Die Frauen des polnischen Papstes

Zwischen Fakten und Anspielungen blüht die Fantasie.

„Pikante Hinweise“, „enges Verhältnis zu einer verheirateten Frau“, „sehr enges Verhältnis“, „intensive Beziehung“, „Brisanz der geheimen Briefe“… Als die BBC Mitte Februar 2016 die Ausstrahlung ihrer Dokumentation „The Secret Letters of Pope John Paul II” ankündigte, überschlugen sich auch in den deutschsprachigen Medien die zweideutigen Unterstellungen. Umso mehr, als der deutsch-französische TV-Sender ARTE den Bericht bereits einen Tag nach den Briten zeigte. Doch der zur Explosion gebrachte vermeintliche Skandalstoff verpuffte schnell in der Wirkungslosigkeit.

„Werte“, „Verehrte“, „Liebe“

Und das, obwohl die Übersetzung der Papst-Briefe bei ARTE an manchen Stellen, entweder absichtlich oder wegen einer unkritischen Verdeutschung des englischen Originaltextes, einer Manipulation glich. Der Geistliche schrieb in der Anrede „Moja Droga“, „Szanowna Pani“ oder „Droga Pani Profesor“ („Meine Werte“, „Verehrte Frau“, bzw. „Werte Frau Professor“), aber auf Deutsch hieβ es bei ARTE stets „Liebe“. Schon in der dritten Minute des Films erschien ein Papstbrief auf dem Bildschirm, der mit dem Gruβ schlieβt: „Serdecznie pozdrawiam Męża i Dzieci, polecam Bogu“ („Ich grüβe herzlich den Ehemann und die Kinder, empfehle sie Gott“). Fehlte hier die Übersetzung, weil man die Worte schlecht einem liebestollen Greis, der dazu noch vor nicht langer Zeit heiliggesprochen wurde, zuschreiben konnte?

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„Ich grüβe herzlich den Ehemann und die Kinder, empfehle sie Gott“. Den Papst verband  eine aufrichtige Freundschaft auch mit Tymienieckas Ehemann, dem Ökonomen Hendrik S. Houthakker (1924-2008). Foto aus den 60er Jahren.

Laut Dokumentation pflegte der damalige Kardinal von Kraków, Karol Wojtyla (1920-2005), seit Beginn der 70er Jahre einen regen Kontakt zu der polnisch-amerikanischen Philosophin Anna Teresa Tymieniecka (1923-2014). Doch das war seit langer Zeit bestens bekannt. Neu an der Dokumentation ist, dass Briefe und Privatfotos die Seelenverwandtschaft dokumentieren.

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Polnische Nationalbibliothek in Warschau.

Wie das polnischsprachige Springer-Boulevardblatt „Fakt“ vor kurzem herausfand, gelang es Tymieniecka 2008, nach langwierigen Verhandlungen, den umfangreichen Bestand ihrer Briefe an den Papst der Warschauer Nationalbibliothek für sage und schreibe umgerechnet 2,5 Mio. Euro zu verkaufen. Für diese Riesensumme habe die Bibliothek „das Copyright für alles erworben, was Tymieniecka an Karol Wojtyla geschrieben hat, und es drohe ein Verfahren, sollte irgendetwas daraus zitiert werden“, lieβ die neue Eigentümerin das BBC-Team wissen. So durfte das Fernsehteam zwar die Briefe von Frau Tymieniecka einsehen, musste sich aber im Film notgedrungen darauf beschränken die Briefe des Papstes an sie zu zitieren, während die Briefe aus der Feder der Professorin an ihn nicht wiedergegeben werden durften.

Offensichtlich darüber in Sorge, der Reporter Ed Stourton wolle eine Skandalgeschichte konstruieren, schob die Bibliothek noch eine kurze öffentliche Stellungnahme nach: „Behauptungen, die in den Medien aufgestellt werden, finden keinerlei Bestätigung im Inhalt der Briefe von Johannes Paul II. an Anna Teresa Tymieniecka, die sich in den Beständen der Nationalbibliothek befinden. Die geschilderte Bekanntschaft ist allgemein bekannt und wurde in vielen Veröffentlichungen dargestellt. Johannes Paul II. umgab ein Kreis von geistlichen und weltlichen Freunden, mit denen er im engen Kontakt gestanden hat. Zu diesem Kreis gehörte auch Anna Teresa Tymieniecka. Die Beziehung zu ihr war weder vertraulich noch auβergewöhnlich.“

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Der heutige Krakauer Kardinal Stanislaw Dziwisz begleitete Karol Wojtyla 39 Jahre lang als Privatsekretär.

Zu Wort meldete sich auch mit einer kurzen Erklärung der Krakauer Kardinal Stanislaw Dziwisz (fonetisch: Dsiwisch), der Karol Wojtyla 39 Jahre lang als Privatsekretär begleitete, ihm nahestand wie kaum jemand anderer und Stourton ein Interview verweigerte: „Wer an der Seite Johannes Paul II. gelebt hat, der weiβ, dass es in seinem Leben keinen Bereich gibt, in dem man nach dem Bösen suchen könnte. Er war ein freier und transparenter Mensch ohne Komplexe, weil er rein war und jeden Menschen in jeder Lebenssituation achtete. Das ist der einzig richtige Schlüssel, mit dem man heute Zugang zu seinem vorbildlichen und heiligen Leben finden kann.“

Auch wenn sich ein Teil der deutschsprachigen Medien, nach der Ausstrahlung der ernüchternd unsensationellen Dokumentation bei ARTE und dem Dementi aus dem Vatikan („mehr Rauch als Feuer“), von weiteren anzüglichen Unterstellungen verabschiedet hatte, blieben die Hintergründe und Begleitumstände der Geschichte weitgehend unklar, weil sie, auch im Film, verkürzt, manchmal auch falsch dargestellt wurden.

Intelligent, forsch, eingebildet

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Tymienieckas Vorbild: der herausragende polnische Philosoph Roman Ingarden (1893 – 1970).

Anna Teresa Tymieniecka war eine polnisch-amerikanische Philosophin. Sie entstammte einer vermögenden polnisch-französischen Adelsfamilie, studierte nach 1945 Philosophie an der Jagiellonen-Universität in Kraków. Im Zuge der stalinistischen Gleichschaltung im kommunistischen Polen durfte ab 1948 nur noch marxistische Philosophie unterrichtet werden. Ihr groβes Vorbild, der herausragende polnische Philosoph Roman Ingarden bekam, zusammen mit vielen anderen Kollegen, Lehrverbot. Tymieniecka durfte, aufgrund ihrer zweiten französischen Staatsangehörigkeit, das inzwischen streng hinter dem Eisernen Vorhang abgeschottete Polen verlassen, ging zuerst nach Belgien, dann in die Schweiz, schlieβlich in die USA.

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Tymienieckas Idol: der groβe deutsche Denker und Begründer der Phänomenologie Edmund Husserl (1859-1938).

Ihr philosophisches Idol war der groβe deutsche Denker und Begründer der Phänomenologie Edmund Husserl (1859-1938). Sie gab in Boston u. a. die Buchreihe „Analecta Husserliana“ heraus. Im Jahr 1973 stieβ sie auf Kardinal Wojtylas philosophisches Buch „Osoba i czyn“ („Person und Tat“). Tief beeindruckt, beschloss sie kurzerhand es  ins Englische zu übersetzen und in den USA zu verlegen.

Karol Wojtyła war damals 53 Jahre alt, Kardinal und Erzbischof von Krakau. Anna-Teresa Tymieniecka war zu diesem Zeitpunkt 50, verheiratet, Mutter von drei Kindern. Ihre damals beginnende persönliche Bekanntschaft und Korrespondenz mit Karol Wojtyła dauerte 32 Jahre lang.

Die ebenso intelligente wie energische, eigenwillige, forsche, zielstrebige und von sich eingenommene Dame verstieg sich, so der Film, gegenüber dem amerikanischen Journalisten und Papst-Biographen Carl Bernstein tatsächlich zu der Äuβerung: „Ich sehe es so, dass das Pontifikat Wojtylas nach meinen Ideen geführt wird“. Der Papst, dem ihr philosophisches Wissen und ihre Redegewandtheit imponierten, wusste ihr jedoch sehr wohl die Grenzen aufzuzeigen.

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Papstbesuch in New York 1979. Die geschäftstüchtige Philosophin drängte darauf umgehend ihre englische Fassung seines Buches „Person und Tat“ herauszugeben. Das für philosophische Laien schwer zugängliche Werk würde, während der anfänglichen Begeisterung nach der sensationellen Wahl des polnischen Papstes, sicherlich zwar kaum Leser aber auf jeden Fall sehr viele Käufer finden.

Tymienieckas englische Übersetzung des Buches erwies sich als ungenau, teilweise frei erfunden, die Gedanken des Autors weitgehend verformend. Das begann bereits mit dem Titel, der in der englischen Version „The acting Person“, anstatt „Person and Act“ lautete, und Wojtylas Denkansatz völlig entstellte.Die stets geschäftstüchtige Philosophin drängte nach seiner Wahl zum Papst darauf umgehend ihre englische Fassung des Buches herauszugeben, in der richtigen Annahme, das für philosophische Laien eher schwer zugängliche Werk werde, während der anfänglichen Begeisterung nach der sensationellen Wahl des polnischen Papstes, zwar kaum Leser aber auf jeden Fall sehr viele Käufer finden.

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Wojtyla war nicht nachtragend und nahm den Kontakt zu Tymieniecka gern wieder auf, als sie ihren Groll überwand und sich bei ihm nach einer Zeit der „Funkstille“ meldete.

Der neu gewählte Papst hatte keine Zeit dafür, mehrere hundert Seiten des polnischen Textes mit Tymienieckas englischer Version abzugleichen. Er benannte dafür eine dreiköpfige Kommission aus Pfarrer Tadeusz Styczeń, Pfarrer Marian Jaworski und Dr. Andrzej Półtawski (fonetisch: Pultawski. Ehemann von Wanda Półtawska, einer anderen, sehr engen Freundin Wojtylas) allesamt anerkannte Philosophieexperten. Ihr Streit mit der uneinsichtigen Tymieniecka dauerte einige Jahre lang und endete im Nichts. Ihre eigenwillige „Übersetzung“ landete im Papierkorb.

Wojtyla, der nicht nachtragend war und dem Freundschaften außerhalb der Kirchenwelt stets wichtig waren, nahm den Kontakt zu Tymieniecka gern wieder auf, als sie ihren Groll überwand und sich bei ihm nach einer Zeit der „Funkstille“ erneut meldete.

Spätestens nach dem Attentat auf Johannes Paul II. am 13. Mai 1981 wird die Freundschaft wieder eng. Tymieniecka besucht den Verletzten im Krankenhaus und trifft ihn nun regelmäßig in Rom, sie schickt ihm gepresste Blumen und Fotos von daheim; er antwortet: „Ich denke an Dich, und in Gedanken komme ich jeden Tag nach Pomfret.“ Das letzte Mal sieht sie ihn am 1. April 2005, am Tag bevor Papst Johannes Paul II. stirbt.

Freundschaften und Provokationen

Um ihr mehr Gewicht zu verleihen, rissen BBC-Reporter Ed Stourton und seine Informanten ihre Geschichte über die angeblich „keusche Leidenschaft“ der beiden aus dem reichhaltigen Zusammenhang des Wojtyla-Lebens heraus. Sie hoben immer wieder die angebliche Abgeschiedenheit und Einsamkeit Johannes Paul II. im Vatikan hervor, die, so der Eindruck den der Film vermittelt, nur Tymieniecka durchbrechen konnte. In Wirklichkeit lud der Papst beinahe jeden Tag irgendeinen seiner polnischen Bekannten und Freunde ein, die gerade in Rom weilten, mit ihm zu Abend zu essen. Mit vielen von ihnen führte er einen regen Briefwechsel.

Lange bevor Sourton überhaupt der erste Gedanke an seinen Bericht in den Sinn kam, beschrieb bereits der herausragende Papst-Biograf George Weigel („Zeuge der Hoffnung“ 2002 und „The End and the Beginning“ 2011) Wojtyłas Freundschaften mit Frauen, u. a. mit Tymieniecka.

Die Zurückhaltung und das Misstrauen, auf die Sourton bei seinen Recherchen in Polen stieβ, hatten durchaus nachvollziehbare Gründe. Allein schon die sensationsheischenden Ankündigungen seines Berichtes durch die BBC und andere britische Medien zeigen, dass Zweifel durchaus angebracht waren.

Umso mehr, als sich bis heute im öffentlichen Gedächtnis immer noch die Spuren einer brachialen Provokation der polnischen Staatssicherheit aus dem Jahr 1983 gehalten haben.

Unternehmen „Triangolo“

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Irena Kinaszewska

Irena Kinaszewska war Witwe und alleinerziehende Mutter eines Sohnes. Um etwas mehr Geld zu verdienen, tippte sie wissenschaftliche Beiträge und Predigten des Kirchenmannes ab. Aktennotizen belegen, dass Stasi-Major Józef Gibski, der die umfangreiche Bespitzelung der Krakauer Kirchenkreise beaufsichtigte, zwar keine Zweifel hatte, dass es keine Liebschaft gab, aber dennoch, auf Anordnung von oben, unter dem Decknamen „Triangolo“ an der Legende zu schmieden begann.

Die besten Kräfte der Abteilung IV aus dem ganzen Land wurden dazu abkommandiert, darunter Hauptmann Grzegorz Piotrowski, der ein Jahr später, 1984, das Mörder-Kommando anführen sollte, das Pfarrer Jerzy Popiełuszko umgebrachte.

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Stasi-Hauptmann Grzegorz Piotrowski (in der Mitte, auf der Anklagebank) leitete Anfang 1983 ein Kommando, das die Liebschaft Kardinal Karol Wojtyłas und Irena Kinaszewskas glaubhaft machen sollte. Im Oktober 1984 stand er an der Spitze eines Stasi-Mörderkommandos, das Pfarrer Jerzy Popiełuszko umgebracht hat. Der Mord flog auf und er wurde zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Beamten, die ihre Identität nicht preisgaben, lockten Kinaszewska unter einem Vorwand zu einem Treffen, bei dem ihr mit Alkohol vermischte Drogen kredenzt wurden, um sie redselig zu machen. Der Verlauf des Treffens wurde heimlich gefilmt, doch Kinaszewska, langsam wohl ahnend mit wem sie es zu tun hatte, sagte immer wieder, ihre Gesprächspartner sollen den Papst in Ruhe lassen, denn er sei „ein heiliger Mensch“.

Doch die Stasi gab nicht auf. Sie fertigte kurzerhand selbst Kinaszewskas „intimes Tagebuch” an, der Authentizität wegen, sogar unter Verwendung ihrer eigenen Schreibmaschine. Hierfür brach ein für solche Zwecke eigens ausgebildetes Kommando, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen, während ihres Urlaubs in ihre Wohnung ein und nahm die Schreibmaschine für einige Tage mit.
Das gefälschte Tagebuch sollte in der Krakauer Wohnung von Pfarrer Andrzej Bardecki, eines guten Bekannten Kinaszewskas und Freundes von Wojtyla, deponiert werden.

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Wojtyła-Freund, Pfarrer Andrzej Bardecki. In seiner Wohnung hatte die Stasi die „Liebeserinnerungen“ Irena Kinaszewskas deponiert, um den „Überraschungsfund“ bei einer Durchsuchung zu Tage fördern und den Skandal auszulösen.

Zwei Beamtinnen warteten bis Bardecki die Wohnung verlieβ, klopften an und erklärten der greisen Haushälterin sie würden eine Kleiderspende bringen. Während die eine Beamtin die Frau ablenkte, schob die andere das „Tagebuch“ hinter den Heizkörper in Bardeckis Arbeitszimmer. Eine Hausdurchsuchung sollte wenige Tage später den „Überraschungsfund“ zu Tage fördern und den Skandal auslösen.

Das fünfköpfige Stasi-Team beschloss den bevorstehenden Erfolg danach ausgiebig in einem Krakauer Lokal zu feiern. Obwohl stark betrunken, wollte Hauptmann Piotrowski mit einer der Beamtinnen im Auto ins Hotel fahren. Unterwegs verursachte er einen Unfall. Die Verkehrs-Miliz kam, doch Piotrowski zog seinen Stasi-Dienstausweis, wohlwissend, dass, wie es üblich war, der ganze Vorfall vertuscht würde.

Zu seinem Unglück jedoch berichtete der alkoholisierte Piotrowski, in einem Anflug von Übermut, den beiden Miliz-Beamten, weswegen das Stasi-Kommando nach Kraków gekommen sei. Einer der Verkehrspolizisten gab noch in derselben Nacht die Nachricht diskret an einen Mitarbeiter der Krakauer Kurie weiter. Als die Stasi zwei Tage später in der Wohnung von Pfarrer Bardecki anklopfte war das „intime Tagebuch“ längst entfernt worden.

Priester dürfen Freunde haben

Dennoch geistert bis heute das „intime Tagebuch“ Kinaszewskas durchs Internet. Der rabiat antiklerikale Politiker Janusz Palikot und ehem. stellv. Vorsitzende von Donald Tusks Bürgerplattform, hat es noch 2014 zum Gegenstand einer Medienkampagne gemacht. Kein Wunder, dass die Warschauer Nationalbibliothek auf Ed Stourtons nicht ganz unzweifelhaftes Vorhaben wie ein gebranntes Kind reagierte.

Seine Dokumentation enthüllt ohnehin kein welterschütterndes Geheimnis, das nun den polnischen Papst in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen würde. Nicht neu ist, dass sich der Papst und die Philosophin nahe standen. Dass sich ihre Freundschaft auβderhalb der gebotenen Grenzen von Sitte und Anstand bewegt haben soll, kann der Bericht nicht beweisen. Zudem verband den Papst auch eine aufrichtige Freundschaft mit Tymienieckas Ehemann, dem Ökonomen Hendrik S. Houthakker.

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Priester brauchen tiefe Freundschaften, sonst vereinsamen sie, sagen Therapeuten, die Priester in Krisenphasen ihres Lebens begleiten. Dabei können sie sich durchaus auch auf den heiligen Johannes Paul II. berufen.

Das alles lässt die These der Filmemacher wackeln, die besagt, hier sollte etwas verborgen werden, um die Heiligsprechung des verstorbenen Papstes nicht zu gefährden. Katholischen Priestern ist es beileibe nicht verboten, tiefe Freundschaften zu Frauen wie zu Männern zu unterhalten, was in der Folge auch immer ihre Umgebung in die Beziehung hineingeheimnissen mag. Wenn auch unabsichtlich, durch den Film entsteht vielmehr ein genaueres und differenzierteres Bild des polnischen Papstes, der intensive Verbundenheit und Vertrautheit suchte und zu pflegen wusste.

Priester brauchen solche tiefen, manchmal sogar zart-poetischen Freundschaften, sonst vereinsamen sie, sagen Therapeuten, die Priester in Krisenphasen ihres Lebens begleiten. Dabei können sie sich durchaus auch auf den heiligen Johannes Paul II. berufen.

Die BBC-Dokumentation ist hier zu sehen.

© RdP




Polen. Ein Land ohne Linke? Dokumentation

Zum 1. Mai gehen Kommentator Janusz Tycner und Joachim Ciecierski auf die Situation der Linken in Polen ein. Woher rührt ihre Erfolglosigkeit? Warum gibt es keine grüne Partei von Bedeutung? Warum vermag der radikale Feminismus auch die jungen Polinnen kaum anzusprechen?




Familie Ulma? Falscher Mythos. Schämt euch, ihr Polen!

Offenbar darf man nicht einfach so der polnischen Judenretter gedenken.

Am 17. März 2016 hat Staastpräsident Andrzej Duda das Museum der Polen, die während des Zweiten Weltkriegs Juden gerettet haben, in Markowa eröffnet. Es trägt den Namen der Familie Ulma und soll jene Polen würdigen, die während des Zweiten Weltkriegs, unter deutscher Besatzung  Juden zu retten versucht bzw. gerettet haben.

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Woiwodschaft Karpatenvorland.

Im Dorf Markowa (Karpatenvorland), haben deutsche Gendarmen am 24. März 1944 acht Juden aus den Familien Szall und Goldman ermordet. Mit ihnen wurde die gesamte Familie Ulma, bei der diese acht Menschen versteckt

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waren, umgebracht: Józef Ulma und seine hochschwangere Frau Wiktoria sowie die sechs Kinder der Familie, darunter auch die älteste, achtjährige Tochter Stasia.

Ausführlich  über das Schicksal der Familie Ulma hier.

