20.07.2022. Für Polen liegt Sri Lanka zwischen Brüssel und Amsterdam

Vor einigen Tagen gingen Bilder aus Colombo um die Welt, die zeigten, wie ein verzweifelter Mob den Palast von Präsident Gotabaya Rajapaksa stürmte, dem es in letzter Minute gelang, mit dem Flugzeug auf die Malediven zu entkommen. In Sri Lanka herrscht Chaos. Die Inflation hat 54 Prozent überschritten, es gibt keinen Treibstoff an den Tankstellen, der Strom wird nur ab und an eingeschaltet, in den Geschäften fehlen Lebensmittel und in den Apotheken Medikamente. Der Staat hat Konkurs angemeldet, kann seine Schulden von mehr als 50 Milliarden Dollar nicht begleichen.

Bei der Beschreibung der Ereignisse in Sri Lanka wird in den Medien weltweit eine der Hauptursachen der derzeitigen Krise geflissentlich ausgelassen oder nur vage angesprochen. Es geht um die Entscheidung von Präsident Rajapaksa im Jahr 2019, Sri Lanka innerhalb von zehn Jahren zu einem der weltweit führenden Länder in der ökologischen Landwirtschaft zu machen. Rajapaksa hielt Wort: Im April 2021 verbot er die Einfuhr und den Gebrauch von chemischen Düngemitteln.

Das Ergebnis war dramatisch. Entgegen der Behauptung, dass mit ökologischen Methoden vergleichbare Erträge wie in der konventionellen Landwirtschaft erzielt werden können, ging die heimische Reiserzeugung in den ersten sechs Monaten um 20 Prozent zurück. Sri Lanka, das sich bis dato selbst mit Reis versorgen konnte, war gezwungen, Reis im Wert von 450 Millionen Dollar zu importieren. Die Inlandspreise für dieses Grundnahrungsmittel stiegen dadurch um etwa 50 Prozent.

Durch das Verbot wurde auch die Teeernte vernichtet, ein wichtiges Exportgut und damit eine wichtige Devisenquelle. Die aufgrund des Rückgangs der Teeproduktion verursachten wirtschaftlichen Verluste werden auf 425 Millionen Dollar geschätzt.

Vor dem Ausbruch der Pandemie war Sri Lanka stolz darauf, den Status eines halbwegs wohlhabenden Landes erreicht zu haben. Heute ist eine halbe Million Menschen wieder in die Armut abgestürzt. Die rasant ansteigende Inflation und die rapide Schwächung der Währung zwangen Sri Lanka, die Einfuhr von Lebensmitteln und Treibstoff einschneidend zu drosseln.

Obwohl die Insel im Indischen Ozean weit von uns entfernt liegt und ihre Wirtschaft sich von der europäischen unterscheidet, bringen die Erfahrungen des Landes wichtige Lehren mit sich.

Das ökologische Ziel, gesunde Lebensmittel zu erzeugen, ist an sich lobenswert. Das Problem beginnt, wenn dieses Ziel ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen und sozialen Realitäten umgesetzt wird. Wenn diese als unerheblich angesehen werden, weil sie ideologischen Annahmen im Wege stehen.

Vielleicht wäre die Verwirklichung des Planes zur Schaffung einer ökologischen Landwirtschaft in Sri Lanka möglich, aber er würde eine längere Übergangszeit und die Suche nach ebenso wirksamen, natürlichen Ersatzstoffen für Kunstdünger erfordern. Das ist bisher nicht gelungen. Stattdessen wurde ein ehrgeiziges Ziel rücksichtslos in Angriff genommen. Und ausgerechnet während der Wirtschaftskrise, die die Pandemie verursacht hat. Das musste mit einer Katastrophe enden.

Ein Vergleich mit dem New Green Deal, der von der Europäischen Kommission verbissen vorangetrieben wird, bietet sich an. Die geplanten oder bereits eingeleiteten brachialen Maßnahmen können in den Ländern Mittel- und Südeuropas zu einer echten wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe führen. In Polen, einem bedeutenden Agrarproduzenten, werden sie mit Sorge und Zorn beobachtet und kommentiert.

Man könnte meinen, dass die Pandemie, die Inflation, der Krieg in der Ukraine und die Energieengpässe, die Europa inzwischen heftig zusetzen, Grund genug seien, den New Green Deal zu verschieben. Doch Frans Timmermans, der bei der EU-Kommission für das Programm „Fit for 55“ zuständig ist, hat nicht die Absicht, das Tempo zu drosseln.

