Haie fressen Warschau auf

Gier, Mord, Mieterhatz. Abgründe der Privatisierung.

Sie wurde bei lebendigem Leib verbrannt, ihre halbverkohlte Leiche fand ein Spaziergänger im Warschauer Stadtwald Kabaty. Mitte August 2016, gut fünf Jahre nach dem rätselhaften Tod von Jolanta Brzeska (Bild oben), hat Justizminister Zbigniew Ziobro die Wiederaufnahme des Untersuchungsverfahrens angeordnet. Die Täter, so der Minister, und ihre Hintermänner sollen endlich nicht mehr ruhig schlafen können, die Staatsanwälte, die den Mord unter den Teppich gekehrt haben, sollen zur Verantwortung gezogen werden.

Anfang März 2016 ist eine Reform in Kraft getreten, die das ermöglicht: Polens Justizminister ist wieder gleichzeitig Generalstaatsanwalt, er kann von Amtswegen tätig werden und übernimmt dafür die volle Verantwortung. Die Staatsanwaltschaft ist wieder handlungsfähig geworden. Sechs Jahre lang war das anders.

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Justizminister Zbigniew Ziobro.

                   Unabhängig, unwillig, untätig

Im Jahr 2009 hatte die Regierung Donald Tusk die polnische Staatsanwaltschaft in die Unabhängigkeit entlassen:

● der Justizminister war nicht mehr zugleich Generalstaatsanwalt;

● ein vom Staatspräsidenten auf sechs Jahre berufener Generalstaatsanwalt hatte keinerlei Kontroll- und Weisungsbefugnisse gegenüber den 6.500 Staatsanwälten im Land. Er durfte nicht einmal Akteneinsicht in laufende Verfahren verlangen;

● eine Entlassung aus dem Dienst, die Absetzung einer leitenden Person, Strafversetzung, die Verhängung von Disziplinarstrafen, all das durfte nur ein aus Berufskollegen vor Ort bestehendes Disziplinargericht aussprechen. Diese Verfahren waren geheim, genauso wie die Begründungen der einzelnen Entscheidungen.

Beispiel: eine leitende Staatsanwältin aus Gdańsk. Zwei Jahre lang verhinderte sie, wider besseren Wissens, alle Versuche gegen die Verantwortlichen für die Amber-Gold-Affäre (Schattenbank-Finanzpyramide, am Ende umgerechnet ca. 200 Mio. Euro verschwunden, knapp 20.000 betrogene Sparer) ein ordentliches Untersuchungsverfahren durchzuführen. Der Generalstaatanwalt bat um ihre Absetzung vom leitenden Posten. Im Geheimverfahren wurde sie von dem aus Kollegen bestehenden Disziplinargericht freigesprochen. Warum? Begründung geheim;

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Amber-Gold-Werbung. Zwei Jahre lang wurde gestohlen was das Zeug hielt, die „unanhängige“ Staatsanwaltschaft mischte sich nicht ein.

● die strafrechtliche Belangung eines Staatsanwaltes (z. B. wegen Trunkenheit am Steuer, Ladendiebstahls usw.) konnte erst nach der Aufhebung der staatsanwaltlichen Immunität erfolgen. Die Aufhebung durfte wieder nur das Kollegen-Disziplinargericht in einem geheimen Verfahren verfügen.

Gängige Praxis: die Polizei lieferte zwischen 2009 und 2015 in etwa zweidutzend Fällen stichhaltige Beweise für solche Verfehlungen, die Kollegen-Disziplinargerichte stellten sich in 98 Prozent der Fälle vor die Übeltäter. Warum? Begründung geheim.

● „Störenfriede“, die ihre Arbeit engagiert und ordentlich verrichten wollten wurden gemobbt und isoliert. Ruhe haben, sich nicht überarbeiten, nicht anecken, keine Probleme bekommen… Angesichts einer solch groβzügigen „Unabhängigkeit“ der Staatsanwälte war der Geschädigte, der einfache Bürger vielerorts machtlos und der Verbrecher im Vorteil. „Unabhängig“ wie sie waren, stieβen nicht wenige Staatsanwälte nun zu den Klicken und Seilschaften aus Kommunalpolitikern, Richtern, Polizisten, Unternehmern, die vor allem die Provinz beherrschen.

Gängiger Trick: ein Staatsanwalt ohne jegliche Aufsicht und Kontrolle, der sich im Notfall auf die Kollegen-Solidarität verlassen konnte, leitete zwar prekäre Untersuchungsverfahren ein, zog sie aber schier endlos in die Länge, um sie dann einzustellen, sobald er annahm die Öffentlichkeit habe die Sache vergessen. So war es auch im Fall von Jolanta Brzeska (fon.: Bscheska).

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Februar 2011. Jolanta Brzeska bei der letzten Protestaktion vor ihrem Tod.

Neu aufgegriffen hat diesen Fall, der aufs Engste mit der kriminellen Häuserprivatisierung in Warschau verwoben ist, das Wochenmagazin „wSieci“ („imNetzwek“) vom 16.10.2016.

Selbst zusammengeschlagen + selbst angezündet = Selbstmord

„Das Schlimmste ist, dass diejenigen die Jola angezündet haben, ungestraft bleiben. Wir wissen nicht einmal, wie es ihnen gelang sie am 1. März 2011 zu täuschen und in den Kabaty-Wald zu bringen. Was ist passiert, dass gerade sie, die so klug, so intelligent war, sich in diese Falle locken lieβ“, diese Frage lässt Ewa Andruszkiewicz vom Warschauer Mieterverband nicht mehr los.

Noch vor Kurzem gab es keine Anzeichen dafür, dass es gelingen könnte den Fall zu lösen. Nicht etwa, weil er besonders kompliziert gewesen wäre. Sehr lange jedoch haben Polizei und Staatsanwaltschaft behauptet, es handle sich um einen Selbstmord.

Es war die allerbequemste Version. Deswegen wurde von vornherein auf wichtige Ermittlungsmaβnahmen verzichtet, andere wurden schludrig durchgeführt. Und als die Staatsanwaltschaft sich nach langer Zeit dennoch gezwungen sah zu der Überzeugung zu kommen, dass die 64-Jährige ermordet wurde, hat sie das Verfahren, mangels Beweisen, nach denen sie nie gesucht hatte, im Jahr 2013 schnell eingestellt.

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Warschauer Stadtwald Kabaty. Fundort der halbverkohlten Leiche Jolanta Brzeskas.

