Verfechter des Nachgebens

Deutsche „Russlandversteher“ mit polnischen Augen gesehen.

Unter der Überschrift „Verfechter des Nachgebens“ kommentiert der angesehene sicherheitspolitische Analytiker Przemysław Żurawski vel Grajewski den Aufruf von 65 deutschen Intellektuellen (u.a. Mario Adorf, Luitpold Prinz von Bayern, Roman Herzog, Otto Schily, Gerhard Schröder, Horst Teltschik) vom 4. Dezember 2014 zum Dialog mit Russland. „Dieser Aufruf“, schreibt Grajewski in der Tageszeitung „Gazeta Polska Codziennie“ („Die Polnische Zeitung Täglich“) vom 9. Dezember 2014, „strotz nur so von Entstellungen und falschen Behauptungen“.

Der Text, mit dem er scharf ins Gericht geht, hat folgenden Wortlaut

Eine prägnante Einschätzung der „Gattung“ deutscher „Russlandversteher“ gab aus diesem Anlass der ZEIT-Herausgeber Josef Joffe

Die polnische Einschätzung liest sich, nach dem Grajewski die wichtigsten Thesen des Aufrufs wiedergegeben hat, so:

Przemysław Zurawski vel Grajewski
Przemysław Zurawski vel Grajewski

„(…) Der Aufruf der 65 legt kein gutes Zeugnis über die intellektuelle Verfassung der deutschen Elite ab. Die Vielzahl der Verzerrungen, in einem von solch namhaften Leuten signierten Text, spottet jeder Beschreibung. Jedenfalls entsprechen die Behauptungen der Unterzeichner nicht der Wahrheit in Bezug auf Ereignisse und Entscheidungen, die vor noch gar nicht langer Zeit stattgefunden haben oder stattgefunden haben sollen. (…)

Eine falsche Auslegung der Wirklichkeit

Zwischen 1989 und 2004 haben die einst von den Sowjets in den Jahren 1939 – 1945 unterjochten Völker Mitteleuropas ihre Freiheit wiedergewonnen“, schreibt Grajewski und bemerkt, dass durch die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs Hitler Stalin und die Sowjets nach Mittteleuropa geholt hat. Deswegen seien die Deutschen „das letzte Volk, das ein moralisches Recht habe zu bedauern, dass diese Völker die Ergebnisse der einstigen deutschen Politik rückgängig gemacht haben. (…)

Die Triebfeder für die Nato- und die EU-Osterweiterung lag in Mitteleuropa, nicht in Brüssel, Berlin oder Washington. Wir haben die Nato und die EU zu überzeugen versucht, dass sie uns aufnehmen sollen, und nicht umgekehrt. Es war unser politischer Wille, der sich letztendlich durchgesetzt hat. (…) Immer noch fällt es aber manchen an deutschen Universitäten ausgebildeten Intellektuellen und Politikern schwer zu verstehen, dass es zwischen Deutschland und Russland jemanden gibt, der seine eigenen Interessen, seinen politischen Willen und ein eigenes Handlungspotential hat.

Sie sind offensichtlich nicht fähig eine Wechselbeziehung zu verstehen und aus ihr Schlüsse zu ziehen“, schreibt Grajewski und erläutert, dass die Vormachtstellung Russlands in Europa als Folge des endgültigen Untergangs der polnischen Adelsrepublik nach der dritten Teilung Polens 1795 entstand. Es ist also nur allzu verständlich, dass, so lange es unabhängige Staaten auf dem Gebiet des ehemaligen Russisch-Polens gibt, eine solche Position russischer Vormacht nicht haltbar sei. „Wer diese Position anerkennt und unterstützt, arbeitet gegen die Interessen der Völker dieser Staaten (…) Wenn die Ukraine die russische Einflusszone verlässt, dann untergräbt das die Position Moskaus in Europa. Diese beiden Angelegenheiten sind miteinander nicht vereinbar: die Unabhängigkeit der Ukraine (Polens, der baltischen Staaten und Weiβrusslands) mit der Vormachtstellung Russlands auf unserem Kontinent.

Ein Deutschland, so Grajewski weiter, das die russischen Ambitionen unterstützt, würde sich in einen offenen Gegner unserer Freiheit verwandeln, und so sollte es behandelt werden. Die Deutschen Intellektuellen sollten ihre Regierung davor warnen, und nicht dazu ermuntern.

