Das Wichtigste aus Polen 22.Dezember 2019 – 25.Januar 2020

Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Putins pseudohistorische Generaloffensive gegen Polen. Der Amok hat Methode ♦ Staatspräsident Andrzej Duda fährt nicht zu den Holocaust-Feierlichkeiten nach Jerusalem ♦ Justizreform. Ein neuer Höhepunkt der Auseinandersetzung. Worum geht es? ♦ Der neue Senatspräsident Tomasz Grodzki: Hochmut und Korruptionsvorwürfe.




Froh die einen, andere betreten. Kommen nach Polen US-Atomraketen?

Nach dem Scheitern des INF-Vertrages.

Die SPIEGEL ONLINE-Redaktion hat zu dick aufgetragen, als sie am 1. Februar 2019 titelte: „Polens Auβenminister fordert US-Atomraketen in Europa“. Warschau schob kurz darauf eine Klarstellung nach: der Minister habe in dem SPIEGEL-Gespräch die Stationierung nicht gefordert, sondern „nicht ausgeschlossen“. Die Hamburger Redaktion besserte umgehend nach. Doch so oder so, die Frage, ob es in Polen schon bald US-Atomraketen geben wird bleibt bestehen.

Die Verstöβe Russlands gegen und daraufhin der Ausstieg der USA aus dem Washingtoner Abkommen über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) am 1. Februar 2019, haben jedenfalls eine Kette von Ereignissen in Bewegung gesetzt, die zur Stationierung amerikanischer Nuklearwaffen in Polen führen könnten.

US-Präsident Reagan (r,) und der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow (l.) unterzeichnen den INF-Vertrag im Weißen Haus am 8. Dezember 1987.

Das zu Grabe getragene amerikanisch-sowjetische (russische) INF-Abkommen vom Dezember 1987 galt als ein Meilenstein in Sachen Abrüstung und Rüstungskontrolle. Nach siebenjährigen Verhandlungen haben sich damals Amerikaner und Russen verpflichtet, alle bestehenden landgestützten Flugkörper kürzerer, beziehungsweise mittlerer Reichweite (500 bis 5.500 Kilometer) zu vernichten sowie keine neuen herzustellen und zu testen.

Briefmarke der sowjetischen Post von 1987 aus Anlass der INF-Vertragsunterzeichnung.

Mobil, genau, verheerend

Gerade die landgestützten Marschflugkörper gelten als besonders gefährlich. Ihr Start ist schwieriger auszumachen als Abschüsse von Flugzeugen oder Schiffen. Auf geländegängigen Lkw montiert, mit einem nuklearen Gefechtskopf versehen, steuert sich der Lenkflugkörper selbst ins Ziel und fliegt dabei in einer Höhe zwischen fünfzehn und hundert Metern so niedrig, dass er nur schwer vom gegnerischen Radar erfasst werden kann.

Abgefeuert werden können auch taktische ballistische Mittelstreckenraketen, die mit bis zu siebenfacher Schallgeschwindigkeit auf eine Höhe von bis zu fünfzig Kilometern gebracht werden, ehe sie in der absteigenden Flugphase das Ziel punktgenau anpeilen. In beiden Fällen sind sie blitzschnell am Ziel. Den Verteidigern bleiben lediglich Minuten, um sie zu vernichten.

Vertragsgemäβ haben bis Mai 1991 die Amerikaner 846 ihrer Pershing- und Gryphonraketen, die Russen 1.846 ihrer SS-4, SS-5, SS-20 und SS-22 Raketen zerstört. Die Franzosen folgten 1996 diesem Beispiel. Zum ersten Mal wurden keine Obergrenzen festgelegt. Stattdessen hat man eine ganze Waffenfamilie aus Europa verbannt und das mit wirksamen Kontrollverfahren verbunden, die im Mai 2001 endeten.

Russland steigt aus

Putin am 10. Februar 2007 während seiner berüchtigten Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

Die Idylle dauerte jedoch nicht lange. Nach der Machtübernahme Wladimir Putins im Jahr 2000 begann Russland die INF-Verträge in Frage zu stellen. Vor allem, so hieβ es, weil Staaten wie China, Indien, Pakistan, Nordkorea oder Israel über diese Raketen verfügen. INF befriedige nicht mehr die Interessen Russlands. „Es ist offensichtlich, dass wir unter diesen Bedingungen darüber nachdenken müssen, unsere eigene Sicherheit zu gewährleisten“, so Putin am 10. Februar 2007 in seiner berüchtigten Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

Zudem gefielen den Russen die US-Pläne nicht, ein europäisches Raketenabwehrprogramm mit SM-3-Block-IIA-Raketen und X-Band-Radaren in Tschechien und Polen umzusetzen. Es sollte zwar ein Schutzschild gegen eventuelle Angriffe von Langstreckenraketen aus dem Iran und Nordkorea sein, aber Moskau gab vor, dem nicht zu trauen.

Aus amerikanischer- und Nato-Sicht hatte Moskau bereits Anfang der 2000er-Jahre beschlossen, den Vertrag auszuhöhlen, um erneut ein nukleares Drohpotential in Mitteleuropa aufzubauen. Schon 2013 bemühten sich die Amerikaner, auch Präsident Obama persönlich, die Russen von ihrem Vorhaben abzubringen. Wie leider üblich, so Dan Coats, Direktor der nationalen Nachrichtendienste im Januar 2018, „leugneten die Russen ihre Versuche. Sie gaben die Existenz des Marschflugkörpers erst dann zu, als wir ihnen zum Beweis die russische Bezeichnung des Geräts, 9M729, auf den Tisch gelegt haben“.

Startvorbereitungen einer Iskander-Rakete.

Im Juli 2014 machte das US-Verteidigungsministerium publik, Russland habe landgestützte Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometern getestet und damit gegen das Verbot verstoßen. Medienberichten zufolge handelte es sich um 9K720 Iskander-K. Dieser Typ wurde erstmals bereits 2007 erprobt.

Im Februar 2017 hieβ es aus Washington, Russland habe den INF-Vertrag gebrochen, indem es Mittelstreckenraketen nicht nur herstelle und teste, sondern bereits zwei aktive Bataillone seiner Streitkräfte damit ausgerüstet habe. Die Waffen seien von Startvorrichtungen auf Lastwagen aus einsetzbar.

Apokalyptische Bedrohung für Polen

Seit Juni 2018 sind Iskander-M-Abschussvorrichtungen mit ballistischen 9M723-Raketen bei Tschernjachowsk/ Insterburg im Gebiet Kaliningrad stationiert. Ihre Reichweite beträgt mindestens 700 Kilometer. Mit siebenfacher Schallgeschwindigkeit erreichen sie jedes Ziel in Polen in spätestens drei bis vier Minuten. Das amerikanische Flugabwehrsystem Patriot ist weitgehend machtlos gegen sie.

Noch heikler wird die Lage werden, sollten die Russen ihre Drohung wahr machen und die Iskander-K-Abschussvorrichtungen mit ballistischen 9M729-Raketen in die Gegend von Kaliningrad verlegen. Mit ihrer Reichweite können sie jede beliebige Stadt in Westeuropa, mit Ausnahme Portugals, einäschern.

Für Polen ergibt sich daraus eine geradezu apokalyptische Bedrohung. Das in eine Atomartilleriefestung verwandelte Kaliningrader Gebiet erlaubt den Russen, Polen in eine atomare Todeszone zu verwandeln. Sie soll Russland wirksam von den übrigen Nato-Staaten trennen und diese Staaten davon abhalten eine Gegenoffensive zu starten.

Das INF-Ende läutet eine neue Runde im atomaren Rüstungswettlauf ein. Die Amerikaner werden sehr schnell neue Kurz- und Mittelstreckenraketen haben und sie in Europa stationieren wollen. Dass es sich dabei um eine wirksame Abschreckungsmethode handelt, beweist die Entstehungsgeschichte des INF-Vertrages. Moskau sah sich erst genötigt ihn zu unterschreiben, nachdem die USA 1983 ihre Preshing-2 Flugkörper, wider den gigantischen Proteststurm der „Friedensbewegung“, nach Westeuropa gebracht hatten.

So wird es wahrscheinlich auch dieses Mal sein. Doch wohin mit den neuen US-Kurz- und Mittelstreckenraketen? Polen wird einer der ersten Staaten sein, bei denen Washington nachfragen dürfte.

Was spricht für ein polnisches „Ja“?

Ein russischer Angriff auf die Abschussvorrichtungen in Polen, egal ob atomar oder konventionell, würde einen sofortigen Nato-Vergeltungsschlag nach sich ziehen. Ohne Nato-Raketen in Polen könnten Russlands Kriegsplaner dem Trugschluss erliegen, die Nato werde keinen Atomkonflikt für Polen riskieren, auch wenn sie in dem Land Stützpunkte unterhält und diese verloren geben müsste.

Testabschuss einer Iskander-Rakete.

Oder wäre es gar kein Trugschluss? Ein konventioneller russischer Blitzangriff aus dem Stand, die schnelle Einnahme der baltischen Staaten und Polens bis zur Weichsel, bevor sich die Nato zu einer Gegenoffensive aufrafft, sind ein Szenario, das in den russischen Stäben immer wieder durchgespielt wird. Unmittelbar darauf folgen, soll ein öffentlichkeitswirksames Ultimatum Moskaus: eine Nato-Gegenoffensive zur Befreiung der besetzten Gebiete werde einen russischen atomaren Angriff auslösen.

Man kann sich leicht den ungeheuren Druck der westeuropäischen Öffentlichkeit vorstellen mit Moskau zu verhandeln und die Nato-Ostflanke lieber den Russen zu überlassen. Umfragen sprechen da eine deutliche Sprache: knapp sechzig Prozent der Deutschen sind strikt dagegen, östlichen Bündnismitgliedern wie Estland, Polen oder Lettland militärisch beizustehen, wenn sie von Russland angegriffen werden.

So gesehen, würde die Stationierung amerikanischer Atomraketen in Polen die Hemmschwelle gegen einen russischen Angriff deutlich anheben. Stärke schreckt ab, Schwäche (siehe Georgien 2008, Ukraine – Krim 2014 und Donbass seit 2014) verleitet die russische Politik traditionell zur Gewaltanwendung.

Wird es zu einer Stationierung kommen? Sollte sie aufgrund eines gemeinsamen Nato-Beschlusses erfolgen, dürfte es schwierig werden. Vor allem ist ein vehementer Widerstand aus Deutschland geradezu vorprogrammiert.

© RdP




Das Wichtigste aus Polen 11. – 24. März 2018. EU, Deutschland, Russland. Aussenpolitik auf dem Prüfstand

 

Kommentator Prof. Marek Cichocki und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦  Polens neuer Auβenminister Jacek Czaputowicz im Sejm zum Stand der Auβenpolitik ♦ EU der Vaterländer Polens erklärtes Ziel, ♦ EU-Sanktionen gegen Polen wegen angeblich fehlender Rechtsstaatlichkeit wird es nicht geben. ♦ Maas und Merkel in Warschau. Polen-Deutschland: alte Streitpunkte bleiben, neue Sachlichkeit im Dialog kommt. ♦ Polen-Russland: keine Annäherung in Sicht. ♦ Trumps neue Zölle und wie Polen darauf reagieren sollte.




Das Wichtigste aus Polen 19. November – 9. Dezember 2017

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die  wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Der Wechsel an der Regierungsspitze. Die populäre und erfolgreiche Beata Szydło musste gehen wird aber weiterhin in der ersten Liga der polnischen Politik wirken. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki: ein herausragender Wirtschaftsprofi soll den nationalkonservativen Umbau Polens zu neuen Erfolgen führen.  ♦ Wie sich Polen nach und nach aus der Energieabhängigkeit von Russland befreit. Amerikanisches Flüssiggas hilft dabei. ♦ Jamaika wäre für Polen besser. Mit der GroKo und „Polenschreck“ Martin Schulz in der Regierung sind weitere deutsch-polnische Spannungen bereits vorprogrammiert.




Das Wichtigste aus Polen 23. Juli – 5. August 2017

Kommentatorin Olga Doleśniak-Harczuk und Janusz Tycner diskutieren die  wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Das Veto des Staatspräsidenten bremst die Justizreform aus. Reformbefürworter und Reformgegner mit den angekündigten eigenen Gesetzesvorlagen zufriedenzustellen gleicht fast dem Versuch die Quadratur des Kreises zu lösen. Duda traut es sich zu. Man darf gespannt sein. ♦ Veto hin, Veto her, die EU droht wie immer mit Sanktionen. ♦ Auch Moskau will Polen mit Sanktionen belegen und zwar wegen des geplanten Abbaus der noch verbliebnenen sowjetischen Heldendenkmäler ♦ Brüssel und Moskau drohen, die Geburtenrate steigt.




Wohin marschiert die polnische Armee

Stärke braucht Geld und Geist.

Der stornierte Kauf von französischen Caracal-Hubschraubern, die Schaffung der Territorialverteidigung, personelle Veränderungen in der Armeeführung. Wenn überhaupt, dann wissen deutschsprachige Medien nur Negatives über die Verteidigungspolitik der nationalkonservativen polnischen Regierung zu berichten. Wie aber ist deren eigene Sicht der Dinge?

Der stellvertretende polnische Verteidigungsminister Bartosz Kownacki (fonetisch Kownatski) hat sich den Fragen des Wochenmagazins „wSieci“ („imNetztwerk“) vom 18.06.2017 gestellt.

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Stellv. Verteidigungsminister Bartosz Kownacki.

Kownacki (Jahrgang 1979) ist von der Ausbildung her Jurist, er leitete zwischen 2003 und 2005 seine eigene Anwaltskanzlei in Warschau, arbeitete 2005 – 2007 beim Militärischen Abschirmdienst und 2007 – 2010 in der Kanzlei von Staatspräsident Lech Kaczyński. Er ist seit 2011 Abgeordneter (2015 wiedergewählt) von Recht und Gerechtigkeit im Sejm und war bis zu seiner Berufung ins Verteidigungsministerium im parlamentarischen Verteidigungsauschuss tätig.

Vor einigen Wochen sagte Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, Polen werde erst in etwa zehn bis zwölf Jahren in der Lage sein sich selbst zu verteidigen. Wie darf man das verstehen?

Wir sind heute in einer sehr schwierigen Lage, sowohl was unsere geostrategische Situation angeht, wie auch den Zustand der polnischen Streitkräfte. Auf den ersten Umstand haben wir kaum Einfluss, aber auf den zweiten sehr wohl. Allerdings lassen sich die Modernisierung und die Instandsetzung der Armee nicht in wenigen Monaten bewerkstelligen, nicht einmal in einer Legislaturperiode. Da kann man nur mit der Arbeit beginnen. Die Zerstörung, die Auflösung einer Armee hingegen, geht viel einfacher vonstatten. Es genügt das Gros der Soldaten zu entlassen, die Ausrüstung zu entsorgen und die Kasernen zu verkaufen.

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Verteidigungsminster Antoni Macierewicz.

Wie ist die Regierung der Bürgerplattform unter Donald Tusk zwischen 2007 und 2015 mit der Armee umgegangen?

Ein bitterer Witz aus jener Zeit lautet: „Wozu braucht Tusk die Armee? Zum Sparen!“ Die Streitkräfte wurden in dieser Zeit systematisch beschnitten und in einen Beamtenapparat verwandelt.