„Monatelang lag sie in einem Kühlfach der Gerichtsmedizin mit einem an den Zeh gebundenen Zettel „Name unbekannt“. Die aus Ihrer Wohnung dorthin gebrachten persönlichen Gegenstände mit DNA-Spuren waren irgendwo abhandengekommen, eine Identifizierung blieb monatelang aus. Die Staatsanwaltschaft hat‘s nicht gekümmert“, berichtet Ewa Andruszkiewicz.

Kurz nach Brzeskas Tod organsierten die Mieteraktivisten Proteste. Sie trugen Spruchbänder mit der Aufschrift: „Wer wird der Nächste sein?“ Dahinter verbarg sich die Angst, es könne noch weitere Morde geben, weil die Täter ja offenbar vor nichts mehr zurückschreckten. Ihre Motive lagen auf der Hand.

„Als mich die Polizei fragte, was der Grund für den Mord gewesen sein könnte, da habe ich geantwortet, dass es eine Million Motive gibt. Denn eine Million Zloty (knapp 250.000 Euro – Anm. RdP) ist die Wohnung, in der sie lebte wert, und Menschen werden für viel weniger Geld umgebracht“, erinnert sich Janusz Baranek vom Warschauer Mieterverband.

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Das reprivatisierte Haus in der Warschauer Nabielakstrasse 9. mit Jolanta Brzeskas Wohnung.

In die Wohnung in der Nabielakstrasse 9, im Stadtteil Mokotów, war Jolanta Brzeska schon als Kleinkind eingezogen, Anfang der 50er Jahre. Ihr Vater hatte die Unterkunft von der kommunalen Wohnraumbewirtschaftung zugewiesen bekommen, als Gegenleistung für einige tausend unbezahlte Arbeitsstunden, die er in seiner Freizeit beim Wiederaufbau des ausgebrannten Hauses geleistet hatte. Es war eine im kommunistischen Nachkriegspolen gängige Praxis den knappen Wohnraum zuzuteilen.

Treuhänder für 120-jährige Mandanten

Im völlig zerstörten Warschau hatten die kommunistischen Behörden schon 1945, per Dekret, den gesamten Grund und Boden (ca. siebentausend Hektar) und alle (ca. vierzehntausend) Gebäude nationalisiert, um „einen reibungslosen Wiederaufbau zu garantieren“.

Der Kommunismus ging 1989/1990 zu Ende. Gut zehn Jahre später begann die sehr zögerliche Rückgabe der einst nationalisierten Warschauer Parzellen und Gebäude an ihre ursprünglichen Eigentümer. Seitdem im Jahre 2006 die stellv. Vorsitzende der Bürgerplattform und enge Tusk-Vertraute Hanna Gronkiewicz-Waltz das Amt der Warschauer Oberbürgermeisterin bekleidet, verwandelte sich die Reprivatisierung zunehmend in ein hochkriminelles Unterfangen.

Ein Netzwerk aus Anwälten, städtischen Beamten, Richtern und gnadenlosen Spekulanten verdiente auf diese Weise Millionen von Euro. Ihre Opfer, es sind mittlerweile einige Tausend, waren lange Zeit auf sich selbst gestellt und wurden als „Krawallmacher“, „Unangepasste“ diffamiert. Die tote Jolanta Brzeska tauchte lange Zeit in einschlägigen Internetforen als eine Drogenabhängige auf, die sich selbst umgebracht hatte.

Das Privatisierungs-Prozedere weckte jahrelang kein Interesse bei der Staatsanwaltschaft. In den regierungsfreundlichen Medien der Tusk-Ära wurde es schweigend übergangen. Richter übertrugen anstandslos offensichtlichen Betrügern die Eigentums- und Verfügungsrechte über Immobilien. Auch auf solche Personen, die z. B. anhand eindeutig manipulierter Unterlagen behaupteten, Treuhänderschaften für in Amerika lebende Eigentümer zu übernehmen, die manchmal 120 und mehr Jahre alt sein müssten.

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Warschauer Oberbürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz mit Ehemann Andrzej.

An einem dieser äuβerst zweifelhaften Deals (Haus in der Noakowskistrasse 16) war im Februar 2007 Andrzej Waltz, der Ehemann der Oberbürgermeisterin beteiligt, und verdiente daran umgerechnet einige hunderttausend Euro.

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Am Haus in der Noakowskistrasse 16 (zweites v. rechts, weiss) einige hunderttausend Euro verdient: Andrzej Waltz.

Für die Warschauer Oberbürgermeisterin Gronkiewicz-Waltz ist das alles kein Anlass zum Rücktritt. Obwohl seit 2006 im Amt, habe sie von dem Tun der Privatisierungsmafia nichts gewusst, der Deal ihres Mannes sei legal gewesen und die Entlassung zweier ihrer Stellvertreter habe die ganze Sache bereinigt. Vor allem aber müsse sie auf ihrem Posten ausharren, denn bei vorgezogenen Oberbürgermeisterwahlen könnte er an einen Vertreter der Kaczyński-Partei fallen, und das wäre „fatal für die polnische Demokratie“.

Diese Befürchtung ist auch der Leitgedanke eines der wenigen Berichte zudem Thema in den deutschen Medien, der zu dem nur einen Fall von hunderten schildert. Ein grausamer Mord, hunderte brutal fortgejagter Mieter, eine riesige Korruption? Alles „Gemauschel“. Hier zu lesen.

Jäh in den Abgrund

Der vergilbte Zuteilungsbescheid der kommunalen Wohnraumbewirtschaftung für Jolanta Brzeskas Wohnung aus dem Jahr 1951 verlor seine Gültigkeit als das Haus in der Nabielakstrasse 9 reprivatisiert wurde. Es lief ab nach dem klassischen Muster: plötzlich, von einem Augenblick zum anderen, hatte das Haus einen Eigentümer. Wie meistens handelte es sich auch dieses Mal hierbei nicht um einen Erben, sondern um einen sogenannten Rechtsnachfolger.

Und, der damit verbundene Fall Jolanta Brzeska hatte nicht nur ein tragisches Ende, sondern bereits einen besonders dramatischen Anfang. Er begann nicht, wie üblich, mit einem Zettel, der am Hauseingang angebracht oder in den Briefkasten eingeworfen wurde.

Eines Samstags im Jahr 2006 klingelte es an der Tür und eine Gruppe von Männern betrat die Wohnung, angeführt vom dem berüchtigten Marek Mossakowski, stadtbekannt als der gnadenlose „Gebäudereiniger“, weil er Mieter aus privatisierten Häusern mit den rüdesten Methoden zu verjagen versteht. Damals, am Mittagstisch sitzend, hörte Jolanta Brzeska zum ersten Mal, dass sie in einer fremden Wohnung lebe.

