Das Wichtigste aus Polen 14. Oktober – 10. November 2018

Kommentator Dr. Jacek Sokołowski und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Was sagen uns die Ergebnisse der Kommunalwahlen? ♦ Was sagen uns die Vorbereitungen auf die Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Wiedererlangung der Unabhängigkeit über die polnische Gesellschaft und die polnische Politik? ♦ Was sagt man in Polen zu dem geplanten Rückzug Frau Merkels aus der Politik?




Nach der Sommerpause. Das Wichtigste aus Polen 29.Juli – 8. September 2018

Lesenswert: „Deutsche Reparationen – polnische Positionen. Teil 1“

Lesenswert: „Deutsche Reparationen – polnische Positionen.. Teil 2“

Kommentatorin Olga Doleśniak-Harczuk und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Kommunalwahlen. Erste Testwahl seit 2015 für die regierenden Nationalkonservativen und die Opposition ♦  Vor dem Besuch von Staatspräsident Andrzej Duda in Washington. Nord -Stream 2-Blockade, ständige US-Truppenpräsenz in Polen, mehr US-Investitionen. Donald Trump wird’s richten? ♦ Deutsche Kriegsreparationen für Polen. Der Dialog mit Deutschland kommt in Gang. ♦ Polen schaut auf die Ausschreitungen in Chemnitz.




Das Wichtigste aus Polen 11. – 24. März 2018. EU, Deutschland, Russland. Aussenpolitik auf dem Prüfstand

 

Kommentator Prof. Marek Cichocki und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦  Polens neuer Auβenminister Jacek Czaputowicz im Sejm zum Stand der Auβenpolitik ♦ EU der Vaterländer Polens erklärtes Ziel, ♦ EU-Sanktionen gegen Polen wegen angeblich fehlender Rechtsstaatlichkeit wird es nicht geben. ♦ Maas und Merkel in Warschau. Polen-Deutschland: alte Streitpunkte bleiben, neue Sachlichkeit im Dialog kommt. ♦ Polen-Russland: keine Annäherung in Sicht. ♦ Trumps neue Zölle und wie Polen darauf reagieren sollte.




Das Wichtigste aus Polen 25. Februar – 10. März 2018

Kommentatorin Olga Doleśniak-Harczuk und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Der Holocaust, das Strafrecht und die historische Wahrheit. Polen und Israel reden miteinander, Amerika schaut aufmerksam zu.  ♦ Neue deutsche Regierung, alte polnische Bedenken: Nord Stream 2 und die französisch-deutschen Versuche alle Gewalt in der EU an sich zu reiβen.  ♦ Polnische Kinder, deutsche Jugendämter. Erste polnisch-deutsche Gespräche über ein wundes Problem. ♦ Degradierung oder Dienstgradherabsetzung. General Jaruzelski und seinen Komplizen wird dder Generalsrang aberkannt. Eine späte Genugtuung für ihre Opfer.




Das Wichtigste aus Polen 4. – 24. Februar 2018. Polen-Israel, Polen-Deutschland. Es stürmt

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die  wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Empörung, Proteste, Provokationen: Israel kämpft im Holocaust-Streit mit den härtesten Bandagen. Ministerpräsident Morawiecki am Pranger. Polen steht zu seinen Argumenten und behält die Ruhe. War das alles notwendig und wie geht es weiter?  ♦ Ministerpräsident Morawiecki in Berlin. Frau Merkel reicht Polen das Zuckerbrot (Aussicht im GroKo-Vertrag auf Partnerschaft wie mit Frankreich) und schwingt die Peitsche (EU-Gelder abhängig von der Migrantenverteilung).  Groβ sind die Erfolgsaussichten der Dompteurin nicht.




Das Wichtigste aus Polen 24. Dezember 2017 – 23. Januar 2018

Kommentator Prof. Grzegorz Kucharczyk und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Pragmatiker ersetzten Vorkämpfer. Regierungsumbildung abgeschlossen: Einschätzungen, Deutungen, Prognosen. ♦ Zwei Bürgergesetzinitiativen: für und gegen die Tötung ungeborener Kinder. Debatte und Abstimmung im Sejm. Parlamentarische Opposition versetzt sich selbst einen vernichtenden K O-Schlag.  ♦ Welche Gefahren gehen für Polen von der deutschen GroKo aus?

 




Auf dem Rückzug. Deutsch als Fremdsprache in Polen. Zum hören

Magdalena Rysula, Germanistin, Deutschlehrerin und Dolmetscherin aus Zakopane berichtet im Gespräch mit Janusz Tycner über ihre Arbeit und ihre Einschätzung der Lage des Deutsch als Fremdsprache in Polen. ♦ Wie wird Deutsch an polnischen Schulen unterrichtet. ♦ Womit haben die Polen beim Deutschlernen die gröβten Probleme. ♦ Glanz und Elend der polnischen Universitätsgermanistik. ♦ Deutschförderung aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Polen heute und einst.




Das Wichtigste aus Polen 10. Dezember – 23. Dezember 2017

Kommentator Prof. Marek Cichocki und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦  EU-Kommission zündet „Atombombe“, eröffnet das Sanktionsverfahren gegen Polen. Beifall in Deutschland ♦ Ziele und Maβnahmen der polnischen Justizreform. ♦ Regierungserklärung von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Wofür steht der neue Regierungschef in der Innen- und Auβenpolitik? ♦ Von Polen aus gesehen. Koalitionsverhandlungen. Deutschland beschäftigt sich mit sich selbst und das ist gut so.




