Das Wichtigste aus Polen 22. Mai bis 9. Juli 2022

Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Was brachte Polen der Nato-Gipfel in Madrid? ♦ Weizentransit und Bandera. Zwist zwischen Polen und der Ukraine ♦ Ein Jahr vor den Parlamentswahlen. Kann Recht und Gerechtigkeit zum dritten Mal gewinnen und allein  regieren? Wird es eine gemeinsame Wahlliste der Opposition geben? Donald Tusks Hasstiraden.




Im Ernstfall. Deutschland will zusehen wenn Polen wird untergehen

Polnische Analyse für den Fall eines russischen Angriffs. 

Ob Besetzung der Krim, das russische Vorgehen im Donbas oder Lukaschenkos von Moskau abgesegnete „Migranten-Offensive“ auf die polnische Ostgrenze. Ein Angriff auf Polen und die baltischen Staaten kann nicht mehr als ganz und gar undenkbar betrachtet werden. Bei allen diesbezüglichen Denkspielen sollte man in Polen einen Aspekt unbedingt beherzigen: kannst Du zählen, zähle nicht auf Deutschland.

In der russischen Enklave Kaliningrad und in den russischen Gebieten, die unmittelbar an Lettland und Estland grenzen, befinden sich heute die gröβten Truppenansammlungen innerhalb Europas. Die militärische Schwäche der Nato in dieser Region und eine enorme bewaffnete Überlegenheit Russlands, laden Moskau regelrecht zu einem Vorstoβ ein.

Die russische Übermacht äuβert sich vor allem in der Fähigkeit, aus dem Stand, zeitlich und räumlich begrenzte, unvermutete Blitzangriffe vornehmen zu können. Ein solcher Überfall auf Nato-Gebiet würde wahrscheinlich nicht unbeantwortet bleiben. Der Kreml kann jedoch dabei davon ausgehen, dass eine Erwiderung der Nato so viel Zeit in Anspruch nehmen wird, dass Westeuropa, allen voran Deutschland, vor vollendete Tatsachen gestellt, die russischen Eroberungen hinnimmt und den „Triumph der Vernunft“ verkündet.

So könnte der Ernstfall aussehen

Durchaus vorstellbar wäre, dass die Russen innerhalb von 72 Stunden zwei oder gleich alle drei baltische Staaten überrollen, und dann der Nato mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen würde, sollte das Bündnis den Versuch wagen die besetzten Gebiete zurückzuerobern.

Die Nato-Ostflanke.

Bei einem Überraschungsangriff würden sich die Russen zudem größte Mühe geben, die symbolischen Nato-Truppenkontingente im Baltikum (insgesamt ca. 2.500 Soldaten an drei Standorten) friedlich und ohne Opfer außer Gefecht zu setzen. Die entwaffneten Mannschaften würden umgehend wieder im Westen landen. Solch eine „Geste des guten Willens“ würde ihre mildernde Wirkung ganz bestimmt nicht verfehlen.

Friedensbewegte Massenproteste in Westeuropa, vor allem in Deutschland, lautstarke Appelle „vernünftiger“ Politiker und Medien „mit Russland zu reden“ und „Russland zu verstehen“ könnten derweil das Schicksal des wieder einmal von Russland besetzten Baltikums schnell besiegeln.

Seine geographische Lage dürfte es Polen kaum erlauben, den drei baltischen Staaten zur Hilfe zu kommen. Wie eine geballte Faust schwebt die russische Enklave Kaliningrad über dem Land, und im Osten erstreckt sich das mit Russland militärisch eng verwobene Weiβrussland. Polen hätte groβe Mühe das eigene Territorium zu verteidigen.

Warschau liegt nur knapp 300 Kilometer von den Ausgangsstellungen des potentiellen Angreifers entfernt und wäre schnell Ziel eines starken russischen Zangenangriffs von Norden (Kaliningrad) und Osten (Weiβrussland), der die polnischen Streitkräfte im Raum der sog. Suwalki-Lücke umgehend von der polnisch-litauischen Grenze abschneiden würde.

Teile Polens, vielleicht sogar mit Warschau, würden den Russen in die Hände fallen. Von Moskau mit einem atomaren Angriff erpresst, könnte der Westen, auch das Biden-Amerika, ebenfalls im Falle Polens schnell „Ruhe geben“ und sich mit der durch die russische Aggression geschaffenen Tatsachen „realistisch“ abfinden.

Ob Moskau dieses düstere Szenario umsetzten könnte, würde vor allem von Deutschland abhängen. Ohne das Engagement des Schlüsselstaates der Nato in Mitteleuropa mit seinen ausgebauten US-Militäreinrichtungen, wäre ein Zurhilfekommen nicht denkbar. Aber hat Deutschland, etwas salopp ausgedrückt, Lust und Kraft, diese Aufgabe wahrzunehmen? Aus heutiger Sicht weder noch.

Deutsche würden östliche Nato-Partner bei Angriff alleinlassen

Meinungsumfragen lassen keinen Zweifel daran. Mehr als jeder zweite Deutsche ist dagegen, östlichen Bündnismitgliedern wie Estland, Polen oder Lettland militärisch beizustehen, wenn sie von Russland angegriffen werden. So die Antwort von 53 Prozent der Befragten bei einer entsprechenden Umfrage des renommierten Washingtoner Pew Research Center im Mai 2017.

Deutscher Antiamerikanismus.

In keinem europäischen Land, das für die Befragung untersucht wurde, ist die Ablehnung der sogenannten Beistandspflicht nach Artikel 5 – der das Herz der Nato bildet – so groß. Zum Vergleich: In den Niederlanden (23 Prozent), Polen (26 Prozent), in Kanada und den Vereinigten Staaten (beide 31 Prozent) sind die Gegner der Beistandspflicht klar in der Minderheit. In Frankreich und Großbritannien liegt die Ablehnungsrate bei jeweils 43 Prozent und in Spanien bei 46 Prozent.

In Deutschland sind vor allem Frauen dagegen, den östlichen Verbündeten im Falle eines russischen Angriffs zu helfen (62 Prozent). In Ostdeutschland unterstützen nur 29 Prozent der Befragten die Beistandspflicht, im Westen sind es immerhin 43 Prozent. Insgesamt sind nur vier von zehn Deutschen dafür, ein anderes Nato-Mitglied im Falle eines russischen Angriffs zu verteidigen.

Deutsche Zustimmung für Russland.

Spätere, wenn auch weniger repräsentative Umfragen, belegen diese Einstellung, die sich eher noch  verfestigt. Aber auch nur ein Blick in die deutschen Medien und in die Leserkommentare genügt, um sich das enorme Ausmaß der gesellschaftlichen Zustimmung für Russland und die gleichzeitige Ablehnung der Nato, der militärischen US-Präsenz in Deutschland und der Bundeswehr zu vergegenwärtigen. Diese weit verbreitete Haltung bleibt nicht ohne Einfluss auf den fortschreitenden Verfall der Bundeswehr.

Auch die deutsche Politik hält wenig von der Beistandspflicht

Daniel Kochis gilt als ein renommierter Analyst der konservativen Denkfabrik Heritage Foundation. In seinem auf dem Fachportal RealClear Defence veröffentlichten Artikel fordert er die neue deutsche Ampel-Regierung auf, Versprechen einzuhalten, die Berlin der Nato seinerzeit gegeben hat.

Es geht vor allem darum, die deutschen Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent des BIP zu erhöhen. Leider muss man davon ausgehen, dass solche Appelle in Berlin weiterhin auf taube Ohren stoßen werden. Äußerungen der noch amtierenden CDU-Verteidigungsministerin und Erklärungen derjenigen, die Deutschland die nächsten vier Jahre lang regieren sollen, lassen keine andere Deutung zu.

Die neue Regierung dürfte in dieser Hinsicht noch unnachgiebiger sein. Das zeigt ein kürzlich veröffentlichtes zwölfseitiges Papier der angehenden Regierungskoalition, in dem Sicherheitsfragen nur in den letzten zehn Absätzen äußerst kurzsilbig behandelt werden.

Die Verhandlungsführer der Ampel-Koalitionsparteien betonen in dem Dokument, dass „die Nato das Fundament der Sicherheit ist“ und schreiben im nächsten Satz über den Willen, die Ausrüstung der deutschen Streitkräfte zu modernisieren. Daraus lässt sich schließen, dass Berlin immerhin neue Flugzeuge kaufen will, damit Deutschland weiterhin am Programm der nuklearen Teilhabe teilnehmen kann, aber nicht viel mehr.

Kochis erinnert daran, dass die Nato bereits 2006 die Notwendigkeit erörterte, die Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent zu erhöhen, wovon mindestens 20 Prozent für „große“ Projekte zur Modernisierung der Ausrüstung aufgewendet werden sollten. Entsprechende Vereinbarungen wurden beim Nato-Gipfeltreffen in Newport/Wales, im September 2014 getroffen. Die Nato-Staaten wollten damals diese Verpflichtungen bis 2024 umsetzen.

Die Linke-Plakat.

Im Falle Deutschlands jedoch ist dies völlig abwegig. Berlin erklärte nämlich  schon vor der Pandemie, im Jahr 2019, als Deutschland, wohlgemerkt, noch einen Haushaltsüberschuss hatte, dass es das Zwei-Prozent-Ziel erst im Jahr 2031 erreichen könne. Das wäre ein Vierteljahrhundert nachdem es zum ersten Mal von den Verbündeten angepeilt wurde.

Gewiss, auch Berlin hat seine Militärausgaben erhöht. Heute gibt Deutschland 25 Milliarden Dollar mehr für die Verteidigung aus als 2015, aber das sind immer noch lediglich 1,53 Prozent des deutschen BIP.

Der zitierte Analyst der Heritage Foundation schreibt, dass selbst die Perspektive 2031, wenn Deutschland nach den jüngsten Erklärungen seinen Verpflichtungen endlich nachkommen will, ernsthaft gefährdet ist.

Erstens, weil die neue Regierungskoalition die Sozialausgaben deutlich erhöhen möchte, was sie höchstwahrscheinlich veranlassen wird, Einsparungen im Militärhaushalt vorzunehmen. Zweitens wächst in Berlin die Überzeugung, dass mit der Machtübernahme durch die Biden-Administration, die von Trump stark betonte „Zwei-Prozent-Frage“ nicht mehr so wichtig ist und man sie getrost zu den Akten legen kann.

Zwei-Prozent-Fetisch. Karikatur von Harm Bengen.

Sollten sich diese Vorhersagen bestätigen, so Kochis, „würde ein solches Signal in Moskau als Schwäche und in Osteuropa als Unbekümmertheit ausgelegt werden. In den USA würde es die Überzeugung festigen, dass die niedrigen europäischen Verteidigungsausgaben ein guter Grund für die USA sein sollten, Europa zu verlassen.“ Eine bessere Einladung an Moskau, wie die aus Berlin, militärisch im Baltikum und in Polen tätig zu werden, könnte es nicht geben.

Viel Geld für eine schlechte Bundeswehr

An dieser Stelle drängt sich die Frage auf: Wie ist der tatsächliche Zustand der deutschen Streitkräfte? Man könnte denken, dass ein Land wie Deutschland, das im Jahr 2020 58,9 Milliarden Dollar für die Verteidigung ausgegeben hat (berechnet nach der NATO-Methode und somit ohne Ausgaben für militärische Renten) über erhebliche Verteidigungsfähigkeiten verfügen muss. Polen gibt, nach derselben Berechnungsmethode, 7,8 Milliarden Dollar für seine Armee aus.

Auf dem Papier ist die Stärke der deutschen Landstreitkräfte, nach Angaben der britischen Denkfabrik IISS, die jedes Jahr den „Military Balance“-Bericht veröffentlicht, in dem der Zustand der Armeen aller Länder der Welt beschrieben wird, nicht viel größer als die Polens.

Die Deutschen haben 62.150 Soldaten und Offiziere, die Polen 58.500. In der deutschen Luftwaffe dienen 16.600, in der polnischen 14.300 Mann. Deutschland besitzt eine viel größere Kriegsmarine, während Polen über deutlich stärkere Spezialkräfte verfügt.

Wenn sich die „Auf-dem-Papier-Bestände“ der deutschen Streitkräfte nicht wesentlich von den polnischen unterscheiden, dann sind sie vielleicht in Bezug auf Ausrüstung, Ausbildung und Einsatzbereitschaft überlegen? Zur Beantwortung dieser Frage sei auf den soeben von der Heritage Foundation veröffentlichten Bericht „Index of Military Strength“ verwiesen, der unter anderem eine Analyse der Fähigkeiten der wichtigsten amerikanischen Verbündeten in der Welt enthält. Auch dem militärischen Potenzial Deutschlands wurde in dieser Studie einige Aufmerksamkeit geschenkt.

