23.02.2023. Joe Bidens klare Warschauer Ansagen. Auch an Deutschland

Neuigkeiten brachte Joe Biden nach Warschau nicht mit. Doch wer die Rede des US-Präsidenten vom 21. Februar 2023 in den Gärten des Warschauer Schlosses mit der geringschätzigen Bemerkung abtut, Biden habe „mit viel Pathos nichts Neues verkündet“, der verkennt nicht nur die enorme Bedeutung der Botschaft, die die Ansprache enthielt, sondern auch den Ernst der Lage, in der Biden das Wort ergriff.

Die Rede des US-Präsidenten fiel nicht nur in die Woche des Jahrestages des russischen Überfalls auf die Ukraine, sondern auch in eine schwierige Phase des Krieges. Den Verteidigern gehen Munition und Männer aus, während Putin immer neue Truppen an die Front wirft. Auch wenn die Frühjahrsoffensive der Russen noch keine Erfolge zeigte, so kommen doch bange Fragen und nagende Zweifel auf: Wie lange hält die Ukraine noch durch? Bekommt sie weiterhin die erforderliche Unterstützung? Spekuliert man im Kreml zu Recht darauf, dass sich Kriegsmüdigkeit im Westen breitmacht und die Ukraine ihrem Schicksal überlassen wird?

All dem musste und wollte Biden entgegentreten, und hielt sich dabei an die antike Erkenntnis „Repetitio est mater sapientiae“, dass „die Wiederholung die Mutter der Weisheit“ sei. Er trug seine Warschauer Rede mit typisch amerikanischem Pathos vor und fand einfache und klare Worte, mit denen er die Haltung Amerikas mit Nachdruck bekräftigte. Falls jemand Zweifel an der Entschlossenheit der USA gehabt haben sollte, der Ukraine weiterhin zu helfen, nach Bidens Warschauer Rede dürften sie zerstreut sein.

Die Ansprache hatte mehrere Adressaten, denen sie unmissverständlich klarmachen sollte, wie Amerika denkt und wie es zu verfahren gedenkt.

Zum einen die Ukraine. Das wichtigste Signal in diese Richtung hatte Biden bereits am Vortag mit seinem unerwarteten Kurzbesuch in Kiew gegeben. In Warschau verkündete er dann ausdrücklich, dass die USA an der Seite der Ukraine bleiben werden, „solange es nötig ist“. „Die Ukraine wird niemals zu einem Sieg für Russland. Niemals“, rief der Präsident. „Es sollte keine Zweifel geben: Unsere Unterstützung für die Ukraine wird nicht nachlassen“.

Zum anderen Russland. Putin erlebe nun etwas, das er nicht für möglich gehalten hätte. Er habe den Westen auf die Probe gestellt mit der Frage, ob sein Angriff unbeantwortet bleibe. „Als er seine Panzer in die Ukraine beorderte, dachte er, wir würden wegschauen“, doch der Westen habe nicht weggeschaut. „Wir waren stark.“ Nun sei klar, dass die Antwort laute: „Russland wird in der Ukraine niemals siegen“.

Der US-Präsident wandte sich auch an die Menschen in Russland: „Die Vereinigten Staaten und die europäischen Nationen wollen Russland nicht kontrollieren oder zerstören“. Der Westen habe vor Kriegsbeginn nicht vorgehabt, Russland anzugreifen, wie Putin behauptet. „Jeder Tag, an dem der Krieg weitergeht, ist seine Entscheidung. Er könnte den Krieg mit einem Wort beenden. Es ist ganz einfach.“

Adressaten waren auch das Gastgeberland Polen und weitere acht Staaten der „Bukarest Neun“, die osteuropäischen Nato-Länder von Estland bis Bulgarien, mit deren Staats- und Regierungschefs sich Biden am Tag darauf in Warschau getroffen hatte. Diese Länder stellen die vorderste Front der kollektiven Verteidigung.

Biden sagte das, was von ihm erwartet wurde. Er bekannte sich unmissverständlich zu Artikel 5 des Nato-Vertrages, der gegenseitigen Beistandsverpflichtung. „Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle“, rief er der Menge zu. Jeder Zentimeter des Bündnis-Territoriums werde verteidigt. Das sei ein „heiliger Eid“. Alles andere wäre eine Überraschung gewesen, doch gerade im östlichen Mitteleuropa kann dieses Bekenntnis nicht oft genug beteuert werden.

Mit seinem zweiten Besuch in Warschau innerhalb eines Jahres unterstrich Biden unmissverständlich, dass er Polens Schlüsselrolle und seine enormen Anstrengungen, der Ukraine zu helfen, zu würdigen weiß. An das Leid der Flüchtlinge erinnernd, lobte er die Polen für ihre „außerordentliche Großzügigkeit“ in deren dunkelster Stunde. Der polnischen Präsidentengattin rief er gar „I love you“ zu, nachdem er ihren Einsatz für Flüchtlinge gewürdigt hatte.

Polen mit seiner knapp 500 Kilometer langen Grenze zur Ukraine hat fast zwei Millionen Ukrainer aufgenommen und inzwischen weitgehend integriert, ohne sie in Flüchtlingslager oder Sammelunterkünfte zu stecken. Es liefert in großem Ausmaß Munition, Waffen, darunter gut dreihundert Panzer, Kampfausrüstung jeglicher Art, repariert unter Hochdruck beschädigtes Kriegsgerät, trainiert ununterbrochen ukrainische Soldaten und fungiert als Drehscheibe für fast alle ausländischen Waffenlieferungen, die die Ukraine auf dem Landweg erreichen.Gleichzeitig finanziert es zu einem bedeutsamen Teil die Stationierung von knapp 11.000 amerikanischen Soldaten auf seinem Territorium.

Warschau preschte auch wiederholt mit Initiativen zur militärischen Unterstützung für Kiew vor, es fordert ständig neue Sanktionen, mobilisiert andere hilfswillige Staaten und wird nicht müde, Nachzügler zu brandmarken. Russland, so die Warschauer Sicht, muss möglichst dauerhaft angriffsunfähig gemacht werden. Genauso denkt man in Washington.

Dass Biden zum zweiten Mal seit März 2022 nach Polen flog, ohne in Berlin zwischenzulanden, gibt zu denken. Man darf davon ausgehen, dass seine klaren Warschauer Botschaften auch an die unzähligen deutschen Bedenkenträger, Zauderer, Bremser, Russlandversteher und Russlandeinbinder, Kreml-Dialogbeschwörer, Putins Telefonpartner und Friedensstifter auf Kosten der Ukraine gerichtet waren. Haltungen, deren Konsequenzen die Ukraine tragen muss.

Es ist nicht vorstellbar, dass Joe Biden seine klaren Botschaften vor dem Berliner Schloss, am Lustgarten, hätte verkünden können, ohne wütende Proteste und gellende Pfeifkonzerte zu ernten. In der Frontstadt Westberlin war John F. Kennedy noch „ein Berliner“. Im Frontstaat Polen ist Joe Biden ein Warschauer. So ändern sich die Zeiten.

RdP




Beruhigen oder verteidigen?

Wozu werden US-Truppen in Polen stationiert.

In Europa befinden sich bereits 100.000 amerikanische Soldaten. Die meisten von ihnen sind jedoch immer noch in Ländern stationiert, die der Gefahr eines russischen Überfalls am wenigsten ausgesetzt sind.

Polnisch-amerikanischer Soldatenhandschlag.

Die Angaben über die wachsende Anwesenheit der US-Armee in Europa kann man auf zweierlei Weise darstellen. Ist das Glas halb voll oder halb leer? In diesem Fall geht es jedoch nicht darum, ob man die Wirklichkeit optimistisch (halb voll) oder pessimistisch (halb leer) wahrnimmt. Gefragt ist eine nüchterne Analyse der (Un-)Möglichkeiten, die durch eine sinnvolle Kräfteverteilung entstehen.

Aufteilung der Kräfte

Etwa 100.000 amerikanische Soldaten, die insgesamt in Europa stationiert sind, das ist in der Tat die höchste Zahl seit zwei Jahrzehnten. Auf den ersten Blick vermittelt sie den Eindruck, dass sich der Alte Kontinent in Sicherheit wähnen kann. Vor allem wenn man bedenkt, dass sich die USA noch vor wenigen Jahren langsam aus Europa zurückziehen wollten, was die europäischen Staaten dazu zwingen sollte, mehr für ihre eigene Verteidigung auszugeben.

Ehrlicherweise muss man auch eingestehen, dass gut 12.000 von den in diesem Jahr neu entsandten 20.000 US-Soldaten in Mittel- und Osteuropa angekommen sind, die meisten davon (etwa 10.000) in Polen. Doch die verstärkte amerikanische Präsenz an der Nato-Ostflanke hebt das bestehende Missverhältnis noch immer nicht auf. Gut 80 Prozent der amerikanischen Truppen sind nach wie vor in westeuropäischen Ländern stationiert, die einen russischen Angriff am wenigsten zu befürchten haben.

Nato- und US-Army-Stützpunkte in Polen.

Warum hat sich an diesem Missverhältnis, trotz der wachsenden Bedrohung durch Russland im Laufe der Jahre, nichts geändert? Das entscheidende Übergewicht der amerikanischen Truppenpräsenz in Deutschland oder Italien lässt sich nicht mehr allein mit historischen Gründen erklären. Und wenn Washington noch vor zehn oder gar fünf Jahren zögerte, das US-Militärkontingent in Polen und in den baltischen Staaten erheblich (nicht nur symbolisch) zu erhöhen, so ist heute jegliche „Vorsicht“ in dieser Angelegenheit einfach nicht mehr zeitgemäß.

Wenn es so gut ist…

Doch kann man von Vorsicht sprechen, wo sich doch die militärische Präsenz der USA in Mittel- und Osteuropa allein seit Januar 2022 mehr als verdoppelt hat? Sind Zweifel angesagt, wenn neben den Amerikanern die Ostflanke durch die Anwesenheit von fast 10.000 NATO-Soldaten aus anderen Mitgliedstaaten zusätzlich verstärkt wird?

Warum sollte man sich auf den leeren Teil des Glases konzentrieren, wenn die Amerikaner, ungeachtet der weiteren Verstärkung ihrer ständigen Brigaden in Deutschland und Italien, gleichzeitig eine Luftlandebrigade in Polen und zwei gepanzerte Brigaden mit Raketenartillerieunterstützung, aufgeteilt auf Deutschland, Polen und Litauen, aufgestellt haben?

US-Präsident Joe Biden mit Soldaten der 82. Luftlandedivision bei seinem Besuch in Polen am 25. März 2022.

Gibt es Gründe sich zu beschweren, wenn wir sogar von der Verlegung amerikanischer Streitkräfte aus Deutschland profitiert haben? Die Amerikaner haben zwei Patriot-Raketen-Batterien von Deutschland nach Polen gebracht, 1.000 Soldaten wurden nach Rumänien verlegt und gleichzeitig sind mehrere Hundert amerikanische Soldaten von Italien in die baltischen Staaten geschickt worden.

Hinzu kommen zahlreiche amerikanische Übungen gemeinsam mit polnischen Truppen und die Verstärkung der Luftpatrouillen in der gesamten Region. Ist das nicht genug, um gut zu schlafen und keinen Angriff aus Russland zu befürchten?