Erstes Beispiel: die rigorose Entlassung aller Zeitsoldaten nach nur zwölfjähriger Dienstdauer, damit sie in Zukunft keine direkten Armee-Rentenansprüche erwerben (die Renten von ehemaligen Armeeangehörigen werden in Polen nicht aus der Sozialversicherungskasse sondern aus dem Verteidigungshaushalt gezahlt – Anm. RdP). Es handelte sich dabei meistens um Soldaten und Unteroffiziere im Alter zwischen 32 und 35 Jahren, oft mit sehr großer praktischer Erfahrung, und nicht selten hat ihre Ausbildung viel Geld gekostet. Aber es gab kein Pardon, sie mussten gehen.

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Ehem. Ministerpräsident Donald Tusk brauchte die Armee zum Sparen.

Das haben wir bereits im Januar 2016 durch ein Gesetz geändert. Wäre das nicht geschehen, hätten im Jahr 2016 knapp eintausend Soldaten die Armee verlassen müssen, 2017 wären es schon  tausendzweihundert, 2018 – tausendneunhundert, 2020 – siebentausendachthundert, 2021 – dreitausendfünfhundert und im Jahr 2022 – noch einmal dreitausenddreihundert Soldaten gewesen.

Zweites Beispiel: wir haben durchgesetzt, dass, wenn Fachstellen (Juristen, Programmierer usw.) mit niedrigeren Diensträngen besetzt werden, diese Leute, wenn nötig, wie ein Oberleutnant oder Oberst bezahlt werden können, ohne dass man sie befördern muss. Bis jetzt war das nicht möglich, und so haben wir ein Verteidigungsministerium vorgefunden, in dem allein gut siebenhundert Oberste arbeiteten.

Generell hat unsere Armee viel zu viele „Häuptlinge“, und die Tusk-Regierung hat acht Jahre lang nicht nur nichts dagegen unternommen sondern diesen Zustand noch verstärkt. Ungefähr vierzehntausend Offiziere, ca. zweiunddreißigtausend Unteroffiziere und etwa achtunddreißigtausend Schützen gibt es heute in der polnischen Armee, d. h. auf einen Kommandeur entfallen 0,9 Soldaten. Vor dem Zweiten Weltkrieg war das Verhältnis 1 : 4, in der US-Armee beträgt es heute 1 : 5.

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Auf einen Unteroffizier und Offizier entfällt weniger als ein Soldat.

Eine weitere Katastrophe wurde durch die überstürzte Abschaffung der Wehrpflicht im Sommer 2008 ausgelöst. Man kann sich das kaum vorstellen, aber zwischen 2009 und 2014 wurden in Polen keine Reservisten mehr zu Übungen einberufen! Als dann die Russen die Krim besetzten und der Konflikt in der Ostukraine ausbrach, bekamen unsere Vorgänger plötzlich kalte Füße und haben im Oktober 2014 auf einmal begonnen über vierzigtausend Altreservisten aus der Wehrpflichtzeit vor 2008 einzuberufen, was in einem Chaos endete.

Polen solle eine „Berufsarmee“ bekommen, das hatte Tusk seinen Wählern versprochen, doch die entsteht nicht automatisch mit der vorschnellen Abschaffung der Wehrpflicht. Der Wechsel kam abrupt, es wurde nicht mehr Geld zur Verfügung gestellt, obwohl eine Berufsarmee deutlich teurer ist als eine Armee aus Wehrpflichtigen. Im Gegenteil, es hieß, jetzt könne man erst recht sparen. Und so bekamen wir an den meisten Standorten einen Fehlstand von bis zu sechzig Prozent, also wahre „Geistereinheiten“, die nur auf dem Papier einen Kampfwert hatten. Zudem wurden Standorte reihenweise geschlossen. Liegenschaften des Militärs fielen oft genug einer Raubprivatisierung zum Opfer. Auf die Moral der Truppe wirkte sich das alles verheerend aus.

Die Armee als fünftes Rad am Wagen?

So kann man das auch beschreiben. Wozu eine Armee, wenn es keine Bedrohung mehr gibt für Polen? Der russische Krieg gegen Georgien von 2008 war gerade vorbei, als unsere Vorgänger ihr neues wehrpolitisches Credo vorstellten. Sie glaubten wirklich an den guten Willen Moskaus und daraus ergab sich ihr unverantwortliches Handeln. Außenminister Radosław Sikorski plädierte sogar für die Aufnahme Russlands in die Nato.

Die Jahresetats für Modernisierung von Bewaffnung und Ausrüstung wurden regelmäßig nicht ausgeschöpft. Dann haben unsere Vorgänger in den letzten Jahren ihres Amtierens ein gewaltiges Modernisierungsprogramm für die Armee im Wert von 300 Milliarden Zloty (ca. 72 Mrd. Euro – Anm. RdP) aufgestellt. In Wirklichkeit standen ihnen jedoch nur 70 Milliarden Zloty zur Verfügung (ca. 17 Mrd. Euro – Anm. RdP). Es endete damit, dass die damalige Regierung begann von allem ein bisschen was zu beschaffen.

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Die Armee wurde so lange verkleinert bis man mit allen Angehörigen der Landstreitkräfte nicht einmal das Warschauer Nationalstadion mit knapp 60.000 Plätzen füllen konnte.

Während die einsatztaugliche Truppe schrumpfte, wuchs gleichzeitig der bürokratische Wasserkopf der Armee. Im Jahr 2014 konnte man mit allen Offizieren und Soldaten der polnischen Landstreitkräfte nicht einmal das neue Nationalstadion in Warschau mit seinen knapp sechzigtausend Sitzplätzen füllen, und das in einem Land mit 38 Millionen Einwohnern.

Verteidigungsminister Antoni Macierewicz wird vorgeworfen, er hätte verdiente und kompetente oberste Armee-Kommandeure rigoros gefeuert und durch ihm ergebene, inkompetente Offiziere ersetzt, um sich die Armee gefügig zu machen.

Zwischen dem 16. November 2015 als Antoni Macierewicz das Ministerium übernahm und dem 31. Januar 2017 sind 34 Generäle und 47 Oberste aus dem Dienst ausgeschieden. Einige wegen familiären und gesundheitlichen Problemen. Einige, weil sie das Rentenalter erreicht haben. Einige, weil sie sich die Zusammenarbeit mit uns nicht vorstellen konnten, und einigen haben wir den Abschied nahegelegt.

In den letzten beiden Gruppen waren ganz gewiss auch gute Fachleute mit guten Kontakten zur Nato. Doch sie haben die Zustände, die ich geschildert habe, entweder schweigend mitgetragen oder gar mitverursacht. Das war keine gute Empfehlung für die Zusammenarbeit mit uns.

Von Inkompetenz ihrer Nachfolger kann keine Rede sein. Alle weisen die erforderlichen Qualifikationen vor, viele haben zudem Kommandeurskurse und Studiengänge in den USA und anderen Nato-Staaten belegt. Das Adjektiv „ergeben sein“ würde ich durch das Adjektiv „loyal“ ersetzen. Nur mit Kommandeuren, die generell unsere Vorstellungen teilen und unsere Vorhaben mittragen, können wir die Armee instand setzen und modernisieren.

Es heißt, bei einem konventionellen Angriff auf Polen stünden russische Einheiten innerhalb von 36 Stunden vor Warschau.

Ja, noch vor zwei Jahren war das sehr wahrscheinlich. Unsere Landstreitkräfte bestanden damals aus dreizehn Brigaden. Jede kann wirksam einen Abschnitt von maximal fünfzehn Kilometern verteidigen. Das macht insgesamt knapp zweihundert Kilometer aus, aber unsere Ostgrenze ist tausendzweihundert Kilometer lang!

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Steht die russische Armee innerhalb von zwei Tagen vor Warschau?

Hinzu kommt, dass es damals auf dem riesigen Nato-Gebiet zwischen Estland und Bulgarien, also in zehn Nato-Frontstaaten, weit und breit keine amerikanischen oder anderen westlichen Nato-Truppen gab, auβer einigen Stäben und Ausbildungszentren. Die Nato-Kampfverbände erschienen nur ab und an zu Übungen. Bis etwa 2010 hatte die Nato nicht einmal Verteidigungspläne für den östlichen Teil des Bündnisses. Unsere Nato-Mitgliedschaft war damals eine fast rein politische.

Was die Tusk-Regierung hinsichtlich der Armee betrieb, war auch deswegen ein Spiel mit dem Feuer. Russland hat seit dem Machtantritt Putins im Jahr 2000 seine Armee völlig umgekrempelt und gewaltig modernisiert. Sie ist heute in der Lage, aus dem Stand, Blitzangriffe vorzunehmen und z. B. die baltischen Staaten oder Teile von Polen im Handstreich zu erobern, bevor sich die Nato für einen Gegenschlag entschließt. Und dann käme aus Moskau die Warnung, dass jeder Versuch der Nato diese Gebiete zu befreien mit einem russischen Atomschlag beantwortet werde.

Man kann sich leicht vorstellen, wie westliche Politik und Öffentlichkeit, vor allem in Deutschland, reagieren würden: Ein Atomkrieg wegen des Baltikums oder Polens? Niemals! Lasst uns verhandeln, man muss „die legitimen Interessen Russlands berücksichtigen“ usw., usf. Wie mit der russischen Annexion der Krim, würde man sich schnell auch mit der russischen Annexion des Baltikums und/oder Polens abfinden.

Nato-Gipfel in Warschau. Briefmarke von 2016.

Zum Glück hat sich das seit den Nato-Gipfeln in Newport (2014) und vor allem in Warschau (2016) grundlegend geändert. US-Truppen sind in Ostmitteleuropa, auch in Polen, stationiert und das bedeutet: ein Angriff auf Polen ist auch ein direkter Angriff auf amerikanische Streitkräfte. Das senkt die russische Risikobereitschaft erheblich.

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Nato-Gipfel in Warschau Juli 2016.

Was kann und sollte Polen also im Falle eines russischen Angriffs tun?

Wir müssen fähig sein den Angreifer bis zu zwei Wochen lang selbst aufzuhalten, damit die Nato-Verbündeten Zeit haben uns zur Hilfe zu kommen. Und dabei kann es sich nicht um die Verteidigung eines umzingelten Warschaus handeln, sondern das Ganze muss sich deutlich weiter im Osten abspielen. Schafft es der Gegner Warschau schnell zu erobern, dann kann er eine ihm genehme Regierung einsetzen und die Friedensbedingungen diktieren. Riskiert er langwierige Kampfhandlungen, ohne den Durchbruch zu erlangen, wächst für ihn das Risiko erheblich. Deswegen ist auch die Schaffung der Territorialverteidigung, die wir jetzt vornehmen so wichtig.

Eine Armee so groß und so stark wie die russische werden wir nie haben.

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Polnische Truppen im Irak.

Natürlich nicht, brauchen wir auch nicht. Unsere Vorgänger haben jedoch lange Zeit behauptet, Polen muss eine reine Expeditionsarmee haben, die unsere Verbündeten in Auslandsmissionen unterstützt.

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Polnische Truppen in Afghanistan.

So hat man das auch in Deutschland lange Zeit in Bezug auf die Bundeswehr gesehen. Mit heute beklagenswerten Folgen für die dortige Armee.

Expeditionsarmee: also kaufte man hier ein paar Hubschrauber, da gepanzerte Patrouillenfahrzeuge usw., was man gerade im Irak, in Afghanistan, in Mali so brauchte. Doch wenn es darauf ankommt unser Land zu verteidigen, werden Fähigkeiten und Ausrüstung, die zur Guerillabekämpfung taugen, kaum von Wert sein.

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Polnische Truppen in Mali.

Wir brauchen also eine ganz andere Bewaffnung und Ausrüstung. Wir müssen vor allem eine gute Aufklärung haben. Wieder ein Beispiel: die Tusk-Verwaltung hat gute Zielflugkörper-Küstenverteidigungsbatterien in Norwegen gekauft, aber sie können nur bedingt auf größere Distanz erkennen, was sich da unseren Grenzen nähert, weil ihr Radar nicht ausreichend ist.

Satelliten, Aufklärungsflugzeuge, Drohnen – das müssen unsere Prioritäten sein. Außerdem die sehr vernachlässigte Flugabwehr und schließlich die Möglichkeit, dem Gegner einen schweren Schlag auf seinem eigenen Gebiet zuzufügen. Dazu brauchen wir Schiffe und Flugzeuge mit Marschflugkörpern. Wir wollen weder Moskau noch ein anderes Stück von Russland erobern, aber sollten wir angegriffen werden, dann soll sich der Angreifer auf seinem Territorium nicht sicher fühlen.

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Caracal-Hubschrauber. Kauf storniert.

Gerade ist die Strategische Verteidigungs-Bestandsaufnahme abgeschlossen worden. Können wir sagen: der Weg hin zu einer leistungsfähigen, wirksamen Armee ist klar vorgezeichnet, wir wissen was wir wollen?

Wir haben in dieser Bestandsaufnahme festgelegt, was dringend notwendig ist und was erst einmal warten kann. Hinzu kommt die Erhöhung der Verteidigungsausgaben.

Werden es 2018 mehr als zwei Prozent des Bruttosozialproduktes sein?

Im nächsten Jahr bleibt es noch bei den zwei Prozent. Im Jahr darauf, 2019, soll eine Erhöhung auf 2,2 Prozent folgen, und bis 2030 wollen wir bei 2,5 Prozent ankommen.

Wie stark soll die polnische Armee sein? Zweihunderttausend Soldaten? Mehr?

Zweihunderttausend, die Territorialverteidigung mit eingeschlossen, das ist ein vernünftiges Minimum. Der jetzige Koeffizient der Zahl von Soldaten pro eintausend Einwohner platziert uns ziemlich weit unten in der europäischen Tabelle, dort wo sich Staaten befinden, die von anderen Nato-Ländern umgeben sind. Wir dagegen sind ein Frontstaat des Bündnisses. Wir reden also hier von einer Rückkehr zur Normalität, was sie Stärke unserer Armee angeht und nicht von irgendwelchen Hirngespinsten.

Sie sprachen davon, dass eine Vielzahl an neuer Bewaffnung und Ausrüstung angeschafft werden muss. Doch ihre politische Mannschaft hat gleich zu Beginn ihrer Amtsführung den Kauf der französischen Caracal-Hubschrauber storniert.

Erstens. Unsere Vorgänger haben den Kauf unmittelbar vor den Wahlen vereinbart. Uns aber haben sie die Verhandlungen über die Gegenleistungen des französischen Partners überlassen. Die Franzosen sprachen in den Medien viel von angeblich sechstausend neuen Arbeitsplätzen, die sie in Polen schaffen wollten, in einem Gegenwert von Milliarden von Euro. Nicht unser Verteidigungsressort sondern das Wirtschaftsministerium hat mit ihnen knapp ein Jahr lang darüber verhandelt. In Wirklichkeit wollten die Franzosen im jetzigen Hubschrauber-Reparaturwerk in Łódź ihre Maschinen aus angelieferten Fertigmodulen zusammenschrauben. Dazu brauchten sie nicht mehr als fünfhundert Leute. Sie gingen wohl davon aus, Polen werde es nicht wagen die Bestellung zu stornieren.

Zweitens. Der schwere Caracal-Hubschrauber sollte, in abgewandelter Form, als Transporthubschrauber dienen, als Marinehubschrauber zur Bekämpfung von U-Booten, als Rettungshubschrauber zur Evakuierung von Verwundeten, als Transportmittel für Spezialeinheiten bei ihren Operationen usw. Das konnte nicht gut gehen.

Auch bei der französischen Armee ist der Caracal nicht gerade ein Renner: etwa zwanzig Maschinen hat sie seit 2005 gekauft. Die Bundeswehr keine einzige, obwohl er von der französisch-deutschen Unternehmensgruppe Airbus Helicopters hergestellt wird. Unsere Vorgänger wollten gleich fünfzig Stück für einen extrem hohen Preis von knapp 14 Milliarden Zloty (knapp 3,4 Mrd. Euro) kaufen.

