Das Wichtigste aus Polen 11. November – 8. Dezember 2018
Kommentatorin Olga Doleśniak-Harczuk und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Schwere Wolken, geringer Niederschlag. Skandal um Chef der Finanzaufsicht hat sich auf sein wahres Mass reduziert ♦ Polen lehnt UN-Migrationspakt ab ♦ Warschauer US-Botschafterin blamiert sich und entfacht einen Sturm der Entrüstung ♦ Ukraine-Russland-Krieg. Warum geht die polnische Öffentlichkeit zunehmend auf Distanz zur Ukraine ohne für Russland zu sein?
Billigpole wird unterboten
Ukrainer drücken die bereits niedrigen Löhne.
Michał Markowski wohnt mit seiner Familie in einem der Hauptstadtvororte und arbeitet seit Jahren in der Baubranche. Zurzeit freut er sich über seine feste Anstellung bei einer Raumausstatter-Firma, die mit einem groβen Warschauer Bauunternehmer zusammenarbeitet. Stutzig macht ihn nur, dass er seit einigen Jahren zunehmend schlechter mit Polnisch auf den Baustellen zurechtkommt. Die Kollegen stammen überwiegend aus der Ukraine.
„Die Arbeitgeber werden uns Polen gegenüber immer arroganter, denn der Andrang arbeitswilliger Ukrainer ist groβ“, sagt Markowski. „Wir kriegen 10 bis 15 Zloty (ca. 2,40 bis 3,20 Euro) die Stunde. Mehr ist nicht drin. Dafür wird es immer schwieriger Urlaub zu bekommen. Wer seine Rechte einfordert, kann sich schnell einen Blauen Brief einhandeln.“ Viele von Markowskis Kollegen sind deswegen ins Ausland auf Arbeitssuche gegangen.
Andrzej Rogalski, dessen Firma Bahngleise verlegt und wartet, berichtet, er beschäftige bereits fünfzehn Ukrainer, das sind 30% seiner Belegschaft. „Die ersten habe ich über eine private Arbeitsagentur angeworben.“ Er will weitere einstellen, jetzt schon auf direktem Wege. „Wenn es mit den Polen Probleme gibt, dann werde ich sie entlassen und Ausländer aus dem Osten nehmen“, sagt Rogalski.
Mobiler, motivierter, billiger
„Die Leute aus dem Osten sind viel mobiler, motivierter, lassen sich so gut wie nie krankschreiben, kommen am Montag zur Arbeit, auch wenn sie das ganze Wochenende durchgearbeitet haben“, Rogalski ist voll des Lobes. Das mit dem Montag ist wichtig, denn gearbeitet wird praktisch an jedem Sonnabend und Sonntag, weil dann der Zugverkehr geringer ist. Die Fertigstellungstermine sind kurzfristig. Die Arbeit ist gefährlich, da oftmals Züge an einem vorbeisausen, und schwer. Schlechtwettergeld gibt es nicht, und alt wird man beim Schienenverlegen auch nicht. Rogalski beteuert, er zahlt den Ausländern genauso viel wie den Polen, denn sonst gäbe es mehr Zoff als Arbeit auf seinen Baustellen.
Es gibt inzwischen bis zu einhundert Firmen in Polen, die Arbeitnehmer im Ausland anwerben. Bogdan Latacz hat seine Agentur vor sieben Jahren gegründet. Seine Frau ist Ukrainerin, das ist sehr hilfreich. Die Nachfrage wird immer gröβer. Im ersten Jahr hat er einhundert Ukrainer vermittelt, 2015 waren es bereits eintausend.
Polnische Firmen suchen händeringend Schweiβer, Tischler, Näherinnen, Berufskraftfahrer, Leute die schweres Baugerät bedienen können. Latacz sagt, das Finden sei gar nicht so leicht, denn die meisten Ukrainer, die nach Polen zur Arbeit kommen seien zwar motiviert, aber kaum qualifiziert. Es dauere manchmal bis zu drei Monaten, bis dass man den „bestellten“ Arbeitnehmer in der Ukraine gefunden hat, und es kostet zwischen umgerechnet 50 und 500 Euro, die die Arbeitgeber Lataczs Agentur für deren Mühe zahlen.