Derweil zeigt die Entschlossenheit, mit der die holländische Regierung ihren radikalen „Stickstoffplan“ in die Tat umsetzt, dass der Zweck die Mittel heiligt, wie z. B. auch die Keulung von 30 Prozent des holländischen Viehbestandes, das Schießen auf protestierende Landwirte oder die Androhung der Zwangsenteignung derjenigen, die sich der Politik der Behörden widersetzen. Premierminister Mark Rutte scheint Präsident Gotabaya Rajapaksa in nichts nachzustehen.

Auch im Energiebereich geht die EU einen ähnlichen Weg wie Sri Lanka in der Landwirtschaft. Sie gibt bewährte und effiziente Methoden als umweltschädlich auf und ersetzt sie durch umweltfreundlichere, aber unerprobte und unsichere Versorgungssysteme. Sie tut das ohne ausreichende Übergangsfristen, in denen eine tragfähige Alternative zum aufgegebenen Modell hätte geschaffen werden können. Darüber hinaus führt sie radikale Veränderungen in einer denkbar ungeeigneten Zeit durch.

Wer weiß, ob Timmermans und Rutte nicht gut beraten sind, sich rechtzeitig um Fluchtflugzeuge zu kümmern.

RdP




Schnecken bringen Mäuse

Still und im Eiltempo hat die Schneckenzucht in Polen Fuβ gefasst.

Jedes Jahr verlassen Abermillionen von Schnecken die Farm in Oldrzyszowice in alle Himmelsrichtungen. Doch dessen ungeachtet, wartet am Ende meistens ein Franzose auf die Lieferung, und mit Franzosen ist in Sachen Schneckenqualität nicht zu spaβen. Das haben die drei Gründer der PSH (Polish Snail Holding) schnell begriffen, und darauf baut ihr Erfolg auf.

Der polnische Eigenkonsum von Schnecken liegt nur knapp über Null, die polnische Schneckenausfuhr dagegen reicht inzwischen an eintausend Tonnen pro Jahr heran und verzeichnet hohe Zuwachsraten. Damit hat Polen Rumänien, einen seit langem führenden europäischen Schneckenexporteur, eingeholt.

Ein Viertel des polnischen Schneckenexports wird im April und Mai auf Wiesen und in den Wäldern Polens gesammelt, der Rest entstammt der Zucht. Und hier gehört die Firma PSH in Oldrzyszowice (fonetisch Oldschischowitze), einem kleinen Ort, der knapp 30 Kilometer westlich von Opole/Oppeln liegt und einst Hilbersdorf hieβ, zu den Marktführern. Die Wochenzeitung „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“) vom 6. März 2016 widmete den Groβzüchtern eine Reportage.

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So sieht die Weide aus, in einer der drei gröβten Schneckenfarmen Polens.

Im Sommer sieht man aus der Ferne ein grünes Netz über dem 1,5 Hektar groβen Feld aufgespannt, und grüne Pflanzen mit groβen Blättern. Dann werden am Boden Holzplatten sichtbar. Aus Brettern zusammengezimmert, jeweils etwa ein Quadratmeter groβ und wie Parkettstäbe aneinandergereiht, bedecken siebzehntausend Stück von ihnen das ganze Feld. Hebt man sie hoch, kommen Kolonien von Schnecken zum Vorschein, die von unten an dem Holz kleben. So sieht die Weide aus, in einer der drei gröβten Schneckenfarmen Polens.

Marktlücke entdeckt

Die Anfänge in 2005 waren mehr als bescheiden. Pawel Piwowarski und Damian Gajewski gingen gemeinsam in eine Schulklasse. Ihre Wege hatten sich jedoch 1997, gleich nach dem Abitur, getrennt. Der eine studierte Biologie, der andere Betriebswirtschaftslehre. Als sie sich ein paar Jahre später zufällig wieder trafen, waren sie beide auf der Suche nach einer Geschäftsidee, mit der man Geld verdienen könnte. Die Handelsfirma, die sie anschließend gemeinsam gründeten, entpuppte sich allerdings schon sehr bald als Flop.

