23.02.2023. Joe Bidens klare Warschauer Ansagen. Auch an Deutschland

Neuigkeiten brachte Joe Biden nach Warschau nicht mit. Doch wer die Rede des US-Präsidenten vom 21. Februar 2023 in den Gärten des Warschauer Schlosses mit der geringschätzigen Bemerkung abtut, Biden habe „mit viel Pathos nichts Neues verkündet“, der verkennt nicht nur die enorme Bedeutung der Botschaft, die die Ansprache enthielt, sondern auch den Ernst der Lage, in der Biden das Wort ergriff.

Die Rede des US-Präsidenten fiel nicht nur in die Woche des Jahrestages des russischen Überfalls auf die Ukraine, sondern auch in eine schwierige Phase des Krieges. Den Verteidigern gehen Munition und Männer aus, während Putin immer neue Truppen an die Front wirft. Auch wenn die Frühjahrsoffensive der Russen noch keine Erfolge zeigte, so kommen doch bange Fragen und nagende Zweifel auf: Wie lange hält die Ukraine noch durch? Bekommt sie weiterhin die erforderliche Unterstützung? Spekuliert man im Kreml zu Recht darauf, dass sich Kriegsmüdigkeit im Westen breitmacht und die Ukraine ihrem Schicksal überlassen wird?

All dem musste und wollte Biden entgegentreten, und hielt sich dabei an die antike Erkenntnis „Repetitio est mater sapientiae“, dass „die Wiederholung die Mutter der Weisheit“ sei. Er trug seine Warschauer Rede mit typisch amerikanischem Pathos vor und fand einfache und klare Worte, mit denen er die Haltung Amerikas mit Nachdruck bekräftigte. Falls jemand Zweifel an der Entschlossenheit der USA gehabt haben sollte, der Ukraine weiterhin zu helfen, nach Bidens Warschauer Rede dürften sie zerstreut sein.

Die Ansprache hatte mehrere Adressaten, denen sie unmissverständlich klarmachen sollte, wie Amerika denkt und wie es zu verfahren gedenkt.

Zum einen die Ukraine. Das wichtigste Signal in diese Richtung hatte Biden bereits am Vortag mit seinem unerwarteten Kurzbesuch in Kiew gegeben. In Warschau verkündete er dann ausdrücklich, dass die USA an der Seite der Ukraine bleiben werden, „solange es nötig ist“. „Die Ukraine wird niemals zu einem Sieg für Russland. Niemals“, rief der Präsident. „Es sollte keine Zweifel geben: Unsere Unterstützung für die Ukraine wird nicht nachlassen“.

Zum anderen Russland. Putin erlebe nun etwas, das er nicht für möglich gehalten hätte. Er habe den Westen auf die Probe gestellt mit der Frage, ob sein Angriff unbeantwortet bleibe. „Als er seine Panzer in die Ukraine beorderte, dachte er, wir würden wegschauen“, doch der Westen habe nicht weggeschaut. „Wir waren stark.“ Nun sei klar, dass die Antwort laute: „Russland wird in der Ukraine niemals siegen“.

Der US-Präsident wandte sich auch an die Menschen in Russland: „Die Vereinigten Staaten und die europäischen Nationen wollen Russland nicht kontrollieren oder zerstören“. Der Westen habe vor Kriegsbeginn nicht vorgehabt, Russland anzugreifen, wie Putin behauptet. „Jeder Tag, an dem der Krieg weitergeht, ist seine Entscheidung. Er könnte den Krieg mit einem Wort beenden. Es ist ganz einfach.“

Adressaten waren auch das Gastgeberland Polen und weitere acht Staaten der „Bukarest Neun“, die osteuropäischen Nato-Länder von Estland bis Bulgarien, mit deren Staats- und Regierungschefs sich Biden am Tag darauf in Warschau getroffen hatte. Diese Länder stellen die vorderste Front der kollektiven Verteidigung.

Biden sagte das, was von ihm erwartet wurde. Er bekannte sich unmissverständlich zu Artikel 5 des Nato-Vertrages, der gegenseitigen Beistandsverpflichtung. „Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle“, rief er der Menge zu. Jeder Zentimeter des Bündnis-Territoriums werde verteidigt. Das sei ein „heiliger Eid“. Alles andere wäre eine Überraschung gewesen, doch gerade im östlichen Mitteleuropa kann dieses Bekenntnis nicht oft genug beteuert werden.

Mit seinem zweiten Besuch in Warschau innerhalb eines Jahres unterstrich Biden unmissverständlich, dass er Polens Schlüsselrolle und seine enormen Anstrengungen, der Ukraine zu helfen, zu würdigen weiß. An das Leid der Flüchtlinge erinnernd, lobte er die Polen für ihre „außerordentliche Großzügigkeit“ in deren dunkelster Stunde. Der polnischen Präsidentengattin rief er gar „I love you“ zu, nachdem er ihren Einsatz für Flüchtlinge gewürdigt hatte.

Polen mit seiner knapp 500 Kilometer langen Grenze zur Ukraine hat fast zwei Millionen Ukrainer aufgenommen und inzwischen weitgehend integriert, ohne sie in Flüchtlingslager oder Sammelunterkünfte zu stecken. Es liefert in großem Ausmaß Munition, Waffen, darunter gut dreihundert Panzer, Kampfausrüstung jeglicher Art, repariert unter Hochdruck beschädigtes Kriegsgerät, trainiert ununterbrochen ukrainische Soldaten und fungiert als Drehscheibe für fast alle ausländischen Waffenlieferungen, die die Ukraine auf dem Landweg erreichen.Gleichzeitig finanziert es zu einem bedeutsamen Teil die Stationierung von knapp 11.000 amerikanischen Soldaten auf seinem Territorium.