Nach Meinung der amerikanischen Fachleute „sind die deutschen Streitkräfte nach wie vor unterfinanziert und schlecht ausgerüstet“. Die Autoren der Studie zitieren einen anonymen deutschen Diplomaten, der von der „Financial Times“ mit den Worten zitiert wird, dass „Deutschland seinen Verteidigungshaushalt auf 3,0 bis 3,5 Prozent des BIP verdoppeln sollte, da es sonst Gefahr läuft, völlig taub, blind und wehrlos zu sein“.

Die deutschen Streitkräfte, die nicht nur in Litauen oder im Kosovo präsent sind, sondern auch Expeditionsaufgaben übernehmen, befinden sich, nach Meinung der amerikanischen Fachleute, immer noch auf einem niedrigen Niveau der Gefechtsbereitschaft, die heute bei 74 Prozent liegt.

Nach Ansicht der Experten der Heritage Foundation, sind die Anwesenheit der Bundeswehr bis vor kurzem in Afghanistan sowie weiterhin in Mali, aber auch z.B. die Teilnahme an der Überwachung des Luftraums der baltischen Staaten, nur möglich, weil deutsche Einsatzkräfte für die Durchführung dieser Missionen ihrer Ausrüstung in der Heimat „beraubt“ werden. Das wirkt sich nachteilig auf ihre Wirksamkeit und Ausbildung für die Heimatverteidigung aus.

Gängige Bundeswehr-Berichterstattung in Deutschland.

Das Ausmaß der Probleme wurde auch im Bundestagsbericht von 2021 noch einmal deutlich, in dem u.a. festgestellt wurde, dass nur 13 Leopard-2 Panzer einsatzbereit waren, statt der für die Ausbildung erforderlichen 35.

Auch die Personalprobleme sind nicht gelöst. Die Unzulänglichkeiten betreffen im Übrigen nicht nur die Bodentruppen, denn: „Fast die Hälfte der Piloten der Luftwaffe erfüllten die Anforderungen der NATO-Ausbildung nicht, da aufgrund des Mangels an verfügbaren Flugzeugen die Kriterien hinsichtlich der Flugstunden nicht erfüllt werden können.“

Auch fehlen Piloten, denn von den 220 Stellen für Kampfflugzeugpiloten sind nur 106 besetzt; bei den Hubschraubern ist das Verhältnis ähnlich: von 84 benötigten Piloten sind 44 im Dienst. Bei der deutschen Marine sieht es nicht besser aus, nicht nur wegen des Personalmangels, sondern auch, weil Einheiten aus dem Dienst genommen werden.

Wie im März 2021 bekannt wurde, verwenden mehr als 100 deutsche Schiffe, darunter auch U-Boote, russische Navigationssysteme, die nicht den NATO-Standards entsprechen. Es besteht die Möglichkeit, dass sie „gehackt“ werden, was den größten Teil der deutschen Marine die Einsatzfähigkeit kosten könnte.

Deutschland möchte seine Streitkräfte, vor allem die Reservekomponente, vergrößern. Nach Ansicht von Experten der Heritage Foundation werden diese Pläne, obwohl sie als sinnvoll erachtet werden sollten, nur schwer umsetzbar sein. Im Jahr 2020 ist die Zahl der Freiwilligen, die sich zur Teilnahme an der Ausbildung bereit erklärt haben, um 19 Prozent gesunken, und es gibt immer noch 20.200 offene Stellen bei der Bundeswehr. Das Durchschnittsalter der Soldaten ist seit 2012 um drei Jahre gestiegen und liegt heute bei 33,4 Jahren.

Im März 2021 hat der Bundestag die Beteiligung Deutschlands an einem gemeinsamen europäischen Drohnenbauprogramm (an dem auch Frankreich, Italien und Spanien beteiligt sind) gebilligt. Die Bundeswehr darf aber weiterhin keine Kampfdrohnen besitzen und Soldaten, die Beobachtungsdrohnen bedienen ist es nicht erlaubt den Einsatz von Drohnen als „taktische Waffen“ zu üben. Angesichts der stürmischen Entwicklung der Kampfdrohneneinsätze auf den modernen Schlachtfeldern sind die deutschen Streitkräfte auch in diesem Bereich ins Hintertreffen geraten.

Wenn die Russen bis 2031 warten, werden die Deutschen innerhalb von drei Monaten antreten

Im September veröffentlichte ebenfalls die schwedische militärische Denkfabrik FOI einen Sonderbericht über die Fähigkeiten der Bundeswehr. Ihre Erkenntnisse decken sich größtenteils mit dem, was die amerikanischen Fachleute geschrieben haben.

Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Deutschen, nach Ansicht der Autoren der schwedischen Studie, im Kriegsfall in der Lage wären, innerhalb einer Woche vom Beginn der Kampfhandlungen an, nur 3 bis 4 mechanisierte Bataillone aufzubieten, und dies nur an ihren festen Standorten. Hinzu kämen 2, vielleicht 3 leicht bewaffnete Bataillone der Infanterie, die auf dem Luftweg ins Kampfgebiet gebracht werden könnten.

Auf die Antwort auf die von der Bild-Zeitung gestellte Frage ist man auch in Polen gespannt.

Das ist, angesichts der jährlichen Verteidigungsausgaben von knapp 59 Milliarden Dollar, kein beeindruckendes Potenzial, und schon gar nicht eines, das Moskau erschrecken und die russische Elite dazu bringen würde, auf mögliche aggressive Schritte zu verzichten. Das Ziel des deutschen Verteidigungsministeriums ist es, und das erst im Jahr 2031, innerhalb von drei Monaten nach Kriegsbeginn drei volle Divisionen an Bodentruppen „in die Schlacht zu werfen“.

Aus polnischer Sicht ist die Botschaft klar. Selbst wenn Berlin seine Pläne weiterverfolgt und endlich die 2014 eingegangenen Verpflichtungen 2031 erfüllt, könnte der deutsche „Entsatz“ erst drei Monate nach Kriegsbeginn an der Ostflanke eintreffen.

Natürlich nur wenn diese „ehrgeizigen“ Absichten nicht von der neuen Koalition blockiert werden, und wenn in Berlin die Entscheidung fallen würde gegen den russischen Aggressor zu kämpfen, was aus heutiger Sicht wenig wahrscheinlich erscheint.

Der Bericht erschien im Internetportal „wPolityce.pl“ („inderPolitik.pl“) am 5. November 2021

RdP




Froh die einen, andere betreten. Kommen nach Polen US-Atomraketen?

Nach dem Scheitern des INF-Vertrages.

Die SPIEGEL ONLINE-Redaktion hat zu dick aufgetragen, als sie am 1. Februar 2019 titelte: „Polens Auβenminister fordert US-Atomraketen in Europa“. Warschau schob kurz darauf eine Klarstellung nach: der Minister habe in dem SPIEGEL-Gespräch die Stationierung nicht gefordert, sondern „nicht ausgeschlossen“. Die Hamburger Redaktion besserte umgehend nach. Doch so oder so, die Frage, ob es in Polen schon bald US-Atomraketen geben wird bleibt bestehen.

Die Verstöβe Russlands gegen und daraufhin der Ausstieg der USA aus dem Washingtoner Abkommen über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) am 1. Februar 2019, haben jedenfalls eine Kette von Ereignissen in Bewegung gesetzt, die zur Stationierung amerikanischer Nuklearwaffen in Polen führen könnten.

US-Präsident Reagan (r,) und der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow (l.) unterzeichnen den INF-Vertrag im Weißen Haus am 8. Dezember 1987.

Das zu Grabe getragene amerikanisch-sowjetische (russische) INF-Abkommen vom Dezember 1987 galt als ein Meilenstein in Sachen Abrüstung und Rüstungskontrolle. Nach siebenjährigen Verhandlungen haben sich damals Amerikaner und Russen verpflichtet, alle bestehenden landgestützten Flugkörper kürzerer, beziehungsweise mittlerer Reichweite (500 bis 5.500 Kilometer) zu vernichten sowie keine neuen herzustellen und zu testen.

Briefmarke der sowjetischen Post von 1987 aus Anlass der INF-Vertragsunterzeichnung.

Mobil, genau, verheerend

Gerade die landgestützten Marschflugkörper gelten als besonders gefährlich. Ihr Start ist schwieriger auszumachen als Abschüsse von Flugzeugen oder Schiffen. Auf geländegängigen Lkw montiert, mit einem nuklearen Gefechtskopf versehen, steuert sich der Lenkflugkörper selbst ins Ziel und fliegt dabei in einer Höhe zwischen fünfzehn und hundert Metern so niedrig, dass er nur schwer vom gegnerischen Radar erfasst werden kann.

Abgefeuert werden können auch taktische ballistische Mittelstreckenraketen, die mit bis zu siebenfacher Schallgeschwindigkeit auf eine Höhe von bis zu fünfzig Kilometern gebracht werden, ehe sie in der absteigenden Flugphase das Ziel punktgenau anpeilen. In beiden Fällen sind sie blitzschnell am Ziel. Den Verteidigern bleiben lediglich Minuten, um sie zu vernichten.

Vertragsgemäβ haben bis Mai 1991 die Amerikaner 846 ihrer Pershing- und Gryphonraketen, die Russen 1.846 ihrer SS-4, SS-5, SS-20 und SS-22 Raketen zerstört. Die Franzosen folgten 1996 diesem Beispiel. Zum ersten Mal wurden keine Obergrenzen festgelegt. Stattdessen hat man eine ganze Waffenfamilie aus Europa verbannt und das mit wirksamen Kontrollverfahren verbunden, die im Mai 2001 endeten.

Russland steigt aus

Putin am 10. Februar 2007 während seiner berüchtigten Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

Die Idylle dauerte jedoch nicht lange. Nach der Machtübernahme Wladimir Putins im Jahr 2000 begann Russland die INF-Verträge in Frage zu stellen. Vor allem, so hieβ es, weil Staaten wie China, Indien, Pakistan, Nordkorea oder Israel über diese Raketen verfügen. INF befriedige nicht mehr die Interessen Russlands. „Es ist offensichtlich, dass wir unter diesen Bedingungen darüber nachdenken müssen, unsere eigene Sicherheit zu gewährleisten“, so Putin am 10. Februar 2007 in seiner berüchtigten Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

Zudem gefielen den Russen die US-Pläne nicht, ein europäisches Raketenabwehrprogramm mit SM-3-Block-IIA-Raketen und X-Band-Radaren in Tschechien und Polen umzusetzen. Es sollte zwar ein Schutzschild gegen eventuelle Angriffe von Langstreckenraketen aus dem Iran und Nordkorea sein, aber Moskau gab vor, dem nicht zu trauen.

Aus amerikanischer- und Nato-Sicht hatte Moskau bereits Anfang der 2000er-Jahre beschlossen, den Vertrag auszuhöhlen, um erneut ein nukleares Drohpotential in Mitteleuropa aufzubauen. Schon 2013 bemühten sich die Amerikaner, auch Präsident Obama persönlich, die Russen von ihrem Vorhaben abzubringen. Wie leider üblich, so Dan Coats, Direktor der nationalen Nachrichtendienste im Januar 2018, „leugneten die Russen ihre Versuche. Sie gaben die Existenz des Marschflugkörpers erst dann zu, als wir ihnen zum Beweis die russische Bezeichnung des Geräts, 9M729, auf den Tisch gelegt haben“.

Startvorbereitungen einer Iskander-Rakete.

Im Juli 2014 machte das US-Verteidigungsministerium publik, Russland habe landgestützte Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometern getestet und damit gegen das Verbot verstoßen. Medienberichten zufolge handelte es sich um 9K720 Iskander-K. Dieser Typ wurde erstmals bereits 2007 erprobt.

Im Februar 2017 hieβ es aus Washington, Russland habe den INF-Vertrag gebrochen, indem es Mittelstreckenraketen nicht nur herstelle und teste, sondern bereits zwei aktive Bataillone seiner Streitkräfte damit ausgerüstet habe. Die Waffen seien von Startvorrichtungen auf Lastwagen aus einsetzbar.

Apokalyptische Bedrohung für Polen

Seit Juni 2018 sind Iskander-M-Abschussvorrichtungen mit ballistischen 9M723-Raketen bei Tschernjachowsk/ Insterburg im Gebiet Kaliningrad stationiert. Ihre Reichweite beträgt mindestens 700 Kilometer. Mit siebenfacher Schallgeschwindigkeit erreichen sie jedes Ziel in Polen in spätestens drei bis vier Minuten. Das amerikanische Flugabwehrsystem Patriot ist weitgehend machtlos gegen sie.

Noch heikler wird die Lage werden, sollten die Russen ihre Drohung wahr machen und die Iskander-K-Abschussvorrichtungen mit ballistischen 9M729-Raketen in die Gegend von Kaliningrad verlegen. Mit ihrer Reichweite können sie jede beliebige Stadt in Westeuropa, mit Ausnahme Portugals, einäschern.

