Thank you, Poland! Trumps Warschauer Rede zum Hören und Sehen

Die Warschauer Rede von US-Präsident Donald Trump vom 6. Juli 2017, wird den Polen für sehr lange in Erinnerung bleiben. Gehalten auf dem Krasinski-Platz, vor dem Denkmal für den Warschauer Aufstand (1. August 1944 – 3. Oktober 1944), war sie eine hochemotionale Huldigung an die Menschen, das Land und seine dramatische Geschichte. Sie war sehr amerikanisch und sehr polnisch zugleich in ihrem Pathos und in ihrer klaren Sicht der Dinge.

Man sah, Trump sprach aus Überzeugung. Er beschwor die Werte, die ihm wichtig sind, und die er in Polen wiederzufinden glaubt. Es war zudem sein Dank an eine Nation und ein Land, das zu Amerika steht und seine Bündnisverpflichtungen ernst nimmt, Ein Dank auch an die Amerika-Polen, die ihm 2016 zum Wahlsieg in einigen wichtigen „swing states“ („Staaten mit Wechselwählern“) verholfen haben.

Die letzte Ansprache dieser Art hielt in Deutschland wahrscheinlich der Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter während der sowjetischen Berlin-Blockade im September 1948: „Ihr Völker der Welt schaut auf diese Stadt!“ Dies sind längst vergangene Zeiten, und so war die Reaktion der deutschsprachigen Medien absehbar. Ihre Korrespondenten und Kommentatoren konnten Donald Trump in Warschau, seiner Ansprache und den Polen, die er mitgerissen hat, fast nur Negatives abgewinnen,Es war eine düstere und konservative Rede“, so der schweizer Rundfunk SRF. Die Menschen, die Trump zujubelten seien „organisierte Massen“ („Tagesanzeiger“) gewesen, „mit Bussen herangefahren“, „kein repräsentativer Querschnitt der polnischen Bevölkerung” („ARD-Tagesschau”) usw., usf. 

Dass Menschen und Vereine aus der Provinz, wie die „Leserklubs der Gazeta Polska“, auf eigene Kosten, Busse anmieteten, um ungeachtet der Anstrengungen, der Kosten, der lästigen Sicherheitsmaßnahmen und des stundenlangen Ausharrens in der prallen Sonne (letzter Einlass drei Stunden vor Redebeginn), bei dem Ereignis dabei zu sein, passte offensichtig nicht in ihr Konzept. Abgesehen von der VIP-Loge kamen etwa zwanzigtausend Menschen zu dem Ereignis. Mehr fasste der Platz nicht.

Am besten ist es immer, sich selbst ein Bild zu machen. Deswegen dokumentieren wir für Sie die Warschauer Rede Donald Trumps gleich in zwei Fassungen: 

1. Die Kurzfassung, die für Furore im polnischen Internet sorgt.

2. Der vollständige Auftritt des US-Präsidenten.  

Lesenswert auch: "Ein Donald mehr erschreckt nicht sehr".

© RdP





Ein Donald mehr erschreckt nicht sehr

Polen und der neue US-Präsident.

Deutschland bibberte vor Angst und bebte vor Empörung. In Polen staunte man eher, wägte ab und legte Donald Trumps Wahlkampfaussagen über Putin und die Nato erst einmal nicht auf die Goldwaage. Denn diesen Aussagen gegenüber stehen schlieβich die ausgesprochen polenfreundlichen Worte und einige Zusagen des Wahlkämpfers Donald Trump. Was von all dem wird Trump am Ende umsetzten?

Wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen

Selbst am frühen Morgen danach, in den Stunden des gröβten deutschen Entsetzens über Donald Trumps Sieg, versäumten es einige deutsche Politiker nicht,  Polen, wie üblich, zu rügen und zurechtzuweisen. SPD-Chef Sigmar Gabriel sah „Polen mit Kaczynski“ als Mitglied einer „autoritären und chauvinistischen Internationale“, deren Vorreiter Trump sei.

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Bei deutschen Politikern wie Sigmar Gabriel (SPD) oder Karl-Georg Wellmann (CDU) gerät die Trump-Schelte schnell zur Polen-Schelte

Trump und Kaczynski gehe es, so Gabriels Analyse, „um ein echtes Rollback in die schlechten alten Zeiten. In denen Frauen an den Herd oder ins Bett gehörten, Schwule in den Knast und Gewerkschaften höchstens an den Katzentisch. Und wer das Maul nicht hält, wird öffentlich niedergemacht.“

CDU-MdB und „Polen-Experte“ Karl-Georg Wellmann sah in den US-Wahlen „ein Alarmsignal, besonders für Polen“. Kaczynskis frühere Aussage über den Vorrang der Partnerschaft mit den USA sei, in Wellmanns Augen, eine „fatale Leichtsinnigkeit“. Man müsse in Europa zusammenhalten als eine Staaten- und Sicherheitsgemeinschaft. „Polen! Europa ist dein Schicksal!“, rief Wellmann am Ende seiner Stellungnahme pathetisch aus.

Wellmann rieb den Polen Trumps-Aussage, „Putin sei ein groβer Staatsmann“ unter die Nase und pries zugleich einen europäischen Zusammenhalt an, den gerade sein Land mit seiner Russlandpolitik, ständig untergräbt.

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„Das sind die russischen Vorschläge, wie wir unsere Gasversorgung diversifizieren sollten.“

Einerseits spricht sich nämlich Wellmanns Deutschland für Sanktionen gegen Russland aus. Gleichzeitig aber forciert es den Bau einer zweiten unter der Ostsee verlaufenden Russland-Deutschland-Gasleitung  (Nord Stream 2). Damit erhöht Berlin nicht nur die ohnehin groβe Energieabhängigkeit der EU von Russland. Es unterwandert auch die Sanktionen, indem es noch mehr Erdgas-Euro-Milliarden nach Putin-Russland, und somit u. a. zur Finanzierung seiner Aufrüstung, pumpen will.

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Russischer Briefmarken-Block (2012) anlässlich der Fertigstellung von „Nord Stream“. Der Blockrand zeigt den Verlauf der Gasleitung unter der Ostsee vom russischen Wyborg nach Greifswald,.Das Portrait der russischen Zarin und der wichtigsten Totengräberin Polens im 18 Jh., Katharina II., wurde 1712 in Greifswald gemalt.

 

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„Putin-Schröder-Pakt. Die Gasumzingelung Polens“. Titelbild der Zeitschrift „Wprost“ („Direkt“) vom 10. Juli 2005.

Deutsche Regierungspolitiker (Auβenminister Steinmeier) geiβeln die Nato-Verteidigungsanstrengungen und verreiβen sie als „Säbelrasseln“. Die deutsche Industrie mahnt ständig den Abbau der Russland-Sanktionen an. Alle Umfragen ergeben, dass die deutsche Öffentlichkeit mehrheitlich (und zwar von Anhängern der Linken über die SPD bis zur AfD) die Stärkung der Nato-Ostflanke ablehnt, und stattdessen der Abwendung von den USA und der Annäherung an Putin-Russland Vorrang gibt. Auf einen solchen Zusammenhalt soll Polen voll und ganz setzen, sagt sinngemäβ „Polen-Experte“ Wellmann. Die Polen selbst warten lieber erst einmal ab bis Trump seine Entscheidungen trifft.