Viele Ukrainer suchen und finden auf eigene Faust Arbeit in Polen, sie nutzen dabei die weitverzweigten ukrainischen sozialen Netzwerke, die es hier inzwischen gibt.
Der höchste Bedarf besteht im Bauwesen, aber dort sind die Stundenlöhne am niedrigsten und die Gefahr um den Lohn betrogen zu werden ist groβ. Bogdan Latacz meidet die Branche. Viele Subunternehmer, Kleinfirmen, die sich plötzlich in Nichts auflösen ohne ihre Schulden beglichen zu haben, Tricksereien. „Von zehn Baufirmen haben mich sieben nicht für die Vermittlungsarbeit bezahlt. Fünf haben „meine“ Ukrainer um die Bezahlung geprellt.“
Sie kommen und bleiben
Verhältnismäβig neu ist, dass sich Ausländer aus dem Osten in Polen immer öfter niederlassen. Vorher kamen sie zur Arbeit und gingen mit dem verdienten Geld wieder nach Hause. Das zentrale polnische Ausländeramt hat 2015 insgesamt 9.898 Erlaubnisse auf ständigen Aufenthalt erteilt, darunter 6.380 Ukrainern, 1.316 Weiβrussen, 344 Russen, 204 Vietnamesen. Der Rest kam aus den übrigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion.
Knapp 32.000 Ukrainer bekamen 2015 eine befristete Arbeitserlaubnis. Im Jahr zuvor waren es 8.000, 2013 nur 3.300. Die Ursachen dieser Entwicklung liegen auf der Hand: der Krieg in der Ukraine, der wirtschaftliche Niedergang des Landes und neue polnische Vorschriften, die die Prozeduren für ausländische Arbeitskräfte vereinfacht haben.
Die Statistiken geben jedoch nur einen Teil der Wirklichkeit wieder. Viele Ukrainer reisen mit Touristenvisa ein und arbeiten dann illegal. Wie viele von ihnen leben und arbeiten insgesamt in Polen? Man schätzt, dass es mindestens 650.000 sind.
Der Verband der Polnischen Unternehmer und Arbeitgeber fordert seit Jahren, dass alle Ukrainer, Weiβrussen und Vietnamesen automatisch eine polnische Arbeitserlaubnis bekommen. „Es sind die besten Einwanderer, die man sich vorstellen kann. Sie kümmern sich um sich selbst, lernen schnell Polnisch, integrieren sich fast lautlos, arbeiten hart um sich schnell zu etablieren. Konflikte mit ihnen gibt es so gut wie gar nicht, genauso wenig Vorbehalte ihnen gegenüber in der polnischen Gesellschaft.“ Die Behörden schwenken immer schneller auf diese Linie ein.
Auch viele Landwirte und Obstbauern kommen ohne die Saisonarbeiter aus dem Osten nicht aus. Kaum ein Pole ist bereit für 7 Zloty (ca. 1,60 Euro) Obst zu pflücken. Diejenigen die das können, fahren nach Deutschland.
Viele vermögendere Städter beschäftigen Ukrainerinnen zum Saubermachen oder zur Pflege der betagten Eltern.
Noch sind Leute wie Michał Markowski, die der ukrainischen Billigkonkurrenz mit immer gröβeren Vorbehalten begegnen deutlich in der Minderheit. Wahr jedoch ist, dass die Gründe für das niedrige polnische Lohnniveau nicht nur, aber auch, in der wachsenden ukrainischen Einwanderung zu suchen sind. Arbeitgeber im Niedriglohnsektor wollen nichts von Lohnerhöhungen wissen, so lange sie auf die Ukrainer ausweichen können. Noch regt sich kaum jemand darüber auf. Wie lange noch?
Ein polnischer Priester berichtet über sein Tun und Leben in der Ukraine.
Pfarrer Jan Dargiewicz aus Ełk/Lyck in Masuren, arbeitet seit zehn Jahren in der Ukraine. Seine Gemeinde Rasjesd, die zum katholischen Bistum Odessa-Simferopol gehört, befindet sich westlich von Odessa, an der Grenze zu Transnistrien. Das Bistum hat eine Fläche von 138.000 Quadratkilometern, soviel wie Bayern, Niedersachsen und Hessen zusammen. Es erstreckt sich entlang der gesamten ukrainischen Schwarzmeerküste und umfasst auch die inzwischen von Russland besetzte Krim. In diesem Gebiet leben gerade einmal 20 Tausend Katholiken. Über das Leben und Wirken eines katholischen Pfarrers in den gottlosen Weiten des Ostens stand Pfarrer Dargiewicz der Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) vom 3. April 2015 Rede und Antwort.