Warschau preschte auch wiederholt mit Initiativen zur militärischen Unterstützung für Kiew vor, es fordert ständig neue Sanktionen, mobilisiert andere hilfswillige Staaten und wird nicht müde, Nachzügler zu brandmarken. Russland, so die Warschauer Sicht, muss möglichst dauerhaft angriffsunfähig gemacht werden. Genauso denkt man in Washington.

Dass Biden zum zweiten Mal seit März 2022 nach Polen flog, ohne in Berlin zwischenzulanden, gibt zu denken. Man darf davon ausgehen, dass seine klaren Warschauer Botschaften auch an die unzähligen deutschen Bedenkenträger, Zauderer, Bremser, Russlandversteher und Russlandeinbinder, Kreml-Dialogbeschwörer, Putins Telefonpartner und Friedensstifter auf Kosten der Ukraine gerichtet waren. Haltungen, deren Konsequenzen die Ukraine tragen muss.

Es ist nicht vorstellbar, dass Joe Biden seine klaren Botschaften vor dem Berliner Schloss, am Lustgarten, hätte verkünden können, ohne wütende Proteste und gellende Pfeifkonzerte zu ernten. In der Frontstadt Westberlin war John F. Kennedy noch „ein Berliner“. Im Frontstaat Polen ist Joe Biden ein Warschauer. So ändern sich die Zeiten.

RdP




Beruhigen oder verteidigen?

Wozu werden US-Truppen in Polen stationiert.

In Europa befinden sich bereits 100.000 amerikanische Soldaten. Die meisten von ihnen sind jedoch immer noch in Ländern stationiert, die der Gefahr eines russischen Überfalls am wenigsten ausgesetzt sind.

Polnisch-amerikanischer Soldatenhandschlag.

Die Angaben über die wachsende Anwesenheit der US-Armee in Europa kann man auf zweierlei Weise darstellen. Ist das Glas halb voll oder halb leer? In diesem Fall geht es jedoch nicht darum, ob man die Wirklichkeit optimistisch (halb voll) oder pessimistisch (halb leer) wahrnimmt. Gefragt ist eine nüchterne Analyse der (Un-)Möglichkeiten, die durch eine sinnvolle Kräfteverteilung entstehen.

Aufteilung der Kräfte

Etwa 100.000 amerikanische Soldaten, die insgesamt in Europa stationiert sind, das ist in der Tat die höchste Zahl seit zwei Jahrzehnten. Auf den ersten Blick vermittelt sie den Eindruck, dass sich der Alte Kontinent in Sicherheit wähnen kann. Vor allem wenn man bedenkt, dass sich die USA noch vor wenigen Jahren langsam aus Europa zurückziehen wollten, was die europäischen Staaten dazu zwingen sollte, mehr für ihre eigene Verteidigung auszugeben.

Ehrlicherweise muss man auch eingestehen, dass gut 12.000 von den in diesem Jahr neu entsandten 20.000 US-Soldaten in Mittel- und Osteuropa angekommen sind, die meisten davon (etwa 10.000) in Polen. Doch die verstärkte amerikanische Präsenz an der Nato-Ostflanke hebt das bestehende Missverhältnis noch immer nicht auf. Gut 80 Prozent der amerikanischen Truppen sind nach wie vor in westeuropäischen Ländern stationiert, die einen russischen Angriff am wenigsten zu befürchten haben.

Nato- und US-Army-Stützpunkte in Polen.

Warum hat sich an diesem Missverhältnis, trotz der wachsenden Bedrohung durch Russland im Laufe der Jahre, nichts geändert? Das entscheidende Übergewicht der amerikanischen Truppenpräsenz in Deutschland oder Italien lässt sich nicht mehr allein mit historischen Gründen erklären. Und wenn Washington noch vor zehn oder gar fünf Jahren zögerte, das US-Militärkontingent in Polen und in den baltischen Staaten erheblich (nicht nur symbolisch) zu erhöhen, so ist heute jegliche „Vorsicht“ in dieser Angelegenheit einfach nicht mehr zeitgemäß.

Wenn es so gut ist…

Doch kann man von Vorsicht sprechen, wo sich doch die militärische Präsenz der USA in Mittel- und Osteuropa allein seit Januar 2022 mehr als verdoppelt hat? Sind Zweifel angesagt, wenn neben den Amerikanern die Ostflanke durch die Anwesenheit von fast 10.000 NATO-Soldaten aus anderen Mitgliedstaaten zusätzlich verstärkt wird?

Warum sollte man sich auf den leeren Teil des Glases konzentrieren, wenn die Amerikaner, ungeachtet der weiteren Verstärkung ihrer ständigen Brigaden in Deutschland und Italien, gleichzeitig eine Luftlandebrigade in Polen und zwei gepanzerte Brigaden mit Raketenartillerieunterstützung, aufgeteilt auf Deutschland, Polen und Litauen, aufgestellt haben?

US-Präsident Joe Biden mit Soldaten der 82. Luftlandedivision bei seinem Besuch in Polen am 25. März 2022.

Gibt es Gründe sich zu beschweren, wenn wir sogar von der Verlegung amerikanischer Streitkräfte aus Deutschland profitiert haben? Die Amerikaner haben zwei Patriot-Raketen-Batterien von Deutschland nach Polen gebracht, 1.000 Soldaten wurden nach Rumänien verlegt und gleichzeitig sind mehrere Hundert amerikanische Soldaten von Italien in die baltischen Staaten geschickt worden.

Hinzu kommen zahlreiche amerikanische Übungen gemeinsam mit polnischen Truppen und die Verstärkung der Luftpatrouillen in der gesamten Region. Ist das nicht genug, um gut zu schlafen und keinen Angriff aus Russland zu befürchten?

Schwäche in der Stärke?

