Polen begeht Fronleichnam

Prozessionen in Städten und Dörfern.

Fronleichnam (polnisch: Boże Ciało) erinnert an das letzte Abendmahl und das Sakrament der Eucharistie, welches auf den Gründonnerstag vor Ostern zurückgeht.

Das Fronleichnamsfest wird in katholischen Kirche in diesem Jahr am Donnerstag, dem 4. Juni,  60 Tage nach Ostern gefeiert und ist in Polen  ein gesetzlicher Feiertag. Durch alle polnischen Städte und Dörfer ziehen an diesem Tag mit Gebet und Gesang bunte Fronleichnamsprozessionen. Die Strecke der Prozession und die vier Stationen, an denen Texte aus dem Evangelium vorgelesen werden, sind mit Blumen und grünen Zweigen geschmückt. Kleine Mädchen, traditionell in Weiß gekleidet, streuen auf den Weg Blumenblüten. Kleine Jungen begleiten die Prozession mit kleinen Glocken.
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Drogenzucht gewinnt an Wucht

Alle zwei Tage wird irgendwo im Land eine Cannabisplantage ausgehoben.

Das kleine Anwesen in der Ortschaft Promna, Kreis Białobrzegi, unweit von Warschau, sah aus wie eine gut gehende Autowerkstatt. Sorgsam sortierte Felgen und Karosserieteile entlang des Zauns gestapelt, eine Montagegrube im Freien, Autos, die offensichtlich auf Reparatur warteten. Als jedoch die Fahndungsgruppe der Polizei in Begleitung einer Antiterroreinheit das Gebäude im Handstreich Ende Mai 2015 unter ihre Kontrolle brachte, fand sie im Inneren eine hochprofessionell betriebene Cannabisplantage vor. Bewässerung, Belüftung und Wärmeregulierung waren computergesteuert.

652 Pflanzen, manche weit über einen Meter hoch, haben die Beamten sichergestellt. Vierzehn Kilogramm Marihuana in einem Schwarzmarktwert von 700 Tausend Zloty (ca. 175 Tausend Euro) hätte man daraus herstellen können, hieβ es anschlieβend im Polizeibericht. Drei 30 bis 35-jährige Männer wurden vor Ort festgenommen und anschlieβend vom Haftrichter zunächst einmal für drei Monate in Untersuchungshaft geschickt.

Cannabisplantagen in stillgelegten Fabriken, einstigen Militäranlagen, in alten Scheunen, privaten Kellern oder auf freiem Feld – Polens Drogenfahnder geraten nur noch selten ins Staunen, wie kürzlich geschehen in der Gemeinde Łęczna bei Lublin. Bei einer Razzia drangen sie in die Hallen einer abgeschiedenen, ehemaligen Obstfabrik, wo fünftausend Cannbissetzlinge gediehen: bestes Saatgut, grell beleuchtet, stets frisch belüftet, reichlich gedüngt, automatisch beregnet und – von einem eigens in Holland angeheuerten Gärtner fachmännisch betreut.

Die angebliche Recyclingfirma zur Verwertung alter Kleidung war zwei Jahre lang tätig, bis sie aufflog. Als „Investor“ entpuppte sich eine vietnamesische Bande, deren Mitglieder sich jedoch rechtzeitig absetzen konnten. Neben dem Holländer landeten vier Polen in Untersuchungshaft. Mit jeder der drei bis vier Ernten im Jahr konnten die Ganoven bis zu einhundert Kilogramm Marihuana einfahren, in einem Schwarzmarktwert von jeweils ca. 5 Mio. Zloty (ungefähr 1,25 Mio. Euro).

In Anbetracht solcher Einnahmemöglichkeiten wundert es nicht, dass immer mehr „Unternehmer“ in die Cannabisbranche einsteigen, während sie vorgeben, wie vor kurzem aufgedeckt, eine Chemische Reinigung oder gar eine Straußenfarm zu betreiben. Wem des Startkapital für die lukrative durch eine Überdachung geschützte Produktion fehlt, der versucht sich als Freiluftgärtner, wie ein 44-jähriger Mann aus der Näher von Toruń/Thorn, der, getarnt inmitten eines groβen Maisfeldes, gut dreihundert stattliche Cannabisstauden züchtete. Oder er hegt das Kraut in „Heimarbeit“, wie der auβergewöhnlich erfolgreiche 56-jährige Hobbygärtner von Jelenia Góra/Hirschberg. Auf dem Dachboden seines Hauses brachte er eine Ernte von 50 kg Marihuana im Wert von ca. 1 Mio. Zloty (in etwa 250 Tausend Euro) ein.

Cannabis ist die in Polen mit Abstand populärste Droge. Von nicht wenigen Medien und Schickimicki-Promis als völlig harmlos, entspannend und „in“ dargestellt, setzt sie seit Jahren ihren Siegeszug, vor allem unter der groβstädtischen Jugend, fort. Auch der Politrowdy Janusz Palikot hat das Seine dazu beigetragen. Der frühere Stellvertreter Donald Tusks in der regierenden Bürgerplattform und spätere Begründer einer rabiat-antikirchlichen Politbewegung, startete seiner Zeit einige publikumswirksame Propagandafeldzüge für die Freigabe von Cannabis in Polen. Schützenhilfe leistete dem inzwischen völlig ins politische Abseits geratenen Palikot u.a. die linke „Gazeta Wyborcza“, die sich auch weiterhin für die Kampagne gegen das Cannbisverbot engagiert.

Nach neusten Erkenntnissen schädigt der Dauerkonsum von Marihuana erheblich das Herz-Kreislaufsystem (Herzrhythmusstörungen), Lunge und Atemwege (sehr hoher Teergehalt), es beeinträchtigt die Konzentrationsfähigkeit und das Gedächtnis. Alkohol verstärkt diese negativen Wirkungen. Für nicht wenige ist es die Einstiegsdroge schlechthin.