Schwäche in der Stärke?

Die Antwort finden wir in den Zahlen und in den Erklärungen der amerikanischen Regierung. Um es klar zu sagen: 20.000 amerikanische Soldaten in Polen, von denen die meisten, und das ist wichtig, nicht in der Nähe der Ostgrenze stationiert sind, reichen nicht aus, um Russland abzuschrecken. Denn es geht um Abschreckung und nicht darum, einen Angriff hinzunehmen in der Hoffnung, dass die polnische Armee mit Unterstützung der Verbündeten den Gegner besiegt. Die furchtbaren Zerstörungen und die russischen Verbrechen in der Ukraine sprechen eine deutliche Sprache.

Zweitens gibt es immer noch kein klares Signal aus Washington, dass die Stützpunkte, die in Polen eingerichtet werden, auf Dauer bestehen bleiben werden, so wie in Deutschland. Bislang beschränken sich die Erklärungen von Leuten aus dem Umfeld von Joe Biden (und davor Donald Trump) eher auf Aussagen, dass alle jüngsten Verlegungen von US-Truppen nach Europa nur vorübergehend seien, um „die Verbündeten zu beruhigen“.

In diesen Erklärungen ist Schwäche erkennbar: Das Ziel ist die „Beruhigung“ der Länder an der Ostflanke der NATO. Und das ist definitiv etwas anderes als die echte Abschreckung eines Aggressors.

Die Maßnahmen der Amerikaner mögen uns zwar „beruhigen“, aber in Wirklichkeit ändern sie nicht viel an der Verteidigungsfähigkeit, geschweige denn an der Abschreckung. Die erwähnte Verlegung von ein paar Hundert Soldaten aus Italien in die baltischen Staaten mutet wie ein Scherz an.

Dabei haben die in den letzten Jahren von führenden europäischen und US-amerikanischen Think Tanks veröffentlichten Berichte deutlich gezeigt, dass Litauen, Lettland und Estland im Falle eines Angriffs sehr lange auf starke Unterstützung durch die Verbündeten warten müssten, um diesen erfolgreich abwehren zu können.

US-Interessen

Auch wenn die Situation in Polen theoretisch etwas besser zu sein scheint, fehlt es an den verwundbarsten Stellen an einer wirklichen Abschreckungsstreitmacht. Es ist schwer zu verstehen, warum die sogenannte Suwałki-Lücke, deren Besetzung es den Russen ermöglichen würde, von weißrussischem Territorium aus eine Verbindung nach Kaliningrad herzustellen, heute nicht zu den am besten geschützten Gebieten in Europa gehört, obwohl die Nato in ihren eigenen Analysen diese Region als eine der sensibelsten der Welt bezeichnet.

Um es unverblümt zu sagen: Wenn amerikanische Truppen wirklich eine abschreckende Wirkung auf den Feind haben sollen, dann müssten 100.000 Soldaten der US-Armee heute nicht über ganz Europa verstreut sein, mit dem Schwerpunkt im sicheren Deutschland oder Italien, sondern sie müssten entlang der östlichen Nato-Grenze von Estland über Polen bis Rumänien stehen. Und im „alten“ Europa müsste es zusätzliche 50.000 Mann geben.

Solche Größenverhältnisse sind sinnvoll. Nicht nur für die polnische Sicherheit. Schließlich haben auch die Amerikaner ein Interesse daran, dass Europa nicht noch einmal zum Schauplatz eines Weltkrieges wird. Es liegt ebenso im Interesse der USA, dass die amerikanische Luft- und Seeverteidigung Orte wie z. B. das Flüssiggas-Terminal in Świnoujście/Swinemünde schützt, das unter anderem mit Gas aus den USA beliefert wird.

Auf wessen Kosten?

Auf dem Nato-Gipfel in Madrid am 29. und 30. Juni 2022 haben sich die Amerikaner durchgerungen zu verkünden, dass die Kommandozentrale des V. US-Korps, das die amerikanischen Streitkräfte an der Nato-Ostflanke befehligen soll, dauerhaft in Polen stationiert wird. Die in Polen angesiedelten US-Truppen sollen jedoch wie bisher weiterhin regelmäßig ausgetauscht werden.

Polen wird also weiterhin nichts anderes übrig bleiben, als auf die Amerikaner einzuwirken, damit sie endlich ständige US-Militärstützpunkte im Land einrichten. Natürlich gibt es hier viele Probleme, denen das Weiße Haus Rechnung tragen muss. Die logistische Herausforderung wäre enorm. Es müssten bedeutende Truppenkontingente von Deutschland nach Polen verlegt werden. Dabei ist zu bedenken, dass es sich um eine Aufgabe handelt, die nicht nur die Soldaten, sondern auch deren Familien betrifft und somit die Errichtung einer enormen Infrastruktur erfordert.

Amerikanische Soldaten in Krakau.

Polen müsste in diesem Fall einen erheblichen finanziellen Beitrag leisten. Südkorea und Japan zahlen für die Anwesenheit amerikanischer Soldaten enorme Summen. In Polen herrscht diesbezüglich die Meinung vor, dass die Aufrechterhaltung ständiger US-Stützpunkte auf polnischem Territorium eine gute Investition in die Sicherheit darstellt, ebenso wie der Kauf von modernster Waffentechnik.

Atomwaffen an der Weichsel?

Vieles hängt davon ab, wie sich die Lage an der Frontlinie des russischen Krieges gegen die Ukraine entwickelt. Vielleicht werden die Amerikaner beschließen, dass es ausreicht, die Ukrainer schwer zu bewaffnen und Russland weiterhin mit Sanktionen zu schwächen, um die Gefahr einer Ausbreitung des Krieges auf ganz Europa wirksam hinauszuschieben. Und dann wäre das Thema ständiger US-Stützpunkte in Polen auch in den Vereinigten Staaten vom Tisch.

Das jedoch, würde das Problem lediglich verschieben. Denn selbst wenn es den Ukrainern gelingen sollte, den Aggressor zu vertreiben, denkt im Westen niemand an eine echte Niederlage Russlands. Und das bedeutet, dass das Problem Russland in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wachsen wird. Es könnte ein weiterer Krieg drohen. Die Ukrainer mögen für Europa ein paar Jahre Frieden erkämpfen, aber bei der strategischen Planung denkt man Jahrzehnte voraus.

Das erfordert eine Neudefinition der amerikanischen Präsenz in Europa, ständige Stützpunkte in Litauen, Polen oder Rumänien. Atomwaffen auf polnischem Gebiet? Das ist keine Science-Fiction mehr, sondern ein Szenario, das von militärischen und politischen Strategen ernsthaft in Betracht gezogen werden muss. Und vieles deutet darauf hin, dass solche Überlegungen eine gute Chance haben, in die Tat umgesetzt zu werden.

@ RdP




27.03.2022. Biden in Polen

Das meiste hat Joe Biden allein durch seine Anwesenheit in Polen am 25. um 26. März 2022 gesagt. Als Führer der freien Welt befand er sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Biden hielt zudem eine wichtige, bedeutende und symbolträchtige Rede, die den historischen Moment gut wiedergab. Sie enthielt alles, was der mächtigste Politiker des Westens in einem Land an der Ostflanke der Nato angesichts des Ukraine-Krieges verkünden sollte. Biden tat es im Hof des Warschauer Königsschlosses, das als Symbol der im Zweiten Weltkrieg völlig zerstörten und später wiederaufgebauten polnischen Hauptstadt gilt.

Man fühlte sich an John F. Kennedy 1961 („Ich bin ein Berliner“) und an Ronald Reagan 1987 („Herr Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor. Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder!“) in West-Berlin erinnert. Damals herrschte der Kalte Krieg. Jetzt, nur wenige Stunden vor Joe Bidens Rede am 26. März 2022, fielen russische Raketen auf Lwiw, weniger als 400 Kilometer von Warschau und 60 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt,

Es war eine russische Machtdemonstration und ein deutliches Zeichen dafür, dass Putin nicht viel von Amerika hält. Die Antwort der USA fiel eindeutig aus. „Nach Artikel 5 des Nato-Vertrages haben wir die heilige Pflicht, jedes Mitglied und jeden Zentimeter des Nato-Gebietes mit der Kraft unserer kollektiven Verteidigung zu beschützen.“ Für den Frontstaat Polen und seine Menschen war das die wichtigste Aussage in dieser Rede.

Im Kampf gegen Putins Regime will Amerika jedoch bestimmte rote Linien nicht überschreiten, angefangen bei einer direkten militärischen Beteiligung auf ukrainischem Gebiet. Es sind die Ukrainer, so der Präsident, die „an vorderster Front stehen müssen“. Er versicherte, dass Amerika „auf ihrer Seite sei“, allerdings in der derzeitigen Form: durch Waffenlieferungen, verschärfte Sanktionen und die Isolierung Russlands. Ob das ausreichen wird, um Russlands Niederlage herbeizuführen?

Der seinerzeit als vergreist und schwerhörig belächelte „Sleepy Joe“ hat sein erstes Amtsjahr, 2021, mit naiv wirkenden Versuchen zugebracht, Russland zu besänftigen. Er hat sich in Genf von Putin abspeisen lassen und obendrein drei wirkungslose telefonische „Gipfeltreffen“ mit ihm abgehalten, was den Kreml in seinen Plänen nur bestärkt hat. Glücklicherweise konnten die US-Geheimdienste und das Pentagon Biden schließlich davon überzeugen, dass Russland zuschlagen würde. Jetzt haben wir in Polen einen führungsstarken, kompromisslosen US-Präsidenten erlebt, der zu Höchstform aufgelaufen ist.

Es ist zu hoffen, dass das so bleibt. Biden verwies wiederholt auf die Worte Johannes Paul II. aus dem Jahr 1979 in Warschau: „Habt keine Angst“. „Die Macht einer geeinten freien Welt ist unschlagbar.“ Doch wenn überhaupt, dann treibt uns in Polen und die Ukrainer nur eine Angst um. Sie resultiert aus vielen bitteren historischen Erfahrungen: Es ist die Angst vor starken Worten auf die faule Kompromisse folgen.

RdP




25.03.2022. Frontstaat Polen

Ein Blick auf die Karte genügt, um das bestätigt zu bekommen. Von Polens knapp 1300 Kilometer langer Ostgrenze entfallen gerade einmal einhundert Kilometer auf den EU-Staat Litauen. Ansonsten grenzt Polen an die beiden Kriegsparteien Russland (Kaliningrader Gebiet ca. 230 Kilometer) und die Ukraine (ca.530 Kilometer).

Hinzu kommt eine gut 400 Kilometer lange Grenze zu Weißrussland, wo die russische Armee inzwischen schaltet und waltet, wie sie will. Sie schießt von dort Raketen ab und schickt ihre Kampfflugzeuge in Richtung Ukraine, versorgt in dortigen Krankenhäusern ihre Verwundeten und lagert in weißrussischen Leichenhallen ihre Gefallenen. Zudem ist jeden Augenblick mit dem Kriegseintritt des Lukaschenka-Regimes gegen die Ukraine zu rechnen.

Polens Verankerung in der Nato und die bilateral mit Washington ausgehandelte Anwesenheit von US-Truppen, die inzwischen auf 10.000 GI’s aufgestockt wurden, bewirken, dass, laut Umfragen, die Mehrheit der Polen nicht an eine Ausweitung des Ukraine-Krieges auf das eigene Territorium glaubt.