Staatspräsident Duda erinnerte in seiner Rede daran, dass allein im Dorf Markowa, in dem vor dem Krieg 4.500 Polen und 120 Juden lebten, zwanzig Juden, dank ihrer polnischen Nachbarn, die deutsche Besatzung überleben konnten.

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Familie Ulma kurz vor ihrer Ermordung.

Duda sagte auch, dass „jeder, der Hass zwischen den Völkern säe, Antisemitismus verbreite, das Grab der Familie Ulma schände. Er schände alles, wofür die Ulmas als Polen ihr Leben gegeben haben: Würde, Redlichkeit, Freiheit, Gerechtigkeit und eine elementare Wertschätzung, die jedem Menschen gebührt.“

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Staatspräsident Andrzej Duda besichtigt das Museum in Markowa am Tag seiner Eröfnung, dem 17. März 2016.

Im Museum wurde auf einer Ausstellungsfläche von 500 Quadratmetern das Haus der Ulmas rekonstruiert. Zu sehen ist auch die von vielen Geschossen durchschlagene Haustür der Markower Familie Baranek, die ebenso wie die Familie Ulma gemeinsam mit den von ihr versteckten Juden ermordet wurde. Weitere Exponate und Schautafeln dokumentieren das dramatische Schicksal vieler polnischer Retter und derjenigen Juden, die sie vor dem Tod bewahren wollten.

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Das neue Museum in Markowa.

Bereits während der Bauphase erfreute sich das Museum eines regen Interesses. Allein 2015 kamen u. a. etwa fünftausend israelische Jugendliche um sich über das Vorhaben und das Ausstellungsthema zu informieren. Junge Israelis reisen seit knapp dreiβig Jahren im Rahmen eines Holocaust-Gedenkprogramms der israelischen Regierung nach Polen.
Im neuen Museum ist ein Tagungssaal mit Multimediaausstattung für Musemuspädagogik, Fimvorführungen und Tagungen vorgesehen. Zwei wissenschaftliche Mitarbeiter kümmern sich um die Ausstellung und das Archiv.

Chuzpe und Unsinn

Während die Errichtung eines Museums für den deutschen Oskar Schindler in Kraków im Jahre 2010 bis heute keinerlei negative Kommentare hervorrief, stieβ das Vorhaben, ein erstes Mal, 72 Jahre nach dem Krieg, sich derjenigen Polen zu erinnern und zu gedenken, die ebenfalls Juden gerettet haben, sowohl auf jüdischer als auch auf deutscher Seite sofort auf Kritik.

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Piotr Kadlčik (rechts) mit dem Oberrabiner Polens Michael Schudrich (Mitte) und Staastpräsident Lech Kaczyński am 21. Dezember 2008 in der Warschauer Synagoge am Beginn des Chanukkafestes. Im Dezember 2009 zeichnete Staastpräsident Kaczyński Kadlčik mit dem Komturskreuz des Ordens der Wiedegeburt Polens (Polonia Rastituta) aus, einer der höchsten  Auszeichnungen, die Polen zu vergeben hat.

Zu Wort meldete sich Piotr Kadlčik (Jahrgang 1962), zwischen 2001 und 2014 Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Warschau und von 2003 bis 2014 zugleich Vorsitzender des Verbandes der jüdischen Gemeinden in Polen.

Kadlčik schrieb am 17. März 2016 im linken Internetportal „NaTemat“ („ZumThema“), er hoffe, dass sich in der Ausstellung in Markowa auch Platz findet für die Darstellung aller polnischen Helfer, Zuträger und Erpresser, die „wie die Deutschen dabei mitwirkten, dass die Gefahr von den Besatzern getötet zu werden, so eine hohe Wahrscheinlichkeit annehmen konnte“.

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Publizist Rafał Ziemkiewicz.

Sehr entschlossen antwortete darauf der konservative Publizist und Kommentator Rafał A. Ziemkiewicz am 4. April 2016 im Wochenmagazin „Do Rzeczy“ („Zur Sache“):

„Kadlčik … gedachte zwar in seinem Kommentar der Gerechten, denen auch seine Familie das Überleben verdankt, aber nur um … zu fordern, dass man im Museum zu Ehren dieser Gerechten, unbedingt auch an die Kollaborateure erinnern sollte.

Um sich die Chuzpe und den Unsinn dieser Worte zu vergegenwärtigen“, schreibt Ziemkiewicz, „sollte man sich vorstellen, dass jemand, vielleicht Piotr Kadlčik selbst, dem Washingtoner Holocaust-Museum vorschlägt, dort, neben der jüdischen Opfer, auch der jüdischen Kollaborateure zu gedenken. Solcher, wie sie Hannah Arend in ihrem Buch „Eichmann in Jerusalem“ ausführlich schildert.

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Jüdische Polizisten im Warschauer Ghetto.

Gab es sie nicht? Es gab sie zuhauf. Soll sich doch in jeder Schoah-Gedenkstätte Platz finden für den Lodzer Ghetto-Chef Chaim Rumkowski.“ Für die verbrecherischen „Ghetto-Könige“ von Sosnowiec – Moses Meryn, von Białystok – Efraim Barsz, von Wilno – Jakub Gens, von Lwow – Józef Parmas.
Für die Warschauer Gestapo-Zuträger und tausendfache Judenmörder Abraham Gancweich, Dawid Sternfeld, Leon Skosowski und Dutzende ihresgleichen. Für den Krakauer Gestapo-Mitarbeiter und obersten jüdischen Judenjäger Józef Diamand. Für den Lubliner Judenerpresser Szama Grajer, der an der Spitze seiner Bande Hunderte eigener Landsleute zuerst ausgenommen und dann den Deutschen zur Ermordung ausgeliefert hat.

„Für die verbrecherischen Ghetto-Judenräte und Hunderte jüdischer Ghetto-Polizisten in deutschen Diensten, die ihre eigenen Landsleute erbarmungslos in die Todestransporte geprügelt haben“, schreibt Ziemkiewicz.

Und ewig rechtfertigt sich der Pole

Unmittelbar nach diesem rhetorischen Schlagabtausch in Polen meldete sich am 9. April 2016 die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zu Wort mit einem Beitrag des jüdischen Autors Joseph Croitrou. Demnach hatte auch bei der Errichtung des Museums in Markowa, wie könnte es anders sein, Jarosław Kaczyński, der anscheinend dämonenhafte Schöpfergott allen polnischen Übels, seine Finger mit im Spiel.

Croitrou unterstellt Staatspräsident Andrzej Duda, er sprach „in seiner emphatischen Eröffnungsrede von „Hunderttausenden Polen“ die Juden geholfen hätten“, was zur angeblichen Enstehung eines „falschen Mythos“ beitragen solle. In Wahrheit sprach Duda von „Tausenden“ (siehe nachfolgend den Text von Dudas Ansprache).

Auf Croitrous Text antwortete am 16. April 2016 in der „FAZ“ Dr. Łukasz Kamiński, Präsident des Instituts für Nationales Gedenken in Warschau (polnische Gauck-Behörde).

Diese Erwiderung war notwendig, doch zugleich fügt sie sich in ein Szenario ein, das viele deutsche Medien, Wissenschaftler, manchmal auch Politiker stets aufs Neue gerne beleben und auskosten. Man selbst habe ja längst alles penibel und vorbildlich aufgearbeitet, überwunden, aufgeklärt, betrauert, bedauert und entschädigt. Nun ist es an der Zeit, dass sich andere, und dabei ganz besonders die Polen, vor dem strengen, teilweise moralisch erhabenem deutschen Publikum, bitte sehr, in Sachen Holocaust rechtfertigen.

Auslöser hierfür können sein ein Film, wie die ZDF-Produktion „Unsere Mütter, unsere Väter“ oder einer jener Presseartikel, die zu diesem Thema immer wieder mal auftauchen.

Nachstehend dokumentieren wir:

den Text von Joseph Croitrou,

die Erwiderung von Dr. Łukasz Kamiński

und

die bewegende Ansprache von Staatspräsident Andrzej Duda.

War die heldenhafte Familie Ulma etwa typisch?
Von JOSEPH CROITORU

Ulmowie 2 Joseph Croitoru fot.In Polen ist in dem Dorf Markowa in der südöstlichen Woiwodschaft Karpatenvorland ein neues Museum eröffnet worden. Es hat den umständlichen Namen „Museum für die Polen, die während des Zweiten Weltkriegs Juden gerettet haben, benannt nach der Familie Ulma in Markowa“. Der Verwaltungsbezirk, den seit den Lokalwahlen von 2006 die heutige Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) mit großer Mehrheit dominiert, hatte bereits 2008 die Museumsgründung beschlossen. Ihr Wahlsieg im vergangenen Herbst ermöglichte es der PiS, das Projekt, dem sie höchste volkserzieherische Bedeutung beimisst, rasch zu verwirklichen, ganz im Sinne ihres Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski.

Die geschichtspolitische Mission seiner Partei hatte Kaczynski bereits in seiner Rede vor dem Sejm nach der Regierungserklärung im November vorgegeben. Er beklagte, sein Land sei einer Diffamierungskampagne ausgesetzt, auf die es antworten müsse: „Die Polen, die Nation, die sich als erste mit der Waffe in der Hand zum Kampf gegen Nazideutschland erhoben hat, wird heute im Grunde als Verbündeter Hitlers behandelt. Wir haben es mit einer Internalisierung der Verantwortung für den Holocaust mit besonderer Berücksichtigung der Polen zu tun. Dem müssen wir uns entschlossen entgegenstellen.“

Wahrheit oder Stilisierung?

Den polnischen Nationalkonservativen sind all jene, die sich um eine differenzierte Betrachtung der polnisch-jüdischen Beziehungen während des Holocausts bemühen – wobei die Polen häufig in einem nicht sehr positiven Licht erscheinen – ein Dorn im Auge.

Zu ihnen gehört der in Ottawa lebende polnische Historiker Jan Grabowski, dessen 2011 in Warschau erschienenes, zwei Jahre später ins Englische übersetzte Buch „Judenjagd“ (Hunt for the Jews) in Polen eine heftige Debatte über den Umgang von Polen mit Juden unter der deutschen Besatzung entfachte. Der Verfasser erhielt Beschimpfungen und sogar Morddrohungen.

Grabowski dokumentierte nicht nur zahlreiche Fälle von Denunziationen, er räumte auch mit dem Mythos auf, den die PiS mit dem Museum in Markowa etablieren will: Viele Polen hätten aus Mitmenschlichkeit und unter Lebensgefahr Tausende von Juden versteckt.

Grabowski, Mitbegründer des Warschauer „Zentrums für die Forschung der Judenvernichtung“ an der polnischen Akademie der Wissenschaften, wies nach, dass man Juden nicht immer nur aus Menschenliebe half, sondern sich dafür auch oft gut bezahlen ließ. Grabowski hält dem polnischen „Institut für Nationales Gedenken“ (IPN) vor, es versuche, immer mehr Polen ausfindig zu machen, die Juden gerettet hätten, um die polnische Opferrolle zu zementieren. Diese Sichtweise könnte sich auch bei der Gestaltung des Ulma-Museums in Markowa durchsetzen, warnte der Historiker.

„Gerechte unter den Völkern“

In seinem Buch weist er auf die Forschungen des IPN-Historikers Mateusz Szpytma hin, der in Markowa Museumsdirektor wurde. Szpytka hatte in zwei Studien, die 2004 auf Polnisch und 2009 auf Englisch erschienen, die tragischen Ereignisse im Ort zu rekonstruieren versucht.

Nachdem die meisten jüdischen Bewohner nicht nur des Dorfes, sondern auch seiner Umgebung von den deutschen Besatzern erschossen worden waren, suchten einige Überlebende auf dem Hof des polnischen Landwirts Józef Ulma in Markowa Zuflucht. Der Pole versteckte sie, was er und seine schwangere Frau wie auch die sechs Kinder am Ende mit dem Leben bezahlten: Nachdem deutsche Gestapo-Angehörige und polnische Polizisten die acht versteckten Juden am 24. März 1944 entdeckt und auf der Stelle getötet hatten, erschossen sie auch ihre polnischen Beschützer.

Grabowski kritisierte, Szpytma habe die Frage offengelassen, wer die Ulmas denunzierte, obwohl er den an der Razzia beteiligten polnischen Polizisten Wlodzimierz Les verdächtigte. Die jüdische Familie Szall, die zu den Opfern gehörte, hatte Les zuvor ihren Besitz anvertraut. Dass dieser ihn hätte zurückgegeben müssen, könnte ein Motiv für eine Denunziation gewesen sein. Der Polizist Les wurde später von polnischen Widerstandskämpfern getötet. Die Familie Ulma wurde 1995 von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt – diesen Titel erhielten bislang 6620 Polen. 2014 bekam Jan Grabowski von der Jerusalemer Gedenkstätte einen Preis für seine Studie „Judenjagd“.

1600 Polen halfen beim Verstecken

Die Eröffnung des Museums in Markowa ist für die Initiatoren nur ein erster Schritt zu einer umfassenden Dokumentation der Schicksale all jener Polen, die Juden geholfen hatten. Die Schau in dem einer Scheune nachempfundenen Museumsbau konzentriert sich derzeit noch auf die Vorfälle in der Region. Fotos aus dem Besitz der Familie Ulma haben in der Ausstellung auch deshalb einen prominenten Platz, weil Józef Ulma Hobbyfotograf war und viele der von ihm gemachten Aufnahmen erhalten sind. Eine davon, die seine jüdischen Nachbarn zeigt, ist mit Blut der jüdischen Opfer befleckt.

Spuren der Gewalt weisen auch die von Einschüssen gezeichneten Türen auf, die aus dem Haus der fünfköpfigen Familie Baranek aus Siedliska stammen: Weil sie vier Juden aufgenommen hatten, wurden die Baraneks im März 1943 hingerichtet.

An der Mauer auf dem Platz vor dem Museum erinnern Schrifttafeln solcher polnischen Opfer. Die Liste der Namen soll ergänzt werden, Schätzungen zufolge waren es rund 1600 Polen, die allein in der Vorkarpaten-Region etwa 2900 Juden versteckt hatten. Zweihundert von ihnen bezahlten das mit ihrem Leben.

Zum Museum in Markowa gehört auch ein Konferenzraum, in dem Zeitzeugen zu Wort kommen, Filme gezeigt werden, Tagungen und Jugendtreffen stattfinden sollen. Man denkt besonders auch an israelische Schüler, die auf Klassenfahrten nach Polen in den letzten Jahren auch in Markowa Station machen, wo schon seit 2004 ein kleines Ehrenmal an das Schicksal der Familie Ulma erinnert.

Ambivalente Reaktion aus Israel

In Israel erzeugt die Museumseröffnung freilich auch Skepsis. Dass der polnische Präsident Duda in seiner emphatischen Eröffnungsrede von „Hunderttausenden Polen“ sprach, die Juden geholfen hätten, dürfte in Jerusalem den Verdacht erhärten, man wolle den tragischen – und in der Holocaust-Forschung keineswegs als typisch geltenden – Fall der Familie Ulma benutzen, um das Verhalten der Polen während des Holocausts zu beschönigen.

Dass Duda stolz darauf verwiesen hatte, die Polen bildeten die größte Gruppe unter den von Yad Vashem gewürdigten Nichtjuden, schien das zu bestätigen. Irena Steinfeldt, die Leiterin der Abteilung der „Gerechten unter den Völkern“ in Yad Vashem, erklärte gegenüber der israelischen Zeitung „Haaretz“, die Zahl der hilfsbereiten Polen sei zwar im Vergleich zu anderen Ländern am höchsten. Halte man sich jedoch die drei Millionen polnisch-jüdischen Opfer vor Augen, erscheine sie freilich eher niedrig.

„Die Zahl der polnischen ,Gerechten’“, sagt Steinfeldt, „sagt nichts über den Charakter des Volkes aus, sondern nur über den von Individuen.“ Sie kritisiert vehement Versuche, die Zahl der polnischen Helfer aufzublähen, schließlich handle es sich dabei um eine Minderheit. Von dieser auf die Allgemeinheit zu schließen, was man in Polen neuerdings manchmal tue, sei nicht nur empörend, sondern mindere auch die Heldenhaftigkeit der „Gerechten unter den Völkern“.

In Yad Vashem, wo jährlich fünfzig bis siebzig neue Namen von Polen hinzukämen, sehe man sich nach wie vor in der Pflicht, all diejenigen zu würdigen, die ihr Leben riskierten, um Juden zu helfen. „Aber Verallgemeinerungen lehnen wir entschieden ab“, betont Steinfeldt. Das ändert nichts daran, dass Yad Vashem auf der polnischsprachigen Seite seiner „Internationalen Schule für Holocaust-Studien“ den Fall der Familie Ulma als ein pädagogisch besonders geeignetes Beispiel dafür anführt, Jugendliche über die Schoa in Polen aufzuklären.

Steinfeldts Kritik ist den polnischen Medien nicht entgangen. Die katholische polnische Wochenzeitschrift „Tygodnik Powszechny“ fragte jetzt Museumsdirektor Szpytma, ob das Hochschrauben der Zahl angeblicher polnischer Judenretter politische Zwecke verfolge. Szpytma blieb eine direkte Antwort schuldig. Niemand kenne die genauen Zahlen, sagte der Direktor, deshalb betrachte er es als seine Aufgabe, sie durch weitere Forschungen zu ermitteln. Manipulationen auf rechter wie auf linker Seite kämen vor; beide Lager versuchten, die Geschichte politisch zu instrumentalisieren. Doch das dürfe man nicht den Historikern anlasten.

Quelle: F.A.Z.

Finger weg von unseren Helden!
Von ŁUKASZ KAMIŃSKI
Ulmowie 2 Łukasz Kamiński fotVergangenen Monat nahm ich an der ergreifenden Eröffnungsfeier eines Museums in Markowa, in Südostpolen, teil. Es ist den Polen gewidmet, die während der deutschen Okkupation Juden gerettet haben, und nach der Familie Ulma benannt, die zusammen mit den von ihr versteckten Juden im März 1944 von deutschen Polizisten ermordet wurde.

Über dieses Ereignis wurde in vielen Medien berichtet, Vertreter höchster staatlicher Organe nahmen daran teil. Außer dem polnischen Präsidenten ergriff das Wort auch die Botschafterin Israels, eine aufgezeichnete Botschaft eines in Markowa geretteten Juden wurde präsentiert.

Die meisten Polen hörten zum ersten Mal die Geschichte von Józef und Wiktoria Ulma und ihren Kindern Stanisław, Basia, Władzia, Franek, Antek, Marysia sowie des siebten Kindes, dessen Geburt während der Exekution begann. Das älteste war damals acht Jahre alt. Zum ersten Mal wurden auch die Namen der Geretteten genannt: Saul Goldmann und seine vier Söhne (genannt die Szalls), Golda Grünfeld und ihre Schwester Lea Didner mit ihrer kleinen Tochter.

In Dutzenden von Kommentaren wurde das Heldentum der Familie Ulma gewürdigt, man wies auf Werte wie Nächstenliebe und Opferbereitschaft hin. Man sprach über die Bedeutung der Wahrheit und darüber, dass die Geschichte des Holocausts Mahnung für die heutige sowie für zukünftige Generationen sein solle. Man erinnerte an die Tatsache, dass in der Bibel im Haus der Ulmas die Geschichte vom barmherzigen Samariter angestrichen war, und man zitierte die Worte Christi: „Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“

Absurd oder rhetorisch

Der Leser des Artikels von Joseph Croitoru „War die heldenhafte Familien Ulma etwa typisch?“ konnte hingegen erfahren, dass wir es in Wirklichkeit mit einer Parteiveranstaltung der neuen polnischen Regierung zu tun hatten, die „eine historische Debatte entfacht“ habe. Entgegen den Behauptungen des Autors wurde die Fertigstellung des Museums nicht durch das Ergebnis der letzten Wahlen beschleunigt, sondern durch eine Entscheidung der Kulturministerin der vorherigen Regierung, die der Initiative finanzielle und organisatorische Unterstützung angedeihen ließ.

Ich habe die Kommentare in Presse und Internet aufmerksam verfolgt, konnte jedoch keine „Entfachung“ der seit Jahren anhaltenden Debatte über die polnisch-jüdischen Beziehungen während des Krieges entdecken. Es gibt viele Fragen, die das heutige Polen spalten; aber mit Sicherheit gehört dazu nicht das Bedürfnis, an die Helden zu erinnern, die Juden gerettet haben.

Die in der Überschrift des Artikels von Croitoru enthaltene Frage kann man entweder als absurd oder als rhetorisch betrachten. Es ist offensichtlich, dass die Haltung der Ulmas, die für die Rettung von Juden ihr Leben ließen, nicht typisch war. Heroische Haltungen sind nie typisch!