Auf die illegale Herstellung von Betäubungsmitteln stehen in Polen Haftstrafen von 6 Monaten bis zu 8 Jahren. Wer bisher straffrei war und zum ersten Mal mit einer geringfügigen Menge Rauschgift (bis zu 5 Gramm Marihuana, bis zu 0,5 Gramm Amphetaminen, einigen Extasytabletten) ertappt wird, kann auf Einstellung des Verfahrens hoffen. Wiederholungstäter müssen mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren rechnen.

Der neuste Bericht des Fachportals Narkotyki.pl schlieβt mit der Feststellung: „Bezeichnend für den polnischen Drogenmarkt sind: die zunehmende Zahl von Personen, die mit Drogen experimentieren, das steigende Angebot, der Preisrückgang, die steigende Anzahl von Dealern und Schmugglern und ein Anstieg der heimischen Herstellung. Die Plage verbreitet sich in allen sozialen Schichten, am schnellsten jedoch unter Jugendlichen. Auf dem Drogenmarkt überwiegt Marihuana, aber es steigt auch die Nachfrage nach Haschisch, Amphetaminen und Kokain. All das führt zu einem schnellen Anstieg der Drogenkriminalität“.

2014 wurden in Polen gut 75 Tausend Drogendelikte registriert, etwa 2% mehr als im Vorjahr. Es wurden 301 Drogentote gezählt, von denen jedoch keiner auf Grund von Marihuanamissbrauch ums Leben kam.
Immer mehr Produzenten von Marihuana versuchen sich unauffällig im Umkreis der Groβstädte niederzulassen. Das aufgrund einer Vielzahl baulicher Veränderungen dort herrschende Chaos und der dichte Verkehr auf den Zufahrtstraβen schaffen ein relativ sicheres Umfeld für die Nachschubbeschaffung des nötigen Rohstoffs und den Abtransport des Fertigproduktes.

Mit der Zunahme der Drogenproduktion steigt auch die Erfolgsquote der Fahnder. Allein zwischen Januar und März 2015 haben sie 162 Cannabisplantagen ausgehoben (in demselben Zeitraum 2014 waren es lediglich 57) und 265 kg Marihuana sichergestellt. Die Polizisten verneinen die Frage, ob ihre Erfolge bei der Plantagenbekämpfung nur die Spitze des Eisbergs treffen. Es handle sich, so heiβt es, auf jeden Fall um viel mehr als nur die Spitze.

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Sondersendung 25. Mai 2015. Andrzej Duda neuer Staatspräsident

Kommentator Janusz Tycner und Joachim Ciecierski ziehen Bilanz der 2. Runde der Präsidentschaftswahlen in Polen.




Vom Glanz und Elend des polnischen Fussballs




Sondersendung. Nach der 1. Runde der Präsidentschaftswahlen

Kommentator Janusz Tycner und Joachim Ciecierski ziehen Bilanz der 1. Runde der Präsidentschaftswahlen in Polen. Gründe für die Niederlage Bronisławs Komorowskis. Gegenkandidat Andrzej Duda Favorit vor der 2. Runde am 24. Mai 2015. Wer ist Paweł Kukiz? Die Katastrophe der Linken.




15. Mai 2015. Sie schreiben, wir antworten

In der Hörerpostecke gehen wir auf Ihre Briefe und Zuschriften ein. Wir berichten auch vom Glanz und Elend des polnischen Fußballs.




Arme weichen den Reichen

Gas abgestellt, Wasser gesperrt, Mieter vertrieben.

Wie aus heiterem Himmel werden Warschauer Mieter aus ihren Wohnungen gejagt. Schuld daran sind Nazibarberei, kommunistische Enteignungen und die Rücksichtslosigkeit der alten und neuen Hauseigentümer.

Stalowastrasse, inmitten des sogenannten Warschauer „Bermudadreiecks“, der verwahrlosesten und gefährlichsten Gegend der polnischen Hauptstadt. Das Haus sieht wie eine Bruchbude aus. In der Wohnung kein flieβendes Wasser, kein Gas. „Solange das Mietshaus der Stadt gehörte, war es auszuhalten“, sagt Agnieszka Murati, Mieterin, Mutter von drei Kindern und arbeitslos. „Seit über sechzig Jahren wohnt meine Familie in diesen zwei Zimmern. Vor zwei Jahren stellte sich plötzlich heraus, dass das Haus wieder in privaten Händen ist“.

Sie holt aus der Schublade ein buntes Faltblatt heraus. Auf den Bildern sieht man anstelle der Bruchbude ein elegantes Appartement-Hochhaus. „Das wollen die neuen Besitzer hier bauen. Sie müssen bloß uns, die Mieter, loswerden“, erklärt Murati. Zwangsräumung ist verboten, also greifen die Besitzer zu anderen Mitteln. Unter dem Vorwand einer notwendigen Renovierung stellen sie das Gas ab, sperren das Wasser und warten bis die Leute von alleine ausziehen.

Dieses Problem betrifft nicht nur die Stalowastrasse. Anna Kutyńska, Akitvistin des Warschauer Mietervereins schätzt, dass sich bis zu zwanzigtausend Bewohner der Stadt in ähnlicher Lage befinden und weitere fünfzigtausend davon bedroht sind. Es handelt sich überwiegend um ärmere Warschauer, die sich oft ihrer Rechte nicht bewusst sind. „Ihre Situation ist umso schwieriger, weil die meisten Häuser in die Hände von großen Firmen geraten“, sagt Kutyńska. „Die können sich viel bessere Anwälte leisten als die Mieter“.

Wie ist das überhaupt möglich, dass so viele kommunale Immobilien privatisiert werden? Die Wurzeln des Problems reichen bis in den Zweiten Weltkrieg.

Warschau wurde während des Krieges Stück für Stück zerstört. Zunächst während der Belagerung der Stadt durch deutsche Truppen vom 8. bis zum 28. September 1939. Flächenbombardierungen der Luftwaffe und schwerer Artilleriebeschuss vernichteten damals etwa zehn Prozent der Stadtfläche.