Die Kombination aus den beiden Fachgebieten Biologie und BWL hingegen erwies sich als überaus glücklich, als die Beiden auf die rettende Idee mit der Schneckenzucht kamen. Zu diesem Thema brachte das Durchforsten des Internets damals wenig an Informationen zu Tage, und das wiederum war eine sehr gute Nachricht. Eine Marktlücke war entdeckt. Kurz darauf machten sie den einzigen Schneckenfachmann Polens, im Krakauer Institut für Zootechnik, ausfindig und ließen sich von ihm beraten.

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Damian Gajewski. Konnte einen Bankfilialleiter für das etwas schräge Jungunternehmen begeistern.

Pawel, der Biologe, brachte daraufhin zehn Säcke Schnecken aus der Gegend von Avignon in Frankreich mit, während Damian, der Betriebswirt, bei den Banken um einen Kredit zur Finanzierung der neugeborenen Geschäftsidee warb. Zum Glück lieβ sich ein Bankfilialleiter für das etwas schräge Jungunternehmen begeistern und bereut diesen Entschluss im Nachhinein nicht. Eine bescheidene EU-Förderung zu bekommen war umständlich, aber nach einigen Anläufen wurde auch sie gewährt.

Derweil stieβ ein dritter Kollege aus alten Zeiten zu den beiden Firmengründern. Andrzej Minossora kam nach einigen Jahren, in denen er in den USA gelebt hatte, nach Oldrzyszowice zurück und überlegte, was er mit dem Acker anfangen sollte, den er von seinem Vater geerbt hatte.

Küchenreife Mast

Einige wenige Zahlen genügen, um sich einen Begriff vom heutigen Ausmaβ des damaligen Vorhabens zu machen. Etwa vierhundert Tonnen der Weichtiere verarbeitet PSH im Jahr. Sie züchtet selbst und hat etliche Kleinzüchter als Zulieferer unter Vertrag. Sechzigtausend Schnecken braucht man, um auf eine Tonne zu kommen. Während der Fortpflanzungszeit legt eine Schnecke bis zu fünfhundert Eier.

Fünf Monate im Jahr haben mehrere Dutzend Leute in Oldrzyszowice alle Hände voll zu tun, bis die Weichtiere küchenreif gemästet sind. Ende Februar, Anfang März werden sie aus der Winterstarre geholt. In groβen Nylonnetzen haben sie bis dahin bei fünf Grad im Kühlraum überwintert. Jetzt werden sie in der blankgeputzten Halle auf mehrstöckige Reproduktionstische verteilt, reichlich mir Warmwasser begossen und kommen dann munter aus ihren Schneckenhäuschen heraus.

Wasser wird in den nächsten Tagen immer wieder in großen Mengen verabreicht, um so den Winterdurst zu stillen, und auch an Futter wird nicht gespart. Das Futter muss zu Staub zermahlen sein, und die groβe Kunst ist, die richtige Mischung aus Maismehl, Soja sowie verschiedenen Getreidesorten zu finden. Eine Zusammensetzung, die die meisten Züchter als ihr Betriebsgeheimnis für sich behalten.

Aufgezogen werden zumeist die sehr ergiebigen afrikanischen Schnecken Helix aspersa maxima, auch die Groβen Grauen genannt, und die etwas kleineren Helix aspersa Müller. Den polnischen Winter würden diese Arten in freier Natur nicht überleben, sie sind somit keine Gefahr für die heimischen Bauchfüßler.

Wohlfühlprogramm

Damit die Exoten bereit sind sich fortzupflanzen, muss ein Wohlfühlprogramm in die Wege geleitet werden. Etwa zwanzig Grad Lufttemperatur. Bis zu achtzehn Stunden lang muss das künstliche Licht brennen. Dazu erfolgt eine regelmäßige Berieselung aus Sprühnebel-Düsen. Jeden Tag müssen Kot und Futterresten akkurat von den Tischen, auf denen die Schnecken herumkriechen, weggespült werden.

Bis zu elf Stunden kann es zur erfolgreichen Paarung dauern, denn Landschnecken sind Zwitter, doch sich selbst befruchten können sie sich nicht und müssen sich daher zunächst über ihr jeweiliges Geschlecht einig werden. Sie betasten einander mit den Fühlern, reiben lange die Unterseite ihrer glitschigen Körper aneinander. Stunden später, wenn sie denn wollen, bohren sich die Tiere jeweils in das Fleisch der Partnerschnecke und stoßen sogenannte Liebespfeile ab, um ein Hormonsekret zu übertragen.