Trump über Polen

Anders als Hillary Clinton, nahm Donald Trump am 29. September 2016 die Einladung des Polnischen Nationalen Verbandes (Polski Związek Narodowy, Polish National Alliance, kurz PNA) zu einem Treffen in Chicago an.

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Die PNA ist der gröβte und älteste Verband der Amerika-Polen (seit 1880) . Zusammen mit fast ausnahmslos allen anderen landesweiten und regionalen Polen-Verbänden in den USA ist er Mitglied im Kongress der Amerika-Polen (Kongres Polonii Amerykańskiej, The Polish American Congress), einem in den USA politisch durchaus einflssreichen Dachverband.

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Die Polen sind ein Volk  mit einer großen Diaspora. In den USA leben die meisten von den etwa 20 Millionen Auslandspolen. Ihre Zahl wird auf knapp 10 Millionen geschätzt, von denen gut 600.000 Polnisch als Umgangssprache benutzen.

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Polnische Ladenzeile in Chicago.

Polnische Hochburgen in den USA sind die Staaten New York, Illinois und Michigan. Chicago ist mit 1,1 Millionen Polen und polnisch stämmigen Bürgern, nach Warschau, die zweitgröβte polnische Stadt der Welt.

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Anfang Oktober findet in der New Yorker Fifth Avenue seit 1937 der groβe Umzug der Amerika-Polen statt, die Pulaski Day Parade.

Die ersten Polen kamen nachweislich im Oktober 1608 nach Amerika . Eine polnische Massenauswanderung in die USA begann jedoch erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Allein in der Zeit zwischen 1820 und 1914 siedelten sich 2,2 Millionen Polen in den Staaten an.

In seiner Ansprache an die Polen  (Tietelild) war Trump geradezu überschwänglich. Er lobte ihren Beitrag zur Entwicklung der USA. Mit Anerkennung vermerkte er, dass Polen als eines der wenigen Nato-Länder die von den USA geforderten 2 Prozent des Bruttoinlandproduktes für die Verteidigung ausgibt (Deutschland 1,2 Prozent). Er erwähnte den beachtlichen polnischen Einsatz im Irak und in Afghanistan. Er versprach eine Stärkung der Nato, die sich jedoch um die Bekämpfung des Terrorismus kümmern sollte. Über Russland verlor er kein Wort. Trump sagte zudem die Abschaffung der US-Einreisevisa für Polen zu und warb natürlich intensiv um polnische Wählerstimmen. Die meisten von ihnen waren ihm sicher, denn die US-Polen wählen  mehrheitlich republikanisch.

Trumps Ansprache an die Amerika-Polen (ca. 17 Minuten) kann man sich hier ansehen.

Kann Polen auf diese Worte bauen? Donald Trump ist ein Ausbund an Rätseln, und auch die Lösung dieses konkreten Rätsels muss man abwarten. Einen Grund zur Panik jedoch gibt es vorerst nicht.

Die Polen über Trump

Die selbsternannte polnische „aufgeklärte Elite“ wird, wie die deutsche, noch einige Zeit brauchen bis sie sich sicher ist, ob mit Trumps Wahlsieg die Demokratie nur eine Niederlage erlitten hat oder bereits an ihrem Ende angekommen ist. Alles was sie von sich gibt ist ein Abbild dessen, was auch in Deutschland über Trump verkündet wird, und deswegen muss man es an dieser Stelle nicht wiederholen.

Anders ist interessanter.

Drei prominente Polen haben, jeder auf die für ihn typische Weise, zu dem Trump-Erfolg Stellung genommen.

Donald Tusk 

Am schwierigsten hatte es Donald Tusk. Der „Präsident Europas“ hat sich zwar nicht ganz so weit aus dem Fenster gelehnt, wie der deutsche Auβenminister Steinmeier, der Trump während des Wahlkampfes einen „Hassprediger“ nannte und nach seinem Sieg klein beigeben musste.

Anders als Steinmeier wollte Tusk nur witzig sein und veröffentlichte am 5. November die Botschaft: „Der neueste Kommentar meiner Frau: ein Donald ist mehr als genug!“.

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Auch Tusk musste bereits am 9. November kräftig zurückrudern: „Hier mein Glückwunschbrief und die Einladung nach Europa zu einem baldigen EU-US-Gipfel, um die Beziehungen für die nächsten vier Jahre festzulegen.“

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Lech Wałęsa

Lech Wałęsa, gewissermaβen das „Aushängeschild“ des Kampfes gegen die angebliche heutige „Diktatur“ in Polen, frönte wieder einmal seiner Geltungssucht und Selbstgefälligkeit. Er veröffentlichte ein Foto, dass ihn in trauter Zweisamkeit mit Donald Trump zeigt.

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Wałęsas Kommentar zum Bild:

„Ich habe gestern von einigen Amerika-Polen, die in Donald Trumps Wahlbüro waren, erfahren, dass er mir herzliche Grüβe ausrichten lässt. Ich freue mich, dass er sich an unser Gespräch in seinem Klub in Florida 2010 erinnert. Angeblich soll er damals gedacht haben: »Wenn es in Polen möglich war, dass ein einzelner Arbeiter den Kommunismus bezwingt und Präsident wurde, warum sollte dann im kapitalistischen Amerika ein Millionär nicht Präsident werden…« Wie man sieht, war auch meine Geschichte für ihn  eine Art Eingebung, die ihn  zum Handeln veranlasste.“

Erst den Kommunismus allein bezwungen, dann Trump zur Präsidentschaft bewogen… Lech Wałęsa ist nun mal dazu verurteilt die Weltgeschichte zu gestalten.

Andrzej Duda

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Staatspräsident Andrzej Duda hat gratuliert:

„Exzellenz,

ich möchte Sie zum Erfolg im Wettlauf um die fünfundvierzigste Präsidentschaft der Vereinigten Staaten beglückwünschen, und Ihnen eine ausgesprochen gelungene Amtsperiode wünschen.

Die Beziehungen zwischen Polen und den USA sind ein hervorragendes Beispiel für eine strategische Partnerschaft, die auf gemeinsamen Idealen fuβt. Ihr Kern ist die Freiheit, die uns, Polen, den Amerikanern und mir persönlich sehr viel bedeutet.

In den letzten Jahrzehnten haben wir viele Initativen ergriffen, um das was uns verbindet zu festigen. Dazu gehören politische Konsultationen auf höchster Ebene im Rahmen des polnisch-amerikanischen strategischen Dialogs, aber auch bereits weit entwickelte Formen der Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit, Verteidigung, des Handels und der Innovation.

Die polnisch-amerikanischen Beziehungen sind ein wichtiger Eckpfeiler der europäischen und transatlantischen Stabilität geworden. Ganz besonders freut es uns, dass sich während des diesjährigen Nato-Gipfels in Warschau die Vereinigten Staaten entschlossen haben die Ostflanke des Bündnisses zu stärken. Wir hegen die aufrichtige Hoffnung, dass Ihre Führung neue Möglichkeiten schaffen wird für unsere Zusammenarbeit, die auf einer gemeinsamen Verpflichtung beruht.

Ich persönlich bin Ihnen dafür dankbar, dass Sie während Ihres Präsidentschaftswahlkampfes Zeit für ein Treffen mit den USA-Polen gefunden haben. Die polnischen Amerikaner wissen ihre lobenden Worte für unser Land, für die Amerika-Polen selbst und ihre Rolle in der Entwicklung der USA zu schätzen.

