Einkaufen und an Polen denken

Pola. Patriotisches Shoppen leicht gemacht.

Pola hatte ihre Premiere am 11. November 2015, dem polnischen Unabhängigkeits- und Nationalfeiertag. Das Interesse war von Anfang an beachtlich, doch zum wahren Durchbruch verhalf dieser neuen App der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) im Januar 2016, mit einem spöttischen Beitrag über das Vorhaben, das die Polen zum Kaufen von polnischen Produkten anspornen soll.

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Das offizielle Emblem

 

Die Schöpfer von Pola haben den Bericht, den in Deutschland kaum jemand zur Kenntnis genommen hat, mit polnischen Untertiteln versehen und Ende März 2016 ins Internet gestellt. Er wurde inzwischen gut einhunderttausend Mal angeklickt und ist hier zu sehen.

Der deutsche Spott wirkte sehr motivierend, sagen die Erfinder. Die Zahl der Benutzer stieg zwischen Ende März und Mitte Juli 2016 von sechzig auf gut zweihunderttausend. „Die Leute laden die App massenweise herunter und wandern forschen Schrittes in die Geschäfte, um polnische Produkte zu erstehen“, so Polens gröβtes Wochenmagazin „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“), dessen Beitrag zum dem Thema vom 17. April 2016 wir nachfolgend im Wesentlichen wiedergeben.

Was sagt Pola?

Die App Pola hat ein Team geschaffen, das der konservativen Denkfabrik Klub Jagieloński (Jagiellonen-Klub) nahesteht. Die Aufgabe dieser App: schnell und einfach, anhand des Strichcodes feststellen, ob Produkte, die man kaufen möchte: Lebensmittel, Kosmetika, Kleidung, Druckerzeugnisse usw. von polnischen Firmen hergestellt wurden. Jeder kann so bewusst wählen: „eigenes“ oder „fremdes“ Produkt. Die Schöpfer der App ergänzen die Datenbank ständig um neue Produkte, auf die sie die Nutzer aufmerksam machen.

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Jakub Lipiński.

Die Idee scheint in vielen Köpfen gleichzeitig gereift zu sein. „Ich habe einen Freund getroffen“, berichtet Jakub Lipiński, einer der Schöpfer, „der von der Notwendigkeit ein solches Anwenderprogramm zu schaffen sprach. Am Abend desselben Tages im Jagiellonen-Klub kam ein anderer mit derselben Idee auf mich zu.“

Gespräche, Diskussionen, Verhandlungen begannen. Wichtig war die Unterstützung des Instituts für Logistik und Lagerung (Instytut Logistyki i Magazynowania), einer Regierungsagentur, die Strichcodes zuteilt. „Ohne deren Datenbank hätten wir kaum etwas ausrichten können“, sagt Lipiński.

Immer mehr Enthusiasten stieβen dazu: Programmierer, Mathematiker, die den erforderlichen Algorithmus bestimmten, Computerdesigner- und Graphiker. Die Fachgruppe zählte etwa zwanzig Personen. Alle arbeiteten an Pola ehrenamtlich.

Wie funktioniert das?

1. Pola-Internetseite https://www.pola-app.pl/ aufrufen.
2. App aufs Mobiltelefon herunterladen und installieren.
3. Beim Einkauf an den Strichcode des Produktes halten.
4. Informationen sowie Punktezahl für das Produkt ablesen.
5. Sich für oder gegen den Kauf entscheiden.

Jedem Produkt werden zwischen null und einhundert Punkte zuerkannt.

Hat das Unternehmen keinen ausländischen Investor – 35 Punkte. Ist es in Polen registriert – 10 Punkte. Produziert es in Polen – 30 Punkte. Forscht das Unternehmen in Polen – 15 Punkte. Hat es ausschlieβlich polnische Eigentümer – 10 Punkte.

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Bier Okocim geprüft. Das Ergebnis: „Unternehmen von Carlsberg. 55 Punkte. Anteil polnischen Kapitals – 0%. Stellt in Polen her – ja. Forscht und entwickelt in Polen – ja. In Polen registriert – ja. Teil eines ausländischen Konzerns – ja.“

So lange es Pola nicht gab, versuchten Verbraucher anhand der ersten drei Ziffern auf dem Strichcode die Herkunft der Ware abzulesen. Die Kennziffer 590 steht eigentlich für Polen, aber das besagt nur, dass die Firma in Polen registriert ist, sie kann dabei aber dennoch z. B. Teil eines ausländischen Konzerns sein.