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Jolanta Brzeska hat die Auswüchse der Warschauer „Reprivatisierung“ penibel dokumentiert.

Danach ging es Schlag auf Schlag: zehnfache Mieterhöhung gegenüber der kleinen Abgabe, die sie bis zu diesem Zeitpunkt an die kommunale Wohnraumbewirtschaftung entrichtet hatte, weil sie nun „ohne gültigen Vertrag“ die Wohnung nutze. Dazu 500 Zloty (ca. 120 Euro – Anm. RdP) monatlich für das Durchqueren des Zugangs vor dem Hauseingang.

Jolanta Brzeska konnte nicht zahlen. Ihre Schulden gegenüber dem neuen „Eigentümer“ stiegen rasant. Die Stadt verweigerte ihr eine Ersatz- Kommunalwohnung. Begründung: ihre Rente übersteige um 20 Zloty (ca. 3,50 Euro) das Einkommenslimit, ab dem eine solche Wohnung gewährt werden kann.

„Sie kämpfte, dachte nicht daran aufzugeben. Sie wollte zeigen, dass sie, ohne eigenes Verschulden, in eine ausweglose Situation hineinmanövriert worden war. Sie ging penibel und systematisch vor, legte ihr eigenes Archiv der Warschauer Privatisierung an. Alles wurde genau beschrieben von ihr, in Plastikhüllen und Schnellhefter einsortiert. Ein Haus nach dem anderen: die rechtliche Situation und die Zwischenfälle bei der Übernahme der Liegenschaften“, berichtet eine ihrer Bekannten.

Kurz vor ihrem Tod erhielt sie einen Behindertenausweis. Nun konnte sie der „Eigentümer“ nicht mehr einfach so auf die Straβe setzen.

Brutal und wirksam

Zum ersten Todestag von Jolanta Brzeska klebte jemand ein riesiges Bild an eine Hauswand im Warschauer Stadtzentrum. Marek Mossakowski hält darauf in der einen Hand einen Benzinkanister und die Streichhölzer in der anderen. Daneben die Aufschrift: „Mossakowski: Warschau ist leicht entflammbar“, eine Andeutung an die Verbrennung Jolanta Brzeskas.

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Mossakowski-Wandbild. „Gebäudereiniger“ mit Benzin und Streichhölzern. „Warschau ist leicht entflammbar“.

Das Bild wurde schnell entfernt, aber die finstere Gestalt Mossakowskis ist aus der Welt der alternativen Stadtkultur Warschaus nicht mehr wegzudenken: Poster, Lieder, selbst ein Bühnenstück entstand. Im Warschauer Reprivatisierungs-Dschungel ist er der König: 60 Liegenschaften nennt er inzwischen sein eigen.

„Mossakowski kam zu uns ins Büro mit seiner Anwältin und erklärte er wolle mit uns zusammenarbeiten. Er ließ sich im Sessel nieder und erzählte, dass er Häuser reprivatisieren könne. Ich habe ihn gefragt, um welche Liegenschaften er sich dabei bemühe. Als er mir alle seine Ansprüche aufzählte, habe ich ihn hinausgeworfen. Das ist ein Hochstapler“, erzählt Mirosław Stypułkowski, vor einigen Jahren noch der Präsident der Union Polnischer Liegenschaftseigentümer.

Dieser Besuch fand Ende der 90er Jahre statt. Damals lebten noch die direkten Nachkommen der Eigentümer der in den Nachkriegsjahren nationalisierten Wohnhäuser, meist in Kleinstwohnungen, ohne Hoffnung jemals ihr ganzes Eigentum zurück zu bekommen. Mossakowski sah alte Grundbücher durch, man ließ ihn, gegen ein paar Zloty Trinkgeld, diskret die Warschauer Gerichtsarchive auf Liegenschaftssachen hin durchforsten.

Für wenig Geld kaufte er dann einzelne Eigentumsrechte von den mittlerweile hochbetagten, zumeist weiblichen Erben. Sein Rekord: 50 Zloty (ca. 12 Euro – Anm. RdP) für den Anteil einer alten Dame am Wohnhaus in der Hozastrasse 25A, beste Adresse, mitten im Warschauer Zentrum. Der so erworbene Gebäudanteil war zwar klein, aber Mossakowski musste auch lediglich einen Fuβ in der Tür haben. Hatte er erst einmal einen Rechtstitel, dann mobbte er die andren Eigentümer raus bis er Alleineigentümer war. Dann kamen die Mieter an die Reihe, die, wie Jolantas Vater ihr Wohnrecht als Gegenleistung für die beim Wiederaufbau des Gebäudes geleistete Arbeit erhalten hatten. Zudem verlangte er von der Stadt horrende Entschädigungen für die Jahrzehnte der kommunalen Nutzung „seines“ Eigentums, und bekam sie auch.

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Haus in der Warschauer Hozastrasse 25A. Für zwölf Euro abgeluchst.

„Er handelt brutal und wirksam. Hat keine Hemmungen. Meistens tritt er zusammen mit seinem Liegenschaftsverwalter Hubert Massalski auf. Sie spielen perfekt den „good“ und „bad boy“. Der eine brüllt: „Raus aus meinem Haus!“, der andere besänftigt: „Mein Kollege ist ein bisschen ausgerastet“.

Jolanta Brzeska berichtete ihren Freunden über diese Vorfälle, sie hatte immer das schreckliche Gefühl, dass diese beiden Männer die Institutionen und die Angestellten der Stadt auf ihrer Seite hatten. Ohne Probleme hatte sich Mossakowski z.B. widerrechtlich unter der Adresse ihrer Wohnung angemeldet. Als nächstes versuchte er einige Male mit Gewalt dort einzudringen.

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Das Warschauer Liegenschaftsamt (unteres Schild). Mieteraktivisten bemerkten, dass die Arbeitszimmer der wichtigsten Mitarbeiter zwielichtigen Gestalten wie Mossalowski stets offen gestanden haben.

Die Mieteraktivisten bemerkten sehr schnell, dass sich Mossakowski im hauptstädtischen Liegenschaftsamt wie zu Hause fühlte. Die Arbeitszimmer der wichtigsten Mitarbeiter standen ihm immer offen.

Erschien ein Erbe in dem Amt, der sich um die Rückgabe einer Liegenschaft bemühte, dann bekam er zu hören, die Angelegenheit sei kompliziert und aussichtslos. Seltsamerweise nahm dann meistens einige Wochen später Mossakowski Kontakt mit genau diesem Erben auf, und für ihn war dieselbe Angelegenheit ein Leichtes.