Ich möchte Ihnen noch einmal gratulieren und eine erfolgreiche Präsidentschaft wünschen. Ich hoffe auf zahlreiche Gespräche, die wir sowohl bilateral, wie auch innerhalb internationaler Foren werden führen können.

Mit Hochachtung,
Andrzej Duda“

Fünf gute Gründe aus polnischer Sicht guter Hoffnung zu sein

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1. Dudas Gratulation für Trump gibt vor allem einer Hoffnung Ausdruck, die nicht nur die Regierenden, sondern die meisten Polen hegen: die USA werden ihre gerade  erst erhöhtes Engagement an der Nato-Ostflanke beibehalten. Ab Januar 2017 soll in Polen eine US-Panzerbrigade stationiert werden. Auβerdem soll ein von den Amerikanern befehligtes internationales Bataillon (eintausend Soldaten aus den USA, Groβbritannien, Rumänien) im Frühjahr 2017 dauerhaft nach Polen kommen. Je ein weiteres solches Bataillon (lediglich in anderer nationaler Zusammensetzung) soll in die drei baltischen Staaten verlegt werden.

2. In Polen geht man vorerst mehrheitlich davon aus, dass ein Mann mit dem Temperament Trumps sich Putins Sticheleien und Provokationen nicht lange wird bieten lassen. Zugunsten Putins klein beigeben, das wäre eine Absage an Trumps Wahlslogan „Make America Great Again“. Trump ist für Putin viel unberechenbarer als Obama es war oder Hillary Clinton es wäre. Das dürfte Putins Risikobereitschaft zügeln.

3. Trump wird von Beratern umgeben sein, die, wie Newt Gingrich Hardliner sind. Im Kongress gibt es zudem genügend einflussreiche Republikaner die eine nachsichtige Haltung gegenüber Putin ablehnen. Des Weiteren bleiben die Kommandostrukturen der US-Army, der CIA, NSA und ander Geheimdienste bestehen, ebenso wie die strategischen Interessen der USA. Trump kommt schwerlich an alldem vorbei.

4. Wenn Trump seine Ankündigung ernst meint, die USA werden nur Staaten helfen, die sich selbst ernsthaft um ihre Sicherheit kümmern und (wie Polen) mindestens 2 Prozent ihres BIP für die Verteidigung ausgeben, dann wird das zu einer deutlichen Stärkung des Bündnisses führen.

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„Krawall Diplomatin“ (Der Spiegel) Victoria Nuland und ihr Kollege im Geiste, Daniel Fried, werden nun von ihrer „Aufseher“-Funktion in Warschau entbunden.

5. Schon während seines Treffens mit den Amerika-Polen hat sich Trump von der beinahe ständigen Einmischung der Obama-Administration in innerpolnische Angelegenheiten distanziert. Ende 2015 und Anfang 2016 schickte Washington mehrere Male die sehr machthaberisch und und überheblich auftretende Referatsleiterin für Europa und Eurasien im US-Auβenministerium, Victoria Nuland, nach Warschau, die sogar „Der Spiegel“, wegen ihres unsäglichen Auftretens in der Ukraine, „Amerikas Krawall-Diplomatin“ nannte. Ähnlich führte sich bei seinen Besuchen ein anderer US-Kontrolleur auf, der Diplomat und ehem. Botschafter in Warschau (1997-2000), Daniel Fried,. Beide werden nun von ihrer „Aufseher“-Funktion in Warschau entbunden.

Fazit

Stanisław Janecki, der führende Kommentator und politische Beobachter auf der konservativen Seite ging sogar so weit zu schreiben:

„Auf die Zukunft und die Sicherheit Polens während der Präsidentschaft Donald Trumps schauen wir mit Zuversicht. Schlechter war es bereits, jetzt kann es nur noch besser werden. Die Präsidentschaft Donald Trumps ist für Polen eine Chance, keine Bedrohung.“

Seine Worte in Gottes Ohr.

© RdP




Polen – EU. Versuch einer Bestandsaufnahme

Prof. Marek Cichocki und Janusz Tycner diskutieren unmittelbar vor dem britischen EU-Referendum über das Verhältnis Polens und der Polen zur EU und zur europäischen Intergration.
Wie steht die polnische Regierung zum Brexit?
Was für ein Europa schwebt den Regierenden in Warschau vor?
Wo beginnt und wo endet die Europabegeisterung der Polen?
Nicht die EU-Gelder, sondern der freie europäische Markt, die Investitions- und Niederlassungsfreiheit, gepaart mit harter Arbeit der Polen machen der Erfolg des Landes seit dem EU-Beitritt aus.
Die mythischen EU-Gelder und die Wirklichkeit einmal nachgerechnet.
Tusk: „EU-Geld ausgeben“, Kaczyński: „EU-Geld investieren“.
Die Mehrheit der Polen teilt die Meinung der Regierung: keine Euro-Währung in absehbarer Zeit.
Die EU-Osterweiterung von 2004 nach zwölf Jahren rückwirkend betrachtet.
Statt noch mehr Zentralisierung, Angleichung und Brüsseler Befugnisse, braucht die EU eine Pause zum Nachdenken wie es weiter gehen soll.




Neuer Staatspräsident. Neue Deutschlandpolitik?

Es wird Veränderungen geben.

Die innenpolitische Entwicklung in Polen: Abwahl des „deutschfreundlichen“, so das „Handelsblatt“ am Tag nach der Entscheidung, Staatspräsidenten Komorowski im Mai 2015 und das sehr wahrscheinlich bevorstehende Wahldesaster der Tusk-Partei Bürgerplattform bei den Parlamentswahlen im Oktober 2015, treiben deutschen Politikern und Journalisten tiefe Sorgenfalten auf die Stirn.

Deutsche Politik und deutsche Medien haben jahrelang ausschließlich und alles auf Komorowski und Tusk gesetzt. Beides „pflegeleichte“ Politiker, wie es „Der Spiegel“ im Dezember 2013 freimütig formulierte, auf deren Beflissenheit stets Verlass war. So gesehen kommt ihnen der neue Staatspräsident Andrzej Duda, für den sie, als Kandidaten, nur Hohn und Spott („Pappkamerad“, „Mr. Nobody“) übrig hatten, sehr ungelegen.

Das Staatsoberhaupt und die Auβenpolitik

Als „oberstem Vertreter der Republik Polen“ gewährt die Verfassung dem Staatspräsidenten einen nicht geringen Spielraum auf dem Gebiet der Auβenpolitik. Ohne seine Ratifizierung kann kein von Polen eingegangenes internationales Abkommen in Kraft treten. Staatspräsident Lech Kaczyński z. B. hat Berlin in Rage gebracht, weil er sich die Freiheit nahm und als einer der letzten in Europa im Namen Polens seine Unterschrift unter den Lissabonner Vertrag setzte. Er wollte die Iren nicht auch noch unter Druck setzten und abwarten, bis das irische „Ja“ (oder „Nein“) im zweiten Referendum (das erste fiel negativ aus) feststand.

Staatspräsidente Lech Kaczyński unterschreibt am 10. Oktober 2009 den Lissabonner Vertrag.
Staatspräsident Lech Kaczyński unterschreibt am 10. Oktober 2009 den Lissabonner Vertrag.