Im April 1943 brach dann der Aufstand im Warschauer Ghetto aus. Nach seiner Niederschlagung haben Deutsche das Ghetto-Gelände (etwa fünf Prozent der Stadtfläche), nach eigenen Worten, in eine „Ziegelsteinwüste“ verwandelt, so lange das Zerstörungswerk fortgesetzt, bis nur Schutthalden übrig geblieben sind.

Während des Warschauer Aufstandes im August-September 1944 wüteten fast auf dem ganzen Stadtgebiet Straßenkämpfe deren Intensität nur mit der Wucht der Kämpfe in Stalingrad vergleichbar war. Die Aufständischen kapitulierten am 3. Oktober 1944. Die noch verbliebene Zivilbevölkerung wurde aus der Stadt vertrieben. Es begann die planmäβige Ausplünderung und Zerstörung der menschenleeren Hauptstadt. Das systematische Abbrennen der Häuser und die Sprengung der Ruinen hielt dreieinhalb Monate an, von Oktober 1944 bis Mitte Januar 1945, bis die Sowjets einrückten.

Nach dem Krieg kam dann die neue kommunistische Regierung zu dem Schluss, dass der Wiederaufbau der Hauptstadt erst nach der Enteignung aller Immobilien durch den Staat möglich sei. Ein großer Teil der Hausbesitzer war tot oder vermisst. Die Überlebenden unter ihnen waren im neuen System die Klassenfeinde. Die erhalten gebliebenen Wohnungen wurden zu Sozialwohnungen umfunktioniert, auf die man die Massen der neuen Einwohner Warschaus verteilte.

Nach 45 Jahren folgte der freie Markt. Eine umfassende Reprivatisierung jedoch war auch von den neuen Behörden nicht gewünscht. Die Kriegsverluste in Polen waren kolossal. Es überwog die Meinung, dass die verarmte polnische Gesellschaft nicht die Kosten von Schäden tragen solle, die mehr als vierzig Jahre zuvor von fremden und einheimischen Untätern angerichtet worden waren.

Dann aber stellte sich heraus, dass die Nachkriegsverstaatlichung in Warschau, in den meisten Fällen, unter Verletzung sogar des kommunistischen (Un)Rechtes verlaufen war. Wer also einen guten Anwalt bezahlen kann und die Zeit für langwierige Prozesse besitzt, hat gute Chancen sein Eigentum zurückzubekommen. Den ehemaligen Besitzern fehlt aber meistens das erforderliche Geld. Für geringe Summen verkaufen sie also ihre Ansprüche an Immobilien an Unternehmer, die schnell und effektiv die Häuser aus staatlichem Besitz zurückgewinnen und anschlieβend ebenso effektiv die Mieter vertreiben.

Die Beamten im Warschauer Magistrat klagen, dass ihre Möglichkeiten begrenzt sind. In Übereinstimmung mit der aktuellen Gesetzeslage, muss, wenn alle erforderlichen Papiere vorgelegt werden können, die Stadt die Häuser zurückgeben. Da es an neuen Sozialwohnungen fehlt, werden die Mieter im Stich gelassen. Letztendlich also zahlen doch die Armen. Und große Teile der Stadt gehen, statt an die ehemaligen Besitzer, an gewinnhungrige Unternehmer.

„Die einzige gerechte Lösung wäre, die Kosten zu teilen“, sagt Anna Kutyńska. „Wir brauchen dringend ein Reprivatisierungsgesetz, dass Teilentschädigungen für die ehemaligen Besitzer einführt. Wenn die Regierung sich weiter weigert Geld dafür aufzutreiben, droht uns eine soziale Krise.“

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Das wichtigste aus Polen 3. Mai – 8. Mai 2015

Kommentator Janusz Tycner und Joachim Ciecierski gehen auf die wichtigsten Ereignisse der Woche in Polen ein: Endspurt im Präsidentschaftswahlkampf. Favorit Komorowski büßt Unterstützung ein, Herausforderer Duda holt auf. Die Zahl der Protest- und Krawallkandidaten bezeichnend für die Unzufriedenheit im Lande. Befürchtungen um die Ehrlichkeit der Wahl.

Mehr zum Thema Ehrlichkeit der Wahlen. Die unguten Erfahrungen mit der Kommunalwahl im November 2014.




Passkontrolle an der Scholle

Kein Agrarland in Ausländerhand, fordern Polens Bauern.

Im Frühjahr 2015 wurden in Polen für einen Hektar Agrarland auf dem freien Markt im Schnitt 25. 300 Zloty (gut 6.300 Euro) gezahlt; das waren 12 % mehr als ein Jahr zuvor. Das lockt ausländische Käufer.

Bei Privatisierungen durch die staatliche Agentur für Landwirtschaftliche Immobilien (Agencja Nieruchomości Rolnych – ANR) stieg der Kaufwert durchschnittlich um 12,4 % auf 24.670 Zloty (knapp 6.200 Euro/ha). Am gefragtesten waren hierbei große Flächen in der Nähe von landwirtschaftlichen Betrieben. So haben laut ANR-Angaben Grundstücke mit einer Größe von 100 bis 300 ha im Frühjahr 2015 bei Versteigerungen im Schnitt 28.000 Zloty (7.000 Euro/ha) eingebracht. Grundstücke mit 1 bis 10 ha kosteten hingegen günstigere 20.400 Zloty (5.100 Euro/ha).

Die höchsten Preise haben Investoren bei Privatisierungen in der Woiwodschaft Wielkopolskie (Groβpolen – Poznań, ca. 9.300 Euro/ha) Śląskie (Schlesien – Katowice, 9.250 Euro/ha) und Opolskie (Oppeln, 9.200/ha) gezahlt. Am unteren Ende der Skala befanden sich die Woiwodschaften Świętokrzyskie (Heiligkreuz – Kielce, ca. 3.400 Euro/ha), Podlaskie (Białystok, ca. 3.900 Euro/ha) und Podkarpackie (Vorkarpatenland – Rzeszów, ca. 4.050 Euro/ha).