„Wir gewinnen immer, wir können alles“

„Es steht auβer Zweifel“, so der Mieteraktivist Janusz Baranek, „dass Mossakowski und Massalski nur Handlanger sind. Hinter ihnen stehen viel einfluβreichere Personen“. Sie verbergen sich diskret im Schatten. Mossakowski ist nicht nur ihr Strohmann, sondern ein Blitzableiter, der alle negativen Emotionen in Bezug auf die wilde Warschauer Privatisierung auf sich zieht und neutralisiert.

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Einschüchtern und verjagen. „Bad boy“ Massalski (links) und „good boy“ Mossakowski.

Seit 2008 hat Baraneks Warschauer Mieterverband bei der hauptstädtischen Staatsanwaltschaft mehrere Anzeigen gegen Mossakowski erstattet und darauf hingewiesen, dass es in Warschau offenbar eine organisierte kriminelle Vereinigung gibt, die von der Stadt Liegenschaften ergaunert. Alle wurden abgewiesen, auch die, die den Fall Hozastrasse 25 betraf: 50 Zloty für Eigentumsanteile an einem Gebäude, das Millionen wert ist.

Sein Kompagnon Hubert Massalski ist dafür bekannt, dass er unentwegt SMS im Gerichtssaal schreibt. „Manchmal bittet er um eine Pause. Er hat keine juristische Ausbildung, dennoch schüttet er jedes Mal nach der Pause wie aus einem Füllhorn, Anträge an das Gericht aus, samt den dazugehörenden Paragraphen. Die Richter wundern sich oft nicht schlecht“, berichtet Ewa Andruszkiewicz.

Seit Jahren führt sie Prozesse gegen Massalski, der sie aus ihrer Wohnung in der Warschauer Dabrowskistrasse 18 verjagt hat. Jetzt will er das Gartenhäuschen, in dem sie Zuflucht gefunden hat, versteigern lassen und so ihre „Mietrückstände“ ausgleichen. Einmal kam er auf dem Gerichtskorridor auf sie zu und sagte ihr wütend: „Merken Sie sich: wir gewinnen immer und wir können alles.“ Diese Worte deuten darauf hin, dass über Warschaus bekanntestem „Gebäudereiniger“ und seinem Verwalter ein Schutzschirm aufgespannt ist.

Den Eindruck hatten auch die Mieteraktivisten während der Untersuchung nach dem Tod von Jolanta Brzeska. Deswegen atmeten sie auf als Justizminister Zbigniew Ziobro bekanntgab, dass die neue Untersuchung von der Staatsanwaltschaft Gdańsk durchgeführt wird.warszawa-jolanta-brzeska-plakaty-fot

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„Zum Gedenken an Jolanta Brzeska. Uns alle könnt ihr nicht verbrennen“. Die einst biedere Hausfrau ist heute die Ikone des Widerstandes gegen dre Warschauer Reprivatisierungsmafia.

Bei der ersten Untersuchung hatten sie beobachtet wie die Warschauer „unabhängige“ Staatsanwaltschaft unentwegt von Selbstmord sprach, wahrscheinlich um bloβ nicht Mossakowski verhören zu müssen. „Erst die Gerichtsmediziner aus Kraków, die vom Anwalt der Brzeska-Tochter angefordert worden waren, schlossen 2013 den Selbstmord aus“, erinnert sich Janusz Baranek. „Das wussten wir von vorneherein. Wenn sie hätte Selbstmord begehen wollen, dann hätte sie das vor dem Amtsgebäude von Ministerpräsident Donald Tusks oder vor dem Rathaus von Frau Gronkiewicz-Waltz getan.“

Die Gutachter kamen zu dem Schluss, dass zwei bis drei Personen Brzeska angezündet haben müssen. Wahrscheinlich wollten sie sie einschüchtern und die Lage geriet auβer Kontrolle. Ein Zeuge will gesehen haben, wie Brzeska am 1. März 2011 aus dem Hausgang in Begleitung von zwei Männern kam und zu einem Auto ging, an dem ein dritter wartete.

Brzeska hatte die Wohnung in groβer Eile verlassen. Ihre Tochter fand in der Wohnung ihr Handy und ihre Handtasche. Auf dem Tisch stand aufgetautes Fleisch aus der Tiefkühltruhe. Ihre Kollegen aus der Mieterbewegung sind felsenfest davon überzeugt, dass sie niemals Leuten, die sie nicht kannte, die sich nicht ausweisen konnten die Tür geöffnet hätte. Sie selbst hatte ihnen immer wieder eingebläut, sich mit Mossakowski niemals in der Wohnung sondern auf neutralem Boden, z.B. in einem Café, zu treffen.

Hatte man sie unter dem Vorwand ihr wichtige Informationen zu geben aus ihrer Wohnung gelockt? Oder hatten sich die Mörder als Polizisten bzw. Staatsanwälte ausgegeben?

„Als sie im Polizeipräsidium ihre Sachen aus einem schwarzen Müllsack herausgeholt haben, sah ich neben ihrer angesengten Brille, der Uhr und dem Schlüsselbund eine weiβe Leinentasche. Jola verstaute in ihr für gewöhnlich ihre Reprivatisierungs-Unterlagen. In der Tasche war aber nur eine Zeitung. Jemand muss die Papiere rausgenommen haben. Diese Papiere könnten zu den Tätern führen“, erzählt Brzeskas Freundin Wanda Padzioch.

Der Wille lässt hoffen

Jolanta Brzeskas Wohnung in der Nabielakstrasse 9 wurde kurz nach ihrem Tod zum Verkauf angeboten. Preis: eine Million Zloty. Zwei Jahre lang gab es keinen Käufer, der Preis war sehr hoch. Schlieβlich ging sie weg. Der neue Eigentümer muss damit leben, dass an jedem 1. März einige hundert Menschen Jolanta Brzeskas mit Reden, Sprechchören, Blumen und einem Meer von Grablichtern gedenken.

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Jolanta Brzeskas Grab auf dem Warschauer Südfriedhof.

„Es gibt kein perfektes Verbrechen. Die Aufklärung hängt sehr davon ab, ob es einen Willen gibt die Mörder zu finden. Jetzt ist er endlich da“, sagt Wanda Padzioch. „Es gab wahrscheinlich drei Täter. Irgendwann wird einer von ihnen das Schweigen brechen und dann erfahren wir endlich die Wahrheit.“

Das Zentrale Antikorruptionsbüro (CBA) ermittelt seit dem Sommer im Warschauer Rathaus. Mitte Oktober 2016 kündigte Justizminister Zbigniew Ziobro die Einberufung eines Untersuchungsausschusses an, der alle Warschauer Reprivatisierungen unter die Lupe nehmen wird. Die Aussagen vor dem Ausschuss sollen öffentlich sein. Stadtpräsidentin Gronkiewicz-Waltz spricht von einem „politischen Rachefeldzug“.