Todesstrafe für Helfer

Ebenso wenig war auch die Tätigkeit Irena Sendlers typisch, die zweieinhalbtausend jüdische Kinder vor den deutschen Mördern rettete, indem sie sie hauptsächlich in polnischen Familien und katholischen Klöstern unterbrachte. Ebenfalls nicht typisch war das Schicksal des Kuriers der polnischen Untergrundregierung Jan Karski, der die Tragödie der polnischen Juden 1943 unter anderem Präsident Roosevelt darlegte, was leider keine wirkliche Reaktion auslöste.

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Irena Sendlerowa (oben während des Krieges, unten an ihren 100. Geburtstag) rettete  während der deutschen Besatzung 2500 jüdischen Kindern das Leben.

Die Haltung der Ulmas und Tausender ähnlicher Familien war nicht typisch, wie man auch die Haltung derer nicht als typisch betrachten kann, die versteckte Juden und ihnen helfende Polen erpressten und den Deutschen auslieferten. Auf diese Tat stand nach dem Recht des polnischen Untergrundstaats seit 1943 die Todesstrafe. Dieses Urteil vollstreckte der polnische Untergrund auch an dem Polizisten, der die Ulmas denunziert hatte.

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Jan Karski, der aus dem besetzten Polen in den Westen gelangte Kurier der polnischen Untergrundregierung, schilderte die Tragödie der polnischen Juden 1943 u. a. Präsident Roosevelt sowie den führenden Vertretern der amerikanischen Juden, und stieβ auf taube Ohren.

Typisch war etwas anderes

Das Museum in Markowa ist nicht ins Leben gerufen worden, um zu suggerieren, die Haltung der Ulmas sei typisch gewesen. Ganz im Gegenteil – es soll darauf hinweisen, welche Ausnahme ihr Opfer darstellte, unter anderem auch, um die Ulmas und ähnlich handelnde Menschen als Vorbild für unsere Zeitgenossen und zukünftige Generationen zu zeigen. Ich bin überzeugt davon, dass der Besuch des Museums für diejenigen, die es aufsuchen, unabhängig von ihrer Nationalität vor allem grundlegende Fragen über die Natur des Menschen und über das Wesen von Gut und Böse aufwerfen wird.

Typisch war im von den Deutschen besetzten Polen etwas anderes. Schon in den ersten Wochen wurden Massenexekutionen typisch, vor allem an den Vertretern der polnischen Eliten. Im Februar 1940 sagte Generalgouverneur Hans Frank in einem Interview mit einer deutschen Zeitung: „In Prag waren große rote Plakate angeschlagen, auf denen zu lesen war, dass heute sieben Tschechen erschossen worden sind. Da sagte ich mir: Wenn ich für je sieben erschossene Polen ein Plakat aushängen lassen wollte, dann würden die Wälder Polens nicht ausreichen, das Papier herzustellen für solche Plakate.“

„Endlösung“ auf polnischem Boden

Typisch war in den dem Dritten Reich einverleibten Gebieten die Aussiedlung der polnischen Bevölkerung, die mehr als 800.000 Personen betraf. Typisch waren Razzien auf den Straßen, von denen aus die Festgenommenen ins Gefängnis oder ins Konzentrationslager kamen und im besten Fall zur Zwangsarbeit geschickt wurden. Typisch war die Zerstörung von Dörfern, bei denen die Häuser abgebrannt und die Bewohner ermordet wurden. In der Gegend von Zamość wurde nicht nur die Aussiedlung der Polen typisch, sondern auch der Raub polnischer Kinder zum Zweck der Germanisierung.

Typisch waren die Zerstörung des gesamten Bildungssystems, Raub und Vernichtung kultureller Werke, die wirtschaftliche Ausbeutung des Landes. Und typisch war schließlich auch die Bestrafung derer, die den Juden halfen, für die die Deutschen die komplette Ausrottung vorgesehen hatten, wobei sie sich als Ort für die „Endlösung“ die polnische Erde ausgesucht hatten. Nach den Anordnungen der Besatzungsmacht stand auf die Unterstützung von Juden durch Polen die Todesstrafe.

Unsere Verpflichtung

All diese Phänomene waren typisch, weil sie nach den Richtlinien Hitlers ausgeführt wurden. Noch vor dem Überfall auf Polen kündigte er den auf dem Obersalzberg versammelten Generälen an, das Ziel der Invasion sei nicht „das Erreichen einer bestimmten Linie“, sondern „die physische Vernichtung des Gegners“, und er erklärte, er habe, vorläufig erst im Osten, Totenkopfverbände rekrutiert und befohlen, ohne jedes Mitleid Männer, Frauen und Kinder polnischer Herkunft und polnischer Sprache zu töten, da nur auf diese Art und Weise der Lebensraum erobert werden könne, den die Deutschen bräuchten.

Dass die Polen Opfer der deutschen (und auch der sowjetischen) Besatzung waren, ist eine historische Tatsache. Und es sind keine besonderen Untersuchungen nötig, um „die polnische Opferrolle zu zementieren“, wie in dem erwähnten Artikel ein Historiker suggeriert. Die Leidensgeschichte der Polen schmälert nicht den Holocaust und das Leiden der Juden.

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Nicht nur auf das Verstecken, auf jede den Juden erwiesene Hilfeleistung stand im besetzten Polen die Todesstrafe. Deutsche Bekanntmachungen.

Das Institut für Nationales Gedenken (IPN) und viele andere Institutionen in Polen untersuchen die Schicksale der Polen, die Juden gerettet haben, nicht um irgendeinen ideologischen Bedarf zu decken. Wir sind der Meinung, dass dies unsere grundlegende Verpflichtung ist gegenüber den Helden, die ihr Leben riskiert und es daher verdient haben, dass ihre Namen im Gedächtnis der Nachfahren erhalten bleiben.

Ungeschehen lässt sich nichts machen

Die Polen sind stolz auf ihre Geschichte, darauf, dass sie sich als Erste Hitler entgegengestellt und bis zum letzten Kriegstag gegen die Deutschen gekämpft haben, was enorme Opfer kostete. Wir erinnern uns daran, dass wir als Einzige im besetzten Europa einen Untergrundstaat geschaffen haben. Er verfügte nicht nur über militärische Strukturen, sondern auch über eine zivile Verwaltung, der auch der Rat für die Unterstützung der Juden, die Źegota, unterstellt war.

Das heißt nicht, dass keine Diskussion über die schwierigen Aspekte dieser Zeit geführt wird, vor allem über die polnisch-jüdischen Beziehungen. Diese Diskussion wurde erst nach dem Fall des kommunistischen Systems möglich. Leider wird sie immer mehr von Radikalen dominiert, was einen echten Dialog erschwert. Die Erinnerung an die Polen, die Juden retteten, macht die Beispiele von Verrat und sogar Verbrechen nicht ungeschehen, genau wie umgekehrt das schändliche Verhalten mancher Polen das Heldentum anderer nicht ungeschehen macht.

Sie haben es verdient

Die Behauptung, man hätte mehr Juden retten können, ist ebenso richtig wie diejenige, die darauf hinweist, dass man von niemandem verlangen kann, das Leben der eigenen Familie zu riskieren. Diese Art der Diskussion trägt nicht nur wenig dazu bei, die Vergangenheit zu verstehen, sondern sie entfernt uns auch von dem, was in dieser Debatte das Wichtigste ist: die fundamentalen Fragen nach dem Verhalten der Menschen in schwerster Zeit.

Es gibt in Polen Streit darüber, wie viele Polen während des Krieges sich für die Hilfe für Juden engagiert haben. Dieser Streit rührt daher, dass während der Besatzung niemand solche Statistiken geführt hat und dieses Thema danach viele Jahre lang nicht untersucht wurde. Unabhängig von dieser Diskussion, ist jedoch eines sicher: Es waren entschieden mehr als die Mitglieder der deutschen Opposition gegen Hitler, über deren Geschichte man in vielen Museen und Gedenkstätten etwas erfahren kann.

Die polnischen Helden, die das eigene Leben aufs Spiel gesetzt haben, um ihre Nächsten zu retten, haben es verdient, dass man an sie erinnert. Statt den Sinn des ihnen gewidmeten Museums in Frage zu stellen, sollte man lieber darüber nachdenken, warum es erst so spät entstanden ist.

Łukasz Kamiński war bis Juli 2016 Präsident des Instituts für Nationales Gedenken in Warschau.
Quelle: F.A.Z.

Rede Staatsprpräsident Andrzej Dudas bei der Eröffnung des Museums in Markowa am 17. März 2016

Ulmowie 2 Andrzej Duda fot.2Es passierte in der Nacht… Sie fuhren hierher auf Umwegen aus Łańcut, hieß es in einer späteren Aussage eines jungen Fuhrmanns, eines Bauern aus einem der Dörfer des Karpatenvorlandes. Deutsche Gendarmen und dunkelblaue Polizisten. Darunter befand sich wahrscheinlich auch derjenige, der, wie man später ermitteln konnte, die Familie Ulma und die bei ihnen wohnenden Goldmans denunziert hatte.

Auf dem Weg sind sie stehen geblieben. Das Haus stand am Dorfrand, daneben befanden sich keine anderen Gebäude. Die Gendarmen und die Polizisten gingen zum Haus Ulmas. Dann hörte man Schüsse. Darauf riefen sie die Fuhrleute und befahlen ihnen, zuzuschauen. Zunächst töteten sie die Söhne von Chaim Goldman und dann ihn selbst. Später töteten sie Józef und Wiktoria Ulma. Einer der Deutschen sagte zu den Fuhrleuten: „Da, seht zu, so sterben polnische Schweine, die Juden helfen.“

Und später wussten sie nicht, was sie mit den Kindern tun sollen, den sechs Kindern von Józef und Wiktoria. Und dann sagte der Kommandant der Gendarmen: „Ihr werdet wohl im Dorfe keine Probleme haben wollen“. Und tötete sie alle, der Reihe nach. Der Mann, der das aussagte, berichtete: „ Zu hören waren Schüsse, Schreie und Wehklagen. Es war erschütternd“.

Warum beschlossen Józef Ulma und seine Frau sich so zu verhalten? Warum entschieden sie sich, unter ihr Dach die Familie Goldman aufzunehmen? Den fast achtzigjährigen Familienvater Chaim, einen Kaufmann aus dem nahe gelegenen Łańcut, seine erwachsenen Söhne, die Töchter und die Enkelin. Warum taten sie das? War es der Appell der Heeresführung des polnischen Untergrundstaates, dass angesichts der Shoah, es eine moralische Pflicht der Polen sei, unseren jüdischen Mitbürgern, Mitbürgern der Rzeczpospolita, der Republik Polen, zu helfen?

Oder war es, weil sie Chaim Goldman und die ganze Familie kannten? Denn in einer solchen lokalen Dorfgemeinschaft kannten sich doch alle. Oder lag es vielleicht am biblischen Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das von jemandem im Text jener Bibel unterstrichen wurde, die man später im Haus Ulmas gefunden hatte? Wir wissen es nicht… Keiner weiß die Antwort.

Eines ist sicher. Józef Ulma war ein einfacher Bauer aus dem Karpatenvorland, ein Landwirt. Er war aufgeklärt und intelligent. Er absolvierte vier Klassen Grundschule und dann noch eine landwirtschaftliche Fachschule. Den anderen war er ein Vorbild. Seine Leidenschaft galt der Imkerei, er züchtete Seidenraupen.

Heute würden wir sagen, er war ein lokaler Meinungsbildner. Das war er ganz sicher. Die Menschen holten sich bei ihm Rat. Er machte Fotografien und dokumentierte somit das Leben der dörflichen Gemeinschaft und das seiner Familie. Dem ist es unter anderem zu verdanken, dass dieses Museum so lebhaft und beeindruckend ist. Denn es ist voll von Aufnahmen, die Józef gemacht hatte, auch von Fotos seiner jüdischen Nachbarn und Gäste, die er bei sich aufgenommen hat und mit denen er starb.

Dies hier ist ein sehr bewegendes Museum. Ich bin zutiefst dankbar und im Namen der Republik, im Namen aller meiner Landsleute danke ich all jenen, die zur Entstehung dieser Einrichtung beigetragen haben. Ich danke allen, die dazu beigetragen haben, dass die Familie Ulma, ihre Angehörigen, und alle anderen verewigt wurden, die ihren Schwestern und Brüdern, Mitbürgern jüdischer Abstammung, geholfen haben zu überleben, in einer Zeit des Massakers an ihrem Volk, das während des Zweiten Weltkriegs von den Nazideutschen ausgelöscht werden sollte. Danke, dass dieses Museum ein Denkmal für sie alle sein kann. Danke, denn Polen und die geschichtliche Gerechtigkeit haben ein solches Mahnmal nur allzu dringend benötigt.

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Zum Denkmal der Familie Ulma 1000 m.

Unsere beiden Völker, die Polen und die Juden, lebten tausend Jahre lang auf diesem Boden. Diese tausend Jahre gemeinsamer Geschichte erlebten eine furchtbare Zäsur: Den Holocaust, in dem von Deutschen besetzten Polen. Die Todeslager, ein schwarzes Blatt in der Geschichte des jüdischen Volkes.

Viele Menschen besuchen Polen, um das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau sowie andere Zeugnisse der großen Vernichtung zu besichtigen, die der ganzen Welt als Mahnung dienen sollen, was Hass und kranke Ideologien anstellen können, und wozu ein von ihnen besessener Mensch fähig ist. Aber es entstehen bei uns in den letzten Jahren zum Glück auch andere Orte, jene, die das zeigen, was gut und was schön war in der Geschichte, auch der tragischsten. Zu ihnen gehört mit Sicherheit dieses Museum, ein Museum der Brüderlichkeit, der Barmherzigkeit und der Gemeinschaft. Einer Gemeinschaft von Ort, Heimat, und oft auch des Zusammenhaltens.

Vielleicht hat Józef Ulma die Familie Goldman deshalb bei sich aufgenommen, weil ihr Sohn, genauso wie er, 1939 für die Verteidigung Polens gekämpft hatte. Vielleicht weil es tausende von polnischen Staatsbürgern jüdischer Abstammung waren, die für Polen 1918, 1919, 1920, 1939 und auch später gekämpft haben? Sie kämpften, denn Polen war unsere gemeinsame Heimat, wo sie geboren wurden, wo sie heranwuchsen und lebten.

Und es war zum Glück ein Land, in dem während der schrecklichen Tragödie des Holocausts und beim Versuch „der endgültigen Lösung der jüdischen Frage“, wie es die Führung von Hitlerdeutschland zynisch formulierte, tausende von Polen den Mut aufbrachten, um wahre Mitmenschen und Mitbürger zu sein, um barmherzig zu sein, um jener Lehre zu folgen, die sich für uns alle aus dem christlichen Glauben ergibt, der Nächstenliebe.

Zum Glück gab es auch Menschen, denen es an dieser christlichen Nächstenliebe nicht fehlte, trotz des großen Risikos, trotz des drohenden Todes. Denn im besetzten Polen drohte für Juden erwiesene Hilfe, wie nirgendwo anders in der Welt, die Todesstrafe, die auch ohne jegliche Rücksichtnahme vollstreckt wurde. So wie hier. Es waren ja nicht nur Józef und Wiktoria Ulma sowie ihre Kinder, die so ihr Leben verloren. Es gab dutzende, hunderte von solchen Familien, tausende von Menschen, die dafür, dass sie ihren jüdischen Schwestern und Brüdern, ihren Mitbürgern, geholfen haben, ihr Leben opfern mussten.

Und wenn wir heute an diese dramatische Zeit und an die tausend Jahre gemeinsamer Geschichte zurückdenken, so mögen uns zu einem Wegweiser auf der Wanderung durch diese Zeit all jene Orte werden, die wir heute in einem freien und unabhängigen Polen, dass sich seiner Geschichte bewusst ist, besichtigen können: Das Museum der Geschichte der polnischen Juden POLIN in Warschau, wo sowohl die schönen als auch die traurigen Kapitel gezeigt werden, das nazideutsche Konzentrationslager Auschwitz, aber auch das Museum in Markowa, so wichtig auf dem Weg der gemeinsamen Geschichte.

Ein Museum, das zwar ein tragisches Kapitel zeigt, aber zugleich auch das wichtigste Merkmal der Rzeczpospolita przyjaciół, der Republik der Freunde, veranschaulicht, wo man bereit war das Leben zu opfern für seinen Freund, seinen Bruder und einen Mitmenschen. Möge das, was wir heute bereits gehört haben, all dies bezeugen. Auch die Tatsache, dass der Mord an der Familie Ulma und der bei ihnen versteckten Goldmans, dieses Beispiel der deutschen Greueltaten, andere Einwohner von Markowa, die ja auch Familien hatten und die auch überleben wollten, nicht dazu gebracht hat, Juden auszuliefern, die sie bei sich aufgenommen haben. Denn trotz dieser Tragödie, konnten die Dorfbewohner bis zum Kriegsende 21 Juden bei sich verstecken.

Es ist dies ein ganz bedeutender Ort für die Republik Polen, denn hier wird es uns ganz besonders bewusst, dass wir als Polen Würde empfinden können. Unter uns lebten nämlich solche Menschen, die mehr als nur anständig waren. Sie waren wahre Helden, und als solche sind sie jenen gleichzusetzen, die unter Einsatz von Waffen für die Freiheit Polens gekämpft haben und dabei gefallen sind.

Es gibt da keinen Unterschied. Sowohl die einen wie auch die anderen opferten ihr Leben für andere und für Freiheit. Denn Freiheit bedeutet Würde. Dass sie ihre Nachbarn, Bekannte und manchmal auch zufällige Menschen bei sich versteckten, war eine Absage an Grausamkeit, Verachtung und Hass, und einen Antisemitismus, mit dem sie sich nicht abfinden konnten und mit dem sie sich bis an ihr Lebensende nicht abgefunden haben. Eine Absage an all das, was die Nazideutschen auf polnischen Boden mitgebracht gebracht hatten.

Und als Präsident der Republik Polen möchte ich es heute ganz klar und deutlich sagen: Jeder, der Hass unter Völkern verbreitet, jeder der antisemitische Parolen verkündet, der Antisemitismus verbreitet und ihn schürt, tritt mit Füssen das Grab der Familie Ulma, tritt mit Füssen die Erinnerung an sie, und auch das alles, was sie als Polen verloren haben, indem sie ihr Leben opferten. Es war dies ein Opfer für Würde, Aufrichtigkeit, für Gerechtigkeit und die einem jeden Menschen gebührende elementare Achtung.

Möge dieses Museum, neben anderen Gedenkstätten auch, für alle zu einem großen Zeugnis einer tragischen, aber guten Erinnerung werden sowie zu einer Mahnung, was Hass und Verachtung aus Menschen machen kann.

Und es ist auch gut, dass in all dem die Führung des polnischen Untergrundstaates Härte gezeigt hat. Denn derjenige, der die Ulmas und ihre Gäste, die jüdischen Nachbarn, höchstwahrscheinlich ausgeliefert hatte, lebte nicht mehr lange. Sie starben in der Nacht vom 23. auf den 24. März, und der polnische Untergrundstaat vollstreckte sein Urteil an dem Kollaborateur am 10. September desselben Jahres 1944.

Später ist es noch gelungen, einen der Mörder zu fassen, der auf mindestens drei der Kinder geschossen hatte. Für seine Tat hat er eine Gefängnisstrafe verbüßt. Allerdings wurde zunächst von einem polnischen Gericht die Todesstrafe verhängt. Das Urteil wurde dann zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe umgewandelt und schließlich zu einer 25-jährigen Haft. Der Täter starb im Gefängnis in Bytom.

Es ist gut, dass der polnische Staat ein Urteil im Mordfall fällen konnte und das somit elementare Gerechtigkeit geschehen konnte. So wie jeder Mörder elementare Gerechtigkeit erfahren muss. Dies geschieht in jedem aufrichtigen Rechtsstaat. Und es darf auch kein aufrichtiger Rechtsstaat Volkshetze, nationale Phobien sowie Fremdenhass tolerieren. Und ich glaube fest daran, dass Polen das nie tolerieren wird. Und so wie jetzt der Staat Israel und seine Gründer, belehrt durch die dramatischen Erfahrungen des Holocausts, beschlossen haben, nie einen eigenen Staatsbürger alleinzulassen, und die Sicherheit eines jeden Juden um jeden Preis zu verteidigen, so sollten auch wir, die Polen, und der polnische Staat, das gleiche tun.