Für Polen ergibt sich daraus eine geradezu apokalyptische Bedrohung. Das in eine Atomartilleriefestung verwandelte Kaliningrader Gebiet erlaubt den Russen, Polen in eine atomare Todeszone zu verwandeln. Sie soll Russland wirksam von den übrigen Nato-Staaten trennen und diese Staaten davon abhalten eine Gegenoffensive zu starten.

Das INF-Ende läutet eine neue Runde im atomaren Rüstungswettlauf ein. Die Amerikaner werden sehr schnell neue Kurz- und Mittelstreckenraketen haben und sie in Europa stationieren wollen. Dass es sich dabei um eine wirksame Abschreckungsmethode handelt, beweist die Entstehungsgeschichte des INF-Vertrages. Moskau sah sich erst genötigt ihn zu unterschreiben, nachdem die USA 1983 ihre Preshing-2 Flugkörper, wider den gigantischen Proteststurm der „Friedensbewegung“, nach Westeuropa gebracht hatten.

So wird es wahrscheinlich auch dieses Mal sein. Doch wohin mit den neuen US-Kurz- und Mittelstreckenraketen? Polen wird einer der ersten Staaten sein, bei denen Washington nachfragen dürfte.

Was spricht für ein polnisches „Ja“?

Ein russischer Angriff auf die Abschussvorrichtungen in Polen, egal ob atomar oder konventionell, würde einen sofortigen Nato-Vergeltungsschlag nach sich ziehen. Ohne Nato-Raketen in Polen könnten Russlands Kriegsplaner dem Trugschluss erliegen, die Nato werde keinen Atomkonflikt für Polen riskieren, auch wenn sie in dem Land Stützpunkte unterhält und diese verloren geben müsste.

Testabschuss einer Iskander-Rakete.

Oder wäre es gar kein Trugschluss? Ein konventioneller russischer Blitzangriff aus dem Stand, die schnelle Einnahme der baltischen Staaten und Polens bis zur Weichsel, bevor sich die Nato zu einer Gegenoffensive aufrafft, sind ein Szenario, das in den russischen Stäben immer wieder durchgespielt wird. Unmittelbar darauf folgen, soll ein öffentlichkeitswirksames Ultimatum Moskaus: eine Nato-Gegenoffensive zur Befreiung der besetzten Gebiete werde einen russischen atomaren Angriff auslösen.

Man kann sich leicht den ungeheuren Druck der westeuropäischen Öffentlichkeit vorstellen mit Moskau zu verhandeln und die Nato-Ostflanke lieber den Russen zu überlassen. Umfragen sprechen da eine deutliche Sprache: knapp sechzig Prozent der Deutschen sind strikt dagegen, östlichen Bündnismitgliedern wie Estland, Polen oder Lettland militärisch beizustehen, wenn sie von Russland angegriffen werden.

So gesehen, würde die Stationierung amerikanischer Atomraketen in Polen die Hemmschwelle gegen einen russischen Angriff deutlich anheben. Stärke schreckt ab, Schwäche (siehe Georgien 2008, Ukraine – Krim 2014 und Donbass seit 2014) verleitet die russische Politik traditionell zur Gewaltanwendung.

Wird es zu einer Stationierung kommen? Sollte sie aufgrund eines gemeinsamen Nato-Beschlusses erfolgen, dürfte es schwierig werden. Vor allem ist ein vehementer Widerstand aus Deutschland geradezu vorprogrammiert.

© RdP




Das Wichtigste aus Polen 13. Mai – 2. Juni 2018

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die  wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Der nach vierzig Tagen abgebrochene Schwerbehinderten-Protest im Parlament stellte die Regierung auf eine harte Probe. ♦ Die Frühjahrstagung der Parlamentarischen Versammlung der Nato in Warschau. Polens Stellung in der Nato nach knapp zwanzig Jahren Mitgliedschaft. ♦ Der EU-Haushaltsentwurf 2021 – 2027 der Europäischen Kommission. Polnische Vorbehalte.




Wohin marschiert die polnische Armee

Stärke braucht Geld und Geist.

Der stornierte Kauf von französischen Caracal-Hubschraubern, die Schaffung der Territorialverteidigung, personelle Veränderungen in der Armeeführung. Wenn überhaupt, dann wissen deutschsprachige Medien nur Negatives über die Verteidigungspolitik der nationalkonservativen polnischen Regierung zu berichten. Wie aber ist deren eigene Sicht der Dinge?

Der stellvertretende polnische Verteidigungsminister Bartosz Kownacki (fonetisch Kownatski) hat sich den Fragen des Wochenmagazins „wSieci“ („imNetztwerk“) vom 18.06.2017 gestellt.

Karmia Kownacki fot.
Stellv. Verteidigungsminister Bartosz Kownacki.

Kownacki (Jahrgang 1979) ist von der Ausbildung her Jurist, er leitete zwischen 2003 und 2005 seine eigene Anwaltskanzlei in Warschau, arbeitete 2005 – 2007 beim Militärischen Abschirmdienst und 2007 – 2010 in der Kanzlei von Staatspräsident Lech Kaczyński. Er ist seit 2011 Abgeordneter (2015 wiedergewählt) von Recht und Gerechtigkeit im Sejm und war bis zu seiner Berufung ins Verteidigungsministerium im parlamentarischen Verteidigungsauschuss tätig.

Vor einigen Wochen sagte Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, Polen werde erst in etwa zehn bis zwölf Jahren in der Lage sein sich selbst zu verteidigen. Wie darf man das verstehen?

Wir sind heute in einer sehr schwierigen Lage, sowohl was unsere geostrategische Situation angeht, wie auch den Zustand der polnischen Streitkräfte. Auf den ersten Umstand haben wir kaum Einfluss, aber auf den zweiten sehr wohl. Allerdings lassen sich die Modernisierung und die Instandsetzung der Armee nicht in wenigen Monaten bewerkstelligen, nicht einmal in einer Legislaturperiode. Da kann man nur mit der Arbeit beginnen. Die Zerstörung, die Auflösung einer Armee hingegen, geht viel einfacher vonstatten. Es genügt das Gros der Soldaten zu entlassen, die Ausrüstung zu entsorgen und die Kasernen zu verkaufen.

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Verteidigungsminster Antoni Macierewicz.

Wie ist die Regierung der Bürgerplattform unter Donald Tusk zwischen 2007 und 2015 mit der Armee umgegangen?

Ein bitterer Witz aus jener Zeit lautet: „Wozu braucht Tusk die Armee? Zum Sparen!“ Die Streitkräfte wurden in dieser Zeit systematisch beschnitten und in einen Beamtenapparat verwandelt.

Erstes Beispiel: die rigorose Entlassung aller Zeitsoldaten nach nur zwölfjähriger Dienstdauer, damit sie in Zukunft keine direkten Armee-Rentenansprüche erwerben (die Renten von ehemaligen Armeeangehörigen werden in Polen nicht aus der Sozialversicherungskasse sondern aus dem Verteidigungshaushalt gezahlt – Anm. RdP). Es handelte sich dabei meistens um Soldaten und Unteroffiziere im Alter zwischen 32 und 35 Jahren, oft mit sehr großer praktischer Erfahrung, und nicht selten hat ihre Ausbildung viel Geld gekostet. Aber es gab kein Pardon, sie mussten gehen.

Armia Tusk fot.
Ehem. Ministerpräsident Donald Tusk brauchte die Armee zum Sparen.

Das haben wir bereits im Januar 2016 durch ein Gesetz geändert. Wäre das nicht geschehen, hätten im Jahr 2016 knapp eintausend Soldaten die Armee verlassen müssen, 2017 wären es schon  tausendzweihundert, 2018 – tausendneunhundert, 2020 – siebentausendachthundert, 2021 – dreitausendfünfhundert und im Jahr 2022 – noch einmal dreitausenddreihundert Soldaten gewesen.

Zweites Beispiel: wir haben durchgesetzt, dass, wenn Fachstellen (Juristen, Programmierer usw.) mit niedrigeren Diensträngen besetzt werden, diese Leute, wenn nötig, wie ein Oberleutnant oder Oberst bezahlt werden können, ohne dass man sie befördern muss. Bis jetzt war das nicht möglich, und so haben wir ein Verteidigungsministerium vorgefunden, in dem allein gut siebenhundert Oberste arbeiteten.

Generell hat unsere Armee viel zu viele „Häuptlinge“, und die Tusk-Regierung hat acht Jahre lang nicht nur nichts dagegen unternommen sondern diesen Zustand noch verstärkt. Ungefähr vierzehntausend Offiziere, ca. zweiunddreißigtausend Unteroffiziere und etwa achtunddreißigtausend Schützen gibt es heute in der polnischen Armee, d. h. auf einen Kommandeur entfallen 0,9 Soldaten. Vor dem Zweiten Weltkrieg war das Verhältnis 1 : 4, in der US-Armee beträgt es heute 1 : 5.

Armia generałowie fot.
Auf einen Unteroffizier und Offizier entfällt weniger als ein Soldat.

Eine weitere Katastrophe wurde durch die überstürzte Abschaffung der Wehrpflicht im Sommer 2008 ausgelöst. Man kann sich das kaum vorstellen, aber zwischen 2009 und 2014 wurden in Polen keine Reservisten mehr zu Übungen einberufen! Als dann die Russen die Krim besetzten und der Konflikt in der Ostukraine ausbrach, bekamen unsere Vorgänger plötzlich kalte Füße und haben im Oktober 2014 auf einmal begonnen über vierzigtausend Altreservisten aus der Wehrpflichtzeit vor 2008 einzuberufen, was in einem Chaos endete.

Polen solle eine „Berufsarmee“ bekommen, das hatte Tusk seinen Wählern versprochen, doch die entsteht nicht automatisch mit der vorschnellen Abschaffung der Wehrpflicht. Der Wechsel kam abrupt, es wurde nicht mehr Geld zur Verfügung gestellt, obwohl eine Berufsarmee deutlich teurer ist als eine Armee aus Wehrpflichtigen. Im Gegenteil, es hieß, jetzt könne man erst recht sparen. Und so bekamen wir an den meisten Standorten einen Fehlstand von bis zu sechzig Prozent, also wahre „Geistereinheiten“, die nur auf dem Papier einen Kampfwert hatten. Zudem wurden Standorte reihenweise geschlossen. Liegenschaften des Militärs fielen oft genug einer Raubprivatisierung zum Opfer. Auf die Moral der Truppe wirkte sich das alles verheerend aus.

Die Armee als fünftes Rad am Wagen?

So kann man das auch beschreiben. Wozu eine Armee, wenn es keine Bedrohung mehr gibt für Polen? Der russische Krieg gegen Georgien von 2008 war gerade vorbei, als unsere Vorgänger ihr neues wehrpolitisches Credo vorstellten. Sie glaubten wirklich an den guten Willen Moskaus und daraus ergab sich ihr unverantwortliches Handeln. Außenminister Radosław Sikorski plädierte sogar für die Aufnahme Russlands in die Nato.

Die Jahresetats für Modernisierung von Bewaffnung und Ausrüstung wurden regelmäßig nicht ausgeschöpft. Dann haben unsere Vorgänger in den letzten Jahren ihres Amtierens ein gewaltiges Modernisierungsprogramm für die Armee im Wert von 300 Milliarden Zloty (ca. 72 Mrd. Euro – Anm. RdP) aufgestellt. In Wirklichkeit standen ihnen jedoch nur 70 Milliarden Zloty zur Verfügung (ca. 17 Mrd. Euro – Anm. RdP). Es endete damit, dass die damalige Regierung begann von allem ein bisschen was zu beschaffen.

Armia z kobietą fot.
Die Armee wurde so lange verkleinert bis man mit allen Angehörigen der Landstreitkräfte nicht einmal das Warschauer Nationalstadion mit knapp 60.000 Plätzen füllen konnte.

Während die einsatztaugliche Truppe schrumpfte, wuchs gleichzeitig der bürokratische Wasserkopf der Armee. Im Jahr 2014 konnte man mit allen Offizieren und Soldaten der polnischen Landstreitkräfte nicht einmal das neue Nationalstadion in Warschau mit seinen knapp sechzigtausend Sitzplätzen füllen, und das in einem Land mit 38 Millionen Einwohnern.

Verteidigungsminister Antoni Macierewicz wird vorgeworfen, er hätte verdiente und kompetente oberste Armee-Kommandeure rigoros gefeuert und durch ihm ergebene, inkompetente Offiziere ersetzt, um sich die Armee gefügig zu machen.

Zwischen dem 16. November 2015 als Antoni Macierewicz das Ministerium übernahm und dem 31. Januar 2017 sind 34 Generäle und 47 Oberste aus dem Dienst ausgeschieden. Einige wegen familiären und gesundheitlichen Problemen. Einige, weil sie das Rentenalter erreicht haben. Einige, weil sie sich die Zusammenarbeit mit uns nicht vorstellen konnten, und einigen haben wir den Abschied nahegelegt.