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RdP




Sumpfland-Midas

Am 29. Juli 2015 starb Jan Kulczyk.

Aufwendiger und prunkvoller ging es kaum. Gesperrte Straβen, Polizeiketten, Spaliere von Neugierigen umgaben die Karmeliterkirche in Poznań. Im Inneren spielte Polens herausragender Pianist Janusz Olejniczak das „Wiegenlied“ von Chopin. Kammerorchester, Chor und Solisten stimmten das „Requiem“ von Gabriel Fauré an. Lech Wałęsa hielt die Trauerrede. Etwa eintausend handverlesene Trauergäste wohnten der Totenmesse in den Kirchenbänken und vor der Groβleinwand im benachbarten Zelt bei.

Mitgetrauert haben u. a. die postkommunistischen Politiker Aleksander Kwasniewski (Ex-Staatspräsident), Leszek Miller (einstiger Regierungschef), Ryszard Kalisz (ehem. Justizminister), der ehem. Finanz- und Auβenminister, und Mitbegründer der regierenden Bürgerplattform Andrzej Olechowski usw., usf. Das offizielle Polen vertrat die Gattin des scheidenden Staatspräsidenten Anna Komorowska.

Liegengebliebenes ordnen 

Der Tod ereilte Jan Kulczyk unerwartet, obwohl er ernsthaft krank war. Knapp zwei Jahre zuvor wurde in Detroit in den USA der Versuch unternommen ihm aus der Prostata Krebszellen zu entfernen. Es war ein experimenteller, medizinisch hochtechnologischer Eingriff. Jetzt wurde dieser, da erneut  Krebszellen festgestellt wurden, in Wien wiederholt. Dabei kam es  zu einer Lungenembolie und zum Kreislaufversagen.

Kulczyk wusste, dass er ernsthaft krank war. Nach Außen jedoch spielte er den etwas müde gewordenen älteren Großunternehmer, der sich aus dem Geschäft zurückziehen möchte. Im Januar 2014 übergab er seine Firma Kulczyk Investments an Tochter Dominika (Jahrgang 1977) und Sohn Sebastian (Jahrgang 1980) und begann Liegengebliebenes zu ordnen.

Er ließ den Friedhof Jeżyce (fonetisch Jeschitze), auf dem er jetzt begraben liegt, renovieren und richtete sein „Altersruhesitz“-Büro in Warschau ein. In der ersten Etage musste der Fußboden verstärkt werden. Die automatische Schiebetür  zwischen seinem Arbeitszimmer und dem Sekretariat war zu schwer, weil er sie mit Bronzereliefs des spanischen Bildhauers Joan Miró versehen ließ. Bestellt war auch schon der neue Schreibtisch, gehauen aus einem Basaltfelsen. Außerdem wartete Kulczyk ungeduldig auf sein neues Flugzeug, eine »Gulfstream G650«.

Jammern, klagen, verschweigen

Die Nachricht von seinem Tod schlug in Polen ein wie eine Bombe, und löste im staatlichen Fernsehen und in den Tusk-regierungstreuen Medien, wie der linken Zeitung „Gazeta Wyborcza“, den privaten Fernsehsendern TVN und Polsat, geradezu eine Hysterie aus.

Jerzy Jachowicz, ein aufmerksamer Beobachter der politischen Szene aus dem konservativen Lager, schrieb dazu am 2. August 2015 auf der Internetseite des Polnischen Journalistenverbandes (SDP):

„Es war, als wäre ein Vulkan ausgebrochen. Erinnerungen und Stellungnahmen, lyrisch und sentimental, quollen unablässig aus den Fersensehschirmen und Lautsprechern, wie Lava ins Tal. Kulczyk als Unternehmer, als groβer Unternehmer, als Gigant des Unternehmertums, als Familienvater, als Förderer, Wohltäter, Freund, als Quell der Lebensweisheit, als Stratege, Patriot, Messias, Erlöser des Vaterlandes.“

Noch weiter ging der für seinen Scharfsinn und seine Bissigkeit bekannte Kommentator Rafał Ziemkiewicz am 31. Juli 2015 in seiner Glosse im Internetportal Interia.pl:

„Der Tod eines Menschen ist immer ein trauriges Ereignis, doch der Tod eines sündigen Menschen ist eine wahre Tragödie, weil er ihm endgültig die Chance raubt sich zu bekehren und Buβe zu tun. Eigentlich möchte man die Trauer nicht stören und sie ausklingen lassen, aber auch die Wahrheit muss geachtet werden. Niemandes Tod darf dazu Anlass sein, offensichtliche Lügen zu dulden.“

Marek Król, einst kommunistischer Funktionär, später Groβverleger, heute Kommentator, erinnerte sich am 2. August 2015 im Internetportal „wPoilityce.pl“ („inderPolitik.pl“):

„Ich kannte ihn und traf ihn oft, zwanzig Jahre lang, bis 2010. Kulczyk war ein geradezu verführerischer, überaus liebenswürdiger Mensch. Als ein extrem reicher Mann konnte er sich diesen Luxus leisten. Ich habe ihn dafür geschätzt, dass er mir gegenüber niemals seine wahren geschäftlichen Absichten verheimlicht hat. Polen, auch wenn er das nicht offen zugab, behandelte er wie eine Kolonie, und die Politiker, mit denen er seine Geschäfte tätigte waren für ihn nur käufliche Hampelmänner. Die Erinnerungen dieser Hampelmänner an ihn ergossen sich nun über die Medien und erzeugten eine allgemeine Rührseligkeit, die im umgekehrten Verhältnis stand zu seinen Verdiensten.“

Kapitalist im Kommunismus

Jan Kulczyk wurde 1950 in Bydgoszcz/Bromberg geboren. 1968, nach dem Abitur, ging er nach Poznań, um dort Jura und Auβenhandel zu studieren. Poznań wurde seine Wahlheimat. Dort promovierte er 1975 zum Doktor der politischen Wissenschaften und des Völkerrechts mit einer Arbeit über den Grundlagenvertag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 21. Dezember 1972. Dort arbeitete er eine Zeit lang an dem damals noch sehr renommierten Instytut Zachodni (Westinstitut), der wichtigsten Einrichtung der polnischen Deutschlandforschung.