Die polnischen Landwirte haben in den letzten Jahren ihre Betriebe modernisiert und dadurch die Ressourcen ihrer bisher verfügbaren Flächen ausgeschöpft, heiβt es in einem Kommentar zu diesem Bericht. Die einzige Möglichkeit, den Umsatz zu steigern, sei jetzt für die Bauern die Ausweitung ihrer landwirtschaftlich nutzbaren Flächen. Deshalb übersteige die Nachfrage derzeit das Angebot, und dieser Trend werde sich fortsetzen.

Mit und ohne Genehmigung

Zum Vergleich: 1 ha Agrarland koste in Bayern durchschnittlich ca. 41.000 Euro, in NRW – ca. 35.000 Euro, in Schleswig-Holstein – 26.000 Euro, in Hessen – 15.000 Euro, in Thüringen und Brandenburg – ca. 8.600 Euro. Die Preise in der polnisch-deutschen Grenzregion haben sich somit auf beiden Seiten in etwa angeglichen.

Noch können Ausländer in Polen Agrarland nur mit einer Sondergenehmigung kaufen oder pachten. Nach offiziellen Angaben des Warschauer Innenministeriums gibt es nicht viele ausländische Käufer. So haben sie in der Woiwodschaft Zachodniopomorskie (Westpommern – Szczecin) zwischen 2011 und 2013 lediglich 23 ha erworben.

In ganz Polen kaufen Ausländer offiziell etwa 1.000 bis 3.000 ha im Jahr. Insgesamt befinden sich nicht ganz 50.000 ha polnischen Ackers zurzeit in ausländischem Besitz.

Doch der Schein trügt. So haben zwischen 2011 und 2013 Firmen mit ausländischer Minderheitsbeteiligung allein in Westpommern 3.000 ha Agrarland gekauft. Zudem kauften sich Ausländer in der gleichen Region und Zeit in polnische Agrarunternehmen ein, die etwa 5.000 ha ihr Eigen nennen. In beiden Fällen braucht man dazu keine Genehmigung. Zu gegebener Zeit verwandeln sich solche Firmen dann, auf dem Wege der Kapitalerhöhung, in ausländisches (zumeist holländisches, deutsches und britisches) Mehrheitseigentum. Völlig im Dunkeln liegt die Zahl von Landkäufen, bei denen Polen nur als Strohmänner fungieren.

Planerfüllung geht vor

Gerade in der Woiwodschaft Westpommern kam es deswegen in den letzten Jahren wiederholt zu groβen Protesten polnischer Bauern, die ihre Betriebe erweitern wollten. Die ausländischen Käufer jedoch, treiben die Preise in die Höhe. Die Bauern werfen dem Landwirtschaftsministerium in Warschau und der ANR Versäumnisse und Leichtsinn vor.

In der Vergangenheit waren gerade die ehemaligen deutschen Ostgebiete in Polen (Pommern, das südliche Ostpreuβen, Niederschlesien) die Gegenden, in denen es sehr viel Agrarland in staatlichem Besitz gab. Unmittelbar nach dem Krieg entstanden dort oft riesige Staatsgüter, dadurch dass deutscher Groβgrundbesitz zusammengelegt wurde. Die Kommunisten verstaatlichten diesen Grund und Boden am liebsten und sahen die neuen polnischen Landbewohner gerne als Landarbeiter und nicht als selbständige Bauern. Privateigentum sollte es ja im Kommunismus nach Möglichkeit nicht geben.

Nach dem Ende des Kommunismus, 1990, kam der schnelle Niedergang der einst hochbezuschussten Staatsgüter. Die ANR-Treuhand übernahm sie, um anschließend das Land zu verkaufen oder zu verpachten. Am Anfang waren knapp 5 Mio. ha. im Bestand der ANR, heute handelt es sich noch um 1,6 Mio. ha, wovon 1,3 Mio. ha verpachtet sind.

Um die Staatskasse aufzufüllen wird auf die ANR viel Druck ausgeübt, damit möglichst schnell, noch möglichst viel Agrarland verkauft wird. Die Vorgaben sind hoch. Deswegen, so die Bauernverbände und die Opposition, scheren sich die Angestellten in den ANR-Regionalbüros wenig darum, wem sie Land verkaufen. Planerfüllung geht vor.

Wieviel polnisches Agrarland sich tatsächlich in ausländischem Besitz befindet, ist unter den gegebenen Umständen nicht feststellbar.

Bald wird es ohnehin keine Hindernisse mehr geben. Am 1. Mai 2016 sollen die im EU-Beitrittsvertrag festgelegten Beschränkungen für Ausländer fallen. Theoretisch warten auf sie in Polen insgesamt 14 Mio. ha Agrarland. Stand heute (rechnet man 25.000 Zloty pro ha) handelt es sich dabei somit um einen Gesamtwert von ca. 350 Mrd. Zloty (gut 87 Mrd. Euro). Angesichts der enormen Kaufkraft ausländischer Inverstoren gibt es in Polen immer mehr Befürchtungen vor einem Ansturm aus dem Westen.

Die Debatte ist sehr emotionsbeladen. Alarm schlagen die Bauern, ihre Organisationen, die nationalkonservativen Medien und die Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Sie fordern juristische Beschränkungen und weisen darauf hin, dass es solche Beschränkungen in den meisten Ländern der alten EU durchaus gibt.

In Frankreich sind die Regulierungen dermaβen streng, dass ein Ausländer oder gar ein französischer Anleger, der in Zeiten niedriger Zinsen in Agrarland investieren möchte, kaum eine Chance dazu hat. In Dänemark muss ein ausländischer Käufer seine heimatliche Scholle veräuβern, sich im Land dauerhaft niederlassen und entsprechende Qualifikationen vorweisen, bevor er sich als Landwirt betätigen darf. Auch in Deutschland können Behörden einschreiten, wenn der begründete Verdacht besteht, der Kauf diene rein spekulativen Zwecken. Spanische Vorschriften favorisieren eindeutig einheimische Familienbetriebe auf dem Lande.