Möge die Tragödie des Zweiten Weltkriegs sowohl für das jüdische als auch für das polnische Volk eine dramatische Lektion sein, aus der wir und aus der diejenigen, die nach uns kommen, entsprechende Schlüsse ziehen, und aus der wir den nachkommenden Generationen die Wahrheit darüber vermitteln müssen, was passiert ist, die Wahrheit über den Holocaust, das Heldentum, aber auch manchmal die traurige Wahrheit über das Abscheuliche im Menschen.

Denn Wahrheit baut Brüderlichkeit zwischen Völkern und erlaubt es, freundschaftliche Beziehungen zu entwickeln. Denn eine gute Zukunft kann nur auf Wahrheit aufbauen.

Quelle: Amtliche Übersetzung ins Deutsche, entnommen der offiziellen Internerseite Prezydent.pl




Auswandern ist nicht aller Ärzte Lust

Licht- und Schattenseiten des polnischen Gesundheitswesens.

Berichte über das polnische Gesundheitswesen, die deutsche Medienkonsumenten erreichen, sind seit Jahren nur alarmierend und bedrückend zugleich. Schlecht bezahlte Ärzte und Pfleger wandern massenhaft ab, die medizinische Infrastruktur verwahrlost, die Patienten sind stets unterversorgt. Gelogen ist das alles nicht, aber es ist nur die halbe Wahrheit.

Lekarze Brian Jones

Brian Jones von AC/DC schwenkt die weiβ-rote Fahne im Warschauer Nationalstadion im Juli 2015. Prof. Henryk Skarżyński soll nun sein Gehör retten.

Es war jedenfalls kein Zufall, dass sich Brian Johnson, der von dauerhafter Taubheit bedrohte Sänger der australischen Hard-Rock-Band AC/DC, in die Obhut von Prof. Henryk Skarżyński (fonetisch Skarschinski) im Warschauer Vorort Kajetany begab. Dort befindet sich das Institut für Gehörphysiologie- und Pathologie, eine der modernsten und weltweit führenden Kliniken auf diesem Gebiet.

Im Krebs-Zentrum im oberschlesischen Gliwice/Gleiwitz, einer Einrichtung auf Weltniveau, verpflanzten Prof. Adam Maciejewski und sein Team Anfang 2013, als erste in der Welt, während einer lebensrettenden Notoperation einem Patienten ein neues Gesicht.

Pacjent po przeszczepie twarzy
Prof. Adam Modrzejewski und sein Notfallpatient, der 33jährige Grzegorz, dem er mit seinem Team ein neues Gesicht verpflanzt hat.

Seit Ende 2014 kann ein Querschnittsgelähmter wieder laufen, weil ein polnisch-britisches Ärzte-Team in der Uni-Klinik von Wrocław/Breslau eine bahnbrechende Transplantation gewagt hat.

Lekarze dr Paweł Tabakow Dariusz Fidyka

Lekarze Klinika Uniw. Wrocław
Fünf Jahre lang war Dariusz Fidyka nach einer Messerattacke querschnittsgelähmt. Dank Dr. Paweł Tabakow (oben) und seinem polnisch-britischen Team kann er wieder die Beine bewegen.

Alle drei Kliniken, aber auch das Zentrum für Herzchirurgie im oberschlesischen Zabrze/Hindenburg, das Krebs-Zentrum in Bydgoszcz/Bromberg und ein weiteres halbes Dutzend führender polnischer Medizineinrichtungen werden aus den Innovations-Fördertöpfen des Warschauer Gesundheitsministeriums kräftig unterstützt. Viel Geld bringen internationale Forschungsaufträge und ausländische Privatpatienten. Moderne Gebäude, modernste Geräte, gut bezahlte Mediziner. So sieht die Beletage der polnischen Medizin aus.

Des Weiteren gibt es offizielle Statistiken, die besagen, dass die Einkommen der polnischen Ärzte zwischen 2011 und 2015 generell um mehr als das Doppelte gestiegen sind und die Mediziner inzwischen sogar die Juristen beim Verdienen überholt haben.

Habenichtse und Krösusse

Die ganz Groβen der Branche, bekannte Kardiologen, Herzchirurgen, Chirurgen oder Gynäkologen verdienen, da sie zusätzlich privat praktizieren, leicht bis zu 60.000 Zloty brutto (14.000 Euro) im Monat. Wer sich einige Male in der privaten Praxis einer Medizin-Koryphäe sehen lässt, kann sicher sein, auf ihrer Station im staatlichen Krankenhaus bevorzugt behandelt zu werden.

Weniger bekannte, aber erfahrene Mediziner, wie z. B. ein leitender Stationsarzt der Chirurgie im niederschlesischen Wałbrzych/Waldenburg erhält 13.500 Zloty (ca. 3.200 Euro) im Monat, ein Gynäkologe am Krankenhaus in Katowice 14.000 Zloty (ca. 3.300 Euro), ein Narkosearzt in Kraków – 21.000 Zloty (ca. 5.000 Euro), hierbei handelt es sich um Nettogehälter, bei denen die Bereitschaftsdienste mit berücksichtigt wurden. Auch von diesen Medizinern haben viele noch eigene Praxen oder arbeiten nachmittags privat bei Kollegen mit.

Kaum jemand aus der ersten oder zweiten Gruppe denkt auch nur im Entferntesten daran ins Ausland zu gehen. Diese Mediziner haben die Vollapprobation und den Facharzttitel erlangt und können in Polen ein gutes Leben führen. In einem Land, wo der am häufigsten gezahlte Lohn, errechnet an Hand des sogenannten Modalwertes, 2015 genau 2.189 Zloty brutto (knapp 530 Euro) betrug, können sich diese Einkommen durchaus sehen lassen.

Deutlich weniger im Durchschnitt als ihre Facharztkollegen, verdienen hingegen die sogenannten Familienärzte – 5.600 Zloty (gut 1.300 Euro). In der ambulanten medizinischen Versorgung sind sie die wichtigste Anlaufstelle für Patienten. Versicherte können den Familienarzt aus einem Netz von Vertragsärzten auswählen und zweimal im Jahr kostenlos wechseln.

Ein Familienarzt soll maximal 2.750 Patienten betreuen, doch wird diese Zahl immer häufiger überschritten. Er stellt Überweisungen an Fachärzte aus und steuert auf diese Weise die Versorgung. Für Besuche bei einigen Spezialisten, darunter Frauen- und Zahnärzten, Onkologen und Psychiatern, ist keine Überweisung nötig. Auch Tuberkulosekranke, HIV-Infizierte und Drogenabhängige brauchen keine Überweisung. In Polen gibt es dreimal mehr Fachärzte als Familienärzte. Das hat zur Folge, dass viele Spezialisten die Aufgabe eines Primärarztes übernehmen. Die meisten polnischen Ärzte arbeiten als Angestellte in staatlichen oder kommunalen Ambulanzen; etwa zwei Drittel von ihnen praktizieren zusätzlich privat, um das monatliche Gehalt aufzubessern.

Lekarze pielęgniarki
Das Durchschnittsalter der Krankenschwestern (hier im Juni 2015 am Ende eines Streiks im Kreiskrankenhaus von Wyszków) steigt stetig und ist inzwischen bei 49 Jahren angelangt. Nachwuchs ist rar.

Krankenschwestern verdienen durchschnittlich 2.600 Zloty (gut 600 Euro) brutto. Es gibt in Polen ca. 280.000 zugelassene Schwestern, von denen im Augenblick 213.000 ihren Beruf ausüben. Ihr Durchschnittsalter steigt stetig und ist inzwischen bei 49 Jahren angelangt. Nachwuchs ist rar.

Ganz unten

Ganz unten auf der Gehaltsskala rangieren die Ärzte im Praktikum mit einem Bruttoeinkommen von knapp 2.300 Zloty (etwa 550 Euro). Das Medizinstudium dauert in Polen sechs Jahre lang. Es folgen ein praktisches Jahr, das Staatsexamen sowie die Approbation. Anschlieβend gilt es den Facharzttitel zu erlangen, und das gestaltet sich schwierig.

Drei Wege führen zu diesem Ziel. Die sogenannte Residentur, das Volontariat oder eine feste Stelle am Krankenhaus. Feste Stellen gibt es für Anfänger auf dem Gebiet der Medizin grundsätzlich nicht. Volontariat bedeutet umsonst zu arbeiten bis man Facharzt ist, was sich kaum einer der Jungmediziner leisten kann. Bleibt die Residentur, bei der das Gesundheitsministerium in Warschau dem Berufsanfänger das Gehalt zahlt. Das Krankenhaus bekommt somit einen Mitarbeiter umsonst zur Verfügung gestellt.

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Ärzte die den Fachtitel anstreben sind in den Krankenhäusern nur als sog. Residenten willkommen. Ihre mageren Gehälter zahlt das Gesundheitsministerium, das Krankenhaus kosten sie nichts.

Residenturen werden zweimal im Jahr (im Frühjahr und Herbst) vergeben und dauern, abhängig von der Fachrichtung, zwischen vier und zehn Jahre lang. Am Ende steht eine staatliche Facharztprüfung.

Es ist ein starres System, das nicht den jungen Ärzten sondern der Bürokratie das Leben leicht macht. Die Krankenhäuser geben ihre freien Residentenstellen meistens erst drei Wochen vor Abgabeschluss der Anträge bekannt. Pro Kandidat darf nur eine Bewerbung auf eine konkrete Stelle abgegeben werden. Geht er leer aus, muss er bis zur nächsten Vergaberunde warten. Wer sich einmal für eine Fachrichtung entschieden und eine Residentur bekommen hat darf die Fachrichtung nicht mehr wechseln, auch wenn es sich z. B. herausstellt, dass die manuellen Fähigkeiten für die erträumte Chirurgenlaufbahn leider nicht ausreichen. Die einzige Lösung: Residentur abbrechen um sich neu zu bewerben.

Jahrelang war das Angebot an Residenturen sehr knapp (2014 waren es z. B. nicht ganz 2.500 Stellen). Es wurde gespart mit der Folge, dass die abgewiesenen Jungärzte, deren bisherige Ausbildung viel staatliches Geld verschlungen hatte, ihr Heil im Ausland suchten. Noch im Frühjahr 2015 wurden nur knapp 600 Residenturen vergeben. Der Durchbruch kam im Herbst 2015 als das scheidende Kabinett von Frau Kopacz, nach acht Jahren des Regierens der Bürgerplattform, endlich die Dramatik der Situation erkennen musste und knapp 5.700 Residenturen im ganzen Land freigab, davon ungefähr eintausend im Bereich der inneren Medizin (Kindermedizin 400, Psychiatrie 320, Chirurgie 280, Neurologie 220, Zahnmedizin 80 usw.).

Die neue Regierung von Frau Szydło hat die Zahl der Residenturen für das Frühjahr 2016 auf 1.900 erhöht, für Herbst 2016 sind etwa 5.500 angekündigt. Damit dürfte der Ausbildungsstau, der bisher bei jährlich ca. 2.600 Medizinabsolventen lag, für das Erste abgebaut sein. Nur für die Zahnmediziner (ca. 850 Absolventen pro Jahr) bleibt die Lage nach wie vor unerfreulich.

Ist das erste Etappenziel, eine Residentenstelle zu erhalten, erreicht, schieben die Neulinge einen Bereitschaftsdienst nach dem anderen, um zu den anfänglich noch mageren 2.300 Zloty etwas hinzu zu verdienen. Viele jobben hierfür zusätzlich in Privatpraxen erfolgreicher älterer Kollegen. Haben sie schließlich den ersehnten Facharzttitel in der Tasche, beginnt erneut die Suche nach einer freien Stelle. Diese sind jedoch rar, da „kostenlose“ (den Lohn zahlt, wie bereits beschrieben, das Gesundheitsministerium) Residenten die Stellen in den Kliniken blockieren.

Es sind daher fast ausschlieβlich Familienärzte, Krankenschwestern und junge Mediziner, die sich zum Facharzt qualifizieren wollen, oder gerade Facharzt geworden sind, die auf Arbeitssuche ins Ausland wechseln.

Alle zahlen wenig, Kranke zahlen viel mehr

Seit 2003 gibt es in Polen nur noch eine einzige Krankenkasse, den Nationalen Gesundheitsfonds (NFZ), dem alle Einwohner angeschlossen sind. Der NFZ ist dem polnischen Gesundheitsministerium unterstellt. Das Ministerium entscheidet sowohl über die Finanzen als auch über das Leistungsangebot, so z. B. darüber, welche Medikamente erstattet werden.

Zwei Sozialversicherungsanstalten (KRUS: zuständig für Landwirte und ihre Familien sowie ZUS: für alle anderen Versicherten) ziehen die Versichertenbeiträge ein und leiten die Gelder an den NFZ weiter. Der NFZ schließt Verträge mit Leistungserbringern und gewährleistet so die Versorgung der Versicherten in allen 16 Provinzen (Woiwodschaften). Ein einheitlicher Leistungskatalog existiert nicht, lediglich eine Negativliste, die bestimmte Leistungen ausschließt.

Der Beitragssatz zur Krankenversicherung, der von Arbeitnehmern und Selbstständigen aufgebracht werden muss, liegt momentan bei neun Prozent. Einen Arbeitgeberanteil gibt es nicht. Die Beiträge für Rentner und Arbeitslose werden vom Staat aufgebracht.

Bei Landwirten richtet sich der Beitragssatz nach Ertrag und Größe des Grundbesitzes, deckt aber generell nur bis zu 5 Prozent aller Renten- und Gesundheitsausgaben für die Landbevölkerung. Die Differenz zahlt wiederum der Staat.

Vier Prozent des Bruttosozialproduktes sind vorgesehen, um das Funktionieren des polnischen Gesundheitswesens sicherzustellen. Dieser Wert ist zu niedrig angesetzt, um eine ausreichende medizinische Versorgung zu gewährleisten. Andererseits gilt die Belastung der arbeitenden Bevölkerung mit Kranken- und Sozialversicherungsbeiträgen (insgesamt 19,25%) bereits als hoch, angesichts der im Allgemeinen niedrigen polnischen Löhne. Eine Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge wäre politisch daher nicht durchsetzbar. Zumal eine solche Maßnahme auch eine Erhöhung der Zuschüsse des Staates (u.a. für die Bauern) nach sich ziehen würde. Daher gilt das Prinzip: alle zahlen wenig, Kranke zahlen viel mehr.

Lekarze pacjenci 4

Lekarze Luxmed
Der Markt hat’s gerichtet. Wer kein Geld hat wartet, wer’s hat, wird erwartet.

Der Nationale Gesundheitsfond (NFZ) vereinbart mit jeder einzelnen medizinischen Einrichtung einen Jahresvertrag und legt für die Zahl der Leistungen, die er finanziert Jahres-Obergrenzen fest. Das Limit ist meistens bereits nach einigen Monaten ausgeschöpft. In diesem Fall werden dann in den Ambulanzen Anmeldungen zu den Fachärzten erst für das nachfolgende Jahr angenommen. Wer kein Geld hat, muss auf einen Termin viele Monate lang warten. Wer zahlt, kommt fast umgehend an die Reihe.

Lekarze pacjenci 3
Der Markt hat’s gerichtet. Einträgliches wurde privatisiert, Aufwendiges blieb beim Staat hängen. Krebspatienten im Onkologiezentrum in Warschau.

Und wer auch noch ein wenig mehr zahlen kann, geht direkt zu einer der Privatpraxen, die sich vor allem in der zweiten Jahreshälfte, wenn die Budgets in den staatlichen Einrichtungen ausgeschöpft sind, eines regen Zuspruchs erfreuen.

Lekarze pacjenci
Welche Bereiche der Nationale Gesundheitsfond gut honoriert, hängt davon ab, welche Fachlobbys und welche Privatinvestoren sich durchsetzen. Kindermedizin und Geriatrie z. B.  gehören nicht dazu,  leiden unter Platz- und Personalmangel, schlechten Arbeitsbedingungen.

Auch für Krankenhäuser werden Obergrenzen für deren Ausgaben festgelegt, doch sind sie andererseits gesetzlich verpflichtet, sobald es sich um lebensrettende Eingriffe handelt, niemanden abzuweisen. Am Anfang eines jeden Jahres beginnt dann das Feilschen zwischen dem NFZ und den Krankenhäusern, wer für die Eingriffe „oberhalb des Limits“ zahlen soll. Am Ende bleiben die Kliniken auf einem Teil der zusätzlich entstandenen Kosten sitzen und müssen zusehen, wie diese abgedeckt werden können.

Polnische Patienten müssen für Medikamente, Hilfsmittel, bestimmte Diagnosemethoden, Unterbringungskosten bei einer Kur und vor allem zahnärztliche Leistungen kräftig zuzahlen. Nach WHO-Schätzungen tragen sie knapp 50% aller Leistungskosten selbst. Das ab dem 1. September 2016 in Kraft tretende Vorhaben der Regierung Beata Szydło, einen Teil der Medikamente an über 75-Jährige kostenfrei abzugeben, dürfte dazu beitragen diese Tendenz ein wenig abzuschwächen.

Rosinenpicken ist Trumpf

Wie hoch einzelne Leistungen vom NFZ honoriert werden oder werden sollten ist Gegenstand ständiger Debatten, Verhandlungen, lobbyistischer Bemühungen, medialer Erörterungen und verdeckter Interventionen. Hier ist Rosinenpicken Trumpf.

Gut honoriert werden z. B. Dialyseverfahren, was zu einer schnellen Privatisierung der Dialysestationen und einem Rückgang von Nierentransplantationen geführt hat, weil letztere das Dialysegeschäft beeinträchtigen.

Vom NFZ schlecht honoriert werden hingegen Laboranalysen. Krankenhäuser haben daraufhin ihre Diagnoselabors schnell abgestoβen, zumeist an Mitarbeiter-GmbHs, die mit der Zeit im ganzen Land von zwei ausländischen Firmen (der Diagnostyka Kraków – getragen vom Investmentfond Mid Europa und der deutschen Firma Alab) übernommen wurden. Diese Beiden teilen sich den Markt und gleichen die niedrigen NFZ-Sätze mit sehr hohen Preisen für Privatpatienten aus. Unter diesen Privatpatienten befinden sich allerdings viele arme Leute, die angesichts der Leistungs-Beschränkungen des NFZ und mangels Konkurrenz notgedrungen zu Zehntausenden in Privatpraxen landen.

Sehr gut honoriert wird die gesamte Fachrichtung der Kardiologie, mit dem Ergebnis, dass schnell ein Netzwerk mit polnisch-amerikanischen Herzkliniken den Markt erobert hat, gegründet von einem US-Investmentfond. Er ist gerade auf der Suche nach einem Käufer für dieses Netzwerk. Preis: 1,6 Mrd. Zloty (ca. 380 Mio. Euro). Ebenso gut bezahlt werden Leistungen der Augenmedizin.

Kein Wunder also, dass alle Krankenhäuser Abteilungen für Herz- und Augenerkrankungen haben oder haben wollen. Kindermedizin und geriatrische Bereiche hingegen werden geschlossen bzw. verkleinert, sie leiden unter Personalmangel und schlechten Arbeitsbedingungen. Ihr Behandlungsangebot wird vom NFZ, das ja irgendwo sparen muss, schlecht honoriert.

Weshalb ist das so? Alles hängt von der Durchsetzungskraft der jeweiligen Fachärztelobby und der Privatinvestoren ab, für die, die vom Staat gutbezahlten medizinischen Leistungen Gold wert sind. Das sind die unsichtbaren Hände des Marktes, die das polnische Gesundheitswesen ganz von alleine heilen sollten. Die vorgegebene Richtung hieβ jahrelang, vor allem in der Regierungszeit der Tusk-Kopacz-Partei Bürgerplattform (2007-2015): Entstaatlichung, Kommerzialisierung, Privatisierung, um somit die Verantwortung für den undankbaren Bereich des Gesundheitswesens möglichst weit von sich zu weisen.

Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai und Oktober 2015 wurde diese Vogel-Strauβ-Politik der Bürgerplattform von den Wählern schmerzlich bestraft. Die Regierung Beata Szydło plant, gemäβ dem Wahlprogramm der jetzigen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit, die Abschaffung des NFZ, eine teilweise Abkehr vom freien Markt im Gesundheitswesen, hin zu mehr staatlicher Aufsicht und Steuerung zu Gunsten der Patienten. Man darf gespannt sein.

Ungewissheit zermürbt

Im Teich des polnischen Gesundheitswesens tummeln sich Piranhas, Hechte und Millionen kleiner Futterfische, zu denen, neben den Patienten, auch die Familienärzte, angehende Fachärzte und solche mit frisch erworbenem Titel zählen. Der Eindruck, letztere hätten bereits oder beabsichtigten das Land kollektiv zu verlassen, täuscht jedoch.