Die Antwort finden wir in den Zahlen und in den Erklärungen der amerikanischen Regierung. Um es klar zu sagen: 20.000 amerikanische Soldaten in Polen, von denen die meisten, und das ist wichtig, nicht in der Nähe der Ostgrenze stationiert sind, reichen nicht aus, um Russland abzuschrecken. Denn es geht um Abschreckung und nicht darum, einen Angriff hinzunehmen in der Hoffnung, dass die polnische Armee mit Unterstützung der Verbündeten den Gegner besiegt. Die furchtbaren Zerstörungen und die russischen Verbrechen in der Ukraine sprechen eine deutliche Sprache.

Zweitens gibt es immer noch kein klares Signal aus Washington, dass die Stützpunkte, die in Polen eingerichtet werden, auf Dauer bestehen bleiben werden, so wie in Deutschland. Bislang beschränken sich die Erklärungen von Leuten aus dem Umfeld von Joe Biden (und davor Donald Trump) eher auf Aussagen, dass alle jüngsten Verlegungen von US-Truppen nach Europa nur vorübergehend seien, um „die Verbündeten zu beruhigen“.

In diesen Erklärungen ist Schwäche erkennbar: Das Ziel ist die „Beruhigung“ der Länder an der Ostflanke der NATO. Und das ist definitiv etwas anderes als die echte Abschreckung eines Aggressors.

Die Maßnahmen der Amerikaner mögen uns zwar „beruhigen“, aber in Wirklichkeit ändern sie nicht viel an der Verteidigungsfähigkeit, geschweige denn an der Abschreckung. Die erwähnte Verlegung von ein paar Hundert Soldaten aus Italien in die baltischen Staaten mutet wie ein Scherz an.

Dabei haben die in den letzten Jahren von führenden europäischen und US-amerikanischen Think Tanks veröffentlichten Berichte deutlich gezeigt, dass Litauen, Lettland und Estland im Falle eines Angriffs sehr lange auf starke Unterstützung durch die Verbündeten warten müssten, um diesen erfolgreich abwehren zu können.

US-Interessen

Auch wenn die Situation in Polen theoretisch etwas besser zu sein scheint, fehlt es an den verwundbarsten Stellen an einer wirklichen Abschreckungsstreitmacht. Es ist schwer zu verstehen, warum die sogenannte Suwałki-Lücke, deren Besetzung es den Russen ermöglichen würde, von weißrussischem Territorium aus eine Verbindung nach Kaliningrad herzustellen, heute nicht zu den am besten geschützten Gebieten in Europa gehört, obwohl die Nato in ihren eigenen Analysen diese Region als eine der sensibelsten der Welt bezeichnet.

Um es unverblümt zu sagen: Wenn amerikanische Truppen wirklich eine abschreckende Wirkung auf den Feind haben sollen, dann müssten 100.000 Soldaten der US-Armee heute nicht über ganz Europa verstreut sein, mit dem Schwerpunkt im sicheren Deutschland oder Italien, sondern sie müssten entlang der östlichen Nato-Grenze von Estland über Polen bis Rumänien stehen. Und im „alten“ Europa müsste es zusätzliche 50.000 Mann geben.

Solche Größenverhältnisse sind sinnvoll. Nicht nur für die polnische Sicherheit. Schließlich haben auch die Amerikaner ein Interesse daran, dass Europa nicht noch einmal zum Schauplatz eines Weltkrieges wird. Es liegt ebenso im Interesse der USA, dass die amerikanische Luft- und Seeverteidigung Orte wie z. B. das Flüssiggas-Terminal in Świnoujście/Swinemünde schützt, das unter anderem mit Gas aus den USA beliefert wird.

Auf wessen Kosten?

Auf dem Nato-Gipfel in Madrid am 29. und 30. Juni 2022 haben sich die Amerikaner durchgerungen zu verkünden, dass die Kommandozentrale des V. US-Korps, das die amerikanischen Streitkräfte an der Nato-Ostflanke befehligen soll, dauerhaft in Polen stationiert wird. Die in Polen angesiedelten US-Truppen sollen jedoch wie bisher weiterhin regelmäßig ausgetauscht werden.

Polen wird also weiterhin nichts anderes übrig bleiben, als auf die Amerikaner einzuwirken, damit sie endlich ständige US-Militärstützpunkte im Land einrichten. Natürlich gibt es hier viele Probleme, denen das Weiße Haus Rechnung tragen muss. Die logistische Herausforderung wäre enorm. Es müssten bedeutende Truppenkontingente von Deutschland nach Polen verlegt werden. Dabei ist zu bedenken, dass es sich um eine Aufgabe handelt, die nicht nur die Soldaten, sondern auch deren Familien betrifft und somit die Errichtung einer enormen Infrastruktur erfordert.

Amerikanische Soldaten in Krakau.

Polen müsste in diesem Fall einen erheblichen finanziellen Beitrag leisten. Südkorea und Japan zahlen für die Anwesenheit amerikanischer Soldaten enorme Summen. In Polen herrscht diesbezüglich die Meinung vor, dass die Aufrechterhaltung ständiger US-Stützpunkte auf polnischem Territorium eine gute Investition in die Sicherheit darstellt, ebenso wie der Kauf von modernster Waffentechnik.

Atomwaffen an der Weichsel?

Vieles hängt davon ab, wie sich die Lage an der Frontlinie des russischen Krieges gegen die Ukraine entwickelt. Vielleicht werden die Amerikaner beschließen, dass es ausreicht, die Ukrainer schwer zu bewaffnen und Russland weiterhin mit Sanktionen zu schwächen, um die Gefahr einer Ausbreitung des Krieges auf ganz Europa wirksam hinauszuschieben. Und dann wäre das Thema ständiger US-Stützpunkte in Polen auch in den Vereinigten Staaten vom Tisch.