Der Staatspräsident vertritt Polen bei seinen Besuchen im Ausland. Ohne seine Zustimmung kann kein polnischer Botschafter ernannt werden. Er kann durchaus eigene Schwerpunkte in der Auβenpolitik setzten.

Lech Kaczyński hat das viele Male vorgemacht, z. B. als er im August 2008 die Staats- bzw. Regierungschefs der baltischen Staaten und der Ukraine dazu bewog, gemeinsam nach Tiflis zu fliegen, um sich mit Georgien solidarisch zu zeigen, als russische Truppen im Anmarsch auf die Hauptstadt waren.

Andrzej Duda war Lech Kaczyńskis engster Mitarbeiter. Seine Vereidigung zum Staatspräsidenten soll am 6. August 2015 stattfinden. Bis dahin will er sich, in dem ihm zur Verfügung gestellten kleinen Palais im Zentrum von Warschau, auf die Amtszeit vorbereiten, seinen Berater- und Mitarbeiterstab zusammenstellen, ausländische Politiker empfangen. US-Präsidentschftskandidat Jeb Bush, Kanadas Regierungschef Stephen Harper, Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg waren seine ersten Gäste.

Das kleine PalaIs in der Warschauer Foksalstrasse dient Andrzej Duda, bis zu seiner Vereidgung am 6. August 2015, als vorläufiger Amtssitz.
Das kleine PalaIs in der Warschauer Foksalstrasse dient Andrzej Duda, bis zu seiner Vereidgung am 6. August 2015, als vorläufiger Amtssitz.

Welche Akzente wird Andrzej Duda in der Auβenpolitik und insbesondere in den Beziehungen zu Deutschland setzten? Eine ganzheitliche, programmatische Aussage von ihm zu diesem Thema gibt es (noch) nicht. Eckpfeiler jedoch sind anhand von Dudas Äuβerungen im Wahlkampf und der Darlegungen seiner auβenpolitischen Berater (Prof. Krzysztof Szczerski und Dr. Witold Waszczykowski) sehr deutlich erkennbar.

1. Duda: Hauptziel ist die Wahrnehmung und Umsetzung nationaler polnischer Interessen mit Hilfe einer aktiven und selbständigen polnischen Auβenpolitik. Einer Politik des „regen Dialogs mit unseren Partnern“. Ausgangspunkt dieses Dialogs muβ die realistisch eingeschätzte Gemeinsamkeit oder der Widerspruch der Interessen sein. „Wir werden einen Staatspräsidenten erleben, der mit Nachdruck über die polnischen Anliegen reden und andere wirksam von der Richtigkeit unserer Argumente überzeugen kann“, so Prof. Szczerski im Wochenblatt „Gazeta Polska“ („Polnische Zeitung“) vom 27. Mai 2015.

Duda-Berater Prof. Krzysztof Szczerski.
Duda-Berater Prof. Krzysztof Szczerski.

Tusks Politik hat Berlins kühnste Träume übertroffen

Der deutschen Politik und den deutschen Medien bereiten solche Aussichten sichtlich Kopfzerbrechen und Kummer. Sie waren bis jetzt anderes gewohnt. Der Wahlsieg Donald Tusks im Herbst 2007 und der tragische Tod  Staatspräsident Lech Kaczyńskis im April 2010, der in Deutschland als „rückwärtsgewandter Störenfried“ galt, haben in Deutschland ein kaum kaschiertes Aufatmen ausgelöst. Es begann eine Zeit, in der Polen von der deutschen Politik „nicht mehr als Problem betrachtet“ werden musste, wie es der scheidende polnische Botschafter in Berlin, Prawda im „Tagesspiegel“ im August 2012 gleichsam stolz und ehrerbietig verkündete.

Marek Prawda, bis 2012 ppolnischer Botschafter in Berlin. Vollzug gemeldet: Polen kein Problem mehr für die deutsche Politik.
Marek Prawda, bis 2012 polnischer Botschafter in Berlin. Den Deutschen Vollzug gemeldet: Polen kein Problem mehr für die deutsche Politik.

Tusks neuer Kurs in der Auβenpolitik hat Berlins kühnste Träume übertroffen.

A. Tusks Polen lockerte deutlich seine Beziehungen zu den USA.

B. Tusks Polen nahm Abschied von einer eigenständigen Ostpolitik: Polen bündelt, koordiniert und vertritt in enger Zusammenarbeit und Absprache mit möglichst vielen ost- und mitteleuropäischen Staaten deren Interessen in Brüssel und gegenüber der „West-Nato“ und der „West-EU“ in der Sicherheits-, Energie-, Klima- und Agrarpolitik. Nur so bekommen diese Staaten ein politisches Gewicht, das sie allein niemals aufbringen können. Die Aufgabe dieses auβenpolitischen Kurses durch Tusk und Komorowski hat der deutschen Politik das Leben um ein Vielfaches leichter gemacht.

C. Tusks Polen nahm Abschied von der eisernen Regel: Polen spricht mit Moskau niemals über die Köpfe der Staaten hinweg, an die es im Osten grenzt: der Ukraine, Weiβrusslands, des Baltikums. Stattdessen ernannte Tusk Polen zum Mitglied im „EU-Klub der Groβen“ (Deutschland, Frankreich, Großbrittanien, Italien, Spanien). Zu einem Land, dass direkt mit Moskau redet und die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit Putins Russland, ungeachtet der Menschenrechtslage und des russischen Machtgebarens, genauso wie die anderen erwähnten Staaten um jeden Preis vorantreibt.

Diese Politik, bis zur Selbstverleugnung betrieben, legte, als gröβtes Geschenk, Putins Russland die ganze Untersuchung der Smolensk-Katastrophe in die Hände. Das Wrack der Unglücksmaschine ist bis heute nicht nach Polen gebracht worden.

Der Ukraine-Krieg hat Tusks Russlandpolitik zum Einsturz gebracht. Vorher aber hat diese Politik das Ansehen Polens bei seinen unmittelbaren Nachbarn im Osten ganz und gar ruiniert.

Tusk und Komorowski haben die „Störenfried-Politik“ Warschaus beendet. Sie behinderte nicht länger die reibungslose Umsetzung der deutschen Russlandpolitik, die zumeist nach den Standards und Vorlagen eines „Gasprom-Gerhard“ Schröder („Putin ein lupenreiner Demokrat“) geführt wurde.

Führe, Deutschland! Tusks und Sikorskis Berliner Huldigung

D. Tusks und Komorowskis Polen erhob die Anpassung an die deutsche Auβenpolitik praktisch zur Staatsdoktrin. Ihre höchste Vollendung fand diese Doktrin in der berühmten „Berliner Huldigung“, wie der Akt der Unterwerfung seitdem in Polen genannt wird.

Tusks Auβenminister Sikorski. Führe, Deutschland! Polen wird sich selbst abwickeln.
Tusks Auβenminister Sikorski. Führe, Deutschland! Polen wird sich selbst abwickeln.

