gerichten erleben. (…).

Ich darf Ihnen, Frau Prof. Gersdorf auch sagen, dass ich neulich mit einem amerikanischen Journalisten gesprochen habe. Er fragte mich nach der Reform des Justizwesens.

Ich habe mir erlaubt, kurz mit ihm die Rollen zu tauschen. Ich habe ihn gefragt, angenommen in den USA gäbe es eine Affäre mit etwa zweihunderttausend Geschädigten. Das entspräche (proportional zur Bevölkerungszahl – Anm. RdP), der Anzahl der Geschädigten bei uns, die es aufgrund des Amber-Gold-Skandals gab. Angenommen der Sohn des Präsidenten wäre in sie verwickelt (in Polen ist es der Sohn des damaligen Regierungschefs Donald Tusk – Anm. RdP). Angenommen ein Richter, der sich mit diesem Skandal beschäftigt, wäre dem Assistenten des Bürochefs des amerikanischen Präsidenten zu Diensten. (Der Fall des Richters aus Gdańsk Ryszard Milewski, siehe den Beitrag hier – Anm. RdP).

(…) Die Antworten auf diese Fragen sind offensichtlich. Und wissen Sie, wer darüber entschieden hat, dass der Richter Ryszard Milewski weiterhin Recht sprechen, seinen Beruf ausüben darf? (…) Das Oberste Gericht.

Das allein müsste ein ausreichendes Argument für die Notwendigkeit grundlegender Veränderungen in den Disziplinarverfahren sein. Ein Argument dafür, dass dieses Oberste Gericht völlig versagt hat.

Solche Richter wollen wir nicht

Das ist nicht das einzige Beispiel. Man kann an dieser Stelle auch einen etwas weniger bekannten Fall anbringen, obwohl er einen der Richter des Obersten Gerichts direkt betrifft, den Vorsitzenden einer der Zivilspruchkammern dieses Gerichts.

Während einer Antikorruptionsfahndung wurde ein Richter an einem Verwaltungsgericht abgehört. Er bot einem Unternehmer an, gegen Zahlung eines Bestechungsgeldes, ihm zu helfen die Aufhebung eines Gerichtsurteils vor dem Obersten Gericht zu erwirken. Der Kollege des Verwaltungsrichters, jener besagte Zivilrichter am Obersten Gericht, versprach zu helfen. Er erklärte sich sogar bereit die entsprechende Kassationsklage neu zu verfassen, da sie schlecht formuliert sei. Es ging immerhin um zwanzig Millionen Zloty (ca. fünf Millionen Euro – Anm. RdP).

Was hat Frau. Prof. Gersdorf in dieser Angelegenheit unternommen? Nichts. Der Mann leitet weiterhin seine Zivilspruchkammer.

Solche Richter wollen wir nicht. Sind das etwa Richter, die den ethischen Standards entsprechen? (…)

Ich gestehe meine Schuld ein, zusammen mit dem stellvertretenden

Berufungsgericht in Kraków.

Justizminister Patryk Jaki, die gigantische Korruptionsaffäre am Berufungsgericht in Kraków aufgedeckt zu haben. Sie erstreckte sich über Jahre. Millionen von Zloty des polnischen Steuerzahlers wurden gestohlen, unter Beteiligung eines der ranghöchsten Richter im polnischen Justizwesen, des Präsidenten eines Berufungsgerichts! Er befindet sich heute in Untersuchungshaft.

(Zwischen Januar 2013 und November 2016 soll der Präsident des Berufungsgerichts in Kraków, Krzysztof S., gegen „Beteiligung an den Honoraren“ fiktive Gutachten in Auftrag gegeben und damit knapp vierhunderttausend Zloty (ca. einhunderttausend Euro) für sich „verdient“ haben. Insgesamt befinden sich inzwischen neun Personen, darunter die Buchhalterin des Gerichts, und einige „Gutachter“ in Untersuchungshaft. Der Gesamtschaden beläuft sich auf umgerechnet eine Million Euro – Anm. RdP).

Ziobro: Ja, das ist unsere Schuld. Wir nehmen Teil an der Verfolgung von korrupten Richtern, die sich am organisierten Verbrechen beteiligen. Vielleicht betrachtet das die Frau Erste Vorsitzende des Obersten Gerichts als meine Schuld. Ich schäme mich dieser Schuld nicht, ich bekenne mich zu ihr, genau auf diese Weise will ich, als Justizminister und Generalstaatsanwalt, schuldig sein.

Wo war das Oberste Gericht?

Zu all diesen skandalösen Vorfällen habe ich keine Stellungnahme des Obersten Gerichts vernommen. Dafür gab es etliche Beschlüsse und Erklärungen zu politischen Angelegenheiten dieses angeblich apolitischen Obersten Gerichts und seiner angeblich apolitischen Ersten Vorsitzenden, Frau Prof. Gersdorf, die sich vermeintlich in keine politischen Konflikte einmischt.

Mir ist keine Äuβerung der Besorgnis aufgrund der niedrigen ethischen Standards im Fall der Affäre in Kraków zu Ohren gekommen. Ich habe keine Stellungnahme des Obersten Gerichts vernommen zu Richtern, die in Warschau Treuhänder für reprivatisierte Grundstücke eingesetzt haben, deren „Eigentümer“ angeblich irgendwo weit weg im Ausland wohnten und entsprechend den offensichtlich gefälschten Unterlagen bereits einhundertzwanzig oder gar einhundertvierzig Jahre alt waren. Die zuständigen Richter hat es nicht gestört.

Dank all dem konnten Betrüger reihenweise Einwohner aus ihren Wohnungen vertreiben. Jahrelang wurden alle Untersuchungsverfahren in dieser Angelegenheit abgewehrt, Ganoven konnten straflos ihr Unwesen treiben. All das geschah unter der Beteiligung von Richtern. Erst wir haben dieser Mafia das Handwerk gelegt. Wo war damals das Oberste Gericht?

Wollen sie weiterhin behaupten, dass eine Disziplinarkammer am Obersten Gericht nicht notwendig ist?

(Aus Richtern bestehend, soll die Disziplinarkammer Immunitäten von Richtern aufheben, die straffällig geworden sind, damit sie vor Gericht gestellt werden können. Nach einem rechtskräftigen Urteil soll die Kammer Disziplinarstrafen verhängen, z.B. die Entfernung aus dem Richteramt. Bei Ordnungswidrigkeiten oder kleineren Amtsvergehen könnte sie selbständig Disziplinarstrafen verhängen wie z. B. einen Verweis erteilen, ohne dass diese Fälle vor ein Strafgericht kommen – Anm. RdP).

Die Wahrheit ist traurig. Sehr schade, dass wir heute, wieder einmal, in diesem Plenarsaal Zeugen davon waren, dass solche Vorgänge keine Nachdenklichkeit hervorrufen.

Ich bin bereit über Einzelheiten der Gesetzesvorlage zu diskutieren. Ich bekräftige: wir sind bereit aus diesem Gesetzentwurf die bisher vorgesehene, ausnahmsweise Teilnahme des Justizministers am Vorgang der Umbildung des Obersten Gerichts zu streichen. Warum bringen sie nicht ihre Änderungsanträge ein? Einen Teil von ihnen würden wir vielleicht akzeptieren. Im parlamentarischen Ausschuss können wir daran arbeiten.

Man kann nicht von Gerechtigkeit sprechen, wenn es an Ehrlichkeit mangelt. Wir haben den Polen versprochen zwei Probleme im Justizwesen zu lösen. Erstens die ethischen Standards anzuheben, damit Gerichte den Respekt der Bürger genieβen. Damit die Menschen, wenn sie vor Gericht gehen, wissen, dass sie gerecht behandelt werden und nicht vor einem Gericht stehen, das Urteile auf telefonische Bestellung fällt.

Wir wollen das ändern, und die Disziplinarkammer, die solch groβe Befürchtungen weckt, soll die schwarzen Schafe aus dem Justizwesen entfernen. Bis jetzt werden sie oft genug nicht entfernt und belasten das Erscheinungsbild des gesamten Justizwesens, auch der anständigen Richter, an denen es nicht fehlt. (…)

Ausgebuht und rausgegangen

Ebenfalls kam hier der Vorwurf auf, dass wir uns dem Dialog verweigern, nicht diskutieren wollen. Ich habe noch vor Augen, woran auch Sie sich bestimmt erinnern können, wie, auf meine Bitte hin, mein Stellvertreter im Justizministerium, Herr Marcin Warchał zum Kongress der Polnischen Juristen (am 20.05.2017 – Anm. RdP) nach Katowice fuhr um ein Referat zu halten.

Im Anschluss wollte er in den Arbeitsgruppen mitdiskutieren. In seinen Ausführungen hatte er eine Korrektur unserer Pläne vorgestellt, die den Forderungen der Richterschaft entgegen kam.

Katowice am 20. Mai 2017. Der stellv. Justizminister Marcin Warchał spricht, die Juristen verlassen den Saal.

In seinem Vortrag sprach er über eindeutige Tatsachen. Er hat niemanden beleidigt. Er sagte, dass die Richterschaft die Zeit des Kommunismus in den eigenen Reihen nicht aufgearbeitet hat. Natürlich, man muss dem nicht zustimmen, wenn man meint, dass es richtig gewesen sei, sich diesem Problem nicht zu stellen. Tatsache jedoch ist: es ist nichts geschehen.

Wie reagierte der Saal? Mit Buhrufen, die Mehrheit der Teilnehmer verlieβ kurz darauf den Saal und die Frau Erste Vorsitzende des Obersten Gerichts hat sich davon nicht distanziert. Sie war ja zugegen. (…) Ist das eine Willensbekundung zur Führung eines Dialoges? Alle haben das gesehen.

So sieht die Dialogbereitschaft aus, wenn die Wahrheit gesagt wird. Egal ob es um den Verfall der Richterethik geht, um konkrete Kriminalfälle, von denen ich viele weitere nennen könnte, weil sie mir als Justizminister und Generalstaatsanwalt bekannt sind. Oder ob es um das Zelebrieren der eigenen Macht geht, was wir einschränken wollen im Interesse derer, die vor die Gerichte gelangen.

Die Kaste applaudiert

Frau Prof. Gersdorf, der Bürgerrechtsbeauftragte Herr Dr. Artur Bodnar (der an dieser Sejm-Debatte teilgenommen und die Reformpläne der Regierung scharf kritisiert hat – Anm. RdP) und der Vorsitzende des Landesjustizrates, Richter Waldemar Żurek (fonetisch Schurek – Anm. RdP) haben auch an einer früheren Veranstaltung wie der in Katowice teilgenommen (Es handelt sich hierbei um den Auβerordentlichen Kongress der Polnischen Richter in Warschau am 03.09.2016 – Anm. RdP).

Ziobro: Dort hat eine sehr prominente Vertreterin der Richterschaft (Richterin am Obersten Verwaltungsgericht Irena Kamińska – Anm. RdP) gesagt, die Richter seien „eine ganz und gar auβergewöhnliche Kaste von Menschen“.

Richterin Irena Kamińska.

Und man kann in den Filmberichten sehen, dass sich im Saal keinerlei Ablehnung nach diesen Worten breitgemacht hat. Niemand hatte die Schamesröte im Gesicht. Niemand hat sich distanziert. Dort gab es Ovationen und Beifall. Wieviel Hochmut muss man in sich haben, um dermaβen von der Realität abzuheben. Deswegen sind Veränderungen, ist der Sauerstoff der Demokratie vonnöten.

Deswegen schlagen wir das vor, deswegen setzten wir unser Wahlprogramm um. Wir machen genau das, was sie in unserem Wahlprogramm finden können. Und wir werden dieses Werk unbeirrt fortsetzen.

Kommunismus? War da was?

Was die Nichtaufarbeitung des Kommunismus angeht, an dieser Stelle muss man eingestehen, dass immerhin ein, wörtlich: ein, Richter, der Willkürurteile gegen Oppositionelle gefällt hat, aus dem Amt entfernt wurde. Eigentlich war die Entfernung von fünfhundert bis sechshundert Richtern geplant und notwendig.

In der ehemaligen DDR waren bereits drei Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung nur zwanzig Prozent der DDR-Richter in ihrem Amt verblieben. Das zeigt die Unterschiede in der Aufarbeitung.

Sehr auffällig in der Debatte, die bei uns geführt wird, ist die ständige Verneinung der Nichtaufarbeitung des Kommunismus durch die Richterschaft. Die gut gemeinten Worte von Ende 1989 des damaligen, gerade neuernannten Ersten Vorsitzenden des Obersten Gerichts (und Oppositionellen im Kommunismus – Anm. RdP), Prof. Adam Strzembosz (fonetisch Stschembosch – Anm. RdP), die kommunistische Richterschaft „werde sich selbst säubern“ klingen inzwischen wie Hohn.

Heute findet auch in dieser Frage eine „Verteidigung der belagerten Festung“ statt, indem man uns einzureden versucht, wie das z.B. die Vertreter des Landesjustizrates tun, dass es nicht stimmt, dass die Richter keine reine Weste haben. Wie kann man so etwas erzählen, entgegen den Tatsachen!? Da gehört schon viel Dreistigkeit dazu.