Das jedoch, würde das Problem lediglich verschieben. Denn selbst wenn es den Ukrainern gelingen sollte, den Aggressor zu vertreiben, denkt im Westen niemand an eine echte Niederlage Russlands. Und das bedeutet, dass das Problem Russland in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wachsen wird. Es könnte ein weiterer Krieg drohen. Die Ukrainer mögen für Europa ein paar Jahre Frieden erkämpfen, aber bei der strategischen Planung denkt man Jahrzehnte voraus.

Das erfordert eine Neudefinition der amerikanischen Präsenz in Europa, ständige Stützpunkte in Litauen, Polen oder Rumänien. Atomwaffen auf polnischem Gebiet? Das ist keine Science-Fiction mehr, sondern ein Szenario, das von militärischen und politischen Strategen ernsthaft in Betracht gezogen werden muss. Und vieles deutet darauf hin, dass solche Überlegungen eine gute Chance haben, in die Tat umgesetzt zu werden.

@ RdP




27.03.2022. Biden in Polen

Das meiste hat Joe Biden allein durch seine Anwesenheit in Polen am 25. um 26. März 2022 gesagt. Als Führer der freien Welt befand er sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Biden hielt zudem eine wichtige, bedeutende und symbolträchtige Rede, die den historischen Moment gut wiedergab. Sie enthielt alles, was der mächtigste Politiker des Westens in einem Land an der Ostflanke der Nato angesichts des Ukraine-Krieges verkünden sollte. Biden tat es im Hof des Warschauer Königsschlosses, das als Symbol der im Zweiten Weltkrieg völlig zerstörten und später wiederaufgebauten polnischen Hauptstadt gilt.

Man fühlte sich an John F. Kennedy 1961 („Ich bin ein Berliner“) und an Ronald Reagan 1987 („Herr Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor. Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder!“) in West-Berlin erinnert. Damals herrschte der Kalte Krieg. Jetzt, nur wenige Stunden vor Joe Bidens Rede am 26. März 2022, fielen russische Raketen auf Lwiw, weniger als 400 Kilometer von Warschau und 60 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt,

Es war eine russische Machtdemonstration und ein deutliches Zeichen dafür, dass Putin nicht viel von Amerika hält. Die Antwort der USA fiel eindeutig aus. „Nach Artikel 5 des Nato-Vertrages haben wir die heilige Pflicht, jedes Mitglied und jeden Zentimeter des Nato-Gebietes mit der Kraft unserer kollektiven Verteidigung zu beschützen.“ Für den Frontstaat Polen und seine Menschen war das die wichtigste Aussage in dieser Rede.

Im Kampf gegen Putins Regime will Amerika jedoch bestimmte rote Linien nicht überschreiten, angefangen bei einer direkten militärischen Beteiligung auf ukrainischem Gebiet. Es sind die Ukrainer, so der Präsident, die „an vorderster Front stehen müssen“. Er versicherte, dass Amerika „auf ihrer Seite sei“, allerdings in der derzeitigen Form: durch Waffenlieferungen, verschärfte Sanktionen und die Isolierung Russlands. Ob das ausreichen wird, um Russlands Niederlage herbeizuführen?

Der seinerzeit als vergreist und schwerhörig belächelte „Sleepy Joe“ hat sein erstes Amtsjahr, 2021, mit naiv wirkenden Versuchen zugebracht, Russland zu besänftigen. Er hat sich in Genf von Putin abspeisen lassen und obendrein drei wirkungslose telefonische „Gipfeltreffen“ mit ihm abgehalten, was den Kreml in seinen Plänen nur bestärkt hat. Glücklicherweise konnten die US-Geheimdienste und das Pentagon Biden schließlich davon überzeugen, dass Russland zuschlagen würde. Jetzt haben wir in Polen einen führungsstarken, kompromisslosen US-Präsidenten erlebt, der zu Höchstform aufgelaufen ist.

Es ist zu hoffen, dass das so bleibt. Biden verwies wiederholt auf die Worte Johannes Paul II. aus dem Jahr 1979 in Warschau: „Habt keine Angst“. „Die Macht einer geeinten freien Welt ist unschlagbar.“ Doch wenn überhaupt, dann treibt uns in Polen und die Ukrainer nur eine Angst um. Sie resultiert aus vielen bitteren historischen Erfahrungen: Es ist die Angst vor starken Worten auf die faule Kompromisse folgen.

RdP




Das Wichtigste aus Polen 4. Juli bis 8. August 2021

Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Donald Tusks Rückkehr in die polnische Politik. Statt Triumphzug ein  steiniger Weg bergan. ♦ Warum der deutsche Bundestagswahlkampf kaum  jemanden in Polen hinter dem Ofen hervorlockt ♦ Anmaßend, dreist, schamlos. Warschau hält USA Einmischungen in die polnische Politik entgegen.




Das Wichtigste aus Polen 27.Dezember 2020 bis 13.Februar 2021

Kommentator Prof. Waldemar Czachur und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦  Die Corona-Epidemie macht dem Land zu schaffen, aber dank der Impfstoffe wendet sich das Blatt  zum Besseren.  ♦ Größte Oppositionspartei, die Bürgerplattform geplagt vom Mangel an zündenden politischen Ideen und einem neuen Konkurrenten, der in ihrem Jagdrevier wildert  ♦ Armin Laschet ist neuer CDU-Chef. Noch ein Russlandversteher auf dem Olymp der deutschen Politik ♦ Werden unter Biden die polnisch-amerikanischen  Beziehungen leiden?




Das Wichtigste aus Polen 27.September bis 24.Oktober 2020

Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Die Corona-Situation in Polen: Kritisch aber beherrschbar ♦ Jarosław Kaczyńskis Tierliebe entzieht ihm und seiner Partei die Liebe der Bauern ♦ Joe Bidens eventueller Sieg und seine ernsthaft negativen Auswirkungen auf Polen ♦ Polens Veto bei der EU-Haushaltsabstimmung: Ein Mittel gegen Brüssels ständige Gängelungen.