Tusks Auβenminister Sikorski fuhr Ende November 2011 eigens nach Berlin, um Deutschland offiziell Polens „Juniorpartnerschaft“ anzubieten. In seiner, ansonsten auf Englisch gehaltenen, Rede huldigte er Deutschland in deutscher Sprache: „Ich danke Ihnen als Politiker und als Pole“. Er bat Deutschland darum die Führungsrolle in Europa zu übernehmen. Er versprach, der polnische Staat werde sich in einem künftigen, vereinigten, von Deutschland geführten Europa weitestgehend selbst abwickeln und seine Kompetenzen nur noch auf Fragen der „nationalen Identität, der Religion, des Lebensstils, der öffentlichen Moral und der Einkommens- und Mehrwertssteuersätze“ beschränken, ansonsten jedoch alles in die Hände Berlins legen. Den verzauberten deutschen Gastgebern stellte Sikorski hingebungsvoll in Aussicht: „Wenn ihr uns in den Entscheidungsprozess einbindet, könnt ihr auf unsere Unterstützung zählen“.

Die Hackordnung war damit festgelegt, doch für den von Sikorski erhofften Posten des Nato-Generalsekretärs oder wenigstens eines EU-Kommissars hat es dennoch nicht gereicht.

Ob EU-Kilmapolitik, die die polnische Steinkohle und damit Oberschlesien als Industrierevier endgültig stilllegen soll. Ob die Ukraine-Krise, in der Tusk auf die aktive Beteiligung Polens an deren Lösung, auf „Anraten“ Berlins und Moskaus, schnell verzichtet hat. Ob die Frage der polnischen Minderheit in Deutschland und viele andere… Für Tusk und Komorowski galt uneingeschränkt, wie in der katholischen Kirche: Roma (Berlin) locuta, causa finita – Berlin hat gesprochen, der Fall ist erledigt.

Tusk hat es immerhin geschafft den ersehnten Posten des EU-Ratsvorsitzenden zu bekommen.

E. Tusks Wirtschaftspolitik war schlicht und einfach: Das Billiglohnland Polen hat seine historische Erfüllung gefunden als verlängerte Werkbank der deutschen Industrie und, wie eh und je, als Zulieferer frischer, williger, schnell integrierbarer und preiswerter Arbeitskräfte nach Deutschland.

Von der Taz bis zur FAZ

„Wenn einem so viel Gutes widerfährt…“ Deutsche Medien und die deutsche Politik haben über ihrem polnischen Favoriten einen breiten Schutzschirm aufgespannt. Während der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sich unter einem Dauerbeschuss deutscher Medien befand, waren „unser Mann“ Donald Tusk und das „System Tusk“ unangreifbar: populistische Versprechungen, Amtsmissbrauch, Korruption, Filz, Kolonisierung der öffentlichen und privaten Medien, Verdopplung der Staatsschulden, gigantische Geldverschwendung, Enteignung der Pensionsfonds, die Verwandlung des Parlaments in eine Abstimmungsmaschinerie der Regierung…

Es galt das Prinzip der drei Affen: „Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“. Von der Taz bis zur FAZ, vom ZDF bis zum Deutschlandfunk: gleichgeschaltet, oft bis in kleinste Details, in ihrer Polen-Berichterstattung, hielten die deutschen Medien, durch eine Legion von Korrespondenten in Warschau vertreten, Donald Tusk und den Seinen eisern die Treue. Wenn es etwas in Tusk-Polen zu beanstanden gab, dann nur das Noch-Vorhandensein einer, zeitweise, vor allem nach der Smolensk-Katastrophe 2010, fast schon ghettoisierten, Opposition, mit ihren „Monsterfiguren“: Jarosław Kaczyński und dem Radio-Maryja-Begründer Pater Rydzyk.

Was Wunder, dass die deutsche Politik und die deutschen Medien erhebliche Probleme damit haben, die demokratische Entscheidung der Polen hinzunehmen. Zu akzeptieren, dass in einer Demokratie irgendwann die Opposition an die Macht kommt. Wie gerne würde man in Berlin die Beziehungen zu Polen, wie gehabt, weiterhin auf das Niveau der alle fünf Jahre stattfindenden Jubelfeiern zu Ehren des polnisch-deutschen Nachbarschaftsvertrages reduzieren…

Keinen Euro, bitte!

2. Duda: EU-Mitgliedschaft auf jeden Fall, ja, aber die Einführung des Euro, wenn überhaupt, dann in ferner Zukunft, wenn Polen das Wirtschafts- und Sozialniveau führender westeuropäischer Staaten erreicht hat.

Die deutsche Politik und die deutsche Wirtschaft dagegen drängen auf eine baldige Übernahme des Euro durch Polen und haben auch in dieser Frage in Donald Tusk (er versprach im September 2008, den Euro werde es in Polen schon 2011 geben) und Staatspräsident Komorowski treue Verbündete gehabt, nicht jedoch in der polnischen Bevölkerung.

Rolf Wilhelm Nikel. Deutscher Botschafter in Warschau.
Rolf Wilhelm Nikel. Deutscher Botschafter in Warschau.

Der deutsche Botschafter in Warschau, Nikel, hat die deutsche Haltung im November 2014 mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht, in dem er sich, wie selbstverständlich, direkt in die polnische Euro-Debatte einmischte. Deutschland sei sehr positiv zu einem schnellen Eintritt Polens in die Euro-Zone eingestellt. Mit groβem Bedauern sehe man, dass vor der Krise die polnische Öffentlichkeit eine sehr gute Meinung über die gemeinsame Währung hatte, während jetzt nur noch 25 bis 30 Prozent der Polen den Euro haben wollen. Er, Nikel, sei Staatspräsident Komorowski dankbar dafür, dass er die Debatte über die Euro-Einführung begonnen habe, weil sie notwendig sei.

Komorowski hat, ganz in Nikels Sinn, die Notwendigkeit der Übernahme des Euro den Polen geradezu gebetsmühlenartig eingetrichtert, was sicherlich zu seiner Wahlniederlage beitrug.

Sicherheit vor Russland

3. Duda: Angleichung der Sicherheitsstandards zwischen „Nato-West“ und „Nato-Ost“. Nicht nur gemeinsame Manöver, sondern ständige Anwesenheit von Nato-Truppen an der Ostflanke des Bündnisses, vor allem im Baltikum und in Polen.

Die deutsche Politik und die deutsche Öffentlichkeit lehnen das mehrheitlich rundweg ab.

4. Duda: Angesichts der deutschen Haltung (siehe oben) benötige Polen umso mehr die ständige militärische Präsenz und ein Höchstmaβ an ständigem politischen und wirtschaftlichen Engagement der USA in Europa.

In Deutschland stöβt das weitestgehend auf Ablehnung.

5. Duda: Rückkehr Polens zu seiner ursprünglichen Ostpolitik (siehe Punkt 1B und 1C).

Polen will grundsätzlich gute Beziehungen zu Russland unterhalten, doch die politischen Ziele beider Staaten sind oft völlig andere. Die Grundlage des Dialogs mit Russland müssen bilden: das Achten des Völkerrechts durch Russland (Ukraine – Anm. RdP), die historische Wahrheit (Katyń-Mord, unterlassene Hilfe für den Warschauer Aufstand 1944 usw. – Anm. RdP), Bereitschaft zur lückenlosen Aufklärung der Smolensk-Katastrophe, Abkehr von der russischen Embargopolitik auf dem Agrarsektor.