Erst danach begatten sie sich und werden anschließend in Schälchen mit Erde gelegt, damit sie dort ihre in weiβe Kokons gehüllten Eier ablegen können. Dort herausgeklaubt, landen die Kokons in mit Erde gefüllten Styroporboxen. Je wärmer die Boxen gelagert werden, umso schneller platzt die weiβe Hülle und gelbbraune durchsichtige Eier mit Kleinschnecken darin kommen zum Vorschein. Jetzt ist es an der Zeit die Winzlinge aus den Boxen in Wärmetunnel mit viel Feuchtigkeit, der geeigneten Temperatur und sehr viel Licht zu verlegen. Täglich frisches Wasser und gutes Futter beflügeln die Mast. Mittlerweile ist es Ende Mai geworden und warm genug, um die Millionen von neuen Kriechern nach Drauβen zu befördern.

Abgesammelt wird zum ersten Mal im Juni, nachdem die Mutterschnecken, die den Winter über im Kühlraum verbrachten, sich gepaart haben. Die Haupternte findet im September statt, sobald die jungen Schnecken groß genug sind.

Weil die Weinbergschnecke (Helix pomatia) auch in Polen allmählich rar wird, und man vor allem in Frankreich praktisch jede Menge dieser Delikatesse absetzten kann, gehen die Züchter dazu über, auch der „Masurischen Auster“ das afrikanische Wohlfühlprogramm angedeihen zu lassen. Mit gutem Erfolg.

Schneckenkaviar schmeckt nach Wald

An einem Februarwochenende hatten die Drei von PSH an die zweihundert Interessierte aus ganz Polen zu einer kostenlosen Anleitung zum Schneckenzüchten zu Gast. Die Abnehmer im Ausland setzten auf kontinuierliche Lieferungen zu stabilen Preisen und in gleichbleibender, guter Qualität. Sich mit kleinen Züchtern im fernen Polen abzugeben ist den ausländischen Käufern zu viel Aufwand. Und da die Nachfrage noch immer gröβer ist als das Angebot, brauchen Firmen wie die PSH verlässliche Zulieferer. Anfang 2016 gab es in Polen um die einhundert bereits eingeführte Schneckenzuchtfarmen und circa zweihundert Neueinsteiger.

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Paweł Piwowarski (erster von rechts) erklärt Neueinsteigern aus ganz Polen wie Schneckenzucht funktioniert.

Der Schnupperkurs endete mit einer Verkostung. Es gab Schnecken mit Knoblauch in Tomatensoβe, wie die Spanier sie gerne essen. Man kostete Spaghetti mit Schnecken, nach italienischer Art. Probieren konnte man auch Schnecken mit Kräuterbutter, wie sie den Franzosen am besten schmecken. Der Zuspruch war nur anfänglich zögernd.

Ein Segment, in das die führenden Hersteller Polens, wie PSH, RKS Lubnica, Helixfood, Snails Garden oder Slow Farm mittlerweile vordringen, ist die Herstellung und Verarbeitung von Schneckenschleim, der als Mittel zur Glättung von Gesichtsfalten in hochwertigen Kosmetika zunehmend Verwendung findet.

Ganz zu schweigen vom Schneckenkaviar. Die kleinen weißen Kugeln werden in Döschen abgefüllt, sehen wie Forellenkaviar aus und schmecken nach Wald statt nach Fisch. Es ist immer noch eine verkannte Delikatesse, die den Feinschmeckern in Frankreich und den Scheichs am Golf jedoch bestens mundet.

 © RdP




Ein Apfel täglich – Herrn Putin abträglich

Polen hat russisches Embargo gut weggesteckt.

Am 6. August 2014 verfügte Staatspräsident Wladimir Putin ein Einfuhrverbot für Agrarprodukte aus Ländern, die aufgrund der Krim-Besetzung gegen Russland Sanktionen verhängt hatten. Nach gut einem Jahr steht nun fest: der Agrar-Groβhersteller Polen hat das russische Embargo bislang gut weggesteckt. Russland wollte Polen und anderen EU-Staaten Schaden zufügen, hat aber vor allem sich selbst getroffen.

Das sind die Kernaussagen eines Berichtes, den der russische Volkswirt Jewgenij Gontmacher, stellv. Direktor des renommierten Instituts für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften und der polnische Politologe Ernest Wyciszkiewicz vom Polnisch-Russischen Dialogzentrum in Warschau Anfang November 2015 gemeinsam veröffentlicht haben.