Kommunistische Straftäter freigesprochen

Zurück zum Obersten Gericht und seiner Rechtsprechung. Aufgrund seiner Beschlüsse konnten Leute nicht strafrechtlich belangt werden, die in der kommunistischen Zeit Straftaten begangen haben. So z. B. hat das Oberste Gericht in seinem Beschluss vom 25. Mai 2010 festgestellt, dass die Verursacher einiger kommunistischer Verbrechen, wie z.B. das Verprügeln oder Misshandeln von Personen (was vor allem in der stalinistischen Zeit bei Untersuchungen Gang und Gäbe war – Anm. RdP), die einer Strafandrohung von unter fünf Jahren Freiheitsentzug unterliegen, wegen Verjährung nicht strafrechtlich belangt werden können. (…)

In einem anderen Fall nahm dasselbe Oberste Gericht, geleitet von einer falsch verstandenen Berufssolidarität und dem Willen das postkommunistischen Umfeld zu schützen, Richter in Schutz, die während der Verhängung des Kriegsrechts (am 13.12.1981 gegen Solidarność – Anm. RdP) Willkürurteile fällten.

13. Dezember 1981. Am Tag der Verhängung des Kriegsrechts stürmt die kasernierte Miliz die Warschauer Solidarność-Zentrale.

Am 20. Dezember 2007 erließ das Oberste Gericht einen Deutungsbeschluss, in dem es hieβ, Richter, die das Dekret über die Einführung des Kriegsrechts rückwirkend angewendet und hohe Freiheitsstrafen gegen Solidarność-Aktivisten verhängt haben, taten dies rechtmäβig.

Kriegsrecht. Oppositionelle vor einem Militärgericht. Heimliche Aufnahme.

(Das Dekret über die Einführung des Kriegsrechts wurde in der Nacht zum 13. Dezember 1981 verkündet. Es sah hohe Freiheitsstrafen für jedwede oppositionelle Betätigung (Streiks, Demonstrationen, Flugblattaktionen usw.) vor. Die Rechtsgrundlage war ein Beschluss des Staatsrates, gefasst in der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 1981.

Der Staatsrat (als Kollektives Staatoberhaupt im kommunistischen Polen) durfte Dekrete mit Gesetzeskraft verabschieden, allerdings nur in der Zeit zwischen den Plenarsitzungen, des den Kommunisten völlig willfährigen Parlaments. Das sah die damals geltende kommunistische Verfassung vor. Gerade um den 13. Dezember 1981 herum war jedoch eine mehrtägige Plenarsitzung im Gange. Aufgrund der Verhängung des Kriegsrechts setzte das Parlament seine Beratungen dann aber erst am 6. Januar 1982 fort und bestätigte das Kriegsrechtsdekret.

Zwischen dem 13. Dezember 1981 und dem 6. Januar 1982 also war das Dekret, rechtlich gesehen, ungültig, was damals natürlich niemanden gekümmert hat. Dennoch hätten diejenigen Richter, die in dieser Zeit aufgrund des Kriegsrechtsdekrets ihre harten Urteile gegen Oppositionelle fällten, dies wissen müssen und meistens wussten sie es auch. Das Oberste Gericht befreite sie kollektiv von dieser Schuld. – Anm. RdP).

Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen

Ziobro: (…) Es gibt keine Gerechtigkeit ohne Ehrlichkeit und ohne Ethik. Deswegen ist es so wichtig, diese Ethik auf ein hohes Niveau zu hieven. Dem dient die geplante Disziplinarkammer am Obersten Gericht, die solche Widerstände weckt.

Ich kann ihnen viele sehr umstrittene Urteile des Obersten Gerichts in Erinnerung rufen. So legte das Gericht eine groβe Prinzipientreue an den Tag als eine zuckerkranke Frau im Supermarkt einen Schokoriegel zum Preis von 73 Grosze (entspricht der Einheit Cents beim Euro – Anm. RdP) aβ, ohne ihn zu bezahlen. Das Gericht bestätigte die verhängte Haftstrafe. Gleichzeitig erwies sich das Gericht aber als sehr milde gegenüber den Verursachern groβer Finanzskandale.

Beata Sawicka auf der Anklagebank.

Ein Beispiel ist der Fall Beata Sawicka. (Abgeordnete der Bürgerplattform in den Jahren 2005 bis 2007. Sie wurde gemeinsam mit dem Bürgermeister der Gemeinde Hel/Hela im Oktober 2007 bei der Entgegennahme der zweiten Tranche eines hohen Bestechungsgeldes festgenommen. Die Aktion war eine Provokation der Antikorruptionsbehörde. Sawicka wurde in erster Instanz zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. In zweiter Instanz wurde sie freigesprochen, weil das Beweismaterial illegal, durch eine Polizeiprovokation, zustande gekommen ist. – Anm. RdP).

Ziobro: Das Oberste Gericht stellte in einem Deutungsbeschluss fest, dass „die Regel der Früchte des vergifteten Baums“ gelte (ein Verbot der Verwertung illegal gewonnener Beweise – Anm. RdP), obwohl diese Regel in den meisten europäischen Ländern nicht gilt.

Ein anderes Beispiel vom Januar 2017. Das Oberste Gericht sprach die Schuldigen der groβen Korruptionsaffären im Autobahn- uns Straβenbau aus dem Jahr 2011 frei. Die Antikorruptionsbehörde hatte damals ganze Arbeit geleistet und die Telefongespräche der Täter aufgezeichnet. Sie haben Millionen verdient an getürkten Ausschreibungen. Es handelte sich um gigantische Beträge. Die Beweise seien überzeugend, nicht anfechtbar, doch sie wurden wieder einmal wider „die Regel des vergifteten Baums“ gewonnen. Eine Regel, die in Polen nirgendwo verbrieft ist.

Wir können das nicht hinnehmen. Hier Härte gegen die Frau mit dem Schokoriegel, dort Milde für Täter, die gigantische Finanzaffären auf dem Kerbholz haben. (…) Mehr noch, das Oberste Gericht hat seine Rechtsprechung so konstruiert, dass bei den gigantischen, bandenmäβigen Mehrwertsteuerbetrügereien die Täter meistens freikamen. Es hieβ, sie unterlägen nur dem Steuerstrafrecht, das lange Zeit eine kurze Verjährungsfrist vorsah. Das war der Freibrief für die Straffreiheit.

Diese Probleme muss man sehen. Wir wollen diese Zustände ändern. Über Details können wir reden.

Das Prinzip der Gewaltenteilung wird nicht verletzt

Immer wieder war hier die Rede von der Verletzung des Prinzips der Gewaltenteilung (in Polen spricht man von der Dreiteilung der Gewalten – Anm. RdP). Der Urheber dieses Prinzips war Montesquieu. Welche Verfassung wurde geradezu vorbildlich auf diesem Prinzip aufgebaut? Die der Vereinigten Staaten.

Wie regelt diese Verfassung die Berufung der Richter des Obersten Gerichts der USA? Berufen sich die Richter selbst, durch die Zuwahl, wie in Polen? Nein. In den USA, mit ihrer vorbildlichen Verfassung, werden die Richter des Obersten Gerichts vom Präsidenten berufen. Warum? Weil er eine starke demokratische Legitimation hat.

Montesquieu würde sich im Grabe umdrehen, würde er hören, dass man aus seinen Schriften ableitet, er sei dafür, dass sich die Richter selbst berufen, selbst beurteilen, selbst kontrollieren, selbst suspendieren usw. (…)

Das Prinzip des Gleichgewichts zwischen der dritten Gewalt, dem Justizwesen, der Legislative und der Exekutive findet ihren Ausdruck in den Verfassungen vieler europäischer Staaten. So werden in Deutschland, dem gröβten europäischen demokratischen Staat, die Richter der obersten Gerichte ausschlieβlich vom Bundesjustizminister, gemeinsam mit den Landesjustizministern und den Vertretern des Bundestages berufen. Richter haben in diesem Entscheidungsprozess im Grunde nichts zu sagen. (…)

Deswegen bitte ich darum, uns nicht einzureden zu wollen wir würden irgendwelche europäischen Konventionen verletzen. Schauen Sie sich an, wie es in den Niederlanden gemacht wird und in vielen anderen europäischen Staaten. (…).

Die Verfassung wird nicht gebrochen

Sie sagen, wir würden die polnische Verfassung verletzen. Bitte sehr. Der Artikel 180 Absatz 5 sagt ganz klar: „Werden der Aufbau der Gerichte oder die Gerichtsbezirke verändert, kann ein Richter unter Beibehaltung der vollen Bezüge an ein anderes Gericht oder in den Ruhestand versetzt werden“.

Meine Herrschaften, der Justizminister darf das also im Fall der Veränderung des Aufbaus des Obersten Gerichts tun. Aber wir wollen das nicht tun. Wir ziehen diesen Vorschlag zurück. Wir wollen dass der Landesjustizrat das regelt.

Ich habe in diesem Plenarsaal vor Kurzem (siehe den Beitrag „Polnische Justizreform. Mythen und Fakten“ – Anm. RdP) ihre (gemeint ist die Opposition – Anm. RdP) groβen Autoritäten zitiert, die beiden ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten: Prof. Andrzej Rzeplinski und Jerzy Stępień.

Rzepliński schrieb seiner Zeit ganz klar: „Der Landesjustizrat in seiner jetzigen Form ist nur eine staatliche Gewerkschaft der Richter, die dem polnischen Justizwesen schadet“.

Sie (gemeint ist die Donald-Tusk-Partei Bürgerplattform und ihr Koalitionspartner, die Bauernpartei – Anm. RdP) haben so lange regiert, acht Jahre lang. Sie hatten so viel Zeit zum Handeln. Sie haben doch wahrgenommen, dass die polnische Gesellschaft sich vom Justizwesen abwendet. Sie konnten das ändern. Sie haben es nicht getan. Dann stören sie uns wenigstens nicht dabei, wenn wir das Notwendige tun.

Wir wollen diese Änderungen durchführen. Wir wollen den Polen die Gerichte zurückgeben. Wir wollen die ethischen Standards im polnischen Justizwesen anheben. (…)

Ein leistungsfähiges, professionelles und gerechtes Justizwesen liegt in unser aller Interesse. Ein Justizwesen frei von politischem Druck, aber auch frei von berufsbedingtem Egoismus. Im Augenblick ist die Schieflage hinsichtlich dieses Egoismus, der korporativen Interessen, eines Interessensumpfes geradezu gewaltig. Das wollen wir ändern.

Ein Missetäter auf dem Weg ins Oberste Gericht

Zum Schluss noch eines. Wenn die Erste Vorsitzende des Obersten Gerichts, Frau Prof. Gersdorf, wenn der Bürgerbeauftragte des Parlaments, Herr Dr. Bodnar, wenn der Vorsitzende des Landesjustizrates so viel Gutes über den jetzigen Zustand des Justizwesens sagen, möchte ich mich darauf berufen, was ihr Justizminister (November 2007 bis Januar 2009 – Anm. RdP) Zbigniew Ćwiąkalski (fonetisch Tswionkalski – Anm. RdP) gemacht hat. (…).

Nicht einmal er konnte es ertragen, dass der Richter und Oberst Piotr Raczkowski den Posten des Präsidenten des Warschauer Militärgerichtes bekleidete. Ein Mann vieler Skandale.

Richter Piotr Raczkowski (r.) mit seinem Chef, dem Vorsitzenden des Landesjustizrates Richter Waldemar Żurek.

(Das Wochenmagazin „Do Rzeczy“ („Zur Sache“) schrieb im April 2017, Raczkowski habe Dienstautos zu privaten Zwecken genutzt, habe einen Richterkollegen verprügelt, habe Untergebene permanent beleidigt und erniedrigt. Als stellvertretender Vorsitzender des Landesjustizrates habe Raczkowski an der Abstimmung teilgenommen, dank der seine Frau den Richterposten am Amtsgericht des Stadtteils Warschau-Mokotów bekam, für den es 93 Kandidaten gab. – Anm. RdP).

Ziobro: Justizminister Ćwiąkalski stellte den Antrag ihm die Immunität zu entziehen, damit er sich vor einem Gericht wegen der Erschleichung von etwa fünfzigtausend Zloty (ca. zwölftausend Euro) zu verantworten habe. Das Oberste Gericht lehnte den Antrag ab.

Heute ist Richter Raczkowski nicht nur stellvertretender Vorsitzendender des Landesjustizrates, sondern auch Kandidat für ein Richteramt am Obersten Gericht. Frau Prof. Gersdorf haben alle diese Informationen nicht gestört. Sie hat viel unternommen, auch versucht mich dafür zu gewinnen, um Richter Raczkowski an ihr Gericht zu bekommen.

Meine Damen und Herren, die Zeit der Worte ist zu Ende. Es müssen Taten folgen. Wir werden das polnische Justizwesen verändern. Vielen Dank.

RdP 




Polen – Volk ohne Waffen

Lieber Schutzpatronen als Patronen.

