Wie stark ist die polnische Armee…

…und welche Lehren sie aus dem Ukraine-Krieg ziehen sollte.

  
Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine begann am 24. Februar 2022  der erste große reguläre Krieg in Europa seit 1945. Er wird von zwei großen Staaten geführt, die sich auf einem ähnlichen technologischen Entwicklungsstand befinden, und zeichnet sich durch eine enorme Intensität der Kampfhandlungen aus. Die erste Phase dieses Krieges, die mit einer strategischen Niederlage Russlands endete, lässt Schlussfolgerungen zu, die für die polnische Verteidigungsplanung sehr nützlich sein können. Denn wie im Falle der Ukraine, kann Polens Gegner nur Russland heißen, und auf ihn gilt es sich einzustellen.

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Das Aus für die „Armee neuen Typs“

LEHRE 1. Als völlig unbrauchbar erweist sich angesichts des Ukraine-Krieges das Armee-Konzept, welches die Regierung Donald Tusk in ihrer Amtszeit (2007 bis 2015) umgesetzt hat. Durch massive Ausgabeneinschränkungen und Standortschließungen wurde Polens Berufsarmee bis zum Jahr 2014 auf 96.000 Mann reduziert. Davon waren nicht mehr als 60.000 einsatztauglich.

Voraussichtliches Kampfgebiet im Nordosten Polens.

Diese eher kleine Kampftruppe, bestehend aus allen drei Waffengattungen, sollte auf einem beschränkten Gebiet im Nordosten des Landes (d. h.  entlang der Grenzen zum Kaliningrader Gebiet, zu Litauen und Weißrussland, die mittlere Weichsel mit Warschau im Rücken) versuchen, die Russen aufzuhalten. Sie hätte keine Möglichkeit gehabt, ihre Verluste durch Reservisten auszugleichen, denn seit 2008 wurden aus Kostengründen keine Reservisten mehr zu Übungen eingezogen. Im selben Jahr wurde ebenfalls der Wehrdienst abgeschafft.

Die polnische Armee war damals auf einen kurzen Abwehrkrieg ausgerichtet. Sie sollte durchhalten bis der Nato-Entsatz in die Kämpfe eingreift. Doch bis der eingetroffen wäre, könnten die Russen bereits Warschau eingenommen haben. Zu Tusks Zeiten gab es in Ostpolen keine Nato- und US-Stützpunkte wie heute.

Dagegenhalten, bis Hilfe kommt

LEHRE 2. Würde sich die Ukraine nicht derart vehement und erfolgreich zur Wehr setzen, sondern hätte nach wenigen Tagen die Waffen gestreckt, hätte der Westen sie schnell abgeschrieben, ihr seine Hilfe versagt und „notgedrungen“ bald wieder mit Putin kooperiert.

Auch wenn Polen Nato-Mitglied ist und eigentlich Anspruch auf Beistand, laut Art. 5 des Nato-Vertrages hat, so könnte ein schneller Zusammenbruch der polnischen Verteidigung die Alliierten, allen voran das benachbarte Deutschland, dazu veranlassen, sich auf Kosten Polens mit den geschaffenen Tatsachen abzufinden. Im Verteidigungsfall kann es Wochen dauern, bis die Nato-Alliierten Polen effektiv zur Hilfe kommen wollen und können. So lange muss die polnische Armee in der Lage sein, die Russen hinzuhalten.

Eine große, schlagkräftige Armee tut not

Die polnischen Streitkräfte zählen heute knapp 150.000 Soldaten, davon gehören 32.000 der Territorialverteidigung an.

Die Ukraine, die sich seit der russischen Besetzung der Krim 2014 auf eine große Auseinandersetzung mit Russland vorbereitete, hat ihre Einsatztruppen auf 200.000 Soldaten aufgestockt und verfügte Anfang 2022 über 240.000 Reservisten. Die meisten von ihnen haben Fronterfahrung aus den Kämpfen durch die sie in den letzten acht Jahren im Donbass gegangen sind.