Drittens. Wir haben in Polen zwei Hubschrauberfabriken, geführt von zwei großen internationalen Konzernen, die viel investiert haben und etwa fünftausend Mitarbeiter beschäftigen. Diese Betriebe müssten ihre Produktion drastisch drosseln oder sogar schließen.

Viertens. Unsere jetzigen Hubschrauber können wir noch bis 2035 nutzen. Das sind die sowjetischen oder bei uns nachgebauten sowjetischen Modelle Mi-8, Mi-17, Mi-2 und W-3. Die Sache ist also nicht ganz so dringend.

Fünftens. Statt einem schweren Einheitshubschrauber brauchen wir Maschinen, die am besten die Aufgaben meistern, für die sie bestimmt sind.

Fazit. Unsere Vorgänger haben eine falsche Entscheidung getroffen. Es gab mindestens fünf gewichtige Gründe diesen chaotischen Kauf nicht zu tätigen.

Bei solchen großen Modernisierungsprogrammen sind riesige Gelder im Spiel, begleitet von heftigem Lobbyismus. Bei dem Caracal-Geschäft war der Druck gewaltig. Es hieß „Polen isoliere sich in der EU“ (Deutschlandfunk), „Polens rechtskonservative Regierung unter der PiS-Partei verliert sämtliche Sympathien im Ausland.“ („Handelsblatt“) usw., usf. Ein Teil der polnischen Medien verhielt sich genauso.

Der Lobbyismus ist wahrlich heftig. Zielpersonen sind oft unsere Parlamentarier, aber noch mehr macht er sich in den Medien bemerkbar. Zuerst kommen die Berichte, die das Fehlen irgendwelcher Waffen oder Ausrüstungen anmahnen, oder dass sie veraltet sind, dann werden konkrete Produkte vorgestellt und eine Kampagne beginnt, sie anzuschaffen. Manche Medien verhalten sich wie Handelsvertreter der Rüstungskonzerne.

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„Moderne Ausrüstung der polnischen Armee“. F-16 US-Mehrzweckkampfflugzeug. Briefmarke der Polnischen Post von 2013.

Wann werden all die Anschaffungen, die sie vorhaben, sich zu einem Ganzen zusammenfügen und einen richtigen qualitativen Sprung in der polnischen Verteidigungsfähigkeit bewirken?

Das ist ein Prozess. Auf die neuen U-Boote, die wir dringend brauchen, werden wir fünf, sechs Jahre warten müssen. So lange dauert der Bau. Für die Flugabwehr benötigen wir mindestens acht Batterien von Mittelstrecken-Flugabwehrraketen zur Bekämpfung von Flugzeugen, Marschflugkörpern und taktischen ballistischen Mittelstreckenraketen. Sie zu bauen dauert auch seine Zeit.

(Das Interview wurde einige Tage vor dem Besuch von US-Präsident Donald Trump am 6. Juli 2017 geführt. Ein Tag zuvor, am 5. Juli 2017, fand in Washington ebenfalls noch die Unterzeichnung eines polnisch-amerikanischen Vorvertrages statt, Polen wird in den USA die ersten zwei Batterien von Patriot-Flugabwehr-Mittelstreckenraketen der neuesten Generation  kaufen. Diese sollen bis 2023 einsatzbereit sein – Anm. RdP).

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„Moderne Ausrüstung der polnischen Armee.“ Radkampfpanzer „Rosomak“ („Bärenmarder“) in finnischer Lizenz in Polen gebaut. Briefmarke der Polnischen Post von 2013.

Außerdem, man kann keine Verträge über Millionen oder Milliarden von Euro hastig verhandeln. Wir müssen unser aller Geld schonen, erst nach harten Verhandlungen ausgeben, sonst haben nur Lobbyisten und die Rüstungskonzerne etwas davon. Wir müssen auch gewährleisten, dass im Zuge der Großeinkäufe moderne Technologien nach Polen kommen und Arbeitsplätze entstehen. Hätten wir, wie unsere Vorgänger, acht Jahre lang regiert, dann wäre der Modernisierungsprozess bereits weit gediehen. Doch schon gegen Ende unserer ersten Amtsperiode, 2019, wird vieles gemacht sein. Dann wird man von uns Rechenschaft einfordern können.

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„Moderne Ausrüstung der polnischen Armee.“ Minenräumbefehlsboot „Konteradmiral Xawery Czernicki.“ Briefmarke der Polnischen Post von 2013.

Wieviel von den Einkäufen wird das Verteidigungsministerium in polnischen Firmen vornehmen?

Soviel wie möglich. Die staatlichen Rüstungsfirmen, zusammengefasst im Rüstungskonzern Polska Grupa Zbrojeniowa SA (Polnische Rüstungsgruppe AG – Anm. RdP) und unsere Privatfirmen verfügen über ein sehr großes Potential. Wir brauchen nicht immer das Modernste. Es reicht oftmals aus, gutes Gerät zu einem guten Preis zu kaufen.

Auf den Straßen begegnet man heutzutage kaum noch Soldaten. Gibt es so wenige von ihnen oder ziehen sie sich um, wenn sie vom Dienst in die Öffentlichkeit gehen?

Ja, die Soldaten ziehen sich um, wenn sie aus den Kasernen gehen. Mir fällt es schwer das nachzuvollziehen, denn für mich ist das Recht eine Uniform zu tragen sehr prestigeträchtig. Mir, als einem zivilen, politischen Beamten steht dieses Recht nicht zu. Polnische Soldaten genossen in der langen Geschichte unseres Landes ein hohes Ansehen. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde die Armee regelrecht schlecht geredet.

Eine der wichtigsten Errungenschaften von Verteidigungsminister Macierewicz ist die, dass es ihm gelang die Moral der Truppe deutlich zu verbessern.

Zu dem Thema empfehlen wir auch folgende Beiträge:

Pausenlose Feindberührung. Die Cyberverteidigung der polnischen Armee

Blanke Ostflanke

Des Hauses Schwelle eine Festungswehr

»Leo« Polski 

RdP




Der gute Mensch vom KGB

Am 18. April 2017 starb Oleg Sakirow.

Der Gefallen, den die polnische Korrespondentin Krystyna Kurczab-Redlich dem polnischen Generalkonsul in Moskau, Michał Żórawski erwies, sollte weitreichende Folgen haben. Anfang 1990 war eine Nachricht bis zur polnischen Botschaft in Moskau durchgedrungen: ein KGB-Offizier forsche in Smolensk auf eigene Faust nach Spuren und Tätern, die zwischen April und Mai 1940 im nahegelegenen Ort Katyn, einige Tausend gefangene polnische Offiziere umgebracht hätten.

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Polnischer Konsul Michał Żórawski (1939-2012)

Der Konsul bat daraufhin die KGB-Dienststelle in Smolensk um einen Gesprächstermin mit dem Offizier, doch das Ersuchen wurde abgelehnt. Was ein Diplomat nach einer solchen Ablehnung nicht tun sollte, es sei denn, er möchte wegen inoffizieller Kontaktaufnahme mit Sicherheitsbeamten des Gastlandes oder möglicherweise auch wegen Spionage ausgewiesen werden, ist für eine recherchierende Journalistin allemal von Interesse. Und so stand die polnische Korrespondentin gegen Mitternacht, irgendwann im Mai 1990 vor der Wohnungstür in der Stroitelnaja Straße 15. Die Tür öffnete Oleg Sakirow, damals noch KGB-Major.

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Korrespondentin Krystyna Kurczab-Redlich .

Gesucht, gefunden, gefeuert

Zurück in Moskau, konnte Kurczab-Redlich dem Konsul Erstaunliches berichten. Der aufsässige KGB-Major hatte im Smolensker KGB-Archiv, in das er eigentlich abgeschoben worden war, Dokumente aus dem Jahr 1940 gefunden mit den Namen von NKWD-Beamten (Vorläufer des KGB), die an den Erschießungen der Polen in Katyn beteiligt waren. Einige von ihnen lebten noch.

Da war z.B. der Fahrer Iwan Titkow. Er brachte die Leichen, der im Keller des Smolensker NKWD Nacht für Nacht gemordeten Polen wochenlang in den Wald von Katyn. Titkow wurde von Angehörigen ermuntert, sein Gewissen zu erleichtern und all sein Wissen preiszugeben. Er zeigte Sakirow die genaue Lage der Massengräber.

Oder der einstige Gefängniswärter Pjotr Klimow. Er schilderte den Ablauf der Hinrichtungen. Der frühere NKWD-Wachsoldat Kiril Bordenkow wiederum, der allein und verwahrlost in einer völlig heruntergekommenen Hütte lebte, hatte den Dokumenten zufolge zu dem Erschießungskommando gehört, was er indes bei der Befragung bestritt. Nichtsdestotrotz erzählte er ausführlich davon und fertigte auch noch einen schriftlichen Bericht dazu an.

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Erste polnische Katyn-Briefmarke von 1990.

Der Ostblock zerfiel. Polen hatte seit September 1989 den ersten nichtkommunistischen Regierungschef. Zugleich war es die Zeit, als nach fünf Jahren Glasnost und Perestroika, Gorbatschow ebenso wie dem Partei- und Staatssicherheitsapparat, in der wirtschaftlich schwer angeschlagenen Sowjetunion, die Kontrolle über das Land entglitt. Nur unter solchen Umständen war es überhaupt möglich gewesen, dass der KGB-Beamte Sakirow damals, aufgrund der von oben befohlenen Aufklärung der Verbrechen Stalins, „nebenbei“ seine Nachforschungen anstellen konnte.

Hinter dem Rücken der Vorgesetzten schickte Sakirow 1989 seine Erkenntnisse an die Redaktion des damals führenden Perestroika-Blattes „Moskowskije Nowosti“. Zwei Reporter reisten an. Sakirow führte sie zu den Ziegenbergen, wie der Ort im Wald von Katyn, wo sich die sorgsam getarnten und „gesicherten“ polnischen Massengräber befanden, von den Einheimischen genannt wurde.

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Katyń -Briefmarke der Polnischen Post von 1995.

Das Gelände, auf dem sich heute die Gedenkstätte befindet, war damals noch von einem hohen Bretterzaun umgeben. Ringsherum patrouillierten Streifen mit Schäferhunden. Hinter dem Zaun standen die Sommerresidenzen der Smolensker KGB-Spitzen. Sie durften in ihren Gärten nicht mehr als dreißig Zentimeter tief graben. „Ich bebte innerlich bei dem Gedanken, dass die Sommerhäuser der KGB-Chefs auf den Knochen ermordeter Menschen errichtet wurden. Diese Barbarei war nicht zu ertragen“, so Sakirow.

Auch ein Fernsehteam aus Moskau erschien vor Ort. Doch so viel Macht besaß der Politapparat noch: Der Zeitungsartikel durfte nicht erscheinen. Die TV-Reportage kam nicht zustande, weil Sakirows Kollegen vom Smolensker KGB die Videokassetten beschlagnahmten.

Mit letzter Kraft setzte Gorbatschow noch alles daran, um das sowjetische Massaker von 1940 an insgesamt gut 25.000 polnischen Offizieren und Beamten nicht eingestehen zu müssen. Die Menschenrechtsorganisation „Memorial“ jedoch und die Historikerin Prof. Natalja Lebedewa, die wichtiges Archivmaterial aufspürten, konnte er nicht mehr stoppen.

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Prof. Nataija Lebedewa

Am 25. März 1990 erschien in den „Moskowskije Nowosti“ ein Interview mit Natalja Lebedewa unter dem Titel „Die Tragödie von Katyn“. Es war die erste Veröffentlichung in der Sowjetunion, welche die knapp fünfzig Jahre lang von den Sowjets beharrlich verbreitete Lüge, Katyn sei ein deutsches Verbrechen gewesen, widerlegte.

Der Chefredakteur berichtete später, Gorbatschow habe ihn angerufen und angeschrien: „Die Polen konnten bislang die wahren Schuldigen nicht finden, und jetzt serviert eine kleine Artikelschreiberin sie ihnen auf dem Tablett.“ Am 13. April 1990 veröffentlichte die Presseagentur TASS das offizielle sowjetische Schuldeingeständnis.

Sakirow geriet derweil mächtig unter Druck. Er erhielt Drohanrufe, wurde wegen Eigenmächtigkeiten mehrere Male verwarnt. Die Kollegen schnitten ihn. Schließlich entließ man Sakirow Mitte 1991, ein Jahr vor dem Ruhestand, aus dem KGB mit einer Diagnose im Kündigungsschreiben, die die sowjetische Psychiatrie oft genug Dissidenten gestellt hat: „schleppende, symptomlose Schizophrenie“. Nach dem Motto: es gibt zwar keine Symptome der Krankheit, aber das besagt nichts, denn wer sich gegen das System auflehnt, der muss einfach schizophren sein.

Warum war ein solcher, offensichtlich durch und durch anständiger Mensch ausgerechnet zum KGB gegangen?

Oleg Sakirow wurde 1952 in der Stadt Andischan, ganz im Osten von Usbekistan, im fruchtbaren Ferghantal, unweit der Grenze zu Kirgistan geboren. Er war ein halber Usbeke. Sakirows Vater, Sakir Chalhodschajew (1926 – 1981) heiratete die Russin Lidia Wiergulewa (1924 – 2005). Sehr spät, erst mit dreißig, erfuhr Sakirow, dass die Sowjets seinen Großvater väterlicherseits, den im ganzen Ferghantal damals hoch geschätzten, weisen Kaufmann Chalhodscha Madaminhodschajew bereits 1931 als einen „Volksfeind“ erschossen hatten. 1991 wurde er rehabilitiert.

Der blauäugige Weltverbesserer

Oleg war ein typisches „Produkt“ des Sowjetsystems. Wie Millionen andere durchlief er von klein auf ein lückenloses Erziehungs-, Bildungs- und Propagandagefüge, in dem nicht die geringsten Zweifel an der Herrlichkeit und Unübertroffenheit des Sowjetkommunismus aufkommen konnten.

Besonders hervorgehoben in Kunst und Propaganda, wurde die heroische Legende von den tadel- und selbstlosen Beamten der Staatssicherheitsorgane, die seit der Oktoberrevolution an der Heimatfront unermüdlich den „bürgerlichen Unrat“ ausmerzten: imperialistische Spione und Saboteure, samt ihren sowjetischen Helfern, den vom Aussterben geweihten „Überbleibseln“ des Kapitalismus: Banditen, Dieben, Spekulanten, korrupten Beamten.

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Dserschinski-Kult auf dem Roten Platz in Moskau. Ende der 20er Jahre.

Die Ikone, um die sich diese Legende rankte, war der zum Säulenheiligen des Kommunismus stilisierte, polnischstämmige Begründer der sowjetischen politischen Polizei Felix Dserschinski (1877 – 1926). In Wirklichkeit ein gnadenloser, zehntausenfacher Massenmörder und Erfinder des sowjetischen Lagersystems, nach dem geschätzt gut sechstausend Städte, Dörfer, Straßen, Plätze, Industriebetriebe, LPGs, Schulen, Armeeeinheiten und Handelsschiffe in der Sowjetunion und später im ganzen Ostblock benannt wurden.

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Katyń-Briefmarke der Polnischen Post von 1999.