Dennoch ist das Frontstaat-Sein eine ernste Angelegenheit. Frontstaat war Pakistan in den zehn Jahren des sowjetischen Afghanistan-Krieges. Es beherbergte Hunderttausende von Kriegsflüchtlingen, war Waffenschmiede, Rückzugs- und Ausfallgebiet für antisowjetische Partisanen. Zwar liegt Polen nicht am Hindukusch, aber eine ähnliche Situation ist denkbar. Polen, ein zweites Pakistan? Das wäre kein gutes Szenario.

Andererseits zeigt die Geschichte, dass es Frontstaaten gab und gibt, die enorme wirtschaftliche und technologische Entwicklungssprünge vollbracht haben: Bis 1989 war Westdeutschland Frontstaat. Bis heute sind es Israel, die „asiatischen Tiger“ Taiwan und Südkorea.

Fundamentale Voraussetzungen für ein gesichertes Dasein am Abgrund all dieser Länder waren und sind: die militärische Anwesenheit der USA, amerikanische Sicherheitsgarantien, enorme eigene Verteidigungsanstrengungen und der Wille, Widerstand zu leisten.

Polen kann das alles vorweisen. Die Weichen für ein sicheres Fronststaat-Dasein sind gut gestellt. Den Rest muss jetzt die hohe Kunst der Außen- und Innenpolitik bewerkstelligen. Und eine gehörige Portion Glück gehört auch dazu.

RdP




Im Ernstfall. Deutschland will zusehen wenn Polen wird untergehen

Polnische Analyse für den Fall eines russischen Angriffs. 

Ob Besetzung der Krim, das russische Vorgehen im Donbas oder Lukaschenkos von Moskau abgesegnete „Migranten-Offensive“ auf die polnische Ostgrenze. Ein Angriff auf Polen und die baltischen Staaten kann nicht mehr als ganz und gar undenkbar betrachtet werden. Bei allen diesbezüglichen Denkspielen sollte man in Polen einen Aspekt unbedingt beherzigen: kannst Du zählen, zähle nicht auf Deutschland.

In der russischen Enklave Kaliningrad und in den russischen Gebieten, die unmittelbar an Lettland und Estland grenzen, befinden sich heute die gröβten Truppenansammlungen innerhalb Europas. Die militärische Schwäche der Nato in dieser Region und eine enorme bewaffnete Überlegenheit Russlands, laden Moskau regelrecht zu einem Vorstoβ ein.

Die russische Übermacht äuβert sich vor allem in der Fähigkeit, aus dem Stand, zeitlich und räumlich begrenzte, unvermutete Blitzangriffe vornehmen zu können. Ein solcher Überfall auf Nato-Gebiet würde wahrscheinlich nicht unbeantwortet bleiben. Der Kreml kann jedoch dabei davon ausgehen, dass eine Erwiderung der Nato so viel Zeit in Anspruch nehmen wird, dass Westeuropa, allen voran Deutschland, vor vollendete Tatsachen gestellt, die russischen Eroberungen hinnimmt und den „Triumph der Vernunft“ verkündet.

So könnte der Ernstfall aussehen

Durchaus vorstellbar wäre, dass die Russen innerhalb von 72 Stunden zwei oder gleich alle drei baltische Staaten überrollen, und dann der Nato mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen würde, sollte das Bündnis den Versuch wagen die besetzten Gebiete zurückzuerobern.

Die Nato-Ostflanke.

Bei einem Überraschungsangriff würden sich die Russen zudem größte Mühe geben, die symbolischen Nato-Truppenkontingente im Baltikum (insgesamt ca. 2.500 Soldaten an drei Standorten) friedlich und ohne Opfer außer Gefecht zu setzen. Die entwaffneten Mannschaften würden umgehend wieder im Westen landen. Solch eine „Geste des guten Willens“ würde ihre mildernde Wirkung ganz bestimmt nicht verfehlen.

Friedensbewegte Massenproteste in Westeuropa, vor allem in Deutschland, lautstarke Appelle „vernünftiger“ Politiker und Medien „mit Russland zu reden“ und „Russland zu verstehen“ könnten derweil das Schicksal des wieder einmal von Russland besetzten Baltikums schnell besiegeln.

Seine geographische Lage dürfte es Polen kaum erlauben, den drei baltischen Staaten zur Hilfe zu kommen. Wie eine geballte Faust schwebt die russische Enklave Kaliningrad über dem Land, und im Osten erstreckt sich das mit Russland militärisch eng verwobene Weiβrussland. Polen hätte groβe Mühe das eigene Territorium zu verteidigen.

Warschau liegt nur knapp 300 Kilometer von den Ausgangsstellungen des potentiellen Angreifers entfernt und wäre schnell Ziel eines starken russischen Zangenangriffs von Norden (Kaliningrad) und Osten (Weiβrussland), der die polnischen Streitkräfte im Raum der sog. Suwalki-Lücke umgehend von der polnisch-litauischen Grenze abschneiden würde.

Teile Polens, vielleicht sogar mit Warschau, würden den Russen in die Hände fallen. Von Moskau mit einem atomaren Angriff erpresst, könnte der Westen, auch das Biden-Amerika, ebenfalls im Falle Polens schnell „Ruhe geben“ und sich mit der durch die russische Aggression geschaffenen Tatsachen „realistisch“ abfinden.

Ob Moskau dieses düstere Szenario umsetzten könnte, würde vor allem von Deutschland abhängen. Ohne das Engagement des Schlüsselstaates der Nato in Mitteleuropa mit seinen ausgebauten US-Militäreinrichtungen, wäre ein Zurhilfekommen nicht denkbar. Aber hat Deutschland, etwas salopp ausgedrückt, Lust und Kraft, diese Aufgabe wahrzunehmen? Aus heutiger Sicht weder noch.

Deutsche würden östliche Nato-Partner bei Angriff alleinlassen

Meinungsumfragen lassen keinen Zweifel daran. Mehr als jeder zweite Deutsche ist dagegen, östlichen Bündnismitgliedern wie Estland, Polen oder Lettland militärisch beizustehen, wenn sie von Russland angegriffen werden. So die Antwort von 53 Prozent der Befragten bei einer entsprechenden Umfrage des renommierten Washingtoner Pew Research Center im Mai 2017.

Deutscher Antiamerikanismus.

In keinem europäischen Land, das für die Befragung untersucht wurde, ist die Ablehnung der sogenannten Beistandspflicht nach Artikel 5 – der das Herz der Nato bildet – so groß. Zum Vergleich: In den Niederlanden (23 Prozent), Polen (26 Prozent), in Kanada und den Vereinigten Staaten (beide 31 Prozent) sind die Gegner der Beistandspflicht klar in der Minderheit. In Frankreich und Großbritannien liegt die Ablehnungsrate bei jeweils 43 Prozent und in Spanien bei 46 Prozent.

In Deutschland sind vor allem Frauen dagegen, den östlichen Verbündeten im Falle eines russischen Angriffs zu helfen (62 Prozent). In Ostdeutschland unterstützen nur 29 Prozent der Befragten die Beistandspflicht, im Westen sind es immerhin 43 Prozent. Insgesamt sind nur vier von zehn Deutschen dafür, ein anderes Nato-Mitglied im Falle eines russischen Angriffs zu verteidigen.

Deutsche Zustimmung für Russland.

Spätere, wenn auch weniger repräsentative Umfragen, belegen diese Einstellung, die sich eher noch  verfestigt. Aber auch nur ein Blick in die deutschen Medien und in die Leserkommentare genügt, um sich das enorme Ausmaß der gesellschaftlichen Zustimmung für Russland und die gleichzeitige Ablehnung der Nato, der militärischen US-Präsenz in Deutschland und der Bundeswehr zu vergegenwärtigen. Diese weit verbreitete Haltung bleibt nicht ohne Einfluss auf den fortschreitenden Verfall der Bundeswehr.

Auch die deutsche Politik hält wenig von der Beistandspflicht

Daniel Kochis gilt als ein renommierter Analyst der konservativen Denkfabrik Heritage Foundation. In seinem auf dem Fachportal RealClear Defence veröffentlichten Artikel fordert er die neue deutsche Ampel-Regierung auf, Versprechen einzuhalten, die Berlin der Nato seinerzeit gegeben hat.

Es geht vor allem darum, die deutschen Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent des BIP zu erhöhen. Leider muss man davon ausgehen, dass solche Appelle in Berlin weiterhin auf taube Ohren stoßen werden. Äußerungen der noch amtierenden CDU-Verteidigungsministerin und Erklärungen derjenigen, die Deutschland die nächsten vier Jahre lang regieren sollen, lassen keine andere Deutung zu.

Die neue Regierung dürfte in dieser Hinsicht noch unnachgiebiger sein. Das zeigt ein kürzlich veröffentlichtes zwölfseitiges Papier der angehenden Regierungskoalition, in dem Sicherheitsfragen nur in den letzten zehn Absätzen äußerst kurzsilbig behandelt werden.

Die Verhandlungsführer der Ampel-Koalitionsparteien betonen in dem Dokument, dass „die Nato das Fundament der Sicherheit ist“ und schreiben im nächsten Satz über den Willen, die Ausrüstung der deutschen Streitkräfte zu modernisieren. Daraus lässt sich schließen, dass Berlin immerhin neue Flugzeuge kaufen will, damit Deutschland weiterhin am Programm der nuklearen Teilhabe teilnehmen kann, aber nicht viel mehr.

Kochis erinnert daran, dass die Nato bereits 2006 die Notwendigkeit erörterte, die Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent zu erhöhen, wovon mindestens 20 Prozent für „große“ Projekte zur Modernisierung der Ausrüstung aufgewendet werden sollten. Entsprechende Vereinbarungen wurden beim Nato-Gipfeltreffen in Newport/Wales, im September 2014 getroffen. Die Nato-Staaten wollten damals diese Verpflichtungen bis 2024 umsetzen.

Die Linke-Plakat.

Im Falle Deutschlands jedoch ist dies völlig abwegig. Berlin erklärte nämlich  schon vor der Pandemie, im Jahr 2019, als Deutschland, wohlgemerkt, noch einen Haushaltsüberschuss hatte, dass es das Zwei-Prozent-Ziel erst im Jahr 2031 erreichen könne. Das wäre ein Vierteljahrhundert nachdem es zum ersten Mal von den Verbündeten angepeilt wurde.

Gewiss, auch Berlin hat seine Militärausgaben erhöht. Heute gibt Deutschland 25 Milliarden Dollar mehr für die Verteidigung aus als 2015, aber das sind immer noch lediglich 1,53 Prozent des deutschen BIP.

Der zitierte Analyst der Heritage Foundation schreibt, dass selbst die Perspektive 2031, wenn Deutschland nach den jüngsten Erklärungen seinen Verpflichtungen endlich nachkommen will, ernsthaft gefährdet ist.

Erstens, weil die neue Regierungskoalition die Sozialausgaben deutlich erhöhen möchte, was sie höchstwahrscheinlich veranlassen wird, Einsparungen im Militärhaushalt vorzunehmen. Zweitens wächst in Berlin die Überzeugung, dass mit der Machtübernahme durch die Biden-Administration, die von Trump stark betonte „Zwei-Prozent-Frage“ nicht mehr so wichtig ist und man sie getrost zu den Akten legen kann.