Welche Sprache spricht man in Odessa?
Die meisten sprechen Russisch, weil in diesem Teil der Ukraine zur Sowjetzeit die Russifizierung mit viel Nachdruck betrieben wurde. Ukrainisch galt als die Sprache der Dörfler, also sprach man in der Öffentlichkeit Russisch. Jetzt ist das Ukrainische in Mode gekommen, immer mehr Leute sprechen Ukrainisch.
Zu welchen Glauben bekennen sich die Menschen?
Nur fünf Prozent der Bewohner unseres Bistums bekennen sich überhaupt zu irgendeiner Religion. Die Sowjets haben Weiβrussland und die Ukraine auf der Höhe der Stadt Winniza von Nord nach Süd der Länge nach geteilt. Westlich dieser Linie befanden sich, nach dem Einmarsch der Sowjets am 17. September 1939, die von Polen abgetrennten Gebiete, welche 1944 aus zwischenzeitlicher deutscher Besatzung von den russischen Truppen erneut erobert wurden. Der katholische und orthodoxe Glaube waren dort sehr stark ausgeprägt. Die Sowjets verfolgten die Kirchen in diesen Landstrichen zwischen 1939 und 1941 und dann wieder ab 1944 unerbittlich. Pfarrer und Popen wurden ermordet oder deportiert, Kirchengebäude zweckentfremdet oder zerstört, den einfachen Volksglauben, soweit ihn alte Menschen praktizierten, ließ man jedoch gewähren. Ein paar eingeschüchterte und drangsalierte Pfarrer und Popen durften in irgendwelchen Kleinstkapellen die Seelsorge halbwegs fortsetzten.
In den weiβrussischen und ukrainischen Gebieten östlich von Winniza, die schon ab 1918 zur Sowjetunion gehörten, erstreckte sich seit den Massakern und Säuberungen der 30er Jahre ein gottloser Raum. Allein in Odessa wurden zwischen 1937 und 1938 in den Kellern des NKWD knapp eintausend Geistliche aller Religionen durch Kopfschuss ermordet: Pfarrer, Pastoren, Popen, Rabbiner, Mullahs der Krimtataren, Mönche, Nonnen. Ziel war der totale Atheismus: keine Geistlichen, keine Kirchen, ein absolutes Verbot „religiöser Propaganda“, wie die Seelsorge genannt wurde. Mir ist vor kurzem eine Frau in Odessa begegnet, die noch in den 80er Jahren zu drei Jahren Lagerhaft verurteilt wurde, weil sie eine abgegriffene englische Broschüre über die Muttergottes von Fatima besaβ.
So gesehen sind wir hier Pioniere und Missionare im wahrsten Sinne des Wortes. Die ersten Priester kamen Anfang der 90er Jahre hierher und begaben sich auf die Suche nach den letzten Gläubigen. Die Anfänge sahen so aus, dass ein Pfarrer eine Kirchenruine vorfand und eine alte Frau, die letzte Katholikin weit und breit. Sie war es, die die Kirche vor der Einebnung gerettet hatte, als irgendwann in der Sowjetzeit die Bulldozer anrückten. Sie blieb so lange vor den Mauerresten stehen, bis das Abrisskommando sich sagte, das lohnt nicht und abzog. So geschehen in der Stadt Kertsch auf der Krim.
In Cherson schlief der Pfarrer anfangs im Zelt, wärmte sich an einer Kerze, wusch sich und aβ bei fremden Leuten. Die ersten Messen hielt er zunächst auf der Eingangstreppe, dann im Vorraum, am Ende im Kircheninneren. Jahrzehntelang hatte sich dort ein Kino mit dem Namen Pawel Morosow befunden, einer Ikone der Sowjetpropaganda, symbolisiert durch einen Bauernjungen, der seinen eigenen Vater als einen „Volksfeind“ angezeigt hatte, weil dieser angeblich Getreide versteckte und sich der Kollektivierung widersetzte. Jungen aus der Umgebung bewarfen den Pfarrer mit Steinen, weil er ihnen das Kino „weggenommen hat“. Jetzt ist die Stadt stolz auf die prächtig aufgebaute Kirche und einer dieser Jungen ging ins Priesterseminar.