Bloβ nicht in Brüssel anecken

All das hat man im EU-Musterland Polen nicht. Entsprechende Gesetzentwürfe gibt es, sie werden jedoch von der regierenden Koalition aus Bürgerplattform (früher Tusk, jetzt Ministerpräsidentin Kopacz) und Bauernpartei (PSL) blockiert. Man möchte keine Scherereien mit Brüssel haben.

Derweil bekommen Polens Bauern auch im elften Jahr der EU-Mitgliedschaft deutlich niedrigere Direktzahlungen als ihre Westeuropäischen Kollegen. EU-Gelder für die Entwicklung des ländlichen Raums kommen vor allem den reichsten Landwirten zugute. Nicht selten werden sie von Unternehmern, die keine Landwirte sind abgefangen. Nur 10% der Gelder aus dem EU-Kohäsionsfond werden in Polen auf dem Lande ausgegeben, obwohl dort 38% der polnischen Bevölkerung wohnt.

Die politische Klientel der mitregierenden Bauernpartei (PSL) ist gut versorgt, die Wähler der Tusk-Kopacz-Partei (PO) leben ehedem nicht auf dem Lande. Die Regierungskoalition kann es sich seit acht Jahren erlauben eine Entstaatlichung des ländlichen Raums zu betreiben. Schulen, Postämter, Polizeiwachen, Überlandbusverbindungen, Bahnstationen werden massenhaft geschlossen.

Hinzu kommt der mangelnde oder gar fehlende Schutz der Rechte der Landbevölkerung. Es geht um breit angelegte Betrügereien, bei denen gelieferte Produkte (vor allem Getreide, Schweine und Obst) nicht bezahlt werden. Die Polizei erklärt sich in der Regel für nicht zuständig, Staatsanwaltschaften stellen die Verfahren schnell ein, kommt es dennoch zum Verfahren, verhandeln Gerichte im Schneckentempo. Nur Banken handeln binnen kurzer Zeit.

Land auf Zwangsversteigerungen zu erwerben wird im ländlichen Polen traditionell gemieden. Ausländer allerdings dürften da viel weniger Vorbehalte haben.

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Vivat Mai, Dritter Mai!

Polen feiert seine Verfassung.

Am 3. Mai 1791, vor 225 Jahren, gab sich Polen die erste moderne Verfassung Europas, die zweite in der Welt, nach der amerikanischen. Sie sollte die Fortsetzung eines Modernisierungsprozesses sein, der das zum Spielball der mächtigen Nachbarn: Russlands, Preuβens und Österreichs gewordene Land vor dem Untergang bewahren sollte. Sie tat es nicht. Polen wurde für seine Nachbarn erst recht zu einer unerträglichen Provokation, weil sich die alte Adelsrepublik anschickte sich aus ihrer Machtlosigkeit zu befreien.

Die vier Jahre zwischen 1792 und 1795 brachten dramatische Ereignisse: den Verrat des Königs. Einen Aufstand, in dem zum ersten Mal die Polen als Nation: Adel, Klerus, Bürgertum und die Bauernschaft geschlossen in den Kampf um ihre Freiheit zogen. Zwei weitere Teilungen und die Auslöschung des Landes auf der Europa-Karte für die folgenden 123 Jahre.

Auch wenn während dieser Zeit die Teilungsmächte, ihre Politiker, Lehrer, Polizisten und die Historiker stets verkündeten, dass die Polen keinen eigenen Staat brauchen und auch nie wieder einen haben werden, die Verfassung vom 3. Mai 1791 war das Leuchtfeuer in der Dunkelheit, der Beweis für die Staatsfähigkeit der Nation.

Auf dem genau einhundert Jahre später von Jan Matejko gemalten Gemälde wird König Stanislaus II. August (links), die Verfassung hoch über dem Kopf haltend, von der begeisterten Menge in die Johanneskathedrale in Warschau getragen, wo die Abgeordneten den Treueeid auf die Mai-Verfassung schwören werden. Im Hintergrund das Warschauer Königsschloss, wo die Verfassung verabschiedet wurde.

Die Verfassung vom 3. Mai 1791 auf Deutsch.

Der 3. Mai ist, neben dem 11. November, polnischer Nationalfeiertag.

Der Titel dieses Beitrages entstammt dem Refrain der „Mazurka des 3. Mai“, eines patriotischen Liedes, das Mitte des 19. Jh. entstand, und mit den Worten beginnt: „Sei gegrüβt Mai-Morgenröte, leuchte unserem polnischen Lande…“.

https://www.youtube.com/watch?v=Ni4CZwKc9N8
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Furor Polonicus

Am 24. April 2015 starb Władysław Bartoszewski.

Niemand ist so vortrefflich, dass kein Makel an ihm wäre. Władysław Bartoszewski wird in allen Nachrufen in Deutschland als ein Mann der Versöhnung und Verständigung dargestellt. Doch Bartoszewski war auch ein Mann des unerbittlichen politischen Kampfes, um ein hartes, oft sehr verletzendes Wort nicht verlegen. Er trat ein in die Geschichte als Widerstandskämpfer gegen die nazideutsche und als Oppositioneller gegen die kommunistische Tyrannei, dessen Verdienste nicht genug gewürdigt werden können. Mit ihm ist zugleich ein Parteipolitiker gestorben, der sich in den letzten Jahren seines Lebens voller Zorn und Verbissenheit mitten ins Gewirr der politischen Konfrontation in Polen stürzte. Er konnte hart austeilen, schrie aber Zeter und Mordio wenn man es ihm mit gleicher Münze zurückzahlte. Schade, dass sehr viele seiner Landsleute ihn vor allem so in Erinnerung behalten werden.

Die Enttäuschung über das einstige Idol spiegelt sich in dem Nachruf von Piotr Zaremba wider, eines sehr nachdenklichen, umsichtigen, konservativen Beobachters der polnischen politischen Szene, geschrieben für das Internetportal „wPolityce.pl“ (“inderPolitik.pl“).