Das Wichtigste aus Polen 19. November – 9. Dezember 2017

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die  wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Der Wechsel an der Regierungsspitze. Die populäre und erfolgreiche Beata Szydło musste gehen wird aber weiterhin in der ersten Liga der polnischen Politik wirken. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki: ein herausragender Wirtschaftsprofi soll den nationalkonservativen Umbau Polens zu neuen Erfolgen führen.  ♦ Wie sich Polen nach und nach aus der Energieabhängigkeit von Russland befreit. Amerikanisches Flüssiggas hilft dabei. ♦ Jamaika wäre für Polen besser. Mit der GroKo und „Polenschreck“ Martin Schulz in der Regierung sind weitere deutsch-polnische Spannungen bereits vorprogrammiert.




Deutsche Reparationen – polnische Positionen. Teil 1

Beweggründe, Argumente, Pläne.

Das polnische Regierungslager hat sich entschieden die Kriegsreparationsfrage neu zu beleben. Was verbirgt sich dahinter? Ein Interview.

Arkadiusz Mularczyk

Arkadiusz Mularczyk wurde 1971 in Racibórz/Ratibor geboren. Er ist von Beruf Rechtsanwalt, seit 2005 Sejm-Abgeordneter der Partei Recht und Gerechtigkeit. Seit September 2017 bekleidet er den Vorsitz des fünfzehnköpfigen Gremiums „Parlamentarische Arbeitsgruppe zur Schätzung der Polen von Deutschland zustehenden Reparationen für die im Verlauf des Zweiten Weltkrieges angerichteten Schäden“. Das Interview mit Arkadiusz Mularczyk erschien im Wochenmagazin „wSieci“ („imNetzwerk“) am 5. November 2017.

Deutsche Reparationen für die polnischen Verluste im Zweiten Weltkrieg sind wieder ein Thema. Die parlamentarische Arbeitsgruppe, die Sie leiten hat die Aufgabe Tatsachen festzustellen und Rechtsgutachten einzuholen. Sie sollen bei der Festlegung künftiger offizieller polnischer Forderungen und Verhandlungspositionen helfen. Wie verläuft die Arbeit?

Wir kommen gut voran. Am 26. Oktober 2017 hatten wir ein wichtiges Treffen in der Kanzlei des Ministerpräsidenten (entspricht dem deutschen Bundeskanzleramt – Anm. RdP) mit Vertretern aller Behörden, die uns helfen können. Es kamen hochrangige Vertreter der Ministerien für Verteidigung, Kultur, Finanzen, Auswärtiges, der Staatlichen Sozialversicherungsanstalt (ZUS), des Statistischen Hauptamtes, des Instituts für Nationales Gedenken, der Staatlichen Archive und der Staatlichen Versicherungsanstalt (PZU) zusammen. Alle diese Institutionen wurden verpflichtet Archivrecherchen durchzuführen und unserer Arbeitsgruppe jede notwendige Unterstützung zu gewähren.

Polnisch-deutsche Reparationspolemik. Polnisches Plakat. Warschau, August 2017.

Seit Mitte 2014 ist bekannt, dass es keinen wirksamen Verzicht Polens auf deutsche Reparationen gibt.

Ja. Sehr wichtig in Bezug darauf war das Gutachten des Sejm-Analysenbüros vom September 2017, das unser Wissen systematisiert hat.

Lesen Sie das Gutachten des Sejm-Analysenbüros in deutscher Übersetzung hier.

Aus diesem Gutachten geht eindeutig hervor, dass Polen und die Polen seitens Deutschlands diskriminiert wurden. Deutsche Gerichte haben Entschädigungsklagen von Polen bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts stets abgewiesen, mit dem Hinweis, dass der künftige Friedensvertrag alle Entschädigungsfragen regeln werde. Nach der Unterzeichnung des Warschauer Vertrages im Dezember 1970, in dem die Bundesrepublik die Oder-Neiβe-Grenze anerkannt hat, und nach der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen 1973 hieβ es, die Entschädigungsforderungen seien verjährt. Was besonders empört: nur die Polen wurden so behandelt.

Und polnische Gerichte?

Dort hieβ es, der deutsche Staat sei durch die staatliche Immunität geschützt. Diese verbiete es Bürgern anderer Staaten ihn vor ausländischen Gerichten zu verklagen. Tatsächlich gibt es ein solches Prinzip, aber es gilt nicht uneingeschränkt.

Welche Ausnahmen gibt es?

Das italienische Verfassungsgericht hat zum Beispiel in einem Urteil seinen Bürgern das Recht zugestanden, den deutschen Staat vor italienischen Gerichten wegen Kriegsverbrechen zu verklagen. Solche Verfahren gab und gibt es in Italien.

Kann Polen diesen Weg beschreiten?

Ja. Am 26. Oktober 2017 habe ich einen Antrag beim polnischen Verfassungsgericht (VG) gestellt, unterschrieben von einhundert Sejm-Abgeordneten der Partei Recht und Gerechtigkeit. Demnach soll die Anwendung der Staatsimmunität zum Schutz anderer Staaten verfassungswidrig sein, wenn polnische Bürger oder Behörden andere Staaten auf Entschädigung wegen Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die auf polnischem Staatsgebiet verübt wurden, verklagen. Ein solches VG-Urteil würde polnischen Bürgern den Gerichtsweg in Polen für deutsche Kriegsentschädigungen öffnen.

Wird Deutschland die Entschädigungsurteile polnischer Gerichte respektieren und umsetzen?

Auf Anhieb eher nicht, aber solche Urteile schaffen nach und nach eine Wirklichkeit, gegen die man sich in der heutigen Welt auf Dauer nicht so ohne weiteres taub stellen kann.

Polnisch-deutsche Reparationspolemik. Der polnische Graphiker Wojciech Korkuć zeigt im Fernsehen sein umstrittenes Plakat „Reparationen machen frei“, August 2017.

Der Rechtsweg ist wichtig, ausschlaggebend jedoch wäre die politische Entscheidung in Deutschland. Berlin müsste zugeben, dass das Problem nicht gelöst ist.