Alle nicht, aber viele. Wie viele? Genaue Statistiken gibt es nicht. Die einzige gesicherte Quelle ist die Zahl der vom Gesundheitsministerium in Warschau ausgestellten Unbedenklichkeitsbescheinigungen, ohne die die Arbeitssuche für einen polnischen Medizinabsolventen ohne Approbation im EU-Ausland nicht möglich ist. Zwischen 2005 und 2015 waren es 11.439, wovon 820 allein auf das Jahr 2014 entfielen.

Lekarze wyjazdy
Schätzungsweise etwa 30.000 polnische Ärzte arbeiten  im Ausland.

Praktizierende Ärzte erhalten, bei einer geplanten Auswanderung, Bescheinigungen über Qualifikation und beruflichen Werdegang von ihrer zuständigen Ärztekammer. Wie viele Nachweise insgesamt seit Polens EU-Beitritt ausgestellt wurden, wurde bis heute nicht erfasst. In Kreisen der Ärztekammern heiβt es, etwa 30.000 polnische Ärzte arbeiteten bereits im Ausland.

Geld spielt bei der Auswanderungsentscheidung eine wichtige Rolle, aber andere Beweggründe fallen mindestens genauso sehr ins Gewicht. Familienärzte klagen über die hohe Arbeitsbelastung, die ihnen über den Kopf wächst. Junge Ärzte wollen sich nicht mit dem autoritären Verwaltungsstil in vielen polnischen Kliniken abfinden. Sie klagen, die Allmacht der Chefärzte erinnere an deutsche Krankenhäuser in der Bismarckzeit. Die Facharztausbildung dauert ihnen zu lange und die Ungewissheit darüber, ob sie anschlieβend auch eine Stelle bekommen werden zermürbt viele.

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Schnecken bringen Mäuse

Still und im Eiltempo hat die Schneckenzucht in Polen Fuβ gefasst.

Jedes Jahr verlassen Abermillionen von Schnecken die Farm in Oldrzyszowice in alle Himmelsrichtungen. Doch dessen ungeachtet, wartet am Ende meistens ein Franzose auf die Lieferung, und mit Franzosen ist in Sachen Schneckenqualität nicht zu spaβen. Das haben die drei Gründer der PSH (Polish Snail Holding) schnell begriffen, und darauf baut ihr Erfolg auf.

Der polnische Eigenkonsum von Schnecken liegt nur knapp über Null, die polnische Schneckenausfuhr dagegen reicht inzwischen an eintausend Tonnen pro Jahr heran und verzeichnet hohe Zuwachsraten. Damit hat Polen Rumänien, einen seit langem führenden europäischen Schneckenexporteur, eingeholt.

Ein Viertel des polnischen Schneckenexports wird im April und Mai auf Wiesen und in den Wäldern Polens gesammelt, der Rest entstammt der Zucht. Und hier gehört die Firma PSH in Oldrzyszowice (fonetisch Oldschischowitze), einem kleinen Ort, der knapp 30 Kilometer westlich von Opole/Oppeln liegt und einst Hilbersdorf hieβ, zu den Marktführern. Die Wochenzeitung „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“) vom 6. März 2016 widmete den Groβzüchtern eine Reportage.

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So sieht die Weide aus, in einer der drei gröβten Schneckenfarmen Polens.

Im Sommer sieht man aus der Ferne ein grünes Netz über dem 1,5 Hektar groβen Feld aufgespannt, und grüne Pflanzen mit groβen Blättern. Dann werden am Boden Holzplatten sichtbar. Aus Brettern zusammengezimmert, jeweils etwa ein Quadratmeter groβ und wie Parkettstäbe aneinandergereiht, bedecken siebzehntausend Stück von ihnen das ganze Feld. Hebt man sie hoch, kommen Kolonien von Schnecken zum Vorschein, die von unten an dem Holz kleben. So sieht die Weide aus, in einer der drei gröβten Schneckenfarmen Polens.

Marktlücke entdeckt

Die Anfänge in 2005 waren mehr als bescheiden. Pawel Piwowarski und Damian Gajewski gingen gemeinsam in eine Schulklasse. Ihre Wege hatten sich jedoch 1997, gleich nach dem Abitur, getrennt. Der eine studierte Biologie, der andere Betriebswirtschaftslehre. Als sie sich ein paar Jahre später zufällig wieder trafen, waren sie beide auf der Suche nach einer Geschäftsidee, mit der man Geld verdienen könnte. Die Handelsfirma, die sie anschließend gemeinsam gründeten, entpuppte sich allerdings schon sehr bald als Flop.

Die Kombination aus den beiden Fachgebieten Biologie und BWL hingegen erwies sich als überaus glücklich, als die Beiden auf die rettende Idee mit der Schneckenzucht kamen. Zu diesem Thema brachte das Durchforsten des Internets damals wenig an Informationen zu Tage, und das wiederum war eine sehr gute Nachricht. Eine Marktlücke war entdeckt. Kurz darauf machten sie den einzigen Schneckenfachmann Polens, im Krakauer Institut für Zootechnik, ausfindig und ließen sich von ihm beraten.

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Damian Gajewski. Konnte einen Bankfilialleiter für das etwas schräge Jungunternehmen begeistern.

Pawel, der Biologe, brachte daraufhin zehn Säcke Schnecken aus der Gegend von Avignon in Frankreich mit, während Damian, der Betriebswirt, bei den Banken um einen Kredit zur Finanzierung der neugeborenen Geschäftsidee warb. Zum Glück lieβ sich ein Bankfilialleiter für das etwas schräge Jungunternehmen begeistern und bereut diesen Entschluss im Nachhinein nicht. Eine bescheidene EU-Förderung zu bekommen war umständlich, aber nach einigen Anläufen wurde auch sie gewährt.

Derweil stieβ ein dritter Kollege aus alten Zeiten zu den beiden Firmengründern. Andrzej Minossora kam nach einigen Jahren, in denen er in den USA gelebt hatte, nach Oldrzyszowice zurück und überlegte, was er mit dem Acker anfangen sollte, den er von seinem Vater geerbt hatte.

Küchenreife Mast

Einige wenige Zahlen genügen, um sich einen Begriff vom heutigen Ausmaβ des damaligen Vorhabens zu machen. Etwa vierhundert Tonnen der Weichtiere verarbeitet PSH im Jahr. Sie züchtet selbst und hat etliche Kleinzüchter als Zulieferer unter Vertrag. Sechzigtausend Schnecken braucht man, um auf eine Tonne zu kommen. Während der Fortpflanzungszeit legt eine Schnecke bis zu fünfhundert Eier.

Fünf Monate im Jahr haben mehrere Dutzend Leute in Oldrzyszowice alle Hände voll zu tun, bis die Weichtiere küchenreif gemästet sind. Ende Februar, Anfang März werden sie aus der Winterstarre geholt. In groβen Nylonnetzen haben sie bis dahin bei fünf Grad im Kühlraum überwintert. Jetzt werden sie in der blankgeputzten Halle auf mehrstöckige Reproduktionstische verteilt, reichlich mir Warmwasser begossen und kommen dann munter aus ihren Schneckenhäuschen heraus.

Wasser wird in den nächsten Tagen immer wieder in großen Mengen verabreicht, um so den Winterdurst zu stillen, und auch an Futter wird nicht gespart. Das Futter muss zu Staub zermahlen sein, und die groβe Kunst ist, die richtige Mischung aus Maismehl, Soja sowie verschiedenen Getreidesorten zu finden. Eine Zusammensetzung, die die meisten Züchter als ihr Betriebsgeheimnis für sich behalten.

Aufgezogen werden zumeist die sehr ergiebigen afrikanischen Schnecken Helix aspersa maxima, auch die Groβen Grauen genannt, und die etwas kleineren Helix aspersa Müller. Den polnischen Winter würden diese Arten in freier Natur nicht überleben, sie sind somit keine Gefahr für die heimischen Bauchfüßler.

Wohlfühlprogramm

Damit die Exoten bereit sind sich fortzupflanzen, muss ein Wohlfühlprogramm in die Wege geleitet werden. Etwa zwanzig Grad Lufttemperatur. Bis zu achtzehn Stunden lang muss das künstliche Licht brennen. Dazu erfolgt eine regelmäßige Berieselung aus Sprühnebel-Düsen. Jeden Tag müssen Kot und Futterresten akkurat von den Tischen, auf denen die Schnecken herumkriechen, weggespült werden.

Bis zu elf Stunden kann es zur erfolgreichen Paarung dauern, denn Landschnecken sind Zwitter, doch sich selbst befruchten können sie sich nicht und müssen sich daher zunächst über ihr jeweiliges Geschlecht einig werden. Sie betasten einander mit den Fühlern, reiben lange die Unterseite ihrer glitschigen Körper aneinander. Stunden später, wenn sie denn wollen, bohren sich die Tiere jeweils in das Fleisch der Partnerschnecke und stoßen sogenannte Liebespfeile ab, um ein Hormonsekret zu übertragen.

Erst danach begatten sie sich und werden anschließend in Schälchen mit Erde gelegt, damit sie dort ihre in weiβe Kokons gehüllten Eier ablegen können. Dort herausgeklaubt, landen die Kokons in mit Erde gefüllten Styroporboxen. Je wärmer die Boxen gelagert werden, umso schneller platzt die weiβe Hülle und gelbbraune durchsichtige Eier mit Kleinschnecken darin kommen zum Vorschein. Jetzt ist es an der Zeit die Winzlinge aus den Boxen in Wärmetunnel mit viel Feuchtigkeit, der geeigneten Temperatur und sehr viel Licht zu verlegen. Täglich frisches Wasser und gutes Futter beflügeln die Mast. Mittlerweile ist es Ende Mai geworden und warm genug, um die Millionen von neuen Kriechern nach Drauβen zu befördern.

Abgesammelt wird zum ersten Mal im Juni, nachdem die Mutterschnecken, die den Winter über im Kühlraum verbrachten, sich gepaart haben. Die Haupternte findet im September statt, sobald die jungen Schnecken groß genug sind.

Weil die Weinbergschnecke (Helix pomatia) auch in Polen allmählich rar wird, und man vor allem in Frankreich praktisch jede Menge dieser Delikatesse absetzten kann, gehen die Züchter dazu über, auch der „Masurischen Auster“ das afrikanische Wohlfühlprogramm angedeihen zu lassen. Mit gutem Erfolg.

Schneckenkaviar schmeckt nach Wald

An einem Februarwochenende hatten die Drei von PSH an die zweihundert Interessierte aus ganz Polen zu einer kostenlosen Anleitung zum Schneckenzüchten zu Gast. Die Abnehmer im Ausland setzten auf kontinuierliche Lieferungen zu stabilen Preisen und in gleichbleibender, guter Qualität. Sich mit kleinen Züchtern im fernen Polen abzugeben ist den ausländischen Käufern zu viel Aufwand. Und da die Nachfrage noch immer gröβer ist als das Angebot, brauchen Firmen wie die PSH verlässliche Zulieferer. Anfang 2016 gab es in Polen um die einhundert bereits eingeführte Schneckenzuchtfarmen und circa zweihundert Neueinsteiger.

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Paweł Piwowarski (erster von rechts) erklärt Neueinsteigern aus ganz Polen wie Schneckenzucht funktioniert.

Der Schnupperkurs endete mit einer Verkostung. Es gab Schnecken mit Knoblauch in Tomatensoβe, wie die Spanier sie gerne essen. Man kostete Spaghetti mit Schnecken, nach italienischer Art. Probieren konnte man auch Schnecken mit Kräuterbutter, wie sie den Franzosen am besten schmecken. Der Zuspruch war nur anfänglich zögernd.

Ein Segment, in das die führenden Hersteller Polens, wie PSH, RKS Lubnica, Helixfood, Snails Garden oder Slow Farm mittlerweile vordringen, ist die Herstellung und Verarbeitung von Schneckenschleim, der als Mittel zur Glättung von Gesichtsfalten in hochwertigen Kosmetika zunehmend Verwendung findet.

Ganz zu schweigen vom Schneckenkaviar. Die kleinen weißen Kugeln werden in Döschen abgefüllt, sehen wie Forellenkaviar aus und schmecken nach Wald statt nach Fisch. Es ist immer noch eine verkannte Delikatesse, die den Feinschmeckern in Frankreich und den Scheichs am Golf jedoch bestens mundet.

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25. März 2016. SIE SCHREIBEN, WIR ANTWORTEN

In der Hörerpostecke gehen wir auf Ihre Briefe und Zuschriften ein. Wir berichten auch über den polnischen Automarkt.




Fenster mit Aussicht auf Leben

Die UNO wird sie nicht schlieβen.

Als Fenster des Lebens bezeichnet man in Polen das, was in Deutschland, etwas salopp, Babyklappe genannt wird, seitdem die erste im Jahr 2000 in Hamburg eröffnet wurde. Knapp sechzig solcher Fenster gibt es heute im Land. Sie sollen Kurzschlussreaktionen verhindern, wenn Schock, Panik und Verzweiflung Mütter dazu bringen ihre Neugeborenen irgendwo abzulegen und dem Tod auszusetzten.

Seitdem es in Polen die Fenster des Lebens gibt, und die Medien über jedes dort gefundene Baby berichten, ist die Zahl tot aufgefundener Kleinstkinder deutlich zurückgegangen. Dennoch werden immer noch bis zu zwei Dutzend tote Neugeborene pro Jahr auf Müllkippen, in Parks und Wäldern gefunden.

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Das Fenster des Lebens in Koszalin von Innen und von Auβen gesehen.

Als Ende Januar 2016 Schwester Malwina Iwanicka (fonetisch Iwanitzka) als Erste mitten in der Nacht das Klingeln hörte und hinunterlief, war klar, was das bedeutete. Zum ersten Mal seit sie vor sechs Jahren das lebensrettende Fenster in ihrem Kloster der Gemeinschaft der Töchter der Gottesliebe in Koszalin/Köslin eingebaut hatten, hatte jemand dort ein Neugeborenes zurückgelassen.

Der Junge war nur in eine Trainingsjacke eingewickelt, blutverschmiert und unterkühlt. Er musste erst kurz zuvor zur Welt gebracht worden sein, nicht einmal die Nabelschnur war abgebunden. Die Schwestern legten das Baby in ein vorgewärmtes Bettchen und riefen, wie vorgesehen, den Rettungsdienst herbei. Das Kind wurde umgehend ins Krankenhaus gebracht. Es schwebte in Lebensgefahr, so die Ärzte.

Zum Glück konnte Gabriel, diesen Namen haben ihm die Schwestern gegeben, selbständig atmen und wachte in einem Brutkasten wieder auf. Er wurde ins Register Aufgefundener Kinder eingetragen und kann adoptiert werden. Es sei denn, seine Mutter meldet sich und möchte ihn zu sich nehmen. Laut polnischem Recht hat sie sechs Wochen Zeit dazu und muss keinerlei strafrechtliche Folgen fürchten.

Entsprechende Fälle gab es bereits. So geschehen z. B. 2013 in Zamość. Dort hatten die Franziskanerinnen ein in ein weiβes Handtuch eigewickeltes Neugeborenes in ihrem Fenster des Lebens gefunden. Das Kind kam ins Krankenhaus, zwei Wochen später bestätigte das Gericht seinen Vornamen Piotr, den ihm die Schwestern gegeben hatten, und fügte noch einen Nachnamen hinzu, denn nur so konnte eine Geburtsurkunde ausgestellt werden. Der Kleine kam in ein Heim und sollte sehr bald Adoptiveltern vermittelt bekommen. Adoptionswillige Paare gibt es auch in Polen weit mehr als Neugeborene, die angenommen werden können.

Plötzlich jedoch erschien die Mutter bei Gericht mit dem Antrag auf Feststellung ihrer Mutterschaft. Die Gentests bestätigten dann, sie war Piotrs Mutter. Das Gericht gab ihr Piotr zurück, schränkte aber ihre Elternrechte ein. Mittlerweile kommt der Betreuer nicht mehr jede Woche sondern schaut nur noch alle drei Monate bei Mutter und Kind vorbei. Das ist nun ausreichend.

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Fenster des Lebens in Wrocław.

Manchmal allerdings, gibt es leider kein Happy End. Mitte März 2016 fanden die Borromäerinnen-Schwestern in Wrocław/Breslau in ihrem Fenster ein totes Baby. „Hoffentlich wird es Martyna woanders besser haben“, stand auf einem beigelegten Zettel. Das Mädchen war ein Frühgeborenes. Es kam etwa im sechsten Monat zur Welt und war kurz danach im Fenster abgelegt worden.

Einen glücklichen Ausgang hatte hingegen die Geschichte der kleinen Agata, die eines Tages in 2010 im Fenster des Lebens am Kloster der Schwestern der Hl. Familie von Nazareth in Kielce lag. Ärzte stellten fest, das Kind sei gesund und gut gepflegt. Wenige Stunden später meldeten sich die Mutter und deren Großmutter im Krankenhaus.

Die junge Frau konnte zwar nicht beweisen, dass sie die Mutter sei, als sie aber Agata auf den Arm nahm und das Kind vor Freude zu strampeln und zu lachen begann, war das Misstrauen überwunden. Die Mutter legte das Baby an ihre Brust an, und beide durften im Krankenhaus übernachten.

Pfarrer Krzysztof Banasik, stellv. Leiter der Caritas in Kielce, deren Büros sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Fensters befinden, ging der Sache nach und fand eine sehr typische Situation vor. Das Leben der jungen Frau, die einer zerrütteten Familie entstammte, war ganz und gar aus den Fugen geraten. Der Vater des Kindes, ein noch nicht erwachsener Tunichtgut, hatte sich aus dem Staub gemacht, genauso wie schon lange zuvor ihre alkoholabhängigen Eltern. Die im Krankenhaus mit erschienene Großmutter lamentierte nur, dass die Enkeltochter es nie im Leben schaffen werde die Kleine groβzuuziehen.

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Pfarrer Krzysztof Banasik.

Pfarrer Banasik beschaffte zwei Kinderwagen und die übrige Säuglingsausstattung, und das Sozialhilfezentrum der Stadt versprach längerfristige Unterstützung. Das wiederum veranlasste das Familiengericht Agata der Mutter anzuvertrauen, allerdings unter der Kontrolle einer Betreuerin. Mittlerweile ist eine solche Betreuung nicht mehr erforderlich.

Die Fenster des Lebens sollen auf jeden Fall die Anonymität garantieren: ruhige Lage, keine Kameras, kein helles Laternenlicht, das Fenster muss von Auβen leicht zu öffnen sein, der Innenraum ist warm und klimatisiert. Die meisten befinden sich in Klöstern und Krankenhäusern.

Das erste Fenster dieser Art in Polen wurde 2006 in Kraków von den Nazarethanerinnen-Schwestern eingerichtet. Drei Monate später lag dort ein kleiner Junge. Die Schwestern wussten in der ersten Aufregung nicht was sie tun sollten. Das Neugeborene war unterkühlt und sehr schwach. Die Ärzte konnten es retten. Das Baby bekam bald darauf eine Geburtsurkunde ausgestellt, nach einigen Monaten hatte es eine Familie gefunden, in der es aufwachsen kann.

Heute dauert es nicht mehr so lange, bis dass ein Kind in seine neue Familie darf. Seit 2006 wurde auf diese Weise allein in Kraków 18 kleinen Menschen das Leben gerettet. Im Jahr 2014 entkamen in ganz Polen 77 Neugeborene durch die Fenster womöglich dem Tod.

Derweil versucht das UN-Komitee für Kinderrechte seit 2012 ein Verbot von Babyklappen durchzusetzen. Im November 2015 wurde auch Polen von der UNO namentlich aufgefordert die Fenster des Lebens abzuschaffen, weil sie das „Recht der Kinder“ verletzen, die eigenen Eltern kennenzulernen. Zitat: „Zudem unterbleibe eine Abwägung des Rechts auf Leben und Entwicklung (Artikel 6 der Kinderrechtskonvention) mit dem Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Identität und auf Beziehungen zu seinen Eltern.“

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Marek Michalak, der Kinderrechtsbeauftragte des polnischen Parlaments.

Dieser Appell der UNO dürfte wirkungslos bleiben, denn bei der Abwägung, die in Polen keineswegs unterbleibt, kommen die polnischen Behörden zu einem anderen Schluss als die UNO.