Zwei-Prozent-Fetisch. Karikatur von Harm Bengen.

Sollten sich diese Vorhersagen bestätigen, so Kochis, „würde ein solches Signal in Moskau als Schwäche und in Osteuropa als Unbekümmertheit ausgelegt werden. In den USA würde es die Überzeugung festigen, dass die niedrigen europäischen Verteidigungsausgaben ein guter Grund für die USA sein sollten, Europa zu verlassen.“ Eine bessere Einladung an Moskau, wie die aus Berlin, militärisch im Baltikum und in Polen tätig zu werden, könnte es nicht geben.

Viel Geld für eine schlechte Bundeswehr

An dieser Stelle drängt sich die Frage auf: Wie ist der tatsächliche Zustand der deutschen Streitkräfte? Man könnte denken, dass ein Land wie Deutschland, das im Jahr 2020 58,9 Milliarden Dollar für die Verteidigung ausgegeben hat (berechnet nach der NATO-Methode und somit ohne Ausgaben für militärische Renten) über erhebliche Verteidigungsfähigkeiten verfügen muss. Polen gibt, nach derselben Berechnungsmethode, 7,8 Milliarden Dollar für seine Armee aus.

Auf dem Papier ist die Stärke der deutschen Landstreitkräfte, nach Angaben der britischen Denkfabrik IISS, die jedes Jahr den „Military Balance“-Bericht veröffentlicht, in dem der Zustand der Armeen aller Länder der Welt beschrieben wird, nicht viel größer als die Polens.

Die Deutschen haben 62.150 Soldaten und Offiziere, die Polen 58.500. In der deutschen Luftwaffe dienen 16.600, in der polnischen 14.300 Mann. Deutschland besitzt eine viel größere Kriegsmarine, während Polen über deutlich stärkere Spezialkräfte verfügt.

Wenn sich die „Auf-dem-Papier-Bestände“ der deutschen Streitkräfte nicht wesentlich von den polnischen unterscheiden, dann sind sie vielleicht in Bezug auf Ausrüstung, Ausbildung und Einsatzbereitschaft überlegen? Zur Beantwortung dieser Frage sei auf den soeben von der Heritage Foundation veröffentlichten Bericht „Index of Military Strength“ verwiesen, der unter anderem eine Analyse der Fähigkeiten der wichtigsten amerikanischen Verbündeten in der Welt enthält. Auch dem militärischen Potenzial Deutschlands wurde in dieser Studie einige Aufmerksamkeit geschenkt.

Nach Meinung der amerikanischen Fachleute „sind die deutschen Streitkräfte nach wie vor unterfinanziert und schlecht ausgerüstet“. Die Autoren der Studie zitieren einen anonymen deutschen Diplomaten, der von der „Financial Times“ mit den Worten zitiert wird, dass „Deutschland seinen Verteidigungshaushalt auf 3,0 bis 3,5 Prozent des BIP verdoppeln sollte, da es sonst Gefahr läuft, völlig taub, blind und wehrlos zu sein“.

Die deutschen Streitkräfte, die nicht nur in Litauen oder im Kosovo präsent sind, sondern auch Expeditionsaufgaben übernehmen, befinden sich, nach Meinung der amerikanischen Fachleute, immer noch auf einem niedrigen Niveau der Gefechtsbereitschaft, die heute bei 74 Prozent liegt.

Nach Ansicht der Experten der Heritage Foundation, sind die Anwesenheit der Bundeswehr bis vor kurzem in Afghanistan sowie weiterhin in Mali, aber auch z.B. die Teilnahme an der Überwachung des Luftraums der baltischen Staaten, nur möglich, weil deutsche Einsatzkräfte für die Durchführung dieser Missionen ihrer Ausrüstung in der Heimat „beraubt“ werden. Das wirkt sich nachteilig auf ihre Wirksamkeit und Ausbildung für die Heimatverteidigung aus.

Gängige Bundeswehr-Berichterstattung in Deutschland.

Das Ausmaß der Probleme wurde auch im Bundestagsbericht von 2021 noch einmal deutlich, in dem u.a. festgestellt wurde, dass nur 13 Leopard-2 Panzer einsatzbereit waren, statt der für die Ausbildung erforderlichen 35.

Auch die Personalprobleme sind nicht gelöst. Die Unzulänglichkeiten betreffen im Übrigen nicht nur die Bodentruppen, denn: „Fast die Hälfte der Piloten der Luftwaffe erfüllten die Anforderungen der NATO-Ausbildung nicht, da aufgrund des Mangels an verfügbaren Flugzeugen die Kriterien hinsichtlich der Flugstunden nicht erfüllt werden können.“

Auch fehlen Piloten, denn von den 220 Stellen für Kampfflugzeugpiloten sind nur 106 besetzt; bei den Hubschraubern ist das Verhältnis ähnlich: von 84 benötigten Piloten sind 44 im Dienst. Bei der deutschen Marine sieht es nicht besser aus, nicht nur wegen des Personalmangels, sondern auch, weil Einheiten aus dem Dienst genommen werden.

Wie im März 2021 bekannt wurde, verwenden mehr als 100 deutsche Schiffe, darunter auch U-Boote, russische Navigationssysteme, die nicht den NATO-Standards entsprechen. Es besteht die Möglichkeit, dass sie „gehackt“ werden, was den größten Teil der deutschen Marine die Einsatzfähigkeit kosten könnte.

Deutschland möchte seine Streitkräfte, vor allem die Reservekomponente, vergrößern. Nach Ansicht von Experten der Heritage Foundation werden diese Pläne, obwohl sie als sinnvoll erachtet werden sollten, nur schwer umsetzbar sein. Im Jahr 2020 ist die Zahl der Freiwilligen, die sich zur Teilnahme an der Ausbildung bereit erklärt haben, um 19 Prozent gesunken, und es gibt immer noch 20.200 offene Stellen bei der Bundeswehr. Das Durchschnittsalter der Soldaten ist seit 2012 um drei Jahre gestiegen und liegt heute bei 33,4 Jahren.

Im März 2021 hat der Bundestag die Beteiligung Deutschlands an einem gemeinsamen europäischen Drohnenbauprogramm (an dem auch Frankreich, Italien und Spanien beteiligt sind) gebilligt. Die Bundeswehr darf aber weiterhin keine Kampfdrohnen besitzen und Soldaten, die Beobachtungsdrohnen bedienen ist es nicht erlaubt den Einsatz von Drohnen als „taktische Waffen“ zu üben. Angesichts der stürmischen Entwicklung der Kampfdrohneneinsätze auf den modernen Schlachtfeldern sind die deutschen Streitkräfte auch in diesem Bereich ins Hintertreffen geraten.

Wenn die Russen bis 2031 warten, werden die Deutschen innerhalb von drei Monaten antreten

Im September veröffentlichte ebenfalls die schwedische militärische Denkfabrik FOI einen Sonderbericht über die Fähigkeiten der Bundeswehr. Ihre Erkenntnisse decken sich größtenteils mit dem, was die amerikanischen Fachleute geschrieben haben.

Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Deutschen, nach Ansicht der Autoren der schwedischen Studie, im Kriegsfall in der Lage wären, innerhalb einer Woche vom Beginn der Kampfhandlungen an, nur 3 bis 4 mechanisierte Bataillone aufzubieten, und dies nur an ihren festen Standorten. Hinzu kämen 2, vielleicht 3 leicht bewaffnete Bataillone der Infanterie, die auf dem Luftweg ins Kampfgebiet gebracht werden könnten.

Auf die Antwort auf die von der Bild-Zeitung gestellte Frage ist man auch in Polen gespannt.

Das ist, angesichts der jährlichen Verteidigungsausgaben von knapp 59 Milliarden Dollar, kein beeindruckendes Potenzial, und schon gar nicht eines, das Moskau erschrecken und die russische Elite dazu bringen würde, auf mögliche aggressive Schritte zu verzichten. Das Ziel des deutschen Verteidigungsministeriums ist es, und das erst im Jahr 2031, innerhalb von drei Monaten nach Kriegsbeginn drei volle Divisionen an Bodentruppen „in die Schlacht zu werfen“.

Aus polnischer Sicht ist die Botschaft klar. Selbst wenn Berlin seine Pläne weiterverfolgt und endlich die 2014 eingegangenen Verpflichtungen 2031 erfüllt, könnte der deutsche „Entsatz“ erst drei Monate nach Kriegsbeginn an der Ostflanke eintreffen.

Natürlich nur wenn diese „ehrgeizigen“ Absichten nicht von der neuen Koalition blockiert werden, und wenn in Berlin die Entscheidung fallen würde gegen den russischen Aggressor zu kämpfen, was aus heutiger Sicht wenig wahrscheinlich erscheint.

Der Bericht erschien im Internetportal „wPolityce.pl“ („inderPolitik.pl“) am 5. November 2021

RdP




Froh die einen, andere betreten. Kommen nach Polen US-Atomraketen?

Nach dem Scheitern des INF-Vertrages.

Die SPIEGEL ONLINE-Redaktion hat zu dick aufgetragen, als sie am 1. Februar 2019 titelte: „Polens Auβenminister fordert US-Atomraketen in Europa“. Warschau schob kurz darauf eine Klarstellung nach: der Minister habe in dem SPIEGEL-Gespräch die Stationierung nicht gefordert, sondern „nicht ausgeschlossen“. Die Hamburger Redaktion besserte umgehend nach. Doch so oder so, die Frage, ob es in Polen schon bald US-Atomraketen geben wird bleibt bestehen.

Die Verstöβe Russlands gegen und daraufhin der Ausstieg der USA aus dem Washingtoner Abkommen über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) am 1. Februar 2019, haben jedenfalls eine Kette von Ereignissen in Bewegung gesetzt, die zur Stationierung amerikanischer Nuklearwaffen in Polen führen könnten.

US-Präsident Reagan (r,) und der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow (l.) unterzeichnen den INF-Vertrag im Weißen Haus am 8. Dezember 1987.

Das zu Grabe getragene amerikanisch-sowjetische (russische) INF-Abkommen vom Dezember 1987 galt als ein Meilenstein in Sachen Abrüstung und Rüstungskontrolle. Nach siebenjährigen Verhandlungen haben sich damals Amerikaner und Russen verpflichtet, alle bestehenden landgestützten Flugkörper kürzerer, beziehungsweise mittlerer Reichweite (500 bis 5.500 Kilometer) zu vernichten sowie keine neuen herzustellen und zu testen.

Briefmarke der sowjetischen Post von 1987 aus Anlass der INF-Vertragsunterzeichnung.

Mobil, genau, verheerend

Gerade die landgestützten Marschflugkörper gelten als besonders gefährlich. Ihr Start ist schwieriger auszumachen als Abschüsse von Flugzeugen oder Schiffen. Auf geländegängigen Lkw montiert, mit einem nuklearen Gefechtskopf versehen, steuert sich der Lenkflugkörper selbst ins Ziel und fliegt dabei in einer Höhe zwischen fünfzehn und hundert Metern so niedrig, dass er nur schwer vom gegnerischen Radar erfasst werden kann.

