Komorowski-Rede entfacht Stauffenberg-Fehde

Das Problem: die Ablehnung Hitlers und die Verachtung seiner Opfer waren meistens eins.

Während seines Abschiedsbesuches in Berlin hat Polens scheidender Staatspräsident Bronisław Komorowski das Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 mit dem Warschauer Aufstand verglichen. Komorowski setzte sich damit einer heftigen Kritik seitens einheimischer Medien und Historiker aus. Attentäter Stauffenberg sei ein Rassist gewesen, der Polen und Juden verachtete. Nicht den Völkermord zu stoppen hatte er im Sinn, sondern Deutschland vor einer totalen Niederlage zu retten, schrieben polnische Kommentatoren.

Der letzte Auslandsbesuch von Staatspräsident Bronisław Komorowski, der nach der verlorenen Wahl am 6. August sein Amt aufgeben muss, sollte ein freundliches Abschiednehmen von Bundespräsident Joachim Gauck und Auβenminister Frank-Walter Steinmeier sein. Normalerweise haben Medien an solchen Besuchen kein Interesse. Diesmal war es anders.

Komorowski wurde nämlich von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) eingeladen, am Rande seines Besuches, am 8. Juli 2015 in Berlin eine Rede in der Vortragsreihe „20. Juli. Vermächtnis und Zukunftsauftrag” zu halten. Komorowski hat sich bei seinem Auftritt sehr weit vorgewagt und das Attentat in eine Reihe mit dem Warschauer Aufstand gestellt:

„In gewisser Weise fügt sich (abgesehen von den Absichten) der polnische Unabhängigkeitsaufstand vom 1. August 1944 ein in den Ablauf der Ereignisse, in deren Tradition der 20. Juli 1944 und somit auch das Attentat auf Hitler stehen.”

Zur Erinnerung: am 1. August 1944 brach in Warschau, weil sich die Rote Armee bereits unweit der Stadt befand, ein Aufstand aus. Ausgelöst von der der Londoner Exilregierung unterstellten Heimatarmee (Armia Krajowa – AK), sollte er nur wenige Tage dauern. Die AK wollte die Stadt aus eigener Kraft von den Deutschen befreien, um anschließend als legale polnische Macht die Russen in der Hauptstadt begrüβen zu können. Auf diese Weise sollte, da die Augen der Weltöffentlichkeit auf Polen gerichtet sein würden, eine Beseitigung der AK (Erschieβungen, Deportationen), wie sie bereits im Osten des Landes an der Tagesordnung war, und die Einsetzung einer kommunistischen Verwaltung durch die Sowjets verhindert werden.

Die Russen stoppten jedoch, unter dem Vorwand ihre Truppen seien erschöpft, daraufhin ihren Vormarsch, um den Deutschen Zeit genug zu geben, die AK zu vernichten. Wie anders handelten die Amerikaner unter Gen. Einsenhower, als sie sofort ihre Pläne änderten und umgehend dem Aufstand in Paris, im August 1944, zur Hilfe kamen.

Warschauer Auftsand 1944.
Warschauer Auftsand 1944.

Die Intensität der Kämpfe in Warschau stand der von Stalingrad in nichts nach. Der Aufstand dauerte 63 Tage lang, zog den Tod von ca. 250.000 Warschauern nach sich, und (nach der Kapitulation am 3. Oktober 1944 und der Vertreibung der restlichen Bevölkerung) die planmäβige Zerstörung der Stadt bis Mitte Januar 1945, als die Sowjets endlich das menschenleere Ruinenmeer „befreiten“. In Polen gilt der Warschauer Aufstand (nicht zu verwechseln mit dem Aufstand im Warschauer Ghetto im April 1943) als ein nationaler Opfergang und der Höhepunkt des Freiheitskampfes im Zweiten Weltkrieg.

Schon vor Komorowskis Berlin-Reise gab es in den Medien erhebliche Einwände gegen seine Teilnahme an der KAS-Veranstaltung. Jedoch am Tag nach seinem Berliner Auftritt, den in Deutschland kaum jemand zur Kenntnis genommen hat, brach in Polen ein Sturm der Entrüstung aus. Kritisiert wurde nicht nur Komorowskis Rede. Beanstandet wurde auch, dass er die Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung angenommen hatte und sich „benutzen“ lieβ.

Auf dem Weg zur deutschen Résistance

In Deutschland, so der Tenor, sei man nämlich dabei den einstigen Begriff „Opposition gegen Hitler“ zu verwerfen und eine deutsche „Widerstandsbewegung“ zu konstruieren, damit man sich in eine Reihe mit dem polnischen „Untergrundstaat“ (Polskie Państwo Podziemne), mit der französischen Résistance, der sowjetischen, jugoslawischen, griechischen Partisanenbewegung u. e. m. stellen könne. Versprengte Oppositionsgruppen, die oft erst nach den Niederlagen Hitlers und zusätzlich in einem Meer von Hitlerverehrern, Mitläufern und Kriegsgewinnlern aktiv wurden, würden so auf eine Ebene gestellt mit groβen nationalen Freiheitsbewegungen im besetzten Europa.