Ja. Von der politischen Entscheidung wird abhängen, ob sie zahlen werden oder nicht. Deutschland zahlte und zahlt Entschädigungen für die Verbrechen des Dritten Reiches an viele Staaten, am wenigsten jedoch an die Polen.

Kurz nach Kriegsende hat Deutschland, in Folge des Pariser Reparationsabkommens von 1946 (an sechzehn Staaten), des Luxemburger Abkommens (an Israel) und des Londoner Schuldenabkommens von 1953 (an siebzig Staaten), Reparationen gezahlt. Polen war nicht dabei. Darüber hinaus gab es auch zahlreiche bilaterale Abkommen.

In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts und im 21. Jahrhundert haben Israelis und US-Bürger auf deutsche Entschädigungen vor amerikanischen Gerichten geklagt und Deutschland hat gezahlt. Wir sehen, das Völkerrecht ist in dieser Hinsicht sehr dynamisch.

Welchen von diesen Wegen sollte Polen einschlagen?

Wir müssen uns alle Möglichkeiten offenhalten. Umso mehr, als es sowohl um staatliche Reparationen wie um private Entschädigungen geht. Wichtig ist einen Hebel zu schaffen, der bewirkt, dass Deutschland sich endlich mit uns an den Verhandlungstisch setzt und ernsthaft zu reden beginnt.

Warum hat man sich in Polen des Problems nicht unmittelbar nach dem Ende des Kommunismus angenommen, Anfang der neunziger Jahre?

Damals war vorrangig, das Entkommen aus der sowjetischen, und später, der russischen Einflusssphäre. Deutschland hat sich in jener Zeit Polen gegenüber einer „sanften Erpressung“ bedient. Es sollte der Eindruck entstehen, die Bedingung für den EU-Beitritt, für die Aufnahme in die westliche politische Gemeinschaft, sei die Aussöhnung mit Deutschland, und zwar, ungeachtet des Standes der Probleme, die sich aus dem Zweiten Weltkrieg ergeben hatten. Wir wenden uns der Zukunft zu und von der Vergangenheit ab, hieβ es, vom Krieg, von der Reparationsfrage, von der nicht beglichenen Rechnung des zugefügten Leids und Unrechts.

Deutsch-polnische Reparationspolemik. FAZ-Karikatur, September 2004.

Heute wissen wir, dass sogar zur Zeit der Volksrepublik Polen die Angelegenheit als nicht abgeschlossen galt. Sie haben in den Archiven die offizielle Antwort der polnischen Regierung von 1969 auf eine Anfrage der UNO gefunden. Dort heiβt es, Polen habe keinesfalls auf deutsche Reparationen verzichtet.

Trotz eingeschränkter Souveränität war damals die Erinnerung an die gigantischen menschlichen und materiellen Kriegsverluste Polens im allgemeinen Bewusstsein und sehr lebendig. Auch den polnischen Kommunisten fiel es schwer, hinnehmen zu müssen, dass die Sowjetunion Polen im August 1953 zwang auf Reparationen zu verzichten.

Lesen Sie Näheres dazu in „Deutsche Reparationen – polnische Positionen. Teil 2“

Heute, auf Reparationen angesprochen, blocken die deutschen Stellen sofort ab: die Sache sei erledigt und abgeschlossen.

Das wundert mich nicht. Immerhin waren sie jahrzehntelang darin erfolgreich sich vor den Reparationszahlungen für das, was sie in Polen angerichtet hatten zu drücken. Nur einige wenige Opfergruppen wurden entschädigt. Und jedes Mal gingen diesen Maβnahmen, teilweise an Peinlichkeit kaum zu überbietende, innenpolitische Debatten in der Bundesrepublik voraus.

Seit Anfang der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts bekamen die polnischen (letztendlich ca. fünftausendfünfhundert Personen) sowie die anderen osteuropäischen Opfer verbrecherischer medizinischer Experimente der Nazis Entschädigungen, ursprünglich auf heftigen Druck der USA hin und gegen den vehementen Widerstand damaliger bundesrepublikanischer Behörden und Politiker.

Es gab aber ehrenwerte Menschen und Gruppen in der Bundesrepublik, die sich durch ihre Taten der Jahrzehnte lang anhaltenden offiziellen deutschen Verzögerungstaktik widersetzten. Diese Verzögerungstaktik wurde bestimmt durch das Kalkül, dass sich das Problem „biologisch“, durch den Tod der Betroffenen, ohne Kosten, von alleine lösen würde. Solche Einrichtungen wie die „Zeichen der Hoffnung“ in Frankfurt am Main oder das „Maksymilian-Kolbe-Werk“ in Freiburg im Breisgau haben polnischen Opfern geholfen und so das Ansehen der alten Bundesrepublik gerettet. Es waren jedoch nur einzelne Tropfen auf den heiβen Stein.

Erst fünfundfünfzig Jahre nach Kriegsende, als ein Groβteil der Betroffenen nicht mehr lebte, begann Deutschland mit der Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter, von denen knapp zwei Millionen ursprünglich aus Polen kamen. Bundeskanzler Helmut Kohl widersetze sich lange Zeit heftig dieser Maβnahme.

Ende der 1990 Jahre, wiederum auf amerikanischen Druck hin, zahlten die deutsche Regierung und deutsche Unternehmen, die von der Zwangsarbeit profitiert hatten, Geld in einen Fonds ein, aus dem bis 2007 die mittlerweile greisen Opfer entschädigt wurden.

Alles in allem beträgt der polnische Anteil an den gesamten deutschen Entschädigungsleistungen nach 1945 gerade einmal zwei Prozent.

Ein Teil der polnischen Führungselite aus der unmittelbaren nachkommunistischen Zeit meinte damals, und teilt heute noch die deutsche Meinung, das Thema sei abgeschlossen und wer es aufgreift sei ein unverantwortlicher Störenfried.