Von einem solchen Weltbild geleitet, meldete sich Sakirow 1975, gleich nach seinem Jurastudium in Taschkent, zum KGB, und wurde genommen. „Sowjet-Usbekistan war in meiner Jugend ein Königreich grenzenloser Korruption. Etwa die Hälfte der Baumwolle, für die Moskau Jahr für Jahr das Geld überwies, hat man nie gepflanzt und geerntet. Statistiken wurden in großem Stil gefälscht, riesige Prämien für die „Planübererfüllung“ kassiert. Der gesamte usbekische Partei- und Staatsapparat war daran beteiligt. Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte standen Schmiere. Wer sich dagegen sträubte, verschwand für Jahre in Kerkern und Lagern oder wurde gleich kaltgemacht. Nur das KGB war unbestechlich, konnte aber nicht viel ausrichten. Das wollte ich ändern helfen.“, schilderte Sakirow seine Blauäugigkeit Jahrzehnte später.

Da er sich von seinem Vorsatz nicht abbringen ließ, schaffte er es auch nie für längere Zeit in einer KGB-Dienststelle sesshaft zu werden. Aus Urgentsch im Süden Usbekistans, dem Herzen einer Baumwollregion, schob man ihn schnell nach Frunse (heute Bischkek), die Hauptstadt Sowjet-Kirgisiens, heute Kirgistans ab. „In Kirgisien war ich Mitglied der Ermittlungskommission, die den Mord am Regierungschef der Unionsrepublik aufklären sollte. Bei der Gelegenheit gelang es uns einen Wust an korrupten Machenschaften aufzudecken.“

Lob von Andropow, Heroin in Särgen

Lob kam aus Moskau, von Juri Andropow persönlich (1914 – 1984, Nachfolger Breschnews, Parteichef von November 1982 bis zu seinem Tod im Februar 1984, vorher fünfzehn Jahre lang KGB-Chef). „Andropow hat die Korruption wirklich bekämpft! Aber was das KGB anging, hatte ich damals schon jegliche Illusionen aufgegeben“, erinnerte sich Sakirow spàter.

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Katyń-Briefmarken der Polnischen Post von 2000.

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Von Frunse ging es weiter zum KGB in Alma-Ata, der Hauptstadt Sowjet-Kasachstans und 1983, im achten KGB-Dienstjahr, in die russische Provinz, nach Smolensk, in eine Stadt, wie man sie sich auch heute trostloser nicht vorstellen kann. Der Ruf eines Strebers, Weltverbesserers und Tugendwächters eilte ihm voraus. „Zu uns kam aus Taschkent der ewig unzufriedene Usbeke Sakirow“, schrieb 2005 der damalige Smolensker KGB-Chef, General Anatoli Schiwerskich in seinen Erinnerungen.

Folglich ging es bereits 1984 weiter, dieses Mal nach Afghanistan, in das die Sowjets im Dezember 1979 einmarschiert waren. Die riesige KGB-Dienststelle in Kabul hatte alle Hände voll zu tun, aber ihre Ermittlungsergebnisse gelangten meistens unter Verschluss. An den riesigen Heroinmengen, die überall versteckt, sogar in Särgen mit toten Soldaten, aus Afghanistan in die Sowjetunion flossen und an den auf dem afghanischen Schwarzmarkt unter der Hand verkauften Tausenden von Tonnen Treibstoff, Konserven, Medikamenten, ja sogar Waffen aus Armeebeständen, verdienten nicht selten die höchsten sowjetischen Kommandeure mit. Auch hier war der starrsinnige Sakirow ein zu großes Risiko.

Knapp eineinhalb Jahre später, im Frühjahr 1986, fand er sich also in Smolensk wieder. „In Smolensk traf ich eines Tages den pensionierten NKWD- und KGB-Beamten Tabatschkow. Leicht angetrunken plauderte er aus, dass in den Ziegenbergen polnische Offiziere vergraben sind, die „unsere“ im Frühjahr 1940 erschossen haben. Bei dem Gespräch war mein Abteilungsleiter, Oberstleutnant Klatschin zugegen. Er protestierte: »Die Deutschen haben die polnischen Offiziere erschossen!« Doch Tabatschkow blieb stur: »Was für Deutsche!? Das ist unser Verbrechen,« Das war der Auslöser“, berichtete Sakirow Jahre später.

Nur ein kleines Stück vom Horror

In die Archivkeller der Smolensker KGB-Dienststelle verbannt, wo 1940 Nacht für Nacht bis zu einhundert polnische Offiziere mit einem Genickschuss niedergestreckt wurden, suchte er sich mühsam die oft äußerst unvollständigen Akten zusammen. Ein Bild des Grauens eröffnete sich Sakirow, von dem er nicht wissen konnte, dass die ganze Wahrheit noch viel grausamer war.

Bei ihrem Überfall auf Polen am 17. September 1939 (kurz zuvor, am 1. September 1939 hatte der deutsche Angriff auf Polen und damit der Zweite Weltkrieg begonnen) nahmen die Sowjets etwa 25.000 polnische Offiziere und Unteroffiziere der Armee, der Polizei, des Grenzschutzes, des Zolls und des Strafvollzugs gefangen. Sie wurden in drei, einige hundert Kilometer voneinander entfernten, Kriegsgefangenenlagern untergebracht: Koselsk, Ostaschkow, Starobelsk.

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Der Ablauf des Mordens. Letzte Feststellung der Personalien.

Am 5. März 1940 unterzeichneten die sowjetischen Politbüromitglieder: Josef Stalin, Kliment Woroschilow, Wjatscheslaw Molotow, Lasar Kaganowitsch und Michail Kalinin, per Umlauf, den Beschluss des Politbüros über die Hinrichtung der „eingeschworenen Feinde der Sowjetmacht, erfüllt vom Hass auf das Sowjetsystem“, und zwar „ohne Vorladung der Inhaftierten und Darlegung der Beschuldigungen, ohne Beschluss über das Ergebnis der Voruntersuchungen und ohne Anklageerhebung“.

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Das ahnungslose Opfer wird in den NKWD-Keller gebracht. Der Mörder wartet schon.

Kurz darauf begann die „Leerung“ der drei Lager. Im April und Mai 1940 wurden jeden Tag, aus jedem Lager, Gruppen von bis zu einhundert Polen in Eisenbahnwaggons für Gefangene abtransportiert, ohne zu wissen wohin und weswegen man sie wegbrachte.

Die Transporte aus dem Lager Starobelsk gingen ins ca. 450 Kilometer entfernte Charkow. Dort brachte man die Gefangenen für kurze Zeit im NKWD-Gefängnis unter. In derselben Nacht wurden sie, gefesselt, einzeln in den Keller gebracht, wo hinter einer Tür der NKWD-Mörder dem Ahnungslosen in den Kopf schoss. Die Leiche hat man schnell in einen Nebenraum gezogen, das Blut mit einem Eimer Wasser weggespült, der Nächste… Die Toten wurden am nächsten Morgen in geschlossenen LKWs zu den Massengräbern im nahegelegenen Wald von Piatichatki gebracht. Insgesamt 3.896 Ermordete.

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Am nächsten Morgen wird das „Nachtpensum“ an Leichen zu den Massengräbern gebracht.

Transporte aus dem Lager Ostaschkow fuhren ca. 200 Kilometer weit nach Kalinin (jetzt Twer). Gemordet wurde im NKWD-Keller, die Prozedur war dieselbe. Die Leichen hat man in der Nähe des Dorfes Mednoje verscharrt. Insgesamt 6.311 Ermordete.

Die Transporte aus dem ca. 350 Kilometer entfernten Lager Koselsk gelangten nach Smolensk. Ein Teil der Opfer wurde im Smolensker NKWD-Keller ermordet, ein Teil von der Eisenbahnhaltestelle Gnjosdowo mit einem Gefangenenbus bis an die Todesgruben, einige Kilometer weit gefahren und dort erschossen. Insgesamt 4.421 Ermordete.

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In Katyn fand ein Teil der NKWD-Morde direkt an den Massengruben statt.

Im Waldgelände Kuropaty, unweit von Minsk, wurden etwa 4.500 weitere polnische Offiziere und Beamte verscharrt, herbeigeschafft aus diversen Gefängnissen und Lagern der Weißrussischen Sowjetrepublik und im Minsker NKWD-Keller ermordet.

Im Wald von Bykownja fanden etwa 3.400 Polen ihre letzte Ruhestätte, herbeitransportiert aus Lagern und Gefängnissen in der Ukrainischen Sowjetrepublik und im NKWD-Sitz von Kiew erschossen.

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Unter dem Sammelbegriff „Katyn“ verbirgt sich also eine landesweite Mordaktion der Sowjets, durchgeführt gleichzeitig, an fünf verschiedenen Orten.

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Deutsche an den geöffneten Massengräbern in Katyn 1943.

Am 27. Juli 1941 eroberte die deutsche Heeresgruppe Mitte Smolensk. Am 13. April 1943 meldete das Deutsche Nachrichtenbüro im Rundfunk: „Ein grauenvoller Fund“ im Wald von Katyn „gibt einen ebenso erschütternden wie einwandfreien Aufschluss über den Massenmord an mehr als 10.000 Offizieren aller Grade, darunter zahlreiche Generäle der ehemaligen polnischen Armee durch Untermenschen der GPU (Vorgänger des NKWD) in den Monaten März bis Mai 1940.“ Die Zahl 10.000 wurde später korrigiert.

Den Vertuschern das Handwerk gelegt

Seit dieser Zeit unternahmen die Sowjetbehörden fast ein halbes Jahrhundert lang alles was in ihrer Macht stand, um das Verbrechen totzuschweigen, und wenn das nicht ging, es den Deutschen zuzuschreiben, zum Teil mit Erfolg. Auch im kommunistischen Polen war das Thema ein absolutes Tabu.

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Katyń-Block der Polnischen Post von 2010.

Während die Namen der Ermordeten von Katyn bekannt waren, weil bei den deutschen Ausgrabungen die meisten Toten, anhand von Ausweispapieren, Notizbüchern, Erkennungsmarken usw. identifiziert werden konnten, lebten die Familien der restlichen ca. 21.000 Ermordeten weitere Jahrzehnte lang im Ungewissen. Die Massenmorde an den vier weiteren Orten wurden erst Anfang der 90er Jahre bekannt. Gerüchte machten bis dahin die Runde, wie z. B., die Sowjets hätten die gut sechstausend Insassen des Lagers Ostaschkow auf alte Kähne verladen und im Eismeer ertränkt.

Sakirow war einer von vielen, die den Vertuschern das Handwerk gelegt haben. Dass er die letzten noch lebenden Täter ausfindig gemacht hat, war damals eine riesige Sensation.

Der Preis den er für seinen Mut bezahlen musste war hoch. Nach dem Rauswurf aus dem KGB folgten sehr magere Jahre. Er hielt sich und die Familie mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser, überlebte zwei mysteriöse Unfälle, die er als Attentatsversuche auslegte, bekam immer wieder Drohanrufe.

Der polnische Undank…

Polnische Diplomaten in Moskau verhalfen seiner Tochter Larissa zu einem Stipendium und einem Studienplatz im polnischen Łódź. Sakirow konnte sie einige Male besuchen. Schlieβlich verkauften die Sakirows  ihre Wohnung in Smolensk, verbreiteten, sie wollten nach Moskau ziehen. In Wahrheit flohen sie 1998 nach Polen, nach Łódź.

Ihre Ankunft jedoch schien niemanden zu interessieren. In Warschau musste Sakirow einen Antrag auf Anerkennung als Flüchtling stellen. Der Beamte ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. Briefe an Außenminister Władysław Bartoszewski (1922 – 2015), an Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski, an die Kanzlei des Ministerpräsidenten Jerzy Buzek und viele Behörden blieben zumeist unbeantwortet.

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Katyń-Briefmarke der Polnischen Post von 2015.

Das mitgebrachte Geld floss nach und nach vor allem in die Wohnungsmiete in Łódź. Sakirow arbeitete auf dem Bau, die Tochter als Lagerhilfe in einer Supermarktkette, Ehefrau Galina war schwer krank. Die Tochter verlor irgendwann ihren Job, weil sie die schweren Lasten nicht mehr heben konnte. Sakirow erkrankte Ende 2000 durch das Zementmischen an einer Staublunge und landete als Bettler auf der Straße.

In einem seiner zahlreichen Ersuchen schrieb er zusammenfassend: „Als ich meine eigene Katyn-Untersuchung begann, da waren mir die Folgen nicht ganz klar. Ich wollte den Polen helfen, nicht um des Ruhmes oder des Geldes Willen. Ich wollte ihre Abneigung gegenüber Russland und den Russen verkleinern. Ich dachte nicht, dass ich meine Arbeit und meine Freunde verlieren, dass ich zum Verräter für die eigenen Leute und ein lästiger Eindringling unter Fremden sein werde.“

Sein ehemaliger Smolensker Chef Anatoli Schiwerskich schrieb derweil in seinen Erinnerungen „Zerfall des großen Imperiums. Aufzeichnungen eines KGB-Generals“: „Der Usbeke Sakirow hat das Archiv der Opfer von Repressalien durchgesehen. Material zu Katyn hat er dort nicht gefunden, aber er half sensationssüchtigen Journalisten falsche Zeugen jener Ereignisse zu finden. Sie haben dazu beigetragen das falsche Bild dieses faschistischen Verbrechens zu verfestigen. Die Polen haben ihn dafür mit Belohnungen überhäuft. Sakirow lebt in Polen in Saus und Braus.“

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Sakirow mit seinen Erinnerungen „Fremdes Element“.

Fast zehn Jahre waren zu jener Zeit seit seinen guten Taten in Smolensk vergangen, zudem war Sakirow damals nur wenigen polnischen Insidern bekannt. Diejenigen, die seinerzeit den Stein mit ins Rollen gebracht hatten, waren nicht da um ihn zu unterstützen: Konsul Michał Żórawski (fonetisch: Schurawski) hatte inzwischen einen anderen diplomatischen Posten weit weg von Polen angetreten. Die Journalistin Krystyna Kurczab-Redlich durchquerte als Reisekorrespondentin die Weiten Russlands.

…wird gutgemacht

Doch der Skandal sprach sich herum, und ab 2002 ging es den Sakirows etwas besser. Die Tochter bekam eine Stelle in ihrem Fach als klinische Psychologin. Staatspräsident Kwaśniewski verlieh der Familie die polnische Staatsbürgerschaft. Sakirow bekam eine Sozialrente von 1.500 Zloty (damals etwa 450 Euro). Im April 2003 verlieh ihm, in Anerkennung seiner Verdienste, Staatspräsident Kwaśniewski das Ritterskreuz des Ordens der Wiedergeburt Polens (5. Klasse). Im Oktober 2010 zog Staatspräsident Bronisław Komorowski mit dem Offizierskreuz desselben Ordens (4. Klasse) nach.

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Sakirow-Beerdigung in Łódź…

Als wollte Polen die Scham der unfreundlichen Aufnahme von sich wischen, hagelte es nun Auszeichnungen und Ehrentitel für Oleg Sakirow. Im Jahr 2010 erschienen seine Erinnerungen „Obcy element“ („Fremdes Element“). Das Buch verkaufte sich gut, bekam auch das Prädikat „Bestes historisches Buch“ des Jahres 2010. In den Jahren 2007 und 2009 drehten und zeigten der private TV-Kanal Discovery und das Polnische Fernsehen Dokumentarfilme über ihn.

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…mit mlitärischen Ehren.

Doch das alles waren kurze Glanzlichter. Sakirow fühlte sich abgeschoben, auf ein Thema reduziert, nicht wirklich gebraucht. Trotz aller Anerkennung war er zunehmend verbittert und resigniert. Einladungen zu Vorträgen und Diskussionen schlug er meistens aus, wurde immer unzugänglicher, driftete ins Mystische ab, vereinsamte, weil zuerst die Tochter und dann die Ehefrau ins Ausland zogen. Er tat das Richtige aber den richtigen Platz in seinem Leben scheint er nie gefunden zu haben.

