Ungebrochen und unversöhnlich

Am 4. Dezember 2014 starb Kazimierz Świtoń.

Er schuf das erste Gründungskomitee freier Gewerkschaften in Polen und damit zugleich im ganzen kommunistischen Machtbereich zwischen Elbe, Wladiwostok und Schanghai. Seine Beharrlichkeit und seine Kompromisslosigkeit brachten ihm viel Bewunderung, am Ende seines Lebens aber auch nicht wenig Ablehnung ein.

Der Oppositionelle

Nicht lange vor seinem Tod erinnerte er sich: „Nachdem ich die freien Gewerkschaften in Katowice gegründet hatte und es den Kommunisten nicht gelang mich davon abzubringen, versuchte die Staatssicherheit mich einzuschüchtern. Als das fehlschlug, machte sie sich daran meine Familie zu bedrängen. Das half auch nicht, also wurde ich brutal zusammengeschlagen. Später hat man meine Söhne wegen Diebstahls angeklagt. Um die Mitglieder der Komitees zur Verteidigung der Arbeiter gegen mich aufzubringen, wurden Gerüchte gestreut, ich sei ein Antisemit. Schlieβlich kamen sie auf die Idee, aus mir, wegen meiner Unnachgiebigkeit, einen Irren zu machen. Das ist gelungen. Mit diesem Stigma bin ich bis heute behaftet“.

Świtoń wurde 1931 in Katowice/Kattowitz geboren. Er arbeitete seit seinem 14. Lebensjahr schwer: im Stahlwerk, als Heizer und Handlanger im Städtischen Krankenhaus, als Vorarbeiter in einer Phosphat-Fabrik. Gleichzeitig absolvierte er 1950 eine Berufsschule für Elektrotechnik, leistete auch den damals drei Jahre dauernden, harten Militärdienst ab. Mit seiner Frau hatte er sechs Kinder, und kurz bevor er starb konnte er auf eine Schar von 24 Enkel- und 8 Urenkelkindern blicken.

Im Jahr 1967 bekam Świtoń die Erlaubnis eine winzige Reparaturwerkstatt für Fernseher zu eröffnen. Zum ersten Mal kam er in Berührung mit sehr vielen, sehr unterschiedlichen Menschen, die er meistens zu Hause aufsuchte. Er weckte Vertrauen, das machte die Leute gesprächig. Świtoń bekam Klagen zu hören über Ungerechtigkeiten, Korruption, Behördenwillkür, über das unendliche Schlangestehen nach allem und überall, sah Armut, die unvorstellbar beengte Wohnsituation…

Der einzige Fluchtort vor der bedrückenden Wirklichkeit war die Kirche. Świtoń fand in Katowice, in Pfarrer Franciszek Blachnicki, dem Begründer der katholischen Jugendbewegung „Licht-Leben“, nicht nur einen Seelsorger, sondern auch ein Vorbild und ein Gegenüber für lange Gespräche über Gott und die Welt. Bei Pfarrer Blachnicki, der wegen seiner Jugendarbeit ständig bespitzelt und drangsaliert wurde, und auch schon im kommunistischen Gefängnis eingesessen hatte, kam Świtoń mit der katholischen Soziallehre in Berührung und der Idee christlicher Gewerkschaften.

Das polnisch sprachige Programm des Senders Free Europe, das aus München ausgestrahlt wurde, war damals, in einer Zeit ohne Faxgeräte, Satelliten-TV, Internet und Handys, die wichtigste und oft einzige unabhängige Informationsquelle hinter dem Eisernen Vorhang. Hunderttausende von Polen versuchten Abend für Abend den Sender zu empfangen, ständig bemüht mit dem Zeiger auf der Skala den Empfang zu justieren, um trotz des Pfeifens, Rauschens, Surrens und Hämmerns der Störsender, irgendetwas mitzubekommen.

So erfuhr Świtoń im Mai 1977 vom Hungerstreik in der Warschauer Hl. Martin-Kirche und fuhr hin, um daran teilzunehmen. Mitglieder des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) wollten so die Freilassung, der zu langen Haftstrafen verurteilten Teilnehmer der Proteste in der Stadt Radom gegen eine Lebensmittelpreiserhöhung im Juni 1976, erzwingen. Der Hungerstreik dauerte acht Tage und erregte auch im Westen groβes Aufsehen. Die Behörden lieβen die Gefangenen, mit „gebührendem“ Zeitabstand, im Rahmen einer im Juli 1977 verkündeten Amnestie, frei.

Nachdem er nach Katowice zurückgekehrt war, gründete Świtoń in seiner Wohnung eine Kontaktstelle für Menschenrechtverletzungen. Immer mehr Menschen kamen zu ihm, um über das ihnen angetane Unrecht zu berichten und um Hilfe zu bitten. Engagierte und mutige Warschauer Rechtsanwälte: Piotr Andrzejewski, Władysław Siła-Nowicki und Jan Olszewski (später, 1991-1992, polnischer Ministerpräsident) nahmen sich vieler dieser Fälle an.