Deutschland, das seit einiger Zeit im Alleingang die EU-Russlandpolitik führt, will dabei ungern behelligt werden. Die „polnische Einmischung“ brächte nur Probleme mit sich.

Mit Deutschland ernsthaft reden

6. Frage an Duda-Berater, Prof. Szczerski im Gespräch mit der Zeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) vom 11. Juni 2015: „Werden sich unsere derzeitigen Beziehungen zu Deutschland ändern? Sie haben sie seiner Zeit als geradezu vasallisch bezeichnet, weil unser Land auf das Kleinstmaβ eines deutschen Klienten geschrumpft ist“.

Szczerski: „Ich gebrauche solch eindeutige Worte nur selten, rede lieber davon, dass unsere Beziehungen zu Deutschland weitgehend auf einer Asymmetrie zu unseren Ungunsten beruhen. Das muss korrigiert werden, im Sinne einer beiderseitigen Achtung und eines auf Zusammenarbeit ausgerichteten Dialogs. (…) Es gibt keine zwei Staaten mit identischen Zielen. Es wird also auch Auseinandersetzungen geben, aber gerade deswegen hat man die Diplomatie erfunden.“

So sieht der Abschied von der Tusk-Komorowski-Deutschlandpolitik aus, hin zu einem normalen, zwischenstaatlichen Dialog auf gleicher Augenhöhe. Sollte Dudas Partei, Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Herbst an die Regierung kommen, dürfte sich diese Veränderung, egal ob man sie „Wende“ oder „Korrektur“ nennt, schnell einstellen.

Dass man das in Deutschland sehr ungern, aber notgedrungen, zur Kenntnis nimmt, beweist die FAZ. Nach wochenlanger Duda-Schelte, Duda-Hohn und Duda-Hysterie (Intoleranz, „Orbanisierung“ Polens, EU-Feindlichkeit usw.) während des polnischen Wahlkampfes, hat sich das Blatt zu Prof. Szczerski begeben und ihn nach den auβenpolitischen Absichten des neuen polnischen Staatsoberhauptes gefragt. Herausgekommen ist in dem Bericht eine Beschwichtigung nach dem Motto: alles halb so wild, Geschichte spielt keine Rolle mehr, es wird fast genauso weitergehen wie bisher.

Duda-Berater Dr. Witold Waszczykowski.
Duda-Berater Dr. Witold Waszczykowski.

„Wunschdenken?“ titelte daraufhin das angesehene Internetportal „wPolityce.pl“ („inderPolitik.pl“) und fragte den Duda-Berater Dr. Waszczykowski: „Die FAZ hat verkündet, dass es nur eine „leichte Korrektur“ des auβenpolitischen Kurses geben wird. Im Prinzip wird sich nichts ändern. Ist das richtig?“

Waszczykowski: „Es ist nicht der richtige Augenblick, um das bekannt zu geben. Eines ist jedoch wichtig: wir werden zu klaren Aussagen in unserer Auβenpolitik zurückkehren, um unsere nationalen Interessen wahrzunehmen. Diese Interessen werden manchmal mit den Interessen anderer europäischer Staaten kollidieren. Wir werden mit unseren Partnern in Europa ehrlich und ernsthaft reden müssen. Zum Beispiel über die Haltung gegenüber Russland. Deutschland hat da eine andere Meinung als wir. Den Deutschen wird man ernsthaft die Frage stellen müssen, was ihnen wichtiger sei: Putins gutes Selbstbefinden oder die Sicherheit seiner östlichen Verbündeten, Polens und der baltischen Länder.

Eine solche Korrektur in unserer Auβenpolitik muss und wird es geben. Heute will Deutschland der Verbesserung der Sicherheit unserer Staaten nicht zustimmen oder, besser gesagt, der Angleichung an den Stand des Westens. Wir verlangen keine Privilegien, wir wollen Gleichbehandlung. Bis jetzt waren unsere nationalen Interessen zweitrangig. Vorrangig waren die Interessen der Bürgerplattform und Tusks persönliche Interessen, nicht die des polnischen Staates. Man hört natürlich hier und da die Flüsterpropaganda, Recht und Gerechtigkeit werde einen Krieg mit Russland vom Zaun brechen. Das ist absoluter Quatsch. Wir werden weiterhin mit Russland zusammenleben, Handel betreiben, aber es gibt keinen Grund die russische Aggression zu rechtfertigen.“, so Waszczykowski.

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Donald der Gehorsame

100 Tage EU-Ratspräsident Tusk. Alle enttäuscht nur Frau Merkel nicht.

Der offizielle Jubel kannte keine Grenzen als Donald Tusk im September 2014 EU-Ratspräsident wurde. Es soll, so hat man tatsächlich behauptet, ein Ereignis gewesen sein, das sich gerade noch so mit der Wahl des Krakauer Erzbischofs Karol Wojtyła zum Papst vergleichen lieβ. Im Oktober 1978 hieβ es in Rom „habemus Papam“. Jetzt hieβ es in Warschau allen Ernstes „habemus Praesidentem Europae“.

So formulierte es damals der, nie um eine Peinlichkeit verlegene, Auβenminister Sikorski. Andere Politiker aus dem Regierungslager und regierungstreue Medien verkündeten mit Emphase, der „König Europas“ sei gerade gekürt worden. Die damals allgemein wie selbstverständlich verwendete Bezeichnung „Präsident Europas“ klang dagegen geradezu bescheiden.

Ereignis von epochaler Bedeutung

Diejenigen Polen, die anhaltend an tiefen Minderwertigkeitskomplexen leiden, und das ist ein nicht geringer Teil der Nation, konnten sich wieder einmal kurz aufrichten. Ähnlich wie in jenen Momenten, wenn es einem polnischen Sportler oder Team ausnahmsweise mal gelingt eine Goldmedaille oder einen Meistertitel zu erlangen. Oder, so geschehen im Sommer 2009, als der farblose Jerzy Buzek, an den sich heute in Europa kaum jemand mehr erinnert, für zweieinhalb Jahre EU-Parlamentspräsident wurde, und dann im Sommer 2011, als Polen die damals noch im Rotationsprinzip halbjährlich wechselnde und fast bedeutungslose EU-Ratspräsidentschaft übernahm. Beide Male waren das in der offiziellen Darstellung der Tusk-Regierung „Ereignisse von epochaler Bedeutung“.

Überhört oder niedergejubelt wurde von der Regierungspropaganda bei der Wahl Tusks zum EU-Ratspräsidenten der Einwand, es stimme doch sehr nachdenklich, dass kein(e) sich im Amt befindliche Regierungschef(in) Westeuropas, auch nicht Frau Merkel oder David Cameron, sich darum gerissen haben, „König(in) von Europa“ zu werden.

Polnischer Jubel 1: Tusk, der neue König Europas.
Tusk-Jubel 1: „Tusk, der neue König Europas “ (links Frau Mogherini).

„Wir können stolz sein!“, verkündete „Fakt“, Springers polnische „Bild-Zeitung“. „Zehn Jahre nach unserem EU-Beitritt wurde ein Pole EU-Ratschef, informell der Präsident der ganzen Union! Kein polnischer Politiker wagte es jemals von der Position zu träumen, die jetzt Donald Tusk einnehmen wird“.