Das sagen einige ehemalige polnische Ministerpräsidenten und Minister. Es ist nur ein Beleg für ihr neokoloniales, unterwürfiges Denken. Sie machten Politik zur Zeit einer eingeschränkten polnischen Souveränität, in der Endphase des Kommunismus und in der Anfangsphase danach. Dass Polen weniger Rechte hat als andere Staaten, galt und gilt für sie als selbstverständlich. Dieses Denken lehnen wir entschieden ab.

In der Reparationsfrage ist das Bild auf der polnischen und auf der deutschen Seite sehr unterschiedlich.

In Deutschland gibt es eine geschlossene Einheitsfront aus Politikern, Historikern, Politologen und Journalisten, die das polnische Ansinnen rundweg ablehnen. Die öffentliche Meinung, die durch sie geprägt wird, steht hinter ihnen. Hunderte von Lesermeinungen zu Medienberichten lassen im Internet keinen Zweifel daran.

Das ist ein grundlegender Unterschied zu Polen, wo uns, die wir Reparationsfrage auf die Tagesordnung bringen, viele Medien frontal angreifen und verhöhnen. Die deutschen Einflüsse in der polnischen Medienwelt, aber auch in der polnischen Wissenschaft sind sehr stark.

Deutsche Stipendien haben das ihre dazu beigetragen.

Auf jeden Fall. Ein Teil der Fachleute, die Polen jeden Anspruch auf Reparationen aberkennen, hat nicht selten ihr halbes Berufsleben auf deutsche Kosten jenseits der Oder verbracht. Ich sehe, dass ein Teil von ihnen schlicht und einfach Angst hat Stellung zu beziehen, ein Gutachten anzufertigen.

Wovor haben sie Angst?

Das sie Schwierigkeiten bekommen werden auch weiterhin deutsche Fördergelder, Stipendien, gut dotierte Preise und Auszeichnungen, Einladungen zu Forschungsaufenthalten, zu Vorlesungen und Vorträgen in Deutschland zu bekommen.

Hinzu kommt noch die geballte Kraft der deutschen Medien in Polen. Wird sie in der Reparationsfrage angewendet?

Ja. Die polnischsprachigen deutschen Medien messen dem Thema groβe Bedeutung bei. Sie versuchen uns dazu zu verleiten, am besten umgehend, unsere Forderungen verbindlich vorzubringen. Man sieht, es geht ihnen darum uns zur Eile und zu unbedachtem Handeln zu drängen, damit eine dadurch verursachte spektakuläre Niederlage dem Ganzen ein schnelles Ende bereitet.

Wenn mich deutsche Journalisten oder Journalisten polnischsprachiger deutscher Medien ansprechen, dann sehe ich, dass ihre Fragen nie das eigentliche Thema berühren: die furchtbaren Verbrechen und Verluste, die nicht entschädigt wurden.

Stattdessen stellen sie absurde Thesen auf, wie die, dass die Entschädigungsforderungen nun an die Stelle der Smolensk-Flugzeugkatastrophe treten und der „Mobilisierung“ der polnischen Öffentlichkeit im Sinne der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit dienen sollen, oder dass wir die auf der Versöhnung basierenden Beziehungen zu Deutschland ruinieren wollen. Mit einem Wort – Reparationsforderungen sind unsere Hirngespinste.

Wir lassen uns auf keinen Fall in diese Falle locken. Um das Thema offiziell vorzubringen bedarf es eines klugen, bedachten Handelns und so werden wir agieren.

Und die deutsche Diplomatie?

Die deutsche Botschaft beobachtet sehr genau unser Vorgehen, genauso wie die deutschen Medien das tun. Bis jetzt jedoch gibt es ihrerseits keine Bereitschaft zu einem ernsthaften Dialog. Sie achten sehr darauf, auf dem Laufenden zu sein und prüfen inwieweit wir das Thema tatsächlich aufgreifen wollen.

Amtlicher polnischer Bericht von 1947 über Verluste und Kriegsschäden im Zweiten Weltkrieg. Neuauflage von 2007.

Die Verluste müssen präzise belegt sein.

Ich habe inzwischen Aufstellungen bekommen über die Kriegsschäden in Poznań, Łodź, Jasło, Przemyśl und einigen anderen Städten. Wir wollen einen groβen Ausschuss ins Leben rufen, der alle schon verfügbaren Angaben zusammentragen und die fehlenden ergänzen soll. Heute verfügen wir über einen umfangreichen Bericht des Büros für Kriegsentschädigungen aus dem Jahr 1947 und viele Einzelberichte. Es gab noch in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts Stellen, die sich mit dieser Materie befassten.

Welche Beträge kommen in Frage? Man spricht von 845 Milliarden US-Dollar und wenn man die nichtmateriellen Verluste mitberechnet von 6 Billionen US-Dollar.

Das sind Angaben, die sich aus dem schon erwähnten Bericht von 1947 ergeben. Heute ist es zu früh um über irgendwelche Summen zu sprechen. Wir stehen vor vielen Fragen, wie der, wie man die Entschädigung für ein Menschenleben berechnen kann. Hier wollen wir die Fachleute von der Staatlichen Versicherungsanstalt (PZU) bitten uns dabei zu unterstützen.

Das wichtigste Gegenargument lautet, Deutschland habe an Polen seine Ostgebiete abgetreten, das sei Entschädigung genug.