Es war nicht der erste Vorstoβ dieser Art seit dem Ende des Kommunismus in Polen: „Lasst uns das Waffengesetz lockern. Wer möchte und dazu geeignet ist, soll Waffen legal kaufen können“. Dieses Mal war es die Kukiz-Bewegung, eine politische Protestgruppierung, die bei den letzten Parlamentswahlen 33  Mandate errang, die diese Idee wieder aufgriff, um sich mit dem Ruf nach mehr privater Aufrüstung in Szene zu setzten. Doch die Polen wollen nicht.

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Kukiz broń fot. 3
Wollte u. a. der Waffenfabrik in Radom mehr Absatz bescheren. Paweł Kukiz beim Besuch in Polens gröβter Waffenschmiede am 11.04.2016.

Knapp 80 Prozent der Befragten in einer Erhebung, die die Zeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) Anfang Dezember 2016 in Auftrag gab, sprachen sich gegen die Liberalisierung des Schusswaffengesetzes aus. Der entsprechende Gesetzesvorschlag der Kukiz-Bewegung (der Rock-Musiker Paweł Kukiz war 2015 ihr Begründer und Namensgeber) wurde inzwischen im Parlament auf die lange Bank geschoben, mit wenig Chancen auf Verabschiedung.

Kaczyński ist kein Waffennarr

Die mit absoluter Mehrheit regierende Partei Recht und Gerechtigkeit sieht keinen Bedarf für eine Liberalisierung. Ihr Vorsitzender Jarosław Kaczyński (auf dem Titelbild von 2006 als Ministerpräsident zu Besuch in der Waffenfabrik „Łucznik“ in Radom, ein Fabrikat testend) soll selbst einen Waffenschein besitzen und wird stets von zwei Leibwächtern begleitet. Angesichts der Morddrohungen, die er bekommt, handelt es sich dabei um durchaus verständliche Maβnahmen.

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Ministerpräsident Donald Tusk zu Besuch in der Radom-Waffenfabrik am 05.03.2014.

Sein späterer politischer Erzfeind Donald Tusk kolportiert seit 2007, er sei 1991 mit Kaczyński in einem Fahrstuhl gefahren. Kaczyński soll während der Fahrt mit einer Pistole hantiert und gesagt haben: „Dich umzubringen wäre für mich so leicht wie einmal spucken“. Der Betroffene bestreitet den Vorfall. Zeugen gibt es nicht. Weitere Zwischenfälle, die Kaczyński als einen Waffennarren entlarven würden, sind nicht bekannt. Dafür ist seine öffentliche Ablehnung (u. a. in Gdańsk am 15.01.2017) der Lockerung des aktuell in Polen geltenden Waffenrechts eine Tatsache.

Ohne Pistole im Hosenbund

Damit dürften die Polen weiterhin, was die privaten Haushalte angeht, eine der am schwächsten bewaffneten Nationen der Welt bleiben. Nach Angaben von 2016 entfielen auf einhundert Einwohner 1,3 legale Waffen in Privatbesitz. In Deutschland waren es 30, in der Schweiz – etwa 45, in den USA – 90 Waffen pro einhundert Einwohner. Hinter den Polen liegen in der Waffenstatistik nur noch die Südkoreaner und Japaner.

Insgesamt besaßen im Jahr 2016 gut 192.000 Personen einen Waffenschein und insgesamt 390.000 Waffen befanden sich legal in Privatbesitz. 283.000 davon waren Jagdwaffen. Jedes Jahr kommen um die 5.000 neue Waffenscheine hinzu, während etwa 3.000 verfallen oder eingezogen werden. Um die 12.000 Waffen gehen in dieser Zeit legal über den Ladentisch, in Deutschland sind es zehnmal so viel.

Warum wollen sich die Polen nicht bewaffnen? Im Kommentar zu ihrer Umfrage, schrieb die „Rzeczpospolita“ (am 06.12.2016):

„Zum einen ist das Land weitgehend sicher. Die Zeiten mit hohen Kriminalitätsraten zwischen 1990 bis etwa 2005, mit Auftragsmorden, Bandenkriegen, massenhaftem Autodiebstahl, riesigem Alkohol- und Drogenschmuggel sind, Gott sei Dank, vorbei. Die Notwendigkeit mit der Pistole im Hosenbund herumzulaufen gibt es nicht.

Zum anderen, zweifeln die Leute offensichtlich ernsthaft daran, ob ein leichterer Zugang zu Waffen tatsächlich ihre Sicherheit erhöhen würde. Aktuell gibt es in Polen wenig Verbrechen mit Schusswaffengebrauch. Dagegen steht ein hoher Alkoholkonsum und eine Vielzahl damit verbundener Straftaten. Daher würden mehr Waffen in der Öffentlichkeit das Risiko von Tragödien stark erhöhen.  Ein guter Grund, weshalb die Politik in diesem Fall Volkes Stimme uneingeschränkt folgen sollte.“ Was sie, wie man sieht, ja auch tut.

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Die Waffen der Frau. Ministerpräsidentin Ewa Kopacz inspiziert die Radom-Waffenfabrik am 15.12.2014.

Die Statistik: 2015 wurden in Polen 836 Straftaten mit Schusswaffen verübt, darunter auch mit Gas- und Luftdruckwaffen. Ein Jahr später, 2016, waren es nur noch 526.

Ein Erbe des Kommunismus

Die Befürworter eines leichteren Zugangs zu Schusswaffen sehen in der heutigen in Polen geltenden rigorosen Beschränkungspraxis ein Erbe des Kommunismus. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatten die zu dieser Zeit zuständigen polnischen Landratsämter durchaus groβzügig Waffenscheine ausgestellt. Die Strafen für illegalen Besitz waren nicht hoch (bis zu drei Monaten Haft; heute sind es bis zu acht Jahre).

Unmittelbar nach dem Krieg, als sich vor allem zwischen 1945 und 1948 der antikommunistische Untergrund den Sowjets und den polnischen Kommunisten heftig widersetze, stand auf illegalen Waffenbesitz die Todesstrafe. Bis Mitte der fünfziger Jahre wurden etwa ein Drittel aller Todesstrafen im kommunistischen Polen wegen dieser Straftat verhängt und zumeist auch vollstreckt.

Jäger, Sammler, Nachinszenierer

Erst 2011 wurde das auch in nachkommunistischer Zeit weiterhin strenge, Recht auf Waffenbesitz gelockert. Seither muss die Polizei  einen entsprechenden Waffenschein ausstellen und zwar allen, die:

● einen gültigen Jagdschein vorweisen, ● eine Sportschützenlizenz haben, ● registrierte Sammler historischer Waffen sind, ● oder einem Reenactment-Verein angehören (Neuinszenierung historischer Ereignisse, zumeist von Schlachten, in möglichst authentischer Weise).

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Reenactment auf Polnisch. Am 01.08.2015 Nachinszenierung der ersten Stunden des Warschauer Aufstandes, der am 1. August 1944 ausgebrochen war. Anders als damals wurde jetzt nur mit Platzpatronen geschossen.

Im letzteren Fall gibt es eine Erlaubnis nur für platzpatronentaugliche Schuss- und Kriegswaffen. Sammler wiederum müssen ihre Waffen „dauerhaft schiessunfähig“ machen.

Eine interessante Kategorie stellen Waffen dar, die man geschenkt bekommen oder geerbt hat. Wenn z. B. der Ehemann seiner Frau zu Weihnachten seine legal gekaufte 44er Magnum schenkt, dann bleibt der Polizei nichts anderes übrig, als der Dame einen entsprechenden Waffenschein auszustellen.

Alle diese Leute müssen sich jedoch vorher einer psychologischen und psychiatrischen Überprüfung unterziehen. Wer sie nicht besteht, verwirkt das automatische Anrecht auf den Waffenschein.

Eine Erlaubnis wird ebenfalls nicht erteilt an Personen, die: ● wegen vorsätzlicher Straftaten oder wegen fahrlässiger Tötung bzw. Körperverletzung verurteilt wurden, ● einen Urteilsspruch wegen Trunkenheit oder Drogen am Steuer erhalten haben, ● Alkoholiker, rauschgiftsüchtig oder minderjährig sind. Ebenso erhalten Ausländer keinen Waffenschein.

Nach dem Gesetz ist man in Polen zwar mit achtzehn Jahren volljährig, aber, so die gängige Praxis, wer nicht mindestens 21 Jahre alt ist, erhält keinen Waffenschein .

Muss es die Polizei sein?

Anders als den Jägern, Sportschützen, Sammlern usw. ergeht es allen, deren „Leben, Gesundheit oder Eigentum einer ständigen, realen und überdurchschnittlichen Bedrohung ausgesetzt ist“. Ob die Bedrohung wirklich gegeben ist, darüber befindet die Behörde, die den Waffenschein ausstellt – die Polizei.

In den Augen der Befürworter einer Lockerung des Waffenrechts dürfte das nicht sein. Warum? Weil die Polizei zugleich Waffenscheine ausstellt und Waffenbesitzer kontrolliert. Je weniger Waffenscheine, umso weniger Arbeit durch vorgeschriebene Kontrollen.

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„»Dirty Radek«. Radosław Sikorski (51 Jahre) hat eine Kanone wie der berühmte Draufgänger“. Abbildung aus der Boulevardzeitung „Super Express“ vom 06.08.2014.

Der erhebliche Ermessenspielraum, den die Polizei augenblicklich hat, treibt manchmal seltsame Blüten. Der Auβenminister in der Tusk-Regierung, Radosław Sikorski berief sich darauf, dass sich drei Kilometer entfernt von seiner Sommerresidenz eine Strafvollzugsanstalt befindet und bekam den Waffenschein. Ein überfallener Wechselstubenbesitzer bekam ihn nicht.

Zum persönlichen Schutz sind in Polen Pistolen und Revolver mit einem Kaliber von bis zu 12 Millimetern erlaubt.

Wer eine solche Waffe haben will, muss zuerst Schießen lernen. Das kann man in einer Schieβanlage.

  • Das billigste Basispaket für Einsteiger in Warschau umfasst: 1,5 Stunden, 50 Stück Munition, Betreuung durch einen Instrukteur, Vermittlung von Grundkenntnissen: Sicherheit, Bauweise und Funktionsprinzip der Waffe, richtige Körperhaltung. Preis 400 Zloty (ca.95 Euro).
  • Das teuerste Paket (Stufe 3) in Warschau beinhaltet: 4 Stunden, 200 Stück Munition, Betreuung durch einen Instrukteur, Beibringen von Fähigkeiten, wie Schieβen mit einer Hand, schnelles Wechseln von Haltung und Position, Schieβen aus dem Laufen u. e. m. Preis 1.000 Zloty (ca. 280 Euro).

Am Ende steht die Prüfung

Erst nach einem Lehrgang empfiehlt es sich den Antrag auf einen Waffenschein in der zuständigen Woiwodschafts-Kommandantur der Polizei (es gibt sechzehn davon im Land) zu stellen.

Erforderliche Dokumente: ● ein allgemeinärztliches und ein psychiatrisches Tauglichkeitsgutachten. ● Nachweise (wie Jagdschein, Sportlizenz, Mitgliedschaft im Sammlerverein usw., bzw. die Begründung dafür weshalb eine Waffe zum eigenen Schutz gebraucht wird, inklusive der Bestätigung der „Gefahrenlage“ durch die örtliche Polizei oder eine andere Behörde vor Ort). ● Zwei Passfotos.

Gebühr: 250 Zloty (ca. 60 Euro). Bearbeitungsdauer: bis zu 60 Tage.

Abgesehen von Jägern, Sportschützen und Antragstellern, die im Berufsleben ständigen Umgang mit Waffen haben (Soldaten, Polizisten u. ä.) werden alle anderen von der Polizei zur Prüfung vorgeladen.

Zuerst gilt es einen Test mit zehn Fragen zu bestehen. Dieser ist nicht einfach, weil alle Fragen richtig beantwortet werden müssen und zwar mit dem genauen Wortlaut des Waffengesetzes. Beispiel: „Sind nur Schusswaffenpatronen Munition oder umfasst der Begriff Munition Schusswaffen- und Gaswaffenpatronen?“ In Polen ist die erste Antwort richtig.

Der praktische Teil: Fragen nach Sicherheitsbestimmungen, Aufbewahrungsregeln und das Zerlegen und Zusammenbauen einer Pistole. Zur Auswahl stehen meistens eine Glock 17, eine P-64 oder eine P-83 (bei den beiden letzten Modellen handelt es sich um polnische Konstruktionen). Die beiden wichtigsten Regeln: als erstes das Magazin entfernen und niemals den Lauf auf andere richten.

Die Ablehnungsquote lag in den letzten Jahren bei etwa 10 Prozent.

Illegale Waffen

Wer diese Prozeduren umgeht und sich illegal eine Waffe beschafft, riskiert bis zu acht Jahren Freiheitsentzug. Im Jahr 2016 beschlagnahmte die Polizei im ganzen Land 552 illegale Waffen und ca. 45.000 Stück Munition. Das ist nicht sehr viel, aber darunter befanden sich so gefährliche Tötungswerkzeuge, wie Skorpion- und Kalaschnikow-Maschinenpistolen.

Die größte „Ausbeute“ brachte eine groβangelegte Razzia in Oberschlesien, wo nicht nur knapp einhundert Waffen sichergestellt wurden, sondern auch eine gut ausgestattete Büchsenmacherwerkstatt mit u.a. knapp 50 hervorragend nachgebauten Schalldämpfern.