Oleg Sakirow starb an Ostern 2017 im Alter von 65 Jahren und wurde mit militärischen Ehren im orthodoxen Teil des evangelischen Friedhofs in Łódź bestattet.

© RdP




AfD? Gute Nacht Polen!

Warum Polens Nationalkonservative die AfD meiden.

Die gerade einmal drei Jahre lang bestehende Alternative für Deutschland (AfD) hat bereits den neunten von sechzehn Landtagen erobert, und wenn es so weiter geht, werden ihre Vertreter ab dem nächsten Jahr auch im Bundestag sitzen. Ist das gut oder schlecht für Polen?

Diese Frage stellte am 7. September 2016, kurz nach dem AfD-Triumph in Mecklenburg-Vorpommern, Piotr Cywiński, einer der kompetentesten polnischen Deutschland-Beobachter im konservativen politischen Lager. Nachfolgend seine Analyse, erschienen im Internetportal „wPolityce.pl“ („inder.Politik.pl“). Zwischentitel von RdP.

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Autor Piotr Cywiński.

Die AfD hat bereits ihre Abgeordneten in den Landtagen von Sachsen, Brandenburg, Thüringen, Hamburg, Bremen, Sachsen-Anhalt, Baden-Würtemberg, Rheinland-Pfalz sitzen und, seit Sonntag, dem 4. September, nun auch in Mecklenburg-Vorpommern, wo sie sogar die Partei von Angela Merkel besiegte. Wie man sieht, ist die AfD vor allem auf dem Gebiet der dünn besiedelten ehemaligen DDR erfolgreich, besitzt aber auch Brückenköpfe in den alten Bundesländern. In einigen Tagen wird in Niedersachsen auf kommunaler Ebene gewählt, bald darauf zum Abgeordnetenhaus in Berlin. Nächstes Jahr sind Landtagswahlen im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.

Rotes Signal in polnischen Köpfen

Gelingt es der Partei von Frauke Petry und Jörg Meuthen ihre Position auf der deutschen politischen Bühne zu stärken? Was hat sie anzubieten, und wie verhält sich das zu den Interessen Polens?
Um es vorweg zu nehmen: es wundert und beunruhigt mich zu hören und zu lesen, wie die AfD in manchen Kommentaren bemitleidet und mit der, bei uns früher von den Regierenden zurück gedrängten Partei, Recht und Gerechtigkeit verglichen wird. Manche sehen in der AfD bereits eine Partnerin für die Partei von Jarosław Kaczyński.

Da stehen einem buchstäblich die Haare zu Berge. Die polnischen AfD-Sympathisanten begreifen immer noch nicht, wie das politische Erdbeben jenseits der Oder für uns alle enden kann.

Sind die Deutschen dermaβen dumm, dass sie die „Mutter der Nation“, wie Angela Merkel noch bis vor kurzem genannt wurde, und eine Regierung, die die Interessen ihrer Bürger gut vertritt, zukünftig an der Machtausübung hindern wollen? Der Haushalt ist ausgeglichen, der Staat wird entschuldet, die Wirtschaft wächst, beim Exportüberschuss wird Deutschland in diesem Jahr China überholen und Export-Weltmeister werden, die Arbeitslosigkeit ist die niedrigste seit dem Krieg. Wer würde eine solche Kanzlerin zum Teufel jagen?

Zweifelsohne gründen die Erfolge der AfD auf der Angst der Müllers und Schmidts vor den Folgen der arroganten Immigrationspolitik der CDU/CSU-SPD-Regierung. Eine nicht geringe Rolle spielt auch das „Nein“ der AfD zum Brüsseler Zentralismus und der Wandlung der Vielvölker-EU in einen Multikulti-„Superstaat“. Obwohl man annehmen kann, dass der Widerstand der Müllers und Schmidts schwächer wäre, wenn die Deutschen im Made-in-Germany-Europa auch das letzte Wort haben könnten.

Doch auch wenn einige Forderungen der AfD mit der polnischen Sichtweise übereinstimmen, so bedeutet das nicht, dass in Deutschland mit der AfD ein neuer Alliierter für irgendeine bedeutende politische Partei in unserem Land heranwächst.

Ein rotes Signal müsste in den polnischen Köpfen bereits vor einem Jahr aufgeleuchtet sein. Damals warf Bernd Lucke, einer der AfD-Begründer, auf dem Essener Parteitag, der AfD das Schüren von Fremdenfeindlichkeit und eine prorussische Orientierung vor, und verlieβ demonstrativ deren Reihen. Gleichzeitig mit ihm gingen mehr als zweitausend Mitglieder, unter ihnen das Vorstandsmitglied und MdEP Hans-Olaf Henkel, ehem. Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und IBM-Manager.

Henkel hatte seinerzeit die deutschen Christdemokraten scharf kritisiert wegen ihrer Einmischung in innerpolnische Angelegenheiten, der „Treibjagd gegen Recht und Gerechtigkeit“ und „des Unterstützens der Bürgerplattform“. Mit ihm gingen u. a. der bekannte Volkswirt Joachim Starbatty und die Europaabgeordnete Ulrike Trebesius.

AfD und Polen. Gespräch mit Hans-Olaf Henkel – hier nachzulesen.

Die AfD verlor in dieser Zeit ihre aus bekannten und hochgeschätzten Leuten bestehende Führungsspitze. Diese riefen eine neue Gruppierung ins Leben, die Allianz für Fortschritt und Aufbruch. Die Zahl der AfD-Mitglieder verkleinerte sich fast um ein Viertel.

AfD, NPD und die „Polen-Invasion“

Die Vorwürfe der AfD-Mitbegründer waren nicht unbegründet. In ihrem ersten siegreichen Landtagswahlkampf, in dem an Polen grenzenden Sachsen, trat die AfD unter der Losung auf „Sichere Grenzen, statt grenzenloser Kriminalität“. Dies Parole stimmte andeutungsweise mit den Losungen der NPD-Neonazis von der „Polen-Invasion“ überein, und Plakaten auf denen „polnische Krähen“ den Deutschen Arbeitsplätze und Sozialleistungen wegpicken.

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AfD (oben) und NPD-Wahlplakate in dem an Polen angrenzenden Sachsen.

afd-bis-npd-plakat-fotEs gibt unzählige Beispiele von informellen Kontakten, gegenseitigen Besuchen auf Parteitagen, Bindungen und der Unterstützung der AfD für Forderungen der NPD. Ähnlich verhält es sich mit AfD-Mitgliedern, ehemaligen Zöglingen der verbotenen Wiking-Jugend (die an die Hitler-Jugend anknüpfte), mit Aktivisten der ebenfalls verbotenen neonazistischen Organisation Blut und Ehre usw. Die AfD-Vorsitzende Petry hat sich entschieden verwehrt dagegen, dass ihre Partei zu den braunen Strömungen gezählt wird. Als jedoch bei einem MDR-Interview die Journalisten konkrete Beispiele anführten, sagte sie, sie werde „etwas damit machen müssen“.

Eine der wichtigsten AfD-Forderungen ist die Gestaltung der nationalen Identität und Formung patriotischer Einstellungen, was an sich nicht schlecht ist, doch in polnischen Ohren einen besonderen Beiklang hat.

Alexander Gauland, stellv. Vorsitzender der AfD und ihr Fraktionschef im Brandenburgischen Landtag ist der Meinung, dass die Deutschen endlich ihre Minderwertigkeitsgefühle, die aus der Nazi-Zeit resultieren, aufgeben und entschiedener für ihre eigenen Interessen eintreten sollten. Die Schuljugend sollte das „Deutschlandlied“ singen, der Geschichtsunterricht sollte in höherem Maβe „die deutschen Befreiungskriege des 19. Jh. berücksichtigen“ und im Radio sollte man das Abspielen ausländischer Musik einschränken. Auβerdem sollte die doppelte Staatsbürgerschaft (von der auch Polen in Deutschland Gebrauch machen) abgeschafft und den Gastarbeitern das Kindergeld gestrichen werden.

Idol Bismarck: „Polen ausrotten“

Gauland wurde auch mit der Erarbeitung des AfD-Konzeptes zur deutschen Auβenpolitik betraut. Sein Vorbild ist Otto von Bismarck, der „eiserne Kanzler“, der sich von dem Prinzip leiten lieβ: „Um Gottes Willen, nur keine sentimentalen Bündnisse, bei denen das Bewusstsein der guten Tat der Lohn edler Aufopferung zu bilden hat“.

Bei uns in Polen wurde das politische Idol des AfD-Vizechefs u. a. durch Zitate, wie dieses berühmt:

„Haut doch die Polen, daß sie am Leben verzagen; ich habe alles Mitgefühl für ihre Lage, aber wir können, wenn wir bestehen wollen, nichts andres tun, als sie ausrotten.“

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Alexander Gauland und sein Idol Bismarck.

 

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Ginge es nach Gauland, so müssten in der bundesdeutschen Politik grundlegende Änderungen eintreten. Deutschland sollte „mehr Verständnis für Russland“ an den Tag legen, darunter auch für sein Vorgehen gegenüber den ehemaligen Sowjetrepubliken. Der AfD-Vize verglich den Verlust von Russlands „Keimzelle – dem Heiligen Kiew“ mit der   Abspaltung von Aachen oder Köln von Deutschland.

Gauland erinnert auch daran, dass Russland „Preuβen vor dem Niedergang bewahrte (…), Bismarcks Reichsvereinigung und die deutsche Vereinigung 1990/91 unterstützte.“

Man müsse also an die traditionellen deutsch-russischen Verbindungen anknüpfen. Käme es zu bewaffneten Konflikten mit Drittstaaten dann sollte Deutschland zu dem Rückversicherungsvertrag, dem geheimen Neutralitätsabkommen mit Russland von 1887, zurückkehren. Gauland wünscht sich geradezu eine bismarckische Zusammenarbeit mit Präsident Wladimir Putin. Seiner Meinung nach sei der Westen für die Verschlechterung der Beziehungen mit Russland verantwortlich, weil er Russland provoziere, weil er sein Versprechen gebrochen habe, dass „die Nato nicht bis hinter die Oder erweitert wird, und doch habe man Polen aufgenommen.“

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Treue zu Russland als Alternative für Deutschland .

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Was sei also zu tun? Vor allem muss man Sanktionen gegen Russland aufheben, die nach der Krim-Annexion verhängt wurden, und man sollte sich nicht in seine inneren Angelegenheiten einmischen.

„Lasst uns einen Nationalstaat aufbauen!“, rief Gauland während des Wahlkampes in Rheinland-Pfalz, wo die AfD heute die dritte Kraft ist (nach den Christdemokraten und den Sozialdemokraten und vor der FDP und den Grünen). Für den Anfang wäre es gut, wenn das Schengen-Abkommen entfiele. Man sollte auch den Schusswaffengebrauch gegen illegale Emigranten erwägen, so seine Chefin Petry. Ihre Stellvertreterin Beatrix von Storch, erweiterte den Vorschlag ausdrücklich auf Frauen mit Kindern.

Sollten die deutschen Wähler so verrückt sein, dass die AfD mittels einer sonderbaren Koalition an die Macht gelangen sollte und Gauland Auβenminister werden könnte, dann „gute Nacht Polen!“, wie es Erika Steinbach, CDU-Bundestagsabgeordnete und ehem. Chefin des Bundes der Vertriebenen zu sagen pflegt, als inoffizielle Sprecherin der AfD unter den Christdemokraten.

Derweil fassen die AfD-Leute die Gelegenheit beim Schopf und bauen ihre Kontakte aus. AfD-Vorstandsmitglied Georg Pazderski gab auf dem Internetportal der Partei bekannt, dass es ein „wie immer sehr konstruktives Gespräch“ in der russischen Botschaft in Berlin gab. Der AfD-Vorstand bestätigte, dass es Treffen seiner Mitglieder in der russischen Vertretung seit Langem gebe. In den deutschen Medien wurde darüber spekuliert, ob diese Kontakte vielleicht mit einer finanziellen Unterstützung Moskaus für die AfD zusammenhängen.

Po-Vielfalt

Zum Schluss gilt es noch den Mythos vom angeblichen Anti-Genderismus der AfD zu zerstreuen. Der gröβte Kritiker dieser Strömung, Bernd Lucke hat die Partei bereits verlassen. Derweil wirkt in ihrem Rahmen ein Homosexuellenkreis, der um die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren mit Hetero-Ehen kämpft, samt Kinder-Adoptionsrecht für Homosexuelle. Der Jugendverband der AfD hat nichts an der „sexuellen Vielfalt“ auszusetzten und tritt unter der Losung „P(r)o Vielfalt“ auf. „Po“ ist auf Deutsch ein anderes Wort für „Hintern“.

Wer nach der Frömmigkeit und der Familienverantwortung der AfD-Führung fragt, der erfährt, dass die Vorsitzende Petry ihren Mann, einen Pastor, für einen Parteifunktionär aus dem Rheinland verließ und damit eine Familie mit vier Kindern zerrüttete. Ähnlich hält es der Mit-Vorsitzende Jörg Meuthen, Vater von fünf Kindern aus zwei Ehen. Das aber sind ja private Angelegenheiten.

Die Liebe zur AfD verlangt also Opfer. Vor allem, wenn sie blind ist.

RdP




Blanke Ostflanke

Die Verwundbarkeit der Nato im Baltikum und in Polen.

In der russischen Enklave Kaliningrad und in den russischen Gebieten, die unmittelbar an Lettland und Estland grenzen, befinden sich heute die gröβten Truppenansammlungen innerhalb Europas. Die militärische Schwäche der Nato in dieser Region und eine enorme bewaffnete Überlegenheit Russlands, laden Moskau regelrecht zu einem Vorstoβ ein.

Nachfolgend dokumentieren wir groβe Auszüge eines Artikels, der in der Wochenzeitung „Gazeta Polska“ („Polnische Zeitung“) vom 24. April 2016 erschienen ist.

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Die Probleme der Ostflanke sind Thema des Nato-Gipfeltreffens in Warschau am 8.-9.Juli 2016.

Die russische Übermacht äuβert sich vor allem in der Fähigkeit, aus dem Stand, zeitlich und räumlich begrenzte, unvermutete Blitzangriffe vornehmen zu können. Ein solcher Überfall auf Nato-Gebiet würde nicht unbeantwortet bleiben. Der Kreml kann jedoch dabei davon ausgehen, dass eine Erwiderung der Nato so viel Zeit in Anspruch nehmen wird, dass sich das Bündnis am Ende vor vollendete Tatsachen gestellt sehen könnte.

Widerstand der Liliputaner

Durchaus vorstellbar wäre, dass die Russen innerhalb von 72 Stunden die drei baltischen Staaten überrollen, und dann der Nato mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen, sollte das Bündnis den Versuch wagen die besetzten Gebiete zurückzuerobern. Friedensbewegte Massenproteste in Westeuropa, vor allem in Deutschland, lautstarke Appelle „vernünftiger“ Politiker und Medien „mit Russland zu reden“ und „Russland zu verstehen“ könnten das Schicksal des wieder einmal von Russland besetzten Baltikums schnell besiegeln.

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Die Nato-Ostflanke

Insgesamt können die drei baltischen Staaten: Estland, Lettland und Litauen für den Kriegsfall vier bis fünf reguläre Brigaden (etwa 30.000 Mann) aufbieten, unterstützt von der Territorialverteidigung. Es handelt sich hierbei ausnahmslos um leichte Infanterie, fast gänzlich ohne schweres Gerät. Eine eigene Luftwaffe haben die Balten, bis auf einige wenige lettische Hubschrauber sowjetischer Bauart, nicht. Ihre Flugabwehr besteht aus tragbaren Singer- und Mistral-Raketen, geeignet um Luftziele in geringen Höhen abzuschieβen.