Stauffenberg Hitler foto
Stauffenberg (links) mit Hitler in der Wolfsschanze.

Stauffenberg persönlich wird in Polen, nicht erst seit heute, der Vorwurf gemacht, er sei den Polen, wie allen Slawen, aber auch den Juden gegenüber feindselig eingestellt gewesen und habe sie zutiefst verachtet. Immer wieder wurde in den letzten Tagen aus einem Brief zitiert, den Stauffenberg 1939, nach dem deutschen Überfall auf Polen, seiner Frau schrieb:

„Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun. In Deutschland sind sie sicher gut zu gebrauchen, arbeitsam, willig und genügsam.”

„Deutsche“ Wertarbeit, „nationalsozialistische“ Verbrechen

An diese Worte erinnerte am 8. Juli 2015 u. a. der Kommentator der Tageszeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) Jerzy Haszczyński:

„So sollte der Abschied Komorowskis von Deutschland nicht aussehen. Dass er am Ende seines Besuches in Berlin eine rühmende Rede auf die deutsche Widerstandsbewegung im Dritten Reich hält, wirkt zumindest ungeschickt. (…) Zwar wollte Stauffenberg Hitler stürzen (um den Krieg zu beenden und die Zahl der deutschen Opfer zu mindern), doch ideologisch stand er dem Führer nicht fern. Ein Teil der Historiker hält ihn für einen, für die damalige deutsche Armee typischen, Antisemiten und erinnert daran, dass er ein Gegner der parlamentarischen Demokratie war.

Seine bekannteste Aussage über Polen (aus dem Brief an seine Frau) ist ein Musterbeispiel des Antipolonismus“, fährt Haszczyński fort. „Mag sein, dass Stauffenberg eine geeignete Ikone für die deutsche Geschichtspolitik ist, aber ein polnischer Staatspräsident sollte sich nicht darum kümmern.

Umso mehr als sich die Deutschen alleine hervorragend bei der Umsetzung dieser Politik zu helfen wissen. (…) In mehr als einhundert Ländern haben sie, dank dem ZDF-Film „Unsere Mütter, unsere Väter“, das tragisch-menschliche Antlitz der Wehrmacht und die unmenschliche Fratze der polnischen Heimatarmee (AK) gezeigt. Sie können sich auch darüber freuen, dass man einerseits zumeist von „Nazi“-Verbrechen, andrerseits von „deutschen“ Gebrauchsgegenständen hoher Qualität spricht. In diesen Kontext hat sich Komorowski bei seinem Abschiedsbesuch in Berlin eingeordnet.“, so Haszczyński.

Polen nicht vorgesehen

Dieselben Vorwürfe, ergänzt um einige weitere, erhoben am 9. Juli 2015 die Autoren eines offenen Briefes an Komorowski: der bekannte Historiker Andrzej Nowak aus Kraków und Witold Jurasz, Chef des Think Tanks Ośrodek Analiz Strategicznych (Zentrum für Strategische Analysen). Sie weisen darauf hin, was die meisten führenden Köpfe des 20. Juli im Sinn hatten und schreiben:

„Sehr geehrter Herr Präsident,

(…) Allgemein zugängliche historische Quellen bestätigen von welcher Absicht die Attentäter geleitet wurden: (…) die deutsche Armee vor der totalen Niederlage an der Ostfront zu retten, zu verhindern, dass Deutschland in Folge des Krieges weitere Opfer und territoriale Einbuβen erleidet. Sie legten keinerlei Mitgefühl für Juden, Roma und Slawen an den Tag. (…). So wie Ludwig Beck, eine führende Persönlichkeit der Opposition der Offiziere, haben sie den Einsatz der Wehrmacht zum Wiederaufbau der deutschen Herrschaft in Mittel- und Osteuropa befürwortet. (…)

Selbstverständlich kann man den Verschwörern ihren spezifischen, preuβischen und deutschen Patriotismus nicht absprechen. Das aber kann nicht eine Voraussetzung sein dafür, dass ein polnischer Staatspräsident sie ehrt. (…)“

Nowak und Jurasz erinnern daran, dass die meisten Verschwörer davon ausgingen, Deutschland werde nach dem Sturz Hitlers und einem Friedensabkommen mit den Alliierten seine Kolonien zurückbekommen und die Grenzen von 1914 behalten. Grenzen also, die gut ein Drittel Polens aus der Zeit zwischen 1918 und 1939 (östliches Oberschlesien, Groβpolen mit Poznań und den sogenannten Korridor mit dem Hafen Gdynia, Bydgoszcz und Toruń) umfasst hätten.

In demselben Geist sind weitere offene Briefe verfasst: so der, der Stiftung Paradis Judeaorum (vom 7. Juli), des Christlichen Verbandes der Auschwitz-Familien (vom 7. Juli) oder des bekannten Historikers Jan Żaryn (vom 9. Juli).

Kritische Kommentare zu, vor und nach Komorowskis Berlin-Rede erschienen u. a. in der nationalkonservativen Wochenzeitung „Gazeta Polska“ (am 15. Juli), auf dem liberalen Internetportal „natemat.pl“ (13. Juli), im gröβten Nachrichtenmagazin des Landes, dem katholischen „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“, vom 19. Juli) und in den zwei gröβten polnischen Boulevardblättern „Fakt“ (am 8. Juli) und „Super Express“ (9. Juli).