Zudem hat die Ukraine ihre gepanzerten Truppen stark ausgebaut, indem sie alle, auch die ältesten Panzer und Truppentransporter, überholt und modernisiert  hat, anstatt sie zu entsorgen. Sie hat auch ihre Grenzverteidigung ausgebaut, um den Gegner vom ersten Augenblick des Krieges an in schwere Kämpfe zu verwickeln. Im Norden haben die Ukrainer aufgrund dessen einen Sieg errungen, im Süden dagegen waren die Erfolge nur begrenzt.

Für eine wirksame Landesverteidigung Polens bedarf es nicht nur einer gut ausgerüsteten, sondern auch einer zahlenmäßig starken Armee.

Unter den Bedingungen der modernen Kriegsführung können Luftwaffe, Raketen- und Luftlandekräfte jenseits der Frontlinie jederzeit schmerzhaft zuschlagen. In solch territorial ausgedehnten Staaten wie Polen und der Ukraine würden die Sicherung strategisch oder operativ wichtiger Regionen, der Schutz überlebenswichtiger Infrastruktur (Eisenbahn, Pipelines usw.) und der Schutz von Einrichtungen, die wichtig sind für das Empfangen alliierter Unterstützung (Häfen, Flughäfen, Kommunikationswege, Kriegsmateriallager u. Ä.) die Fähigkeiten jeder elitären, notgedrungen zahlenmäßig kleinen Berufsarmee übersteigen. Denn selbst der am besten ausgebildete und ausgerüstete Soldat hat an einem Ort, an dem er nicht anwesend ist, keinerlei Kampfwert.

Russisches Gemetzel im Warschauer Vorort Praga am 4.11.1794 auf Befehl Feldmarschall Alexander Suworows. Ca. 23.000 Ermordete. Gemälde von Aleksander Orłowski.

LEHRE 3. Deswegen bedarf es im Abwehrkampf gegen Russland einer zahlenstarken, mobilen, gut gepanzerten Armee, die auf  trainierte und motivierte Reservisten zurückgreifen kann.

Russische Massenverbrechen und der Zivilschutz

Russischer Massenterror nach der Niederschlagung des polnischen Nationalaufstandes von 1863. Ca. 5.000 Gehängte.

LEHRE 4. Die jetzigen Erfahrungen aus der Ukraine, aber auch die aus Syrien und Tschetschenien sowie alle historischen Erfahrungen Polens, der baltischen Staaten und der Ukraine aus dem 18., 19. und 20. Jahrhundert weisen auf den Vernichtungscharakter der von Russland geführten Kriege hin.

Deren Ziel ist es, die politischen Eliten der eroberten Nationen zu beseitigen und der verbleibenden Bevölkerung so große Verluste zuzufügen, dass deren Fähigkeit zum Widerstand gebrochen wird.

Massenmorde auf Befehl des NKWD-Chefs Beria in den Gefängnissen (hier in Lwów/Lemberg) des von den Sowjets zwischen 1939 und 1941 besetzten Ostpolens, unmittelbar nach dem deutschen Überfall im Juni 1941. Ca. 30.000 Mordopfer.

Das bedeutet, dass die polnische Armee in der Lage sein muss, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um das räumliche und zeitliche Ausmaß der Besetzung polnischen Territoriums durch die Russen so gering wie möglich zu halten, da die  betroffene Bevölkerung Opfer von Massenverbrechen der Angreifer sein würde.

LEHRE 5. Die oberste russische Kriegsleitung und die Kommandeure vor Ort haben keine Hemmungen, Kampffortschritte durch gezielte Bombardierungen von Wohngegenden und Krankenhäusern zu erzielen. Nicht auszuschließen ist auch der Einsatz von Massenvernichtungswaffen.

Der Schutz der Zivilbevölkerung ist unter diesen Bedingungen von großer Bedeutung. Doch ein ganzheitliches Zivilschutzsystem zur Abschirmung der Bevölkerung, der Arbeitsplätze, der öffentlichen Einrichtungen, der Kulturgüter gibt es nicht. Vernachlässigt wurde auch die Ausbildung der Bevölkerung für den Umgang mit Kriegssituationen.