In den letzten beiden Gruppen waren ganz gewiss auch gute Fachleute mit guten Kontakten zur Nato. Doch sie haben die Zustände, die ich geschildert habe, entweder schweigend mitgetragen oder gar mitverursacht. Das war keine gute Empfehlung für die Zusammenarbeit mit uns.

Von Inkompetenz ihrer Nachfolger kann keine Rede sein. Alle weisen die erforderlichen Qualifikationen vor, viele haben zudem Kommandeurskurse und Studiengänge in den USA und anderen Nato-Staaten belegt. Das Adjektiv „ergeben sein“ würde ich durch das Adjektiv „loyal“ ersetzen. Nur mit Kommandeuren, die generell unsere Vorstellungen teilen und unsere Vorhaben mittragen, können wir die Armee instand setzen und modernisieren.

Es heißt, bei einem konventionellen Angriff auf Polen stünden russische Einheiten innerhalb von 36 Stunden vor Warschau.

Ja, noch vor zwei Jahren war das sehr wahrscheinlich. Unsere Landstreitkräfte bestanden damals aus dreizehn Brigaden. Jede kann wirksam einen Abschnitt von maximal fünfzehn Kilometern verteidigen. Das macht insgesamt knapp zweihundert Kilometer aus, aber unsere Ostgrenze ist tausendzweihundert Kilometer lang!

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Steht die russische Armee innerhalb von zwei Tagen vor Warschau?

Hinzu kommt, dass es damals auf dem riesigen Nato-Gebiet zwischen Estland und Bulgarien, also in zehn Nato-Frontstaaten, weit und breit keine amerikanischen oder anderen westlichen Nato-Truppen gab, auβer einigen Stäben und Ausbildungszentren. Die Nato-Kampfverbände erschienen nur ab und an zu Übungen. Bis etwa 2010 hatte die Nato nicht einmal Verteidigungspläne für den östlichen Teil des Bündnisses. Unsere Nato-Mitgliedschaft war damals eine fast rein politische.

Was die Tusk-Regierung hinsichtlich der Armee betrieb, war auch deswegen ein Spiel mit dem Feuer. Russland hat seit dem Machtantritt Putins im Jahr 2000 seine Armee völlig umgekrempelt und gewaltig modernisiert. Sie ist heute in der Lage, aus dem Stand, Blitzangriffe vorzunehmen und z. B. die baltischen Staaten oder Teile von Polen im Handstreich zu erobern, bevor sich die Nato für einen Gegenschlag entschließt. Und dann käme aus Moskau die Warnung, dass jeder Versuch der Nato diese Gebiete zu befreien mit einem russischen Atomschlag beantwortet werde.

Man kann sich leicht vorstellen, wie westliche Politik und Öffentlichkeit, vor allem in Deutschland, reagieren würden: Ein Atomkrieg wegen des Baltikums oder Polens? Niemals! Lasst uns verhandeln, man muss „die legitimen Interessen Russlands berücksichtigen“ usw., usf. Wie mit der russischen Annexion der Krim, würde man sich schnell auch mit der russischen Annexion des Baltikums und/oder Polens abfinden.

Nato-Gipfel in Warschau. Briefmarke von 2016.

Zum Glück hat sich das seit den Nato-Gipfeln in Newport (2014) und vor allem in Warschau (2016) grundlegend geändert. US-Truppen sind in Ostmitteleuropa, auch in Polen, stationiert und das bedeutet: ein Angriff auf Polen ist auch ein direkter Angriff auf amerikanische Streitkräfte. Das senkt die russische Risikobereitschaft erheblich.

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Nato-Gipfel in Warschau Juli 2016.

Was kann und sollte Polen also im Falle eines russischen Angriffs tun?

Wir müssen fähig sein den Angreifer bis zu zwei Wochen lang selbst aufzuhalten, damit die Nato-Verbündeten Zeit haben uns zur Hilfe zu kommen. Und dabei kann es sich nicht um die Verteidigung eines umzingelten Warschaus handeln, sondern das Ganze muss sich deutlich weiter im Osten abspielen. Schafft es der Gegner Warschau schnell zu erobern, dann kann er eine ihm genehme Regierung einsetzen und die Friedensbedingungen diktieren. Riskiert er langwierige Kampfhandlungen, ohne den Durchbruch zu erlangen, wächst für ihn das Risiko erheblich. Deswegen ist auch die Schaffung der Territorialverteidigung, die wir jetzt vornehmen so wichtig.

Eine Armee so groß und so stark wie die russische werden wir nie haben.

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Polnische Truppen im Irak.

Natürlich nicht, brauchen wir auch nicht. Unsere Vorgänger haben jedoch lange Zeit behauptet, Polen muss eine reine Expeditionsarmee haben, die unsere Verbündeten in Auslandsmissionen unterstützt.

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Polnische Truppen in Afghanistan.

So hat man das auch in Deutschland lange Zeit in Bezug auf die Bundeswehr gesehen. Mit heute beklagenswerten Folgen für die dortige Armee.

Expeditionsarmee: also kaufte man hier ein paar Hubschrauber, da gepanzerte Patrouillenfahrzeuge usw., was man gerade im Irak, in Afghanistan, in Mali so brauchte. Doch wenn es darauf ankommt unser Land zu verteidigen, werden Fähigkeiten und Ausrüstung, die zur Guerillabekämpfung taugen, kaum von Wert sein.

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Polnische Truppen in Mali.

Wir brauchen also eine ganz andere Bewaffnung und Ausrüstung. Wir müssen vor allem eine gute Aufklärung haben. Wieder ein Beispiel: die Tusk-Verwaltung hat gute Zielflugkörper-Küstenverteidigungsbatterien in Norwegen gekauft, aber sie können nur bedingt auf größere Distanz erkennen, was sich da unseren Grenzen nähert, weil ihr Radar nicht ausreichend ist.

Satelliten, Aufklärungsflugzeuge, Drohnen – das müssen unsere Prioritäten sein. Außerdem die sehr vernachlässigte Flugabwehr und schließlich die Möglichkeit, dem Gegner einen schweren Schlag auf seinem eigenen Gebiet zuzufügen. Dazu brauchen wir Schiffe und Flugzeuge mit Marschflugkörpern. Wir wollen weder Moskau noch ein anderes Stück von Russland erobern, aber sollten wir angegriffen werden, dann soll sich der Angreifer auf seinem Territorium nicht sicher fühlen.

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Caracal-Hubschrauber. Kauf storniert.

Gerade ist die Strategische Verteidigungs-Bestandsaufnahme abgeschlossen worden. Können wir sagen: der Weg hin zu einer leistungsfähigen, wirksamen Armee ist klar vorgezeichnet, wir wissen was wir wollen?

Wir haben in dieser Bestandsaufnahme festgelegt, was dringend notwendig ist und was erst einmal warten kann. Hinzu kommt die Erhöhung der Verteidigungsausgaben.

Werden es 2018 mehr als zwei Prozent des Bruttosozialproduktes sein?

Im nächsten Jahr bleibt es noch bei den zwei Prozent. Im Jahr darauf, 2019, soll eine Erhöhung auf 2,2 Prozent folgen, und bis 2030 wollen wir bei 2,5 Prozent ankommen.

Wie stark soll die polnische Armee sein? Zweihunderttausend Soldaten? Mehr?

Zweihunderttausend, die Territorialverteidigung mit eingeschlossen, das ist ein vernünftiges Minimum. Der jetzige Koeffizient der Zahl von Soldaten pro eintausend Einwohner platziert uns ziemlich weit unten in der europäischen Tabelle, dort wo sich Staaten befinden, die von anderen Nato-Ländern umgeben sind. Wir dagegen sind ein Frontstaat des Bündnisses. Wir reden also hier von einer Rückkehr zur Normalität, was sie Stärke unserer Armee angeht und nicht von irgendwelchen Hirngespinsten.

Sie sprachen davon, dass eine Vielzahl an neuer Bewaffnung und Ausrüstung angeschafft werden muss. Doch ihre politische Mannschaft hat gleich zu Beginn ihrer Amtsführung den Kauf der französischen Caracal-Hubschrauber storniert.

Erstens. Unsere Vorgänger haben den Kauf unmittelbar vor den Wahlen vereinbart. Uns aber haben sie die Verhandlungen über die Gegenleistungen des französischen Partners überlassen. Die Franzosen sprachen in den Medien viel von angeblich sechstausend neuen Arbeitsplätzen, die sie in Polen schaffen wollten, in einem Gegenwert von Milliarden von Euro. Nicht unser Verteidigungsressort sondern das Wirtschaftsministerium hat mit ihnen knapp ein Jahr lang darüber verhandelt. In Wirklichkeit wollten die Franzosen im jetzigen Hubschrauber-Reparaturwerk in Łódź ihre Maschinen aus angelieferten Fertigmodulen zusammenschrauben. Dazu brauchten sie nicht mehr als fünfhundert Leute. Sie gingen wohl davon aus, Polen werde es nicht wagen die Bestellung zu stornieren.

Zweitens. Der schwere Caracal-Hubschrauber sollte, in abgewandelter Form, als Transporthubschrauber dienen, als Marinehubschrauber zur Bekämpfung von U-Booten, als Rettungshubschrauber zur Evakuierung von Verwundeten, als Transportmittel für Spezialeinheiten bei ihren Operationen usw. Das konnte nicht gut gehen.

Auch bei der französischen Armee ist der Caracal nicht gerade ein Renner: etwa zwanzig Maschinen hat sie seit 2005 gekauft. Die Bundeswehr keine einzige, obwohl er von der französisch-deutschen Unternehmensgruppe Airbus Helicopters hergestellt wird. Unsere Vorgänger wollten gleich fünfzig Stück für einen extrem hohen Preis von knapp 14 Milliarden Zloty (knapp 3,4 Mrd. Euro) kaufen.

Drittens. Wir haben in Polen zwei Hubschrauberfabriken, geführt von zwei großen internationalen Konzernen, die viel investiert haben und etwa fünftausend Mitarbeiter beschäftigen. Diese Betriebe müssten ihre Produktion drastisch drosseln oder sogar schließen.

Viertens. Unsere jetzigen Hubschrauber können wir noch bis 2035 nutzen. Das sind die sowjetischen oder bei uns nachgebauten sowjetischen Modelle Mi-8, Mi-17, Mi-2 und W-3. Die Sache ist also nicht ganz so dringend.

Fünftens. Statt einem schweren Einheitshubschrauber brauchen wir Maschinen, die am besten die Aufgaben meistern, für die sie bestimmt sind.

Fazit. Unsere Vorgänger haben eine falsche Entscheidung getroffen. Es gab mindestens fünf gewichtige Gründe diesen chaotischen Kauf nicht zu tätigen.

Bei solchen großen Modernisierungsprogrammen sind riesige Gelder im Spiel, begleitet von heftigem Lobbyismus. Bei dem Caracal-Geschäft war der Druck gewaltig. Es hieß „Polen isoliere sich in der EU“ (Deutschlandfunk), „Polens rechtskonservative Regierung unter der PiS-Partei verliert sämtliche Sympathien im Ausland.“ („Handelsblatt“) usw., usf. Ein Teil der polnischen Medien verhielt sich genauso.

Der Lobbyismus ist wahrlich heftig. Zielpersonen sind oft unsere Parlamentarier, aber noch mehr macht er sich in den Medien bemerkbar. Zuerst kommen die Berichte, die das Fehlen irgendwelcher Waffen oder Ausrüstungen anmahnen, oder dass sie veraltet sind, dann werden konkrete Produkte vorgestellt und eine Kampagne beginnt, sie anzuschaffen. Manche Medien verhalten sich wie Handelsvertreter der Rüstungskonzerne.

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„Moderne Ausrüstung der polnischen Armee“. F-16 US-Mehrzweckkampfflugzeug. Briefmarke der Polnischen Post von 2013.

Wann werden all die Anschaffungen, die sie vorhaben, sich zu einem Ganzen zusammenfügen und einen richtigen qualitativen Sprung in der polnischen Verteidigungsfähigkeit bewirken?

Das ist ein Prozess. Auf die neuen U-Boote, die wir dringend brauchen, werden wir fünf, sechs Jahre warten müssen. So lange dauert der Bau. Für die Flugabwehr benötigen wir mindestens acht Batterien von Mittelstrecken-Flugabwehrraketen zur Bekämpfung von Flugzeugen, Marschflugkörpern und taktischen ballistischen Mittelstreckenraketen. Sie zu bauen dauert auch seine Zeit.