Wie sieht heute Ihre Arbeit aus?
Es ist immer noch sehr schwer. Unsere Gegend ist bitterarm. Einige wenige Oligarchen schwimmen in unvorstellbarem Reichtum. Besonders auf dem Lande herrscht fast schon das blanke Elend. Die Kluft zwischen Reich und Arm ist schier bodenlos. Das Christentum wurde ausgerottet. Den Menschen fehlt ein geistiges, ein moralisches Fundament. Der Kommunismus förderte vor allem die schlechten Eigenschaften im Menschen: Passivität, Mitläufer- und Denunziantentum, das Wegschauen, das Nach-Oben-Ducken und Nach-Unten-Treten. Mittlerweile kommen noch die Verlockungen des Konsums hinzu, und dann der Krieg. Viele halten das nicht aus. Alkoholismus und Drogensucht richten Furchtbares an. Wer kann, geht: nach Europa, nach Russland…
Dennoch steht die Kirche immer besser da.
Nach dem was war, kann es nur besser werden. Neue Pfarrgemeinden entstehen, weil sich immer mehr versprengte, katholische Familien bei uns melden, die den Glauben wieder leben wollen. Plötzlich stellt sich heraus, dass es in dem Ort noch mehr Katholiken gibt. Menschen lassen sich taufen, nehmen die Sakramente entgegen, ein normales geistiges und religiöses Leben kommt nach und nach in Gang. 2005 bat mich ein 75-jähriger Mann ihn zu taufen. Seine Eltern waren katholisch, sein ganzes Leben lang wartete er darauf endlich einem Pfarrer zu begegnen. Ich war der erste, den er in seinem Leben traf. Auf den Dörfern in der weiten Steppe erfahren die Menschen erst nach und nach, dass die katholische Kirche wieder vor Ort ist.
Die meisten Priester in Ihrem Bistum kommen aus Polen.
So ist es. Wir sind räumlich am nächsten dran, wir können uns aufgrund der Verwandtschaft der Sprachen am schnellsten mit den hiesigen Menschen verständigen. Die katholische Kirche in der Ukraine haben anfänglich fast ausnahmslos polnische Pfarrer, Mönche und Nonnen wieder aufgebaut. Oft unter unsäglichen Mühen und Entbehrungen. Finanziert wird unser Tun ausschlieβlich aus Spenden, die in den Kirchen in Polen gesammelt werden. Das ist unsere polnische Beteiligung an dem Evangelisierungswerk der Kirche, zu der wir alle aufgerufen sind. Die ersten ukrainischen Pfarrer wurden bereits geweiht. Sie sollen in der Zukunft die katholische Kirche in der Ukraine aufbauen und festigen.
Wie steht es um den Kirchenbau?
Wenn wir eine neue Pfarrei gründen, werden am Anfang die Heiligen Messen in privaten Häusern abgehalten. Dann mieten wir einen Saal. In einem der Orte handelt es sich dabei um den Saal im Haus der Veteranen der Roten Armee. An der Stirnseite hängen Hammer und Sichel, an den Wänden Portraits von Lenin, Marx, Engels, Stalin und anderer kommunistischer Größen, von denen sehr viele, wie Lenin, Stalin oder Dserschinski, furchtbare Verbrechen begangen haben. Plötzlich stehen da, inmitten dieses Panoptikums, das Kruzifix und das Bild Muttergottes, Menschen sprechen das Vaterunser. Deswegen bauen wir auch in der kleinsten Gemeinden ein Gotteshaus, und sei es eine winzige Kapelle. Gläubige, die sich in Privathäusern oder gemieteten Sälen zum Gottesdienst treffen werden als eine Sekte betrachtet. Wenn es eine Kirche oder Kapelle gibt, dann steigt gleich die Zahl der Gläubigen. Die Menschen sehen ein Gebäude mit dem Kreuz auf dem Dach, mit Heiligenfiguren, einem Altar, einem Taufbecken… Ein Kirchengebäude ist wie ein Leuchtturm.