Massengrab der auf Befehl Stalins im April und Mai 1940 erschossenen polnischen Offiziere nach der Entdeckung durch deutsche Truppen 1943. Etwa 25.000 Mordopfer.

Die wenigen übriggebliebenen öffentlichen Schutzräume aus der kommunistischen Zeit wurden entweder mutwillig zerstört oder zweckentfremdet. Sichere Notunterkünfte für Krankenhäuser gibt es ebenso wenig wie bombensichere Wasserbrunnen und Notkraftwerke zur Stromversorgung. Die polnische Bevölkerung wäre bei einem russischen Angriff, wie ihn jetzt die Ukraine erlebt, praktisch schutzlos.

Verlassene Zivilschutzanlage in Warschau.

Territoriale Verteidigungskräfte versus Einsatzkräfte

LEHRE 6. Die Wirksamkeit der ukrainischen Territorialen Verteidigungskräfte (TV) ist beeindruckend und bestätigt die Richtigkeit der Entscheidung, diese Art von Truppen 2015 in Polen ins Leben zu rufen. Die Opposition und mit ihr die westlichen Medien behaupteten damals, es würden rechtsradikale Schlägertrupps in staatlicher Regie gegründet. Eine „Privatarmee“ des Ideengebers dieser Einheiten, Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, die gewaltsam den zivilen Widerstand gegen die nationalkonservative Regierung unterdrücken soll. Ansonsten seien diese Einheiten, so hieß es, „Kanonenfutter“, eine „Pfadfinderarmee“, die von den russischen „Speznas“-Elitekommandos im Nu aufgerieben würde.

Die polnischen Territorialen Verteidigungskräfte sind schlagkräftig, aber mit ca. 32.000 Soldaten viel zu klein.

Der enorme Zulauf von Freiwilligen, sieben Jahre Dienst im Katastrophenschutz, die Einsätze in der Corona-Epidemie, bei der Sicherung der Grenze zu Weißrussland gegen die von Lukaschenka gesteuerte Migrantenflut und die die ukrainischen Erfahrungen haben gezeigt, wie absurd die anfänglichen Unterstellungen waren.

LEHRE 7. Die Anzahl der polnischen Territorialen Verteidigungskräfte ist viel geringer als die der ukrainischen (aktuell ca. 32.000, Endziel: 50.000). Das sind viel zu wenige. Sie müssen zumindest auf mehr als einhunderttausend Reservisten ausgeweitet werden.

Die ukrainischen Einheiten der TV haben die vorrückenden Russen in der dichten Bebauung der Großstädte (Charkiw, Sumy, Tschernihiw, Mariupol) erfolgreich aufgehalten und in den Ortschaften am Rande von großen Ballungsräumen (z.B. rund um Kiew) die russischen Nachschubkolonnen siegreich abgewehrt.

Ein unscheinbares ziviles Auto nähert sich einer solchen Kolonne auf etwa zweihundert Meter. Zwei ukrainische Soldaten springen heraus, feuern ihre Panzerfäuste ab und fliehen mit dem Auto, während Explosionen den Konvoi in Panik versetzen. Auf Twitter konnte man mehrere Male solche Attacken sehen.

Soldaten der polnischen Territorialen Verteidigungskräfte richten eine amerikanische Panzerabwehrrakete vom Typ Javelin.

Es ist fast unmöglich, die Territorialen Verteidigungskräfte, die in kleinen, beweglichen Trupps operieren und über keine schwere Ausrüstung verfügen, mit Luft- und Raketenangriffen zu bekämpfen. Deswegen ist ihre Tarnung in den sozialen Medien relativ locker. Man kann dort unzählige Berichte über ihre Aktivitäten sehen.

LEHRE 8. Für die Einsatztruppen gilt genau das Gegenteil. Es gibt kaum Fotos oder Videos von sich bewegenden ukrainischen gepanzerten und mechanisierten Kolonnen im Internet. Militärische Disziplin und ein hohes Maß an staatsbürgerlichem Bewusstsein (Zivilisten filmen ihre eigenen Truppen nicht und stellen solches Material nicht ins Internet) ermöglichen es, das notwendige Maß an militärischer Geheimhaltung über die Aktivitäten der Einsatztruppen zu wahren. Das verzerrt jedoch in den Augen der Öffentlichkeit das Ausmaß ihrer tatsächlichen Rolle in diesem Krieg.

