Woran krankt der polnische Sport
Am neuen Besen soll er genesen.
Witold Bańka (Jahrgang 1984) ist polnischer Sportminister und ehemaliger Sprinter. Das interessante Interview mit ihm, das wir hier in deutscher Übersetzung wiedergeben, erschien am 26.01.2018 im Internetportal „w.polityce.pl („inder.politik.pl“).
Witold Bańka hatte sich als Athlet auf den 400-Meter-Lauf spezialisiert. Mehrmals wurde er bei internationalen Meisterschaften in der 4-mal-400-Meter-Staffel eingesetzt. Bei den U23-Leichtathletik-Europameisterschaften 2005 in Erfurt und bei der Universiade 2007 in Bangkok gewann er mit dem polnischen Team Gold. Bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2007 in Osaka gehörte er im Vorlauf zur polnischen Staffel, die schließlich die Bronzemedaille errang. 2009 folgte Silber mit der polnischen Mannschaft bei der Universiade in Belgrad.
Seine persönliche Bestzeit im 400-Meter-Lauf von 46,11 Sekunden stellte er am 23. August 2007 in Osaka auf. 2012 beendete er seine sportliche Laufbahn.
Im November 2015 wurde der parteilose Bańka im Kabinett von Ministerpräsidentin Beata Szydło zum Minister für Sport und Tourismus ernannt. Auch nach der Kabinettsumbildung im Januar 2018 behielt er unter Ministerpräsident Mateusz Morawiecki seinen Posten. Seit April 2016 ist er Mitglied der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit.
Wie wichtig ist der Sport für die jetzige polnische Regierung?
Der Haushalt meines Ministeriums für 2018 beträgt nicht ganz 1,3 Milliarden Zloty (knapp 300 Mio. Euro – Anm. RdP). Das sind um die 141 Millionen Zloty (ca. 33 Mio. Euro – Anm. RdP) mehr als 2017.
Die Ausgaben für den Kinder- und Jugendsport sind inzwischen, im Vergleich zu 2015, dem letzten Regierungsjahr unserer Vorgänger, um 93 Prozent gewachsen. Im Jahr 2015 bekamen 3.200 Sportlehrer und Jugendtrainer eine regelmäβige, staatlich finanzierte Unterstützung. Im Jahr 2018 sind es mehr als zwanzigtausend.
Unsere Vorgänger haben zwischen 2008 und 2012 ein landesweites, sogenanntes Orlik-Programm zum Bau von kleinen, gut ausgestatteten Sportplätzen in jeder Gemeinde aufgelegt. Auch wenn in einem Drittel der polnischen Gemeinden kein solcher Sportplatz entstanden ist, war das mit 2.600 fertiggestellten Sportplätzen ein gelungenes Vorhaben.
Diese Sportplätze müssen jedoch instand gehalten werden und es soll dort ein Angebot zur Betreuung und Anleitung in einzelnen Sportarten geben. Deswegen leiten wir für die Förderung kleiner Sportklubs, in denen meistens Kinder und Jugendliche trainieren, viel Geld an die Gemeinden weiter. Dieses Geld soll auch spontanen Sportaktivitäten zugutekommen, etwa Fuβballnachmittagen, zu denen jeder kommen kann der mag, um unter Aufsicht, zum Bespiel des Sportlehrers, spielen zu können.
Ich denke, das alles beantwortet ihre Frage. Der Sport ist uns sehr wichtig.
Im Sommer 2017 hat die nationalkonservative Parlamentsmehrheit, auf Ihr Betreiben hin, das polnische Sportgesetz aus dem Jahr 2010 erheblich verändert. Was sollte diese Novellierung bewirken?
Man kann noch fünfmal mehr für die staatliche Sportförderung ausgeben, aber es wird nichts bringen, wenn das Geld irgendwo in dunklen Kanälen versickert. Wir wollten und mussten der Vetternwirtschaft und Korruption im polnischen Sport einen Riegel vorschieben. Mit dem Sportgesetz in seiner ursprünglichen Fassung aus dem Jahr 2010 war das nicht möglich.
Was konkret galt und gilt es zu bekämpfen?
In den meisten Sportverbänden war es zum Beispiel gang und gäbe, dass Sportartikel und Dienstleistungen bei Firmen eingekauft wurden, die der Ehefrau des Verbandsvorsitzenden oder eines wichtigen Präsidiumsmitglieds gehörten. Oder dem Ehemann der Schwester, dem Bruder des Schwagers usw. Die Novellierung des Sportgesetztes hat solche Machenschaften unterbunden, durch sehr klare Vorgaben für Ausschreibungen.
Das und vieles mehr an Missständen war jahrzehntelang ein offenes Geheimnis. Warum hat man früher nichts dagegen unternommen?