Gibt es Chancen alte Kirchengebäude zurück zu bekommen?
Es ist sehr schwer. Das ukrainische Recht ist sehr kompliziert, die Beamten sind misstrauisch und wenig kooperativ, in den Archiven herrscht Chaos. Es kostet viel Mühe und man braucht viel Geduld um nachzuweisen, dass es sich bei der Ruine um eine Kirche handelt. Noch schwieriger ist es, wenn das Kirchengebäude bereits anderen Zwecken dient. Auch beim Neubau von Kirchen begibt man sich auf einen anstrengenden Weg.
Es gibt in unserem Bistum sehr viele ehemalige katholische Kirchen. Vom Ende des 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts, also vor der Oktoberrevolution 1917, hatten die zaristischen Behörden in der Gegend sehr viele Polen und Deutsche angesiedelt. Odessa wurde Ende 1794 von den russischen Behörden gegründet. Bereits im Juli 1795 kamen die ersten etwa einhundert polnischen Familien dort an. Um 1914 lebten in Odessa immerhin bis zu 30.000 Polen. Sie bauten in der Stadt katholische Kapellen und Kirchen. Die schöne Kathedrale in Odessa haben die Sowjets in eine Sporthalle umgewandelt. Erst 1991 wurde sie zurückgegeben und wieder hergerichtet. Die St. Klemens Kirche war das größte Gotteshaus östlich von Polen, es hatte zweitausend Sitzplätze. Den dortigen Probst, Pfarrer Józef Szejner haben die Sowjets bereits im Mai 1922 ermordet, das Gebäude 1933 in die Luft gesprengt. Viele Kirchengebäude haben als Ruinen überdauert. Sie zurückzubekommen und wiederaufzubauen ist eine Aufgabe für Generationen.
Stimmt es, dass der Katholizismus in der Ukraine eindeutig mit dem Polnischsein gleichgestellt wird?
Die Kirche ist katholisch, also heilig, allgemein und apostolisch. Wir sind für alle Katholiken da. In der Praxis findet die Seelsorge überwiegend in drei Sprachen statt; auf Ukrainisch, Russisch und Polnisch. Als ich aber eine Gruppe von Armeniern zu betreuen begann, habe ich angefangen den Gottesdienst auf Armenisch abzuhalten. Doch Sie haben Recht. Die katholische Kirche wird in der Ukraine sehr oft mit dem Polentum gleichgesetzt. Oft gehört nur ein polnisch klingender Nachname dazu, um als Pole und katholisch angesehen zu werden. Zu uns kamen nicht wenige junge Menschen, die irgendjemand in der Schule darauf hingewiesen hat, dass, wenn sie so einen Namen tragen, sie ganz bestimmt Polen seien.
Wie sieht Ihre tagtägliche Arbeit aus?
Ich bin Pfarrer in einer Pfarrei die etwa 200 auf 300 km groβ ist. Der Ort Rasjesd wurde von den Sowjets an einem Eisenbahnknotenpunkt aus dem Boden gestampft. Um an allen Orten eine Messe zu zelebrieren lege ich an jedem Sonntag etwa 300 km zurück. Es ist eine schwere, aber auch sehr schöne, bewegende Arbeit. Die Menschen sehnen sich geradezu nach Seelsorge.
Gleichzeitig kommt man oft mit äuβerster Armut in Berührung. Ich habe gelernt Sanitäter zu sein. Zusammen mit unserer Gemeindeschwester waren wir einige Male bei einer fast einhundertjährigen Frau, die einst zwei Jahre lang in eine polnische Schule gegangen ist. Sie las und betete auf Polnisch, sprechen konnte sie nicht. Sie lebte in Armut, war von Würmern befallen. Wir mussten die Parasiten erst entfernen, bevor ich die Sakramente spenden konnte. Die Menschen hier leben einen einfachen, ehrlichen den Mitmenschen zugewandten Glauben. So ist mir bei einer meiner „Sonntagsrunden“ das Geld ausgegangen. Ich konnte nicht tanken, um nach Hause zu kommen. Mir kam der Gedanke: „Lieber Gott, Du hast mich hierher geschickt, tue etwas“. Nach der Messe verlasse ich die Kapelle. Ein Mann kommt auf mich zu, gibt mir etwas Geld und sagt: „Das habe ich gerade beim Einkaufen gespart und will es Ihnen geben“. Auf diese Weise gibt uns Gott zu verstehen, dass er über uns wacht: „Mach Dir keine Sorgen, arbeite nur“.