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Spätsommer 2014. Russische Berhörden vernichten „Schmuggelobst“ aus Polen in der Nähe von Kaliningrad.

Moskaus Hoffnungen und Erwartungen bei der Verhängung der Gegensanktionen waren hochgesteckt und klar umrissen. Begleitet wurde diese Maβnahme von Vernichtungsaktionen, bei denen Planierraupen und Bagger vor laufenden Kameras Lebensmittel aus EU-Staaten in Matsch verwandelten. Der Wegfall des russischen Marktes für europäische Agrarprodukte sollte:

1. den EU-Agrarproduzenten Milliardenverluste zufügen;

2. Zehntausende von Arbeitsplätzen in der EU gefährden;

3. heftige Proteste hervorrufen, die die innenpolitische Festigkeit der einzelnen EU-Staaten nachhaltig untergraben und ihre Regierungen zwingen sollten, notgedrungen, einen russlandfreundlichen Kurs in der Auβenpolitik einzuschlagen;

4. Unfrieden zwischen den EU-Staaten säen;

5. die bis dahin eher schwach entwickelte russische Agrarproduktion ankurbeln.

Russland schadet sich selbst

Die Autoren widmen sich zuerst Russland. Dort haben sich zwischen Mai 2014 und Mai 2015 die Nahrungsmittel im Durchschnitt um 23% verteuert. So ist der Preis für Schweinefleisch um 23% gestiegen, der für Käse um 20%, für tiefgefrorenen Fisch um 38%, bei Mohrrüben beträgt die Preissteigerung 39%, bei Äpfeln 37% und bei Getreide 49%. Auch die Preise von Nahrungsmitteln, für die kein Einfuhrverbot bestand stiegen in ähnlichem Ausmaß: Zucker um 52%, Sonnenblumenöl um 23%, Nudeln um 21%.

Drei Umstände führten zu dieser Situation: die EU-Sanktionen, die daraufhin verhängten russischen Einfuhrverbote und der Verfall des Rubel.

Derweil kommt die ausgeweitete russische Agrarproduktion nur schwer in Gang. Eine industriemäβige Fischzucht und Tierhaltung erfordern enorme Investitionen. Putin jedoch hat das Embargo zunächst für ein Jahr verhängt, dann um ein weiteres Jahr verlängert. Diese Zeiträume sind zu kurz, um gewaltige Ausgaben zu wagen. Umso mehr als Bruteier, Kälber, Futtermittelzusatzstoffe für Milchvieh und Fischbrut, Kartoffelsetzlinge, Zuckerrüben und Mais für eine Massenproduktion in Russland teuer im Westen gekauft werden müssten.

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Die ausgeweitete russische Agrarproduktion kommt nur schwer in Gang.

Zudem sind den russischen Verbrauchern unverändert importierte Nahrungsmittel lieber als einheimische, und sie werden in ihrer Haltung noch bestätigt. Der hohe Preisanstieg hat die Nachfrage gedrosselt. Um Käufer zu locken, drücken russische Hersteller massiv die Kosten. Schlechte Qualität ist die Folge. Laut offiziellen russischen Angaben entsprechen 23% der heimischen Milchprodukte, darunter 78% des Käses, nicht den Normen.

Polen weiβ sich zu helfen

Dem ersten Anschein nach versetzte Russland mit seinen Embargomaβnahmen Polen einen schmerzlichen Schlag. Der Verlust eines groβen Absatzmarktes, der zudem fast vor der Haustür lag, sollte enorme Einbuβen nach sich ziehen, polnische Getreidebauern, Viehhalter, Obstproduzenten und die gesamte Lebensmittelbranche auf die Barrikaden treiben. Bevorstehende Kommunalwahlen (November 2014), Präsidentschafts- und Parlamentswahlen (im Mai bzw. Oktober 2015) schienen die Verantwortlichen in Warschau besonders erpressbar zu machen. Doch der Kreml hatte sich verhoben.

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Polnische Lebensmittel bei Tesco in Groβbritannien.

Die gesamten polnischen Exporte des Jahres 2014 beliefen sich auf 165 Mrd. Euro. Davon entfielen 26,3% auf Deutschland, 6,4% jeweils auf Tschechien und Groβbritannien, 5,6% auf Frankreich, 4,5% auf Italien, 4,2% auf Russland und 4,1% auf die Niederlande. Demnach verkaufte Polen 2014 deutlich mehr Waren und Dienstleistungen nach Tschechien (für knapp 11 Mrd. Euro) als nach Russland (für 7 Mrd. Euro), das immerhin vierzehnmal mehr Einwohner zählt.