Das war der Preis, den auch der polnische Sport für den gleitenden Übergang vom Kommunismus zur Demokratie bezahlen musste. In vielen Lebensbereichen wurden dadurch all die kommunistischen Missstände in die neue Wirklichkeit hinübergerettet. Kommunistische Funktionäre jeglicher Prägung, informelle Mitarbeiter der Staatssicherheit, andere Nutznieβer und Mitläufer des alten Systems sowie ihre Familien machten unter neuen Vorzeichen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens weiter: im Staatsapparat, im Justizwesen, in der Armee usw. Das ist das, was man Postkommunismus nennt.
Der Sport unterstand zur kommunistischen Zeit einer aufmerksamen Kontrolle des Partei- und Sicherheitsapparates, der beide Hände über diesen Sumpf hielt. Die eine schützend, die andere wurde aufgehalten. Die Sportverbände waren geradezu okkupiert von pensionierten Kadern der Partei und der Staatssicherheit. Dort gab es ja auch viel zu holen: Auslandsreisen in den Westen, Devisen, satte Gehälter, die durch Korruption noch zusätzlich aufgebessert werden konnten. Diese Verfilzung von Sportfunktionären mit der Machtelite setzte sich bis in die jüngste Zeit fort.
Der Vorwurf kommt auf, die Regierung will die Verbandsautonomie beseitigen.
Solche scharfen Ausschreibungsregeln, wie jetzt die unsrigen, gibt es in den meisten westeuropäischen Ländern. Dort haben wir sie abgeguckt. Wir mischen uns nicht ein in innere Verbandsangelegenheiten: Satzungen, Präsidiumswahlen, Trainingsprogramme usw. Das dürfen wir nicht, denn die Sportverbände wirken im Grenzbereich zwischen der polnischen Gesetzgebung und den Bestimmungen der internationalen Sportverbände, denen sie angehören. Wir dürfen und müssen jedoch eine wirksame Kontrolle und eine ungetrübte Klarheit beim Ausgeben staatlicher Fördergelder durch die Sportverbände gewährleisten.
Sie haben kurz nach ihrem Amtsantritt im Herbst 2015 eine Untersuchung in Auftrag gegeben mit dem Titel „Tätigkeitserforschung der polnischen Sportverbände in olympischen Disziplinen“. Die Ergebnisse waren bedrückend.
Leider funktionieren die meisten Sportverbände bei uns nicht gut. Schlechtes Management, Trägheit, fehlende Transparenz, mangelnde Professionalität. Wenn Sie auf die Internetseiten der Sportverbände schauen, dann finden sie dort meistens kein Wort über die Zukunft, nichts über die Aufnahme von talentierten Kindern und Jugendlichen. Ebenfalls kein Wort über die langfristige Entwicklungsstrategie der jeweiligen Sportart.
Man lebt dort von einem Jahr zum anderen, bastelt Pläne zusammen für die nächsten zwölf Monate. Werden daraus Medaillen, Landes-, Europa-, Weltmeistertitel? Egal. Das Sportministerium hat schon immer gezahlt und wird weiterhin zahlen. Eben nicht. Diese Zeiten sind vorbei.
Manche Disziplinen wird das hart treffen, aber im Leistungssport müssen Erfolge vorgewiesen werden. Gibt es sie nicht, gibt es auch keinen Plan wie man sie erreicht, dann wird in solche Disziplinen nicht mehr investiert. Das ist Verschwendung unser aller Steuergelder. Dann ist es sinnvoller dieses Geld in den Breitensport von Kindern und Jugendlichen zu stecken.
Schlechtes Management, mangelnde Professionalität ergeben sich oft aus Unwissenheit.
Deswegen haben wir Ende 2017 einen „Kodex des guten Managements für die polnischen Sportverbände“ erstellt.
Das ist kein Gesetz, keine Verordnung, an die sich die Verbände halten müssen. Es ist eine Art Lehrbuch, ein aus einhundertachtzig Empfehlungen bestehender Katalog guter Tipps, wie man einen Sportverband zeitgemäβ, effektiv und solide leitet. Die Schlagworte sind unter anderem: „Organisation und die Befugnisse der Verbandsorgane“, „Strategisches Management“, „Finanzmanagement“, „Aufsicht und innere Kontrolle“, „Ehrlichkeit und Redlichkeit im Sport“, „Disziplinarverfahren“, „Trainer und Athleten im Verbandsgeschehen“ usw.
Wer sich daran hält, hat keine oder zumindest wesentlich weniger Probleme, so zum Beispiel der Polnische Fuβballverband und der Polnische Ski-Verband. In beiden Sportarten verzeichnet Polen in den letzten Jahren beachtliche internationale Erfolge.