Abgefeuert werden können auch taktische ballistische Mittelstreckenraketen, die mit bis zu siebenfacher Schallgeschwindigkeit auf eine Höhe von bis zu fünfzig Kilometern gebracht werden, ehe sie in der absteigenden Flugphase das Ziel punktgenau anpeilen. In beiden Fällen sind sie blitzschnell am Ziel. Den Verteidigern bleiben lediglich Minuten, um sie zu vernichten.

Vertragsgemäβ haben bis Mai 1991 die Amerikaner 846 ihrer Pershing- und Gryphonraketen, die Russen 1.846 ihrer SS-4, SS-5, SS-20 und SS-22 Raketen zerstört. Die Franzosen folgten 1996 diesem Beispiel. Zum ersten Mal wurden keine Obergrenzen festgelegt. Stattdessen hat man eine ganze Waffenfamilie aus Europa verbannt und das mit wirksamen Kontrollverfahren verbunden, die im Mai 2001 endeten.

Russland steigt aus

Putin am 10. Februar 2007 während seiner berüchtigten Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

Die Idylle dauerte jedoch nicht lange. Nach der Machtübernahme Wladimir Putins im Jahr 2000 begann Russland die INF-Verträge in Frage zu stellen. Vor allem, so hieβ es, weil Staaten wie China, Indien, Pakistan, Nordkorea oder Israel über diese Raketen verfügen. INF befriedige nicht mehr die Interessen Russlands. „Es ist offensichtlich, dass wir unter diesen Bedingungen darüber nachdenken müssen, unsere eigene Sicherheit zu gewährleisten“, so Putin am 10. Februar 2007 in seiner berüchtigten Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

Zudem gefielen den Russen die US-Pläne nicht, ein europäisches Raketenabwehrprogramm mit SM-3-Block-IIA-Raketen und X-Band-Radaren in Tschechien und Polen umzusetzen. Es sollte zwar ein Schutzschild gegen eventuelle Angriffe von Langstreckenraketen aus dem Iran und Nordkorea sein, aber Moskau gab vor, dem nicht zu trauen.

Aus amerikanischer- und Nato-Sicht hatte Moskau bereits Anfang der 2000er-Jahre beschlossen, den Vertrag auszuhöhlen, um erneut ein nukleares Drohpotential in Mitteleuropa aufzubauen. Schon 2013 bemühten sich die Amerikaner, auch Präsident Obama persönlich, die Russen von ihrem Vorhaben abzubringen. Wie leider üblich, so Dan Coats, Direktor der nationalen Nachrichtendienste im Januar 2018, „leugneten die Russen ihre Versuche. Sie gaben die Existenz des Marschflugkörpers erst dann zu, als wir ihnen zum Beweis die russische Bezeichnung des Geräts, 9M729, auf den Tisch gelegt haben“.

Startvorbereitungen einer Iskander-Rakete.

Im Juli 2014 machte das US-Verteidigungsministerium publik, Russland habe landgestützte Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometern getestet und damit gegen das Verbot verstoßen. Medienberichten zufolge handelte es sich um 9K720 Iskander-K. Dieser Typ wurde erstmals bereits 2007 erprobt.

Im Februar 2017 hieβ es aus Washington, Russland habe den INF-Vertrag gebrochen, indem es Mittelstreckenraketen nicht nur herstelle und teste, sondern bereits zwei aktive Bataillone seiner Streitkräfte damit ausgerüstet habe. Die Waffen seien von Startvorrichtungen auf Lastwagen aus einsetzbar.

Apokalyptische Bedrohung für Polen

Seit Juni 2018 sind Iskander-M-Abschussvorrichtungen mit ballistischen 9M723-Raketen bei Tschernjachowsk/ Insterburg im Gebiet Kaliningrad stationiert. Ihre Reichweite beträgt mindestens 700 Kilometer. Mit siebenfacher Schallgeschwindigkeit erreichen sie jedes Ziel in Polen in spätestens drei bis vier Minuten. Das amerikanische Flugabwehrsystem Patriot ist weitgehend machtlos gegen sie.

Noch heikler wird die Lage werden, sollten die Russen ihre Drohung wahr machen und die Iskander-K-Abschussvorrichtungen mit ballistischen 9M729-Raketen in die Gegend von Kaliningrad verlegen. Mit ihrer Reichweite können sie jede beliebige Stadt in Westeuropa, mit Ausnahme Portugals, einäschern.

Für Polen ergibt sich daraus eine geradezu apokalyptische Bedrohung. Das in eine Atomartilleriefestung verwandelte Kaliningrader Gebiet erlaubt den Russen, Polen in eine atomare Todeszone zu verwandeln. Sie soll Russland wirksam von den übrigen Nato-Staaten trennen und diese Staaten davon abhalten eine Gegenoffensive zu starten.

Das INF-Ende läutet eine neue Runde im atomaren Rüstungswettlauf ein. Die Amerikaner werden sehr schnell neue Kurz- und Mittelstreckenraketen haben und sie in Europa stationieren wollen. Dass es sich dabei um eine wirksame Abschreckungsmethode handelt, beweist die Entstehungsgeschichte des INF-Vertrages. Moskau sah sich erst genötigt ihn zu unterschreiben, nachdem die USA 1983 ihre Preshing-2 Flugkörper, wider den gigantischen Proteststurm der „Friedensbewegung“, nach Westeuropa gebracht hatten.

So wird es wahrscheinlich auch dieses Mal sein. Doch wohin mit den neuen US-Kurz- und Mittelstreckenraketen? Polen wird einer der ersten Staaten sein, bei denen Washington nachfragen dürfte.

Was spricht für ein polnisches „Ja“?

Ein russischer Angriff auf die Abschussvorrichtungen in Polen, egal ob atomar oder konventionell, würde einen sofortigen Nato-Vergeltungsschlag nach sich ziehen. Ohne Nato-Raketen in Polen könnten Russlands Kriegsplaner dem Trugschluss erliegen, die Nato werde keinen Atomkonflikt für Polen riskieren, auch wenn sie in dem Land Stützpunkte unterhält und diese verloren geben müsste.

Testabschuss einer Iskander-Rakete.

Oder wäre es gar kein Trugschluss? Ein konventioneller russischer Blitzangriff aus dem Stand, die schnelle Einnahme der baltischen Staaten und Polens bis zur Weichsel, bevor sich die Nato zu einer Gegenoffensive aufrafft, sind ein Szenario, das in den russischen Stäben immer wieder durchgespielt wird. Unmittelbar darauf folgen, soll ein öffentlichkeitswirksames Ultimatum Moskaus: eine Nato-Gegenoffensive zur Befreiung der besetzten Gebiete werde einen russischen atomaren Angriff auslösen.

Man kann sich leicht den ungeheuren Druck der westeuropäischen Öffentlichkeit vorstellen mit Moskau zu verhandeln und die Nato-Ostflanke lieber den Russen zu überlassen. Umfragen sprechen da eine deutliche Sprache: knapp sechzig Prozent der Deutschen sind strikt dagegen, östlichen Bündnismitgliedern wie Estland, Polen oder Lettland militärisch beizustehen, wenn sie von Russland angegriffen werden.

So gesehen, würde die Stationierung amerikanischer Atomraketen in Polen die Hemmschwelle gegen einen russischen Angriff deutlich anheben. Stärke schreckt ab, Schwäche (siehe Georgien 2008, Ukraine – Krim 2014 und Donbass seit 2014) verleitet die russische Politik traditionell zur Gewaltanwendung.

Wird es zu einer Stationierung kommen? Sollte sie aufgrund eines gemeinsamen Nato-Beschlusses erfolgen, dürfte es schwierig werden. Vor allem ist ein vehementer Widerstand aus Deutschland geradezu vorprogrammiert.

© RdP




Ein Donald mehr erschreckt nicht sehr

Polen und der neue US-Präsident.

Deutschland bibberte vor Angst und bebte vor Empörung. In Polen staunte man eher, wägte ab und legte Donald Trumps Wahlkampfaussagen über Putin und die Nato erst einmal nicht auf die Goldwaage. Denn diesen Aussagen gegenüber stehen schlieβich die ausgesprochen polenfreundlichen Worte und einige Zusagen des Wahlkämpfers Donald Trump. Was von all dem wird Trump am Ende umsetzten?

Wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen

Selbst am frühen Morgen danach, in den Stunden des gröβten deutschen Entsetzens über Donald Trumps Sieg, versäumten es einige deutsche Politiker nicht,  Polen, wie üblich, zu rügen und zurechtzuweisen. SPD-Chef Sigmar Gabriel sah „Polen mit Kaczynski“ als Mitglied einer „autoritären und chauvinistischen Internationale“, deren Vorreiter Trump sei.

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Bei deutschen Politikern wie Sigmar Gabriel (SPD) oder Karl-Georg Wellmann (CDU) gerät die Trump-Schelte schnell zur Polen-Schelte

Trump und Kaczynski gehe es, so Gabriels Analyse, „um ein echtes Rollback in die schlechten alten Zeiten. In denen Frauen an den Herd oder ins Bett gehörten, Schwule in den Knast und Gewerkschaften höchstens an den Katzentisch. Und wer das Maul nicht hält, wird öffentlich niedergemacht.“

CDU-MdB und „Polen-Experte“ Karl-Georg Wellmann sah in den US-Wahlen „ein Alarmsignal, besonders für Polen“. Kaczynskis frühere Aussage über den Vorrang der Partnerschaft mit den USA sei, in Wellmanns Augen, eine „fatale Leichtsinnigkeit“. Man müsse in Europa zusammenhalten als eine Staaten- und Sicherheitsgemeinschaft. „Polen! Europa ist dein Schicksal!“, rief Wellmann am Ende seiner Stellungnahme pathetisch aus.

Wellmann rieb den Polen Trumps-Aussage, „Putin sei ein groβer Staatsmann“ unter die Nase und pries zugleich einen europäischen Zusammenhalt an, den gerade sein Land mit seiner Russlandpolitik, ständig untergräbt.

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„Das sind die russischen Vorschläge, wie wir unsere Gasversorgung diversifizieren sollten.“

Einerseits spricht sich nämlich Wellmanns Deutschland für Sanktionen gegen Russland aus. Gleichzeitig aber forciert es den Bau einer zweiten unter der Ostsee verlaufenden Russland-Deutschland-Gasleitung  (Nord Stream 2). Damit erhöht Berlin nicht nur die ohnehin groβe Energieabhängigkeit der EU von Russland. Es unterwandert auch die Sanktionen, indem es noch mehr Erdgas-Euro-Milliarden nach Putin-Russland, und somit u. a. zur Finanzierung seiner Aufrüstung, pumpen will.

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Russischer Briefmarken-Block (2012) anlässlich der Fertigstellung von „Nord Stream“. Der Blockrand zeigt den Verlauf der Gasleitung unter der Ostsee vom russischen Wyborg nach Greifswald,.Das Portrait der russischen Zarin und der wichtigsten Totengräberin Polens im 18 Jh., Katharina II., wurde 1712 in Greifswald gemalt.

 

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„Putin-Schröder-Pakt. Die Gasumzingelung Polens“. Titelbild der Zeitschrift „Wprost“ („Direkt“) vom 10. Juli 2005.