Marek Michalak, der Kinderrechtsbeauftragte des polnischen Parlaments bringt die offizielle Haltung auf den Punkt, indem er sagt: „Das Recht auf Leben hat Vorrang vor dem Recht auf Identität. Die Fenster des Lebens sind der ein Teil der Alternative, deren anderer Part sind die Müllkippe, der Wald oder ein Kübel. Das UN-Komitee spricht von der Identität des Kindes. Das ist für uns kein Argument im Wettlauf um sein Leben.“

Die Behörden wissen sehr wohl, was sie tun wenn sie der UNO widersprechen. Eine andere Haltung wäre der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln und auch nicht durchsetzbar. Laut neusten Angaben kommen in Polen 99 Prozent der ungewollten Kinder in Krankenhäusern zur Welt und werden von dort zur Adoption vermittelt. Es geht also um das letzte eine Prozent. Dieses letzte Prozent soll auch eine Aussicht auf Leben haben.

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Frau Szydłos neues Kindergeld

Soziale Maβnahme mit groβen Folgen.

Knapp einhundert Tage nach ihrem Amtsantritt hat Polens neue Regierung eines der wichtigsten sozialen Vorhaben der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) auf den Weg gebracht. Ab dem 1. April 2016 wird der Staat für jedes zweite und alle weiteren Kinder in der Familie ein monatliches Kindergeld von je 500 Zloty (ca. 115 Euro) zahlen.

Aus westeuropäischer Sicht kaum der Rede wert, in Anbetracht der Höhe der dortigen Sozialleistungen, für Polen jedoch in vielfacher Hinsicht eine Revolution. Die soziale und politische Tragweite dieser Maβnahme sehr wohl erkennend, haben die Gegner der neuen Regierung im Lande und die ihnen nahestehenden Medien in den letzten Wochen viel Kraft aufgebracht, um das Projekt in Misskredit zu bringen.

Wieder einmal kam dabei die abgrundtiefe Verachtung zum Vorschein, mit der die selbsternannte „moderne“, „europäische“, „aufgeklärte“ Oberschicht dem gemeinen Volk im Lande begegnet.

Verkommenheit darf sich nicht vermehren

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Schriftsteller Wojciech Kuczok: „Wodkaflaschen als Belohnung für Fortpflanzungseifer.“

Schriftsteller Wojciech Kuczok (44, laut »Spiegel« „ein Star der jungen polnischen Literatur“) verkündete in der linken „Gazeta Wyborcza“ (01.12.2015): „Recht und Gerechtigkeit hat die Proleten auf dem kürzesten Weg erreicht. Sie hat ihnen jeden Monat fünf Hunderter auf die Hand versprochen für weitere Wodkaflaschen als Belohnung für ihren Fortpflanzungseifer.“

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Radikalfeministin Magdalena Środa: „Das Geld wird versoffen.“

Die führende Radikalfeministin des Landes, Prof. Magdalena Środa urteilte im Organ der polnischen Neomarxisten „Krytyka Polityczna“ (15.02.2016): „Das Geld wird in den Taschen der Ehemänner landen. Es wird versoffen. Es gibt viele, die für fünfhundert Zloty Kinder zeugen werden. Recht und Gerechtigkeit bedeuten aus irgendwelchen Gründen solche Familien und solche Kinder viel.“

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Arbeitgeber-Chef Jeremi Mordasewicz. Arme-Leute-Kinder? Lieber nicht.

Arbeitgeber-Chef Jeremi Mordasewicz gab im „Gazeta Wyborcza“-Radio TOK FM (04.02.2016) zum Besten: „Wollen wir, dass Kinder in Familien mit einem starken Arbeitsethos auf die Welt kommen, in der sie eine anständige Erziehung genießen, oder wollen wir, dass überhaupt Kinder geboren werden.“ „Überhaupt-Kinder“ armer Leute seien dem Interesse des Landes keinesfalls dienlich.

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Kapitalismus-Guru Leszek Balcerowicz: „Geldverschwendung“.

Auch Prof. Leszek Balcerowicz, Guru des ungezügelten Kapitalismus hatte keine Zweifel (Fernsehsender TVN am 03.02.2016): „Nichts als Geldverschwendung“.

Während die Feministin Środa vor der Kinderflut in Säuferfamilien warnte, prophezeite das Wochenmagazin der postkommunistischen Linken „Polityka“ (03.02.2016) das neue Kindergeld werde niemanden zur Fortpflanzung stimulieren. „Zu teuer, ungerecht, schlecht durchdacht, unwirksam“, punktete das Blatt.

Zusammenfassend kann man die Gegenargumente der „aufgeklärten“ Oberschicht, deren wichtigstes mediales Organ die „Gazeta Wyborcza“ ist, in zwei Punkten bündeln:

1. Ärmere Frauen werden Kinder gebären anstatt zu arbeiten. Eine groβe Gruppe von „Brutkasten-Müttern“ wird entstehen, deren Leben sich auf das Kinderbekommen und das Kindererziehen beschränken wird, was der Frauenemanzipation widerspricht und auf keinen Fall hingenommen werden sollte.

2. Das Geld werde Suff sowie armutsbedingte Passivität verfestigen und fördern, und das, obwohl sich die Verkommenheit doch nicht vermehren darf.

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Die „Aufgekärten“ wissen bescheid. Das neue Kindergeld werde noch mehr Suff und Verwahrlosung produzueren.

Soweit die Einwände der „Aufgeklärten“, denen die Journalistin Joanna Woleńska-Operacz, Mutter von drei Kindern, in der katholischen Wochenzeitung „Niedziela‘ („Der Sonntag“) vom 28.02.2016 entgegenhielt:

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Journalistin Joanna Woleńska-Operacz

„Wieviel Wodka kann man für eintausend Zloty kaufen? Ich habe beschlossen das nachzurechnen, denn als ein verkommenes, sich ungezügelt vermehrendes Element werde ich schon bald jeden Monat eben diese Summe bekommen, und wie man weiβ, werde ich sie für Wodka ausgeben. Ich habe ganze Ewigkeiten keinen Wodka mehr gekauft. Bin deswegen extra in einen Schnapsladen gegangen, und weiβ jetzt beschied. Der billigste halbe Liter kostet 17,99 Zloty. Ich und mein Mann werden also im Monat gut 55 Flaschen Wodka trinken, nicht ganz zwei am Tag. Das wird hart, aber es führt kein Weg dran vorbei, denn es gilt Erwartungen nicht zu enttäuschen.“

Netto auf die Hand

Die offizielle Bezeichnung des Vorhabens lautet „Program Rodzina 500 Plus“ („Familienprogramm 500 Plus“). Es ist das erste allgemeingültige, auf Dauer angelegte System der Familienunterstützung in Polen seit 1989. Es soll 2,7 Mio. Familien und 3,8 Mio. Kindern zugutekommen.

500+ plakat
500 Zloty fürs Kind. Lerne die Bestimmungen kennen. Plakat.

Gezahlt wird für das zweite und jedes weitere Kind bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, unabhängig davon wie hoch das Familieneinkommen ist. Familien mit einem Pro-Kopf-Einkommen von unter 800 Zloty (ca. 160 Euro) erhalten das Geld schon ab dem ersten Kind. Ebenso Familien mit einem behinderten Kind und einem Pro-Kopf-Einkommen von unter 1.200 Zloty (ca. 250 Euro).

Die 500 Zloty gibt es netto auf die Hand, also unversteuert. Das neue Kindergeld wird nicht in das Familieneinkommen mit einberechnet. Andere Leistungen, die nach dem Familien-pro-Kopf-Einkommen bemessen werden (u.a. Unterhaltszahlungen und die in Polen winzigen sozialen Zuweisungen für die ärmsten der Armen mit einem Pro-Kopf-Familieneinkommen von umgerechnet unter 120 Euro) sollen durch das neue Kindergeld nicht verloren gehen.

Um die neue Leistung zu bekommen, muss man einen Antrag bei der Kommune stellen, in der man seinen Wohnsitz hat. Das Geld wird in bar oder aufs Konto des Antragstellers ausgezahlt. Das Programm startet am 1. April 2016. Wer den Antrag bis Ende Juni 2016 stellt, erhält das Kindergeld rückwirkend zum 1. April 2016. Wer sich später meldet, dem wird die Leistung ab dem Ersten des Monats gewährt, in dem er seinen Antrag eingereicht hat. Der Antrag auf Kindergeld muss jedes Jahr neu gestellt werden.

Das Geld erhalten die biologischen Eltern, unabhängig davon ob sie verheiratet sind oder nicht (bei geschiedenen Eltern werden die 500 Zloty entsprechend den Betreuungstagen aufgeteilt), Adoptiveltern, Betreuer von Rechts wegen (Ersatzfamilien), Patchwork-Familien, kurzum: alle die Kinder in ihrer Obhut haben.

Särge günstiger als Kinderwagen

Polens aktuelle Bevölkerungssituation gestaltet sich geradezu dramatisch. Die Massenauswanderung vorwiegend junger Leute auf der Suche nach Arbeit (seit 1989 gut 2,5 Mio. Menschen) und der radikale Geburtenrückgang auf etwa 1,23 Kinder pro gebärfähige Frau, entvölkern das Land. Seit Jahren übersteigt die Sterberate die Geburtenrate regelmäβig um dreiβig- vierzigtausend Personen per annum.

Andererseits belegen Untersuchungen seit langem, dass der Kinderwunsch ganz oben auf der Prioritätenliste junger Polen steht. Dass die hierzu Befragten die Wahrheit sagen, zeigen Angaben aus Groβbritannien, wo ausgewanderte Polinnen in etwa so viele Kinder zur Welt bringen wie die dort lebenden Türkinnen und Pakistanerinnen. Der Grund sind die britischen Sozialleistungen, die eine verlässliche Konstante bei der Familiengründung darstellen, von der dieselben Frauen sowie ihre arbeitenden und Steuern zahlenden Männer in Polen nur träumen können.

Die Löhne an der Weichsel sind niedrig. Die meisten arbeitenden Polen verdienen um die 2.500 Zloty (ca. 550 Euro). Hunderttausende, vor allem junger Menschen, müssen sich mit Zeit- und Werkverträgen zufrieden geben. Es wird geheuert und gefeuert. Der Verzicht auf Kinder oder die Entscheidung nur ein Kind zu haben, ist die logische Folge. Irgendwann geben die jungen Paare auf und gehen für immer ins Ausland.

500 Zloty für das zweite und alle weiteren Kinder sind, vor allem in der polnischen Provinz, nicht wenig. Dieser Betrag soll garantiert Monat für Monat ausgezahlt werden. Das ist ein für polnische Verhältnisse sehr groβer Schritt in Richtung gewünschte Lebensstabilität. Wird er dem Land mehr Kinder bescheren? Jeder stete Geburtenanstieg wäre ein Erfolg. Nicht zu unterschätzen ist der psychologische Aspekt, das Gefühl: „Endlich kümmert sich der Staat um uns, lässt uns mit unseren Problemen nicht allein, behandelt unsere Kinder nicht als Kostenfaktor und Bürde.“

Das war bis vor kurzem noch ganz anders. Gut zwei Jahrzehnte lang, seit dem Ende des Kommunismus, haben die Balcerowiczs und Tusks ununterbrochen, mal mehr mal weniger deutlich den Polen die vulgärliberale Botschaft verkündet, dass jeder seines Glückes oder Unglückes Schmied sei. Der Staat sei dazu da das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, in dem er die Standortvorteile hegt und pflegt: niedrige Lohnkosten, ausgedehnte Arbeitszeiten, Sonntagsarbeit (hier zu lesen) , niedrige Steuern für ausländische Investoren, (hier zu lesen), Einschränkung der Gewerkschaften, garantierte, uneingeschränkte Gewinnausfuhr ins Ausland (hier zu lesen), usw. usf.

Gleichzeitig schaffte die Regierung Tusk, die zwischen 2007 und 2015 das Land verwaltete, das von der Vorgängerregierung Kaczyński (2005-2007) eingeführte allgemeine einmalige Wiegengeld von 1.000 Zloty praktisch ab. Die Mehrwertsteuer für Kinderbekleidung- und Ausstattung wurde von 5 auf 23% angehoben.

Medienwirksam verkündete Maβnahmen der Familienpolitik, wie die Schaffung von mehr Kindergärten, standen oft nur auf dem Papier. Steuererleichterungen für kinderreiche Familien kamen den allermeisten von ihnen nicht zugute, weil sie wegen ihrer niedrigen Einkommen keine Steuern zahlten, von denen man hätte etwas absetzen können. Der Mutterschaftsurlaub wurde zwar von sechs auf zwölf Monate verlängert, aber nur für Frauen mit festen Arbeitsverträgen und mit 80% Lohnfortzahlung. Die Halbherzigkeit dieser Maβnahmen stach ins Auge.

Im März 2012 rutschten Donald Tusk, in einem Anflug von Ehrlichkeit, die Worte heraus: „Eine Familie ohne Kinder ist billiger für den Staat.“ Die in Tusk-Polen mit 23% Mehrwertsteuer belegten Kinderwagen und die mit nur 8% Mehrwertsteuer belegten Särge signalisierten ohnehin nur allzu deutlich, wohin die Reise ging.

Teuer aber bezahlbar

Das neue Programm der Regierung Beata Szydłos soll 2016 etwa 17 Mrd. Zloty (ca. 3,7 Mrd. Euro) kosten. Es ist ein gewaltiger, neuer Posten, der etwa 5% aller Staatsausgaben verschlingen soll. Dennoch gelang es dem neuen Finanzminister Paweł Szłamacha das Haushaltsdefizit bei 2,8% abzubremsen. Sogar Marek Belka, Chef der Nationalbank und der neuen Regierung alles andere als wohlgesonnen, musste zugeben, dass man an den Haushaltseckdaten nichts aussetzten kann: „Alles gleicht sich aus“. Ob es in den nächsten Jahren so gut klappt, bleibt abzuwarten.

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Sozialministerin Elżbieta Rafalska und Finanzminister Paweł Szałamacha. Verantwortlich für die organisatorische Umsetzung und die Finanzierung von „500 Plus“.

Die neue Regierung sieht in dem „500 Plus“-Vorhaben auch ein Konjunkturprogramm. Das Geld wird kaum auf den Sparkonten landen, sondern in den Ladenkassen, und somit das Wirtschaftswachstum ankurbeln und das Steueraufkommen erhöhen.

Ein politischer K. o.-Schlag

Bleibt noch die politische Wirkung, und die ist enorm. „500 Plus“ hat die Opposition vor groβe Probleme gestellt. Ihre wichtigsten Säulen sind die im Oktober 2015 abgewählte Tusk-Kopacz-Partei Bürgerplattform und ihr radikalliberaler (Marginalisierung der Gewerkschaften, niedrige Linearsteuern, geringe Sozialausgaben) und zugleich linksradikaler (Homoehe, Tötung ungeborener Kinder auf Wunsch, Verbannung der Kirche aus dem öffentlichen Leben usw.) Ableger mit dem Namen Nowoczesna PL („Modernes Polen“). Ihr politischer Übervater ist der Groβmeister und Barde der freien Marktwirtschaft Leszek Balcerowicz.

Beide Parteien prophezeiten im Wahlkampf, „500 Plus“ werde Polen in den Ruin treiben und in ein zweites Griechenland verwandeln. Kurz vor der Verabschiedung der Maβnahme im Parlament schwenkten die „Wahrer der Staatsfinanzen“ plötzlich um und forderten, es solle 500 Zloty auch für das erste Kind geben, nach dem Motto: Polen ist zu arm um für das zweite und jedes weitere Kind zu zahlen, aber reich genug um auch noch für jedes erste Kind aufzukommen. „Recht und Gerechtigkeit unterteile polnische Kinder in gute und schlechte“, hieβ es. Die mediale „Begleitmusik“ wurde eingangs dargestellt.

Die bis zu vierzigprozentige Unterstützung, die die Regierungspartei in den Umfragen vom Januar-Februar 2016 vorweisen konnte, veranschaulicht jedoch das Scheitern der Anti-„500 Plus“-Kampagne.

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Kommentator Stanisław Janecki. „500 Plus“: wirksam, einfach, direkt.

Stanisław Janecki, einer der führenden konservativen politischen Beobachter und Kommentatoren des Landes brachte die politische Bedeutung und Wirkung des „500 Plus“-Programms aus seiner Sicht auf den Punkt, als er am 11.02.2016 im Internetportal „wPolityce.pl“ (“inderPolitik.pl“) schrieb:

„Politisch gesehen ist das »500 Plus«-Programm ein K.o.-Schlag, nach dem sich der politische Gegner nur schwer erholen kann. Dieses Vorhaben erfüllt alle Anforderungen einer tauglichen und allgemein befürworteten Politik. Wirksame Politik muss für die Allgemeinheit nachvollziehbar sein. Man muss einfache, allgemeinverständliche Maβnahmen ergreifen, die für diejenigen, für die sie bestimmt sind auf Anhieb von Vorteil sind. »500 Plus« beinhaltet genau das, was diese zwei Worte bedeuten: Hilfe ohne Umwege. Steuerliche Absetzbarkeit, Erleichterungen, Nachlässe haben diese Wirkung nicht, weil sie für die meisten viel zu kompliziert sind, auch wenn sie am Ende dieselben Vorteile bringen würden.“, schildert Janecki.

Sein Fazit: „Für die Gegner von Recht und Gerechtigkeit ist das »500 Plus«-Programm so problematisch, weil es sofort zu Beginn der Amtszeit umgesetzt wird und es wird der Regierungspartei in den nächsten Jahren viel politischen Profit bringen. Das bringt die Opposition in Rage und erzeugt Ratlosigkeit, weil man eine solche Maβnahme nur schwer wirksam anzweifeln oder in Verruf bringen kann.“

© RdP




Lech Wałęsa. Wahrheit geht vor Legende. Dokumentation

Kommentator Janusz Tycner und Joachim Ciecierski gehen ausführlich auf neuste Enthüllungen über die Stasi-Vergangenheit Lech Wałęsas ein.




Billigpole wird unterboten

Ukrainer drücken die bereits niedrigen Löhne.

Michał Markowski wohnt mit seiner Familie in einem der Hauptstadtvororte und arbeitet seit Jahren in der Baubranche. Zurzeit freut er sich über seine feste Anstellung bei einer Raumausstatter-Firma, die mit einem groβen Warschauer Bauunternehmer zusammenarbeitet. Stutzig macht ihn nur, dass er seit einigen Jahren zunehmend schlechter mit Polnisch auf den Baustellen zurechtkommt. Die Kollegen stammen überwiegend aus der Ukraine.

„Die Arbeitgeber werden uns Polen gegenüber immer arroganter, denn der Andrang arbeitswilliger Ukrainer ist groβ“, sagt Markowski. „Wir kriegen 10 bis 15 Zloty (ca. 2,40 bis 3,20 Euro) die Stunde. Mehr ist nicht drin. Dafür wird es immer schwieriger Urlaub zu bekommen. Wer seine Rechte einfordert, kann sich schnell einen Blauen Brief einhandeln.“ Viele von Markowskis Kollegen sind deswegen ins Ausland auf Arbeitssuche gegangen.

Andrzej Rogalski, dessen Firma Bahngleise verlegt und wartet, berichtet, er beschäftige bereits fünfzehn Ukrainer, das sind 30% seiner Belegschaft. „Die ersten habe ich über eine private Arbeitsagentur angeworben.“ Er will weitere einstellen, jetzt schon auf direktem Wege. „Wenn es mit den Polen Probleme gibt, dann werde ich sie entlassen und Ausländer aus dem Osten nehmen“, sagt Rogalski.

Mobiler, motivierter, billiger

„Die Leute aus dem Osten sind viel mobiler, motivierter, lassen sich so gut wie nie krankschreiben, kommen am Montag zur Arbeit, auch wenn sie das ganze Wochenende durchgearbeitet haben“, Rogalski ist voll des Lobes. Das mit dem Montag ist wichtig, denn gearbeitet wird praktisch an jedem Sonnabend und Sonntag, weil dann der Zugverkehr geringer ist. Die Fertigstellungstermine sind kurzfristig. Die Arbeit ist gefährlich, da oftmals Züge an einem vorbeisausen, und schwer. Schlechtwettergeld gibt es nicht, und alt wird man beim Schienenverlegen auch nicht. Rogalski beteuert, er zahlt den Ausländern genauso viel wie den Polen, denn sonst gäbe es mehr Zoff als Arbeit auf seinen Baustellen.

Es gibt inzwischen bis zu einhundert Firmen in Polen, die Arbeitnehmer im Ausland anwerben. Bogdan Latacz hat seine Agentur vor sieben Jahren gegründet. Seine Frau ist Ukrainerin, das ist sehr hilfreich. Die Nachfrage wird immer gröβer. Im ersten Jahr hat er einhundert Ukrainer vermittelt, 2015 waren es bereits eintausend.

