19.04.2022. Franziskus irrt. Die Polen verwirrt

Kriege bringen fast immer tiefgreifende Veränderungen mit sich. Das sehen wir auch in diesem Frühjahr. Die deutsche Ostpolitik stirbt unter schmerzhaften, beschämenden Zuckungen. Die russischen Illusionen über die eigene Macht ruhen bereits, zusammen mit dem Lenkwaffenkreuzer „Moskwa“, auf dem Grund des Schwarzen Meeres. Auch die seltsamen gedanklichen Kapriolen zum Thema Ukraine-Krieg von Papst Franziskus werden obsolet.

Die meisten Polen sehen das so: Russland, der ewige, despotische Feind der freien Menschen, will wieder einmal einen Nachbarn versklaven. Abermals bringt er Zerstörung, mordet und raubt. Er hat sich nicht verändert, weil er sich nicht verändern wollte. Nach dem Zarentum und dem Kommunismus kommt er lediglich in einem neuen Gewand daher.

Was sieht Papst Franziskus? Er lenkt die Aufmerksamkeit von der Ukraine ab, indem er sagt: „Schauen wir uns doch die Kriege in Afrika, im Nahen Osten und in Asien an.“ Ein Krieg von vielen? Im Prinzip ja, nur dass keiner der anderen Kriege im Moment so blutig ist und dermaßen den Weltfrieden bedroht, wie jener in der Ukraine, weil er sich am leichtesten von allen in einen Atomkrieg verwandeln kann.

Schuld an ihm sind wir alle, jeder Einzelne von uns, sagt Franziskus. Er verteilt die Schuld im Wesentlichen gleichmäßig und lässt seinen Staatssekretär, Kardinal Parolin, verkünden: „Viele schicken Waffen in die Ukraine. Es ist schrecklich, denn das kann eine Eskalation auslösen, die nicht zu kontrollieren ist.“

Dabei verschlimmern Waffenlieferungen nicht, sondern verbessern die Situation der Ukrainer. Russische Truppen werden so daran gehindert, weitere Gebiete zu erobern und dort Gräueltaten zu begehen. Eigentlich ist das sehr einleuchtend.

Franziskus jedoch erblickt nur ein allgemeines Übel, eine schlimme Sünde der Menschheit und deren Verfall. Klar unterscheiden zwischen Überfall und Notwehr, zwischen Opfer und Täter will er offensichtlich nicht. Russland, den ewigen Feind der freien Menschen, scheint er nicht zu sehen. Er tariert das Gleichgewicht aus, sucht die Symmetrie.

Dabei liegt die Wahrheit niemals in der Mitte, sondern immer dort, wo sie nun einmal liegt, sie kann nicht „ausgemittelt“ werden. Ebenso sind wir nicht alle schuldig, auch kann nicht jeder mit einem Olivenzweig begrüßt werden. Selbst wenn wir manchmal die andere Wange hinhalten sollten, dürfen wir den Kopf nicht unter das Fallbeil legen. Vor allem nicht, wenn es sich dabei um den Kopf eines anderen handelt. Daher rührt das Konzept des gerechten Verteidigungskrieges, das von der Kirche seit Jahrhunderten ausdrücklich akzeptiert wird.

Doch Franziskus ging in seiner friedensbewegten Verwirrung noch weiter. Er ließ eine Ukrainerin und eine Russin beim diesjährigen Kreuzweg im römischen Kolosseum gemeinsam das Kreuz tragen. Dahinter verbergen sich gute Absichten, aber stellen wir uns vor, dass Papst Pius XII., mitten im Zweiten Weltkrieg, einer deutschen Frau und, sagen wir, einer Polin etwas Ähnliches vorschlägt (der Gedanke an eine Jüdin kommt einem erst gar nicht in den Sinn).

Inmitten eines völkermörderischen Krieges kann das nur als Gleichsetzung von Opfern und Henkern verstanden werden. Der Krieg muss beendet sein. Danach kommt die quälende Zeit der ehrlichen Reue über die Sünden, und noch später die der Vergebung. Nur die Opfer und ihre Familien können sie gewähren. Man muss kein Kirchenlehrer (Doctor ecclesiae) sein, um das zu verstehen.

Woher rühren solche Ideen? Am ehesten von der Massenkultur mit ihrer billigen Symbolhaftigkeit und politischen Korrektheit. Ihr Wesen ist es, Unterschiede zu verwischen. Auch die ethischen, indem sie Sprüche wie „Jeder ist ein Held“ oder „Jeder ist schuldig“ klopft. Man spricht diesbezüglich von Homogenisierung.

Franziskus jedoch, anstatt in in Polen und woanders Verwirrung zu stiften, sollte in diesem Fall dringend das Feld räumen und es Paulo Coelho, dem berühmtesten Vielschreiber der Welt, überlassen. Während Kardinal Parolin Angst hatte, Waffenlieferungen an die überfallene Ukraine würden den Krieg befeuern, war die einzige Sorge des Meisters der Trivial-Literatur, dieser Angriffskrieg könnte der Russophobie Vorschub leisten. Solche Ähnlichkeiten machen sich nicht gut.

RdP