Die Seestreitkräfte bestehen aus einigen wenigen Minensuch- und kleinen Patrouillenbooten. Weder die in der letzten Zeit angeschafften 90 Schützenpanzerwagen der estnischen Armee noch die neuen leichten Panzerhaubitzen der lettischen Streitkräfte könnten der erdrückenden russischen Übermacht etwas anhaben.

Polen einsam an vorderster Front

Eine Schlüsselrolle im Nato-Ostseeraum spielt Polen. Seine Landstreitkräfte bestehen aus drei Divisionen mit u. a. zehn voll ausgerüsteten Infanteriebrigaden. Das Land verfügt, nach der Türkei, über die meisten Panzer unter den europäischen Nato-Staaten. Es handelt sich dabei überwiegend um deutsche Leopard-Panzer. Ein Teil stammt jedoch noch aus der Zeit des Warschauer Paktes, wurde aber, soweit möglich, aufwendig auf den neusten Stand gebracht.

Die neue Regierung unter Frau Beata Szydło ist inzwischen emsig dabei, die Versäumnisse ihrer Vorgänger abzuarbeiten. Eine Freiwilligen-Territorialarmee wird aufgebaut. Truppenstandorte vom Westen des Landes (ein Überbleibsel aus der Epoche des Warschauer Paktes) werden in den, bis jetzt fast wehrlosen, Osten des Landes verlegt. Eine zahlenmäβige Aufstockung der Streitkräfte ist im Gange.

Doch seine geographische Lage dürfte es Polen kaum erlauben, den drei baltischen Staaten zur Hilfe zu kommen. Wie eine geballte Faust schwebt die russische Enklave Kaliningrad über dem Land, und im Osten erstreckt sich das mit Russland militärisch eng verwobene Weiβrussland. Polen hätte groβe Mühe das eigene Territorium zu verteidigen.

Wschodnia flanka Suwałki

Warschau liegt nur knapp 300 Kilometer von den Ausgangsstellungen des potentiellen Angreifers entfernt und wäre schnell Ziel eines starken russischen Zangenangriffs von Norden (Kaliningrad) und Osten (Weiβrussland), der die polnischen Streitkräfte im Raum der sog. Suwalki-Lücke umgehend von der polnisch-litauischen Grenze abschneiden würde.

Nato mit Lupe suchen

Die ständige militärische Anwesenheit der Nato in und an der Ostsee blieb seit dem Nato-Beitritt der drei baltischen Staaten im Jahr 2002 auf ein absolutes Minimum beschränkt. Im Rahmen der s.g. Baltic Air Policing Mission überwachen vier in Litauen stationierte Jagdflugzeuge jeweils eines Nato-Landes drei bis vier Monate lang den Luftraum über dem Baltikum. Anschlieβend wird an ein anderes Nato-Land, das über Luftstreitkräfte verfügt, übergeben. Seit Mai 2014 sind auch in Estland abwechselnd vier Nato-Flugzeuge stationiert.

Gröβere Verbände von Nato-Schiffen erscheinen in der Ostsee nur selten zu Übungen.

In Polen und im Baltikum sind, nach dem Rotationsprinzip, einige Kompanien der US-Army stationiert. Ihre Anwesenheit soll die Hemmschwelle für einen eventuellen russischen Angriff deutlich erhöhen. Obwohl rein symbolisch, garantiert die US-Präsenz eine sofortige Einbeziehung der USA in einen von Russland angezettelten Konflikt.

Erst jetzt werden in Polen und im Baltikum erste Geräte- und Vorratslager für amerikanische Truppen, die im Ernstfall zur Hilfe kommen sollen, angelegt.

Im Kriegsfall hat die „Einsatzgruppe mit sehr hoher Einsatzbereitschaft“ (VJTF) der Nato 48 Stunden um zu reagieren. Ihr zur Seite sollen kleine Einheiten von Spezialkräften, sowie sehr beschränkte Luftwaffen- und Marinekontingente stehen.

Weiteren vorgesehenen Entsatztruppen bleiben sieben Tage Zeit. Das Problem besteht darin, dass innerhalb der beiden Fristen (zwei bzw. sieben Tage) die genannten Nato-Streitkräfte ihre Einsatzfähigkeit erreichen sollen. Vor Ort erscheinen würden sie erst danach, und das nur, wenn alle 28 Nato-Regierungen dem Einsatz zugestimmt haben. Und das kann dauern.

Die besetzen baltischen Staaten können also im Ernstfall nur auf die schnelle Reaktion der USA zählen. Hierfür bestimmt ist die 82. Luftlandedivision in Fort Bragg/South Carolina. Ein Bataillon dieser Einheit kann innerhalb von 18 Stunden an jedem Ort in der Welt landen, die ganze Division, mit Ausrüstung, spätestens nach 96 Stunden.

Es soll nach Westen gehen

Seit einigen Jahren modernisieren und bauen die Russen ihre Streitkräfte im Westen des Landes sehr zügig aus und sind dadurch, im Ostseeraum, der Nato konventionell weit überlegen.
Die Veränderungen begannen bereits in der Amtszeit des vorherigen Verteidigungsministers Anatolij Serdjukow (2007-2012) und werden unter seinem Nachfolger Sergei Schoigu mit noch mehr Nachdruck fortgesetzt.

Viele kleine, oft heruntergekommene Standorte wurden geschlossen, verbliebene hat man aufwendig modernisiert. Wo früher oft die Hälfte, und mehr, des Personals fehlte, ist heute die volle Sollstärke vorhanden. Neue Standorte und Einheiten sind entstanden.

Seit 2010 existiert der Westliche Wehrkreis. Es ist der gröβte von vier Wehrkreisen, in die Russland aufgeteilt wurde. Er erstreckt sich von der Arktis bis zur Ukraine und vom Ural bis zur Ostsee. Seine Kommandozentrale befindet sich in St. Petersburg. Ihm unterstellt sind drei Armeen, eine ganze Reihe weiterer selbständiger Bodentruppeneinheiten, die Baltische- und die Nordmeerflotte, erhebliche Luftlande- und Luftabwehrkräfte sowie strategische Atomraketeneinheiten.

Zu den beweglichsten Einheiten gehören drei Luftlandedivisionen und drei Brigaden SpezNas-Sondertruppen des russischen militärischen Nachrichtendienstes GRU, die gegnerische Befehlszentralen und wichtige Anlagen im Hinterland des Gegners im Handstreich besetzten oder vernichten sollen.
Ihnen zur Seite stehen eine Flotte von Transport- und Kampfflugzeugen und starke Luftabwehreinheiten. Schnell auf groβe Entfernungen verlegbar, wären diese Kräfte geeignet die Vorhut eines Überraschungsangriffs auf die baltischen Staaten zu bilden.

Eine zweite Welle würde, wie bereits erwähnt, aus den drei  Armeen bestehen, von denen zwei inzwischen bereits voll einsatzfähig sind und eine sich im Aufbau befindet.

Das Kommando der 6. Armee befindet sich in St. Petersburg. Die Kräfte der 6. Armee sind im Osteeraum entlang der Grenze zu Lettland, Estland und Finnland verteilt: in der Nähe von Pskow, um St. Petersburg und auf der Karelischen Landenge.

Die 1. Panzerarmee mit Kommando in Moskau, besteht u. a. aus zwei Elite-Einheiten: die 4. Kantemirow-Division und die 2. Taman-Division. Sie sollen im Ernstfall über Weiβrussland auf Polen, Litauen und die Nord-Ukraine vorstoβen.

Die 20. Armee mit Kommando in Woronesch wird neu aufgestellt. Sie soll über weniger Panzer, dafür mehr leichte Kampffahrzeuge verfügen.

Die 1. und die 20. Armee sollen bevorzugt mit dem modernsten Kampfpanzer T-14 Armata und dem neuentwickelten Schützenpanzer T-15 Kurganez beliefert werden.

Der unsinkbare „Flugzeugträger“ Kaliningrad

Eine sehr groβe strategische Bedeutung hat die Gegenwart Russlands an der Pregelmündung.

Der wichtigste Marinestützpunkt der Baltischen Flotte befindet sich in Baltijsk/Pillau. Hier liegen die meisten der fünfzig Schiffe dieses Verbandes vor Anker (darunter zwei Zerstörer, zwei Fregatten, drei Korvetten und zwei U-Boote vom Typ Projekt 877 Heilbutt). Sehr wichtig für eventuelle Angriffsoperationen sind die vier groβen Landungsschiffe der Ropucha-Klasse und die zwei gröβten Luftkissenlandungsboote der Welt vom Typ „Wisent“, die jeweils bis zu 140 Soldaten und 30 Tonnen Fracht befördern können. Dem Kommando der Baltischen Flotte untersteht auch eine nicht kleine Anzahl von Flugzeugen des Typs Su-24, Su-27, An-26, Mi-24, Mi-8 und Ka-27.

Bałtyk mapa

Die Baltische Flotte Russlands hat zwei Aufgaben zu erfüllen. Zum einen soll sie die Kaliningrader Enklave verteidigen und die Seeverbindungen nach St. Petersburg schützen. Zum anderen soll sie die baltischen Staaten und Polen von der See her abriegeln, indem sie vom Finnischen Meerbusen, den Alandinseln, der Insel Gotland bis hin zur Südküste der Ostsee operiert.

Die russische Flotte verfügt in der Ostsee über eine enorme Übermacht. Die baltischen Staaten haben keine Seestreitkräfte. Die polnische Marine, in die seit dem Ende des Kommunismus kaum investiert wurde, ist heute praktisch kampfunfähig. Die Finnen beschränken sich auf die Küstenverteidigung, die sie allerdings mit modernen Schiffen bewerkstelligen. Schweden hat seine einst sehr starke Marine weitgehend abgeschafft. Die deutsche Marine, nur im äuβersten westlichen Winkel der Ostsee präsent und zu offensiven Operationen ohnehin kaum fähig, hätte vor allem mit dem eigenen Küstenschutz und der Sicherung der dänischen Meerengen alle Hände voll zu tun.

Im Kaliningrader Gebiet sind drei Bodentruppeneinheiten stationiert: die 336. Marineinfanteriebrigade in Bakltijsk/Pillau, die 79. Motorisierte Infanteriebrigade in Gusew/Gumbinnen und das 7. Motorisierte Infanterieregiment in Kaliningrad.

Warschau in 12 Minuten vernichtet

In Tscherniachowsk/Insterburg hat die 152. Garde-Raketenbrigade ihren Standort. Sie ist mit Totschka-U-Gefechtsfeld-Kurzstreckenraketen (70 – 120 Kilometer Reichweite) ausgerüstet. Das System, auf geländegängigen Lastkraftwagen installiert, ist hochbeweglich und schnell verlegbar. Die kürzeste Zeit zwischen voller Fahrt, anhalten und dem Raketenstart beträgt nur fünf Minuten. Jedes Fahrzeug ist mit einer Rakete ausgestattet, die mit unterschiedlichen, auch atomaren, Gefechtsköpfen bestückt werden kann, deren Sprengkraft bis zu 200 Kilotonnen beträgt (die Hiroshima-Atombombe hatte eine Sprengkraft von 15 Kilotonnen).

Das Totschka-U-System kann kurzfristig durch das Iskander-M-System ersetzt werden, wodurch sich die Reichweite der Atomraketen auf bis zu 700 Kilometer erhöht. Eine Iskander-Atomrakete, abgeschossen in einem soeben angefahrenen Waldstück des Kaliningrader Gebietes, erreicht Warschau innerhalb von 12 Minuten und ist praktisch nicht abzuwehren.

Die Tscherniachowsker-Raketenbrigade verfügt auch über die S-300 Antaios und S-400 Triumph, mobile, allwettertauglichen Langstrecken-Boden-Luft-Lenkwaffensysteme zur Bekämpfung von Kampfflugzeugen, Marschflugkörpern sowie ballistischen Kurz- und Mittelstreckenraketen. Damit beherrschen die Russen den gesamten Luftraum zwischen Süd-Lettland und Nord-Polen.

Ein wichtiger Bestandteil des kompletten Systems ist die in Pionerski/Neukuhren gebaute gewaltige Radarstation Woronesch-DM, die ein Gebiet von 10.000 Quadratkilometern überwacht.
Insgesamt sind im Kaliningrader Gebiet bis zu 15.000 Soldaten stationiert. Diese Zahl kann kurzfristig beachtlich erhöht werden. In vier groβen Vorratslagern werden Waffen und Ausrüstung für bis zu 20.000 Mann vorgehalten.

Von Pskow bis Lida

Kräfte die für den Angriff auf Lettland und Estland vorgesehen sind, wurden in der Gegend von Pskow zusammengezogen. Pskow selbst ist Sitz der 76. Garde Luftsturmdivision. Diese Eliteeinheit, deren Soldaten in der Ukraine und in Syrien im Einsatz waren, besteht aus zwei Luftsturmregimentern und allen notwendigen Unterstützungseinheiten. Insgesamt 7.000 Fallschirmjäger. Ebenfalls in Pskow stationiert ist die 2. Selbständige SpezNaz-Spezialtruppenbrigade.

Ungefähr 50 Kilometer südlich von Pskow, in Ostrow wurde im Sommer 2013 die 15. Armee-Fliegerbrigade gebildet. Sie verfügt über knapp einhundert Kampfhubschrauber Mi-28N Nachtjäger und Ka-52 Alligator, dazu einige Dutzend Transporthubschrauber Mi-8MTV-5 und Mi-26T. Eine Stunde Flug trennt sie von Riga. Sie fliegen zu niedrig, um von der lettischen Luftraumüberwachung entdeckt zu werden.

Ein ähnlicher Kampfhubschrauber-Standort entsteht in Puschkin, 25 Kilometer südlich von St. Petersburg.

In unmittelbarer Nachbarschaft der estnischen Grenze entstand 2009 eine völlig neue Einheit, die 25. Motorisierte Infanteriebrigade in Wladimirski Lager. In Luga, 140 Kilometer südlich von St. Petersburg, sind die 9. Artilleriebrigade und die 26. Raketenbrigade beheimatet. Letztere wurde ganz und gar auf mobile Iskander-M-Abschusssysteme umgestellt. Das Bild einer durch und durch militarisierten Region an der estnischen Grenze wird ergänzt durch die 138. Motorisierte Infanteriebrigade in Kamenka bei St. Petersburg. Hinzu kommt der Luftstützpunkt in Lewaschow und die um St. Petersburg herum stationierten S-400 Luftabwehrraketen.

Weiβrussland kann Moskau nicht „Nein“ sagen

Eine besondere Bedeutung spielt Weiβrussland. Es ist an Russland durch einen Unionsvertrag gebunden. Die Luftverteidigungssysteme beider Staaten bilden eine Einheit und halten regelmäβig umfangreiche gemeinsame Übungen ab.
Im Ernstfall wäre Weiβrussland nicht in der Lage Russland die Nutzung seines Luftraums und Territoriums zu verbieten. Im Sommer 2013 begann Russland mit der Stationierung von Su-27M3-Jagdflugzeugen im Luftwaffenstützpunkt Lida, unweit der litauischen Grenze. Ein weiteres russisches Geschwader wird bald ins benachbarte Baranowitschi verlegt.

Zwar versucht Staatspräsident Lukaschenka zu lavieren, aber im Ernstfall, davon gehen westliche Planer fest aus, werden die weiβrussischen Streitkräfte an russischer Seite in den Kampf ziehen. Die weiβrussische Luftwaffe zählt 100 Kampfflugzeuge und 20 Kampfhubschrauber. Die Landstreitkräfte bestehen aus drei mechanisierten Infanteriebrigaden, zwei Luftlandebrigaden und einer Brigade Spezialtruppen.