Die Verschiebung der Grenzen haben die drei Siegermächte während der Potsdamer Konferenz von Juli bis August 1945 beschlossen. Weder Polen noch Deutschland saβen am Verhandlungstisch. Polen hat damals stillschweigend die Aneignung von achtundvierzig Prozent (knapp 180.000 Quadratkilometern) seines Staatsgebietes im Osten durch die Sowjetunion hinnehmen müssen. Im Gegenzug beschlossen die Siegermächte unser Land nach Westen zu „verschieben“, indem sie Polen knapp 110.000 Quadratkilometer deutschen Gebiets übergaben.

„Westverschiebung“ Polens 1945.

Aus keiner der damals getroffenen Vereinbarungen, aus keinem der Potsdamer Verhandlungsprotokolle geht hervor, dass die ehemaligen deutschen Ostgebiete als Reparationen gedacht gewesen seien. Im Potsdamer Abkommen wurde klar festgehalten, Deutschland sei verpflichtet alle Kriegsschäden und Kriegsverluste auszugleichen. Polen war davon nicht ausgenommen.

Und der Zwei-plus-Vier-Vertrag vom September 1990?

Er wurde von der Bundesrepublik Deutschland und der DDR mit den USA, Russland, Frankreich und Groβbritannien abgeschlossen. Die deutsche Bundesregierung hat im Nachhinein erklärt, sie habe „diesen Vertrag in dem Verständnis abgeschlossen, dass damit auch die Reparationsfrage endgültig erledigt“ sei.

Polen war an diesem Vertrag nicht beteiligt. Der Verzicht Polens auf, genau genommen, Kriegsreparationen aus der DDR, wurde 1953 von den Sowjets erzwungen und ist damit nicht bindend.

Wie geht es weiter?

Die parlamentarische Arbeitsgruppe untersucht die Angelegenheit. Sie sammelt Informationen, analysiert die juristischen, ökonomischen, historischen Zusammenhänge. Sie arbeitet eng zusammen mit anderen zuständigen Behörden. Diese Arbeit wollen wir in aller Ruhe bewältigen um ein solides Fundament für unsere Vorschläge zu schaffen. Dann werden politische Entscheidungen über den Fortgang des Geschehens bestimmen.

Wann werden sie fertig sein?

Spätestens in einem Jahr werden unsere endgültigen Empfehlungen vorliegen. Wir gehen zügig vor, aber mit Bedacht.

Deutsche Reparationen – polnische Positionen. Teil 2.

RdP




Deutsche Reparationen – polnische Positionen. Teil 2

Akten, Aufstellungen, Analysen. Was hat Polen in der Hand. Ein Interview.

Im Warschauer Archiv der Neuen Akten befinden sich die wichtigsten polnischen Unterlagen für eventuelle Reparationsverhandlungen mit Deutschland.

Mariusz Olczak.

Das Archiv der Neuen Akten (Archiwum Akt Nowych) besteht seit 1918, als Polen seine Unabhängigkeit wiedererlangte. Hier werden die Dokumente aller polnischen staatlichen Behörden seit dem Gründungsjahr des Archivs aufbewahrt. Es ist eines von drei zentralen polnischen Staatsarchiven, neben dem Archiv der Alten Akten (alle Staatsdokumente bis 1918) sowie dem Nationalen Digitalarchiv (Fotos, digitale Aufzeichnungen staatlicher Institutionen). Das Gespräch mit dem stellvertretenden Direktor des AAN Mariusz Olczak erschien in der Tageszeitung „Nasz Dziennik“ am 24. September 2017.

Archiv der Neuen Akten in Warschau.

Es heiβt, in Ihrem Archiv befinden sich die wichtigsten Akten, die Zeugnis darüber ablegen, was sich nach 1945 auf polnischer Seite in Bezug auf deutsche Kriegsreparationen abspielte.

Wir haben inzwischen eine Liste von Aktenbeständen zusammengestellt, die bei der Feststellung der Tatsachen hilfreich sein dürften. Das sind einige Hundert Meter an Dokumentation, die ausgewertet werden müssen.

Darunter befindet sich ein sehr wichtiges Dokument, und zwar das Sitzungsprotokoll des Ministerrates der Volksrepublik Polen (VRP) vom 19. August 1953.

Die Sitzung wurde geleitet von Bolesław Bierut, Stalins Statthalter in Polen, einem NKWD-Agenten, der damals an der Spitze der Regierung stand. Ebenfalls daran teilgenommen haben die stellvertretenden Ministerpräsidenten Taduesz Gede, Piotr Jaroszewicz, Hilary Minc, Zenon Nowak. Hinzugebeten wurden der Staatsratsvorsitzende Aleksander Zawadzki, der damalige Minister für staatliche Kontrolle Franciszek Jóżwiak, der stellvertretende Vorsitzende der Staatlichen Planungskommission Eugeniusz Szyr sowie der Chef des Amtes des Ministerpräsidenten Kazimierz Mijal.
In diesem Kreis wurde entschieden, dass die Volksrepublik Polen, auf Ersuchen der Regierung der UdSSR, auf Reparationszahlungen aus der DDR verzichten wird.

Bekannt gemacht wurde diese Entscheidung einige Tage später.

Verlautbarung der Regierung der Volksrepublik Polen, veröffentlicht im Parteiorgan „Trybuna Ludu“ vom 23. August 1953.

Ja, am 23. August 1953 in einer Verlautbarung der Regierung der VRP, verbreitet von der Polnischen Presseagentur PAP: „Die Regierung der Volksrepublik Polen begrüβt mit voller Anerkennung die Beschlüsse der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in der Deutschlandfrage“.

Gleichzeitig wurde mitgeteilt, die Regierung der VRP habe entschieden vom 1. Januar 1954 an auf Reparationszahlungen an Polen zu verzichten. Weiter hieβ es: „Diese Entscheidungen sind darauf ausgerichtet, einen dauerhaften Frieden in Europa zu gewährleisten, imperialistische Intrigen, die Deutschland in einen gefährlichen, neuen Kriegsherd verwandeln sollen, zu durchkreuzen und ein vereinigtes, demokratisches und friedliebendes Deutschland zu schaffen.“

Warschau vor und nach dem Krieg. Briefmarkenserie der Polnischen Post vom Herbst 1945. Das zerstörte Königsschloss.