Das Wichtigste aus Polen 21.Juni – 4.Juli 2020

Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen. Die beiden Gewinner und ihre Chancen auf den Sieg am 12. Juli. Die Verlierer:  Robert Biedroń und Władysław Kosiniak-Kamysz. Zwei politische Karrieren am Ende?  Die Nationalradikalen werden umworben ♦ Andrzej Dudas Besuch in Washington.  Neue US-Truppen, ein amerikanisches AKW in Polen, Flüssiggas aus den USA.

 




Das Wichtigste aus Polen 26.April – 20.Juni 2020

Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Präsidentschaftswahlkampf. Wer ist der neue Kandidat der Bürgerplattform  Rafał Trzaskowski? Was steht auf dem Spiel für Polen? ♦ EU-Corona-Rettungspaket von Warschau aus gesehen ♦ Soll, wird und kann Polen Deutschlands nukleare Teilhabe übernehmen?  Werden die aus Deutschland abgezogenen US-Truppen  nach Polen kommen?




Und Tschüss… Polens Abschied von Gasprom

Epochaler Wandel in der polnischen Energiepolitik.

Polen will ab Januar 2023 kein russisches Erdgas mehr kaufen. Die kurze Erdgasleine, an der die Sowjetunion und später Russland das Land geführt haben, wird gekappt.

Mitte November 2019 hat das staatliche polnische Energieunternehmen PGNiG SA (Polnische Erdölbergbau und Gaswesen AG) termingerecht den bis Ende 2022 laufenden, über ein Vierteljahrhundert abgeschlossenen, Vertrag mit Gasprom gekündigt. Eine automatische Verlängerung um weitere fünf Jahre soll es nicht geben. In knapp zwei Jahren verliert Gasprom somit seinen sechstgrößten europäischen Kunden nach Deutschland, der Türkei, Italien, Großbritannien und Frankreich.

Polen und Deutschland – zwei Unterschiede

Sichtbar werden bei dieser Gelegenheit wieder einmal zwei gravierende Unterschiede zwischen der polnischen und der deutschen Energiepolitik.

Zum einen wird die Energiepolitik in Polen vor allem als ein Teil der Sicherheitspolitik aufgefasst und gehandhabt. In Deutschland hingegen fällt Energiepolitik in die Sparten Handel, Umwelt, Klima.

Der zweite Unterschied ergibt sich aus dem ersten. Polen setzt alles daran, die Energieabhängigkeit von Russland zu beenden. Deutschland findet nichts dabei, mit dem Bau der Nord Stream 2-Gasleitung unter der Ostsee eine noch engere Bindung an Russland einzugehen.

Die deutsche Bundesregierung spricht sich zwar für Sanktionen gegen Russland wegen der Eroberung der Krim und des Krieges im Donbass aus, andererseits hält sie aber an einem Vorhaben fest, durch das weitere Milliarden von Euro nach Russland fließen und Putins brachiale Politik mitfinanzieren.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 sind Erdgas und Erdöl für den angeschlagenen russischen Nachfolgestaat die wichtigsten Finanzierungsquellen und zugleich die wichtigsten Instrumente, wenn es um seine internationale Geltung geht.

Sehr viel mehr steht Russland nicht zur Verfügung, um seiner Machtpolitik Nachdruck zu verleihen. Lieferstopps, Vorzugspreise für Nachgiebige politische Partner wie Weißrussland, Höchstpreise für Widerspenstige wie Polen, das lange Zeit keine Ausweichmöglichkeiten auf andere Gaslieferanten hatte.

Das Abnabeln von den russischen Erdgaslieferungen gehört zu den wichtigsten Vorhaben der regierenden polnischen Nationalkonservativen. Sie haben es im Parlamentswahlkampf 2015 angekündigt und setzen das Vorhaben seit ihrer Regierungsübernahme mit Nachdruck um.

Mit Erdöl ist die Sache leichter

Die Erdöllieferverträge haben eine Laufzeit von zwei bis drei Jahren. Es gelten weitgehend die aktuellen Weltmarktpreise. Zudem verfügt Polen seit den 1970er Jahren über einen laufend modernisierten Erdölhafen in Gdańsk, wo seit Neuestem bis zu vierhundert Tanker pro Jahr ihre Fracht löschen. Diese wird in der angrenzenden zweitgrößten Raffinerie Polens verarbeitet. Zudem haben die Erdöltanks im Danziger Erdölhafen ein Fassungsvermögen von gut vier Millionen Kubikmetern.

Wie existentiell wichtig für das kommunistische Polen sowjetische Erdöllieferungen waren, kann man auch anhand der Briefmarken sehen. Gleich drei wurden (von oben) 1964,1965 und 1969 (s. unten) der Erdölraffinerie in Płock an der Druschba-Erdölleitung gewidmet.

Das schafft gute Ausweichmöglichkeiten, wenn russische Erdöllieferungen ausbleiben, wie im April und Mai 2019 geschehen. Über die Druschba/Freundschaft-Pipeline floss damals aus Russland stark verunreinigtes Rohöl.

Durch diese Pipeline, die eine Kapazität von 1,4 Millionen Fass Erdöl pro Tag hat, pumpt Russland über eine Entfernung von knapp sechstausend Kilometern mehr als ein Viertel all seiner Rohölexporte.

Die in den 1960er Jahren zu Sowjetzeiten gebaute Pipeline beginnt in der Nähe von Samara, geht weiter nach Weißrussland (Raffinerie Mosyr) und gabelt sich dort in eine nördliche Linie, die nach Polen (Raffinerie Płock) und Deutschland (Raffinerie Schwedt) führt, und in einen südlichen Zweig in die Ukraine, nach Ungarn, in die Slowakei und nach Tschechien. Ein weiterer Ableger führt zum russischen Hafen Ust-Luga an der Ostsee.