Das Kriegsszenario

Die meisten Fachleute gehen davon aus, dass ein Krieg Russlands gegen die baltischen Staaten mit Provokationen seitens der russischen Minderheiten in Estland (30 Prozent der Bevölkerung) und Lettland (26 Prozent) beginnen würde. Ein Aufruhr in diesen Staaten könnte Moskau als Vorwand dienen unmittelbar einzugreifen. Wahrscheinlich kämen am Anfang, als ortsansässige „Partisanen“ getarnt, „grüne Männchen“, kleine russische Spezialeinheiten ohne Abzeichen, zum Einsatz. Danach reguläre Truppen.

Der Angriff auf Litauen, wo keine nennenswerte russische Minderheit lebt, könnte der schnellen Errichtung eines Landkorridors zwischen Weiβrussland und dem Kaliningrader Gebiet dienen.

Generell würde Russland schnell vollendete Tatsachen schaffen wollen, und die Nato durch die Androhung eines Atomwaffeneinsatzes vom Handeln abzuhalten versuchen. Deswegen ist in den russischen Plänen ein völliges Abschneiden des Baltikums von der Auβenwelt vorgesehen: durch den „Riegel“ zwischen Kaliningrad und Weiβrussland, die Seeblockade und die volle Kontrolle über den Luftraum, wozu sich die mobilen S-300 und S-400 Luftabwehrraketen sehr gut eignen.

Zusammenfassend kann man davon ausgehen, dass der russische Angriff, nach einer kurzen „grüne-Männchen-Episode“, mit einem von Weiβrussland ausgehenden Vorstoβ zur Schaffung einer Landbrücke nach Kaliningrad beginnen würde. Gleichzeitig würde ein von Kaliningrad und Weiβrussland aus vorgenommener Zangenangriff in Richtung Warschau beginnen, um polnische Truppen möglichst hinter die Weichsel zurückzudrängen. Mit massiven Luftlandeoperationen würden die Russen zeitgleich Lettland und Estland einzunehmen versuchen.

Danach würde Moskau mit Atombombendrohungen und Gesprächsangeboten die westliche Öffentlichkeit zum Einlenken und zur „realistischen“ Anerkennung vollendeter Tatsachen zu überreden versuchen.

„Faut-il mourir pour Riga?“

„Faut-il mourir pour Dantzig?“ – „Muss man für Danzig sterben?“ lautete der Titel eines Artikel, den der französische Sozialist und spätere Faschist Marcel Déat am 4. Mai 1939 in der Pariser Zeitung „L’Œuvre“ veröffentlicht hat. „Pourquoi mourir pour Dantzig?“ wurde damals sofort zu einem wichtigen Schlagwort in der französischen und britischen politischen Debatte.

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Deat-Artikel mit Deat-Foto. „Muss man für Danzig sterben?“

Dahinter verbarg sich der Aufruf, die französischen und britischen Beistandsgarantien für Polen nicht einzuhalten. Sie sahen vor, dass die Westalliierten spätestens zwei Wochen nach dem Angriff auf Polen im Westen die Kampfhandlungen gegen Deutschland eröffnen. Nach Déats Motto wurde das einsam kämpfende Polen im September 1939 Hitler und Stalin überlassen. Neun Monate später waren die Deutschen in Paris, und wegen Danzig starben am Ende 50 Millionen Menschen auf der ganzen Welt.

Wird das alles, im Ernstfall, einen potentiellen Autoren des Artikels mit dem Titel „Faut-il mourir pour Riga?“ in Hamburg oder Paris von seiner Absicht abbringen?

RdP




Russland kennt keine Gnade

Ein Pole in den Fängen des Unrechts.

Dem russischen Straflager ist Anatol Łoś nur deshalb lebend entkommen, weil er sich einst eine eiserne Kondition antrainiert hat, weil er Russisch spricht und Russland gut kennt. Ein durchschnittlicher westeuropäischer Kaufmann hätte so etwas niemals durchgestanden. Zum Backen und zum Bestreuen von Gebäck lieferte Łoś über Jahre hinweg Tonnen von Schlafmohnsamen nach Russland. Und dann, plötzlich, hat man aus ihm einen Rauschgifthändler gemacht.

Nachstehend dokumentieren wir einen Bericht des Wochenmagazins „wSiecI“ („imNetzwerk“) vom 4. – 10. Januar 2016.

Die polnische Firma BNI Sp. z o. o. (BNI GmbH) hat ihren Sitz am Rande von Warschau. Jahrelang fuhren auf ihrem Hof russische Lkws vor, um für Groβhändler in Russland Container mit Schlafmohnsamen abzuholen. Irgendwann baten die Kunden aus dem Osten, die Firma möge die Ware selbst anliefern und sich um die Grenzabfertigung kümmern, weil der russische Zoll mit ausländischen Fuhrunternehmen gnädiger umgehe als mit den eigenen.

Für den in Polen und in Frankreich eingekauften Schlafmohn gab es alle amtlicherseits erforderlichen polnischen sowie französischen Papiere, die bestätigten, dass die Ware keine drogenhaltigen Substanzen enthält. Geliefert wurde nur in verplombten Lkws. An der Grenze machte der russische Zoll seine Rauschgiftkontrollen, anschlieβend fand noch eine penible Überprüfung der Samen im Hinblick auf mögliche Schadstoffe statt. Eine Kontrolle, die von russischer Seite bei allen aus dem Westen eingeführten Lebensmitteln durchgeführt wird.

Die Lieferungen gingen an Groβbäckereien und Gebäckfabriken. Alles legal, genau belegt anhand von Attesten, Frachtbriefen und Rechnungen. Die BNI hatte eine Zweigstelle in Rostow am Don eingerichtet, einer Zweimillionenstadt im Süden Russlands. Dort fuhr der heute 64-jährige Anatol Łoś (fonetisch Uosch) regelmäβig hin, um nach dem Rechten zu sehen.

Beweise werden sich finden

Łoś war daher sehr erstaunt als er im März 2012 Besuch von Beamten der Rauschgiftfahndung (Rosnarkokontrol) bekam, die ihm andeuteten, dass er Probleme bekommen könnte. Łoś ignorierte diese Warnung, wähnte sich auf der sicheren Seite. Alle Papiere waren in bester Ordnung, warum sollte die Firma also noch mehr Schutzgeld zahlen als bisher, fragte er sich? Zwei Monate später war er bereits in Haft.

„Er hat mich kurz auf dem Handy angerufen, dass sie ihn mit einem Bus von Rostow nach Apscheronsk (Entfernung ca. 370 km Richtung Süden – Anm. RdP) bringen. Mit diesem Bus war eine ganze Mannschaft von Beamten gekommen um ihn abzuholen, alle waren mit Kalaschnikows bewaffnet. Zuerst habe ich nichts verstanden, dann merkte ich, wie meine Knie weich wurden, und dann bin ich ins Flugzeug gestiegen und nach Russland geflogen, um meinen Mann zu retten“, berichtet seine Ehefrau Olga.

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Mit Putins Anordnung, den Süden Russlands vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2012 von Rauschgifthändlern zu säubern, begann Anatol Łoś’s  dramatische „Drogenkarriere“ .

Vor Ort begann sie nachzuforschen was eigentlich vorgefallen sei. Der Eigentümer einer russischen Firma, die von BNI beliefert wurde, namens Salimgeroi Kurajew hatte eine kleine Portion Schlafmohn als Handelsprobe an zwei Männer verkauft, die sich als Vertreter einer Bäckerei ausgaben. Wie sich später herausstellte, war einer von ihnen in Wirklichkeit ein Drogenabhängiger, der andere ein verdeckter Ermittler der Drogenfahndung. Das war der Ausgangspunkt der ganzen Affäre.

Kurajew warf man nun vor, er betreibe Handel mit einem Rohstoff zur Herstellung von Drogen. Worin aber das Wesen dieses Drogengeschäftes bestanden haben soll wurde nie geklärt, denn der Beschuldigte hatte 1 kg Schlafmohnsamen für den offiziellen Preis von damals 110 Rubel verkauft.

Es wurde auch nie die Frage beantwortet, wie man aus handelsüblichem Schlafmohn Rauschgift gewinnen könne. Diese Frage wurde zwar später vor Gericht gestellt, der Richter aber ließ sie nicht zu. Stattdessen wurde die Behauptung aufgestellt, Schlafmohn der Firma BNI beinhalte Reste von Mohnstroh, aus dem sich Rauschgift gewinnen ließe. Die Mohnstrohbeimischung betrug jedoch nicht einmal ganze 4 kg in der sichergestellten Zehntonnenpartie (10.000 kg), so die Berechnung der Ermittler anhand der Stichprobenuntersuchung aus einigen Säcken.

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Emblem der russischen Drogenfahndung. Egal wie, Erfolge müssen her.

Der leitende Untersuchungsbeamte telefonierte daher vier Mal mit seinem Vorgesetzten und fragte nach, ob er für den Polen Łoś wirklich Untersuchungshaft beantragen solle. Er sollte. Auch der Haftrichter war sich nicht sicher, ob er dem Antrag stattgeben soll. Der leitende Untersuchungsbeamte hingegen hegte nun keine Zweifel mehr und beteuerte: „Ich gebe Ihnen mein Offizierswort, dass es in spätestens drei Tagen Beweise geben wird.“ Olga Łoś: „Nun war klar, egal was passiert, Beweise werden sich finden.“

Ihr Mann beteuerte beharrlich seine Unschuld, auch wenn er daraufhin immer wieder für Tage in der eiskalten, kahlen Strafzelle landete. Olga Łoś fuhr immer wieder nach Apscheronsk, wo sie einen Anwalt für ihren Mann gefunden hatte. Sie brach um drei Uhr früh in Rostow auf, quälte sich auf der mit Baustellen übersäten, kurvenreichen Landstraβe voran, um in das Bergstädtchen zu gelangen. Dort befand sich das zuständige Gericht, und dort residierte, im gröβten Gebäude der Stadt, die Drogenfahndungsbehörde.

Der Anwalt hatte meistens nur sehr wenig Zeit für die Ehefrau seines Mandanten. Sie hatte den Eindruck, er flüchte vor ihr, weiche ihren Fragen aus. Die Verhandlung wurde für Dezember 2012 angesetzt. Einige Monate vorher riet ihr der Anwalt: „Fangen Sie schon mal an Geld für das Gericht bei Seite zu legen. Das Ganze wird nicht billig sein.“

Überlebenskampf

In der Untersuchungshaft in Apscheronsk zahlte man für alles. Für jeden Besuchstermin, für einmal Telefonieren in der Woche, für die Aushändigung eines Päckchens, von dessen ursprünglichem Inhalt gewöhnlich nicht viel übrig geblieben war wenn es ankam.

Als Olga Łoś klar wurde, dass der Anwalt aus Apscheronsk ihrem Mann nicht wirklich helfen wollte, fand sie einen Rechtsbeistand in Rostow. Dieser war sehr engagiert und rettete Anatol Łoś wahrscheinlich das Leben. Bei einem Besuchstermin begutachtete er das wunde Knie seines Mandanten. Man hatte den Häftling die Treppe hinuntergestoßen. Der Anwalt war bei der Roten Armee während des Afghanistankrieges Sanitäter gewesen. Er ging in die nächste Apotheke und brachte dem Häftling ein Antibiotikum. Der beginnende Wundbrand konnte geheilt werden.

„Wir haben alles in unserer Macht stehende getan, um Anatol zu helfen. Die Zellen in russischen Gefängnissen sind überfüllt. In der Regel gibt es mehr Insassen als Schlafplätze. Daher wird abwechselnd geschlafen. Auf kleinster Fläche sind sehr unterschiedliche Menschen zusammengepfercht. Einer der seine Familie mit der Axt erschlagen hat, neben einem Rauschgiftsüchtigen auf Entzug, der schreit und sich vor Schmerzen windet. Wer bezahlt, kommt in eine bessere Zelle“, erzählt der BNI-Firmenchef Wojciech Urbański.

Das Geld für Łoś floss ununterbrochen nach Russland, wurde im Firmenbudget fest eingeplant. Schon zu Beginn des Untersuchungsverfahrens gab es Hinweise, dass es für ein gigantisches Bestechungsgeld eingestellt werden könnte. Soviel konnte die Firma jedoch nicht aufbringen. Auβerdem war die Aussicht, dass die Russen ihr Wort auch halten würden zu vage.

„Man versuchte mich nach Russland zu locken. Ich sollte im Untersuchungsverfahren aussagen. Ich war durchaus bereit hinzufahren, aber ein russischer Bekannter fasste sich nur an den Kopf und fragte, ob ich denn verrückt geworden sei. Wenn sie mich verhören wollten, dann höchstens in Polen oder in der polnischen Botschaft in Moskau. Bei einer informellen Anfrage wie dieser hingegen, sei die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch mich als „Mitschuldigen“ einsperren würden sehr groβ“, erzählt BNI-Chefmanager Robert Olszewski.

Bei BNI hatte man allen Grund sich vorsichtig zu verhalten. Die Russen beteuerten z.B., dass Łoś während der Verhandlung auf freiem Fuβ bleiben könne, sobald das polnische Auβenministerium ein förmliches Schreiben mit der Garantie ausstellen würde, dass der Angeklagte jeder Vorladung Folge leistet.

„Das war, wie sich später herausstellte, jedoch nicht ernst gemeint. Wir haben ein solches Garantieschreiben erwirkt, was nur sehr selten gelingt. Wenn »Rauschgift« im Spiel ist, wird die Angelegenheit sehr genau geprüft. Die Russen haben Anatol dennoch nicht auf freien Fuβ gesetzt“, erinnert sich Urbański.

Als Łoś zu elf Jahren schweren Straflagers verurteilt wurde, kümmerte sich die Firma um das Wichtigste: er sollte bloβ nicht in ein Lager jenseits des Ural kommen. So wurde er in die Nähe von Krasnodar verlegt. Der Kommandeur des Lagers bekam alle drei Monate ein dickes Bündel Dollarscheine damit er seine schützende Hand über den Häftling hielt. Auch Łoś selbst bekam Geld, um die mit ihm einsitzenden Kriminellen bezahlen zu können. Jeder von ihnen hatte ein Messer bei sich. Łoś lernte es sehr wachsam zu schlafen.

„Eigentlich, so sagte er mir, habe er damals mit seinem Leben abgeschlossen“, so Łoś‘s polnischer Anwalt Marek Markiewicz.

Eingesperrt, Firma beschlagnahmt

Aus einer aufgerissenen Tüte rieseln Schlafmohnkörner auf den Tisch. Im Warschauer BNI-Büro zeigt uns Chefmanager Olszewski die in Frankreich eingekaufte Ware aus der Nähe. Wenn man die 500 Gramm Packung genau untersucht, kann man manchmal eine winzig kleine Verunreinigung, nicht gröβer als 0,5 mm, entdecken. Der Schlafmohn wurde bereits in Frankreich gereinigt und der millimetergroβe Halm ist gemäβ den EU-Vorschriften völlig belanglos. Für Russland jedoch wurde die Ware zusätzlich noch einmal gereinigt. BNI hatte speziell zu diesem Zweck eine Maschine gekauft.

„Wir waren sehr darum bemüht keine Probleme zu bekommen. Wir waren vorsichtig. Wir hatten alle Papiere, wir haben alle offiziellen und „nicht offiziellen“ Gebühren bezahlt. Man kennt ja die russische Wirklichkeit. Wir haben für das gesorgt, was die Russen »Krischa« – »Überdachung« nennen. Wir haben einen Schutzschirm aus Leuten mit Beziehungen aufgespannt, der die Firma vor behördlichen Repressalien bewahren sollte“, berichtet Urbański.