Kann man anhand der beiden Dokumente davon ausgehen, dass es sich um eine souveräne Entscheidung gehandelt hat?

Sowohl der Inhalt als auch die gesamten damaligen politischen Begleitumstände lassen nur eine Schlussfolgerung zu: es war keine freie Entscheidung, der Verzicht geschah auf Geheiβ der Sowjets.
Das Sitzungsprotokoll sowie die Verlautbarung berufen sich in einem fort auf die Sowjetunion: „Die Regierung der UdSSR schlägt vor“, „Die Regierung der UdSSR beabsichtigt“, „Die Regierung der Volksrepublik Polen schlieβt sich voll und ganz der Meinung der Regierung der UdSSR an“ usw., usf. Das damalige Polen mit seinem kolonialen Status musste das tun, was die Kolonialmacht Sowjetunion wollte.

Der Verzicht betraf nur die DDR.

Das geht aus den beiden Dokumenten hervor.

Warschau. Die zerstörte Johannis-Kathedrale.

Die von den Deutschen während des Zweiten Weltkrieges in Polen angerichteten Schäden werden auf achthundert Milliarden US-Dollar geschätzt. Sind diese Schäden angemessen belegt?

Warschau. Das zerstörte Rathaus.

In unseren Beständen gibt es eine umfangreiche Dokumentation dazu. Beginnen wir damit, dass unser Archiv, das Archiv der Neuen Akten, selbst furchtbare Verluste erlitten hat. Während des Warschauer Aufstandes im August und September 1944 verbrannten fünfundneunzig Prozent unserer damaligen Archivsammlungen.

Warschau. Das zerstörte Hauptpostamt.

Einen der wichtigsten Aktenbestände zum Thema, stellen die Unterlagen des Büros für Kriegsentschädigungen dar, das kurz nach Kriegsende begann alle Informationen zusammenzutragen. Dokumentiert sind sämtliche Schäden und Verluste im Handwerk, in der Industrie, Forstwirtschaft und Staatsverwaltung.

Und auβerdem?

Einen groβen Bestand bilden die Akten des sogenannten Wiedererlangungsbüros (Biuro Rewindykacji). Es entstand 1945 und war damit beschäftigt polnisches Eigentum, das die Deutschen aus Polen geraubt und nach Deutschland oder in andere Teile des besetzten Europas verbracht hatten zurückzuführen. Oft jedoch war dieses Eigentum vernichtet oder nicht mehr auffindbar.

Des Weiteren beinhalten die Aktenbestände verschiedener Ministerien eine Vielzahl an Informationen. So zum Beispiel dokumentierte das Finanzministerium die Verluste des staatlichen Salz- und Streichholzmonopols, das im Vorkriegspolen existierte. Sehr akribisch haben nach 1945 das Post- und das Bildungsministerium die Verluste in ihren Bereichen aufgezeichnet.

Warschau. Das zerstörte Sächsische Palais.

Paradoxerweise haben die Deutschen selbst viele polnische Verluste belegt.

Die deutsche Verwaltung des Generalgouvernements führte genaue Listen über geraubte polnische Kunstgegenstände, bevor sie nach Deutschland gebracht wurden.

Befinden sich diese Verzeichnisse in Polen?

Einige ja, einen Teil haben wir auf den sogenannten Alexandrischen Mikrofilmen. Die Amerikaner haben bei Kriegsende groβe Bestände an Dokumenten der deutschen Heeresleitung und der Sicherheitspolizei erbeutet. Im Jahr 1953 wurden sie nach Alexandria bei Washington gebracht und dort auf Mikrofilm übertragen. Daher der Name. Wir haben in unserem Archiv etwa achttausend Mikrofilmrollen von dort.

Warschau. Die zerstörte Heiligkreuz-Kirche.

Gut dokumentiert sind auch die geraubten oder vernichteten Bibliotheksbestände.

Im Staatsarchiv von Jelenia Góra befinden sich die Verzeichnisse der Zweigstelle der deutschen Staatlichen Bibliothek im damaligen Hirschberg, wo es ein zentrales Register geraubter Buchbestände aus polnischen Bibliotheken gab. Dank diesen Aufzeichnungen wissen wir, welche geraubten polnischen Bücher an welche Zweigstellen der deutschen Staatlichen Bibliothek übergeben wurden.

Man müsste eigentlich alle diese Informationen zusammenfassen und in einer Art „Weiβbuch der polnische Kriegsverluste“ veröffentlichen.

Wenn jemand diese Absicht haben sollte, dann kann er bei uns auf eine sehr große Zahl von Akten zurückgreifen. Alle sind katalogisiert und leicht zugänglich.

RdP




AfD? Für Polen passé

Nach der Bundestagwahl. Chancen, Risiken, Nebenwirkungen für Polen. Aus Warschau betrachtet.

Der Soziologieprofessor und Europa-Abgeordnete Zdzisław Krasnodębski ist einer der wichtigsten intellektuellen Vordenker der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit. Das Gespräch mit ihm, das wir in leicht überarbeiteter Form wiedergeben, erschien im Wochenmagazin „Do Rzeczy“ („Zur Sache“) vom 8. Oktober 2017.

Prof. Zdzisław Krasnodębski.

Vor kurzem haben Sie öffentlich gesagt, Angela Merkel sei politisch geschwächt aus den letzten Bundestagswahlen hervorgegangen und aus diesem Grund werde sie nun eher bereit sein, ein Einvernehmen mit der jetzigen Warschauer Regierung zu suchen.