Am 23. Februar 1978 fand in Świtońs Wohnung in Katowice die Gründungsversammlung der Freien Gewerkschaften statt. Aus der Sicht der Behörden war das politischer Sprengstoff.

Sollten in Oberschlesien mit seinen 4 Mio. Einwohnern, in einem industriellen Ballungsgebiet (mit einer enormen Dichte an Kohlegruben, Kokereien, Stahlwerken, Betrieben der Schwerchemie, der Metallverarbeitung), an einem der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte des Landes, freie Gewerkschaften Fuβ fassen, Forderungen stellen, Streiks verkünden, dann stünde die Existenz des Kommunismus in Polen auf dem Spiel. Kurz darauf entstanden ähnliche Gründungskomitees in Gdańsk/Danzig und Szczecin/Stettin.

Kazimierz Świtoń als Antikommunist und Staatsfeind erkennungsdienstlich erfasst.
Kazimierz Świtoń als Antikommunist und Staatsfeind erkennungsdienstlich erfasst.

Świtoń, die Galionsfigur der neuen Gewerkschaftsbewegung in Oberschlesien, wurde, zwischen März 1978 und September 1980, 58 Mal festgenommen, bis, nach der Streikwelle des Sommers 1980, „Solidarność“ entstand. Er verlor seine Reparaturwerkstatt, sein Telefon wurde abgeschaltet, sein Führerschein eingezogen.

Am 14. Oktober 1978, vor der Kirche der Hl. Peter und Paul in Katowice, überfielen und schlugen ihn vier Polizisten in Zivil krankenhausreif. Kurz darauf wurde er angeklagt, die Vier zusammengeschlagen zu haben und anschließend hat man ihn zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Nach Protesten im In- und Ausland wurde Świtoń im März 1979 auf Bewährung frei gelassen.

Kurz darauf trat er in der Wallfahrtskirche von Piekary Śląskie/Deutsch Pekar in einen Hungerstreik, weil der polnische Papst Johannes Paul II. während seiner ersten, für Juni 1979 geplanten Pilgerfahrt nach Polen, Oberschlesien nicht besuchen durfte. Świtoń ließ sich nicht brechen.

Eintracht die nicht lange währte. Kazimierz Świtoń, Lech Wałęsa, Marian Jurczyk und Tadeusz Mazowiecki (von rechts) am 24. Septembner 1980 vor dem Grabmal des Unbekannten Soldaten auf dem Warschauer Siegesplatz nach dem sie den Anrtag auf Zulassung der Gewerkachaft Solidarnośc beim Warschauer Woiwodschaftsgeicht eingereicht haben.
Eintracht die nicht lange währte. Kazimierz Świtoń, Lech Wałęsa, Marian Jurczyk und Tadeusz Mazowiecki (von rechts) am 24. September 1980 vor dem Grabmal des Unbekannten Soldaten auf dem Warschauer Siegesplatz nach dem sie den Anrtag auf Zulassung der Gewerkachaft Solidarnośc beim Warschauer Woiwodschaftsgericht eingereicht haben.

Nach der Gründung der ersten „Solidarność“ im September 1980 spielte er in ihrer oberschlesischen Organisation eine wichtige Rolle. Schon damals jedoch machte sich sein schwieriger Charakter bemerkbar. Świtoń kannte keine Kompromisse, kämpfte bis zum letzten verbissen für das, was er für richtig hielt. Im Herbst 1981 wurde er deswegen nicht mehr in die Führung der oberschlesischen „Solidarność“ gewählt.

Nach Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 wurde er interniert, jedoch nach drei Monaten, aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes, entlassen und in Rente geschickt. Auf Schritt und Tritt beobachtet und bespitzelt, immer wieder zu Verhören und „Ermahnungsgesprächen“ vorgeladen, konnte er nicht viel ausrichten. Immer wieder versuchte er 1982 und 1983 eine Gedenktafel an der Grube „Wujek“ in Katowice anzubringen, wo die Polizei kurz nach Verhängung des Kriegsrechts neun Bergleute erschossen hatte, und wurde deswegen verhaftet.

Der Politiker

Nach dem Ende des Kommunismus lief er zur politischen Hochform auf. In Rage brachte ihn vor allem, die sich nach 1989 schnell abzeichnende Kumpanei nicht weniger ehemaliger „Solidarność“-Aktivisten mit den früheren Parteibonzen und Stasi-Leuten, ihre gemeinsamen dunklen Geschäfte, betrügerischen Privatisierungen und Machenschaften, die die Industrieregion Oberschlesien dem Verfall und die Menschen der Massenarbeitslosigkeit aussetzten. Świtoń war ein Störenfried im neuen allgemeinen Trend zum schnellen Geldverdienen, Konsumieren, Genieβen und Seine-Ruhe-Haben.