(Das Interview wurde einige Tage vor dem Besuch von US-Präsident Donald Trump am 6. Juli 2017 geführt. Ein Tag zuvor, am 5. Juli 2017, fand in Washington ebenfalls noch die Unterzeichnung eines polnisch-amerikanischen Vorvertrages statt, Polen wird in den USA die ersten zwei Batterien von Patriot-Flugabwehr-Mittelstreckenraketen der neuesten Generation  kaufen. Diese sollen bis 2023 einsatzbereit sein – Anm. RdP).

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„Moderne Ausrüstung der polnischen Armee.“ Radkampfpanzer „Rosomak“ („Bärenmarder“) in finnischer Lizenz in Polen gebaut. Briefmarke der Polnischen Post von 2013.

Außerdem, man kann keine Verträge über Millionen oder Milliarden von Euro hastig verhandeln. Wir müssen unser aller Geld schonen, erst nach harten Verhandlungen ausgeben, sonst haben nur Lobbyisten und die Rüstungskonzerne etwas davon. Wir müssen auch gewährleisten, dass im Zuge der Großeinkäufe moderne Technologien nach Polen kommen und Arbeitsplätze entstehen. Hätten wir, wie unsere Vorgänger, acht Jahre lang regiert, dann wäre der Modernisierungsprozess bereits weit gediehen. Doch schon gegen Ende unserer ersten Amtsperiode, 2019, wird vieles gemacht sein. Dann wird man von uns Rechenschaft einfordern können.

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„Moderne Ausrüstung der polnischen Armee.“ Minenräumbefehlsboot „Konteradmiral Xawery Czernicki.“ Briefmarke der Polnischen Post von 2013.

Wieviel von den Einkäufen wird das Verteidigungsministerium in polnischen Firmen vornehmen?

Soviel wie möglich. Die staatlichen Rüstungsfirmen, zusammengefasst im Rüstungskonzern Polska Grupa Zbrojeniowa SA (Polnische Rüstungsgruppe AG – Anm. RdP) und unsere Privatfirmen verfügen über ein sehr großes Potential. Wir brauchen nicht immer das Modernste. Es reicht oftmals aus, gutes Gerät zu einem guten Preis zu kaufen.

Auf den Straßen begegnet man heutzutage kaum noch Soldaten. Gibt es so wenige von ihnen oder ziehen sie sich um, wenn sie vom Dienst in die Öffentlichkeit gehen?

Ja, die Soldaten ziehen sich um, wenn sie aus den Kasernen gehen. Mir fällt es schwer das nachzuvollziehen, denn für mich ist das Recht eine Uniform zu tragen sehr prestigeträchtig. Mir, als einem zivilen, politischen Beamten steht dieses Recht nicht zu. Polnische Soldaten genossen in der langen Geschichte unseres Landes ein hohes Ansehen. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde die Armee regelrecht schlecht geredet.

Eine der wichtigsten Errungenschaften von Verteidigungsminister Macierewicz ist die, dass es ihm gelang die Moral der Truppe deutlich zu verbessern.

Zu dem Thema empfehlen wir auch folgende Beiträge:

Pausenlose Feindberührung. Die Cyberverteidigung der polnischen Armee

Blanke Ostflanke

Des Hauses Schwelle eine Festungswehr

»Leo« Polski 

RdP




Des Hauses Schwelle eine Festungswehr

Neue Truppen der Territorialverteidigung. Ein ABC.

Polens Armee bekommt eine fünfte Teilstreitkraft. Neben dem Heer, der Luftwaffe, der Marine und den Spezialeinheiten entstehen seit Neuestem die Truppen der Territorialverteidigung. Angesichts der Drohgebärden Russlands und des Kriegsgeschehens in der Ukraine folgt das Land dem Beispiel Finnlands, Groβbritanniens, Schwedens und vieler anderer Staaten, indem es auch auf Verteidigung und Katastrophenschutz vor Ort, „an der eigenen Hausschwelle“, setzt.

Doch deutsche Medien wissen es besser.

Parteiarmee, rechter Schlägertrupp, Freizeitpartisanen…

„Parteiarmee im Aufbau?“, titelt die „Junge Welt“ (08.11.2016) und unterstellt: „die leichte Bewaffnung der Territorialverteidigung ist völlig ausreichend, um zum Beispiel Streiks oder Demonstrationen niederzuschlagen. Bei einer Sejm-Debatte in der vergangenen Woche warf die Opposition denn auch das Stichwort von der »Parteiarmee der PiS« oder gar »Macierewiczs SA« (Verteidigungsminister Polens – Anm. RdP) in die Diskussion“.

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Polens Verteidigungsminister Antoni Macierewicz mit seiner deutschen Amtskollegin Ursula von der Leyen in Berlin während der polnisch-deutschen Regierungskonsultationen am 22. Juni 2016.

„Die Opposition“, so die Zeitung weiter „befürchtet, dass sich vor allem Rechte freiwillig zur Territorialverteidigung melden könnten. Das ist nicht auszuschließen. Die PiS umwirbt die polnische Faschistenszene politisch, verteidigte sie etwa gegen »Zensur«, als kürzlich Facebook eine Faschistenseite wegen rassistischer Inhalte schloss, und sie lehnt es ausdrücklich ab, Rechte bei der Bewerbung zum Dienst in der Territorialverteidigung »auszugrenzen«”.

Dass die heutige Regierungspartei sie umwirbt, sollte man erst einmal handfest beweisen, was nicht leicht fallen dürfte.

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Polnische Meisterschaften der Wehrorganisationen in Giżycko/Lötzen im August 2014.

Ähnlich alarmistische Töne („Säbelrasseln? Polen und der Nato-Gipfel“) schlagen die „Polen-Analysen“ (Nr. 185 vom 05.07.2016) an und satteln noch drauf: „Insgesamt ist die Aufstellung der „Territorialverteidigung“ Teil des Bemühens der Nationalkonservativen, die polnische Gesellschaft in ihrem politisch-ideologischen Sinne zu mobilisieren und zu militarisieren.“

In Wirklichkeit muss sich die Regierung in Warschau keineswegs „bemühen“. Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges im Frühjahr 2014, also noch zur Ära Tusk, erfahren die polnischen Wehrvereine einen enormen spontanen Zulauf. Die Tusk-Regierung hat das ignoriert, ihre Nachfolger wollen es zur Stärkung der Landesverteidigung nutzen.

„Rechtspopulistische Regierung. Triumph der polnischen Freizeitpartisanen”, spöttelt die „Süddeutsche Zeitung” (13.06.2016) und fügt hinzu: „Experten sehen den militärischen Wert der paramilitärischen Einheiten kritisch.” Zwar sehen bei weitem nicht alle Experten es so, aber auch das braucht der Leser nicht zu wissen.

… und das Dementi

Diese und ähnliche Behauptungen haben das Verteidigungsministerium (VM) am 17.11.2016 zu einer Erklärung veranlasst:

„Im Zusammenhang mit Berichten, »Truppen der Territorialverteidigung (TdT) sollen öffentliche Unruhen bekämpfen« und in einer besonderen Weise dem Verteidigungsminister unterstellt sein, teilt das VM folgendes mit:
Gemäβ der vor Kurzem im Parlament diskutierten Novelle zum »Gesetz über die allgemeine Verteidigungspflicht«, werden solche Vorhaben keinesfalls zum Aufgabenbereich der Territorialverteidigung gehören. Die TdT sollen die Fähigkeiten der Armee erweitern und ergänzen. Sie sollen in der Lage sein mit anderen Teilstreitkräften zusammenzuwirken, eigenverantwortlich Rettungsmaβnahmen vorzunehmen sowie die Selbstverteidigung vor Ort zu führen und zu organisieren.

Die TdT werden die fünfte Teilstreitkraft der Armee sein. Ihr Kommandeur wird in gleicher Weise wie die Kommandeure der übrigen Streitkräfte dem Verteidigungsminister unterstellt sein.
Ein bewusstes Verbreiten falscher Informationen über die TdT schädigt das Verteidigungssystem des Staates“, so die Erklärung des Verteidigungsministeriums.

Polnische Territorialverteidigung in Schlagworten

Arbeitgeber von Freiwilligen
Müssen rechtzeitig über geplante Übungen ihrer Arbeiter und Angestellten benachrichtigt werden. Können Kostenerstattung beantragen, wenn ihnen Verluste aufgrund von Abwesenheit des Freiwilligen am Arbeitsplatz entstanden sind, falls z. B. eine Ersatzkraft angeheuert werden musste.

Arbeitsplatz
Der Freiwillige darf wegen seiner Teilnahme an Übungen, Rettungsaktionen oder Kampfeinsätzen nicht gekündigt werden. Dies gilt nicht bei Konkurs sowie für Einstellungen auf Probe und bei Zeitverträgen.

Ausrüstung
Das Gros der 364 TdT-Kompanien (jeweils ca. 100 Soldaten) soll aus leichter Infanterie bestehen. Im Osten des Landes wird es auch einige TdT-Unterstützungs- und Einsatzkompanien geben, ausnahmslos ausgestattet mit neuer, leichter Flakartillerie, Ein-Mann-Boden-Luft-Raketen, tragbaren Antipanzerraketen.
Die Urheber des TdT-Programms legen groβen Wert darauf, dass die Ausstattung und Ausrüstung der neuen Einheiten weitestgehend aus polnischer Fertigung stammen wird. Vorgesehen sind u. a:

● die PR-15 RAGUN-Pistole,

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Made in Poland. Die PR-15 RAGUN-Pistole.

● „Beryl“, das auf der „Kalaschnikow“ basierende Sturmgewehr im NATO-Kaliber,

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Made in Poland. Beryl-Strurmgewehr.

● das Modulare Zubehörteil-Schusswaffensystem MSBS, ein Sturmgewehr im Nato- und im 7,53-Kaliber, mit einfach abnehmbarem Kolben, das, nach Bedarf, mit einem Granatwerfer, einem Zielfernrohr versehen werden kann oder auch, mit einem gröβeren Munitionsmagazin, als ein leichtes Maschinengewehr verwendet werden kann,

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Made in Poland. Das modulare MSBS-Sturmgewehr als leichte Infanteriewaffe (oben) und mit allem Zubehör (unten).

● die GROM-Ein-Mann-Boden-Luft-Rakete, die Hubschrauber, Flugzeuge, Marschflugkörper und Drohnen bei Tag und Nacht in einer Höhe zwischen 10 und 4000 Metern und einer Entfernung zwischen 500 und 6000 Metern mit enormer Treffsicherheit bekämpfen kann.

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Made in Poland. Die GROM-Ein-Mann-Boden-Luft-Rakete.

Hersteller dieser und anderer Waffen für die TdT ist der staatliche Rüstungskonzern PGZ SA (Polnische Rüstungsgruppe AG) mit seinen 33 Betrieben, an den gerade die ersten Groβaufträge vergeben werden.

Berufssoldaten
An der Spitze einer jeden TdT-Freiwilligenkompanie wird ein Berufssoldat stehen. Die ersten 66 Fähnriche (darunter 21 Frauen) haben Mitte November 2016 einen diesbezüglichen, einjährigen Lehrgang in der Heeresoffiziersschule in Wrocław/ Breslau begonnen. Insgesamt sollen Berufssoldaten etwa 10 Prozent der TdT ausmachen.

Devise
„Zawsze gotowi, zawsze w pobliżu“ – „Immer bereit, immer in der Nähe“.

Dienstdauer
Soll im Regelfall zwischen zwei und sechs Jahren liegen. Kann im Anschluss verlängert werden.

Emblem

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Entgelt
Es gelten dieselben Tagessätze pro Übungstag, wie bei den übrigen Streitkräften. Ein Gefreiter erhält – 112,33 Zloty (ca. 26 Euro), ein Stabsgefreiter – 118,67 Zloty (ca. 28 Euro), ein Fähnrich – 128,33 Zloty (ca. 30 Euro). Der TdT-Kompaniechef erhält als Berufssoldat eine Monatszulage von 600 Zloty (ca. 140 Euro).

Frauen
Werden nach den allgemein geltenden Kriterien in die TdT aufgenommen.

Gliederung
Polen ist in sechzehn Woiwodschaften (Provinzen) unterteilt. In jeder soll es eine TdT-Brigade (ca. 3000 Soldaten) geben. In der zentral gelegenen Woiwodschaft Mazowsze/ Masowien, mit der Hauptstadt Warschau, sind zwei Brigaden vorgesehen. Insgesamt also 17 Brigaden (jeweils 3 bis 4 Bataillone (4 bis 5 Kompanien). In jedem der 364 polnischen Landkreise soll eine TdT-Kompanie (ca. 100 Soldaten) als die kleinste Einheit der neuen Truppe wirken.

Hierarchie
Das am 1. Juli 2016 ins Leben gerufene Büro zur Schaffung der Territorialverteidigung soll bis zum 31. März 2017 in das Kommando der Territorialverteidigung umgewandelt werden. Sein Sitz ist Warschau. Dem Kommando werden die Stäbe der 17 Brigaden der TdT im ganzen Land unterstellt sein.