Tusk-Jubel 2: Tusk erwartet in Brüsel Luxus. Der König Europas mietet eine Wohnung für (umgerechnet) viertausend Euro.
Tusk-Jubel 2: „Tusk erwartet in Brüsel Luxus. Der König Europas mietet eine Wohnung für (umgerechnet) viertausend Euro“.

Schwache einhundert Tage

Nun, nach einhundert Tagen seines Amtierens in Brüssel, konnten sich auch Tusks gröβte polnische Enthusiasten nicht dazu durchringen Begeisterung an den Tag zu legen. Diesmal zierte sein Gesicht weder die Titelseite der linken Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ („Wahlzeitung“), noch die des linken Wochenblattes „Polityka“. „Gazeta Wyborcza“ versteckte ihre erste Bilanz des „Königs von Europa“ auf Seite sechs unter der Überschrift „Tusks schwache hundert Tage“.

Tusk-Jubel 3: "Donald Tusk hat mit seiner neuen Frisur alle überrascht"
Tusk-Jubel 3: „Donald Tusk hat mit seiner neuen Frisur alle überrascht. Neuer Stil des Königs von Europa.“

Besser angebracht wäre sicherlich der Titel „Donald der Schweigsame“, weil der „Präsident Europas“ kaum zu vernehmen ist. Niemand weiβ, was „Unser Mann in Brüssel“ von der Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk im Ukraine-Konflikt hält. Niemand kennt seine Meinung über die Idee der Briten, Waffen in die Ukraine zu liefern. Journalisten haben keine Chance ihn danach zu fragen, weil der neue EU-Ratsvorsitzende die Medien scheut, wie der Teufel das Weihwasser.

Tusk-Jubel 4 "Der König Europas. Doald Tusk zum  Präsidenten Europas gewählt. Er wird nach Polen als Millionär zurückkehren. Überzeuge Dich selbst davon wie die Erste Dame (Tuskas Frau) feiert. Die Meinungen der Welt zu Tusks Wahl."
Tusk-Jubel 4: „Der König Europas. Donald Tusk zum Präsidenten Europas gewählt. Er wird nach Polen als Millionär zurückkehren. Überzeuge Dich selbst davon, wie die Erste Dame (Tusks Frau) feiert. Die Meinungen der Welt zu Tusks Wahl.“

Seine Verteidiger behaupten nun allen Ernstes, dass der „Präsident Europas“ sich ohne Absprache mit den 28 Staats- und Regierungschefs der EU nicht zum Ukraine-Konflikt äuβern kann und darf. Die Erklärung, warum jedoch Angela Merkel und François Hollande sich mit den übrigen 26 EU-Staaten nicht im Geringsten absprechen müssen, wenn sie zu Putin aufbrechen und mit ihm, im Namen der EU, Vereinbarungen treffen, bleiben die Tusk-Fürsprecher schuldig.

Tusk kenne eben die Rangordnung, hege keine Illusionen, wer in Wirklichkeit die EU regiere und ihre Auβenpolitik gestalte, lautet ein weiteres Argument. Wie denn das? Ist Tusk plötzlich nicht mehr der „Präsident“, der „König Europas“, der er noch im September 2014 angeblich gewesen ist?

Der osteuropäische Musterschüler

In Ernst Hemingways berühmter Novelle müht sich der alte Mann sehr lange damit ab, den Fisch ins Boot zu bekommen, und als er ihn endlich dort hat, sieht er ein von anderen Fischen abgenagtes Skelett. Tusk ergeht es nicht anders, nur, dass ihm das nichts ausmacht.

Die Wahl ins EU-Amt war die Krönung seiner langjährigen Träume von einer groβen europäischen Karriere. Den Anlauf, den er dazu benötigte, war verhältnismäβig kurz und leicht.

Die polnische "Bild-Zeitung"-Ausgabe. Groβer Erfolg Donald Tusks! Der wichtigste Mann in Europa. Wird er Polen helfen? Ab Dezember wird es bei den Sitzungen des Europäischen Rates zwei polen geben (mit Ministerpräsidentin Kopacz).
Tusk-Jubel 5. „Fakt“, die polnische „Bild-Zeitung“: „Groβer Erfolg Donald Tusks! Der wichtigste Mann in Europa. Wird er Polen helfen? Ab Dezember wird es bei den Sitzungen des Europäischen Rates zwei Polen geben (mit Ministerpräsidentin Kopacz).

In Deutschland hat man im Herbst 2005 geradezu hysterisch auf den Sieg der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), sowohl in den Präsidentschafts- wie auch in den Parlamentswahlen reagiert. Jeder, der die „schrecklichen“ Zwillingsbrüder Lech (Staatspräsident) und Jarosław (Ministerpräsident) Kaczyński entmachtete, und ihre selbstbewuβte und eigensinnige Europa- und Russlandpolitik zu Fall brachte, konnte auf die Dankbarkeit Angela Merkels zählen.

Tusk, der es geschafft hatte, im Herbst 2007, bei vorgezogenen Parlamentswahlen, die Regierung von Jarosław-Kaczyński abzulösen und dessen Bruder Lech auf dem Posten des Staatspräsidenten zunehmend zu isolieren, bis der am 10. April 2010 in der Smolensk-Flugzeugkatastrophe ums Leben kam, war Frau Merkel von Anfang an sympathisch. Umso mehr, als er gerne bereit war einzugestehen, dass für alle polnisch-deutschen Konflikte und Irritationen der Jahre 2005 bis 2007 allein sein Land, Polen die Schuld trug.

Deutsche "Bild-Zeitung" ausgabe. Tusk verglichen mit einem kleinen Ganoven, der dem Mafioso Vito Corleone die Hand küsst.
Deutsche „Bild-Zeitung“ online.. Tusk verglichen mit einem kleinen Ganoven, der im Film „Der Pate“ Mafioso Vito Corleone die Hand küsst.

Genauso verfuhr Tusk im Verhältnis zu Moskau, doch erwies sich der von ihm umgarnte Partner Wladimir Putin weit weniger loyal. Putin nahm Tusks Huldigungen und Zugeständnisse (u.a. die vollständige Übertragung der Untersuchungen des Flugzeugabsturzes von Smolensk an die Russen) gerne entgegen, und vertröstete ihn mit vagen Versprechungen, die er nicht einzulösen gedachte.

Tusk schlüpfte derweil gekonnt in die Rolle des osteuropäischen EU-Musterschülers. Zu Höherem geweiht wurde er 2010 in Aachen, bei der Verleihung des Karlspreises. Die Laudatio zu seinen Ehren hielt Angela Merkel persönlich. Der Lissabonner Vertrag, der die gescheiterte EU-Verfassung ersetzte und im Dezember 2009 in Kraft trat, hat jedoch Tusks heutiges Amt deutlich geschwächt.

Brav sein ist alles

Für den Vorsitzenden der EU-Kommission (heute Jean-Claude Juncker) wurde eine fünfjährige Amtsperiode beibehalten. Dem in seiner Art neu geschaffenen Amt des EU-Ratspräsidenten (heute Tusk) wurde jedoch nur eine zweieinhalbjährige Amtsperiode zugebilligt, mit der Möglichkeit sie einmal zu verlängern. Je kürzer aber die Amtsperiode, umso schwächer die politische Position des jeweiligen Amtsinhabers.