Ich bin der Meinung, dass eine deutsche Regierung, die aus drei sehr unterschiedlichen Parteien besteht, ein für uns zugänglicherer Partner sein wird als die groβe Koalition der CDU mit den Sozialdemokraten. Die SPD hat seinerzeit viel für die Verständigung mit Polen und die Anerkennung der Oder-Neiβe-Grenze getan, heute jedoch ist sie vor allem eine Partei mit sehr starken Bindungen an Russland. Gerhard Schröder gehört weiterhin zu ihrem nahen Umfeld, einstige enge Mitarbeiter Schröders, wie z.B. Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel verfügen in der SPD über groβen Einfluss.

Ohne die SPD in der deutschen Regierung wird es leichter fallen an den Sanktionen gegen Russland festzuhalten. Es kann auch gelingen den Bau der Nord Stream 2–Gasleitung von Russland nach Deutschland unter der Ostsee aufzuhalten. Angela Merkel hat immer wieder beteuert diese Gasleitung sei ein rein wirtschaftliches Vorhaben. Damit hat sie zu verstehen gegeben, dass die Verbindungen zu Russland für sie kein Dogma seien, sondern eine Frage der Interessenlage. Die Grünen sind in Bezug auf Russland noch viel kritischer.

Die Grünen und die Liberalen sind also paradoxerweise unsere Verbündeten?

Wir, die polnischen Nationalkonservativen, haben in Deutschland keine dauerhaften Verbündeten, mit denen wir auf breiter Front zusammenarbeiten könnten. Möglich jedoch sind umstandsbedingte, taktische Zweckbündnisse. Mit den Grünen in der Russlandpolitik, mit den Liberalen in der Europapolitik, weil sie, wie wir, die Pläne zur Schaffung einer Kern-EU aus Ländern die den Euro haben ablehnen usw.

Die herben Stimmeneinbuβen der CDU von knapp neun Prozent hängen eindeutig zusammen mit der „Willkommenspolitik“ von Frau Merkel.

Wenn sie nach ihrer Entscheidung im Jahr 2015, die Grenze für die Immigrantenflut zu öffnen gefragt wird, verteidigt sie ihren damaligen Entschluss und weigert sich ihren Fehler einzugestehen, aber das sind nur Worte. In Wirklichkeit hat sie ihre Herangehensweise grundlegend geändert. Sie spricht jetzt von Sicherheit, von Bedrohungen, von Ausweisungen derer, denen kein Asyl gewährt wurde. Im Wahlkampf war keine Rede mehr von der „Willkommenskultur“, das Wort des Jahres 2017 in Deutschland lautet „Gefährder.

Sicherlich waren die Wahlergebnisse, obwohl eigentlich vorhersehbar, ein Schock für das deutsche politische Establishment. Die Deutschen haben eindeutig zu verstehen gegeben was sie von der Immigrationspolitik der offenen Tür halten. Verloren hat die bisherige Regierungskoalition, verloren haben die Sozialdemokraten, einen gewaltigen Erfolg verzeichneten dafür die bisherigen nicht im Parlament vertretenen Parteien, die AfD und die FDP. Das kann man nicht mehr einfach so übergehen.

Wird aufgrund dessen die EU aufhören Polen wegen seiner Weigerung Immigranten aufzunehmen anzugreifen?

Ja. Das Programm der zwangsweisen Umverteilung der Immigranten ist gescheitert. Selbst die Deutschen haben ihre Verpflichtungen diesbezüglich nur zu siebenundzwanzig Prozent erfüllt. Frau Merkel hat einst die Richtung der Immigrationspolitik in der EU vorgegeben, und sie wird jetzt die neue, entgegengesetzte Richtung vorschreiben.

Welche Richtung wird die EU unter der Führung von Frau Merkel jetzt einschlagen?

Ganz bestimmt werden die radikalen Ideen des französischen Staatspräsidenten Macron nicht verwirklicht. Es werden wahrscheinlich einige neue Gremien zur besseren Koordinierung der EU-Politik entstehen, aber das wird nur zu einer weiteren Streuung der Kompetenzen führen und nicht zu einer Bündelung oder Zentralisierung.

Es ist nicht vorstellbar, dass die Deutschen ihren Finanzminister einem EU-Finanzminister unterordnen. Es wird auch keine Zustimmung aus Berlin für einen separaten Haushalt der Euro-Zone geben. Die Deutschen haben nicht die geringste Absicht für die Kosten der Sanierung der südlichen EU-Staaten, zu denen sie auch Frankreich zählen, aufzukommen. Darauf beruht meine Zuversicht was die polnisch-deutschen Beziehungen in der nächsten Zeit angeht.

Was wird sich in der deutschen Politik mit dem Einzug der AfD in den Bundestag ändern?

Nachdem Frauke Petry, die Mitvorsitzende der AfD, die Partei verlassen hat, ist es ungewiss wie lange diese Gruppierung überdauern wird und ob es nicht zu weiteren Abspaltungen kommt. Das deutsche politische und mediale Establishment wird jedenfalls alles nur Erdenkliche unternehmen, um die AfD zu marginalisieren.
Wie auch immer, klar ist, dass diese Partei Meinungen eines bedeutenden Teils der deutschen Öffentlichkeit wiedergibt, die bis jetzt im Bundestag nicht zu hören waren.

Paradoxerweise wird die AfD zu einer Demokratisierung des politischen Lebens in Deutschland beitragen. Sie hat eine Bresche geschlagen in der deutschen Konsensdemokratie, in der alle mit allen weitestgehend einer Meinung sind. Das wird die politische Debatte beleben. Die AfD wird in den schläfrigen Bundestag Unruhe, Streit und Unverfälschtheit bringen.