Davon, dass die Justiz in Polen keinen Spaβ in Sachen illegale Waffen versteht, zeugt der bedauerliche Vorfall aus dem 20.000-Einwohner-Ort Końskie unweit von Kielce in Mittelpolen.

Der 87-jährige Rentner Feliks Przyborowski (fonetisch: Pschiborowski) kämpfte während der deutschen Besatzung in einer Partisaneneinheit der Heimatarmee (AK) und weitere zwei Jahre lang nach dem Krieg gegen die Kommunisten. Als die Lage aussichtslos wurde, gelang es ihm sich ins zivile Leben abzusetzen. Vorher versteckte er seine britische Sten-Maschinenpistole, die die Royal Air Force bei ihren Versorgungsflügen für die Heimatarmee während des Krieges über dem besetzten Polen abgeworfen hatte.

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Feliks Przyborowskis patriotische Geschenkidee handelte ihm eine Anzeige wegen illegalen Waffenbesitzes ein.

Erst Mitte 2016 barg der Rentner seine Waffe aus dem Versteck und wollte sie  dem örtlichen Heimatmuseum zur Verfügung stellen. Der dortige Leiter war verpflichtet die Polizei zu informieren, was er auch tat. Das wiederum handelte Herrn Przyborowski von Amtswegen eine Anzeige wegen unerlaubten Waffenbesitzes ein. Die Boulevardpresse brachte den Fall an die Öffentlichkeit mit der Alarmmeldung, dem Veteranen des Freiheitskampfes drohe auf seine alten Tage Haft.

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Przyborowskis britische Sten-Maschinenpistole.

Justizminister Zbigniew Ziobro, der seit Anfang 2016, aufgrund der Rückkehr zu der bis 2010 geltenden Regelung, wieder das Amt des Justizministers und das des Generalstaatsanwaltes in Personalunion ausübt und somit die Aufsicht über die Staatsanwaltschaft inne hat, wies die zuständige Anklagebehörde an das Verfahren einzustellen.

Der vielbemühte Spruch, eine Waffe sei ein Feind, selbst für ihren Besitzer, hat sich wieder einmal (fast) bewahrheitet.

© RdP




Haie fressen Warschau auf

Gier, Mord, Mieterhatz. Abgründe der Privatisierung.

Sie wurde bei lebendigem Leib verbrannt, ihre halbverkohlte Leiche fand ein Spaziergänger im Warschauer Stadtwald Kabaty. Mitte August 2016, gut fünf Jahre nach dem rätselhaften Tod von Jolanta Brzeska (Bild oben), hat Justizminister Zbigniew Ziobro die Wiederaufnahme des Untersuchungsverfahrens angeordnet. Die Täter, so der Minister, und ihre Hintermänner sollen endlich nicht mehr ruhig schlafen können, die Staatsanwälte, die den Mord unter den Teppich gekehrt haben, sollen zur Verantwortung gezogen werden.

Anfang März 2016 ist eine Reform in Kraft getreten, die das ermöglicht: Polens Justizminister ist wieder gleichzeitig Generalstaatsanwalt, er kann von Amtswegen tätig werden und übernimmt dafür die volle Verantwortung. Die Staatsanwaltschaft ist wieder handlungsfähig geworden. Sechs Jahre lang war das anders.

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Justizminister Zbigniew Ziobro.

                   Unabhängig, unwillig, untätig

Im Jahr 2009 hatte die Regierung Donald Tusk die polnische Staatsanwaltschaft in die Unabhängigkeit entlassen:

● der Justizminister war nicht mehr zugleich Generalstaatsanwalt;

● ein vom Staatspräsidenten auf sechs Jahre berufener Generalstaatsanwalt hatte keinerlei Kontroll- und Weisungsbefugnisse gegenüber den 6.500 Staatsanwälten im Land. Er durfte nicht einmal Akteneinsicht in laufende Verfahren verlangen;

● eine Entlassung aus dem Dienst, die Absetzung einer leitenden Person, Strafversetzung, die Verhängung von Disziplinarstrafen, all das durfte nur ein aus Berufskollegen vor Ort bestehendes Disziplinargericht aussprechen. Diese Verfahren waren geheim, genauso wie die Begründungen der einzelnen Entscheidungen.

Beispiel: eine leitende Staatsanwältin aus Gdańsk. Zwei Jahre lang verhinderte sie, wider besseren Wissens, alle Versuche gegen die Verantwortlichen für die Amber-Gold-Affäre (Schattenbank-Finanzpyramide, am Ende umgerechnet ca. 200 Mio. Euro verschwunden, knapp 20.000 betrogene Sparer) ein ordentliches Untersuchungsverfahren durchzuführen. Der Generalstaatanwalt bat um ihre Absetzung vom leitenden Posten. Im Geheimverfahren wurde sie von dem aus Kollegen bestehenden Disziplinargericht freigesprochen. Warum? Begründung geheim;

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Amber-Gold-Werbung. Zwei Jahre lang wurde gestohlen was das Zeug hielt, die „unanhängige“ Staatsanwaltschaft mischte sich nicht ein.

● die strafrechtliche Belangung eines Staatsanwaltes (z. B. wegen Trunkenheit am Steuer, Ladendiebstahls usw.) konnte erst nach der Aufhebung der staatsanwaltlichen Immunität erfolgen. Die Aufhebung durfte wieder nur das Kollegen-Disziplinargericht in einem geheimen Verfahren verfügen.

Gängige Praxis: die Polizei lieferte zwischen 2009 und 2015 in etwa zweidutzend Fällen stichhaltige Beweise für solche Verfehlungen, die Kollegen-Disziplinargerichte stellten sich in 98 Prozent der Fälle vor die Übeltäter. Warum? Begründung geheim.

● „Störenfriede“, die ihre Arbeit engagiert und ordentlich verrichten wollten wurden gemobbt und isoliert. Ruhe haben, sich nicht überarbeiten, nicht anecken, keine Probleme bekommen… Angesichts einer solch groβzügigen „Unabhängigkeit“ der Staatsanwälte war der Geschädigte, der einfache Bürger vielerorts machtlos und der Verbrecher im Vorteil. „Unabhängig“ wie sie waren, stieβen nicht wenige Staatsanwälte nun zu den Klicken und Seilschaften aus Kommunalpolitikern, Richtern, Polizisten, Unternehmern, die vor allem die Provinz beherrschen.

Gängiger Trick: ein Staatsanwalt ohne jegliche Aufsicht und Kontrolle, der sich im Notfall auf die Kollegen-Solidarität verlassen konnte, leitete zwar prekäre Untersuchungsverfahren ein, zog sie aber schier endlos in die Länge, um sie dann einzustellen, sobald er annahm die Öffentlichkeit habe die Sache vergessen. So war es auch im Fall von Jolanta Brzeska (fon.: Bscheska).

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Februar 2011. Jolanta Brzeska bei der letzten Protestaktion vor ihrem Tod.

Neu aufgegriffen hat diesen Fall, der aufs Engste mit der kriminellen Häuserprivatisierung in Warschau verwoben ist, das Wochenmagazin „wSieci“ („imNetzwek“) vom 16.10.2016.

Selbst zusammengeschlagen + selbst angezündet = Selbstmord

„Das Schlimmste ist, dass diejenigen die Jola angezündet haben, ungestraft bleiben. Wir wissen nicht einmal, wie es ihnen gelang sie am 1. März 2011 zu täuschen und in den Kabaty-Wald zu bringen. Was ist passiert, dass gerade sie, die so klug, so intelligent war, sich in diese Falle locken lieβ“, diese Frage lässt Ewa Andruszkiewicz vom Warschauer Mieterverband nicht mehr los.

Noch vor Kurzem gab es keine Anzeichen dafür, dass es gelingen könnte den Fall zu lösen. Nicht etwa, weil er besonders kompliziert gewesen wäre. Sehr lange jedoch haben Polizei und Staatsanwaltschaft behauptet, es handle sich um einen Selbstmord.

Es war die allerbequemste Version. Deswegen wurde von vornherein auf wichtige Ermittlungsmaβnahmen verzichtet, andere wurden schludrig durchgeführt. Und als die Staatsanwaltschaft sich nach langer Zeit dennoch gezwungen sah zu der Überzeugung zu kommen, dass die 64-Jährige ermordet wurde, hat sie das Verfahren, mangels Beweisen, nach denen sie nie gesucht hatte, im Jahr 2013 schnell eingestellt.

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Warschauer Stadtwald Kabaty. Fundort der halbverkohlten Leiche Jolanta Brzeskas.

„Monatelang lag sie in einem Kühlfach der Gerichtsmedizin mit einem an den Zeh gebundenen Zettel „Name unbekannt“. Die aus Ihrer Wohnung dorthin gebrachten persönlichen Gegenstände mit DNA-Spuren waren irgendwo abhandengekommen, eine Identifizierung blieb monatelang aus. Die Staatsanwaltschaft hat‘s nicht gekümmert“, berichtet Ewa Andruszkiewicz.

Kurz nach Brzeskas Tod organsierten die Mieteraktivisten Proteste. Sie trugen Spruchbänder mit der Aufschrift: „Wer wird der Nächste sein?“ Dahinter verbarg sich die Angst, es könne noch weitere Morde geben, weil die Täter ja offenbar vor nichts mehr zurückschreckten. Ihre Motive lagen auf der Hand.

„Als mich die Polizei fragte, was der Grund für den Mord gewesen sein könnte, da habe ich geantwortet, dass es eine Million Motive gibt. Denn eine Million Zloty (knapp 250.000 Euro – Anm. RdP) ist die Wohnung, in der sie lebte wert, und Menschen werden für viel weniger Geld umgebracht“, erinnert sich Janusz Baranek vom Warschauer Mieterverband.

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Das reprivatisierte Haus in der Warschauer Nabielakstrasse 9. mit Jolanta Brzeskas Wohnung.

In die Wohnung in der Nabielakstrasse 9, im Stadtteil Mokotów, war Jolanta Brzeska schon als Kleinkind eingezogen, Anfang der 50er Jahre. Ihr Vater hatte die Unterkunft von der kommunalen Wohnraumbewirtschaftung zugewiesen bekommen, als Gegenleistung für einige tausend unbezahlte Arbeitsstunden, die er in seiner Freizeit beim Wiederaufbau des ausgebrannten Hauses geleistet hatte. Es war eine im kommunistischen Nachkriegspolen gängige Praxis den knappen Wohnraum zuzuteilen.

Treuhänder für 120-jährige Mandanten

Im völlig zerstörten Warschau hatten die kommunistischen Behörden schon 1945, per Dekret, den gesamten Grund und Boden (ca. siebentausend Hektar) und alle (ca. vierzehntausend) Gebäude nationalisiert, um „einen reibungslosen Wiederaufbau zu garantieren“.

Der Kommunismus ging 1989/1990 zu Ende. Gut zehn Jahre später begann die sehr zögerliche Rückgabe der einst nationalisierten Warschauer Parzellen und Gebäude an ihre ursprünglichen Eigentümer. Seitdem im Jahre 2006 die stellv. Vorsitzende der Bürgerplattform und enge Tusk-Vertraute Hanna Gronkiewicz-Waltz das Amt der Warschauer Oberbürgermeisterin bekleidet, verwandelte sich die Reprivatisierung zunehmend in ein hochkriminelles Unterfangen.

Ein Netzwerk aus Anwälten, städtischen Beamten, Richtern und gnadenlosen Spekulanten verdiente auf diese Weise Millionen von Euro. Ihre Opfer, es sind mittlerweile einige Tausend, waren lange Zeit auf sich selbst gestellt und wurden als „Krawallmacher“, „Unangepasste“ diffamiert. Die tote Jolanta Brzeska tauchte lange Zeit in einschlägigen Internetforen als eine Drogenabhängige auf, die sich selbst umgebracht hatte.

Das Privatisierungs-Prozedere weckte jahrelang kein Interesse bei der Staatsanwaltschaft. In den regierungsfreundlichen Medien der Tusk-Ära wurde es schweigend übergangen. Richter übertrugen anstandslos offensichtlichen Betrügern die Eigentums- und Verfügungsrechte über Immobilien. Auch auf solche Personen, die z. B. anhand eindeutig manipulierter Unterlagen behaupteten, Treuhänderschaften für in Amerika lebende Eigentümer zu übernehmen, die manchmal 120 und mehr Jahre alt sein müssten.

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Warschauer Oberbürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz mit Ehemann Andrzej.

An einem dieser äuβerst zweifelhaften Deals (Haus in der Noakowskistrasse 16) war im Februar 2007 Andrzej Waltz, der Ehemann der Oberbürgermeisterin beteiligt, und verdiente daran umgerechnet einige hunderttausend Euro.

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Am Haus in der Noakowskistrasse 16 (zweites v. rechts, weiss) einige hunderttausend Euro verdient: Andrzej Waltz.