Polnische Firmen suchen händeringend Schweiβer, Tischler, Näherinnen, Berufskraftfahrer, Leute die schweres Baugerät bedienen können. Latacz sagt, das Finden sei gar nicht so leicht, denn die meisten Ukrainer, die nach Polen zur Arbeit kommen seien zwar motiviert, aber kaum qualifiziert. Es dauere manchmal bis zu drei Monaten, bis dass man den „bestellten“ Arbeitnehmer in der Ukraine gefunden hat, und es kostet zwischen umgerechnet 50 und 500 Euro, die die Arbeitgeber Lataczs Agentur für deren Mühe zahlen.

Viele Ukrainer suchen und finden auf eigene Faust Arbeit in Polen, sie nutzen dabei die weitverzweigten ukrainischen sozialen Netzwerke, die es hier inzwischen gibt.

Der höchste Bedarf besteht im Bauwesen, aber dort sind die Stundenlöhne am niedrigsten und die Gefahr um den Lohn betrogen zu werden ist groβ. Bogdan Latacz meidet die Branche. Viele Subunternehmer, Kleinfirmen, die sich plötzlich in Nichts auflösen ohne ihre Schulden beglichen zu haben, Tricksereien. „Von zehn Baufirmen haben mich sieben nicht für die Vermittlungsarbeit bezahlt. Fünf haben „meine“ Ukrainer um die Bezahlung geprellt.“

Sie kommen und bleiben

Verhältnismäβig neu ist, dass sich Ausländer aus dem Osten in Polen immer öfter niederlassen. Vorher kamen sie zur Arbeit und gingen mit dem verdienten Geld wieder nach Hause. Das zentrale polnische Ausländeramt hat 2015 insgesamt 9.898 Erlaubnisse auf ständigen Aufenthalt erteilt, darunter 6.380 Ukrainern, 1.316 Weiβrussen, 344 Russen, 204 Vietnamesen. Der Rest kam aus den übrigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion.

Knapp 32.000 Ukrainer bekamen 2015 eine befristete Arbeitserlaubnis. Im Jahr zuvor waren es 8.000, 2013 nur 3.300. Die Ursachen dieser Entwicklung liegen auf der Hand: der Krieg in der Ukraine, der wirtschaftliche Niedergang des Landes und neue polnische Vorschriften, die die Prozeduren für ausländische Arbeitskräfte vereinfacht haben.

Die Statistiken geben jedoch nur einen Teil der Wirklichkeit wieder. Viele Ukrainer reisen mit Touristenvisa ein und arbeiten dann illegal. Wie viele von ihnen leben und arbeiten insgesamt in Polen? Man schätzt, dass es mindestens 650.000 sind.

Der Verband der Polnischen Unternehmer und Arbeitgeber fordert seit Jahren, dass alle Ukrainer, Weiβrussen und Vietnamesen automatisch eine polnische Arbeitserlaubnis bekommen. „Es sind die besten Einwanderer, die man sich vorstellen kann. Sie kümmern sich um sich selbst, lernen schnell Polnisch, integrieren sich fast lautlos, arbeiten hart um sich schnell zu etablieren. Konflikte mit ihnen gibt es so gut wie gar nicht, genauso wenig Vorbehalte ihnen gegenüber in der polnischen Gesellschaft.“ Die Behörden schwenken immer schneller auf diese Linie ein.

Auch viele Landwirte und Obstbauern kommen ohne die Saisonarbeiter aus dem Osten nicht aus. Kaum ein Pole ist bereit für 7 Zloty (ca. 1,60 Euro) Obst zu pflücken. Diejenigen die das können, fahren nach Deutschland.

Viele vermögendere Städter beschäftigen Ukrainerinnen zum Saubermachen oder zur Pflege der betagten Eltern.

Noch sind Leute wie Michał Markowski, die der ukrainischen Billigkonkurrenz mit immer gröβeren Vorbehalten begegnen deutlich in der Minderheit. Wahr jedoch ist, dass die Gründe für das niedrige polnische Lohnniveau nicht nur, aber auch, in der wachsenden ukrainischen Einwanderung zu suchen sind. Arbeitgeber im Niedriglohnsektor wollen nichts von Lohnerhöhungen wissen, so lange sie auf die Ukrainer ausweichen können. Noch regt sich kaum jemand darüber auf. Wie lange noch?

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Hansdampf umgarnt die Massen

Am 21. Dezember 2015 starb Pater Jan Góra.

Für die Meisten war er ein Seelsorger und Visionär mit großer Ausstrahlung, der hunderttausende Jugendlicher, trotz aller Widrigkeiten und Ablenkungen der Moderne, für das Wort Gottes begeistern konnte. Es hieβ aber auch, er sei der Bürgerschreck der katholischen Kirche in Polen: eingebildet, eigensinnig, eigenmächtig, engagiert. Zweifelsohne war er einer der bekanntesten polnischen Geistlichen, vor allem, weil er niemanden gleichgültig lieβ.

Das unermüdliche Tun solcher Priester wie Jan Góra (fonetisch Gura) ist es, dass Leute wie den führenden Neomarxisten Polens, Sławomir Sierakowski in der linken „Gazeta Wyborcza“ (16. Januar 2016) entmutigt feststellen lässt: „Ohne die Schwächung der katholischen Kirche wird es keine nennenswerte Wählerschaft der Linken in Polen geben.”

An dieser Schwächung arbeiteten in der jüngsten Geschichte bereits nachhaltig und kontinuierlich: die deutsche Besatzungsmacht zwischen 1939 und 1945, die etwa fünftausend polnische Priester, Mönche und Nonnen in den Tod schickte (jeden fünften katholischen Geistlichen des Landes). Die sowjetischen und polnischen Kommunisten mit ihrer brutalen Atheismuspolitik. Nach 1989, die plötzliche Hinwendung zu Markt und Konsum, und mit ihr die klare „moderne“ Botschaft solcher Leute wie Sierakowski und der bis vor kurzem noch sehr einflussreichen „Gazeta Wyborcza“: Lieber Moneten als beten, Glaube und Kirche sind out.

Gewiss, die polnische Gesellschaft und mit ihr der polnische Katholizismus verändern ihr Gesicht, auch die Gläubigkeit polnischer Jugendlicher ist heute eine andere (wie diese aussieht, das kann man hier nachlesen). Vieles ändert sich in Polen, doch die Alltagsbeobachtung einer kraftvollen religiösen Vitalität, die von jungen Menschen mitgetragen wird, ist nach wie vor ganz bestimmt nicht trügerisch.

Glaube wie Luft und Wasser

Jan Góra wurde 1948 in Prudnik, einst Neustadt in Oberschlesien geboren. Mutter Helena, eine Textilarbeiterin, hatte ein Jahr zuvor Stanisław Góra, den Buchhalter der Fabrik, geheiratet. Beide waren polnische Vertriebene aus dem Osten des Landes, der 1945 endgültig an die Sowjets gefallen war. Sechs Kriegsjahre hatten sie schwer geprüft. Auf den kleinen Jan folgten schnell drei jüngere Brüder. „Der Glaube war in unserer Familie so selbstverständlich und allgegenwärtig, wie Luft, Wasser und Brot“, erinnerte sich Jahre später Pater Góra.

Geld war wenig vorhanden. Die Ferien verbrachte Góras ältester Sohn Jan regelmäβig auf dem Lande, in der Nähe der Stadt Tarnów, knapp dreihundert Kilometer östlich von Prudnik. Der Bruder des Vaters, ebenfalls mit dem Vornamen Jan, war dort Dorfpfarrer.

Der kleine Jan hat hautnah miterlebt, wie kommunistische Repressalien dem Priester das Leben schwer gemacht haben. Nach der Gleichschaltung aller Parteien, Verbände, Genossenschaften um 1948, war er, wie so viele andere Pfarrer, der einzige Fürsprecher, der den Dorfbewohnern geblieben war, in ihrer ständigen Auseinandersetzung mit der Willkür des kommunistischen Staates.

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Propaganda und Wirklichkeit. Landleben im kommunistischen Polen der 50er und 60er Jahre.

Dieser drückte den Bauern bei Nahrungsmitteln (Getreide, Kartoffeln, Schweine, Milch) immer höhere Zwangsabgaben (sog. Kontingente) zu Niedrigstpreisen auf. Wer sie nicht erbringen konnte, landete im Gefängnis, aus dem er nur herauskam, wenn er sich bereiterklärte der LPG (Kolchose) beizutreten.

Im Jahr 1956, im Zuge des politischen Tauwetters, das den Ostblock ergriffen hatte, endete die schlimmste Unterdrückung. Das Regime änderte seine Taktik. Statt auf Pseudo-Genossenschaften (LPGs), setzte es auf Staatsgüter. Diese erhielten jede erdenkliche staatliche Förderung, während den Privatbauern Kredite, knappe Maschinen, Kunstdünger, Baumaterial verwehrt wurden. Auf diese Weise sollten sie gezwungen werden ihr Land dem Staat gegen eine Altersrente zu überlassen. Das Ziel der endgültigen „Entprivatisierung“ der Landwirtschaft, die linientreue sowjetische und DDR-Genossen bei Polens Kommunisten ständig anmahnten, sollte hierdurch, auf Umwegen, erreicht werden.

Armut, Verfall, Ungerechtigkeit, Willkür, Landflucht, das Leben auf dem Dorf im Polen der 50er und 60er Jahre war sehr hart. Der Wille Priester zu werden keimte bei Jan sehr früh auf, aber eines Tages solchen Widrigkeiten die Stirn bieten zu müssen wie der Onkel, das überstieg in seiner Vorstellung damals noch seine Kräfte. Vergeblich hoffte Onkel Jan, der Neffe würde auf ein reguläres Priesterseminar gehen und später Gemeindepfarrer werden. Stattdessen klopfte Jan Góra im August 1966 an die Pforte des Dominikaner-Klosters in Poznań. Sechs Jahre später legte der 24-jährige sein ewiges Mönchsgelübde ab, nach weiteren drei Jahren erhielt er die Priesterweihe.

Ein Kumpel der fordert

Er war tief gläubig, aber Demut war nie seine Stärke. Góras Glück waren seine Vorgesetzten, die sein Temperament und seinen Tatendrang zum Wohle der Kirche und des Kirchenvolkes zu nutzen wussten. Von allen Seiten durch den kommunistischen Staat bedrängt, von der Nation verehrt und in die ungewollte, aber wahrgenommene Rolle der Fürsprecherin der Freiheit gedrängt, musste die Kirche ständig improvisieren. Dabei war Pater Góra in seinem Element.

Góra hoffte, die Dominikaner würden ihn weiter studieren lassen. Das bereits absolvierte Theologiestudium allein genügte ihm nicht. Doch stattdessen landete er 1975 im mittelpolnischen Tarnobrzeg (fonetisch Tarnobscheg), einer heute knapp fünfzigtausend Einwohner zählenden Stadt, in deren Nähe die Kommunisten damals gerade Europas gröβten Schwefeltagebau in Betrieb genommen hatten. Nach 1989 unrentabel geworden, hat sich dieses Gebiet inzwischen in eine Seenlandschaft verwandelt.

Als Pater Góra dort eintraf wurde die Kleinstadt, mit damals nicht einmal zwanzigtausend Einwohnern, von einem Ring aus Plattenbau-Siedlungen für zugezogene Arbeitskräfte umgeben. In den neu entstandenen Siedlungen durften, wie damals auch anderswo in Polen, natürlich keine Kirchen gebaut werden. Je weiter und beschwerlicher der Weg zur Kirche, umso weniger Kirchgänger, so das Kalkül der Kommunisten.

Pater Jan sollte hier den Religionsunterricht unterstützen. Den  hatten die Behörden bereits 1961 aus den Schulen verbannt, er durfte nur noch nachmittags in den Gotteshäusern stattfinden. Damit wollte der Staat die Kirche treffen, erreichte jedoch das Gegenteil. Denn auf diese Weise verlor er die Kontrolle über die Katechese und der freiwillige Gang zum Religionsunterricht wurde unweigerlich zu einer bewussten und demonstrativen politischen Geste.

Weiβe Kutte, lange Haare, abgetragene Wrangler-Jeans (ein in der kommunistischen Mangelwirtschaft schwer erfüllbarer Traum eines jeden jungen Polen), Turnschuhe, häufig einen kessen Spruch auf den Lippen, Pater Jan wurde schnell zum Idol der Jugend in Tarnobrzeg. Alle wollten in seinen Religionsunterricht, seine Gottesdienste waren übervoll. Er predigte kurz und prägnant, statt der Orgel erklangen Gitarren. Lange bevor das Klingelzeichen des Messdieners den Beginn der Jugendmesse verkündete, verscheuchte Pater Jan ältere Frauen aus der Kirche: „Geht nur, geht. Ihr könntet sonst noch den Glauben verlieren.“

Sich einschmeicheln, sich anbiedern, das war ihm fremd. Er war witzig und kumpelhaft im Umgang, oft lässig im Auftreten, zugleich aber stets klar in seinen Aussagen, wenn es um die katholische Morallehre ging. Vor den jungen Leuten stand ein missionierender Enthusiast, dem man es auf Anhieb ansah, dass er sie versteht, dass sie ihm wichtig sind, dass er sie nicht im Stich lässt, auch wenn er ihnen immer wieder mal die Leviten las.

Den Behörden in Tarnobrzeg war er zu erfolgreich. Sie bedrängten den örtlichen Bischof so lange, bis Pater Jan, nach drei Jahren, zu seinen Dominikanern nach Poznań zurückbeordert wurde.

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Dominikaner-Kirche in Poznań.

Jetzt hatten die kommunistischen Behörden in Poznań ein Problem mehr. Die geräumige Dominikaner-Kirche im Stadtzentrum war zwischen Ende der 70er und Ende der 80er Jahre an jedem Sonntag um 17 Uhr brechend voll. Dicht an dicht lauschten Schüler und Studenten den Predigten von Pater Jan.

Unter ihnen die drei Gymnasiasten: Paweł Kozacki, Tomasz Dostatni und Wojciech Prus. Der Erste von ihnen ist heute Prior aller polnischen Dominikaner, der Zweite – Pfarrer und namhafter katholischer Publizist, der Dritte, ebenfalls ein Mitbruder, leitet den Dominikaner-Verlag in Poznań. „Ich wollte so sein wie Góra“, sagt Prus heute.

„Darf ich mich mit Ihnen anfreunden?“

Als Kind lernte Jan Góra während seiner Ferienaufenthalte in der Gegend von Tarnów auch das verfallene Dorf Jamna kennen. Im Zuge einer Antipartisanenaktion hatten deutsch-ukrainische Unterverbände der SS-Division „Galizien“ Jamna Ende September 1944 niedergebrannt, die Einwohner wurden ermordet. Geblieben war auf einer Anhöhe das ruinierte, alte Schulgebäude. Ein verlassener Ort.

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Jamna, eines von Pater Góras Werken: von Deutschen im Krieg niedergebranntes Dorf in Jugend-Seelsorge-Zentrum „Respublica Domincana“ verwandelt.

1992 schenkte die Gemeinde den Dominikanern aus Poznań diese Anhöhe. Nach und nach verwandelte Pater Jan Góra sie gemeinsam mit hunderten jugendlicher Helfer in das Jugend-Seelsorge-Zentrum „Respublica Domincana“. Die Schule und weitere verfallene Gebäude wurden renoviert oder neu gebaut. 2001 war die Holzkirche fertig, errichtet im schönen, ortsüblichen Baustil der Goralen, der Berghirten- und Bauern, die die hohe Tatra und die Vortatra-Region bewohnen. Studenten, Pfadfinder, aber auch Jugendliche, die Probleme haben und die Seelsorge der Dominikaner in ganz Polen in Anspruch nehmen, gehen in Jamna das ganze Jahr über ein und aus.

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Neue Kirche in Jamna.

„Es gibt vier Personen, die aus Nichts etwas machen können: die Dreifaltigkeit und Jan Góra.” Dieser Ausspruch passte sehr gut zum Aquarell, das in seinem Arbeitszimmer hing. Demutsvoll beichtete darauf ein Mann dem Dominikaner-Pater seine Sünde: „Ich habe Pfarrer Jan nicht geholfen.“

Jan Góra wurde nie müde zu verkünden, die Dominikaner seien ein Bettelorden und er habe das Betteln perfekt zu beherrschen gelernt. Traf er vermögende Leute, dann lieβ er seinen Standardspruch hören: „Darf ich mich mit Ihnen anfreunden?“ Er liebte es zu erzählen, wie er Lednica dank Damenhöschen gekauft hat.

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Ob Esel, Unternehmer oder Papst. Es gab niemanden, den Pater Góra in seine Werke nicht einspannen konnte.

Eines Tages kam eine Dame zu ihm, die ihr Herz erleichtern wollte. Nach einem längeren Gespräch zeigte Góra ihr ein Schreiben von Johannes Paul II., in dem der Papst dessen Vorhaben segnete. „Ich habe den Segen, aber ich habe kein Geld“, sagte Pater Góra zu ihr. „Und ich habe Geld, aber keinen Segen“, antwortete die Frau. Sie erzählte ihm, sie habe eine Firma die Damenunterwäsche herstelle. Pater Góra daraufhin: „Darf ich mich mit Ihnen anfreunden?“. Zwei Tage später fertigte der Notar zu Gunsten der von Pater Góra ins Leben gerufenen Stiftung eine Urkunde über den Erwerb von 40 Hektar Land in der Nähe des Lednica-Sees aus.

Lednica war sein gröβtes Werk

Das katholische Lednica-Jugendfestival war Pater Góras liebstes Kind und sein gröβtes Werk. Es findet seit 1997 am ersten Samstag im Juni statt. Neunzehnmal rief er die Jugendlichen auf, zu den Wiesen zwischen Poznań/Posen und Gniezno/Gnesen, zum gröβten katholischen Jugendtreffen der Welt ohne Anwesenheit des Papstes zu kommen.

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Der Fisch von Lednica als Tor und als Altar.

Es ist ein geschichtsträchtiger Ort, denn auf der Insel Ostrów im Lednica-See lieβen sich der polnische Fürst Mieszko I. und sein Hofstaat im Jahr 966 taufen. Die Geschichte des polnischen Staates nahm so ihren Anfang. „Hier hat Polen Christus gewählt. Auch ihr habt das gemacht, als ihr herkamt“, rief Pater Góra jedes Mal zur Begrüβung den jungen Menschen zu, die durch das groβe Tor strömten, das dem christlichen Symbol des Fisches nachempfunden ist. Es dient auch als Altar.

Die während der ganzen Nacht stattfindende Gebetswache ist voller Musik, Tanz, Symbole. Hunderte von Priestern, Mönchen, Nonnen sind dort als Ansprechpartner zugegen. Am Rande wirde gebeichtet, gebetet, geredet über Gott und die Welt.

Am 2. Juni 1997 kreiste der Hubschrauber mit Johannes Paul II. an Bord über den Wiesen von Lednica und Zehntausende winkten ihm zu. Der Papst war wieder einmal zu Besuch in seinem Heimatland. Eingebunden in ein dichtes Programm, wollte er auf Pater Góras Bitten hin, wenigstens mit dieser Geste zeigen, wie wichtig ihm die Jugend von Lednica ist.

Pater Góra bewegte Himmel und Erde, um die Jugend zum Kommen zu bewegen. Fallschirmspringer landeten auf den Lednica-Wiesen, Kunstflieger zeigten ihr Können. Das eine Mal bekam jeder Teilnehmer eine Lebkuchenpackung, dann wiederum ein kleines Messingkreuz, ein buntes Halstuch oder einen Brevier. Ganz Polen schrieb für Lednica per Hand die Bibel ab. Góra setzte den bereits gebrechlich gewordenen Primas von Polen Józef Glemp in ein wackeliges Boot, um eine brennende Fackel von der Insel Ostrów zu den Wiesen zu bringen. Einmal wollte er Mini-Weinfläschchen verteilen, benötigte dafür einhunderttausend kleine Korken. Er schrieb an den Bischof im portugiesischen Porto, wo Korkeichen wachsen, und bekam was er brauchte.

Auch den Papst verstand er für seine Ideen zu begeistern

Selbst Johannes Paul II. hatte Pater Góra sich um den Finger gewickelt. Der Papst bewunderte sein Engagement, seine verrückten Ideen, seinen Erfolg bei der Jugend. Schlieβlich ging es um die Zukunft der Kirche. So lange er lebte, nahm er jedes Jahr eine kurze Rede auf, die bei der Eröffnung von Lednica abgespielt wurde. Er segnete die Geschenke für die jungen Pilger, aber das alles war Pater Góra zu wenig.