Fast zwei Monate lang ruhte der Betrieb der Druschba 2019 bis die Leitungen gereinigt waren und die Russen sich verpflichtet haben die Kunden angemessen zu entschädigen. Derweil funktionierte der Kraftstoffmarkt in Polen völlig normal. Vorräte und Zukäufe auf dem Weltmarkt, die über den Erdölhafen in Gdańsk ins Land gelangten, machten es möglich.

Druschba/Freundschaft-Erdölpipeline.

Mittlerweile bezieht Polen noch 65 Prozent seines Erdöls aus Russland (1996 waren es 100 Prozent). Der Rest kommt aus Saudi-Arabien, Nigeria, Kasachstan, Großbritannien, Norwegen. Drei Prozent des Bedarfs deckt die Eigenförderung. Alternative Bezugsquellen, vielfältige Lager- und Transportmöglichkeiten machen Russland, das zudem ja dringend auf die Einnahmen angewiesen ist, als Erdöllieferanten nach Polen weitgehend ersetzbar.

Erdölhafen in Gdańsk. Briefmarke von 1976.

Erdgas. Russland lockt,…

Auf dem Erdgasmarkt ist die Lage für Polen erst seit Kurzem ähnlich komfortabel. Damit sie entstehen konnte, musste in den letzten Jahren ein gewaltiger Aufwand betrieben werden.

Die Ausgangssituation nach dem Ende des Kommunismus 1990 war für Polen fatal. Erdgasverbindungen nach Westeuropa gab es nicht. Weder Pipelines, noch einen Flüssiggashafen. Das Land, von den Missständen der kommunistischen Planwirtschaft und einer radikalen ökonomischen Transformation (Balcerowicz-Plan) schwer geprüft, hatte damals, kurz nach 1990, nicht den politischen Mut aufgebracht diese Isolation, zum Beispiel in Richtung norwegische Gasvorkommen, zu durchbrechen. Das geschah erst, mit der Machtübernahme der Nationalkonservativen im Jahre 2015 und läuft seither als Projekt unter dem Namen Baltic Pipe.

Ein Vierteljahrhundert früher lockten die Russen Polen mit einem neuen gigantischen Vorhaben: der Jamal-Leitung. Stabile Lieferungen und Transitgebühren für das durch Polen nach Deutschland fließende Erdgas, das klang vielversprechend.

Russland erschloss damals die schier unermesslichen Gasvorkommen auf der sibirischen Halbinsel Jamal am Nordpolarmeer, mit 115.000 Quadratkilometern Fläche etwas größer als die einstige DDR.

Seit dem Bauende 1999 transportiert die gut viertausend Kilometer lange Jamal-Leitung Erdgas durch Weißrussland und Polen bis nach Ostdeutschland. Ein Ableger führt über die Ukraine und die Slowakei nach Österreich.

…Polen zahlt viel und hat das Nachsehen

Der 1996 geschlossene polnisch-russische Jamal-Gasvertrag, später einige Male überarbeitet und erneuert, wird nach seiner Beendigung im Dezember 2022 als einer der ungünstigsten Handelsverträge in die jüngste polnische Geschichte eingehen.

Der Erdgasversorgung durch Russland ganz und gar ausgeliefert, zahlte Polen Spitzenpreise. Westeuropäische Staaten, die Erdgas aus verschiedenen Quellen beziehen konnten, bekamen den russischen blauen Brennsoff erheblich billiger.

Im Jahr 2010 stand eine weitere Erneuerung des Jamal-Vertrages an. Die damalige Regierung Donald Tusk führte bereits seit einiger Zeit eine Charmeoffensive in Richtung Moskau. Anlässlich des Tusk-Besuchs in der russischen Hauptstadt im Februar 2008, bei den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Kriegsausbruchs im polnischen Sopot im September 2009 und bei der Begegnung Donald Tusks mit Wladimir Putin in Katyn, an den Gräbern der 1940 von den Sowjets ermordeten polnischen Offiziere im April 2010, legten beide Politiker einen demonstrativ herzlichen Umgang miteinander an den Tag.

Tusk verfolgte damals zwei Ziele. Zum einen wollte er, vor allem, seiner politischen Ziehmutter Angela Merkel einen Gefallen tun. Polen sollte kein „Störfaktor“ mehr sein in den guten Beziehungen und bei den Geschäften Deutschlands und der EU mit Russland.

Zum anderen wollte er als „Mann des Dialogs“ seinen Erzrivalen, den angeblich „ewig rückwärtsgewandten“ Staatspräsidenten Lech Kaczyński, den Putin nicht ausstehen konnte, in Polen und in Europa bloßstellen.

Nach Lech Kaczyńskis tragischem Tod beim Flugzeugunglück bei Smolensk am 10. April 2010 verstärkte Tusk seine Charmeoffensive abermals deutlich. Zum einen überließ er alleinig Russland die Untersuchung der Unglückursachen vor Ort. Die Russen weigern sich bis heute das Flugzeugwrack zurückzugeben.

Zum anderen hatte Tusk 2010 vor, im Erdgasgeschäft Polen auf Jahrzehnte fest an Russland zu binden. Auf diese Weise wollte er die „strategische Partnerschaft“ mit Moskau, an die er blauäugig glaubte, dauerhaft festigen.

Der Jamal-Vertrag sollte gleich auf 27 Jahre, also bis 2037, verlängert werden, und das zu für Polen denkbar ungünstigen Konditionen. Hätte sich die EU-Kommission damals nicht eingemischt und Tusk, unter Hinweis auf die EU-Energierichtlinien, gezwungen den Vertrag nur bis Ende 2022 abzuschließen, wäre der Schaden noch gigantischer ausgefallen.