Juristische Grundlage
Es wurde kein separates Gesetz über die Schaffung der TdT verabschiedet, sondern eine diesbezügliche Novelle zum Gesetz über die allgemeine Pflicht zur Verteidigung der Republik Polen (Ustawa o powszechnym obowiązku obrony Rzeczypospolitej Polskiej). Am 16. November stimmten im Sejm 269 Abgeordnete dafür, 170 waren dagegen.

Demnach bilden die TdT die fünfte Teilstreitkraft der polnischen Armee und es wird eine neue Art des aktiven Militärdienstes geschaffen: der territoriale Militärdienst. Die Novelle tritt am 1. Januar 2017 in Kraft.

Katastrophenschutz
Auf allen Ebenen der Verwaltung (Woiwodschaft, Kreis, Gemeinde) existiert bei den Behörden eine Abteilung S-5 für die militärisch-zivile Zusammenarbeit im Kriegs- und Katastrophenfall. Die neuen TdT werden in dieses System eingegliedert. Der bisher geltende Grundsatz bleibt auch für die TdT gültig: im Ernstfall empfangen die Soldaten ihre Befehle und Anweisungen nur von ihren jeweiligen Vorgesetzten, die Befehlsgewalt über die Truppe geht nicht an die Zivilbehörden vor Ort über.

Kosten – Nutzen                                                                                                   Zwischen 2017 und 2020 sind für die TdT etwa 1,5 Mrd. Zloty (ca. 350 Mio. Euro) pro Jahr veranschlagt, das sind ca. 10 Prozent des Modernisierungsfonds der polnischen Armee. Sind die groβen Anschaffungen bezahlt, soll der Anteil am Modernisierungsfond auf 3 Prozent reduziert werden.

Gleichzeitig wird sich die Zahl der Soldaten des Heeres im Vergleich zu 2016 um mehr als die Hälfte erhöhen. Auf diese Weise soll kostensparend und schnell die Landesverteidigung verbessert und das Abschreckungspotential erhöht werden.

Leitung

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TdT-Chef Brigadegeneral Wiesław Kukuła.

Zum Kommandeur der TdT wurde am 23. September 2016 Oberst Wiesław Kukuła (Jahrgang 1972) berufen und am 23. November 2016 zum Brigadegeneral befördert.

Kukuła ist Diplomingenieur für Fernmeldewesen (Studium an der Warschauer Militärtechnischen Akademie WAT) und diente sich ab 1996 vom Zugführer zum Kommandeur des Fallschirmjägerregiments 4101 im Jahr 2012 hoch. Während dieser Zeit leistete er ebenfalls Dienst beim polnischen Truppenkontingent im Irak (2003 – 2004), des Weiteren absolvierte er Nato- und US-Kurse für Kommandeure von Spezialeinheiten.

Mobilität                                                                                                                               Ein Teil der TdT-Kompanien in den Landkreisen ist für den Objektschutz vorgesehen (wichtige militärische Einrichtungen, Brücken, Kraftwerke, Staudämme usw.). Der Rest soll im Landkreis bzw. in der Woiwodschaft vor allem helfen Sabotage im Hinterland der regulären Truppen zu bekämpfen und im Falle einer eventuellen Besetzung des Landes Widerstand organisieren und leisten. Eine gute soziale Einbindung und Ortskenntnisse sind dabei von groβer Bedeutung.

Patriotismus, Politik
„Vor fast zehn Jahren wurden unsere Streitkräfte in eine Berufsarmee umgewandelt, verkleinert (auf gut 90.000 Mann – Anm. RdP) und auf eine immer wieder reduzierte Zahl von Standorten und Übungsplätzen verteilt.“ (Zu Zeiten der Tusk-Regierung wurden fünf Jahre lang keine Reservisten mehr zu Übungen eingezogen und der Witz „Wozu dient die polnische Armee? Zum Sparen“ machte die Runde – Anm. RdP). „Die Armee hat sich von der Gesellschaft entfernt. Die TdT bedeuten eine Chance, das wieder zu beheben“ (TdT-Kommandeur Gen. Kukuła im Interview mit der Zeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) vom 17- 18.12.2016).

„In den letzten Jahren geschah vieles, was unser Sicherheitsgefühl erschüttert hat. Leider auch in unmittelbarer Nähe unserer Grenzen. Das prägt die Haltung. Vor allem unter den jungen Männern wächst das Gefühl, man sei verpflichtet die eigene Familie, die Gemeinschaft, das Land zu verteidigen. Oftmals gehört dies zu unserem Lebensstil und unseren Werten und ist damit etwas, was wir normalerweise gar nicht besonders bemerken. Diese Leute sind „das Salz dieser Erde“. Ich bin sehr stolz eine solche Haltung zu beobachten und sehe mich mit ihr im Einklang“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

Wie allen anderen Soldaten in Polen, soll es den TdT-Angehörigen untersagt sein politischen Parteien, Gewerkschaften, Vereinigungen anzugehören. Auch das öffentliche Auftreten von Soldaten unterliegt, qua Gesetz, weitgehenden Einschränkungen.

Regionale Bezogenheit
„Unser Motto lautet »Immer bereit, immer in der Nähe«. Die Einbindung der TdT in das soziale Gefüge der Region ist eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Verteidigung. Sie sind dazu da, die Menschen vor Ort und die Einrichtungen, die sie nutzen zu verteidigen oder vor Naturkatastrophen zu schützen.“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

Training
Für Reservisten nach dem Armeedienst: ein bis zwei Wochenenden pro Monat und einmal im Jahr eine zweiwöchige Übung auf dem Truppenübungsplatz.
Für Anfänger: ein viermonatiger durchgehender Vorbereitungsdienst, danach Übungen, entsprechend den Reservisten, s. o.
Die Wochenendübungen finden zwischen September und Juni, die zweiwöchigen Übungen im Juli bzw. August statt.

Waffenaufbewahrung
„Man ist anfänglich davon ausgegangen, dass die Waffen zu Hause aufbewahrt werden. Das war nicht realistisch, weil zur Ausrüstung der leichten Infanterie u. a. schwere Maschinengewehre, Präzisionsgewehre, Granatwerfer, panzerbrechende Waffen usw. gehören. Dieses Kriegsgerät muss in Friedenszeiten unter Aufsicht bleiben. Es wird für jede Brigade, teilweise auch jedes Bataillon, zentral gelagert, zu den jeweiligen Übungen und Manövern gebracht und am Ende wieder eingesammelt. Im Ernstfall werden die Waffen unbefristet „an den Mann“ ausgehändigt.“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

Wehrorganisationen
Während in Deutschland die Schützenvereine überwiegend in Bierzelten kämpfen, übt ihre polnische Entsprechung an den Wochenenden im Gelände. Uniformen und Militärgerät müssen sie sich selbst kaufen und bezahlen, über Waffen verfügen sie nicht. Diese werden ihnen nur zeitweise, meistens für einige Stunden, zu Schieβübungen unter Aufsicht des Militärs zur Verfügung gestellt und danach wieder eingesammelt.

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Mitglieder von Wehrorganisationen üben an Waffen nur unter Aufsicht der Armee.

Der Patriotismus, der dort gepflegt wird knüpft an die vielfältigen freiheitlichen Traditionen des polnischen Unabhängigkeitskampfes vom 18. bis zum 20. Jahrhundert an. Oft sind diese Organisationen eng verknüpft mit der Pfadfinderbewegung. Das Augenmerk konzentriert sich dabei auf die Landesvereidigung. Weder lehnen sie die parlamentarische Demokratie ab, noch verstehen sie sich als Speerspitze eines Umsturzes. Von einschlägigen deutschen rechtsextremen Vereinigungen, wie der berüchtigten „Wehrsportgruppe Hoffmann“ sind sie Lichtjahre entfernt. Auch kriminelle Verstrickungen, wie z. B. im Falle der deutschen „Wehrsportgruppe Rohwer“ sind nirgendwo festgestellt worden.

Mitglieder der Wehrvereinigungen können einzeln oder gruppenweise in die TdT eintreten, wenn sie alle vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllen. Nach drei Jahren TdT-Dienst können sie sich bevorzugt um Aufnahme in die Armee als Berufssoldaten bewerben.

Voraussetzungen für Freiwillige
Polnische Staatsangehörigkeit. Alter: 18 bis 50 Jahre. Vor der Aufnahme in die TdT findet eine musterungsärztliche Begutachtung statt. Freiwillige in den TdT stehen in einem Dienstverhältnis. Alle Verstöβe gegen die Militärdisziplin bei Übungen, Manövern und Einsätzen werden nach dem Militärrecht geahndet.

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Bei der Aufnahme in den territorialen Wehrdienst gelten dieselben Musterungskriterien, wie bei der Aufnahme in die Berufsarmee.

Zeitplan                                                                                                                                       Bis Mitte 2017 sollen die ersten drei Brigaden im Osten des Landes entstehen, in den Woiwodschaften Lublin, Podlaskie (mit Białystok) und Karpatenvorland (mit Rzeszów).

Bis Ende 2017 soll es zwei weitere geben: die erste in der Woiwodschaft Masowien (mit Warschau) – hier sind zwei Brigaden geplant, und in Ermland-Masuren (mit Olsztyn/Allenstein).

2018 – Kujawien-Pommern (mit Bydgoszcz/Bromberg), Pommern (mit Gdańsk/Danzig), Heilgkreuz (mit Kielce), Kleinpolen (mit Kraków) und Łódź.

2019 – die letzten sechs Brigaden: Schlesien (mit Katowice), Opole/Oppeln, Groβpolen (mit Poznań), Westpommern (mit Szczecin), Niederschlesien (mit Wrocław/Breslau) und Lebus (mit Zielona Góra/Grünberg).

2021 soll die Bildung der TdT abgeschlossen sein. Truppenstärke: 53.000.

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Zweifel

1. Eine Armee von Amateuren und Freizeitpartisanen?                            „Diese Bezeichnung ist nicht gerechtfertigt. Nehmen wir einmal die Kraftfahrer. Auch sie werde in Profis und Amateure unterteilt. Die meisten Kraftfahrer sind dabei keine Profis, jedoch viele von ihnen legen Jahr für Jahr um die fünfzigtausend Kilometer im Auto zurück, haben viel Erfahrung, fahren sicher und zuverlässig. Oft sind sie den Profis ebenbürtig.

In den USA werden die Soldaten der Nationalgarde, zusammen mit Berufssoldaten, zu Auslandseinsätzen geschickt. Die künftigen polnischen Soldaten der TdT sind sehr motiviert, das wissen wir schon heute, und sie sollen ähnlich geschult werden wie ihre US-Kollegen. Von Amateuren kann keine Rede sein.“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

2. Eine Wach- und Schlieβgesellschaft?
„So wie in der Militärdoktrin des Warschauer Paktes, stellen manche Fachleute die neue Truppe als eine Ansammlung von Wacheinheiten, die an Brücken und Straβen Posten stehen oder als eine Armee zweiter Klasse dar, die das abgenutzte Gerät der Landstreitkräfte benutzen darf. Das werden die TdT nicht sein“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

3. Gegen erfahrene russische Fallschirmjäger-Sabotagetrupps keine Chance?
„Ein Soldat genießt nicht den Komfort sich seinen Gegner aussuchen zu können. Meine Aufgabe ist es also, die Soldaten auf den Kampf mit jedem vorzubereiten, der die Souveränität und Sicherheit des Landes bedroht. Wenn es feindliche Spezialkräfte sein sollten, so haben auch die viele Schwächen. Glauben Sie mir, als ehemaliger Kommandeur eines Fallschirmjägerregiments weiβ ich wovon ich rede.

Angefangen bei der Struktur, über das Training bis hin zur Bewaffnung der Truppen der Territorialverteidigung bereiten wir uns darauf vor, den Kampf mit jedem Gegner aufzunehmen. Unsere Bewaffnung muss gewährleisten, dass wir in jedem  Fall einen Kampf auf gleicher Augenhöhe führen können. Wir sind bereit für das Vaterland zu sterben, aber unser wichtigstes Ziel ist die Bezwingung des Gegners, damit wir Polen weiterhin dienen können.

Ein Aspekt wird oft vergessen: die TdT gehören zu unserem Abschreckungspotential, denn sie sind auch dazu da den allgemeinen Widerstand gegen einen Angreifer oder Besatzer zu organisieren“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

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Blanke Ostflanke

Die Verwundbarkeit der Nato im Baltikum und in Polen.

In der russischen Enklave Kaliningrad und in den russischen Gebieten, die unmittelbar an Lettland und Estland grenzen, befinden sich heute die gröβten Truppenansammlungen innerhalb Europas. Die militärische Schwäche der Nato in dieser Region und eine enorme bewaffnete Überlegenheit Russlands, laden Moskau regelrecht zu einem Vorstoβ ein.