Pola braucht keine Werbung

Die Arbeiten an der App dauerten ein Jahr lang. Die Informatiker, Designer und Redakteure taten ihr Bestes damit Pola nicht nur schlüssig, sondern auch modern und übersichtlich daherkommt.
Piotr Trudnowski, der Pola vermarktet, sagt: „Es fällt heute sehr leicht den Verbraucherpatriotismus zu propagieren. Die Leute wollen „unsere“ Waren kaufen. Die Meisten sind von der App sehr angetan, preisen sie in den sozialen Netzwerken an. Pola ist inzwischen ein Selbstläufer und der deutsche Fernsehbericht, den wir mit polnischen Untertiteln ins Netz gestellt haben, hat dazu erheblich beigetragen.“ Bis Mitte Juli 2016 haben die Benutzer fünf Millionen Strichcodes durchgescannt.

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Pola-Internetseite www.pola-app.pl. „Pola. Nimm sie mit zum Einkaufen.“

Dank Pola kann man kleine Firmen ausfindig machen, die sich ihren Weg in den Markt erst mühsam bahnen müssen. Man kann auch feststellen, welche von den aus früherer Zeit bekannten Firmen überhaupt noch polnisch sind. Spätestens dann wird dem Verbraucher bewusst, dass die traditionsreiche Schokolade „Wedel“, die berühmten Kinderseifen „Bambino“ und „Bobas“ oder der „urpolnische“ Wodka „Wyborowa“ sich längst in ausländische Produkte verwandelt haben.

Deutsche haben leicht höhnen

„Die Deutschen haben leicht höhnen“, sagt der Soziologe Dr. Tomasz Sturowicz. „Um uns zu verstehen, sollten sie unsere Verhältnisse auf Deutschland ummünzen.

Das hieße dann nämlich: Sie kaufen fast ausschließlich in polnischen Supermärkten ein. 80 Prozent der Medien, der Banken und Versicherungen in Deutschland sind in polnischer Hand. Der einzige Energieversorger in der Stadt und die Müllabfuhr sind polnische Firmen u. s. w., u. s. f. Der freie Handel in der EU führt nun mal dazu, dass die Stärkeren die Schwächeren übernehmen. Das sättigt den Markt, verdrängt die kleinen einheimischen Firmen und lässt keine oder nur wenige neue entstehen.“

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Vielen Polen sind Patriotismus, die Liebe zum Vaterland und die Verteidigung ihrer polnischen Identität wichtig. Deswegen“, so der Soziologe weiter, „ist es nicht wenigen Menschen bei uns ein Bedürfnis mal etwas für die hart um ihre Existenz kämpfenden polnischen Unternehmen zu tun. Pola informiert sie, und sie treffen die Entscheidung. Aber genauso entscheiden der Preis und die Qualität. Ein polnisches Produkt, das ausländischen Waren diesbezüglich deutlich unterlegen ist, hat auch bei den gröβten Verbraucherpatrioten auf Dauer keine Chance“, so Sturowicz.

Pola ist kein Freibrief

Und die Erdnussbutter der Firma Sante, über die die Autoren des MDR-Beitrages spotten? Sie ist ganz gewiss ein polnisches Produkt aus einem importierten Rohstoff, in Polen von Polen hergestellt. Kautschukbäume wachsen schlieβlich auch nicht in Deutschland, doch die u. a. aus Kautschuk von der Continental AG in Deutschland gefertigten Reifen gelten als ein durch und durch deutsches Produkt.

Hat Pola den polnischen Markt wesentlich beeinflusst? Bis jetzt haben Marktforscher keine grundlegenden Veränderungen ausgemacht. Zweihunderttausend Verbraucher in einem 38-Millionen-Land sind noch keine entscheidende Gröβe. Auch ausländische Hersteller in Polen nehmen bis jetzt, wenigstens offiziell, Pola den Polen nicht übel.

„Solche Aktionen können stimulierend auf die heimische Industrie wirken“, so der Soziologe Sturowicz. „Vom Preisdruck, vom Qualitätszwang, von der Notwendigkeit für ihre Produkte zu werben, vom Muss der Weiterentwicklung, werden sie sie nicht befreien, und das ist auch gut so“.

RdP