Für die Warschauer Oberbürgermeisterin Gronkiewicz-Waltz ist das alles kein Anlass zum Rücktritt. Obwohl seit 2006 im Amt, habe sie von dem Tun der Privatisierungsmafia nichts gewusst, der Deal ihres Mannes sei legal gewesen und die Entlassung zweier ihrer Stellvertreter habe die ganze Sache bereinigt. Vor allem aber müsse sie auf ihrem Posten ausharren, denn bei vorgezogenen Oberbürgermeisterwahlen könnte er an einen Vertreter der Kaczyński-Partei fallen, und das wäre „fatal für die polnische Demokratie“.

Diese Befürchtung ist auch der Leitgedanke eines der wenigen Berichte zudem Thema in den deutschen Medien, der zu dem nur einen Fall von hunderten schildert. Ein grausamer Mord, hunderte brutal fortgejagter Mieter, eine riesige Korruption? Alles „Gemauschel“. Hier zu lesen.

Jäh in den Abgrund

Der vergilbte Zuteilungsbescheid der kommunalen Wohnraumbewirtschaftung für Jolanta Brzeskas Wohnung aus dem Jahr 1951 verlor seine Gültigkeit als das Haus in der Nabielakstrasse 9 reprivatisiert wurde. Es lief ab nach dem klassischen Muster: plötzlich, von einem Augenblick zum anderen, hatte das Haus einen Eigentümer. Wie meistens handelte es sich auch dieses Mal hierbei nicht um einen Erben, sondern um einen sogenannten Rechtsnachfolger.

Und, der damit verbundene Fall Jolanta Brzeska hatte nicht nur ein tragisches Ende, sondern bereits einen besonders dramatischen Anfang. Er begann nicht, wie üblich, mit einem Zettel, der am Hauseingang angebracht oder in den Briefkasten eingeworfen wurde.

Eines Samstags im Jahr 2006 klingelte es an der Tür und eine Gruppe von Männern betrat die Wohnung, angeführt vom dem berüchtigten Marek Mossakowski, stadtbekannt als der gnadenlose „Gebäudereiniger“, weil er Mieter aus privatisierten Häusern mit den rüdesten Methoden zu verjagen versteht. Damals, am Mittagstisch sitzend, hörte Jolanta Brzeska zum ersten Mal, dass sie in einer fremden Wohnung lebe.

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Jolanta Brzeska hat die Auswüchse der Warschauer „Reprivatisierung“ penibel dokumentiert.

Danach ging es Schlag auf Schlag: zehnfache Mieterhöhung gegenüber der kleinen Abgabe, die sie bis zu diesem Zeitpunkt an die kommunale Wohnraumbewirtschaftung entrichtet hatte, weil sie nun „ohne gültigen Vertrag“ die Wohnung nutze. Dazu 500 Zloty (ca. 120 Euro – Anm. RdP) monatlich für das Durchqueren des Zugangs vor dem Hauseingang.

Jolanta Brzeska konnte nicht zahlen. Ihre Schulden gegenüber dem neuen „Eigentümer“ stiegen rasant. Die Stadt verweigerte ihr eine Ersatz- Kommunalwohnung. Begründung: ihre Rente übersteige um 20 Zloty (ca. 3,50 Euro) das Einkommenslimit, ab dem eine solche Wohnung gewährt werden kann.

„Sie kämpfte, dachte nicht daran aufzugeben. Sie wollte zeigen, dass sie, ohne eigenes Verschulden, in eine ausweglose Situation hineinmanövriert worden war. Sie ging penibel und systematisch vor, legte ihr eigenes Archiv der Warschauer Privatisierung an. Alles wurde genau beschrieben von ihr, in Plastikhüllen und Schnellhefter einsortiert. Ein Haus nach dem anderen: die rechtliche Situation und die Zwischenfälle bei der Übernahme der Liegenschaften“, berichtet eine ihrer Bekannten.

Kurz vor ihrem Tod erhielt sie einen Behindertenausweis. Nun konnte sie der „Eigentümer“ nicht mehr einfach so auf die Straβe setzen.

Brutal und wirksam

Zum ersten Todestag von Jolanta Brzeska klebte jemand ein riesiges Bild an eine Hauswand im Warschauer Stadtzentrum. Marek Mossakowski hält darauf in der einen Hand einen Benzinkanister und die Streichhölzer in der anderen. Daneben die Aufschrift: „Mossakowski: Warschau ist leicht entflammbar“, eine Andeutung an die Verbrennung Jolanta Brzeskas.

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Mossakowski-Wandbild. „Gebäudereiniger“ mit Benzin und Streichhölzern. „Warschau ist leicht entflammbar“.

Das Bild wurde schnell entfernt, aber die finstere Gestalt Mossakowskis ist aus der Welt der alternativen Stadtkultur Warschaus nicht mehr wegzudenken: Poster, Lieder, selbst ein Bühnenstück entstand. Im Warschauer Reprivatisierungs-Dschungel ist er der König: 60 Liegenschaften nennt er inzwischen sein eigen.

„Mossakowski kam zu uns ins Büro mit seiner Anwältin und erklärte er wolle mit uns zusammenarbeiten. Er ließ sich im Sessel nieder und erzählte, dass er Häuser reprivatisieren könne. Ich habe ihn gefragt, um welche Liegenschaften er sich dabei bemühe. Als er mir alle seine Ansprüche aufzählte, habe ich ihn hinausgeworfen. Das ist ein Hochstapler“, erzählt Mirosław Stypułkowski, vor einigen Jahren noch der Präsident der Union Polnischer Liegenschaftseigentümer.

Dieser Besuch fand Ende der 90er Jahre statt. Damals lebten noch die direkten Nachkommen der Eigentümer der in den Nachkriegsjahren nationalisierten Wohnhäuser, meist in Kleinstwohnungen, ohne Hoffnung jemals ihr ganzes Eigentum zurück zu bekommen. Mossakowski sah alte Grundbücher durch, man ließ ihn, gegen ein paar Zloty Trinkgeld, diskret die Warschauer Gerichtsarchive auf Liegenschaftssachen hin durchforsten.

Für wenig Geld kaufte er dann einzelne Eigentumsrechte von den mittlerweile hochbetagten, zumeist weiblichen Erben. Sein Rekord: 50 Zloty (ca. 12 Euro – Anm. RdP) für den Anteil einer alten Dame am Wohnhaus in der Hozastrasse 25A, beste Adresse, mitten im Warschauer Zentrum. Der so erworbene Gebäudanteil war zwar klein, aber Mossakowski musste auch lediglich einen Fuβ in der Tür haben. Hatte er erst einmal einen Rechtstitel, dann mobbte er die andren Eigentümer raus bis er Alleineigentümer war. Dann kamen die Mieter an die Reihe, die, wie Jolantas Vater ihr Wohnrecht als Gegenleistung für die beim Wiederaufbau des Gebäudes geleistete Arbeit erhalten hatten. Zudem verlangte er von der Stadt horrende Entschädigungen für die Jahrzehnte der kommunalen Nutzung „seines“ Eigentums, und bekam sie auch.

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Haus in der Warschauer Hozastrasse 25A. Für zwölf Euro abgeluchst.

„Er handelt brutal und wirksam. Hat keine Hemmungen. Meistens tritt er zusammen mit seinem Liegenschaftsverwalter Hubert Massalski auf. Sie spielen perfekt den „good“ und „bad boy“. Der eine brüllt: „Raus aus meinem Haus!“, der andere besänftigt: „Mein Kollege ist ein bisschen ausgerastet“.

Jolanta Brzeska berichtete ihren Freunden über diese Vorfälle, sie hatte immer das schreckliche Gefühl, dass diese beiden Männer die Institutionen und die Angestellten der Stadt auf ihrer Seite hatten. Ohne Probleme hatte sich Mossakowski z.B. widerrechtlich unter der Adresse ihrer Wohnung angemeldet. Als nächstes versuchte er einige Male mit Gewalt dort einzudringen.

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Das Warschauer Liegenschaftsamt (unteres Schild). Mieteraktivisten bemerkten, dass die Arbeitszimmer der wichtigsten Mitarbeiter zwielichtigen Gestalten wie Mossalowski stets offen gestanden haben.

Die Mieteraktivisten bemerkten sehr schnell, dass sich Mossakowski im hauptstädtischen Liegenschaftsamt wie zu Hause fühlte. Die Arbeitszimmer der wichtigsten Mitarbeiter standen ihm immer offen.

Erschien ein Erbe in dem Amt, der sich um die Rückgabe einer Liegenschaft bemühte, dann bekam er zu hören, die Angelegenheit sei kompliziert und aussichtslos. Seltsamerweise nahm dann meistens einige Wochen später Mossakowski Kontakt mit genau diesem Erben auf, und für ihn war dieselbe Angelegenheit ein Leichtes.

„Wir gewinnen immer, wir können alles“

„Es steht auβer Zweifel“, so der Mieteraktivist Janusz Baranek, „dass Mossakowski und Massalski nur Handlanger sind. Hinter ihnen stehen viel einfluβreichere Personen“. Sie verbergen sich diskret im Schatten. Mossakowski ist nicht nur ihr Strohmann, sondern ein Blitzableiter, der alle negativen Emotionen in Bezug auf die wilde Warschauer Privatisierung auf sich zieht und neutralisiert.

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Einschüchtern und verjagen. „Bad boy“ Massalski (links) und „good boy“ Mossakowski.

Seit 2008 hat Baraneks Warschauer Mieterverband bei der hauptstädtischen Staatsanwaltschaft mehrere Anzeigen gegen Mossakowski erstattet und darauf hingewiesen, dass es in Warschau offenbar eine organisierte kriminelle Vereinigung gibt, die von der Stadt Liegenschaften ergaunert. Alle wurden abgewiesen, auch die, die den Fall Hozastrasse 25 betraf: 50 Zloty für Eigentumsanteile an einem Gebäude, das Millionen wert ist.

Sein Kompagnon Hubert Massalski ist dafür bekannt, dass er unentwegt SMS im Gerichtssaal schreibt. „Manchmal bittet er um eine Pause. Er hat keine juristische Ausbildung, dennoch schüttet er jedes Mal nach der Pause wie aus einem Füllhorn, Anträge an das Gericht aus, samt den dazugehörenden Paragraphen. Die Richter wundern sich oft nicht schlecht“, berichtet Ewa Andruszkiewicz.

Seit Jahren führt sie Prozesse gegen Massalski, der sie aus ihrer Wohnung in der Warschauer Dabrowskistrasse 18 verjagt hat. Jetzt will er das Gartenhäuschen, in dem sie Zuflucht gefunden hat, versteigern lassen und so ihre „Mietrückstände“ ausgleichen. Einmal kam er auf dem Gerichtskorridor auf sie zu und sagte ihr wütend: „Merken Sie sich: wir gewinnen immer und wir können alles.“ Diese Worte deuten darauf hin, dass über Warschaus bekanntestem „Gebäudereiniger“ und seinem Verwalter ein Schutzschirm aufgespannt ist.

Den Eindruck hatten auch die Mieteraktivisten während der Untersuchung nach dem Tod von Jolanta Brzeska. Deswegen atmeten sie auf als Justizminister Zbigniew Ziobro bekanntgab, dass die neue Untersuchung von der Staatsanwaltschaft Gdańsk durchgeführt wird.warszawa-jolanta-brzeska-plakaty-fot

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„Zum Gedenken an Jolanta Brzeska. Uns alle könnt ihr nicht verbrennen“. Die einst biedere Hausfrau ist heute die Ikone des Widerstandes gegen dre Warschauer Reprivatisierungsmafia.

Bei der ersten Untersuchung hatten sie beobachtet wie die Warschauer „unabhängige“ Staatsanwaltschaft unentwegt von Selbstmord sprach, wahrscheinlich um bloβ nicht Mossakowski verhören zu müssen. „Erst die Gerichtsmediziner aus Kraków, die vom Anwalt der Brzeska-Tochter angefordert worden waren, schlossen 2013 den Selbstmord aus“, erinnert sich Janusz Baranek. „Das wussten wir von vorneherein. Wenn sie hätte Selbstmord begehen wollen, dann hätte sie das vor dem Amtsgebäude von Ministerpräsident Donald Tusks oder vor dem Rathaus von Frau Gronkiewicz-Waltz getan.“

Die Gutachter kamen zu dem Schluss, dass zwei bis drei Personen Brzeska angezündet haben müssen. Wahrscheinlich wollten sie sie einschüchtern und die Lage geriet auβer Kontrolle. Ein Zeuge will gesehen haben, wie Brzeska am 1. März 2011 aus dem Hausgang in Begleitung von zwei Männern kam und zu einem Auto ging, an dem ein dritter wartete.

Brzeska hatte die Wohnung in groβer Eile verlassen. Ihre Tochter fand in der Wohnung ihr Handy und ihre Handtasche. Auf dem Tisch stand aufgetautes Fleisch aus der Tiefkühltruhe. Ihre Kollegen aus der Mieterbewegung sind felsenfest davon überzeugt, dass sie niemals Leuten, die sie nicht kannte, die sich nicht ausweisen konnten die Tür geöffnet hätte. Sie selbst hatte ihnen immer wieder eingebläut, sich mit Mossakowski niemals in der Wohnung sondern auf neutralem Boden, z.B. in einem Café, zu treffen.

Hatte man sie unter dem Vorwand ihr wichtige Informationen zu geben aus ihrer Wohnung gelockt? Oder hatten sich die Mörder als Polizisten bzw. Staatsanwälte ausgegeben?