Er gründete 1989 eine eigene, die Christlich-Demokratische Partei der Arbeit, eine politische Eintagsfliege, wie sich schnell herausstellte. 1991 wurde er in den Sejm gewählt, als Abgeordneter der Schlesischen Autonomiebewegung. 1993 hatte sich der Sejm selbst aufgelöst, um vorzeitige Neuwahlen zu ermöglichen. Świtoń kandidierte seither bei jeder Wahl, aber ein erneuter Einzug in den Sejm gelang ihm nicht.

Der Hitzkopf

Am 14. Juni 1998 katapultierte er sich für knapp ein Jahr mit einer aufsehenerregenden Aktion in die Schlagzeilen der polnischen und internationalen Medien. An diesem Tag schlug Świtoń, gemeinsam mit einigen Getreuen, sein Lager am so genannten Papstkreuz in der einstigen Kiesgrube am Rande des ehemaligen Stammlagers Auschwitz auf. Das Kreuz wurde dort im Juli 1988 aufgestellt. Es war Bestandteil des Altars, an dem Papst Johannes Paul II. im Juni 1979 im nahegelegenen Birkenau, bei seiner ersten Pilgerreise nach Polen, eine Messe zelebriert hatte. Das Kreuz sollte an die 1941 in der Kiesgrube von den Deutschen erschossenen 152 Polen erinnern.

Kazimierz Świtoń (links im Bild) mit seinen Unterstützern beim Aufstellen eines weiteren Kreuzes in der ehem. Kiesgrube am KL Auschwitz im Sommer 1998.
Kazimierz Świtoń (links im Bild) mit seinen Unterstützern beim Aufstellen eines weiteren Kreuzes in der ehem. Kiesgrube am KL Auschwitz im Sommer 1998.

Für viele Juden war das ein Stein des Anstoβes, weil sie das christliche Symbol, in der Nähe des gröβten jüdischen Friedhofes in Auschwitz/Birkenau, als Versuch christlicher Vereinnahmung empfanden. Świtońs Aktion war die Antwort auf massive jüdische Forderungen das Kreuz zu entfernen. Mit der Zeit entstand an der Stelle ein Wald aus etwa 300 Holzkreuzen, die Świtońs Unterstützer aus allen Gegenden Polens herbeibrachten. Świtoń harrte 349 Tage am Papstkreuz aus.

Nachdem der Pachtvertrag für das Gelände aufgelöst wurde, was juristisch gesehen, die Kiesgrube in absehbarer Zeit in die so genannte Schutzzone um das ehemalige Lager einbezogen hätte, und somit aus der Protestaktion Hausfriedensbruch gemacht hätte, drohte Świtoń damit, Sprengstoff zu zünden. Am 28. Mai 1999, nach stundenlangen Verhandlungen, gewährte er dem Sprengstoffkommando der Polizei Zutritt auf das umzäunte Gelände. Er kam für einige Wochen in Untersuchungshaft und wurde Mitte Januar 2000 vom Amtsgericht Oświęcim zu sechs Monaten Haft auf Bewährung und 400 Zloty (ca. 100 Euro) Geldbuβe wegen Volksverhetzung verurteilt, dies, unter Hinweis auf antisemitische Inhalte in seinen Flugblättern.

Trotz anfangs anderslautender Berichte erwies sich der Sprengstoff als eine Attrappe. Alle mitgebrachten Kreuze wurden in ein nahe gelegenes Franziskanerkloster gebracht. Das Papstkreuz ist geblieben, was von jüdischer Seite mehrheitlich nicht mehr beanstandet wurde. Świtońs Befürworter sind bis heute der Meinung, nur seine Beharrlichkeit habe das Papstkreuz „gerettet“. Der Konflikt ebbte ab.

Im Sommer 2010, nachdem Staatspräsident Komorowski neuer Staatschef geworden war, tat sich Świtoń, bei Scharmützeln, als Verteidiger des Kreuzes vor dem Präsidentenpalais in Warschau zu Ehren des bei Smoleńsk tödlich verunglückten Staatspräsidenten Lech Kaczyński, hervor. Das Kreuz wurde entfernt. Später machte er noch einige Male durch skurrile antisemitische Äuβerungen auf sich aufmerksam, womit er sich selbst endgültig ins Abseits manövrierte. Die Öffentlichkeit nahm ihn zunehmend als einen betagten Wirrkopf wahr.

Kazimierz Świtoń starb mit 83 Jahren in Katowice. Auf Anordnung von Parlamentspräsident Sikorski wurde die, von der konservativen Opposition beantragte Schweigeminute für den Antikommunisten Świtoń, „der Einfachheit halber“, mit der von den Postkommunisten beantragten Schweigeminute für den regimetreuen Schauspieler Stanisław Mikulski „zusammengelegt“.

Kein offizieller Vertreter des Parlaments, der Regierung Ewa Kopacz oder des Staatspräsidenten Bronisław Komorowski nahm an Świtońs Begräbnis teil.

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