Für 2015 wird ein Rückgang des Russland-Anteils am polnischen Export von 4,1 auf 2,8% vorhergesagt. Die Ausfuhr polnischer Äpfel, Birnen und anderer Obstsorten, polnischen Gemüses, von Haselnüssen (2013 kaufte Russland immerhin 90 Tonnen), Schweinefleisch und Käse ist 2015 bei null angelangt.

Anfänglich hat das russische Embargo sehr vielen polnischen Agrarproduzenten das Leben schwer gemacht. Lkw-Transporte mussten umkehren, Lagerhallen quollen über, die oft schnell verderbliche Ware musste zu Schleuderpreisen abgestoβen werden.

Schon im August 2014 gab die EU-Kommission bekannt, es werde EU-weit Kompensationszahlungen für Embargo-Geschädigte geben.

Nach anfänglicher Orientierungslosigkeit, einer Unlust zu handeln und der Unterschätzung der Embargo-Verluste durch die Verantwortlichen in Warschau, gelang es schlussendlich doch noch das EU-Hilfsprogramm in Anspruch zu nehmen.

Polnische Obst-und Gemüsebauern bekamen bis Juni 2015 insgesamt 155 Mio. Euro Entschädigung. Die zweite Tranche von 200 Mio. Euro soll bis Ende Juni 2016 ausgezahlt werden.

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Polnischer Stand bei der Agrar-Messe in Schanghai 2014.

Zuvor, bereits im Frühherbst 2014. hatte es eine massive Werbekampagne gegeben: „Iss polnische Äpfel, Putin zum Trotz“, die in kurzer Zeit eine Verdopplung der Binnennachfrage nach polnischem Obst mit sich gebracht hatte. Gleichzeitig startete das Landwirtschaftsministerium in Warschau eine emsige Suche nach Ersatzmärkten in Südostasien, im Nahen Osten und Nordafrika. Sie wurde von Erfolg gekrönt.

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Polnische Präsentation bei der Agrarmesse in Abu Dhabi 2015.

Die Zahlen belegen es. Der polnische Agrarexport wuchs 2014 um 7,1%, für 2015 wird ein Zuwachs von 6,5% vorhergesagt. Russlands Embargo hat anfänglich wehgetan, aber es hat auch Anpassungsmaβnahmen erzwungen, die den polnischen Agrarexport schon ein Jahr später gegen russische Sanktionen praktisch immun gemacht haben.

© RdP




DAS WICHTIGSTE AUS POLEN 13. MÄRZ – 19. MÄRZ 2016

Kommentator Janusz Tycner und Joachim Ciecierski gehen auf die wichtigsten Ereignisse der Woche ein: 71 Jahre nach dem Krieg Museum der Polen die Juden im Zweiten Weltkrieg gerettet haben eröffnet. Zusammenarbeit der Visegrad-Staaten Eckpfeiler der polnischen Außenpolitik unter der neuen Regierung. Trotz Protesten und Kritik sitzt die neue Regierung, laut Umfragen, politisch fest im Sattel. Fünfjähriger Verkaufsstopp für staatliches Agrarland.

http://auslandsdienst.pl/3/24/Artykul/30854,Die-halbe-Wahrheit-ist-nicht-die-Wahrheit




Keiler wühlen, Biber nagen, Bauern klagen

Wildschäden nehmen zu und schüren Unmut.

Während der groβen Bauernproteste im Februar 2015 (Straβenblokaden auf dem Lande, mehrere Märsche und Massenkundgebungen in Warschau) spielten mangelnde  Entschädigungen für Wildschäden eine wichtige Rolle, was viele Unbeteiligte in Staunen versetzte.