Im Polnischen Tennisverband, aber auch im Polnischen Bogensport-Verband, im Polnischen Curling-Verband und im Polnischen Radsportverband scheint man hingegen ihren Kodex noch nicht ein einziges Mal aufgeschlagen zu haben.
Es ist stets dasselbe: Machtkämpfe, Machtkämpfe und noch einmal Machtkämpfe um Geld und Geltung, bei denen der Sport immer mehr ins Abseits gerät. Ein schwacher Trost ist, dass viele meiner ausländischen Minister-Kollegen, und das beileibe nicht nur aus Dritte-Welt-Staaten, sich mit denselben Problemen herumschlagen.
Sie haben in ihrer Frage die wundesten Punkte angetippt. Einmischen dürfen wir uns nicht, aber wir sitzen am Geldhahn. Ich sage immer wieder: staatliche Sportförderung ist ein Privileg, auf das es keinen Rechtsanspruch gibt.
Deswegen haben wir dem Bogensport-Verband die Mittel deutlich beschnitten. Der Curling-Verband, der wirklich sehr tief gefallen ist, bekommt vorerst kein Geld vom Staat. Vom Tennisverband haben wir die Rückgabe eins Teils der Finanzierung eingefordert. Wenn sie alle sich erneuert haben, dann gibt es wieder staatliche Mittel.
Besonders heikel ist die Lage im Polnischen Radsportverband (PRV). Ende 2017 kam heraus, dass einer der leitenden Verbandsfunktionäre junge Sportlerinnen eingeschüchtert hat. Es gab Sex mit Schutzbefohlenen, wahrscheinlich sogar eine Vergewaltigung. Dazu Handy-Mitschnitte von Alkoholgelagen während der letzten Vollversammlung.
Der PRV-Vorstand hat als Krisenmanager völlig versagt. Der Verband ist zudem bis über beide Ohren verschuldet. Gerichtsvollzieher haben bereits ein Teil des Verbandsvermögens gepfändet.
Der PRV wird bald nicht mehr in der Lage sein für 100.000 Zloty monatlich (ca. 25.000 Euro – Anm. RdP) die einzige moderne polnische Radrennbahn in Pruszków bei Warschau zu betreiben, mit deren Bau er sich völlig übernommen hat. Er schuldet allein dem Hauptauftragnehmer, der Firma Mostostal knapp zehn Millionen Zloty (ca. 2,5 Millionen Euro – Anm. RdP). Auf unser Betreiben hin hat der staatliche Mineralölkonzern Orlen, im Notverfahren, die Teilnahme unserer Radmannschaft am Bahnrad-Weltcup im weiβrussischen Minsk im Januar 2017 bezahlt.
Den gesetzlich vorgeschriebenen Eigenanteil, um die staatliche Förderung zu erhalten, hatte der PRV auch nicht. Verbandsautonomie ist Verbandsautonomie. Der Verband muss sich neu aufstellen, ein glaubwürdiges Sanierungsprogramm vorlegen. Dann können wir wieder miteinander reden.
Die Funktionäre versagen, Sie wiederum sperren das Geld, aber was passiert mit dem Radsport, einer in Polen sehr populären Sportdisziplin, in der wir auch in den letzten Jahren erfolgreich waren. Dazu gehören die olympische Bronzemedaille von Rafał Majka 2016 in Rio de Janeiro, der Weltmeistertitel von Michał Kwiatkowski im Straβenrennen 2014 im spanischen Ponferrada, die Erfolge im Frauenradsport von Katarzyna Niewiadoma.
Die Sportverbände können und dürfen wir nicht abschaffen, das wollen wir auch nicht. Wir können sie jedoch umgehen, wenn sie beim Training und bei der Schulung der Athleten versagen. Wir können die Sportförderung direkt guten Sportklubs zukommen lassen. Diese Erwägung steht im Raum.
Deswegen haben wir im Juni 2017 das Programm team100 eingeleitet. Die einhundert begabtesten polnischen Spitzensportler zwischen achtzehn und vierundzwanzig Jahren erhalten ein Jahr lang insgesamt 40.000 Zloty (ca. 9.500 Euro – Anm. RdP) pro Person. Wir haben bisher zu viele junge Talente verloren, weil sie kein Geld hatten und deswegen sich, statt dem Sport, dem Geldverdienen widmen mussten.
Alle, die sich für das Vorhaben team100 qualifiziert haben, unterschreiben einen ethischen Verhaltenskodex. Das Wissenschaftliche Sportinstitut in Warschau überwacht das Ganze, überprüft die Leistungen der Stipendiaten, und nach einem Jahr treffen wir die Entscheidung wer ein weiteres Jahr lang gefördert wird und wer nicht.