„Was für eine Biografie!“

„Zum ersten Mal habe ich ihn als Gymnasialschüler 1981, während der ersten Solidarność, nicht lange vor der Verhängung des Kriegsrechts, bei einem Vortrag über die polnische Geschichte erlebt, gehalten in einem Warschauer Studentenheim. Es war eine durch und durch oppositionelle Veranstaltung. Der schnell sprechende Herr erwies sich als ein faszinierender Cicerone durch eine Welt, die mit der offiziellen Propaganda nichts zu tun hatte.

Menschen mit konservativen Überzeugungen, polnische Patrioten, die sich den besten Traditionen unserer Geschichte verpflichtet fühlen, sind heute verblüfft, wenn man sie daran erinnert, dass Bartoszewski damals einer von ihnen war. Ein halbes Jahr in Auschwitz, dann in der Heimatarmee, im Warschauer Aufstand, in Mikołajczyks Bauernpartei nach 1945, sechs Jahre in kommunistischen Kerkern, fünf Monate Internierung nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen am 13. Dezember 1981… Bartoszewski pflegte damals ausschließlich Umgang mit grundanständigen Menschen, die, wie er, viel Schlimmes im kommunistischen Polen hatten durchleiden müssen. Er zeichnete sich durch Zivilcourage aus. Was für eine wunderbare Biografie, und was ist aus ihr geworden!“, schreibt Zaremba.

Der symbolische Professor

Władysław Bartoszewski wurde 1922 in Warschau geboren. Der Vater war Bankdirektor. Das Abitur machte er im Juni 1939, am 1. September marschierten die Deutschen in Polen ein. Es war ihm nicht vergönnt jemals ein Hochschulstudium abzuschlieβen. Bartoszewski studierte während der deutschen Besatzung, ab 1941, Polonistik an der Warschauer Untergrunduniversität, es folgten zwei weitere Anläufe nach dem Krieg: ab 1948 und ab 1958. Der Ausbruch des Warschauer Aufstandes, die Verhaftung nach dem Krieg und zuletzt berufliche und familiäre Verpflichtungen machten jedoch einen Abschluss, geschweige denn das Schreiben einer Doktorarbeit und einer Habilitationsschrift, unmöglich.

Der Professorentitel, mit dem er meistens angesprochen und angeschrieben wurde, war ein symbolischer. Bartoszewski genoss es, vermied konsequent den Sachverhalt richtigzustellen und konnte sehr ungehalten werden, wenn andere es taten.

Dennoch, der beredte, vielbelesene, lebenserfahrene und hochintelligente „nur Abiturient“ war ein gefragter Dozent und Referent in Sachen Politik und neue Geschichte an der Katholischen Universität Lublin, an deutschen Universitäten wie München, Eichstätt und Augsburg. Zwölf Hochschulen in Polen, Deutschland, Israel und den USA haben ihm die Ehrendoktorwürde verliehen. Einige der in den 60er und 70er Jahren erschienenen Forschungen des begabten Autodidakten über das Grauen der deutschen Besatzung in Warschau würden ohnehin den Anforderungen, die an eine Doktorarbeit gestellt werden, mehr als genügen.

Keine Angst vor deutschen Offizieren

Der knapp volljährige Władek folgte dem Rat des Vaters und besorgte sich eine Anstellung beim Polnischen Roten Kreuz, einer der wenigen polnischen Institutionen, die die Deutschen nicht verboten hatten. Doch die Hoffnung, ein Ausweis des PRK würde ihn schützen, trog. Am 19. September 1940 wurde Bartoszewski während einer groβangelegten Razzia in seiner Wohnung in Warschau verhaftet. Mit einem Transport von gut eintausend Warschauer Männern landete er drei Tage später im Konzentrationslager Auschwitz, das damals, in seiner Anfangsphase, für Polen bestimmt war. Der zweite Abschnitt, Birkenau, in dem vor allem Juden, aber auch Zigeuner, Polen und Russen vergast wurden, war noch nicht gebaut.

Zweihundert Tage lang dauerte seine Haft, bis ihn das Rote Kreuz im April 1941 herausholen konnte. Es war ein sehr seltener Glücksfall, aber damals noch möglich.

Kaum wieder zu sich gekommen, engagierte sich Bartoszewski in den Strukturen des Polnischen Untergrundstaates, die der polnischen Exilregierung in London unterstanden. Geleitet von einem konspirativen „Beauftragten der Regierung für die Heimat“, stets auf der Hut vor der Gestapo, überwachten und beeinflussten sie, so gut sie konnten, im Verborgenen alle Lebensbereiche des besetzten Staates. Die konspirative Heimatarmee (AK) war keine „Partisanenbewegung“ sondern ein Teil der Staatsstruktur, eine Armee im Untergrund, die einer zivilen Kontrolle unterstand.

Bartoszewski wurde nach dem Krieg nicht müde, das Wissen und die Erinnerung an dieses damals im besetzten Europa einmalige Gefüge zu pflegen. Die Feststellung „Polen hatte keine Widerstandsbewegung, sondern einen Staat im Untergrund“, war ihm extrem wichtig. Die Kommunisten, die im Nachhinein der legalen Exilregierung jede Legitimation absprechen wollten, hassten ihn dafür.

Er engagierte sich im Propagandawesen des Untergrunds und war zugleich, ab September 1942, im Untergrund-„Innendepartement“ stellvertretender Leiter des Judenreferates und Mitglied des konspirativen, ehrenamtlichen Rates für Judenhilfe (Deckname „Zegota“), in dem sich viele gutwillige Menschen engagierten. Falsche Papiere wurden besorgt, jüdische Kleinkinder in Klöstern untergebracht, Netzwerke der Rettung organisiert, Informationen über den Massenmord an den Juden gesammelt und nach London weitergeleitet, wo die polnische Exilregierung die Alliierten für das Problem zu interessieren versuchte. Auf die Hilfe für Juden stand im besetzten Polen, anders als etwa im okkupierten Frankreich, Holland oder Dänemark, die sofortige Todesstrafe für die Retter und diejenigen, die gerettet werden sollten.