Kulczyk sprach gut Deutsch, kannte sich in Deutschland bestens aus. Sein Vater, Henryk bekam eine Ausreisegenehmigung und zog bereits Mitte der 50er Jahre nach Westberlin, wo er als Kaufmann viel Geld verdiente. Zuerst vermarktete er tonnenweise polnische Pilze und Blaubeeren, später auch Volkskunst und andere Waren, die das stets devisenhungrige Land anzubieten hatte. Sohn Jan konnte, dank des schwindelerregenden Zloty/D-Mark Wechselkurses auf dem Schwarzmarkt, mit den Beträgen, die der Vater ihm zukommen lieβ, ein sorgenfreies Leben im kommunistischen Polen führen. Zu Kopf gestiegen war ihm dieser Geldsegen nicht.

Über all dem wachte das aufmerksame Auge der polnischen Staatssicherheit, dem solche Familienkonstellationen und Westkontakte stets höchst verdächtig vorkamen. Doch Vater Henryk gab sich immer loyal, unterhielt enge Beziehungen zur polnischen Militärmission in Westberlin, wahrte Distanz zu jeglichen exilpolnischen, antikommunistischen, oppositionellen Aktivitäten. Sohn Jan, der ab und an zu Besuch kommen durfte, hielt es ebenso. Nur auf diese Weise lieβ sich das lukrative Polengeschäft aufrechterhalten.

So kam die Zeit der ersten „Solidarność“, der ersten freien Gewerkschaft die in der Folge der groβen Werftarbeiterstreiks an der polnischen Küste im Sommer 1980 entstand und nach sechzehn Monaten, am 13. Dezember 1981, mit der Verhängung des Kriegsrechts in Polen, verboten wurde. Die sechzehn Monate waren eine Zeit vieler Streiks und Proteste, einer Eruption der Freiheit, wie es sie im kommunistischen Machtbereich noch nie gegeben hatte, und einer gigantischen Versorgungskrise. Mitten im Frieden gab es, auβer Essig, alles nur noch auf Marken zu kaufen: Lebensmittel, Seife, Wodka, Schuhe…

Um Abhilfe zu schaffen, erlaubten die kommunistischen Machthaber den Auslandspolen in der alten Heimat private Firmen zu gründen, die Konsumartikel für den leergefegten Markt herstellen oder importieren sollten. Sie hieβen „firmy polonijne“ (Polonia-Firmen). Polonia wird in Polen die polnische Diaspora im Ausland genannt.

Vater Henryk schenkte daraufhin Sohn Jan eine Million D-Mark und dieser gründete in Komorniki bei Poznań das Polonia-Handelsunternehmen „Interkulpol“, das Chemikalien, Baumaterial und vor allem, eimerweise, eine rosarote Handwaschpaste aus eigener Herstellung verkaufte. Es herrschte Goldgräberstimmung, denn der Markt nahm alles auf, in jeder Menge. Das einzige Problem war: für die erwirtschafteten Zloty-Millionen irgendetwas auf dem bis ins kleinste Detail staatlich regulierten polnischen Markt zu finden, was anschlieβend im Westen mit Gewinn verkauft werden konnte. Dazu bedurfte es sehr guter Beziehungen.

Für die Firmengründer gab es noch weitere Privilegien : grüne Autokennzeichen, mit denen man ohne Bezugsscheine tanken konnte und einen Reisepass, mit dem man das Land nach Belieben verlassen durfte. Der Normalbürger bekam einen Reisepass nur auf Antrag, wenn er ihn überhaupt bekam, und musste ihn nach Rückkehr wieder bei der Polizei, gegen Aushändigung des hinterlegten Personalausweises, abgeben. So lebte und genoss Jan Kulczyk das Kapitalistenleben im tristgrauen kommunistischen Polen der 80-er Jahre.

Vitamin B war seine Hefe

Die Polonia-Firmen waren zusammengefasst in der Polonia Industrie- und Handelskammer „Inter-Polcom“, in der es, wie konnte es anders sein, von verdeckten Stasi-Offizieren und deren Zuträgern nur so wimmelte. Vater und Sohn Kulczyk saβen in den Leitungsgremien der Polonia IHK. Jan war eine Zeit lang sogar ihr Vorsitzender.

Er lehnte, laut Berichten, die sich in seiner Stasi-Akte in der polnischen Gauck-Behörde befinden, die Aktivitäten der Untergrund-„Solidarność“ ab, die er als „krawallmacherisch“ und „verantwortungslos“ charakterisierte. An der Dauerhaftigkeit des Sozialismus hegte er keine Zweifel, äuβerte sich aber kritisch über den mangelnden Reformwillen der kommunistischen Machthaber auf dem Gebiet der Wirtschaft.

Ob diese Haltung echt oder nur vorgetäuscht war, sei dahingestellt. Genauso wichtig wie die enormen Profite, waren die Bekanntschaften und Kontakte, die Jan Kulczyk damals geknüpft hat.

Der Kommunismus schwächelte immer mehr, immer mehr Apparatschiks und Stasi-Leute schauten sich nach Möglichkeiten um, ihre Parteibücher gegen Scheckbücher einzutauschen. Da war z. B. Stasi-Oberst Henryk Jasik, seit 1980 jahrelang stellvertretender Leiter der polnischen Handelsvertretung in Köln, in Wirklichkeit Chef der polnischen kommunistischen Spionage in Westdeutschland. Als Geschäftsmann pflegte Kulczyk enge Kontakte zur Kölner polnischen Handelsvertretung.

Ab 1988 fungierte Jan Kulczyk als erster VW-Generalvertreter für Polen. Sein Bekannter Jasik wurde Mitte 1990 Chef des neugegründeten Verfassungsschutzamtes (UOP) des nun demokratischen Polens. Just in jener Zeit bestellte Jasiks unmittelbarer Vorgesetzter, Innenminister Milczanowski, bei Kulczyk, ohne Ausschreibung, dreitausend VW-Wagen für die polnische Polizei, im Wert von heute etwa 38 Millionen Euro. Viele Kenner der Szene behaupten, der Deal sei zwischen den beiden „Bekannten“ gelaufen.

„Zugang“ war alles

Noch gröβere Abschlüsse sollten folgen. Seine Firma „Kulczyk Holding“, später „Kulczyk Investment House“, seit einiger Zeit „Kulczyk Investment“ spezialisierte sich auf die Beteiligung an lukrativen Privatisierungen groβer polnischer Staatsfirmen.