Ohne dadurch die Bedeutung der Territorialen Verteidigungskräfte  schmälern zu wollen, sei daher betont, dass diese ihre eigentlichen Aufgaben, nämlich die Verzögerung des Vormarsches, die Bindung von Kräften und die Lähmung des gegnerischen Nachschubs, sehr gut erfüllen. Die angreifenden russischen Verbände jedoch werden, in erster Linie, von ukrainischen Einsatztruppen mit einem großen Anteil an Artillerie, gepanzerten und mechanisierten Kräften und unter Anwendung von Drohnen abgewehrt.

Polnische Panzerhaubitze Krab. Schussreichweite bis zu 40 Kilometer.

LEHRE 9. Die polnische Armee entwickelt daher zu Recht die Artillerie (mit Panzerhaubitzen Krab, selbstfahrende Mörser Rak usw.) und die Panzertruppen (mit PT90 Twardy, Leopard 2, Abrams) weiter. Ohne schweres Gerät ist es weder möglich, die russischen Bataillonsverbände wirksam zu bekämpfen, noch die vom Angreifer eroberten Gebiete zurückzugewinnen. Die zum Gegenangriff übergehenden Truppen müssen in der Lage sein, große Feuerkraft und große Beweglichkeit miteinander zu verknüpfen. Dafür sind Panzer, selbstfahrende Artillerie- und Flugabwehrsysteme, Schützenpanzer mit großer Feuerkraft notwendig.

Amerikanischer Abrams-Panzer. Polen hat 250 Stück gekauft.

LEHRE 10. Voraussetzungen für den Erfolg der Ukrainer sind die gute Zusammenarbeit beider Truppengattungen: territorial und operativ, ihre ausreichende Zahlenstärke, um den Russen an allen, nicht nur an ausgewählten, Angriffsfronten entgegentreten zu können, und eine hohe Kampfmoral.

Ein Grund zur Zufriedenheit für Polen ist, dass die 2019 in Polen entwickelten Einsatzrichtlinien für die Territorialen Verteidigungskräfte im Jahr 2020 an die ukrainischen Streitkräfte weitergegeben wurden. Die Ukrainer haben sie mit ihren eigenen, reichen Erfahrungen aus dem Donbass kreativ kombiniert und so die erwähnte hohe Wirksamkeit erzielt.

Raketenabwehr, Flugabwehr und Schiffsabwehr

Russland ist im Krieg gegen die Ukraine in Bezug auf die Luftwaffe und die Mittel- und Langstreckenraketensysteme im Vorteil. Dieser Vorteil ist jedoch geringer als erwartet. Die Russen haben die Vorherrschaft in der Luft nicht errungen, und nach dem Abfeuern von etwa zweitausend Mittelstreckenraketen, bei einer jährlichen Produktion von etwa einhundert eigener Raketen, beginnen sie, ihren Mangel zu spüren.

Die Erfahrungen Großbritanniens und Frankreichs (beides Länder, die in der Produktion wesentlich effizienter sind als Russland) in Libyen im Jahr 2011  zeigen, dass das in modernen Kriegen eine häufig auftretende Erscheinung ist. Der Verbrauch an intelligenter Munition in der ersten Phase eines hochintensiven Konflikts, übersteigt die Herstellungsmöglichkeiten von Staaten, deren Wirtschaft nicht vollständig auf Kriegsproduktion umgestellt ist. Die mit Sanktionen belegte russische Wirtschaft wird in den kommenden Jahren nicht in der Lage sein, ihren Bestand an moderneren Kampfsystemen aufzufüllen.

Lehre 11. Polen sollte daher in der Lage sein, die im Kaliningrader Gebiet und möglicherweise auch in Weißrussland stationierten russischen Raketensysteme zu zerstören, bevor sie zum Einsatz kommen, und mit seinen eigenen Raketenabwehrsystemen (z.B. vom Typ Patriot) Angriffe durch evtl. nicht zerstörte Waffen zu verhindern.