Diese Leute haben Anatol immer wieder nachdrücklich darauf hingewiesen, dass er aufpassen und der örtlichen Konkurrenz aus dem Weg gehen solle. Dennoch muss er irgendjemandem auf die Füße getreten haben.

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Roman Schilow, Eigentümer einer groβen australischen Firma, die mit Dörrobst handelt, sitzt auch im russischen Gefängnis.

„Damals habe ich gesagt, dass die erste Person, die jetzt bei unseren französischen Lieferanten erscheinen wird, die Probleme verursacht hat. Beinahe umgehend nach Anatols Verhaftung kam Roman Schilow zu ihnen, der Eigentümer einer groβen australischen Firma, die mit Dörrobst handelt“, sagt Urbański.

„Kurz darauf tauchte er auch bei uns in Warschau auf, um Schlafmohn für Russland zu kaufen. Wir schöpften zwar Verdacht, offiziell hatten wir aber keinen Grund nicht mit ihm zu reden. Vielleicht, so dachten wir, könnte man sogar etwas mehr erfahren. Wir redeten lange bei Wodka und Zubiβ. Schilow war bester Laune. Er habe eine »Super-Krischa«, ihm könne in Russland niemand etwas anhaben“, so Urbański.

Schilow flog von Warschau nach Moskau und schon drei Wochen später saβ er hinter Gittern. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Straflager. Seine Firma wurde durch die Russen beschlagnahmt.

Verhaftet wurde auch Prof. Olga Zelenina, Russlands herausragendste Kennerin von Ölpflanzen. Am 15. August 2012 stürmte eine maskierte Polizeieinheit ihre Wohnung in der Stadt Lunino, unweit von Pensa, etwa 550 Kilometer Luftlinie südöstlich von Moskau.

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Prof. Olga Zelenina nach ihrer Festnahme.

Prof. Zelenina hatte Pech. Sie hatte ein Gutachten verfasst, das den Behörden überhaupt nicht gefiel. Sie stellte fest, dass Schlafmohnkörner kein Rohstoff für Drogen sei. Ihr drohen bis zu zwölf Jahre Haft. Weil sich viele berühmte internationale Chemiker für sie eingesetzt haben, wurde sie bis zu ihrem Prozess auf freien Fuβ gesetzt.

Erfolge im Kampf gegen Drogen müssen sein

„Es ist klar, dass Schlafmohnkörner kein Rohstoff für Drogen sind, weil sie keine Alkaloide, wie z. B. Morphium enthalten“, sagt der polnische Sachverständige Jacek Wrona. „Auβerdem nutzen auch 4 kg Mohnstroh einem Drogenhersteller nichts. 4 Kilo passen in eine Einkaufstüte. Er benötigt aber mindestens einen groβen Kartoffelsack davon. Trockenes Stroh ist zudem ein schlechter Rohstoff. Verwenden kann man die oberen 10 cm des Stiels, der Rest ist wertlos. Deswegen war der Vorwurf gegen Łoś absurd.“

Russland hat ein riesiges Drogenproblem. Es wird buchstäblich von Heroin aus Afghanistan überschwemmt. Sehr oft wird der Verdacht geäuβert, dass diejenigen den Drogenhandel betreiben, die ihn eigentlich bekämpfen sollen, nämlich die Leute von der russischen Rauschgiftfahndung.

Als Russland sich auf die Olympischen Winterspiele in Sotschi vorbereitete, befahl Präsident Wladimir Putin den Süden Russlands von Drogenabhängigen zu säubern. Und gerade zu diesem Zeitpunkt begannen die Probleme Anatol Łoś‘ und der polnischen Firma BNI. Es genügt nur ein wenig im russischen Internet zu surfen, um zu sehen, dass es damals geradezu eine Welle von Verfahren in Sachen Schlafmohn gab. Diese Verfahren sollten den Beweis erbringen, dass Rauschgift aus dem Westen nach Russland gelangt, und dass die Rauschgiftfahndung diese Vorgänge erfolgreich bekämpft.

Kalte Schulter der Heimat

Ende 2015 wurde Anatol Łoś zur Verbüβung der restlichen Strafe nach Polen entlassen. „Wir haben so sehr daran geglaubt, dass, sobald mein Mann nach Polen überstellt wird, ihm Gerechtigkeit widerfahren wird. Wir wollten uns nicht an das russische Oberste Gericht wenden, das zwischenzeitlich das Strafmaβ für den BNI-Kunden Kurajew herabgesetzt hatte. Wir wollten Anatol schnellst möglich nach Polen bringen“, sagt dessen Ehefrau Olga.

Im Verhandlungsaal des Amtsgerichts Warschau-Praga erlebte sie dann einen zweifachen Schock. Den ersten, als ihr Mann aus dem Untersuchungsgefängnis in den Gerichtssaal gebracht wurde und dort berichtete, was ihm im russischen Straflager widerfahren war. Weinend lief Sie nach drauβen. Das zweite Mal packte sie das blanke Entsetzten, als die Richterin teilnahmslos verkündete, dass das vom Gericht der Russischen Föderation gegen Anatol Łoś verhängte Urteil über elf Jahre Freiheitsentzug als rechtens anerkannt wird.

Olga wurde den Eindruck nicht los, dass das alles ein abgekartetes Spiel war, dass die Entscheidung bereits im Vorfeld gefällt worden war. Sie glaubt nicht daran, dass die Richterin in den gerademal zwanzig Minuten Verhandlungspause das Urteil schriftlich formulieren konnte.

„Ich dachte, das Gericht werde die Absurdität des Falls sofort erkennen. Als Anwalt habe ich schon viel erlebt, aber dieser Fall hat mich tief erschüttert. Es geht doch nicht darum, dass wir die »Unsrigen« vor den Fremden in jedem Fall in Schutz nehmen, aber ein polnischer Bürger muss sich auf seinen Staat verlassen können. Bei uns gilt doch der Grundsatz der Unschuldsvermutung“, sagt Anwalt Markiewicz.

Er kann weder das Urteil, noch die Atmosphäre, in der es gefällt wurde akzeptieren. „Mit unglaublicher Gleichgültigkeit, hat man automatisch ein Urteil kopiert, das die dunkle Seite Russlands symbolisiert.“ Anatol Łoś wurde aus dem Warschauer Gerichtssaal zurück in Untersuchungshaft gebracht.

Zwei Wochen später begleiteten ihn bewaffnete Polizisten zum Warschauer Appellationsgericht. Der Richter hob das erstinstanzliche Urteil auf und hat den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. So etwas passiert sehr selten, aber in diesem Fall hat das Gericht dem Antrag von Verteidigung und Staatsanwaltschaft stattgegeben.

Das Amtsgericht Warszawa-Praga hat Anatol Łoś während der zweiten Verhandlung, mit sofortiger Wirkung, auf freien Fuβ gesetzt. Das Gericht konnnte, entsptrechend den geltenden Regularien, das russische Urteil nicht aufheben. Es befand jedoch, dass der Verurteilte duch die vier Jahre, die er in russischer Untersuchungshaft und Haft verbracht hat, für seine „Schuld“ ausreichend bestraft wurde.

RdP




Ein Apfel täglich – Herrn Putin abträglich

Polen hat russisches Embargo gut weggesteckt.

Am 6. August 2014 verfügte Staatspräsident Wladimir Putin ein Einfuhrverbot für Agrarprodukte aus Ländern, die aufgrund der Krim-Besetzung gegen Russland Sanktionen verhängt hatten. Nach gut einem Jahr steht nun fest: der Agrar-Groβhersteller Polen hat das russische Embargo bislang gut weggesteckt. Russland wollte Polen und anderen EU-Staaten Schaden zufügen, hat aber vor allem sich selbst getroffen.

Das sind die Kernaussagen eines Berichtes, den der russische Volkswirt Jewgenij Gontmacher, stellv. Direktor des renommierten Instituts für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften und der polnische Politologe Ernest Wyciszkiewicz vom Polnisch-Russischen Dialogzentrum in Warschau Anfang November 2015 gemeinsam veröffentlicht haben.

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Spätsommer 2014. Russische Berhörden vernichten „Schmuggelobst“ aus Polen in der Nähe von Kaliningrad.

Moskaus Hoffnungen und Erwartungen bei der Verhängung der Gegensanktionen waren hochgesteckt und klar umrissen. Begleitet wurde diese Maβnahme von Vernichtungsaktionen, bei denen Planierraupen und Bagger vor laufenden Kameras Lebensmittel aus EU-Staaten in Matsch verwandelten. Der Wegfall des russischen Marktes für europäische Agrarprodukte sollte:

1. den EU-Agrarproduzenten Milliardenverluste zufügen;

2. Zehntausende von Arbeitsplätzen in der EU gefährden;

3. heftige Proteste hervorrufen, die die innenpolitische Festigkeit der einzelnen EU-Staaten nachhaltig untergraben und ihre Regierungen zwingen sollten, notgedrungen, einen russlandfreundlichen Kurs in der Auβenpolitik einzuschlagen;

4. Unfrieden zwischen den EU-Staaten säen;

5. die bis dahin eher schwach entwickelte russische Agrarproduktion ankurbeln.

Russland schadet sich selbst

Die Autoren widmen sich zuerst Russland. Dort haben sich zwischen Mai 2014 und Mai 2015 die Nahrungsmittel im Durchschnitt um 23% verteuert. So ist der Preis für Schweinefleisch um 23% gestiegen, der für Käse um 20%, für tiefgefrorenen Fisch um 38%, bei Mohrrüben beträgt die Preissteigerung 39%, bei Äpfeln 37% und bei Getreide 49%. Auch die Preise von Nahrungsmitteln, für die kein Einfuhrverbot bestand stiegen in ähnlichem Ausmaß: Zucker um 52%, Sonnenblumenöl um 23%, Nudeln um 21%.

Drei Umstände führten zu dieser Situation: die EU-Sanktionen, die daraufhin verhängten russischen Einfuhrverbote und der Verfall des Rubel.

Derweil kommt die ausgeweitete russische Agrarproduktion nur schwer in Gang. Eine industriemäβige Fischzucht und Tierhaltung erfordern enorme Investitionen. Putin jedoch hat das Embargo zunächst für ein Jahr verhängt, dann um ein weiteres Jahr verlängert. Diese Zeiträume sind zu kurz, um gewaltige Ausgaben zu wagen. Umso mehr als Bruteier, Kälber, Futtermittelzusatzstoffe für Milchvieh und Fischbrut, Kartoffelsetzlinge, Zuckerrüben und Mais für eine Massenproduktion in Russland teuer im Westen gekauft werden müssten.

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Die ausgeweitete russische Agrarproduktion kommt nur schwer in Gang.

Zudem sind den russischen Verbrauchern unverändert importierte Nahrungsmittel lieber als einheimische, und sie werden in ihrer Haltung noch bestätigt. Der hohe Preisanstieg hat die Nachfrage gedrosselt. Um Käufer zu locken, drücken russische Hersteller massiv die Kosten. Schlechte Qualität ist die Folge. Laut offiziellen russischen Angaben entsprechen 23% der heimischen Milchprodukte, darunter 78% des Käses, nicht den Normen.

Polen weiβ sich zu helfen

Dem ersten Anschein nach versetzte Russland mit seinen Embargomaβnahmen Polen einen schmerzlichen Schlag. Der Verlust eines groβen Absatzmarktes, der zudem fast vor der Haustür lag, sollte enorme Einbuβen nach sich ziehen, polnische Getreidebauern, Viehhalter, Obstproduzenten und die gesamte Lebensmittelbranche auf die Barrikaden treiben. Bevorstehende Kommunalwahlen (November 2014), Präsidentschafts- und Parlamentswahlen (im Mai bzw. Oktober 2015) schienen die Verantwortlichen in Warschau besonders erpressbar zu machen. Doch der Kreml hatte sich verhoben.

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Polnische Lebensmittel bei Tesco in Groβbritannien.

Die gesamten polnischen Exporte des Jahres 2014 beliefen sich auf 165 Mrd. Euro. Davon entfielen 26,3% auf Deutschland, 6,4% jeweils auf Tschechien und Groβbritannien, 5,6% auf Frankreich, 4,5% auf Italien, 4,2% auf Russland und 4,1% auf die Niederlande. Demnach verkaufte Polen 2014 deutlich mehr Waren und Dienstleistungen nach Tschechien (für knapp 11 Mrd. Euro) als nach Russland (für 7 Mrd. Euro), das immerhin vierzehnmal mehr Einwohner zählt.

Für 2015 wird ein Rückgang des Russland-Anteils am polnischen Export von 4,1 auf 2,8% vorhergesagt. Die Ausfuhr polnischer Äpfel, Birnen und anderer Obstsorten, polnischen Gemüses, von Haselnüssen (2013 kaufte Russland immerhin 90 Tonnen), Schweinefleisch und Käse ist 2015 bei null angelangt.

Anfänglich hat das russische Embargo sehr vielen polnischen Agrarproduzenten das Leben schwer gemacht. Lkw-Transporte mussten umkehren, Lagerhallen quollen über, die oft schnell verderbliche Ware musste zu Schleuderpreisen abgestoβen werden.

Schon im August 2014 gab die EU-Kommission bekannt, es werde EU-weit Kompensationszahlungen für Embargo-Geschädigte geben.

Nach anfänglicher Orientierungslosigkeit, einer Unlust zu handeln und der Unterschätzung der Embargo-Verluste durch die Verantwortlichen in Warschau, gelang es schlussendlich doch noch das EU-Hilfsprogramm in Anspruch zu nehmen.

Polnische Obst-und Gemüsebauern bekamen bis Juni 2015 insgesamt 155 Mio. Euro Entschädigung. Die zweite Tranche von 200 Mio. Euro soll bis Ende Juni 2016 ausgezahlt werden.

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Polnischer Stand bei der Agrar-Messe in Schanghai 2014.

Zuvor, bereits im Frühherbst 2014. hatte es eine massive Werbekampagne gegeben: „Iss polnische Äpfel, Putin zum Trotz“, die in kurzer Zeit eine Verdopplung der Binnennachfrage nach polnischem Obst mit sich gebracht hatte. Gleichzeitig startete das Landwirtschaftsministerium in Warschau eine emsige Suche nach Ersatzmärkten in Südostasien, im Nahen Osten und Nordafrika. Sie wurde von Erfolg gekrönt.

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Polnische Präsentation bei der Agrarmesse in Abu Dhabi 2015.

Die Zahlen belegen es. Der polnische Agrarexport wuchs 2014 um 7,1%, für 2015 wird ein Zuwachs von 6,5% vorhergesagt. Russlands Embargo hat anfänglich wehgetan, aber es hat auch Anpassungsmaβnahmen erzwungen, die den polnischen Agrarexport schon ein Jahr später gegen russische Sanktionen praktisch immun gemacht haben.

© RdP




DAS WICHTIGSTE AUS POLEN 28. MAI – 10. JUNI 2017

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die  wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen.  ♦  Exhumierung der Opfer der Smolensk-Flugzeugkatastrophe vom 10. April 2010 bringt erschreckende Tatsachen ans Tageslicht. ♦ Polen ist nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat geworden. ♦ Erdgas aus den USA direkt nach Polen. Russland hat das Nachsehen. ♦ Buhrufe, Zwischenrufe, lautes Fuβstampfen für polnische Vertreter bei den 10. Polnisch-Deutschen Medientagen. Neue Qualität des Dialogs mit Polen.