Der Ablauf war stets der Gleiche. Kulczyk bildete ein Konsortium mit einem groβen ausländischen Konzern, wobei letzterer, dank der guten Beziehungen Kulczyks, die Gewissheit haben konnte, bei Ausschreibungen erfolgreich zu sein. Gemeinsam ging man in das Verfahren, und es gab keinen einzigen Fall, in dem Kulczyk nicht den Zuschlag bekommen hätte. „Der Einkaufspreis war stets »politisch«, der Preis beim Weiterverkauf immer »marktgerecht«“, schreibt Rafał Ziemkiewicz.

So z. B. „privatisierte“ Kulczyk die polnische staatliche Telefongesellschaft, indem er sie der staatlichen (!) France Télécom zuschanzte und dafür sorgte, dass sie das Monopol auf dem polnischen Markt für einige Jahre behielt. „Für Kulczyks Erfolg haben wir damals mit den höchsten Telefongebühren in ganz Europa bezahlt“, berichtet Marek Król.

Nach einiger Zeit verkaufte Kulczyk dann seine Anteile an den jeweiligen ausländischen Partner. Im Falle von France Télécom habe er, so heiβt es, sage und schreibe, 30 Millionen Euro verdient.

Sehr erfolgreich verliefen für Kulczyk ebenfalls die Privatisierungen des Mobilfunkanbieters Polska Telefonia Cyfrowa – mit der Deutschen Telekom, der Versicherungsgesellschaft TUiR Warta SA, der Browary Wielkopolskie (Groβpolnische Brauereien) und, im Juni 2014, des staatlichen Chemie-Konsortiums Ciech.

Umgeben waren diese Geschäfte stets von einer Aura des Zwielichtigen. Es gab Indizien, Hinweise, Anhaltspunkte für groβe und kleinere „Ungereimtheiten“, doch alle staatsanwaltlichen Untersuchungen und sogar die Nachforschungen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses verliefen im Sande.

Als die Regierung Jarosław Kaczyński, nach ihrem ersten Wahlerfolg, in den Jahren 2005-2007 die Geschäfte des „Lieblingsprivatisierers“ ihrer Vorgänger unter die Lupe nahm, und ihn nicht mehr als Partner haben wollte, stilisierte sich Jan Kulczyk zum Opfer „politischer Verfolgungen“, und so hat man ihn auch nach seinem Tod in den zur damaligen Zeit regierungsnahen Medien dargestellt.

Mit dem Antritt der Regierung Tusk, im Spätherbst 2007, war dann alles wieder gut. Abermals standen Jan Kulczyk in Warschau alle Türen offen, und er nutzte, meistens sehr unauffällig, die Möglichkeiten, die sich ihm boten. „Ciech“, seine letzte groβe Privatisierung in Polen, steht inzwischen im Mittelpunkt einer staatsanwaltlichen Untersuchung.

Oligarch mit Stil

In seinen letzten Lebensjahren widmete sich Kulczyk, von London, Genf oder Wien aus, wo er oft verweilte, seinen Erdöl- und Erdgasgeschäften in Südamerika, Afrika, ja sogar in Aserbaidschan und Afghanistan. Er baute Bürohäuser in Dubai, verwaltete seine Autobahn in Westpolen, kaufte ein Heizkraftwerk im Südosten des Landes usw., usf.

Zwischendurch stach er in See auf seiner 90 Millionen Euro teuren Yacht oder zog sich zurück in sein „Alpen-Schloss“ im schweizerischen St. Moritz. Gehauen in die Felswand des Suvretta-Hanges kostete sie etwa 185 Miillionen US-Dollar. Auf sieben Etagen, davon vier unterirdischen, erstrecken sich viertausend Quadratmeter Luxus pur.

Eine Wand des Speiseraums wurde mit vierundzwanzigkarätiger Goldfolie tapeziert. Das riesige Schwimmbad wird durch Swarovski-Kristalle beleuchtet. Die zehn Meter hohen Fenster gewähren einen atemberaubenden Blick auf das Alpen-Panorama. Die Residenz „The Lonsdaleite“ ist das mit Abstand teuerste Luxusanwesen der Schweiz. Seit Oktober 2017 steht es zum Verkauf, zusammen mit Kulczyks Privatjet »Gulfstream G650«.

Kulczyks schweizerische Residenz ist hier auf Fotos zu sehen.

Über seine Geschäfte redete Kulczyk ungern, umso lieber umgab er sich mit der Aura eines Vordenkers der menschlichen Zivilisation, lieβ die Kunde von seinem Mäzenatentum verbreiten. In dieser Hinsicht gab Kulczyk sein Geld sehr durchdacht aus. Er spendete groβzügig für die Renovierung des wichtigsten Heiligtums der polnischen Katholiken, des Klosters auf dem Hellen Berg in Częstochowa/Tschenstochau. Er gab 5 Millionen Euro für den Bau des Museums der Geschichte der Polnischen Juden in Warschau, er war Sponsor des Polnischen Olympia-Kommitees.

Jan Kulczyks mnumentales Grab auf dem Jezyce-Friedhof in Poznań.
Jan Kulczyks monumentales Grab auf dem Jeżyce-Friedhof in Poznań.

Hochintelligent, belesen, sprachgewandt, bescheiden auftretend, sich stets mild, nachdenklich und versöhnlich gebend, erinnerte er in Nichts an einen Oligarchen aus der nachkommunistischen Welt, wie man ihn sich normaler Weise vorstellt.

Doch seine geschäftlichen Erfolge ergaben sich vor allem aus der Nähe zur Politik. Daraus, „Zugang“ zu suchen und zu finden, Entscheidungsträger für sich zu gewinnen, die das Volksvermögen nach der Zeit des Kommunismus losschlugen um daraus selbst Gewinne zu erzielen. So gesehen war Kulczyk wie der legendäre König Midas, der alles was er berührte in Gold zu verwandeln vermochte.

Wie das funktionierte wird im Nachhinein immer offensichtlicher. Gut zwei Jahre nach seinem Tod müssen seine Erben dem polnischen Staat etwa eine Milliarde Zloty (ca. 240 Mio. Euro) zurückgeben. So entschied es im August 2017 die EU-Kommission. Kulczyk gehörte das 149 Kilometer lange Teilstück der Autobahn Warschau-Berlin (A 2) zwischen Konin und Nowy Tomyśl. Zehn Jahre lang erhielt er, aufgrund eines allzu „günstigen“ Vertrages mit der postkommunistischen Regierung Leszek Miller, aus Warschau zu hohe Zuschüsse für den Lkw-Verkehr auf seiner Autobahn.