Die damals ausgehandelten Preise, gekoppelt an den aktuellen Erdöl-Weltmarktpreis, waren in Tusk-Polen eines der bestgehüteten Geheimnisse, bis die russische Presseagentur Interfax sie 2015 plötzlich preisgab.

Von 2011 bis 2012, so konnte man nachlesen, kosteten Polen 1.000 Kubikmeter russisches Erdgas im Schnitt gut 500 US-Dollar. Der Preisdurchschnitt für Westeuropa betrug 440 US-Dollar.

Die Differenz blieb, laut Interfax, weiterhin groß, obwohl Polen den Russen ab 2013 einen Rabatt von zehn Prozent abtrotzen konnte. So zahlte Polen im Jahr 2013 für 1.000 Kubikmeter russisches Erdgas im Schnitt 429 US-Dollar. Deutschland: 366, Italien: 399, Österreich: 402, Frankreich: 404 US-Dollar.

Im Jahr 2014 betrugen die Preise pro 1.000 Kubikmeter: für Polen 379 US-Dollar, Deutschland: 323, Österreich: 329, Frankreich: 338, Italien: 341 US-Dollar.

Solche Unterschiede gelten bis heute. Ende 2015, sofort nach ihrem Antritt, reichte die neue nationalkonservative Regierung unter Frau Szydło bei dem Schiedsgericht in Stockholm Klage gegen Gasprom ein, mit der Begründung, der Gaspreis im Jamal-Vertrag sei zu hoch und entspreche nicht der Situation auf dem europäischen Markt. Das Urteil wird bis Mitte 2020 erwartet. Sollte es positiv für Polen ausfallen, verspricht PGNiG SA die erhoffte russische Teilrückzahlung an seine Kunden, Haushalte sowie Firmen, weiterzugeben.

Nach PGNiG-Berechnungen hat Polen seit 2014 jährlich etwa 250 Millionen Euro mehr für das russische Gas bezahlt als es auf dem Weltmarkt gekostet hätte.

Hahn auf, Hahn zu

In Deutschland wird oft und gerne auf die Zuverlässigkeit, einst der Sowjetunion und jetzt Russlands, im Gasgeschäft hingewiesen. Die polnischen Erfahrungen auf diesem Gebiet sind nicht so gut.

Aus PGNiG-Angaben geht hervor, dass Gasprom seit 2004 Polen das Gas sieben Mal ohne Vorwarnung abgedreht und wiederholt die vereinbarten täglichen Liefermengen plötzlich gesenkt hat.

Zudem kam 2017 das Gas eine Zeit lang mit Wasser versetzt in Polen an und war unbrauchbar. Daraufhin sah sich PGNiG genötigt im Eilverfahren eine Erdgas Trocknungsanlage am Abnahmepunkt der Jamal-Pipeline zu bauen, um künftig Schäden am Leitungssystem zu verhindern.

Piotr Woźniak, der PGNiG-Chef: „Die Russen haben aus irgendwelchen Gründen immer wieder Mal die Lieferungen eingestellt. Wir konnten uns durch unsere Vorräte über Wasser halten. Das Problem war, dass es bei jedem Vorkommnis keinen Kontakt mit den Russen gab. Wir bekamen keine Antworten auf unsere Anfragen oder die Antworten entsprachen nicht der Wahrheit, was das Ergreifen von Gegenmaßnahmen unmöglich machte. Wir tappten jedes Mal im Dunkeln. “

Der Jamal-Vertrag von 2010 beinhaltet zudem die so genannte „Take-or-pay-Klausel“, die Polen verpflichtet mindestens 85 Prozent (8,7 Mrd. Kubikmeter) der vereinbarten Gasmenge zu bezahlen, auch wenn es momentan gar nicht so viel Gas benötigt. Das kommt in den letzten Jahren zunehmend vor, seitdem immer mehr Gas aus anderen Quellen ins Land gelangt.

LNG-Terminal in Świnoujście: Polens Gastor zur Welt

Im Januar 2006 fasste die damalige erste nationalkonservative Regierung (2005-2007) unter Kazimierz Marcinkiewicz, den im Juli 2006 Jarosław Kaczyński ablöste, den Beschluss, Polen durch den Bau eines Flüssiggashafens vom russischen Erdgasmonopol zu befreien. Als Standort wurde Świnoujście/Swinemünde ausgewählt.

Im Sommer 2007 zerbrach Jarosław Kaczyńskis Drei-Parteien-Koalitionsregierung. Die vorgezogenen Neuwahlen im Oktober 2007 gewann die Tusk-Partei Bürgerplattform. Das Vorhaben in Świnoujście passte nicht zu Tusks vertrauensvollem Schmusekurs mit Moskau. Er hätte auf die Investition am liebsten verzichtet, doch das Vorhaben zu widerrufen wäre ein allzu offensichtlicher Schritt gewesen. So legte er erst 2011 den Grundstein für die Anlage, und auch sonst wurde auf verdeckte Verzögerung gesetzt.

Gut zwei Jahre lang sahen Behörden weg, als die italienische Baufirma die den Zuschlag bekommen hatte, pfuschte, Termine nicht einhielt, immer neue Nachzahlungen einforderte. Einmal zog sie sich komplett von der riesigen Baustelle zurück, die immer mehr im Chaos versank, um dann nach einigen Wochen wiederzukehren. Schlecht ausgehandelte Bauverträge erlaubten ein solches Gebaren. Tusk schien es nicht zu kümmern.