Nachfolgend dokumentieren wir groβe Auszüge eines Artikels, der in der Wochenzeitung „Gazeta Polska“ („Polnische Zeitung“) vom 24. April 2016 erschienen ist.

Wschodnia flanka emblemat szczytu
Die Probleme der Ostflanke sind Thema des Nato-Gipfeltreffens in Warschau am 8.-9.Juli 2016.

Die russische Übermacht äuβert sich vor allem in der Fähigkeit, aus dem Stand, zeitlich und räumlich begrenzte, unvermutete Blitzangriffe vornehmen zu können. Ein solcher Überfall auf Nato-Gebiet würde nicht unbeantwortet bleiben. Der Kreml kann jedoch dabei davon ausgehen, dass eine Erwiderung der Nato so viel Zeit in Anspruch nehmen wird, dass sich das Bündnis am Ende vor vollendete Tatsachen gestellt sehen könnte.

Widerstand der Liliputaner

Durchaus vorstellbar wäre, dass die Russen innerhalb von 72 Stunden die drei baltischen Staaten überrollen, und dann der Nato mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen, sollte das Bündnis den Versuch wagen die besetzten Gebiete zurückzuerobern. Friedensbewegte Massenproteste in Westeuropa, vor allem in Deutschland, lautstarke Appelle „vernünftiger“ Politiker und Medien „mit Russland zu reden“ und „Russland zu verstehen“ könnten das Schicksal des wieder einmal von Russland besetzten Baltikums schnell besiegeln.

Wschodnia flanka Nato mapa
Die Nato-Ostflanke

Insgesamt können die drei baltischen Staaten: Estland, Lettland und Litauen für den Kriegsfall vier bis fünf reguläre Brigaden (etwa 30.000 Mann) aufbieten, unterstützt von der Territorialverteidigung. Es handelt sich hierbei ausnahmslos um leichte Infanterie, fast gänzlich ohne schweres Gerät. Eine eigene Luftwaffe haben die Balten, bis auf einige wenige lettische Hubschrauber sowjetischer Bauart, nicht. Ihre Flugabwehr besteht aus tragbaren Singer- und Mistral-Raketen, geeignet um Luftziele in geringen Höhen abzuschieβen.

Die Seestreitkräfte bestehen aus einigen wenigen Minensuch- und kleinen Patrouillenbooten. Weder die in der letzten Zeit angeschafften 90 Schützenpanzerwagen der estnischen Armee noch die neuen leichten Panzerhaubitzen der lettischen Streitkräfte könnten der erdrückenden russischen Übermacht etwas anhaben.

Polen einsam an vorderster Front

Eine Schlüsselrolle im Nato-Ostseeraum spielt Polen. Seine Landstreitkräfte bestehen aus drei Divisionen mit u. a. zehn voll ausgerüsteten Infanteriebrigaden. Das Land verfügt, nach der Türkei, über die meisten Panzer unter den europäischen Nato-Staaten. Es handelt sich dabei überwiegend um deutsche Leopard-Panzer. Ein Teil stammt jedoch noch aus der Zeit des Warschauer Paktes, wurde aber, soweit möglich, aufwendig auf den neusten Stand gebracht.

Die neue Regierung unter Frau Beata Szydło ist inzwischen emsig dabei, die Versäumnisse ihrer Vorgänger abzuarbeiten. Eine Freiwilligen-Territorialarmee wird aufgebaut. Truppenstandorte vom Westen des Landes (ein Überbleibsel aus der Epoche des Warschauer Paktes) werden in den, bis jetzt fast wehrlosen, Osten des Landes verlegt. Eine zahlenmäβige Aufstockung der Streitkräfte ist im Gange.

Doch seine geographische Lage dürfte es Polen kaum erlauben, den drei baltischen Staaten zur Hilfe zu kommen. Wie eine geballte Faust schwebt die russische Enklave Kaliningrad über dem Land, und im Osten erstreckt sich das mit Russland militärisch eng verwobene Weiβrussland. Polen hätte groβe Mühe das eigene Territorium zu verteidigen.

Wschodnia flanka Suwałki

Warschau liegt nur knapp 300 Kilometer von den Ausgangsstellungen des potentiellen Angreifers entfernt und wäre schnell Ziel eines starken russischen Zangenangriffs von Norden (Kaliningrad) und Osten (Weiβrussland), der die polnischen Streitkräfte im Raum der sog. Suwalki-Lücke umgehend von der polnisch-litauischen Grenze abschneiden würde.

Nato mit Lupe suchen

Die ständige militärische Anwesenheit der Nato in und an der Ostsee blieb seit dem Nato-Beitritt der drei baltischen Staaten im Jahr 2002 auf ein absolutes Minimum beschränkt. Im Rahmen der s.g. Baltic Air Policing Mission überwachen vier in Litauen stationierte Jagdflugzeuge jeweils eines Nato-Landes drei bis vier Monate lang den Luftraum über dem Baltikum. Anschlieβend wird an ein anderes Nato-Land, das über Luftstreitkräfte verfügt, übergeben. Seit Mai 2014 sind auch in Estland abwechselnd vier Nato-Flugzeuge stationiert.

Gröβere Verbände von Nato-Schiffen erscheinen in der Ostsee nur selten zu Übungen.

In Polen und im Baltikum sind, nach dem Rotationsprinzip, einige Kompanien der US-Army stationiert. Ihre Anwesenheit soll die Hemmschwelle für einen eventuellen russischen Angriff deutlich erhöhen. Obwohl rein symbolisch, garantiert die US-Präsenz eine sofortige Einbeziehung der USA in einen von Russland angezettelten Konflikt.

Erst jetzt werden in Polen und im Baltikum erste Geräte- und Vorratslager für amerikanische Truppen, die im Ernstfall zur Hilfe kommen sollen, angelegt.

Im Kriegsfall hat die „Einsatzgruppe mit sehr hoher Einsatzbereitschaft“ (VJTF) der Nato 48 Stunden um zu reagieren. Ihr zur Seite sollen kleine Einheiten von Spezialkräften, sowie sehr beschränkte Luftwaffen- und Marinekontingente stehen.

Weiteren vorgesehenen Entsatztruppen bleiben sieben Tage Zeit. Das Problem besteht darin, dass innerhalb der beiden Fristen (zwei bzw. sieben Tage) die genannten Nato-Streitkräfte ihre Einsatzfähigkeit erreichen sollen. Vor Ort erscheinen würden sie erst danach, und das nur, wenn alle 28 Nato-Regierungen dem Einsatz zugestimmt haben. Und das kann dauern.

Die besetzen baltischen Staaten können also im Ernstfall nur auf die schnelle Reaktion der USA zählen. Hierfür bestimmt ist die 82. Luftlandedivision in Fort Bragg/South Carolina. Ein Bataillon dieser Einheit kann innerhalb von 18 Stunden an jedem Ort in der Welt landen, die ganze Division, mit Ausrüstung, spätestens nach 96 Stunden.

Es soll nach Westen gehen

Seit einigen Jahren modernisieren und bauen die Russen ihre Streitkräfte im Westen des Landes sehr zügig aus und sind dadurch, im Ostseeraum, der Nato konventionell weit überlegen.
Die Veränderungen begannen bereits in der Amtszeit des vorherigen Verteidigungsministers Anatolij Serdjukow (2007-2012) und werden unter seinem Nachfolger Sergei Schoigu mit noch mehr Nachdruck fortgesetzt.

Viele kleine, oft heruntergekommene Standorte wurden geschlossen, verbliebene hat man aufwendig modernisiert. Wo früher oft die Hälfte, und mehr, des Personals fehlte, ist heute die volle Sollstärke vorhanden. Neue Standorte und Einheiten sind entstanden.

Seit 2010 existiert der Westliche Wehrkreis. Es ist der gröβte von vier Wehrkreisen, in die Russland aufgeteilt wurde. Er erstreckt sich von der Arktis bis zur Ukraine und vom Ural bis zur Ostsee. Seine Kommandozentrale befindet sich in St. Petersburg. Ihm unterstellt sind drei Armeen, eine ganze Reihe weiterer selbständiger Bodentruppeneinheiten, die Baltische- und die Nordmeerflotte, erhebliche Luftlande- und Luftabwehrkräfte sowie strategische Atomraketeneinheiten.

Zu den beweglichsten Einheiten gehören drei Luftlandedivisionen und drei Brigaden SpezNas-Sondertruppen des russischen militärischen Nachrichtendienstes GRU, die gegnerische Befehlszentralen und wichtige Anlagen im Hinterland des Gegners im Handstreich besetzten oder vernichten sollen.
Ihnen zur Seite stehen eine Flotte von Transport- und Kampfflugzeugen und starke Luftabwehreinheiten. Schnell auf groβe Entfernungen verlegbar, wären diese Kräfte geeignet die Vorhut eines Überraschungsangriffs auf die baltischen Staaten zu bilden.

Eine zweite Welle würde, wie bereits erwähnt, aus den drei  Armeen bestehen, von denen zwei inzwischen bereits voll einsatzfähig sind und eine sich im Aufbau befindet.

Das Kommando der 6. Armee befindet sich in St. Petersburg. Die Kräfte der 6. Armee sind im Osteeraum entlang der Grenze zu Lettland, Estland und Finnland verteilt: in der Nähe von Pskow, um St. Petersburg und auf der Karelischen Landenge.

Die 1. Panzerarmee mit Kommando in Moskau, besteht u. a. aus zwei Elite-Einheiten: die 4. Kantemirow-Division und die 2. Taman-Division. Sie sollen im Ernstfall über Weiβrussland auf Polen, Litauen und die Nord-Ukraine vorstoβen.

Die 20. Armee mit Kommando in Woronesch wird neu aufgestellt. Sie soll über weniger Panzer, dafür mehr leichte Kampffahrzeuge verfügen.

Die 1. und die 20. Armee sollen bevorzugt mit dem modernsten Kampfpanzer T-14 Armata und dem neuentwickelten Schützenpanzer T-15 Kurganez beliefert werden.

Der unsinkbare „Flugzeugträger“ Kaliningrad

Eine sehr groβe strategische Bedeutung hat die Gegenwart Russlands an der Pregelmündung.

Der wichtigste Marinestützpunkt der Baltischen Flotte befindet sich in Baltijsk/Pillau. Hier liegen die meisten der fünfzig Schiffe dieses Verbandes vor Anker (darunter zwei Zerstörer, zwei Fregatten, drei Korvetten und zwei U-Boote vom Typ Projekt 877 Heilbutt). Sehr wichtig für eventuelle Angriffsoperationen sind die vier groβen Landungsschiffe der Ropucha-Klasse und die zwei gröβten Luftkissenlandungsboote der Welt vom Typ „Wisent“, die jeweils bis zu 140 Soldaten und 30 Tonnen Fracht befördern können. Dem Kommando der Baltischen Flotte untersteht auch eine nicht kleine Anzahl von Flugzeugen des Typs Su-24, Su-27, An-26, Mi-24, Mi-8 und Ka-27.

Bałtyk mapa

Die Baltische Flotte Russlands hat zwei Aufgaben zu erfüllen. Zum einen soll sie die Kaliningrader Enklave verteidigen und die Seeverbindungen nach St. Petersburg schützen. Zum anderen soll sie die baltischen Staaten und Polen von der See her abriegeln, indem sie vom Finnischen Meerbusen, den Alandinseln, der Insel Gotland bis hin zur Südküste der Ostsee operiert.

Die russische Flotte verfügt in der Ostsee über eine enorme Übermacht. Die baltischen Staaten haben keine Seestreitkräfte. Die polnische Marine, in die seit dem Ende des Kommunismus kaum investiert wurde, ist heute praktisch kampfunfähig. Die Finnen beschränken sich auf die Küstenverteidigung, die sie allerdings mit modernen Schiffen bewerkstelligen. Schweden hat seine einst sehr starke Marine weitgehend abgeschafft. Die deutsche Marine, nur im äuβersten westlichen Winkel der Ostsee präsent und zu offensiven Operationen ohnehin kaum fähig, hätte vor allem mit dem eigenen Küstenschutz und der Sicherung der dänischen Meerengen alle Hände voll zu tun.

Im Kaliningrader Gebiet sind drei Bodentruppeneinheiten stationiert: die 336. Marineinfanteriebrigade in Bakltijsk/Pillau, die 79. Motorisierte Infanteriebrigade in Gusew/Gumbinnen und das 7. Motorisierte Infanterieregiment in Kaliningrad.