Gut einen Monat vor seinem Tod verlieh ihm der damals bereits scheidendne Staatspräsident Komorowski noch das Offizierskreuz des Ordens der Wiedergeburt Polens (Polonia Restituta).

Jan Kulczyk wurde neben seinem Vater Henryk, der zwei Jahre zuvor gestorben ist, bestattet.

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Arme weichen den Reichen

Gas abgestellt, Wasser gesperrt, Mieter vertrieben.

Wie aus heiterem Himmel werden Warschauer Mieter aus ihren Wohnungen gejagt. Schuld daran sind Nazibarberei, kommunistische Enteignungen und die Rücksichtslosigkeit der alten und neuen Hauseigentümer.

Stalowastrasse, inmitten des sogenannten Warschauer „Bermudadreiecks“, der verwahrlosesten und gefährlichsten Gegend der polnischen Hauptstadt. Das Haus sieht wie eine Bruchbude aus. In der Wohnung kein flieβendes Wasser, kein Gas. „Solange das Mietshaus der Stadt gehörte, war es auszuhalten“, sagt Agnieszka Murati, Mieterin, Mutter von drei Kindern und arbeitslos. „Seit über sechzig Jahren wohnt meine Familie in diesen zwei Zimmern. Vor zwei Jahren stellte sich plötzlich heraus, dass das Haus wieder in privaten Händen ist“.

Sie holt aus der Schublade ein buntes Faltblatt heraus. Auf den Bildern sieht man anstelle der Bruchbude ein elegantes Appartement-Hochhaus. „Das wollen die neuen Besitzer hier bauen. Sie müssen bloß uns, die Mieter, loswerden“, erklärt Murati. Zwangsräumung ist verboten, also greifen die Besitzer zu anderen Mitteln. Unter dem Vorwand einer notwendigen Renovierung stellen sie das Gas ab, sperren das Wasser und warten bis die Leute von alleine ausziehen.

Dieses Problem betrifft nicht nur die Stalowastrasse. Anna Kutyńska, Akitvistin des Warschauer Mietervereins schätzt, dass sich bis zu zwanzigtausend Bewohner der Stadt in ähnlicher Lage befinden und weitere fünfzigtausend davon bedroht sind. Es handelt sich überwiegend um ärmere Warschauer, die sich oft ihrer Rechte nicht bewusst sind. „Ihre Situation ist umso schwieriger, weil die meisten Häuser in die Hände von großen Firmen geraten“, sagt Kutyńska. „Die können sich viel bessere Anwälte leisten als die Mieter“.

Wie ist das überhaupt möglich, dass so viele kommunale Immobilien privatisiert werden? Die Wurzeln des Problems reichen bis in den Zweiten Weltkrieg.

Warschau wurde während des Krieges Stück für Stück zerstört. Zunächst während der Belagerung der Stadt durch deutsche Truppen vom 8. bis zum 28. September 1939. Flächenbombardierungen der Luftwaffe und schwerer Artilleriebeschuss vernichteten damals etwa zehn Prozent der Stadtfläche.

Im April 1943 brach dann der Aufstand im Warschauer Ghetto aus. Nach seiner Niederschlagung haben Deutsche das Ghetto-Gelände (etwa fünf Prozent der Stadtfläche), nach eigenen Worten, in eine „Ziegelsteinwüste“ verwandelt, so lange das Zerstörungswerk fortgesetzt, bis nur Schutthalden übrig geblieben sind.

Während des Warschauer Aufstandes im August-September 1944 wüteten fast auf dem ganzen Stadtgebiet Straßenkämpfe deren Intensität nur mit der Wucht der Kämpfe in Stalingrad vergleichbar war. Die Aufständischen kapitulierten am 3. Oktober 1944. Die noch verbliebene Zivilbevölkerung wurde aus der Stadt vertrieben. Es begann die planmäβige Ausplünderung und Zerstörung der menschenleeren Hauptstadt. Das systematische Abbrennen der Häuser und die Sprengung der Ruinen hielt dreieinhalb Monate an, von Oktober 1944 bis Mitte Januar 1945, bis die Sowjets einrückten.

Nach dem Krieg kam dann die neue kommunistische Regierung zu dem Schluss, dass der Wiederaufbau der Hauptstadt erst nach der Enteignung aller Immobilien durch den Staat möglich sei. Ein großer Teil der Hausbesitzer war tot oder vermisst. Die Überlebenden unter ihnen waren im neuen System die Klassenfeinde. Die erhalten gebliebenen Wohnungen wurden zu Sozialwohnungen umfunktioniert, auf die man die Massen der neuen Einwohner Warschaus verteilte.

Nach 45 Jahren folgte der freie Markt. Eine umfassende Reprivatisierung jedoch war auch von den neuen Behörden nicht gewünscht. Die Kriegsverluste in Polen waren kolossal. Es überwog die Meinung, dass die verarmte polnische Gesellschaft nicht die Kosten von Schäden tragen solle, die mehr als vierzig Jahre zuvor von fremden und einheimischen Untätern angerichtet worden waren.

Dann aber stellte sich heraus, dass die Nachkriegsverstaatlichung in Warschau, in den meisten Fällen, unter Verletzung sogar des kommunistischen (Un)Rechtes verlaufen war. Wer also einen guten Anwalt bezahlen kann und die Zeit für langwierige Prozesse besitzt, hat gute Chancen sein Eigentum zurückzubekommen. Den ehemaligen Besitzern fehlt aber meistens das erforderliche Geld. Für geringe Summen verkaufen sie also ihre Ansprüche an Immobilien an Unternehmer, die schnell und effektiv die Häuser aus staatlichem Besitz zurückgewinnen und anschlieβend ebenso effektiv die Mieter vertreiben.

Die Beamten im Warschauer Magistrat klagen, dass ihre Möglichkeiten begrenzt sind. In Übereinstimmung mit der aktuellen Gesetzeslage, muss, wenn alle erforderlichen Papiere vorgelegt werden können, die Stadt die Häuser zurückgeben. Da es an neuen Sozialwohnungen fehlt, werden die Mieter im Stich gelassen. Letztendlich also zahlen doch die Armen. Und große Teile der Stadt gehen, statt an die ehemaligen Besitzer, an gewinnhungrige Unternehmer.

„Die einzige gerechte Lösung wäre, die Kosten zu teilen“, sagt Anna Kutyńska. „Wir brauchen dringend ein Reprivatisierungsgesetz, dass Teilentschädigungen für die ehemaligen Besitzer einführt. Wenn die Regierung sich weiter weigert Geld dafür aufzutreiben, droht uns eine soziale Krise.“

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