Wie ist die Identität der Menschen in Odessa?
In Odessa leben Vertreter von 121 Nationalitäten. In der Zarenzeit war das ein Schmelztiegel der Nationen. Es war eine sehr reiche Stadt, es kamen Menschen von überall her. Es gibt immer noch viele Zeugnisse des einstigen Reichtums. Die Menschen gehen miteinander freundschaftlich, friedfertig um, auch wenn sie in sehr unterschiedlichen, manchmal sehr exotischen Sprachen untereinander sprechen, verschiedene Glauben praktizieren. Das stört niemanden.
Dennoch kam es am 2. Mai 2014 in Odessa zu schweren Krawallen und Zusammenstöβen mit 48 Toten und gut zweihundert Verletzten als Folge.
Das kam von Auβen. Es begann mit einem Marsch von Fuβballfans. Es war ein friedlicher Marsch, der durch Provokationen gestört wurde. Alles war gut durchdacht, einschlieβlich der Anwesenheit russischer Medien an den wichtigsten Orten des Geschehens. Es waren Leute von auβerhalb. Sie riefen „Russland“, „Referendum“. Sie fuhren von Stadt zu Stadt. Ich bin hier schon lange, kenne die Einheimischen. So etwas würden sie nicht tun, und wie man sieht fiel die Provokation auf einen sehr unfruchtbaren Boden, weil es hier bis heute eher friedlich zugeht.
Welchen Einfluss hat der Krieg im Donbas auf das Leben in Odessa und Umgebung?
Dieser Krieg spaltet die Gesellschaft. Familien sind zerstritten. Ich kenne z. B. Geschwister, von denen der Bruder in der Ukraine und die Schwester in Russland lebt. Sie ruft an und sagt dem Bruder, dass Russland die Ukraine vom Faschismus befreien wird usw. Die Macht der Propaganda ist so groβ, dass man nichts erklären kann. Verwandte wenden sich voneinander in Hass ab. Man spürt die Bedrohung. Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Gegend zu „Neurussland“ gehören sollte. Nach dem 2. Mai 2014 herrschte lange Zeit Ruhe, jetzt steigt die Spannung wieder. Meine Pfarrei grenzt ja an Transnistrien, und das ist so als würden wir Russland zum Nachbarn haben. Wenn es einen Angriff auf uns geben sollte, dann von zwei Seiten.
Gibt es in Ihrer Pfarrei Flüchtlinge?
Ja, viele. Es gibt auch eine Menge Soldaten die von der Front zurückkommen, darunter viele Verwundetete und Invaliden. Die Krankenhäuser sind überfüllt. Unsere Gemeindemitglieder, unsere Nonnen gehen zu ihnen. Es gibt Bekehrungen, Taufen… Vorher hatten diese Menschen keine Zeit, keine Gelegenheit an Gott zu denken.
RdP
Das Wichtigste aus Polen 13. Dezember – 19. Dezember 2015
KommentatorJanusz Tycner und Joachim Ciecierski gehen auf die wichtigsten Ereignisse der Woche ein: Staatspräsident Andrzej Dudas zornige Rede zum 45. Jahrestag der Dezember-Unruhen an der polnischen Ostseeküste: die Dritte Republik hat versagt. Neues Gesetz über das Verfassungsgericht soll mehr Ausgewogenheit in die Spruchkammer bringen. Staatshaushalt 2016 unter Dach und Fach. Neue soziale Leistungen sind finanzierbar. Staatspräsident Andrzej Duda zu Besuch in Kiew. Der britische Ministerpräsident zu Besuch in Warschau. Polens Haltung: neue EU-Grenzpolizei Frontex ja, aber nicht unter Zwang. Polens Hoffnung: Brüsseler Gespräch zwischen Ministerpräsidentin Beata Szydło und Martin Schulz wird die antipolnischen Emotionen des EU-Parlamentspräsidenten zähmen.