Deutsche Regierungspolitiker (Auβenminister Steinmeier) geiβeln die Nato-Verteidigungsanstrengungen und verreiβen sie als „Säbelrasseln“. Die deutsche Industrie mahnt ständig den Abbau der Russland-Sanktionen an. Alle Umfragen ergeben, dass die deutsche Öffentlichkeit mehrheitlich (und zwar von Anhängern der Linken über die SPD bis zur AfD) die Stärkung der Nato-Ostflanke ablehnt, und stattdessen der Abwendung von den USA und der Annäherung an Putin-Russland Vorrang gibt. Auf einen solchen Zusammenhalt soll Polen voll und ganz setzen, sagt sinngemäβ „Polen-Experte“ Wellmann. Die Polen selbst warten lieber erst einmal ab bis Trump seine Entscheidungen trifft.

Trump über Polen

Anders als Hillary Clinton, nahm Donald Trump am 29. September 2016 die Einladung des Polnischen Nationalen Verbandes (Polski Związek Narodowy, Polish National Alliance, kurz PNA) zu einem Treffen in Chicago an.

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Die PNA ist der gröβte und älteste Verband der Amerika-Polen (seit 1880) . Zusammen mit fast ausnahmslos allen anderen landesweiten und regionalen Polen-Verbänden in den USA ist er Mitglied im Kongress der Amerika-Polen (Kongres Polonii Amerykańskiej, The Polish American Congress), einem in den USA politisch durchaus einflssreichen Dachverband.

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Die Polen sind ein Volk  mit einer großen Diaspora. In den USA leben die meisten von den etwa 20 Millionen Auslandspolen. Ihre Zahl wird auf knapp 10 Millionen geschätzt, von denen gut 600.000 Polnisch als Umgangssprache benutzen.

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Polnische Ladenzeile in Chicago.

Polnische Hochburgen in den USA sind die Staaten New York, Illinois und Michigan. Chicago ist mit 1,1 Millionen Polen und polnisch stämmigen Bürgern, nach Warschau, die zweitgröβte polnische Stadt der Welt.

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Anfang Oktober findet in der New Yorker Fifth Avenue seit 1937 der groβe Umzug der Amerika-Polen statt, die Pulaski Day Parade.

Die ersten Polen kamen nachweislich im Oktober 1608 nach Amerika . Eine polnische Massenauswanderung in die USA begann jedoch erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Allein in der Zeit zwischen 1820 und 1914 siedelten sich 2,2 Millionen Polen in den Staaten an.

In seiner Ansprache an die Polen  (Tietelild) war Trump geradezu überschwänglich. Er lobte ihren Beitrag zur Entwicklung der USA. Mit Anerkennung vermerkte er, dass Polen als eines der wenigen Nato-Länder die von den USA geforderten 2 Prozent des Bruttoinlandproduktes für die Verteidigung ausgibt (Deutschland 1,2 Prozent). Er erwähnte den beachtlichen polnischen Einsatz im Irak und in Afghanistan. Er versprach eine Stärkung der Nato, die sich jedoch um die Bekämpfung des Terrorismus kümmern sollte. Über Russland verlor er kein Wort. Trump sagte zudem die Abschaffung der US-Einreisevisa für Polen zu und warb natürlich intensiv um polnische Wählerstimmen. Die meisten von ihnen waren ihm sicher, denn die US-Polen wählen  mehrheitlich republikanisch.

Trumps Ansprache an die Amerika-Polen (ca. 17 Minuten) kann man sich hier ansehen.

Kann Polen auf diese Worte bauen? Donald Trump ist ein Ausbund an Rätseln, und auch die Lösung dieses konkreten Rätsels muss man abwarten. Einen Grund zur Panik jedoch gibt es vorerst nicht.

Die Polen über Trump

Die selbsternannte polnische „aufgeklärte Elite“ wird, wie die deutsche, noch einige Zeit brauchen bis sie sich sicher ist, ob mit Trumps Wahlsieg die Demokratie nur eine Niederlage erlitten hat oder bereits an ihrem Ende angekommen ist. Alles was sie von sich gibt ist ein Abbild dessen, was auch in Deutschland über Trump verkündet wird, und deswegen muss man es an dieser Stelle nicht wiederholen.

Anders ist interessanter.

Drei prominente Polen haben, jeder auf die für ihn typische Weise, zu dem Trump-Erfolg Stellung genommen.

Donald Tusk 

Am schwierigsten hatte es Donald Tusk. Der „Präsident Europas“ hat sich zwar nicht ganz so weit aus dem Fenster gelehnt, wie der deutsche Auβenminister Steinmeier, der Trump während des Wahlkampfes einen „Hassprediger“ nannte und nach seinem Sieg klein beigeben musste.

Anders als Steinmeier wollte Tusk nur witzig sein und veröffentlichte am 5. November die Botschaft: „Der neueste Kommentar meiner Frau: ein Donald ist mehr als genug!“.

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Auch Tusk musste bereits am 9. November kräftig zurückrudern: „Hier mein Glückwunschbrief und die Einladung nach Europa zu einem baldigen EU-US-Gipfel, um die Beziehungen für die nächsten vier Jahre festzulegen.“

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Lech Wałęsa

Lech Wałęsa, gewissermaβen das „Aushängeschild“ des Kampfes gegen die angebliche heutige „Diktatur“ in Polen, frönte wieder einmal seiner Geltungssucht und Selbstgefälligkeit. Er veröffentlichte ein Foto, dass ihn in trauter Zweisamkeit mit Donald Trump zeigt.

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Wałęsas Kommentar zum Bild:

„Ich habe gestern von einigen Amerika-Polen, die in Donald Trumps Wahlbüro waren, erfahren, dass er mir herzliche Grüβe ausrichten lässt. Ich freue mich, dass er sich an unser Gespräch in seinem Klub in Florida 2010 erinnert. Angeblich soll er damals gedacht haben: »Wenn es in Polen möglich war, dass ein einzelner Arbeiter den Kommunismus bezwingt und Präsident wurde, warum sollte dann im kapitalistischen Amerika ein Millionär nicht Präsident werden…« Wie man sieht, war auch meine Geschichte für ihn  eine Art Eingebung, die ihn  zum Handeln veranlasste.“

Erst den Kommunismus allein bezwungen, dann Trump zur Präsidentschaft bewogen… Lech Wałęsa ist nun mal dazu verurteilt die Weltgeschichte zu gestalten.

Andrzej Duda

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Staatspräsident Andrzej Duda hat gratuliert:

„Exzellenz,

ich möchte Sie zum Erfolg im Wettlauf um die fünfundvierzigste Präsidentschaft der Vereinigten Staaten beglückwünschen, und Ihnen eine ausgesprochen gelungene Amtsperiode wünschen.

Die Beziehungen zwischen Polen und den USA sind ein hervorragendes Beispiel für eine strategische Partnerschaft, die auf gemeinsamen Idealen fuβt. Ihr Kern ist die Freiheit, die uns, Polen, den Amerikanern und mir persönlich sehr viel bedeutet.

In den letzten Jahrzehnten haben wir viele Initativen ergriffen, um das was uns verbindet zu festigen. Dazu gehören politische Konsultationen auf höchster Ebene im Rahmen des polnisch-amerikanischen strategischen Dialogs, aber auch bereits weit entwickelte Formen der Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit, Verteidigung, des Handels und der Innovation.

Die polnisch-amerikanischen Beziehungen sind ein wichtiger Eckpfeiler der europäischen und transatlantischen Stabilität geworden. Ganz besonders freut es uns, dass sich während des diesjährigen Nato-Gipfels in Warschau die Vereinigten Staaten entschlossen haben die Ostflanke des Bündnisses zu stärken. Wir hegen die aufrichtige Hoffnung, dass Ihre Führung neue Möglichkeiten schaffen wird für unsere Zusammenarbeit, die auf einer gemeinsamen Verpflichtung beruht.

Ich persönlich bin Ihnen dafür dankbar, dass Sie während Ihres Präsidentschaftswahlkampfes Zeit für ein Treffen mit den USA-Polen gefunden haben. Die polnischen Amerikaner wissen ihre lobenden Worte für unser Land, für die Amerika-Polen selbst und ihre Rolle in der Entwicklung der USA zu schätzen.

Ich möchte Ihnen noch einmal gratulieren und eine erfolgreiche Präsidentschaft wünschen. Ich hoffe auf zahlreiche Gespräche, die wir sowohl bilateral, wie auch innerhalb internationaler Foren werden führen können.

Mit Hochachtung,
Andrzej Duda“

Fünf gute Gründe aus polnischer Sicht guter Hoffnung zu sein

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1. Dudas Gratulation für Trump gibt vor allem einer Hoffnung Ausdruck, die nicht nur die Regierenden, sondern die meisten Polen hegen: die USA werden ihre gerade  erst erhöhtes Engagement an der Nato-Ostflanke beibehalten. Ab Januar 2017 soll in Polen eine US-Panzerbrigade stationiert werden. Auβerdem soll ein von den Amerikanern befehligtes internationales Bataillon (eintausend Soldaten aus den USA, Groβbritannien, Rumänien) im Frühjahr 2017 dauerhaft nach Polen kommen. Je ein weiteres solches Bataillon (lediglich in anderer nationaler Zusammensetzung) soll in die drei baltischen Staaten verlegt werden.

2. In Polen geht man vorerst mehrheitlich davon aus, dass ein Mann mit dem Temperament Trumps sich Putins Sticheleien und Provokationen nicht lange wird bieten lassen. Zugunsten Putins klein beigeben, das wäre eine Absage an Trumps Wahlslogan „Make America Great Again“. Trump ist für Putin viel unberechenbarer als Obama es war oder Hillary Clinton es wäre. Das dürfte Putins Risikobereitschaft zügeln.

3. Trump wird von Beratern umgeben sein, die, wie Newt Gingrich Hardliner sind. Im Kongress gibt es zudem genügend einflussreiche Republikaner die eine nachsichtige Haltung gegenüber Putin ablehnen. Des Weiteren bleiben die Kommandostrukturen der US-Army, der CIA, NSA und ander Geheimdienste bestehen, ebenso wie die strategischen Interessen der USA. Trump kommt schwerlich an alldem vorbei.

4. Wenn Trump seine Ankündigung ernst meint, die USA werden nur Staaten helfen, die sich selbst ernsthaft um ihre Sicherheit kümmern und (wie Polen) mindestens 2 Prozent ihres BIP für die Verteidigung ausgeben, dann wird das zu einer deutlichen Stärkung des Bündnisses führen.

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„Krawall Diplomatin“ (Der Spiegel) Victoria Nuland und ihr Kollege im Geiste, Daniel Fried, werden nun von ihrer „Aufseher“-Funktion in Warschau entbunden.

5. Schon während seines Treffens mit den Amerika-Polen hat sich Trump von der beinahe ständigen Einmischung der Obama-Administration in innerpolnische Angelegenheiten distanziert. Ende 2015 und Anfang 2016 schickte Washington mehrere Male die sehr machthaberisch und und überheblich auftretende Referatsleiterin für Europa und Eurasien im US-Auβenministerium, Victoria Nuland, nach Warschau, die sogar „Der Spiegel“, wegen ihres unsäglichen Auftretens in der Ukraine, „Amerikas Krawall-Diplomatin“ nannte. Ähnlich führte sich bei seinen Besuchen ein anderer US-Kontrolleur auf, der Diplomat und ehem. Botschafter in Warschau (1997-2000), Daniel Fried,. Beide werden nun von ihrer „Aufseher“-Funktion in Warschau entbunden.