Wie sie sehen, die Zeiten, in denen der polnische Sport den polnischen Sportverbänden auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war, sind vorbei.
Die Novelle zum Sportgesetz, über die wir eingangs gesprochen haben sieht vor, dass in den Präsidien der Sportverbände keine ehemaligen Beamten oder informelle Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit aus der Zeit zwischen Juli 1944 und Juli 1990 sein dürfen. Wieso eigentlich?
Der Sport muss in jeder Hinsicht sauber bleiben. Ohne Doping, ohne krumme Geschäfte und ohne Leute, die dem Verfolgungsapparat eines Unrechtsstaates zu Diensten waren. Alle Abgeordneten und alle, die bei Wahlen kandidieren, aber auch alle ranghohen Politiker und Beamte, zudem alle Richter, Anwälte, Staatsanwälte, Offiziere von Armee und Polizei müssen eine diesbezügliche Erklärung abgeben. Warum sollten es die Sportfunktionäre nicht tun?
In Polen entscheidet der Arbeitgeber, ob er jemanden der seine IM-Tätigkeit zugegeben hat weiterhin beschäftigen will, und die Wähler entscheiden, ob sie eine solche Person im Parlament haben wollen oder nicht. Wer in seiner Erklärung gelogen hat, wird aus dem Richter- oder Anwaltsberuf entfernt, als Beamter oder Abgeordneter abgesetzt. Er darf auch nicht fürs Parlament kandidieren. Der polnische Staat als Arbeitgeber, nach dem Regierungswechsel vom Herbst 2015, vorher war das nicht so, will solche Leute nicht beschäftigen. Er will sie auch nicht fördern.
Die Erklärungen werden auf ihre Richtigkeit in den Archiven der ehemaligen Staatssicherheit überprüft, die jetzt vom Institut des Nationalen Gedenkens (der polnischen Gauck-Behörde – Anm. RdP) verwaltet werden.
Wie sind die Ergebnisse dieser Überprüfung?
Vierhundertvierzig vor dem 1. September 1972 geborene Präsidiumsmitglieder der Sportverbände hatten nach dem Empfang der amtlichen Aufforderung einen Monat lang Zeit ihre Erklärungen abzugeben. Zweiundvierzig von ihnen haben es nicht getan und vierundzwanzig haben ihre Erklärungen verspätet eingereicht. Sie alle müssen ihre Präsidiumsposten räumen. Darunter befinden sich die gesamte fünfköpfige Führung des Polnischen Curling-Verbandes sowie des Verbandes Polnischer Sporttaucher.
Polen spielt seit einiger Zeit eine wichtige Rolle im Antidoping-Kampf. Sie sind vor nicht langer Zeit zum Vertreter Europas im Exekutivkomitee der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) gewählt worden.
Wie gesagt, der Sport muss sauber sein. Betrüger, die dopen belügen sich selbst und alle Fans. Ganz und gar wird man Doping nicht aus dem Sport verbannen können, aber man kann es auf ein Minimum einschränken, wenn man mehr Geld und mehr Kraft in diesen Kampf investiert. Es ist zugleich ein Wettlauf mit der Zeit, denn Doping ist heute eine groβe, moderne Industrie.
Als wir uns Ende 2015, nach den gewonnen Wahlen, an die Arbeit machten, den polnischen Sport zu sanieren, da waren wir in einer heiklen Lage. Unsere Antidoping-Vorschriften wichen erheblich von den neusten WADA-Standards ab. Das war die Hinterlassenschaft unserer Vorgänger.
Es musste sehr schnell gehen.
Es war ein Wettlauf gegen die Uhr. Wir hatten lediglich bis zum 13. August 2016 Zeit, dann hätte unser Antidoping-Labor die WADA-Zulassung verloren. Wir hätten unsere Kontrollen für teures Geld in ausländische Labors verlegen müssen. Vom Prestigeverlust wollen wir erst gar nicht sprechen. Hinzu kam, dass bei der Olympiade in Rio 2016 zwei polnische Gewichtheber des Dopings überführt wurden.
Gleichzeitig haben wir bereits im März 2016, in enger Zusammenarbeit mit der WADA begonnen unser Antidoping-Gesetz auszuarbeiten. Es gilt heute als vorbildlich. Die Japaner haben es praktisch eins zu eins übernommen. Wir schulen Ukrainer und Aserbaidschaner. Deswegen wahrscheinlich meine Wahl ins WADA-Exekutivkomitee.
Polen soll im November 2019 in Katowice die Welt-Ani-Doping-Konferenz ausrichten.
Ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Tokio wird in Katowice ein neuer WADA-Präsident gewählt und es werden die Weichen für den weiteren Anti-Doping-Kampf gestellt. Wir werden alles dafür tun, ein guter Gastgeber zu sein.
RdP