Deswegen rieben sich viele an der Weichsel die Augen, als sie plötzlich in einem Interview für „Die Welt“ im Februar 2011 Bartoszewskis Worte lasen: „Wenn jemand Angst hatte, dann nicht vor den Deutschen. Wenn ein Offizier mich auf der Straße sah und nicht den Befehl hatte, mich festzunehmen, musste ich nichts fürchten. Aber der polnische Nachbar, der bemerkte, dass ich mehr Brot kaufte als üblich, vor dem musste ich Angst haben“.

Schweigen in Israel

Die Organisation zur Rettung von Juden galt als einzigartig im gesamten deutsch-besetzten Europa. 1965 zeichnete die Jerusalemer Holocaust- Gedenkstätte Yad Vashem Bartoszewski mit der Medaille „Gerechter unter den Völkern“ aus. 1991 erhielt er zum Dank die Ehrenbürgerschaft Israels, wo er viele Freunde und Bewunderer hatte.

Umso mehr war man in Polen bestürzt, als Bartoszewski im Juni 2002, als polnischer Auβenminister, eine vielbeachtete Rede im israelischen Parlament hielt, ihm aber seitens etlicher Abgeordneter, mit Knesset-Vizepräsident Reuven Rivlin an der Spitze, blanker Hass entgegenschlug. Der kuriose Kernsatz in der Erwiderung Rivlins lautete: „Allein die Tatsache, dass ein Land sich unter fremder Besatzung im Zweiten Weltkrieg befand, befreit dieses Land nicht von der Verantwortung für alles, was auf seinem Territorium passierte.“

Stumm saβ Bartoszewski, ansonsten ein ungezügelter Polterer und ein Vulkan der Rhetorik, da und hörte sich an, dass die Polen dieselbe Schuld am Holocaust trifft wie die Deutschen. Wer war mehr berufen als er, würdig und besonnen auf solche Verleumdungen zu reagieren, wenigstens den Saal zu verlassen? Rivlin, 1939 in Palästina geboren, ist seit Juli 2014 israelischer Staatspräsident.

Lob für Deutschland

Beachtlich sind auch Bartoszewskis Leistungen auf dem Gebiet der Verständigung mit Deutschland, zu dem er bereits in den 80er Jahren enge Kontakte knüpfte. Als 1995 Bundeskanzler Kohl Polens damaligen Staatspräsidenten Lech Wałęsa nicht zum 50. Jahrestag des Kriegsendes nach Berlin einladen wollte, und die FAZ auf der ersten Seite höhnte: „Polen will fünfte Groβmacht sein“, sprach Bartoszewski wenige Tage vor dem 8. Mai vor dem Bundestag in Bonn. Das unwürdige Einladungsspektakel erwähnte er mit keinem Wort. Doch seine große Versöhnungsrede ging in die Geschichte ein.

Er wurde in Deutschland hofiert, bewundert, mit Auszeichnungen, Ehrentiteln und Stipendien geradezu überhäuft. Er nahm sie gerne an. Allein die Bosch-Stiftung unterstützte sein Buch über die deutsch-polnische Verständigung mit 132.000 D-Mark, heiβt es.

Doch musste er ausgerechnet auch noch die Stresemann-Medaille in Mainz im November 1996 entgegennehmen? Viele in Polen konnten ihr Befremden darüber nicht verbergen. Ohne auch nur ein kritisches Wort in seiner Dankesrede zu sagen, nahm Bartoszewski eine Auszeichnung an, die an einen Politiker erinnert, der als deutscher Auβenminister zwischen 1923 und 1929 den jungen polnischen Staat bekämpfte wo er nur konnte, der aus seiner tiefen Abneigung gegen Polen und seiner de facto auf die Beseitigung Polens abzielenden Revisionspolitik nie ein Hehl gemacht hat. Der Zollkrieg gegen Polen und Locarno sind in diesem Fall nicht die einzigen, aber die wichtigsten Stichworte.

„Im Sommer 2000“, erinnerte sich dieser Tage der Journalist Jedrzej Bielecki in der Zeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) vom 24. April, „habe ich erlebt, wie er als polnischer Auβenminister an den EU-Beitrittsverhandlungen teilnahm. Der EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen zählte mit monotoner Stimme alle damaligen polnischen Unzulänglichkeiten auf: Probleme mit der Bakterienzahl in der Milch, zu viel Staatsunterstützung für die Stahlwerke… Irgendwann unterbrach Bartoszewski Verheugen lautstark: »Ich habe Auschwitz ausgehalten, ich werde auch die Verhandlungen mit der EU aushalten!« Damit war das Aufzählen beendet.“, schreibt Bielecki.

Drei Tage später konnte man in derselben Zeitung ein Verheugen-Interview lesen, und in ihm die Feststellung: „Er hat nicht versucht die historische Schuld Deutschlands dazu zu benutzen, um auf mich Druck auszuüben“.

Tadel für Polen

Bartoszewski polterte oft. Nicht wenige in Polen machte das verlegen, sie fanden es unpassend. Manchmal war das ein Poltern auf wahrlich sehr dünnem Eis. Nicht gerade beliebt macht sich ein Auβenminister, der von Deutschland in den höchsten Tönen schwärmt („ein vorbildlicher europäischer Rechtsstaat, ein Land der Toleranz, von dem wir nur lernen können“), in der israelischen Knesset den Kopf in den Sand steckt, angesichts geradezu ungeheuerlicher Anschuldigungen , und im eigenen Parlament wutentbrannt der Opposition, die nach den EU-Beitrittsbedingungen fragt, entgegenschmettert: „Polen (im Polnischen ist Polska weiblich – Anm. RdP) ist eine hässliche Braut ohne Aussteuer, die nicht wählerisch sein kann.“ Bitter waren die Kommentare: „An so einer Braut kann sich ja jeder vergreifen“, schrieb der Publizist Rafal Ziemkiewicz.