„Als sie im Polizeipräsidium ihre Sachen aus einem schwarzen Müllsack herausgeholt haben, sah ich neben ihrer angesengten Brille, der Uhr und dem Schlüsselbund eine weiβe Leinentasche. Jola verstaute in ihr für gewöhnlich ihre Reprivatisierungs-Unterlagen. In der Tasche war aber nur eine Zeitung. Jemand muss die Papiere rausgenommen haben. Diese Papiere könnten zu den Tätern führen“, erzählt Brzeskas Freundin Wanda Padzioch.

Der Wille lässt hoffen

Jolanta Brzeskas Wohnung in der Nabielakstrasse 9 wurde kurz nach ihrem Tod zum Verkauf angeboten. Preis: eine Million Zloty. Zwei Jahre lang gab es keinen Käufer, der Preis war sehr hoch. Schlieβlich ging sie weg. Der neue Eigentümer muss damit leben, dass an jedem 1. März einige hundert Menschen Jolanta Brzeskas mit Reden, Sprechchören, Blumen und einem Meer von Grablichtern gedenken.

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Jolanta Brzeskas Grab auf dem Warschauer Südfriedhof.

„Es gibt kein perfektes Verbrechen. Die Aufklärung hängt sehr davon ab, ob es einen Willen gibt die Mörder zu finden. Jetzt ist er endlich da“, sagt Wanda Padzioch. „Es gab wahrscheinlich drei Täter. Irgendwann wird einer von ihnen das Schweigen brechen und dann erfahren wir endlich die Wahrheit.“

Das Zentrale Antikorruptionsbüro (CBA) ermittelt seit dem Sommer im Warschauer Rathaus. Mitte Oktober 2016 kündigte Justizminister Zbigniew Ziobro die Einberufung eines Untersuchungsausschusses an, der alle Warschauer Reprivatisierungen unter die Lupe nehmen wird. Die Aussagen vor dem Ausschuss sollen öffentlich sein. Stadtpräsidentin Gronkiewicz-Waltz spricht von einem „politischen Rachefeldzug“.

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RdP




Russland kennt keine Gnade

Ein Pole in den Fängen des Unrechts.

Dem russischen Straflager ist Anatol Łoś nur deshalb lebend entkommen, weil er sich einst eine eiserne Kondition antrainiert hat, weil er Russisch spricht und Russland gut kennt. Ein durchschnittlicher westeuropäischer Kaufmann hätte so etwas niemals durchgestanden. Zum Backen und zum Bestreuen von Gebäck lieferte Łoś über Jahre hinweg Tonnen von Schlafmohnsamen nach Russland. Und dann, plötzlich, hat man aus ihm einen Rauschgifthändler gemacht.

Nachstehend dokumentieren wir einen Bericht des Wochenmagazins „wSiecI“ („imNetzwerk“) vom 4. – 10. Januar 2016.

Die polnische Firma BNI Sp. z o. o. (BNI GmbH) hat ihren Sitz am Rande von Warschau. Jahrelang fuhren auf ihrem Hof russische Lkws vor, um für Groβhändler in Russland Container mit Schlafmohnsamen abzuholen. Irgendwann baten die Kunden aus dem Osten, die Firma möge die Ware selbst anliefern und sich um die Grenzabfertigung kümmern, weil der russische Zoll mit ausländischen Fuhrunternehmen gnädiger umgehe als mit den eigenen.

Für den in Polen und in Frankreich eingekauften Schlafmohn gab es alle amtlicherseits erforderlichen polnischen sowie französischen Papiere, die bestätigten, dass die Ware keine drogenhaltigen Substanzen enthält. Geliefert wurde nur in verplombten Lkws. An der Grenze machte der russische Zoll seine Rauschgiftkontrollen, anschlieβend fand noch eine penible Überprüfung der Samen im Hinblick auf mögliche Schadstoffe statt. Eine Kontrolle, die von russischer Seite bei allen aus dem Westen eingeführten Lebensmitteln durchgeführt wird.

Die Lieferungen gingen an Groβbäckereien und Gebäckfabriken. Alles legal, genau belegt anhand von Attesten, Frachtbriefen und Rechnungen. Die BNI hatte eine Zweigstelle in Rostow am Don eingerichtet, einer Zweimillionenstadt im Süden Russlands. Dort fuhr der heute 64-jährige Anatol Łoś (fonetisch Uosch) regelmäβig hin, um nach dem Rechten zu sehen.

Beweise werden sich finden

Łoś war daher sehr erstaunt als er im März 2012 Besuch von Beamten der Rauschgiftfahndung (Rosnarkokontrol) bekam, die ihm andeuteten, dass er Probleme bekommen könnte. Łoś ignorierte diese Warnung, wähnte sich auf der sicheren Seite. Alle Papiere waren in bester Ordnung, warum sollte die Firma also noch mehr Schutzgeld zahlen als bisher, fragte er sich? Zwei Monate später war er bereits in Haft.

„Er hat mich kurz auf dem Handy angerufen, dass sie ihn mit einem Bus von Rostow nach Apscheronsk (Entfernung ca. 370 km Richtung Süden – Anm. RdP) bringen. Mit diesem Bus war eine ganze Mannschaft von Beamten gekommen um ihn abzuholen, alle waren mit Kalaschnikows bewaffnet. Zuerst habe ich nichts verstanden, dann merkte ich, wie meine Knie weich wurden, und dann bin ich ins Flugzeug gestiegen und nach Russland geflogen, um meinen Mann zu retten“, berichtet seine Ehefrau Olga.

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Mit Putins Anordnung, den Süden Russlands vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2012 von Rauschgifthändlern zu säubern, begann Anatol Łoś’s  dramatische „Drogenkarriere“ .

Vor Ort begann sie nachzuforschen was eigentlich vorgefallen sei. Der Eigentümer einer russischen Firma, die von BNI beliefert wurde, namens Salimgeroi Kurajew hatte eine kleine Portion Schlafmohn als Handelsprobe an zwei Männer verkauft, die sich als Vertreter einer Bäckerei ausgaben. Wie sich später herausstellte, war einer von ihnen in Wirklichkeit ein Drogenabhängiger, der andere ein verdeckter Ermittler der Drogenfahndung. Das war der Ausgangspunkt der ganzen Affäre.

Kurajew warf man nun vor, er betreibe Handel mit einem Rohstoff zur Herstellung von Drogen. Worin aber das Wesen dieses Drogengeschäftes bestanden haben soll wurde nie geklärt, denn der Beschuldigte hatte 1 kg Schlafmohnsamen für den offiziellen Preis von damals 110 Rubel verkauft.

Es wurde auch nie die Frage beantwortet, wie man aus handelsüblichem Schlafmohn Rauschgift gewinnen könne. Diese Frage wurde zwar später vor Gericht gestellt, der Richter aber ließ sie nicht zu. Stattdessen wurde die Behauptung aufgestellt, Schlafmohn der Firma BNI beinhalte Reste von Mohnstroh, aus dem sich Rauschgift gewinnen ließe. Die Mohnstrohbeimischung betrug jedoch nicht einmal ganze 4 kg in der sichergestellten Zehntonnenpartie (10.000 kg), so die Berechnung der Ermittler anhand der Stichprobenuntersuchung aus einigen Säcken.

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Emblem der russischen Drogenfahndung. Egal wie, Erfolge müssen her.

Der leitende Untersuchungsbeamte telefonierte daher vier Mal mit seinem Vorgesetzten und fragte nach, ob er für den Polen Łoś wirklich Untersuchungshaft beantragen solle. Er sollte. Auch der Haftrichter war sich nicht sicher, ob er dem Antrag stattgeben soll. Der leitende Untersuchungsbeamte hingegen hegte nun keine Zweifel mehr und beteuerte: „Ich gebe Ihnen mein Offizierswort, dass es in spätestens drei Tagen Beweise geben wird.“ Olga Łoś: „Nun war klar, egal was passiert, Beweise werden sich finden.“

Ihr Mann beteuerte beharrlich seine Unschuld, auch wenn er daraufhin immer wieder für Tage in der eiskalten, kahlen Strafzelle landete. Olga Łoś fuhr immer wieder nach Apscheronsk, wo sie einen Anwalt für ihren Mann gefunden hatte. Sie brach um drei Uhr früh in Rostow auf, quälte sich auf der mit Baustellen übersäten, kurvenreichen Landstraβe voran, um in das Bergstädtchen zu gelangen. Dort befand sich das zuständige Gericht, und dort residierte, im gröβten Gebäude der Stadt, die Drogenfahndungsbehörde.

Der Anwalt hatte meistens nur sehr wenig Zeit für die Ehefrau seines Mandanten. Sie hatte den Eindruck, er flüchte vor ihr, weiche ihren Fragen aus. Die Verhandlung wurde für Dezember 2012 angesetzt. Einige Monate vorher riet ihr der Anwalt: „Fangen Sie schon mal an Geld für das Gericht bei Seite zu legen. Das Ganze wird nicht billig sein.“

Überlebenskampf

In der Untersuchungshaft in Apscheronsk zahlte man für alles. Für jeden Besuchstermin, für einmal Telefonieren in der Woche, für die Aushändigung eines Päckchens, von dessen ursprünglichem Inhalt gewöhnlich nicht viel übrig geblieben war wenn es ankam.

Als Olga Łoś klar wurde, dass der Anwalt aus Apscheronsk ihrem Mann nicht wirklich helfen wollte, fand sie einen Rechtsbeistand in Rostow. Dieser war sehr engagiert und rettete Anatol Łoś wahrscheinlich das Leben. Bei einem Besuchstermin begutachtete er das wunde Knie seines Mandanten. Man hatte den Häftling die Treppe hinuntergestoßen. Der Anwalt war bei der Roten Armee während des Afghanistankrieges Sanitäter gewesen. Er ging in die nächste Apotheke und brachte dem Häftling ein Antibiotikum. Der beginnende Wundbrand konnte geheilt werden.

„Wir haben alles in unserer Macht stehende getan, um Anatol zu helfen. Die Zellen in russischen Gefängnissen sind überfüllt. In der Regel gibt es mehr Insassen als Schlafplätze. Daher wird abwechselnd geschlafen. Auf kleinster Fläche sind sehr unterschiedliche Menschen zusammengepfercht. Einer der seine Familie mit der Axt erschlagen hat, neben einem Rauschgiftsüchtigen auf Entzug, der schreit und sich vor Schmerzen windet. Wer bezahlt, kommt in eine bessere Zelle“, erzählt der BNI-Firmenchef Wojciech Urbański.

Das Geld für Łoś floss ununterbrochen nach Russland, wurde im Firmenbudget fest eingeplant. Schon zu Beginn des Untersuchungsverfahrens gab es Hinweise, dass es für ein gigantisches Bestechungsgeld eingestellt werden könnte. Soviel konnte die Firma jedoch nicht aufbringen. Auβerdem war die Aussicht, dass die Russen ihr Wort auch halten würden zu vage.

„Man versuchte mich nach Russland zu locken. Ich sollte im Untersuchungsverfahren aussagen. Ich war durchaus bereit hinzufahren, aber ein russischer Bekannter fasste sich nur an den Kopf und fragte, ob ich denn verrückt geworden sei. Wenn sie mich verhören wollten, dann höchstens in Polen oder in der polnischen Botschaft in Moskau. Bei einer informellen Anfrage wie dieser hingegen, sei die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch mich als „Mitschuldigen“ einsperren würden sehr groβ“, erzählt BNI-Chefmanager Robert Olszewski.

Bei BNI hatte man allen Grund sich vorsichtig zu verhalten. Die Russen beteuerten z.B., dass Łoś während der Verhandlung auf freiem Fuβ bleiben könne, sobald das polnische Auβenministerium ein förmliches Schreiben mit der Garantie ausstellen würde, dass der Angeklagte jeder Vorladung Folge leistet.

„Das war, wie sich später herausstellte, jedoch nicht ernst gemeint. Wir haben ein solches Garantieschreiben erwirkt, was nur sehr selten gelingt. Wenn »Rauschgift« im Spiel ist, wird die Angelegenheit sehr genau geprüft. Die Russen haben Anatol dennoch nicht auf freien Fuβ gesetzt“, erinnert sich Urbański.

Als Łoś zu elf Jahren schweren Straflagers verurteilt wurde, kümmerte sich die Firma um das Wichtigste: er sollte bloβ nicht in ein Lager jenseits des Ural kommen. So wurde er in die Nähe von Krasnodar verlegt. Der Kommandeur des Lagers bekam alle drei Monate ein dickes Bündel Dollarscheine damit er seine schützende Hand über den Häftling hielt. Auch Łoś selbst bekam Geld, um die mit ihm einsitzenden Kriminellen bezahlen zu können. Jeder von ihnen hatte ein Messer bei sich. Łoś lernte es sehr wachsam zu schlafen.

„Eigentlich, so sagte er mir, habe er damals mit seinem Leben abgeschlossen“, so Łoś‘s polnischer Anwalt Marek Markiewicz.