Warschau in 12 Minuten vernichtet

In Tscherniachowsk/Insterburg hat die 152. Garde-Raketenbrigade ihren Standort. Sie ist mit Totschka-U-Gefechtsfeld-Kurzstreckenraketen (70 – 120 Kilometer Reichweite) ausgerüstet. Das System, auf geländegängigen Lastkraftwagen installiert, ist hochbeweglich und schnell verlegbar. Die kürzeste Zeit zwischen voller Fahrt, anhalten und dem Raketenstart beträgt nur fünf Minuten. Jedes Fahrzeug ist mit einer Rakete ausgestattet, die mit unterschiedlichen, auch atomaren, Gefechtsköpfen bestückt werden kann, deren Sprengkraft bis zu 200 Kilotonnen beträgt (die Hiroshima-Atombombe hatte eine Sprengkraft von 15 Kilotonnen).

Das Totschka-U-System kann kurzfristig durch das Iskander-M-System ersetzt werden, wodurch sich die Reichweite der Atomraketen auf bis zu 700 Kilometer erhöht. Eine Iskander-Atomrakete, abgeschossen in einem soeben angefahrenen Waldstück des Kaliningrader Gebietes, erreicht Warschau innerhalb von 12 Minuten und ist praktisch nicht abzuwehren.

Die Tscherniachowsker-Raketenbrigade verfügt auch über die S-300 Antaios und S-400 Triumph, mobile, allwettertauglichen Langstrecken-Boden-Luft-Lenkwaffensysteme zur Bekämpfung von Kampfflugzeugen, Marschflugkörpern sowie ballistischen Kurz- und Mittelstreckenraketen. Damit beherrschen die Russen den gesamten Luftraum zwischen Süd-Lettland und Nord-Polen.

Ein wichtiger Bestandteil des kompletten Systems ist die in Pionerski/Neukuhren gebaute gewaltige Radarstation Woronesch-DM, die ein Gebiet von 10.000 Quadratkilometern überwacht.
Insgesamt sind im Kaliningrader Gebiet bis zu 15.000 Soldaten stationiert. Diese Zahl kann kurzfristig beachtlich erhöht werden. In vier groβen Vorratslagern werden Waffen und Ausrüstung für bis zu 20.000 Mann vorgehalten.

Von Pskow bis Lida

Kräfte die für den Angriff auf Lettland und Estland vorgesehen sind, wurden in der Gegend von Pskow zusammengezogen. Pskow selbst ist Sitz der 76. Garde Luftsturmdivision. Diese Eliteeinheit, deren Soldaten in der Ukraine und in Syrien im Einsatz waren, besteht aus zwei Luftsturmregimentern und allen notwendigen Unterstützungseinheiten. Insgesamt 7.000 Fallschirmjäger. Ebenfalls in Pskow stationiert ist die 2. Selbständige SpezNaz-Spezialtruppenbrigade.

Ungefähr 50 Kilometer südlich von Pskow, in Ostrow wurde im Sommer 2013 die 15. Armee-Fliegerbrigade gebildet. Sie verfügt über knapp einhundert Kampfhubschrauber Mi-28N Nachtjäger und Ka-52 Alligator, dazu einige Dutzend Transporthubschrauber Mi-8MTV-5 und Mi-26T. Eine Stunde Flug trennt sie von Riga. Sie fliegen zu niedrig, um von der lettischen Luftraumüberwachung entdeckt zu werden.

Ein ähnlicher Kampfhubschrauber-Standort entsteht in Puschkin, 25 Kilometer südlich von St. Petersburg.

In unmittelbarer Nachbarschaft der estnischen Grenze entstand 2009 eine völlig neue Einheit, die 25. Motorisierte Infanteriebrigade in Wladimirski Lager. In Luga, 140 Kilometer südlich von St. Petersburg, sind die 9. Artilleriebrigade und die 26. Raketenbrigade beheimatet. Letztere wurde ganz und gar auf mobile Iskander-M-Abschusssysteme umgestellt. Das Bild einer durch und durch militarisierten Region an der estnischen Grenze wird ergänzt durch die 138. Motorisierte Infanteriebrigade in Kamenka bei St. Petersburg. Hinzu kommt der Luftstützpunkt in Lewaschow und die um St. Petersburg herum stationierten S-400 Luftabwehrraketen.

Weiβrussland kann Moskau nicht „Nein“ sagen

Eine besondere Bedeutung spielt Weiβrussland. Es ist an Russland durch einen Unionsvertrag gebunden. Die Luftverteidigungssysteme beider Staaten bilden eine Einheit und halten regelmäβig umfangreiche gemeinsame Übungen ab.
Im Ernstfall wäre Weiβrussland nicht in der Lage Russland die Nutzung seines Luftraums und Territoriums zu verbieten. Im Sommer 2013 begann Russland mit der Stationierung von Su-27M3-Jagdflugzeugen im Luftwaffenstützpunkt Lida, unweit der litauischen Grenze. Ein weiteres russisches Geschwader wird bald ins benachbarte Baranowitschi verlegt.

Zwar versucht Staatspräsident Lukaschenka zu lavieren, aber im Ernstfall, davon gehen westliche Planer fest aus, werden die weiβrussischen Streitkräfte an russischer Seite in den Kampf ziehen. Die weiβrussische Luftwaffe zählt 100 Kampfflugzeuge und 20 Kampfhubschrauber. Die Landstreitkräfte bestehen aus drei mechanisierten Infanteriebrigaden, zwei Luftlandebrigaden und einer Brigade Spezialtruppen.

Das Kriegsszenario

Die meisten Fachleute gehen davon aus, dass ein Krieg Russlands gegen die baltischen Staaten mit Provokationen seitens der russischen Minderheiten in Estland (30 Prozent der Bevölkerung) und Lettland (26 Prozent) beginnen würde. Ein Aufruhr in diesen Staaten könnte Moskau als Vorwand dienen unmittelbar einzugreifen. Wahrscheinlich kämen am Anfang, als ortsansässige „Partisanen“ getarnt, „grüne Männchen“, kleine russische Spezialeinheiten ohne Abzeichen, zum Einsatz. Danach reguläre Truppen.

Der Angriff auf Litauen, wo keine nennenswerte russische Minderheit lebt, könnte der schnellen Errichtung eines Landkorridors zwischen Weiβrussland und dem Kaliningrader Gebiet dienen.

Generell würde Russland schnell vollendete Tatsachen schaffen wollen, und die Nato durch die Androhung eines Atomwaffeneinsatzes vom Handeln abzuhalten versuchen. Deswegen ist in den russischen Plänen ein völliges Abschneiden des Baltikums von der Auβenwelt vorgesehen: durch den „Riegel“ zwischen Kaliningrad und Weiβrussland, die Seeblockade und die volle Kontrolle über den Luftraum, wozu sich die mobilen S-300 und S-400 Luftabwehrraketen sehr gut eignen.

Zusammenfassend kann man davon ausgehen, dass der russische Angriff, nach einer kurzen „grüne-Männchen-Episode“, mit einem von Weiβrussland ausgehenden Vorstoβ zur Schaffung einer Landbrücke nach Kaliningrad beginnen würde. Gleichzeitig würde ein von Kaliningrad und Weiβrussland aus vorgenommener Zangenangriff in Richtung Warschau beginnen, um polnische Truppen möglichst hinter die Weichsel zurückzudrängen. Mit massiven Luftlandeoperationen würden die Russen zeitgleich Lettland und Estland einzunehmen versuchen.

Danach würde Moskau mit Atombombendrohungen und Gesprächsangeboten die westliche Öffentlichkeit zum Einlenken und zur „realistischen“ Anerkennung vollendeter Tatsachen zu überreden versuchen.

„Faut-il mourir pour Riga?“

„Faut-il mourir pour Dantzig?“ – „Muss man für Danzig sterben?“ lautete der Titel eines Artikel, den der französische Sozialist und spätere Faschist Marcel Déat am 4. Mai 1939 in der Pariser Zeitung „L’Œuvre“ veröffentlicht hat. „Pourquoi mourir pour Dantzig?“ wurde damals sofort zu einem wichtigen Schlagwort in der französischen und britischen politischen Debatte.

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Deat-Artikel mit Deat-Foto. „Muss man für Danzig sterben?“

Dahinter verbarg sich der Aufruf, die französischen und britischen Beistandsgarantien für Polen nicht einzuhalten. Sie sahen vor, dass die Westalliierten spätestens zwei Wochen nach dem Angriff auf Polen im Westen die Kampfhandlungen gegen Deutschland eröffnen. Nach Déats Motto wurde das einsam kämpfende Polen im September 1939 Hitler und Stalin überlassen. Neun Monate später waren die Deutschen in Paris, und wegen Danzig starben am Ende 50 Millionen Menschen auf der ganzen Welt.

Wird das alles, im Ernstfall, einen potentiellen Autoren des Artikels mit dem Titel „Faut-il mourir pour Riga?“ in Hamburg oder Paris von seiner Absicht abbringen?

RdP




Das Wichtigste aus Polen 12. Februar – 25. Februar 2017

Kommentator Andrzej Godlewski und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in  Polen.

♦ Nach der 53.  Münchner Sicherheitskonferenz: Amerika hält an ihren Sicherheitsverpflichtungen in Europa und innerhalb der Nato fest, Polen ist beruhigt.

♦ Kein Anlass zu Hysterie und Panik. Wie nehmen die Polen US-Präsident Donald Trump wahr? Anders als die Deutschen.

♦ Wirtschaftsdaten für Januar 2017 : Industierproduktion und Steuereinnahmen steigen, Haushalt und Staatsverschuldung, trotz umfangreicher Sozialprogramme, unter Kontrolle.

♦ Ohne Staatsanzeigen kaum überlebensfähig. Die linksradikale „Gazeta Wyborcza“, einst  Polens wichtigstes meinungsbildendes Blatt, kämpft ums Dasein.




Das Wichtigste aus Polen 3. Juli – 9. Juli 2016

Politikexperte Tomasz F. Krawczyk und Janusz Tycner diskutieren über die wichtigsten Ereignisse der Woche.

Nato-Gipfel in Warschau. Ein Vielfaches mehr an Sicherheit für die Nato-Ostflanke und für Polen. Ein groβer Erfolg der neuen polnischen Auβenpolitik und Staatspräsident Andrzej Dudas.

Wahlparteitag der regierenden Recht und Gerechtigkeit in Warschau. Jarosław Kaczyński stellt Franz Josef Strauss in den Schatten. Woher rührt die Popularität der Regierungspartei?

Kongreβ der wichtigsten Oppositionspartei Bürgerplattform in Wrocław/Breslau. Verantwortungsvolle Opposition zu sein will gelernt sein.

Wir brauchen uns nicht zu schämen. Bilanz des polnischen Auftritts bei der Fuβball-EM in Frankreich.

 




Das Wichtigste aus Polen 5. Juni – 11. Juni 2016

Kommentator Jakub Kukla und Janusz Tycner diskutieren über die wichtigsten Ereignisse der Woche.
Viel Lärm aber kein ganzheitliches Programm für Polen. Die „totale Opposition“ manövriert sich in eine politische Sackgasse.
Erschwingliche Wohnungen für kleine Leute. Regierung stellt ihr groβes Programm des sozialen Wohnungsbaus vor.
Nato-Manöver Anaconda-16: Polen soll nicht wie die Ukraine sich selbst überlassen werden.
„Polnische Todeslager“, „polnische Vernichtungslager“, „in Polen vergast“ – eine internationale Anwaltskanzlei soll der polnischen Regierung helfen gegen diffamierende Umschreibungen des Holocaust in ausländischen Medien vorzugehen.

 




Das Wichtigste aus Polen 29.Mai – 4.Juni 2016

Kommentatorin Katarzyna Malecka und Janusz Tycner gehen auf die wichtigsten Ereignisse der Woche in Polen ein. Im Konflikt um das Verfassungsgericht stellt sich die EU-Kommission auf die Seite der Opposition. Brüssel setzt auf die Opposition, die Opposition setzt auf Brüssel, aber in Polen selbst zeigt das wenig Wirkung. Warum ist die Opposition so schwach? Nato-Gipfel in Warschau: schon jetzt ein Erfolg der polnischen Aussenpolitik. Bombenanschläge in Wrocław und Warschau vereitelt: hat auch Polen ein Problem mit dem Terrorismus? Alternative für Deutschland und Recht und Gerechtigkeit: mehr Unterschiede als Ähnlichkeiten.




Das Wichtigste aus Polen 15. Mai – 21. Mai 2016

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner gehen auf die wichtigsten Ereignisse der Woche ein: neue Regierung stellt eine umfangreiche Bilanz des achtjährigen Tuns und Lassens der Kabinette Donald Tusks und Ewa Kopacz vor. Neben Korruption und Miβwirtschaft wiegt die polizeiliche Bespitzelung von politischen Gegnern und kritischen Journalisten am schwersten. Die Vorbereitungen zum Nato-Gipfel in Warschau am 8.-9. Juli 2016 laufen auf Hochtouren. Stärkung der Ostflanke der Allianz beschlossene Sache. Warum berichten deutsche Medien aus Polen dermaβen einseitig? Überlegungen nach den 9. Polnisch-Deutschen Medientagen in Leipzig.