Stauffenberg, Brandt, Bonhoeffer

Nur die linke „Gazeta Wyborcza“ („Wahlzeitung“, vom 5.Juli) nahm Staatspräsident Komorowski in Schutz. Ihr ehemaliger Korrespondent in Berlin, Bartosz Wieliński schrieb:

„Es ist natürlich wahr – Pöbel, Mischvolk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt, genügsam – so beschrieb Stauffenberg die Polen in seinen Briefen im Herbst 1939. Mehr verachtete er damals nur die Juden. In Polen kämpfte er als Rittmeister der 1. Leichten Division. Als der Krieg ausbrach, schrieb er, dass er Erleichterung spüre. Gewiss, wenn es ihm gelungen wäre Hitler am 20. Juli zu töten und die Verschwörer an die Macht in Deutschland gekommen wären, hätte der deutsche Terror in Polen nicht nachgelassen. Von einer Verschiebung der Grenzen wäre auch keine Rede gewesen.

Nur, der vor kurzem verstorbene spätere Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der sich um die deutsch-polnische Versöhnung auβergewöhnlich verdient gemacht hat, nahm auch an dem Überfall auf Polen teil. Am zweiten Tag des Krieges verlor er seinen Bruder in der Tucheler Heide. Sein Vater, Ernst von Weizsäcker, war die Nummer zwei in der Nazi-Diplomatie, nach dem Krieg wurde er als Kriegsverbrecher verurteilt. Sein zweiter Bruder, Carl Friedrich arbeitete am Nazi-Atomprogramm. Was dachte der junge von Weizsäcker über die Polen? Er wich dieser Frage aus“, führt Wieliński aus und setzt fort:

„Nichts in der neusten deutschen Geschichte ist schwarz-weiß. (…) Unter den wichtigsten Politikern der älteren Generation haben alle einen gröβeren oder kleineren braunen Fleck in der Biografie. Es gibt keinen einzigen Konzern, der nicht in die Arbeit für den „Endsieg“ verstrickt gewesen wäre. Viele Zeitungredaktionen haben nach dem Krieg ehemalige Nazis übernommen. Die deutsche katholische Kirche hat vor kurzem die Beschäftigung von Zwangsarbeitern aufgearbeitet.

Doch wichtiger als die Verstrickung ist, wie man damit umging und was daraus folgerte. Auf Stauffenberg muss man aus dieser Perspektive schauen. Noch Anfang der 50er Jahre betrachtete ihn jeder vierte Deutsche als Verräter, dem eine gerechte Strafe zuteil geworden ist. Heute wird er verehrt, weil er einer der wenigen war, die um ihr Land vor der Katastrophe zu bewahren, den Mut hatten die Hand gegen den herrschenden Wahnsinnigen zu erheben. Verloren haben sie alle. Hitler hat sich schlieβlich selbst umgebracht. Doch ihr Opfer war das Fundament, auf dem das demokratische Deutschland aufgebaut wurde. So hat sich Stauffenberg um ganz Europa, also auch um Polen, verdient gemacht. An der Beteiligung des polnischen Staatspräsidenten an Feierlichkeiten zu Ehren Stauffenbergs gibt es daher nichts, was unangebracht gewesen sein könnte“, schreibt Wieliński.

Es hagelte Erwiderungen auf Wielińskis Text. Dass die Tatsache, er sei genauso ein überzeugter Rassist gewesen, wie alle anderen („Stauffenberg stand mit solchen Ansichten nicht allein“), für Stauffenberg sprechen solle, wurde als geradezu kurios eingestuft.

Auch die Feststellung Wielińskis: „Nichts in der neusten deutschen Geschichte ist schwarz-weiß“, stieβ auf Widerworte. Auf den blütenweiβen Seiten in der neusten deutsche Geschichte stehen solche Namen, wie Willy Brandt, die Geschwister Scholl oder Dietrich Bonhoeffer… Leider sind es nicht allzu viele, so der Kommentator Tadeusz Płużański im Boulevardblatt „Super Express“, der dann fortsetzt:

„Stauffenberg nahm als Wehrmachtoffizier am Überfall auf Polen teil und schon das genügt, damit der polnische Staatspräsident ihn nicht ehrt. (…) Nach den Feierlichkeiten in Berlin erfuhren Deutschland und die Welt wieder einmal, dass es in Deutschland eine bedeutende Widerstandsbewegung gab. Das ist eine offensichtliche Lüge, die Bronisław Komorowski zu fördern beschloss.“

Anmerkung RdP: wie differenziert man mit dem Thema deutsche Opposition gegen Hitler in Polen umgehen kann, zeigt die Rede Janusz Reiters, des ehem. Journalisten und polnischen Botschafters in Bonn (1990-1995): „Sie waren nicht makellos, aber sie hatten Mut“. Hier nachzulesen.

Ein weiterer Beitrag zu dem Thema hier.

RdP