Erst die Krim-Annexion durch Russland im Frühjahr 2014, die Tusks Freundschaft mit Moskau den Todesstoß versetzte, markierte die Wende. Plötzlich hatte er es eilig. Zwei Jahre später als ursprünglich festgelegt, konnte Tusks Nachfolgerin Ewa Kopacz die Anlage am 11. Oktober 2015 einweihen. Zwei Wochen später verlor Frau Kopacz die Wahlen. Die Nationalkonservativen gewannen die absolute Mehrheit. Deren Leute standen am 20. November 2015 dann am Kai, um den ersten Tanker mit Erdgas aus Katar offiziell zu begrüßen.

Flüssiggasterminal in Świnoujście.

Seither ist das LNG-Terminal „Lech Kaczyński“ Polens Gastor zur Welt. 2018 legten dort 29 Gastanker an mit 13,5 Mrd. Kubikmetern Gas (nach der Rückvergasung). 2019 brachten 31 Gastanker 14.8 Mrd. Kubikmeter Gas (nach Rückvergasung). Die heutige Jahreskapazität des Terminals von 5 Mrd. Kubikmetern Flüssiggas soll nach dem laufenden Ausbau auf 7,5 Mrd. Kubikmeter steigen.

Gleichzeitig sanken die Gaseinfuhren aus Russland. 2018 waren es 9 Mrd. Kubikmeter, 2019 – 8,95 Mrd. Kubikmeter. Der Anteil des russischen Erdgases am polnischen Gesamtimport verminderte sich von 89 Prozent im Jahr 2016 auf 67 Prozent im Jahr 2018 und 61 Prozent im Jahr 2019. Ab 2023 sollen es null Prozent sein.

Es sei denn, die Russen bieten ihren Rohstoff günstig auf dem internationalen Spotmarkt an, wo, wie zum Beispiel in Rotterdam, nicht vertraglich gebundene Mengen von Erdgas gehandelt werden. Solchen „Schnäppchenkäufen“ von Gasprom will sich PGNiG künftig keineswegs verschließen.

Amerikanisches Erdgas ist billiger

Am 8. Juni 2017 legte der „Clean Ocean“, nach sechzehntägiger Fahrt von Port Sabine in Louisiana, in Świnoujście an. Zur Begrüßung erschien Beata Szydło. „Solche Tage gehen in die Geschichte ein“, sagte die Ministerpräsidentin, denn es war wahrlich ein geschichtsträchtiges Ereignis. Zum ersten Mal gelangten 90 Millionen Kubikmeter amerikanisches Flüssiggas auf diesem Weg nach Polen.

Der „Clean Ocean“-US-Gastanker im Flüssiggasterminal von Świnoujście.

Damals war das ein Gelegenheitskauf. Inzwischen hat PGNiG im November 2018 einen Gas-Liefervertrag mit der amerikanischen Firma Cheniere abgeschlossen. Laufzeit: 24 Jahre. Der Abnahmepreis orientiert sich an den im amerikanischen Henry Hub, einem Drehkreuz des US-Erdgashandels im Bundesstaat Louisiana, laufend ermittelten Kursen. Alles ist übersichtlich, dafür sorgen die US-Behörden.

Oft erachten deutsche Medien die von den Russen immer wieder verbreitete Behauptung, amerikanisches Erdgas sei deutlich teurer als das russische, als selbstverständlich. In Wirklichkeit ist es für Polen deutlich billiger. Mitte 2019 zahlte Polen für 1.000 Kubikmeter US-Erdgas zwischen 140 und 160 US-Dollar. Darin enthaltene Kosten: Rohstoff (90 bis 110 USD), Transport und Regasifizierung (40 bis 50 USD).

Im Unterschied zum Jamal-Vertrag, kann der Käufer des US-Flüssiggases bestimmen wohin die Ladung gebracht werden soll: nach Polen, in ein anderes Land Ostmitteleuropas oder in eine andere Gegend der Welt. Es gibt kein Weiterverkaufsverbot, wie bei den Russen.

Russisches Gas kostete in Europa Mitte 2019 durchschnittlich um die 180 US-Dollar für 1.000 Kubikmeter und so viel zahlte der russische Vorzugskunde Deutschland. Der Jamal-Vertrag von 2010 sieht für Polen eine Anlehnung des Erdgaspreises an den Rohölpreis vor, der Mitte 2019 bei etwa 75 US-Dollar pro Barrel lag. Daraus ergab sich der russische Gaspreis für Polen: von etwa 200 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter.

Aus Norwegen kommt die Gasfreiheit

Zwar soll das LNG-Terminal in Świnoujście erweitert werden und bald ein schwimmendes LNG-Terminal an der polnischen mittleren Ostseeküste bei Gdańsk entstehen. Doch um Gasprom ganz und gar abzulösen, bedarf es eines Pipeline-Anschlusses an Westeuropa, und zwar nicht, so wie Deutschland es sich vorstellt. Deutschland würde am liebsten bei den Russen gekauftes Erdgas von Westen her nach Polen pumpen.

Es bedarf eines Anschlusses an die norwegischen Erdgasvorkommen in der Nordsee. PGNiG hat dort inzwischen 29 Gasförderkonzessionen gekauft. Der eigene Rohstoff ist am billigsten. Er soll nach Polen durch die Baltic Pipe gelangen. Einen Teil davon, den zwischen Norwegen und Dänemark, gibt es seit langem. Nun wird mit Nachdruck die Verbindung von Dänemark nach Polen verlegt.

PGNIG-Chef Woźniak sagt: „Die Leitung hat ein jährliches Durchleitungsvermögen von gut 10 Milliarden Kubikmetern. Wenn unser Gas sie künftig zu 25 Prozent und fremdes zu 75 Prozent füllt, dann werden unsere Kalkulationen aufgehen“. Polen will nämlich das Erdgaskreuz für Ost- und Südostmitteleuropa werden.

Am 1. Oktober 2022 soll erstes norwegisches Erdgas nach Polen fließen. Es muss fließen, denn am 1. Januar 2023 laufen die russischen Lieferungen aus.

@ RdP




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