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Pater Góra und Johannes Paul II: „Kann mir jemand sagen weshalb ich mich auf diesen Kerl eingelassen habe?“

Bei einem der privaten Mittagessen, zu dem er im Vatikan hinzu gebeten wurde, bat er den Papst einen Abguss von dessen Hand nach Polen mitnehmen zu dürfen. Am Abend tauchte Johannes Paul II. die rechte Hand in ein Gefäβ mit flüssigem Silicon. Mit dem Zeigefinger der linken Hand klopfte er gegen seine Stirn und fragte lachend seinen Sekretär Pater Dziwisz: „Kann mir jemand eigentlich sagen weshalb ich mich auf diesen Kerl eingelassen habe?“
Im Seelsorge-Zentrum von Lednica gibt es ein kleines Johannes-Paul II.-Museum. Der Abguss ist dort nicht zu übersehen.

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Bei Pater Góras Wirken und Werken hatte Johannes Paul II. seine Hand oft im Spiel. Der Abguss der Papst-Hand in Lednica soll daran erinnern.

In seinem Leben forderte er stets Höchstleistungen von sich, schonte sich nicht. Er starb so wie es einem Priester wie ihm zustand: vor dem Altar, während er die Messe zelebrierte.

Pater Jan Góra fand seine letzte Ruhestätte auf den Lednicer Wiesen. Staatspräsident Andrzej Duda verlieh ihm posthum das Groβkreuz des Ordens der Wiedergeburt Polens (Polonia Restituta). Das Lednica-Jugendfestival wird 2016 zum zwanzigsten Mal stattfinden. Das erste Mal ohne ihn.

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© RdP




Russland kennt keine Gnade

Ein Pole in den Fängen des Unrechts.

Dem russischen Straflager ist Anatol Łoś nur deshalb lebend entkommen, weil er sich einst eine eiserne Kondition antrainiert hat, weil er Russisch spricht und Russland gut kennt. Ein durchschnittlicher westeuropäischer Kaufmann hätte so etwas niemals durchgestanden. Zum Backen und zum Bestreuen von Gebäck lieferte Łoś über Jahre hinweg Tonnen von Schlafmohnsamen nach Russland. Und dann, plötzlich, hat man aus ihm einen Rauschgifthändler gemacht.

Nachstehend dokumentieren wir einen Bericht des Wochenmagazins „wSiecI“ („imNetzwerk“) vom 4. – 10. Januar 2016.

Die polnische Firma BNI Sp. z o. o. (BNI GmbH) hat ihren Sitz am Rande von Warschau. Jahrelang fuhren auf ihrem Hof russische Lkws vor, um für Groβhändler in Russland Container mit Schlafmohnsamen abzuholen. Irgendwann baten die Kunden aus dem Osten, die Firma möge die Ware selbst anliefern und sich um die Grenzabfertigung kümmern, weil der russische Zoll mit ausländischen Fuhrunternehmen gnädiger umgehe als mit den eigenen.

Für den in Polen und in Frankreich eingekauften Schlafmohn gab es alle amtlicherseits erforderlichen polnischen sowie französischen Papiere, die bestätigten, dass die Ware keine drogenhaltigen Substanzen enthält. Geliefert wurde nur in verplombten Lkws. An der Grenze machte der russische Zoll seine Rauschgiftkontrollen, anschlieβend fand noch eine penible Überprüfung der Samen im Hinblick auf mögliche Schadstoffe statt. Eine Kontrolle, die von russischer Seite bei allen aus dem Westen eingeführten Lebensmitteln durchgeführt wird.

Die Lieferungen gingen an Groβbäckereien und Gebäckfabriken. Alles legal, genau belegt anhand von Attesten, Frachtbriefen und Rechnungen. Die BNI hatte eine Zweigstelle in Rostow am Don eingerichtet, einer Zweimillionenstadt im Süden Russlands. Dort fuhr der heute 64-jährige Anatol Łoś (fonetisch Uosch) regelmäβig hin, um nach dem Rechten zu sehen.

Beweise werden sich finden

Łoś war daher sehr erstaunt als er im März 2012 Besuch von Beamten der Rauschgiftfahndung (Rosnarkokontrol) bekam, die ihm andeuteten, dass er Probleme bekommen könnte. Łoś ignorierte diese Warnung, wähnte sich auf der sicheren Seite. Alle Papiere waren in bester Ordnung, warum sollte die Firma also noch mehr Schutzgeld zahlen als bisher, fragte er sich? Zwei Monate später war er bereits in Haft.

„Er hat mich kurz auf dem Handy angerufen, dass sie ihn mit einem Bus von Rostow nach Apscheronsk (Entfernung ca. 370 km Richtung Süden – Anm. RdP) bringen. Mit diesem Bus war eine ganze Mannschaft von Beamten gekommen um ihn abzuholen, alle waren mit Kalaschnikows bewaffnet. Zuerst habe ich nichts verstanden, dann merkte ich, wie meine Knie weich wurden, und dann bin ich ins Flugzeug gestiegen und nach Russland geflogen, um meinen Mann zu retten“, berichtet seine Ehefrau Olga.

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Mit Putins Anordnung, den Süden Russlands vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2012 von Rauschgifthändlern zu säubern, begann Anatol Łoś’s  dramatische „Drogenkarriere“ .

Vor Ort begann sie nachzuforschen was eigentlich vorgefallen sei. Der Eigentümer einer russischen Firma, die von BNI beliefert wurde, namens Salimgeroi Kurajew hatte eine kleine Portion Schlafmohn als Handelsprobe an zwei Männer verkauft, die sich als Vertreter einer Bäckerei ausgaben. Wie sich später herausstellte, war einer von ihnen in Wirklichkeit ein Drogenabhängiger, der andere ein verdeckter Ermittler der Drogenfahndung. Das war der Ausgangspunkt der ganzen Affäre.

Kurajew warf man nun vor, er betreibe Handel mit einem Rohstoff zur Herstellung von Drogen. Worin aber das Wesen dieses Drogengeschäftes bestanden haben soll wurde nie geklärt, denn der Beschuldigte hatte 1 kg Schlafmohnsamen für den offiziellen Preis von damals 110 Rubel verkauft.

Es wurde auch nie die Frage beantwortet, wie man aus handelsüblichem Schlafmohn Rauschgift gewinnen könne. Diese Frage wurde zwar später vor Gericht gestellt, der Richter aber ließ sie nicht zu. Stattdessen wurde die Behauptung aufgestellt, Schlafmohn der Firma BNI beinhalte Reste von Mohnstroh, aus dem sich Rauschgift gewinnen ließe. Die Mohnstrohbeimischung betrug jedoch nicht einmal ganze 4 kg in der sichergestellten Zehntonnenpartie (10.000 kg), so die Berechnung der Ermittler anhand der Stichprobenuntersuchung aus einigen Säcken.

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Emblem der russischen Drogenfahndung. Egal wie, Erfolge müssen her.

Der leitende Untersuchungsbeamte telefonierte daher vier Mal mit seinem Vorgesetzten und fragte nach, ob er für den Polen Łoś wirklich Untersuchungshaft beantragen solle. Er sollte. Auch der Haftrichter war sich nicht sicher, ob er dem Antrag stattgeben soll. Der leitende Untersuchungsbeamte hingegen hegte nun keine Zweifel mehr und beteuerte: „Ich gebe Ihnen mein Offizierswort, dass es in spätestens drei Tagen Beweise geben wird.“ Olga Łoś: „Nun war klar, egal was passiert, Beweise werden sich finden.“

Ihr Mann beteuerte beharrlich seine Unschuld, auch wenn er daraufhin immer wieder für Tage in der eiskalten, kahlen Strafzelle landete. Olga Łoś fuhr immer wieder nach Apscheronsk, wo sie einen Anwalt für ihren Mann gefunden hatte. Sie brach um drei Uhr früh in Rostow auf, quälte sich auf der mit Baustellen übersäten, kurvenreichen Landstraβe voran, um in das Bergstädtchen zu gelangen. Dort befand sich das zuständige Gericht, und dort residierte, im gröβten Gebäude der Stadt, die Drogenfahndungsbehörde.

Der Anwalt hatte meistens nur sehr wenig Zeit für die Ehefrau seines Mandanten. Sie hatte den Eindruck, er flüchte vor ihr, weiche ihren Fragen aus. Die Verhandlung wurde für Dezember 2012 angesetzt. Einige Monate vorher riet ihr der Anwalt: „Fangen Sie schon mal an Geld für das Gericht bei Seite zu legen. Das Ganze wird nicht billig sein.“

Überlebenskampf

In der Untersuchungshaft in Apscheronsk zahlte man für alles. Für jeden Besuchstermin, für einmal Telefonieren in der Woche, für die Aushändigung eines Päckchens, von dessen ursprünglichem Inhalt gewöhnlich nicht viel übrig geblieben war wenn es ankam.

Als Olga Łoś klar wurde, dass der Anwalt aus Apscheronsk ihrem Mann nicht wirklich helfen wollte, fand sie einen Rechtsbeistand in Rostow. Dieser war sehr engagiert und rettete Anatol Łoś wahrscheinlich das Leben. Bei einem Besuchstermin begutachtete er das wunde Knie seines Mandanten. Man hatte den Häftling die Treppe hinuntergestoßen. Der Anwalt war bei der Roten Armee während des Afghanistankrieges Sanitäter gewesen. Er ging in die nächste Apotheke und brachte dem Häftling ein Antibiotikum. Der beginnende Wundbrand konnte geheilt werden.

„Wir haben alles in unserer Macht stehende getan, um Anatol zu helfen. Die Zellen in russischen Gefängnissen sind überfüllt. In der Regel gibt es mehr Insassen als Schlafplätze. Daher wird abwechselnd geschlafen. Auf kleinster Fläche sind sehr unterschiedliche Menschen zusammengepfercht. Einer der seine Familie mit der Axt erschlagen hat, neben einem Rauschgiftsüchtigen auf Entzug, der schreit und sich vor Schmerzen windet. Wer bezahlt, kommt in eine bessere Zelle“, erzählt der BNI-Firmenchef Wojciech Urbański.

Das Geld für Łoś floss ununterbrochen nach Russland, wurde im Firmenbudget fest eingeplant. Schon zu Beginn des Untersuchungsverfahrens gab es Hinweise, dass es für ein gigantisches Bestechungsgeld eingestellt werden könnte. Soviel konnte die Firma jedoch nicht aufbringen. Auβerdem war die Aussicht, dass die Russen ihr Wort auch halten würden zu vage.

„Man versuchte mich nach Russland zu locken. Ich sollte im Untersuchungsverfahren aussagen. Ich war durchaus bereit hinzufahren, aber ein russischer Bekannter fasste sich nur an den Kopf und fragte, ob ich denn verrückt geworden sei. Wenn sie mich verhören wollten, dann höchstens in Polen oder in der polnischen Botschaft in Moskau. Bei einer informellen Anfrage wie dieser hingegen, sei die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch mich als „Mitschuldigen“ einsperren würden sehr groβ“, erzählt BNI-Chefmanager Robert Olszewski.

Bei BNI hatte man allen Grund sich vorsichtig zu verhalten. Die Russen beteuerten z.B., dass Łoś während der Verhandlung auf freiem Fuβ bleiben könne, sobald das polnische Auβenministerium ein förmliches Schreiben mit der Garantie ausstellen würde, dass der Angeklagte jeder Vorladung Folge leistet.

„Das war, wie sich später herausstellte, jedoch nicht ernst gemeint. Wir haben ein solches Garantieschreiben erwirkt, was nur sehr selten gelingt. Wenn »Rauschgift« im Spiel ist, wird die Angelegenheit sehr genau geprüft. Die Russen haben Anatol dennoch nicht auf freien Fuβ gesetzt“, erinnert sich Urbański.

Als Łoś zu elf Jahren schweren Straflagers verurteilt wurde, kümmerte sich die Firma um das Wichtigste: er sollte bloβ nicht in ein Lager jenseits des Ural kommen. So wurde er in die Nähe von Krasnodar verlegt. Der Kommandeur des Lagers bekam alle drei Monate ein dickes Bündel Dollarscheine damit er seine schützende Hand über den Häftling hielt. Auch Łoś selbst bekam Geld, um die mit ihm einsitzenden Kriminellen bezahlen zu können. Jeder von ihnen hatte ein Messer bei sich. Łoś lernte es sehr wachsam zu schlafen.

„Eigentlich, so sagte er mir, habe er damals mit seinem Leben abgeschlossen“, so Łoś‘s polnischer Anwalt Marek Markiewicz.

Eingesperrt, Firma beschlagnahmt

Aus einer aufgerissenen Tüte rieseln Schlafmohnkörner auf den Tisch. Im Warschauer BNI-Büro zeigt uns Chefmanager Olszewski die in Frankreich eingekaufte Ware aus der Nähe. Wenn man die 500 Gramm Packung genau untersucht, kann man manchmal eine winzig kleine Verunreinigung, nicht gröβer als 0,5 mm, entdecken. Der Schlafmohn wurde bereits in Frankreich gereinigt und der millimetergroβe Halm ist gemäβ den EU-Vorschriften völlig belanglos. Für Russland jedoch wurde die Ware zusätzlich noch einmal gereinigt. BNI hatte speziell zu diesem Zweck eine Maschine gekauft.

„Wir waren sehr darum bemüht keine Probleme zu bekommen. Wir waren vorsichtig. Wir hatten alle Papiere, wir haben alle offiziellen und „nicht offiziellen“ Gebühren bezahlt. Man kennt ja die russische Wirklichkeit. Wir haben für das gesorgt, was die Russen »Krischa« – »Überdachung« nennen. Wir haben einen Schutzschirm aus Leuten mit Beziehungen aufgespannt, der die Firma vor behördlichen Repressalien bewahren sollte“, berichtet Urbański.

Diese Leute haben Anatol immer wieder nachdrücklich darauf hingewiesen, dass er aufpassen und der örtlichen Konkurrenz aus dem Weg gehen solle. Dennoch muss er irgendjemandem auf die Füße getreten haben.

Mak Roman Syłow foto
Roman Schilow, Eigentümer einer groβen australischen Firma, die mit Dörrobst handelt, sitzt auch im russischen Gefängnis.

„Damals habe ich gesagt, dass die erste Person, die jetzt bei unseren französischen Lieferanten erscheinen wird, die Probleme verursacht hat. Beinahe umgehend nach Anatols Verhaftung kam Roman Schilow zu ihnen, der Eigentümer einer groβen australischen Firma, die mit Dörrobst handelt“, sagt Urbański.

„Kurz darauf tauchte er auch bei uns in Warschau auf, um Schlafmohn für Russland zu kaufen. Wir schöpften zwar Verdacht, offiziell hatten wir aber keinen Grund nicht mit ihm zu reden. Vielleicht, so dachten wir, könnte man sogar etwas mehr erfahren. Wir redeten lange bei Wodka und Zubiβ. Schilow war bester Laune. Er habe eine »Super-Krischa«, ihm könne in Russland niemand etwas anhaben“, so Urbański.

Schilow flog von Warschau nach Moskau und schon drei Wochen später saβ er hinter Gittern. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Straflager. Seine Firma wurde durch die Russen beschlagnahmt.

Verhaftet wurde auch Prof. Olga Zelenina, Russlands herausragendste Kennerin von Ölpflanzen. Am 15. August 2012 stürmte eine maskierte Polizeieinheit ihre Wohnung in der Stadt Lunino, unweit von Pensa, etwa 550 Kilometer Luftlinie südöstlich von Moskau.

Mak prof. Olga Zelenina
Prof. Olga Zelenina nach ihrer Festnahme.

Prof. Zelenina hatte Pech. Sie hatte ein Gutachten verfasst, das den Behörden überhaupt nicht gefiel. Sie stellte fest, dass Schlafmohnkörner kein Rohstoff für Drogen sei. Ihr drohen bis zu zwölf Jahre Haft. Weil sich viele berühmte internationale Chemiker für sie eingesetzt haben, wurde sie bis zu ihrem Prozess auf freien Fuβ gesetzt.

Erfolge im Kampf gegen Drogen müssen sein

„Es ist klar, dass Schlafmohnkörner kein Rohstoff für Drogen sind, weil sie keine Alkaloide, wie z. B. Morphium enthalten“, sagt der polnische Sachverständige Jacek Wrona. „Auβerdem nutzen auch 4 kg Mohnstroh einem Drogenhersteller nichts. 4 Kilo passen in eine Einkaufstüte. Er benötigt aber mindestens einen groβen Kartoffelsack davon. Trockenes Stroh ist zudem ein schlechter Rohstoff. Verwenden kann man die oberen 10 cm des Stiels, der Rest ist wertlos. Deswegen war der Vorwurf gegen Łoś absurd.“

Russland hat ein riesiges Drogenproblem. Es wird buchstäblich von Heroin aus Afghanistan überschwemmt. Sehr oft wird der Verdacht geäuβert, dass diejenigen den Drogenhandel betreiben, die ihn eigentlich bekämpfen sollen, nämlich die Leute von der russischen Rauschgiftfahndung.

Als Russland sich auf die Olympischen Winterspiele in Sotschi vorbereitete, befahl Präsident Wladimir Putin den Süden Russlands von Drogenabhängigen zu säubern. Und gerade zu diesem Zeitpunkt begannen die Probleme Anatol Łoś‘ und der polnischen Firma BNI. Es genügt nur ein wenig im russischen Internet zu surfen, um zu sehen, dass es damals geradezu eine Welle von Verfahren in Sachen Schlafmohn gab. Diese Verfahren sollten den Beweis erbringen, dass Rauschgift aus dem Westen nach Russland gelangt, und dass die Rauschgiftfahndung diese Vorgänge erfolgreich bekämpft.

Kalte Schulter der Heimat

Ende 2015 wurde Anatol Łoś zur Verbüβung der restlichen Strafe nach Polen entlassen. „Wir haben so sehr daran geglaubt, dass, sobald mein Mann nach Polen überstellt wird, ihm Gerechtigkeit widerfahren wird. Wir wollten uns nicht an das russische Oberste Gericht wenden, das zwischenzeitlich das Strafmaβ für den BNI-Kunden Kurajew herabgesetzt hatte. Wir wollten Anatol schnellst möglich nach Polen bringen“, sagt dessen Ehefrau Olga.

Im Verhandlungsaal des Amtsgerichts Warschau-Praga erlebte sie dann einen zweifachen Schock. Den ersten, als ihr Mann aus dem Untersuchungsgefängnis in den Gerichtssaal gebracht wurde und dort berichtete, was ihm im russischen Straflager widerfahren war. Weinend lief Sie nach drauβen. Das zweite Mal packte sie das blanke Entsetzten, als die Richterin teilnahmslos verkündete, dass das vom Gericht der Russischen Föderation gegen Anatol Łoś verhängte Urteil über elf Jahre Freiheitsentzug als rechtens anerkannt wird.

Olga wurde den Eindruck nicht los, dass das alles ein abgekartetes Spiel war, dass die Entscheidung bereits im Vorfeld gefällt worden war. Sie glaubt nicht daran, dass die Richterin in den gerademal zwanzig Minuten Verhandlungspause das Urteil schriftlich formulieren konnte.

„Ich dachte, das Gericht werde die Absurdität des Falls sofort erkennen. Als Anwalt habe ich schon viel erlebt, aber dieser Fall hat mich tief erschüttert. Es geht doch nicht darum, dass wir die »Unsrigen« vor den Fremden in jedem Fall in Schutz nehmen, aber ein polnischer Bürger muss sich auf seinen Staat verlassen können. Bei uns gilt doch der Grundsatz der Unschuldsvermutung“, sagt Anwalt Markiewicz.

Er kann weder das Urteil, noch die Atmosphäre, in der es gefällt wurde akzeptieren. „Mit unglaublicher Gleichgültigkeit, hat man automatisch ein Urteil kopiert, das die dunkle Seite Russlands symbolisiert.“ Anatol Łoś wurde aus dem Warschauer Gerichtssaal zurück in Untersuchungshaft gebracht.

Zwei Wochen später begleiteten ihn bewaffnete Polizisten zum Warschauer Appellationsgericht. Der Richter hob das erstinstanzliche Urteil auf und hat den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. So etwas passiert sehr selten, aber in diesem Fall hat das Gericht dem Antrag von Verteidigung und Staatsanwaltschaft stattgegeben.

Das Amtsgericht Warszawa-Praga hat Anatol Łoś während der zweiten Verhandlung, mit sofortiger Wirkung, auf freien Fuβ gesetzt. Das Gericht konnnte, entsptrechend den geltenden Regularien, das russische Urteil nicht aufheben. Es befand jedoch, dass der Verurteilte duch die vier Jahre, die er in russischer Untersuchungshaft und Haft verbracht hat, für seine „Schuld“ ausreichend bestraft wurde.

RdP