Fazit

Stanisław Janecki, der führende Kommentator und politische Beobachter auf der konservativen Seite ging sogar so weit zu schreiben:

„Auf die Zukunft und die Sicherheit Polens während der Präsidentschaft Donald Trumps schauen wir mit Zuversicht. Schlechter war es bereits, jetzt kann es nur noch besser werden. Die Präsidentschaft Donald Trumps ist für Polen eine Chance, keine Bedrohung.“

Seine Worte in Gottes Ohr.

© RdP




Blanke Ostflanke

Die Verwundbarkeit der Nato im Baltikum und in Polen.

In der russischen Enklave Kaliningrad und in den russischen Gebieten, die unmittelbar an Lettland und Estland grenzen, befinden sich heute die gröβten Truppenansammlungen innerhalb Europas. Die militärische Schwäche der Nato in dieser Region und eine enorme bewaffnete Überlegenheit Russlands, laden Moskau regelrecht zu einem Vorstoβ ein.

Nachfolgend dokumentieren wir groβe Auszüge eines Artikels, der in der Wochenzeitung „Gazeta Polska“ („Polnische Zeitung“) vom 24. April 2016 erschienen ist.

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Die Probleme der Ostflanke sind Thema des Nato-Gipfeltreffens in Warschau am 8.-9.Juli 2016.

Die russische Übermacht äuβert sich vor allem in der Fähigkeit, aus dem Stand, zeitlich und räumlich begrenzte, unvermutete Blitzangriffe vornehmen zu können. Ein solcher Überfall auf Nato-Gebiet würde nicht unbeantwortet bleiben. Der Kreml kann jedoch dabei davon ausgehen, dass eine Erwiderung der Nato so viel Zeit in Anspruch nehmen wird, dass sich das Bündnis am Ende vor vollendete Tatsachen gestellt sehen könnte.

Widerstand der Liliputaner

Durchaus vorstellbar wäre, dass die Russen innerhalb von 72 Stunden die drei baltischen Staaten überrollen, und dann der Nato mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen, sollte das Bündnis den Versuch wagen die besetzten Gebiete zurückzuerobern. Friedensbewegte Massenproteste in Westeuropa, vor allem in Deutschland, lautstarke Appelle „vernünftiger“ Politiker und Medien „mit Russland zu reden“ und „Russland zu verstehen“ könnten das Schicksal des wieder einmal von Russland besetzten Baltikums schnell besiegeln.

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Die Nato-Ostflanke

Insgesamt können die drei baltischen Staaten: Estland, Lettland und Litauen für den Kriegsfall vier bis fünf reguläre Brigaden (etwa 30.000 Mann) aufbieten, unterstützt von der Territorialverteidigung. Es handelt sich hierbei ausnahmslos um leichte Infanterie, fast gänzlich ohne schweres Gerät. Eine eigene Luftwaffe haben die Balten, bis auf einige wenige lettische Hubschrauber sowjetischer Bauart, nicht. Ihre Flugabwehr besteht aus tragbaren Singer- und Mistral-Raketen, geeignet um Luftziele in geringen Höhen abzuschieβen.

Die Seestreitkräfte bestehen aus einigen wenigen Minensuch- und kleinen Patrouillenbooten. Weder die in der letzten Zeit angeschafften 90 Schützenpanzerwagen der estnischen Armee noch die neuen leichten Panzerhaubitzen der lettischen Streitkräfte könnten der erdrückenden russischen Übermacht etwas anhaben.

Polen einsam an vorderster Front

Eine Schlüsselrolle im Nato-Ostseeraum spielt Polen. Seine Landstreitkräfte bestehen aus drei Divisionen mit u. a. zehn voll ausgerüsteten Infanteriebrigaden. Das Land verfügt, nach der Türkei, über die meisten Panzer unter den europäischen Nato-Staaten. Es handelt sich dabei überwiegend um deutsche Leopard-Panzer. Ein Teil stammt jedoch noch aus der Zeit des Warschauer Paktes, wurde aber, soweit möglich, aufwendig auf den neusten Stand gebracht.

Die neue Regierung unter Frau Beata Szydło ist inzwischen emsig dabei, die Versäumnisse ihrer Vorgänger abzuarbeiten. Eine Freiwilligen-Territorialarmee wird aufgebaut. Truppenstandorte vom Westen des Landes (ein Überbleibsel aus der Epoche des Warschauer Paktes) werden in den, bis jetzt fast wehrlosen, Osten des Landes verlegt. Eine zahlenmäβige Aufstockung der Streitkräfte ist im Gange.

Doch seine geographische Lage dürfte es Polen kaum erlauben, den drei baltischen Staaten zur Hilfe zu kommen. Wie eine geballte Faust schwebt die russische Enklave Kaliningrad über dem Land, und im Osten erstreckt sich das mit Russland militärisch eng verwobene Weiβrussland. Polen hätte groβe Mühe das eigene Territorium zu verteidigen.

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Warschau liegt nur knapp 300 Kilometer von den Ausgangsstellungen des potentiellen Angreifers entfernt und wäre schnell Ziel eines starken russischen Zangenangriffs von Norden (Kaliningrad) und Osten (Weiβrussland), der die polnischen Streitkräfte im Raum der sog. Suwalki-Lücke umgehend von der polnisch-litauischen Grenze abschneiden würde.

Nato mit Lupe suchen

Die ständige militärische Anwesenheit der Nato in und an der Ostsee blieb seit dem Nato-Beitritt der drei baltischen Staaten im Jahr 2002 auf ein absolutes Minimum beschränkt. Im Rahmen der s.g. Baltic Air Policing Mission überwachen vier in Litauen stationierte Jagdflugzeuge jeweils eines Nato-Landes drei bis vier Monate lang den Luftraum über dem Baltikum. Anschlieβend wird an ein anderes Nato-Land, das über Luftstreitkräfte verfügt, übergeben. Seit Mai 2014 sind auch in Estland abwechselnd vier Nato-Flugzeuge stationiert.

Gröβere Verbände von Nato-Schiffen erscheinen in der Ostsee nur selten zu Übungen.

In Polen und im Baltikum sind, nach dem Rotationsprinzip, einige Kompanien der US-Army stationiert. Ihre Anwesenheit soll die Hemmschwelle für einen eventuellen russischen Angriff deutlich erhöhen. Obwohl rein symbolisch, garantiert die US-Präsenz eine sofortige Einbeziehung der USA in einen von Russland angezettelten Konflikt.

Erst jetzt werden in Polen und im Baltikum erste Geräte- und Vorratslager für amerikanische Truppen, die im Ernstfall zur Hilfe kommen sollen, angelegt.

Im Kriegsfall hat die „Einsatzgruppe mit sehr hoher Einsatzbereitschaft“ (VJTF) der Nato 48 Stunden um zu reagieren. Ihr zur Seite sollen kleine Einheiten von Spezialkräften, sowie sehr beschränkte Luftwaffen- und Marinekontingente stehen.

Weiteren vorgesehenen Entsatztruppen bleiben sieben Tage Zeit. Das Problem besteht darin, dass innerhalb der beiden Fristen (zwei bzw. sieben Tage) die genannten Nato-Streitkräfte ihre Einsatzfähigkeit erreichen sollen. Vor Ort erscheinen würden sie erst danach, und das nur, wenn alle 28 Nato-Regierungen dem Einsatz zugestimmt haben. Und das kann dauern.

Die besetzen baltischen Staaten können also im Ernstfall nur auf die schnelle Reaktion der USA zählen. Hierfür bestimmt ist die 82. Luftlandedivision in Fort Bragg/South Carolina. Ein Bataillon dieser Einheit kann innerhalb von 18 Stunden an jedem Ort in der Welt landen, die ganze Division, mit Ausrüstung, spätestens nach 96 Stunden.

Es soll nach Westen gehen

Seit einigen Jahren modernisieren und bauen die Russen ihre Streitkräfte im Westen des Landes sehr zügig aus und sind dadurch, im Ostseeraum, der Nato konventionell weit überlegen.
Die Veränderungen begannen bereits in der Amtszeit des vorherigen Verteidigungsministers Anatolij Serdjukow (2007-2012) und werden unter seinem Nachfolger Sergei Schoigu mit noch mehr Nachdruck fortgesetzt.

Viele kleine, oft heruntergekommene Standorte wurden geschlossen, verbliebene hat man aufwendig modernisiert. Wo früher oft die Hälfte, und mehr, des Personals fehlte, ist heute die volle Sollstärke vorhanden. Neue Standorte und Einheiten sind entstanden.

Seit 2010 existiert der Westliche Wehrkreis. Es ist der gröβte von vier Wehrkreisen, in die Russland aufgeteilt wurde. Er erstreckt sich von der Arktis bis zur Ukraine und vom Ural bis zur Ostsee. Seine Kommandozentrale befindet sich in St. Petersburg. Ihm unterstellt sind drei Armeen, eine ganze Reihe weiterer selbständiger Bodentruppeneinheiten, die Baltische- und die Nordmeerflotte, erhebliche Luftlande- und Luftabwehrkräfte sowie strategische Atomraketeneinheiten.

Zu den beweglichsten Einheiten gehören drei Luftlandedivisionen und drei Brigaden SpezNas-Sondertruppen des russischen militärischen Nachrichtendienstes GRU, die gegnerische Befehlszentralen und wichtige Anlagen im Hinterland des Gegners im Handstreich besetzten oder vernichten sollen.
Ihnen zur Seite stehen eine Flotte von Transport- und Kampfflugzeugen und starke Luftabwehreinheiten. Schnell auf groβe Entfernungen verlegbar, wären diese Kräfte geeignet die Vorhut eines Überraschungsangriffs auf die baltischen Staaten zu bilden.

Eine zweite Welle würde, wie bereits erwähnt, aus den drei  Armeen bestehen, von denen zwei inzwischen bereits voll einsatzfähig sind und eine sich im Aufbau befindet.

Das Kommando der 6. Armee befindet sich in St. Petersburg. Die Kräfte der 6. Armee sind im Osteeraum entlang der Grenze zu Lettland, Estland und Finnland verteilt: in der Nähe von Pskow, um St. Petersburg und auf der Karelischen Landenge.

Die 1. Panzerarmee mit Kommando in Moskau, besteht u. a. aus zwei Elite-Einheiten: die 4. Kantemirow-Division und die 2. Taman-Division. Sie sollen im Ernstfall über Weiβrussland auf Polen, Litauen und die Nord-Ukraine vorstoβen.

Die 20. Armee mit Kommando in Woronesch wird neu aufgestellt. Sie soll über weniger Panzer, dafür mehr leichte Kampffahrzeuge verfügen.

Die 1. und die 20. Armee sollen bevorzugt mit dem modernsten Kampfpanzer T-14 Armata und dem neuentwickelten Schützenpanzer T-15 Kurganez beliefert werden.

Der unsinkbare „Flugzeugträger“ Kaliningrad

Eine sehr groβe strategische Bedeutung hat die Gegenwart Russlands an der Pregelmündung.