Ein Teil der polnischen Konservativen begrüβt den Einzug der AfD in den Bundestag, weil sie sich der Einwanderung von Immigranten widersetzt, weil sie die konservativen Werte hochhält. Gleichzeitig lobt der AfD-Chef Alexander Gauland die Wehrmacht. Wenn Donald Trump verspricht sein Land groβ zu machen, dann bewundern ihn die Polen dafür. Wenn ein Deutscher dasselbe über sein Land sagt, dann wird vielen Menschen in Polen unwohl.

Die meisten Leute, die heute die AfD prägen sind seit Jahren in der deutschen Politik. Nicht wenige von ihnen waren einst in der CDU, wie die den Polen zur Genüge bekannte Erika Steinbach. Auch der Wehrmacht-Bewunderer Gauland war dreiβig Jahre lang aktiv in der CDU.

Diejenigen bei uns, von denen sie eingangs sprachen, übertragen, weil ihnen das Wissen fehlt, polnische Sichtweisen und Einschätzungen auf Deutschland, ein Land mit einer völlig anderen politischen Kultur wie die unsere. Sie sympathisieren mit der AfD weil sie gegen den Zuzug von islamischen Immigranten ist und ein eindeutig nationales Profil an den Tag legt.

Man darf aber nicht vergessen, dass unsere Nationalkonservativen vor allem an die Tradition der freiheitlichen polnischen Adelsrepublik anknüpfen, die, nach Jahrhunderten, bei der dritten polnischen Teilung 1795 untergegangen ist sowie an die Tradition des langen polnischen Freiheitskampfes danach, bis 1989.

Die AfD dagegen schöpft ihre politische Kraft zu einem erheblichen Teil aus dem zumeist polenfeindlich eingestellten ostdeutschen Wählerpotential. Betrachtet man die Lebensführung nicht weniger AfD-SpitzenpolitikerInnen, dann sieht man wie weit die AfD von den christlichen Werten, zu denen sich die polnischen Nationalkonservativen eindeutig bekennen, entfernt ist. Der polnische Katholizismus steht bei der AfD genauso wenig im Kurs wie bei den übrigen deutschen Parteien.

AfD-Parteiprogramm auf Polnisch.

Die AfD ist äuβerst prorussisch und sehr antiamerikanisch, umgekehrt sieht es bei den polnischen  Nationalkonservativen aus. Die AfD will den Austritt Deutschlands aus der Nato, während Polens Nationalkonservative geradezu Nato-süchtig sind. Können sie sich vorstellen, dass die AfD, mit Alexander Gauland an der Spitze, mit uns gemeinsam den Jahrestag des Ausbruchs des Warschauer Aufstandes vom August 1944 begeht? Oder Verständnis für die polnischen Reparationsforderungen aufbringt?

Alice Weidel schrieb, die Mitglieder der deutschen Bundesregierung von Angela Merkel seien „nichts anderes als Marionetten der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges und hätten die Aufgabe das deutsche Volk klein zu halten.“ Das erinnert stark an die revisionistischen deutschen Klagen über den Versailler Vertrag zu Zeiten der Weimarer Republik.

Die AfD weiβ, immer noch, lediglich dreizehn Prozent der Deutschen hinter sich, und bei Weitem nicht alle von ihnen teilen diese Meinung. Wenn jemand sich als deutscher Patriot bezeichnet, dann muss man ihn unbedingt fragen, auf welche Periode, welche Ereignisse, welche Persönlichkeiten der deutschen Geschichte er seinen Patriotismus bezieht? Auf die deutschen Befreiungskriege? Auf den hehren ideellen Widerstand gegen Hitler von Dietrich Bonhoeffer, der Geschwister Scholl und der Weiβen Rose etwa? Auf Bismarck, welcher in Polen umgehend sehr ungute Erinnerungen weckt? Oder auf etwas anderes? Die AfD beantwortet diese Frage nicht eindeutig. Wer sich mit ihr politisch einlässt tappt daher unweigerlich in eine Falle.

Ich bin der Meinung, die AfD knüpft an die Wilhelminische Zeit an und träumt von der Wiederherstellung der damaligen Groβmacht Deutschland inmitten Europas, herausgelöst aus der EU und aus der Nato, und wenn es sich eines Tages ergeben sollte, dann gerne „Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt“. Die Oder-Neiβe-Grenze wäre da nur hinderlich.

Trotz einiger Sympathiebekundungen meiden die regierenden polnischen Nationalkonservativen Kontakte und Begegnungen mit der AfD. Zu groβ sind die Unterschiede.

Die Hitlerzeit ist in Deutschland immer noch ein Tabu, sogar die AfD hat nicht den Mut den Nationalsozialismus zu rehabilitieren. Aber viele ihrer Funktionäre und Sympathisanten, vor allem diejenigen, die aus dem Dunstkreis der NPD kommen, tun es scheibchenweise indem sie z. B. fordern, die Deutschen sollen endlich aufhören sich Asche aufs Haupt zu streuen für die Verbrechen der Nazis.

Wenn Gauland der Wehrmacht Anerkennung zollt, dann hat er ihr zweifelsohne hervorragendes, hocheffizientes soldatisches Handwerk vor Augen. Wir dagegen haben vor Augen was die unbenommen glanzvollen militärischen Siege der Wehrmacht an Völkermord, Zerstörung und unsäglichem Leid mit sich gebracht haben. Deswegen gibt es aus polnischer Sicht mit der AfD, obwohl es zu einigen Themen ähnliche Vorstellungen geben mag, obwohl es ihrerseits einige Sympathiebekundungen für die polnischen Nationalkonservativen gab, nichts zu bereden.

Auch wenn einige in Polen, sei es aus Unwissenheit oder aus Trotz, gewisse Sympathien für die AfD zum Ausdruck bringen, so gilt für die heutige offizielle polnische Politik: Keine Illusionen und keine Kontakte mit der AfD.

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RdP