Eingesperrt, Firma beschlagnahmt

Aus einer aufgerissenen Tüte rieseln Schlafmohnkörner auf den Tisch. Im Warschauer BNI-Büro zeigt uns Chefmanager Olszewski die in Frankreich eingekaufte Ware aus der Nähe. Wenn man die 500 Gramm Packung genau untersucht, kann man manchmal eine winzig kleine Verunreinigung, nicht gröβer als 0,5 mm, entdecken. Der Schlafmohn wurde bereits in Frankreich gereinigt und der millimetergroβe Halm ist gemäβ den EU-Vorschriften völlig belanglos. Für Russland jedoch wurde die Ware zusätzlich noch einmal gereinigt. BNI hatte speziell zu diesem Zweck eine Maschine gekauft.

„Wir waren sehr darum bemüht keine Probleme zu bekommen. Wir waren vorsichtig. Wir hatten alle Papiere, wir haben alle offiziellen und „nicht offiziellen“ Gebühren bezahlt. Man kennt ja die russische Wirklichkeit. Wir haben für das gesorgt, was die Russen »Krischa« – »Überdachung« nennen. Wir haben einen Schutzschirm aus Leuten mit Beziehungen aufgespannt, der die Firma vor behördlichen Repressalien bewahren sollte“, berichtet Urbański.

Diese Leute haben Anatol immer wieder nachdrücklich darauf hingewiesen, dass er aufpassen und der örtlichen Konkurrenz aus dem Weg gehen solle. Dennoch muss er irgendjemandem auf die Füße getreten haben.

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Roman Schilow, Eigentümer einer groβen australischen Firma, die mit Dörrobst handelt, sitzt auch im russischen Gefängnis.

„Damals habe ich gesagt, dass die erste Person, die jetzt bei unseren französischen Lieferanten erscheinen wird, die Probleme verursacht hat. Beinahe umgehend nach Anatols Verhaftung kam Roman Schilow zu ihnen, der Eigentümer einer groβen australischen Firma, die mit Dörrobst handelt“, sagt Urbański.

„Kurz darauf tauchte er auch bei uns in Warschau auf, um Schlafmohn für Russland zu kaufen. Wir schöpften zwar Verdacht, offiziell hatten wir aber keinen Grund nicht mit ihm zu reden. Vielleicht, so dachten wir, könnte man sogar etwas mehr erfahren. Wir redeten lange bei Wodka und Zubiβ. Schilow war bester Laune. Er habe eine »Super-Krischa«, ihm könne in Russland niemand etwas anhaben“, so Urbański.

Schilow flog von Warschau nach Moskau und schon drei Wochen später saβ er hinter Gittern. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Straflager. Seine Firma wurde durch die Russen beschlagnahmt.

Verhaftet wurde auch Prof. Olga Zelenina, Russlands herausragendste Kennerin von Ölpflanzen. Am 15. August 2012 stürmte eine maskierte Polizeieinheit ihre Wohnung in der Stadt Lunino, unweit von Pensa, etwa 550 Kilometer Luftlinie südöstlich von Moskau.

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Prof. Olga Zelenina nach ihrer Festnahme.

Prof. Zelenina hatte Pech. Sie hatte ein Gutachten verfasst, das den Behörden überhaupt nicht gefiel. Sie stellte fest, dass Schlafmohnkörner kein Rohstoff für Drogen sei. Ihr drohen bis zu zwölf Jahre Haft. Weil sich viele berühmte internationale Chemiker für sie eingesetzt haben, wurde sie bis zu ihrem Prozess auf freien Fuβ gesetzt.

Erfolge im Kampf gegen Drogen müssen sein

„Es ist klar, dass Schlafmohnkörner kein Rohstoff für Drogen sind, weil sie keine Alkaloide, wie z. B. Morphium enthalten“, sagt der polnische Sachverständige Jacek Wrona. „Auβerdem nutzen auch 4 kg Mohnstroh einem Drogenhersteller nichts. 4 Kilo passen in eine Einkaufstüte. Er benötigt aber mindestens einen groβen Kartoffelsack davon. Trockenes Stroh ist zudem ein schlechter Rohstoff. Verwenden kann man die oberen 10 cm des Stiels, der Rest ist wertlos. Deswegen war der Vorwurf gegen Łoś absurd.“

Russland hat ein riesiges Drogenproblem. Es wird buchstäblich von Heroin aus Afghanistan überschwemmt. Sehr oft wird der Verdacht geäuβert, dass diejenigen den Drogenhandel betreiben, die ihn eigentlich bekämpfen sollen, nämlich die Leute von der russischen Rauschgiftfahndung.

Als Russland sich auf die Olympischen Winterspiele in Sotschi vorbereitete, befahl Präsident Wladimir Putin den Süden Russlands von Drogenabhängigen zu säubern. Und gerade zu diesem Zeitpunkt begannen die Probleme Anatol Łoś‘ und der polnischen Firma BNI. Es genügt nur ein wenig im russischen Internet zu surfen, um zu sehen, dass es damals geradezu eine Welle von Verfahren in Sachen Schlafmohn gab. Diese Verfahren sollten den Beweis erbringen, dass Rauschgift aus dem Westen nach Russland gelangt, und dass die Rauschgiftfahndung diese Vorgänge erfolgreich bekämpft.

Kalte Schulter der Heimat

Ende 2015 wurde Anatol Łoś zur Verbüβung der restlichen Strafe nach Polen entlassen. „Wir haben so sehr daran geglaubt, dass, sobald mein Mann nach Polen überstellt wird, ihm Gerechtigkeit widerfahren wird. Wir wollten uns nicht an das russische Oberste Gericht wenden, das zwischenzeitlich das Strafmaβ für den BNI-Kunden Kurajew herabgesetzt hatte. Wir wollten Anatol schnellst möglich nach Polen bringen“, sagt dessen Ehefrau Olga.

Im Verhandlungsaal des Amtsgerichts Warschau-Praga erlebte sie dann einen zweifachen Schock. Den ersten, als ihr Mann aus dem Untersuchungsgefängnis in den Gerichtssaal gebracht wurde und dort berichtete, was ihm im russischen Straflager widerfahren war. Weinend lief Sie nach drauβen. Das zweite Mal packte sie das blanke Entsetzten, als die Richterin teilnahmslos verkündete, dass das vom Gericht der Russischen Föderation gegen Anatol Łoś verhängte Urteil über elf Jahre Freiheitsentzug als rechtens anerkannt wird.

Olga wurde den Eindruck nicht los, dass das alles ein abgekartetes Spiel war, dass die Entscheidung bereits im Vorfeld gefällt worden war. Sie glaubt nicht daran, dass die Richterin in den gerademal zwanzig Minuten Verhandlungspause das Urteil schriftlich formulieren konnte.

„Ich dachte, das Gericht werde die Absurdität des Falls sofort erkennen. Als Anwalt habe ich schon viel erlebt, aber dieser Fall hat mich tief erschüttert. Es geht doch nicht darum, dass wir die »Unsrigen« vor den Fremden in jedem Fall in Schutz nehmen, aber ein polnischer Bürger muss sich auf seinen Staat verlassen können. Bei uns gilt doch der Grundsatz der Unschuldsvermutung“, sagt Anwalt Markiewicz.

Er kann weder das Urteil, noch die Atmosphäre, in der es gefällt wurde akzeptieren. „Mit unglaublicher Gleichgültigkeit, hat man automatisch ein Urteil kopiert, das die dunkle Seite Russlands symbolisiert.“ Anatol Łoś wurde aus dem Warschauer Gerichtssaal zurück in Untersuchungshaft gebracht.

Zwei Wochen später begleiteten ihn bewaffnete Polizisten zum Warschauer Appellationsgericht. Der Richter hob das erstinstanzliche Urteil auf und hat den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. So etwas passiert sehr selten, aber in diesem Fall hat das Gericht dem Antrag von Verteidigung und Staatsanwaltschaft stattgegeben.

Das Amtsgericht Warszawa-Praga hat Anatol Łoś während der zweiten Verhandlung, mit sofortiger Wirkung, auf freien Fuβ gesetzt. Das Gericht konnnte, entsptrechend den geltenden Regularien, das russische Urteil nicht aufheben. Es befand jedoch, dass der Verurteilte duch die vier Jahre, die er in russischer Untersuchungshaft und Haft verbracht hat, für seine „Schuld“ ausreichend bestraft wurde.

RdP




Drogenzucht gewinnt an Wucht

Alle zwei Tage wird irgendwo im Land eine Cannabisplantage ausgehoben.

Das kleine Anwesen in der Ortschaft Promna, Kreis Białobrzegi, unweit von Warschau, sah aus wie eine gut gehende Autowerkstatt. Sorgsam sortierte Felgen und Karosserieteile entlang des Zauns gestapelt, eine Montagegrube im Freien, Autos, die offensichtlich auf Reparatur warteten. Als jedoch die Fahndungsgruppe der Polizei in Begleitung einer Antiterroreinheit das Gebäude im Handstreich Ende Mai 2015 unter ihre Kontrolle brachte, fand sie im Inneren eine hochprofessionell betriebene Cannabisplantage vor. Bewässerung, Belüftung und Wärmeregulierung waren computergesteuert.

652 Pflanzen, manche weit über einen Meter hoch, haben die Beamten sichergestellt. Vierzehn Kilogramm Marihuana in einem Schwarzmarktwert von 700 Tausend Zloty (ca. 175 Tausend Euro) hätte man daraus herstellen können, hieβ es anschlieβend im Polizeibericht. Drei 30 bis 35-jährige Männer wurden vor Ort festgenommen und anschlieβend vom Haftrichter zunächst einmal für drei Monate in Untersuchungshaft geschickt.

Cannabisplantagen in stillgelegten Fabriken, einstigen Militäranlagen, in alten Scheunen, privaten Kellern oder auf freiem Feld – Polens Drogenfahnder geraten nur noch selten ins Staunen, wie kürzlich geschehen in der Gemeinde Łęczna bei Lublin. Bei einer Razzia drangen sie in die Hallen einer abgeschiedenen, ehemaligen Obstfabrik, wo fünftausend Cannbissetzlinge gediehen: bestes Saatgut, grell beleuchtet, stets frisch belüftet, reichlich gedüngt, automatisch beregnet und – von einem eigens in Holland angeheuerten Gärtner fachmännisch betreut.

Die angebliche Recyclingfirma zur Verwertung alter Kleidung war zwei Jahre lang tätig, bis sie aufflog. Als „Investor“ entpuppte sich eine vietnamesische Bande, deren Mitglieder sich jedoch rechtzeitig absetzen konnten. Neben dem Holländer landeten vier Polen in Untersuchungshaft. Mit jeder der drei bis vier Ernten im Jahr konnten die Ganoven bis zu einhundert Kilogramm Marihuana einfahren, in einem Schwarzmarktwert von jeweils ca. 5 Mio. Zloty (ungefähr 1,25 Mio. Euro).

In Anbetracht solcher Einnahmemöglichkeiten wundert es nicht, dass immer mehr „Unternehmer“ in die Cannabisbranche einsteigen, während sie vorgeben, wie vor kurzem aufgedeckt, eine Chemische Reinigung oder gar eine Straußenfarm zu betreiben. Wem des Startkapital für die lukrative durch eine Überdachung geschützte Produktion fehlt, der versucht sich als Freiluftgärtner, wie ein 44-jähriger Mann aus der Näher von Toruń/Thorn, der, getarnt inmitten eines groβen Maisfeldes, gut dreihundert stattliche Cannabisstauden züchtete. Oder er hegt das Kraut in „Heimarbeit“, wie der auβergewöhnlich erfolgreiche 56-jährige Hobbygärtner von Jelenia Góra/Hirschberg. Auf dem Dachboden seines Hauses brachte er eine Ernte von 50 kg Marihuana im Wert von ca. 1 Mio. Zloty (in etwa 250 Tausend Euro) ein.

Cannabis ist die in Polen mit Abstand populärste Droge. Von nicht wenigen Medien und Schickimicki-Promis als völlig harmlos, entspannend und „in“ dargestellt, setzt sie seit Jahren ihren Siegeszug, vor allem unter der groβstädtischen Jugend, fort. Auch der Politrowdy Janusz Palikot hat das Seine dazu beigetragen. Der frühere Stellvertreter Donald Tusks in der regierenden Bürgerplattform und spätere Begründer einer rabiat-antikirchlichen Politbewegung, startete seiner Zeit einige publikumswirksame Propagandafeldzüge für die Freigabe von Cannabis in Polen. Schützenhilfe leistete dem inzwischen völlig ins politische Abseits geratenen Palikot u.a. die linke „Gazeta Wyborcza“, die sich auch weiterhin für die Kampagne gegen das Cannbisverbot engagiert.

Nach neusten Erkenntnissen schädigt der Dauerkonsum von Marihuana erheblich das Herz-Kreislaufsystem (Herzrhythmusstörungen), Lunge und Atemwege (sehr hoher Teergehalt), es beeinträchtigt die Konzentrationsfähigkeit und das Gedächtnis. Alkohol verstärkt diese negativen Wirkungen. Für nicht wenige ist es die Einstiegsdroge schlechthin.