Der wichtigste Marinestützpunkt der Baltischen Flotte befindet sich in Baltijsk/Pillau. Hier liegen die meisten der fünfzig Schiffe dieses Verbandes vor Anker (darunter zwei Zerstörer, zwei Fregatten, drei Korvetten und zwei U-Boote vom Typ Projekt 877 Heilbutt). Sehr wichtig für eventuelle Angriffsoperationen sind die vier groβen Landungsschiffe der Ropucha-Klasse und die zwei gröβten Luftkissenlandungsboote der Welt vom Typ „Wisent“, die jeweils bis zu 140 Soldaten und 30 Tonnen Fracht befördern können. Dem Kommando der Baltischen Flotte untersteht auch eine nicht kleine Anzahl von Flugzeugen des Typs Su-24, Su-27, An-26, Mi-24, Mi-8 und Ka-27.

Bałtyk mapa

Die Baltische Flotte Russlands hat zwei Aufgaben zu erfüllen. Zum einen soll sie die Kaliningrader Enklave verteidigen und die Seeverbindungen nach St. Petersburg schützen. Zum anderen soll sie die baltischen Staaten und Polen von der See her abriegeln, indem sie vom Finnischen Meerbusen, den Alandinseln, der Insel Gotland bis hin zur Südküste der Ostsee operiert.

Die russische Flotte verfügt in der Ostsee über eine enorme Übermacht. Die baltischen Staaten haben keine Seestreitkräfte. Die polnische Marine, in die seit dem Ende des Kommunismus kaum investiert wurde, ist heute praktisch kampfunfähig. Die Finnen beschränken sich auf die Küstenverteidigung, die sie allerdings mit modernen Schiffen bewerkstelligen. Schweden hat seine einst sehr starke Marine weitgehend abgeschafft. Die deutsche Marine, nur im äuβersten westlichen Winkel der Ostsee präsent und zu offensiven Operationen ohnehin kaum fähig, hätte vor allem mit dem eigenen Küstenschutz und der Sicherung der dänischen Meerengen alle Hände voll zu tun.

Im Kaliningrader Gebiet sind drei Bodentruppeneinheiten stationiert: die 336. Marineinfanteriebrigade in Bakltijsk/Pillau, die 79. Motorisierte Infanteriebrigade in Gusew/Gumbinnen und das 7. Motorisierte Infanterieregiment in Kaliningrad.

Warschau in 12 Minuten vernichtet

In Tscherniachowsk/Insterburg hat die 152. Garde-Raketenbrigade ihren Standort. Sie ist mit Totschka-U-Gefechtsfeld-Kurzstreckenraketen (70 – 120 Kilometer Reichweite) ausgerüstet. Das System, auf geländegängigen Lastkraftwagen installiert, ist hochbeweglich und schnell verlegbar. Die kürzeste Zeit zwischen voller Fahrt, anhalten und dem Raketenstart beträgt nur fünf Minuten. Jedes Fahrzeug ist mit einer Rakete ausgestattet, die mit unterschiedlichen, auch atomaren, Gefechtsköpfen bestückt werden kann, deren Sprengkraft bis zu 200 Kilotonnen beträgt (die Hiroshima-Atombombe hatte eine Sprengkraft von 15 Kilotonnen).

Das Totschka-U-System kann kurzfristig durch das Iskander-M-System ersetzt werden, wodurch sich die Reichweite der Atomraketen auf bis zu 700 Kilometer erhöht. Eine Iskander-Atomrakete, abgeschossen in einem soeben angefahrenen Waldstück des Kaliningrader Gebietes, erreicht Warschau innerhalb von 12 Minuten und ist praktisch nicht abzuwehren.

Die Tscherniachowsker-Raketenbrigade verfügt auch über die S-300 Antaios und S-400 Triumph, mobile, allwettertauglichen Langstrecken-Boden-Luft-Lenkwaffensysteme zur Bekämpfung von Kampfflugzeugen, Marschflugkörpern sowie ballistischen Kurz- und Mittelstreckenraketen. Damit beherrschen die Russen den gesamten Luftraum zwischen Süd-Lettland und Nord-Polen.

Ein wichtiger Bestandteil des kompletten Systems ist die in Pionerski/Neukuhren gebaute gewaltige Radarstation Woronesch-DM, die ein Gebiet von 10.000 Quadratkilometern überwacht.
Insgesamt sind im Kaliningrader Gebiet bis zu 15.000 Soldaten stationiert. Diese Zahl kann kurzfristig beachtlich erhöht werden. In vier groβen Vorratslagern werden Waffen und Ausrüstung für bis zu 20.000 Mann vorgehalten.

Von Pskow bis Lida

Kräfte die für den Angriff auf Lettland und Estland vorgesehen sind, wurden in der Gegend von Pskow zusammengezogen. Pskow selbst ist Sitz der 76. Garde Luftsturmdivision. Diese Eliteeinheit, deren Soldaten in der Ukraine und in Syrien im Einsatz waren, besteht aus zwei Luftsturmregimentern und allen notwendigen Unterstützungseinheiten. Insgesamt 7.000 Fallschirmjäger. Ebenfalls in Pskow stationiert ist die 2. Selbständige SpezNaz-Spezialtruppenbrigade.

Ungefähr 50 Kilometer südlich von Pskow, in Ostrow wurde im Sommer 2013 die 15. Armee-Fliegerbrigade gebildet. Sie verfügt über knapp einhundert Kampfhubschrauber Mi-28N Nachtjäger und Ka-52 Alligator, dazu einige Dutzend Transporthubschrauber Mi-8MTV-5 und Mi-26T. Eine Stunde Flug trennt sie von Riga. Sie fliegen zu niedrig, um von der lettischen Luftraumüberwachung entdeckt zu werden.

Ein ähnlicher Kampfhubschrauber-Standort entsteht in Puschkin, 25 Kilometer südlich von St. Petersburg.

In unmittelbarer Nachbarschaft der estnischen Grenze entstand 2009 eine völlig neue Einheit, die 25. Motorisierte Infanteriebrigade in Wladimirski Lager. In Luga, 140 Kilometer südlich von St. Petersburg, sind die 9. Artilleriebrigade und die 26. Raketenbrigade beheimatet. Letztere wurde ganz und gar auf mobile Iskander-M-Abschusssysteme umgestellt. Das Bild einer durch und durch militarisierten Region an der estnischen Grenze wird ergänzt durch die 138. Motorisierte Infanteriebrigade in Kamenka bei St. Petersburg. Hinzu kommt der Luftstützpunkt in Lewaschow und die um St. Petersburg herum stationierten S-400 Luftabwehrraketen.

Weiβrussland kann Moskau nicht „Nein“ sagen

Eine besondere Bedeutung spielt Weiβrussland. Es ist an Russland durch einen Unionsvertrag gebunden. Die Luftverteidigungssysteme beider Staaten bilden eine Einheit und halten regelmäβig umfangreiche gemeinsame Übungen ab.
Im Ernstfall wäre Weiβrussland nicht in der Lage Russland die Nutzung seines Luftraums und Territoriums zu verbieten. Im Sommer 2013 begann Russland mit der Stationierung von Su-27M3-Jagdflugzeugen im Luftwaffenstützpunkt Lida, unweit der litauischen Grenze. Ein weiteres russisches Geschwader wird bald ins benachbarte Baranowitschi verlegt.

Zwar versucht Staatspräsident Lukaschenka zu lavieren, aber im Ernstfall, davon gehen westliche Planer fest aus, werden die weiβrussischen Streitkräfte an russischer Seite in den Kampf ziehen. Die weiβrussische Luftwaffe zählt 100 Kampfflugzeuge und 20 Kampfhubschrauber. Die Landstreitkräfte bestehen aus drei mechanisierten Infanteriebrigaden, zwei Luftlandebrigaden und einer Brigade Spezialtruppen.

Das Kriegsszenario

Die meisten Fachleute gehen davon aus, dass ein Krieg Russlands gegen die baltischen Staaten mit Provokationen seitens der russischen Minderheiten in Estland (30 Prozent der Bevölkerung) und Lettland (26 Prozent) beginnen würde. Ein Aufruhr in diesen Staaten könnte Moskau als Vorwand dienen unmittelbar einzugreifen. Wahrscheinlich kämen am Anfang, als ortsansässige „Partisanen“ getarnt, „grüne Männchen“, kleine russische Spezialeinheiten ohne Abzeichen, zum Einsatz. Danach reguläre Truppen.

Der Angriff auf Litauen, wo keine nennenswerte russische Minderheit lebt, könnte der schnellen Errichtung eines Landkorridors zwischen Weiβrussland und dem Kaliningrader Gebiet dienen.

Generell würde Russland schnell vollendete Tatsachen schaffen wollen, und die Nato durch die Androhung eines Atomwaffeneinsatzes vom Handeln abzuhalten versuchen. Deswegen ist in den russischen Plänen ein völliges Abschneiden des Baltikums von der Auβenwelt vorgesehen: durch den „Riegel“ zwischen Kaliningrad und Weiβrussland, die Seeblockade und die volle Kontrolle über den Luftraum, wozu sich die mobilen S-300 und S-400 Luftabwehrraketen sehr gut eignen.

Zusammenfassend kann man davon ausgehen, dass der russische Angriff, nach einer kurzen „grüne-Männchen-Episode“, mit einem von Weiβrussland ausgehenden Vorstoβ zur Schaffung einer Landbrücke nach Kaliningrad beginnen würde. Gleichzeitig würde ein von Kaliningrad und Weiβrussland aus vorgenommener Zangenangriff in Richtung Warschau beginnen, um polnische Truppen möglichst hinter die Weichsel zurückzudrängen. Mit massiven Luftlandeoperationen würden die Russen zeitgleich Lettland und Estland einzunehmen versuchen.

Danach würde Moskau mit Atombombendrohungen und Gesprächsangeboten die westliche Öffentlichkeit zum Einlenken und zur „realistischen“ Anerkennung vollendeter Tatsachen zu überreden versuchen.

„Faut-il mourir pour Riga?“

„Faut-il mourir pour Dantzig?“ – „Muss man für Danzig sterben?“ lautete der Titel eines Artikel, den der französische Sozialist und spätere Faschist Marcel Déat am 4. Mai 1939 in der Pariser Zeitung „L’Œuvre“ veröffentlicht hat. „Pourquoi mourir pour Dantzig?“ wurde damals sofort zu einem wichtigen Schlagwort in der französischen und britischen politischen Debatte.

Wschodnia flanka Deat
Deat-Artikel mit Deat-Foto. „Muss man für Danzig sterben?“

Dahinter verbarg sich der Aufruf, die französischen und britischen Beistandsgarantien für Polen nicht einzuhalten. Sie sahen vor, dass die Westalliierten spätestens zwei Wochen nach dem Angriff auf Polen im Westen die Kampfhandlungen gegen Deutschland eröffnen. Nach Déats Motto wurde das einsam kämpfende Polen im September 1939 Hitler und Stalin überlassen. Neun Monate später waren die Deutschen in Paris, und wegen Danzig starben am Ende 50 Millionen Menschen auf der ganzen Welt.

Wird das alles, im Ernstfall, einen potentiellen Autoren des Artikels mit dem Titel „Faut-il mourir pour Riga?“ in Hamburg oder Paris von seiner Absicht abbringen?

RdP