Eine falsche Auslegung der Tatsachen

Die Unterzeichner irren hinsichtlich der Tatsachen. (…) Es stimmt nämlich nicht, dass der Westen nicht für eine „Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau“ gesorgt hätte. Schon im November 1993 haben Staatspräsident Boris Jelzin, der Europäische Rat und die Europäische Kommission angekündigt ein System regelmäβiger Konsultationen zwischen Russland und der EU zu schaffen. 1994 wurde ein »Partnerschafts- und Kooperationsabkommen« (PKA) unterzeichnet. Das war der Beginn des Aufbaus eines strukturellen Dialoges zwischen Moskau und Brüssel. Die damals geschaffene Struktur umfasste:

● die Russland-EU-Gipfeltreffen, die seit 1998 jedes halbe Jahr einberufen wurden;
● einen Partnerschaftsrat, der einmal im Jahr unter Teilnahme des russischen und aller EU-Auβenminister tagte. 2003, auf dem EU-Russland-Gipfel in Rom, wurde er in einen Ständigen Partnerschaftsrat umgewandelt. Seine erste Tagung fand im April 2004 statt;
● einen EU-Russland Kooperationsausschuss, der nach Bedarf (seit April 1998 praktisch einmal im Jahr) auf der Ebene höherer Beamter tagt und die Treffen des Ständigen Partnerschaftsrates vorbereitet, in dem er u. a. Unterausschüsse und Arbeitsgruppen zur Lösung konkreter Fragen einsetzt;
● einen parlamentarischen Kooperationsausschuss EU-Russland, bestehend aus Mitgliedern des Europäischen Parlaments und der Duma. Seine erste Sitzung fand vom 1. bis 3. Dezember 1997 statt.

Eine solch ausgebaute Dialogstruktur hat die EU mit keinem anderen Land der Welt. Unter den einstigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion bekam Russland zudem die gröβte EU-Finanzhilfe in den 90er Jahren“, stellt Grajewski fest, und schreibt weiter:

„Ähnlich verhielt sich die Nato. 1994 rief die Allianz die »Partnerschaft für den Frieden« ins Leben, an der auch Russland teilnahm.1997 wurde ein ständiger Nato-Russland-Rat ins Leben gerufen. 2002 verlieh man ihm eine neue, für Russland bequemere Struktur: anstatt »19+1« (also die 19 Nato-Staaten plus Russland) waren es nun »20«, d. h. Moskau beteiligte sich ab jetzt an der Diskussion, noch bevor die Nato-Staaten eine gemeinsame Position in einer Angelegenheit ausgearbeitet haben“.

Die Unterzeichner des Aufrufs der 65, so Grajewski, entstellen die Tatsachen auch, wenn sie schreiben: „Jeder außenpolitisch versierte Journalist wird die Furcht der Russen verstehen, seit NATO-Mitglieder 2008 Georgien und die Ukraine einluden, Mitglieder im Bündnis zu werden“. In Wirklichkeit, erinnert Grajewski, „wurde der Heranführungsplan (Membership-Action-Plan, MAP) für die Ukraine und Georgien auf dem Nato-Gipfeltreffen in Bukarest im April 2008 zwar diskutiert, aber wegen des Widerstandes Deutschlands und Frankreichs den beiden Staaten nie unterbreitet, was Russland zum Angriff auf Georgien im August 2008 ermunterte. (…)

Im Jahr 1996 wurde Russland in den Europarat aufgenommen, trotz massenhafter Verletzungen der Menschenrechte in Tschetschenien. 1997 wurde Russland Mitglied der G7, die somit zur G8 erweitert wurde. 2012 wurde Russland Mitglied in der Welthandelsorganisation (WTO). Es ist Mitglied vieler kleinerer Organisationen, wie z. B. des Rates der Ostseestaaten.

Russland will keine Zusammenarbeit

(…) Die Moskau zur Verfügung gestellten Foren der Zusammenarbeit dienten jedoch ausschlieβlich der Förderung russischer Interessen. Wenn man Russland aufforderte, es solle die Regeln der mitunterzeichneten Verträge befolgen, bezichtigte Russland den Westen der Einmischung in innere Angelegenheiten oder der Verletzung russischer Einflusszonen“, fasst Grajewski zusammen und gelangt zu dem Fazit:

„Die Deutschen sind nicht fähig zu einer politischen Konfrontation mit Russland wenn es um die Interessen Mitteleuropas geht. Umgekehrt, sie würden gerne mit unseren Interessen bezahlen um ihre Ruhe zu haben. Die von Berlin dominierte EU „präzisierte“ gerade (wie das polnische Auβenministerium es formulierte) Sanktionen, mit denen die russische Ölbranche und die russischen Banken belegt wurden. Russland darf wieder lang- und mittelfristige Kredite in der EU aufnehmen. Es darf auch wieder neue Fördertechnologien kaufen. Zum Glück sind es nicht die EU-Sanktionen, die Russland in die Knie zwingen, sondern es ist der Druck der USA, Kanadas, Australiens, Groβbritanniens und der reichen arabischen Staaten. Putin hat Barack Obama in Syrien der Lächerlichkeit preisgegeben und beendete den von Obama verkündeten »Reset« in den Beziehungen zu Russland. Er hat viele Australier in dem über der Ukraine abgeschossenen malaysischen Verkehrsflugzeug ermordet. Er hat die in Kanada sehr einflussreiche ukrainische Diaspora gegen sich aufgebracht. Er hat sich die Saudis zu Feinden gemacht, in dem er sich auf die Seite des syrischen Diktators Baschar al-Assad stellte. Jetzt zahlt er dafür und er wird verlieren, egal was die deutschen »Intellektuellen« denken.“

RdP