Auf die illegale Herstellung von Betäubungsmitteln stehen in Polen Haftstrafen von 6 Monaten bis zu 8 Jahren. Wer bisher straffrei war und zum ersten Mal mit einer geringfügigen Menge Rauschgift (bis zu 5 Gramm Marihuana, bis zu 0,5 Gramm Amphetaminen, einigen Extasytabletten) ertappt wird, kann auf Einstellung des Verfahrens hoffen. Wiederholungstäter müssen mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren rechnen.

Der neuste Bericht des Fachportals Narkotyki.pl schlieβt mit der Feststellung: „Bezeichnend für den polnischen Drogenmarkt sind: die zunehmende Zahl von Personen, die mit Drogen experimentieren, das steigende Angebot, der Preisrückgang, die steigende Anzahl von Dealern und Schmugglern und ein Anstieg der heimischen Herstellung. Die Plage verbreitet sich in allen sozialen Schichten, am schnellsten jedoch unter Jugendlichen. Auf dem Drogenmarkt überwiegt Marihuana, aber es steigt auch die Nachfrage nach Haschisch, Amphetaminen und Kokain. All das führt zu einem schnellen Anstieg der Drogenkriminalität“.

2014 wurden in Polen gut 75 Tausend Drogendelikte registriert, etwa 2% mehr als im Vorjahr. Es wurden 301 Drogentote gezählt, von denen jedoch keiner auf Grund von Marihuanamissbrauch ums Leben kam.
Immer mehr Produzenten von Marihuana versuchen sich unauffällig im Umkreis der Groβstädte niederzulassen. Das aufgrund einer Vielzahl baulicher Veränderungen dort herrschende Chaos und der dichte Verkehr auf den Zufahrtstraβen schaffen ein relativ sicheres Umfeld für die Nachschubbeschaffung des nötigen Rohstoffs und den Abtransport des Fertigproduktes.

Mit der Zunahme der Drogenproduktion steigt auch die Erfolgsquote der Fahnder. Allein zwischen Januar und März 2015 haben sie 162 Cannabisplantagen ausgehoben (in demselben Zeitraum 2014 waren es lediglich 57) und 265 kg Marihuana sichergestellt. Die Polizisten verneinen die Frage, ob ihre Erfolge bei der Plantagenbekämpfung nur die Spitze des Eisbergs treffen. Es handle sich, so heiβt es, auf jeden Fall um viel mehr als nur die Spitze.

© RdP




Amber Gold Affäre. Freibrief zum Betrug

Erste Bilanz. Hauptverdächtige vom Gefängniswärter geschwängert.

Der Sommer 2012 stand in Polen ganz im Zeichen der Amber Gold Affäre. Knapp drei Jahre später zieht die Staatsanwaltschaft in Łódź, die in diesem Fall ermittelt, eine erste Bilanz ihrer Tätigkeit. Mit einer Anklageerhebung wird bis Mitte 2015 gerechnet.

Nach Meinung der Ermittlungsbehörde war Amber Gold mit Sitz in Gdańsk von Anfang an eine Schattenbank, deren Geschäftsmodell auf einem Anlagesystem mit Schneeballcharakter beruhte. Amber Gold gelang es, Anlagen von etwa 18 Tausend Personen mit einem Gesamtwert von 851 Mio. Zloty (ca. 213 Mio. Euro) anzuhäufen. Die 2009 gegründete Firma gab vor, auf Anlagegold und andere Edelmetalle spezialisierte Investmentfonds zu betreiben, und versprach den zumeist älteren Anlegern bis zu 16,5 Prozent Zinsen pro Jahr zu zahlen. Physisches Gold besaβ sie dabei lediglich im Wert von knapp 10 Mio. Zloty (ca. 2,5 Mio. Euro). Die Schattenbank meldete am 13. August 2012 Konkurs an.

Zur Amber Gold Affäre empfehlen wir Ihnen die folgende Sendung.

Inzwischen wurden 19 Tausend Zeugen, dabei handelt es sich zum größten Teil um Geschädigte, verhört. Die schriftlichen Unterlagen umfassen 51 Tausend Blatt. 28 Fachleute aus dem Beratungsunternehmen Ernst &Young erstellten im Auftrag der Staatsanwaltschaft ein 230 Seiten starkes Gutachten. Demnach wurde Amber Gold nicht von auβen finanziert, bekam keine Zuschüsse, Subventionen oder Kredite und betrieb keine Geldwäsche.

Amber Gold betrieb 60 Filialen im ganzen Land, beschäftigte rund 400 Mitarbeiter und war Hauptgesellschafter, und somit wichtigster Investor, der Fluglinien OLT Express Germany, OLT Express Poland sowie OLT Express Regional, die 2011 im groβen Stil ins Fluggeschäft in Polen eingestiegen sind. Obschon nur einige Monate am Markt, waren diese Billigfluglinien zu einem ernsten Konkurrenten der größten polnischen Fluggesellschaft LOT geworden, und hatten sie zu deutlichen Preissenkungen auf parallel betriebenen Strecken gezwungen.

Regisseur Wajda, Oberbürgermeister Adamowicz, Tusk-Junior

Amber Gold und seine Fluglinien machten durch eine auffällige Werbekampagne, sowie das Sponsern des von Andrzej Wajda gedrehten Spielfilms über Lech Wałęsa und des Zoos von Gdańsk, von sich reden. Nach dem Konkurs von Amber Gold gab Wajda das erhaltene Geld zurück.

Bis heute bleibt die Frage offen, wieso man diese Schattenbank so lange gewähren lieβ. Die Firma betrieb Bankgeschäfte ohne eine Banklizenz zu besitzen. Die von ihr versprochenen Riesengewinne legten einen Betrug nahe. Obwohl schon im Jahr 2010 die polnische Finanzmarktaufsicht KNF (Komisja Nadzoru Finansowego) auf ihrer Webseite vor Amber Gold warnte, genoss das Unternehmen die oft zur Schau getragene Gunst, vor allem, der Danziger Regionalpolitiker der regierenden Bürgerplattform (PO) mit Oberbürgermeister Paweł Adamowicz an der Spitze.

Der Sohn von Ministerpräsident Donald Tusk, Michał (Jahrgang 1982), war PR-Berater der Fluggesellschaft OLT Express. Diese Tätigkeit wurde als möglicher Interessenskonflikt in Bezug auf seine Beschäftigung beim Flughafen Gdańsk ausgelegt, mit dem OLT die Landegebühren aushandelte. Hat Tusk Junior die als streng gehütetes Handelsgeheimnis geltende Höhe der Landegebühren anderer Fluggesellschaften auf dem Flughafen Gdańsk an OLT weitergegeben? Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen ihn vor einem Jahr ein.

Kriminelle Vergangenheit? Macht nichts

Auch Hinweise auf die zwielichtige Vergangenheit des Amber Gold Gründers und Geschäftsführers Marcin P. (Jahrgang 1984) blieben knapp vier Jahre lang unbeachtet. Bereits im Jahr 2008 war er (unter dem Namen Marcin Stefanski) wegen Veruntreuung mit seinem damaligen Finanzdienstleistungsunternehmen Multikasa zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Daraufhin nahm er den Namen seiner Frau an. Im Juni 2010 wurde P.  dann wegen Krediterschleichung bei der GE Bank in 57 Fällen verurteilt, die Strafe wurde wiederum zur Bewährung ausgesetzt.

Trotz aller Indizien und Hinweise blieben die Finanzmarktaufsicht, die Polizei, die Staatsanwaltschaft und alle anderen Behörden zwischen 2009 und 2012 untätig, lieβen Anleger in die Falle laufen.

Wie man heute weiβ, haben Marcin P. und seine Frau Katarzyna, die sich ebenfalls seit August 2012 in Untersuchungshaft befindet, etwa 300 Mio. Zloty (gut 75 Mio. Euro) der Anlagegelder für die Finanzierung der Fluglinien verbraucht. Etwa 214 Mio. (gut 53 Mio. Euro) verschlang die Firma (Gehälter, Werbung, Kauf von Liegenschaften). Das Ehepaar zahlte sich selbst Gehälter in Höhe von knapp 19 Mio. Zloty (nicht ganz 5 Mio. Euro) aus.

Ende März 2015 wurde gemeldet, dass Katarzyna P., die sich im Frauen-Untersuchungsgefängnis in Łódź befindet, eine Liaison mit einem der Gefängniswärter eingegangen ist und von ihm geschwängert wurde. Dennoch will die Staatsanwaltschaft beim bevorstehenden Haftprüfungstermin für sie, wie für ihren Mann, um die Verlängerung der Untersuchungshaft um weitere drei Monate nachsuchen.

Da es sich bei Amber Gold um keine Bank handelte, unterlagen die Einlagen somit auch keinen staatlichen Sicherheitsgarantien. Die Veräuβerung der durch den Konkursverwalter sichergestellten Werte (eine umfangreiche Autoflotte, Edelmetalle im Wert von knapp 5 Mio. Euro, zwei Liegenschaften des Ehepaares P.) werden den Anlegern die entstandenen Verluste lediglich zu einem kleinen Bruchteil ersetzen können.

© RdP




Schrottgeld aufs Konto

Metallkriminalität eindämmen.

In Polen und Deutschland will man Metalldieben gemeinsam das Handwerk legen. Bereits am 27. November 2014 haben der polnische Zusammenschluss „Memorandum gegen Infrastrukturdiebstähle“ (MPKI) und die entsprechende deutsche Vereinigung „Sicherheitspartnerschaft gegen Metalldiebstahl“ (SIPAM) in Warschau eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet. Gemeinsame Schulungen, Konferenzen, ein Erfahrungsaustausch sollen helfen die in beiden Ländern ausgeprägte Metallkriminalität einzudämmen.

Szenen wie die nachfolgenden spielen sich an Polens Bahnstrecken immer wieder ab: Am 23. Dezember 2014 überraschten Beamte des Bahnschutzes (Straż Ochrony Kolei) einen Mann zwischen den Haltestellen Wrocław Kuźniki/Breslau Schmiedefeld und Wrocław Pracze/Breslau Herrenprotsch beim Diebstahl von etwa 50 m Signalkabel. Bei der Festnahme stieβ der Dieb einen der Beamten zu Boden und versuchte zu flüchten. Zwei Warnschüsse brachten ihn schließlich dazu stehen zu bleiben. Am 21. Dezember 2014 haben Bahnschutzbeamte an der Strecke Węgliniec/Kohlfurt – Bielawa Dolna/Nieder Bielau, in Niederschlesien, nahe der deutschen Grenze, nach einer fast einstündigen Auto-Verfolgungsjagd eine Bande gestellt, die u. a. 300 m Oberleitungsdraht und andere Metallgegenstände im Wert von gut 40.000 Zloty (knapp 10.000 Euro) bereits zum Abtransport bereitgelegt hatten.

Im Jahr 2013 wurden in ganz Polen knapp 14 Tausend Metall-Diebstähle bei der Bahn, im Energie- und Fernmeldewesen sowie im Kanalisationssystems festgestellt. Der Gesamtschaden belief sich auf 50 Mio. Zloty (ca. 12,5 Mio. Euro). Die Diebe haben es auf Fahrleitungsdrähte, Fahrleitungsdrahtgewichte, Tragseile, Telefondrähte, Energie- und Erdungskabel, Kleineisenteile, Verbindungsstücke und sogar ganze Schienenstücke sowie Kanaldeckel abgesehen. Mehr als 6 Tausend Züge hatten dadurch Verspätungen, etwa 80 Tausend Telekom-Kunden mussten zeitweilig auf Telefon und Internetverbindungen verzichten.

Mittlerweile ist der Bahnschutz dazu übergegangen an nicht gekennzeichneten Kleinbussen lange Ausleger mit Kameras zu installieren, um so das Bahngeländ besser überwachen zu können. Metallteile ersetzen Kunststoffe , besonders gefährdete Anlagen werden in stark umzäunte Container und Boxen verlegt.

Das „Memorandum gegen Infrastrukturdiebstähle“ wurde 2012 vom Staatlichen Eisenbahnamt (entspricht dem deutschen Eisenbahn-Bundesamt) und den Zentralämtern für Elektronische Kommunikation und Energieregulierung gegründet. Angeschlossen haben sich inzwischen viele Energiefirmen und die Bahn. Das „Memorandum“ fordert vor allem eine bessere Kontrolle der in Polen immer noch ungebremst wachsenden Schrottbranche. Allein in der Woiwodschaft Lebus (Lubuskie, mit Gorzów Wielkopolski/Landsberg a. d. Warthe) gibt es 170 Schrottaufkaufstellen. Die Abnahmepreise gleichen den deutschen, was angesichts der eindeutig niedrigeren polnischen Einkommen Sammler und Diebe hierzulande sehr motiviert und die Einfuhr von Metall-Diebesgut aus Deutschland fördert. Polizeikontrollen- und Razzien helfen nur bedingt.

Das „Memorandum“ fordert die Verabschiedung einer Novelle im polnischen Abfallgesetz. Schrottsammler, die Mengen anliefern, deren Wert ein vorgeschriebenes Limit übersteigt, sollen den Gegenwert der Lieferung nur aufs Konto überwiesen bekommen. Erfahrungen von Staaten, die eine solche Regelung eingeführt haben zeigen, dass die bargeldlose Abwicklung des Schrotthandels der Metallkriminalität weitgehend den Boden entzieht.

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