US-Mehrzweckkampfflugzeuge F-16 (oben, Polen hat 32 davon) und F-35 (unten, Polen hat 32 Stück gekauft, sie werden ab 2025 eintreffen) bilden das Rückgrat der polnischen Luftwaffe.

Die russischen Iskander-Raketen sind billiger als die amerikanischen Patriots, und Polen wird den quantitativen Wettlauf Rakete gegen Antirakete nicht gewinnen. Darum ist der genaue Ablauf entscheidend. Zunächst zerstören polnische Langstreckenartillerie und mit Raketen bestückte Kampfflugzeuge (z. B. die F-35), die weit entfernte Ziele treffen können, ausgemachte russische Raketensysteme, und erst dann können polnische Raketenabwehrsysteme mit deren Überresten fertig werden.

Kurzstrecken-Flugabwehrsystem „Narew“. Eine polnisch-britische Konstruktion zur Bekämpfung von Flugzeugen, Hubschraubern und Raketen. Bestellt sind 23. Die ersten beiden sind bereits im Einsatz.

Lehre 12. Die Ukrainer sind nicht in der Lage, russische Raketensysteme zu erreichen, um sie zu zerstören. Darunter leidet die Bevölkerung. Die russischen Luftangriffe sind nicht spektakulär, aber sie fordern Opfer, was die Richtigkeit der Entwicklung eines mehrstöckigen Luftverteidigungssystems (das Kurzstrecken-Flugabwehrsystem „Narew“ und das Mittelstrecken-Flugabwehr- und Raketenabwehrsystem „Wisła“) bestätigt. Es ist daher erfreulich, dass die polnische Armee noch in diesem Jahr mit den ersten „Narew“- Systemen ausgerüstet wird. Das Fehlen effizienter Raketenabwehrsysteme war bis jetzt ein Grundübel, das die polnischen Streitkräfte geradezu wehrlos machte.

Mittelstrecken-Flugabwehr- und Raketenabwehrsystem „Wisła“. So nennen sich in Polen die bekannten „Patriot“-Raketen. Polen hat zwei Abschussvorrichtungen gekauft. Für mehr reicht vorerst das Geld nicht aus,

Lehre 13. Eine wirksame Verteidigung muss mit der Fähigkeit einhergehen, den Feind wirksam anzugreifen. Der schnelle Verbrauch von intelligenten Lenkwaffen, vor allem Drohnen, bestätigt die Notwendigkeit, die eigene Herstellung solcher Angriffsmittel zu entwickeln. Die russischen Kolonnen, die viele Tage lang in den Außenbezirken von Kiew und Charkiw standen und geradezu auf einen Schlag aus der Luft warteten, beweisen das. Ein erkannter und unbeweglicher Gegner, der nicht angegriffen wird, kann nur eines bedeuten: das Fehlen eigener Mittel zur Zerstörung. Das darf nicht passieren.

Die türkischen Drohnen Bayraktar TB2 haben sich auf Seiten der ukrainischen Streitkräfte hervorragend bewährt. Polen hat 24 Stück davon gekauft.

Lehre 14. Das zögernde Verhalten Deutschlands, das im Kriegsfall für Polen , wenn auch nicht politisch, so doch geografisch das wäre, was Polen für die Ukraine ist (das Haupttransitland für Kriegsmateriallieferungen), beweist, dass diese Hilfe Polen möglicherweise gar nicht oder nur unter Schwierigkeiten erreichen könnte. Polen muss daher über eigene Produktionskapazitäten für Grundausrüstung und Munition verfügen.

Der Küstenschutz

Die Versenkung des Raketenkreuzers „Moskwa“ zeigt wie wirksam die von den Küstenbatterien abgefeuerten Schiffsabwehrraketen sein können. Polen verfügt über solche Systeme und sollte sie ausbauen.