Kurz nach Kriegsende ging Bartoszewski als Journalist zur „Gazeta Ludowa“ („Volkszeitung“). Es war das Presseorgan der einzigen noch zugelassenen Oppositionspartei, der Polnischen Bauernpartei unter der Leitung des aus London zurückgelehrten Exilpolitikers Stanisław Mikolajczyk. Die PB war damals eine groβe Volkspartei, die die Kommunisten Schritt für Schritt mit brutalsten Methoden vernichteten. Bartoszewski trat in die PB ein. Dafür wurde er im November 1946 verhaftet und erst im April 1948 entlassen. Die zweite Verhaftung erfolgte im Dezember 1949. Er kam erst im August 1954 wieder frei.

Menschen wie Bartoszewski konnten im kommunistischen Polen nur am Rande der Gesellschaft leben und arbeiten. Für einen Mann, der gerne im Mittelpunkt stand, war das kein angenehmer Zustand. Drei Jahrzehnte lang fristete er dieses Randdasein. Damals entstanden seine wertvollsten Bücher und Artikel, damals hielt er seine interessantesten Vorlesungen. Er und seinesgleichen wurden zum Symbol dafür, dass man auch in dem wie ein Krebsgeschwür alle Gewebe der Gesellschaft durchdringenden Kommunismus, der zumeist auf die niedrigsten Instinkte baute: Anpassung, Lüge, Denunziantentum, dennoch in Würde und mit Anstand leben konnte. Bartoszewski wurde bis 1989 ständig bespitzelt, abgehört, Provokationen ausgesetzt, das geht eindeutig aus den Akten der polnischen Stasi hervor.

Putins Klugheit

Und wieder fragt man sich, was einen Menschenrechtler und Demokraten, wie Bartoszewski bewog im März 2014, auf dem Höhepunkt der Krim-Krise, in der „Thüringer Allgemeinen“ ein Hohelied auf Wladimir Putin anzustimmen: „In einem Fernsehinterview habe ich gesagt, dass ich die Intelligenz von Herrn Putin schätze (…) Ich glaube an Putin, vielleicht mehr als viele andere. Ich schätze seine Klugheit und seine Berechenbarkeit. Berechenbarkeit gehört zum europäischen Denken.“

Verheugen erinnert sich in dem schon zitierten Interview: „Einmal sagte er mir: so viele Jahre lang hat man mir nicht erlaubt zu reden. Jetzt muss ich das nachholen, reden soviel ich nur kann“. Es war für ihn nicht immer von Vorteil.

Der Brückenbauer nach Auβen verwandelte sich im eigenen Land zunehmend in einen rhetorischen Rammbock, grob und ausfallend, grenzenlos von sich selbst überzeugt, bei Retourkutschen aber stets in seiner verdienst- und leidensvollen Biografie Schutz suchend.

Die Selbstblamage einer Koryphäe schmerzt

Piotr Zaremba erinnert in seinem Nachruf: „Noch 2006 hatten wir es mit einem Mann zu tun, der allgemein hohes Ansehen genoss. Die von ihm kurze Zeit später gnadenlos verunglimpften Brüder Kaczyński, die damals regierten, hatten ihn zum Chef des wissenschaftlichen Beirates des angesehenen Polnischen Instituts für Internationale Beziehungen gemacht. Von ihnen nahm er den hochdotierten Posten des Chefs des Aufsichtsrates der staatlichen Fluggesellschaft LOT an. In der linken „Gazeta Wyborcza“ („Wahlzeitung“) pries er den Dialog mit Deutschland, in der konservativen Presse lobte er die von der „Gazeta Wyborcza“ aufs Schärfste bekämpfte Aussonderung von ehemahligen Stasi-Spitzeln aus dem Staatsdienst und den von ihr ebenso verachteten traditionellen Patriotismus“.

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Bartoszewski-Gedenkbriefmarke der Polnischen Post von 2015 mit Bartoszewski-Spruch „Es lohnt sich anständig zu sein“, der ihn leider vor Selbstblamage nicht bewahrt hat.

Die radikale Wende, die sich in seinem Verhalten 2007 vollzog sucht nach Erklärungen. Plötzlich erlebte Polen einen alten Mann, der sich bedingungslos auf eine Seite der politischen Auseinandersetzung stellte, und ab dann bis zuletzt auf Parteitagen von Tusks Bürgerplattform seine politischen Gegner vor johlendem Publikum aufs Übelste beschimpfte. Sie waren für ihn „Vieh“ („bydło“), „Frustrierte“, „Perverslinge“, „Spinnner“, „Trotteldiplomaten“ „vor Hass aufgebläht“, „Nerztierzüchter“ (Anspielung auf Jarosław Kaczyńskis Katze), „Fälle für den Psychiater“…

Sogar die Kommentatorin der ansonsten Kaczyński-feindlichen „Gazeta Wyborcza“ bemerkte im Oktober 2007, dass solche Worte „Bartoszewski nicht gut zu Gesichte stünden.“

Der Kommentator der „Rzeczpospolita“ schrieb damals: „Die Worte Batroszewskis haben mir weh getan, weil die Selbstblamage einer Koryphäe schmerzt. Beleidigungen sind keine Argumente. Er lieβ seinem Unmut und seiner Wut freien Lauf. Damit beschädigte er sich selbst und das Land, dem er so lange gut gedient hatte“.

Władysław Bartoszewski starb im Alter von 93 Jahren in Warschau.

© RdP




Das wichtigste aus Polen 26. April – 2. Mai 2015

Kommentator Janusz Tycner und Joachim Ciecierski gehen auf die wichtigsten Ereignisse der Woche in Polen ein: polnischer Justizminister Cezary Grabarczyk in Verruf geraten und zurückgetreten. Polnisch-deutsche Regierungskonsultationen in Warschau – viel Wirbel, wenig Ertrag. Russische „Nachtwölfe“, polnische Hysterie. „Polnische Todeslager“, „polnische Gaskammern“ und polnischer Widerspruch gegen Geschichtsfälschung.