Tusk hat das nicht gestört, seine Entschlossenheit EU-Karriere zu machen nicht gemindert. Den Absprung nach Brüssel betrachtete er als die beste Rettung vor den wachsenden politischen Schwierigkeiten in Polen, und als ein Heilmittel gegen seine Amtsmüdigkeit als Ministerpräsident. Er hat lange Zeit falsche Fährten gelegt, behauptet er denke gar nicht daran nach Brüssel zu gehen, weil er zu Hause noch viel zu tun habe. Insgeheim lernte er intensiv Englisch, bekam von Frau Merkel fortlaufend diskrete Ratschläge und Anweisungen, was er zu tun und zu lassen habe, um seine Chancen nicht zu gefährden.

Tusk ist heute 58 Jahre alt. Sein Plan: fünf Jahre lang, bis Ende 2019, in Brüssel ausharren. Im Frühjahr 2020, noch vom Glorienschein des ehemaligen „Präsidenten Europas“ umgeben, die Wahlen gewinnen und polnischer Staatspräsident werden.

Dazu bedarf es aber Mitte 2017 unbedingt einer Verlängerung der Amtsperiode um 2,5 Jahre. Frau Merkels Wort wird dabei, wie bei der Ernennung im Sommer 2014, das gröβte Gewicht haben. Brav sein, der politischen Ziehmutter keine Schwierigkeiten machen, keine kesse Lippe riskieren, das sind für Donald Tusk die Schlüssel zum eigenen Wohlergehen. Die ersten einhundert Tage seiner Amtsperiode haben gezeigt, dass er diese Taktik ganz und gar beherzigt hat.

Die Frage nach dem EU-Gemeinwohl, nach konstruktiven Zielen, die es zu erreichen gilt, stellt sich für Tusk nicht. Ernsthafte Überlegungen zu den Problemen Europas? Fehlanzeige.

Macht war für Tusk immer nur ein Selbstzweck und sie durfte den Rotwein- und Zigarrengenieβer nicht zu sehr belasten. Der Ministerpräsident verlieβ Warschau für gewöhnlich am Donnerstagnachmittag an Bord einer Maschine in Richtung Sopot/ Zoppot, wo er ein Haus hat, und er erschien nicht vor Montagnachmittag wieder im Dienst. Diesen Rhythmus versucht er so gut es geht auch in Brüssel beizubehalten.

Wie es um sein EU-Amt bestellt sein würde, konnte man derweil schon im Juni 2014 absehen. Aus Anlass des 70. Jahrestages der alliierten Landung in der Normandie, hatten Merkel und Frankreichs Staatspräsident Hollande beschlossen sich mit Putin und dem ukrainischen Ministerpräsidenten in Deauville zu treffen. Der damalige EU-Ratspräsident (Van Rompuy) und die EU-Chefdiplomatin (Frau Ashton) wurden nicht dazu geladen.

Schnell zur Sache

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde klar, wer in der EU die Entscheidungen fällt. Niemand stellte laut die Frage, wozu eigentlich die EU die beiden neuen Ämter geschaffen hat. Eine ehrliche Antwort lautet bis dato: zur Dekoration.

Noch zur Zeit des Tusk-Vorgängers, Herman Van Rompuys, haben sich Deutschland und Frankreich immerhin bemüht, den von ihnen erzwungenen Lösungen einen europäischen Anstrich zu geben. Inzwischen hat das keine Bedeutung mehr. Vor allem deutsche Politiker sind es müde um den heiβen Brei herumzureden. Man möchte schnell zur Sache kommen, und EU-Ratspräsident Tusk spurt.

Tusk dzwoneczek foto

Amersten abend des zweitägigen EU-Gipfels, es war der 19. März 2015, rief er, wie befohlen, einen Mini-Gipfel zum Thema Griechenland ein. Teilnehmer waren: Frau Merkel, François Hollande, Ministerpräsident Tsipras sowie Vertreter der wichtigsten EU-Finanzinstitutionen.

Da konnte der belgische Regierungschef Charles Michel vor der geschlossenen Tür noch so laut toben und Tusk beschimpfen: „Was sind das für Ideen? Weder Deutschland, noch Frankreich haben ein Mandat, um Belgien zu vertreten. Wollen Sie die Union in wichtige und weniger wichtige Länder spalten?“

Da konnte der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann Tusk darauf hinweisen, dass er wenigstens den Vorsitzenden des EU-Paralaments Martin Schulz hätte dazu einladen sollen. Tusk begnügte sich mit einer 47-sekündigen Erklärung in „holprigem“ (so die Presseagentur AP), schwer verständlichem Englisch darüber, was hinter geschlossenen Türen zu Griechenland gesagt wurde.

Sehr bezeichnend war auch der Besuch des „Präsidenten Europas“ bei US-Präsident Obama in Washington am 9. März 2015. Irgendeine eigene Aussage, eine Idee Tusks zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa, zu den wichtigsten Problemen der Weltpolitik? Fehlanzeige. Stattdessen Smalltalk, Shakehands, gemeinsames Foto, aber keine, wie sonst üblich, gemeinsame Pressekonferenz mit Obama. Keine Erwähnung des Besuches in einem der wichtigen amerikanischen TV-Sender, kein Kommentar oder Artikel in der „New York Times“ (dort erschien ein Tusk-Interview vor dem Besuch), in der „Washington Post“, im „Wall Street Journal“.

Kein Ansehen, keine Macht

Die Show wurde Tusk zudem von Peter Wittig gestohlen, dem deutschen Botschafter in Washington, der ausgerechnet am Tag des Washington-Besuches von Tusk das Medieninteresse auf sich zog, als er öffentlich enthüllte, unter welchen Umständen sich Obama entschlossen hatte, keine „todbringenden Verteidigungswaffen“ in die Ukraine zu liefern. Die Entscheidung war, so Wittig, auf Betreiben Deutschlands beim Merkel-Besuch im Weiβen Haus am 9. Februar 2015 gefallen. Der deutsche Botschafter machte damit der amerikanischen Öffentlichkeit auf einen Schlag klar, wer in der EU die Politik macht und wer nur repräsentiert.

„Undurchsichtig, unsichtbar, nebulös, stammelnd“, so umschrieben ausländische Korrespondenten in Brüssel Tusks Wirken, als polnische Medien sie nach ihrer Einschätzung der ersten einhundert Tage des neuen EU-Ratspräsidenten fragten. Viel mehr fiel den Brüsseler Journalisten zu Tusk nicht ein.

„Viel Ansehen, keine Macht“, so umschreiben EU-Kenner die Funktion des EU-Ratspräsidenten. Der EU-Rat, das sind die Gipfeltreffen der Regierungschefs der EU-Staaten, die einige Male im Jahr stattfinden, bei denen manchmal wichtige Entscheidungen getroffen werden. Der EU-Ratspräsident soll sie vorbereiten und ihren Verlauf überwachen, mitunter vermitteln.

Tusks Vorgänger Van Rompuy, der flieβend Englisch und Französisch (letzteres beherrscht Tusk überhaupt nicht) sprach, viel Diplomatie- und Verwaltungserfahrung hatte, hat diese Aufgabe zuverlässig und geschickt gemeistert. Sein Nachfolger hat diese Erfahrung und Routine nicht. Aber er braucht sie auch nicht zu haben. Hauptsache Frau Merkel ist mit seinen Handreichungen zufrieden. Nur das zählt.

@ RdP