Lehre 15. Die Stützpunkte der russischen Ostseeflotte im Kaliningrader Gebiet und im Raum St. Petersburg sind leicht zu blockieren. Polen sollte im Einvernehmen mit Estland auch die Ausfahrt aus dem Finnischen Meerbusen mit zusätzlichen Schiffsabwehrraketensystemen schließen.

Die polnische Küstenverteidigung verfügt über eine mobile Batterie, ausgestattet mit norwegischen NSM-Seeziel-Marschflugkörpern mit einer Reichweite von bis zu 180 Kilometern.

Lehre 16. Die Reichweite polnischer Antischiffsraketen reicht aus, um Schiffe in den für Polen wichtigen Teilen der Ostsee zu treffen. Ein Problem bleibt die Erfassung von Zielen jenseits der Horizontlinie. Das kann man nur mit Hilfe von Satellitensystemen. Polen muss sich ein solches System zulegen. Es ist in jedem Fall für die effiziente Durchführung der meisten modernen Kampfhandlungen unverzichtbar.

Seit mehreren Jahren laufen die Vorbereitungen im Rahmen des „Orka“-Programms. Es sieht vor, dass Polen moderne U-Boote mit Langstrecken-Marschflugkörpern kauft, die Ziele tief in Russland treffen können. Sie werden als ein wichtiges polnisches Abschreckungsinstrument angepriesen.

Lehre 17. Angesichts der ukrainischen Erfahrungen erweist sich diese Anschaffung als sinnlos. Der Abschuss von ein paar Dutzend Raketen mit konventionellen Sprengköpfen durch polnische U-Boote wird Russland nicht sonderlich beeindrucken. Der enorme finanzielle Auffand stünde in keinem Verhältnis zu den Resultaten, wenn man bedenkt, dass der bereits erwähnte russische Abschuss von mehr als zweitausend solcher Raketen auf ukrainische Ziele im Endeffekt nicht viel Wirkung zeigte.

Satellitensystem und Drohnen

Das amerikanische Satelliten-Zielerfassungssystem spielt eine Schlüsselrolle wenn es um die Genauigkeit der ukrainischen Artillerie- und Drohnenangriffe geht. Dieses System ist derzeit nicht überlastet.

Lehre 18. Polen kann sich nicht darauf verlassen, dass das auch der Fall ist, wenn es angegriffen wird. Denn unter den Bedingungen eines Nato-weiten Koalitionskrieges wäre die Warteschlange derer, die das amerikanische System nutzen wollen, lang. Ein autonomes polnisches Satelliten-Zielerfassungssystem für die Bedürfnisse der polnischen Armee ist daher notwendig.

Zusammengefasst

Die polnische Armee muss zahlenmäßig in der Lage sein, langfristig das gesamte Staatsgebiet zu verteidigen und auf dem Gebiet der verbündeten Länder an der Ostflanke der NATO und der Ukraine zu operieren. Schließlich ist kaum anzunehmen, dass Russland Polen angreifen und gleichzeitig die Ukraine in Ruhe lassen wird. Der Schutz der Bevölkerung setzt voraus, dass die polnischen Streitkräfte in der Lage sind, das Ausmaß des Eindringens des Feindes, der in den besetzten Gebieten Vernichtungsaktionen durchführen wird, zu minimieren.

Die polnischen Streitkräfte müssen nicht nur eine russische Offensive stoppen können, bei der die Aktivitäten der Territorialen Verteidigungskräfte eine wichtige Rolle spielen werden, sondern auch fähig sein, vom Feind besetzte Teile des Landes zurückzuerobern und daher offensive Operationen von Einsatztruppen durchzuführen. Diese müssen in den Bereichen Führung, Kommunikation, Aufklärung, Zielerfassung und Gefechtsfeldkontrolle durch ein eigenes Satellitensystem unterstützt und kontinuierlich mit dem notwendigen Kriegsmaterial versorgt werden.

Lehre 19. Die von den Russen in der Ukraine begangenen Verbrechen erinnern auch an eine andere tragische Wahrheit, die seit Jahrhunderten bekannt ist: Im Falle einer russischen Aggression ist die Kapitulation keine Möglichkeit, das eigene Leben zu retten. Die einzige Überlebenschance ist der Kampf.

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