Vom Internetportal „wPolityce.pl“ („inderPolitik.pl“) am 10. Februar 2015 danach gefragt, ob das wirklich solch ein groβes Problem sei, antwortete der Bauernpolitiker und Agrarier Artur Balazs:

„Das ist ein unvorstellbarer Skandal! Sämtliche Folgen der Wildschäden tragen praktisch die Bauern. Ich sage das aus voller Überzeugung. Die Schäden werden nämlich von den Jägern geschätzt, da kann man nicht erwarten, dass sie zu ihrem Nachteil handeln. Die Schätzung wird von demjenigen vorgenommen, der den Schaden zu verantworten hat und die Entschädigung zahlen soll. Das muss man sich erst einmal vorstellen! Die Schäden, die Wildschweine und Hirsche in ganz Polen verursachen sind immens, und Wiedergutmachungen gibt es nicht oder sie sind symbolischer Natur. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem eine neue gesetzliche Lösung erforderlich ist, damit ein Bauer nicht gegen Jagdpächter-Vereinigungen prozessieren muss, die ihre eigenen Anwälte haben, dazu vor Richtern, die nicht selten selbst Jäger sind“.

Im Jahr 2009 beliefen sich die Verluste, die geschützte Tiere (Elche, Wisente, Bieber und Wölfe) der Landwirtschaft zufügten auf 7,3 Mio. Zloty (ca. 1,8 Mio. Euro). 2013 waren es bereits 16 Mio. Zloty (ca. 3,9 Mio. Euro) und 2014 –  16,5 Mio. (gut 4 Mio. Euro). Dafür haftet der Staat, doch die geschädigten Landwirte klagen, er komme seinen Verpflichtungen nur zögerlich nach, und beschweren sich über Zahlungsrückstände.

Um ein Vielfaches höher sind Schäden, die diese Tiere in den Staatswäldern (ca. 80% der 9,1 Mio. ha Wald in Polen sind staatlich) anrichten. Vor allem Elche und Bieber haben im Jahr 2014  etwa 20.000 ha Wald zu vierzig und mehr Prozent vernichtet. Seitens der staatlichen Forstverwaltung heiβt es, es sei unmöglich die Schäden genauer zu beziffern. Jedenfalls gibt der Staatsforst allein für Schutzmaβnahmen gegen Wild pro Jahr etwa 135 Mio. Zloty (ca. 33 Mio. Euro) aus.

Immer mehr Schäden in der Landwirtschaft richtet jedoch auch das Jagdwild an. Hier sind es vor allem die Wildschweine. Während der Aussaat ernähren sie sich von Saatkartoffeln und Saatgetreide (Weizen, Mais). Enorm ist der Schaden, den Wildschweine an reifen Feldfrüchten verursachen, insbesondere an Kartoffeln, Weizen, Hafer und Mais. Hinzu kommen die von Wildschweinen verursachten Wiesenschäden. Die Tiere streben, insbesondere im Frühjahr, auf die Wiesen und Weiden und  wühlen die Flächen um, auf der Suche nach Engerlingen und Mäusen, um so ihren Eiweiβbedarf zu decken.

Für diese Schäden müssen die örtlichen Jagdpächter-Vereinigungen aufkommen. Im Jahr 2014 haben sie in ganz Polen den Landwirten 64 Mio. Zloty (ca. 16 Mio. Euro) gezahlt. Das Geld fließt aus den Mitgliedsbeiträgen und aus dem Erlös für erlegtes Wild. Die Wildpreise stagnieren jedoch und die Beiträge sind bereits hoch. Derweil steigen die Ausgaben für Entschädigungen kontinuierlich, weil die Zahl der Wildschweine wächst. Ursache dafür sind vor allem die mildem Winter und der zunehmend angebaute Mais, der die Vermehrungsfreudigkeit der Tiere erheblich steigert.

Während des ganzen Sommers 2014 protestierten vor allem Bauern aus der Gegend um Białystok, im Nordosten des Landes, um die Behörden auf die Wildschweinplage aufmerksam zu machen. Ein Beispiel von vielen ist der Vierhundert-Hektar-Betrieb Marcin Szarejkos, aus dem Ort Kolonia Zabludow, dem die Tiere im Sommer 2014 Mais im Wert von 90.000 Zloty (ca. 22.000 Euro) vernichtet haben. Die örtliche Jagdpächter-Vereinigung ist knapp bei Kasse und konnte ihm gerade mal 17.000 Zloty (ca. 4200 Euro) Entschädigung zahlen.

Kein Wunder, dass Szarejko und andere Bauern lautstark eine Dezimierung des rapide steigenden Wildschweinbestandes forderten, bis die Behörden, trotz der Appelle und Proteste von Naturschützern, alle Jagd-Einschränkungen aufgehoben haben. Immerhin hatte sich der Bestand der Tiere in Polen zwischen 2000 und 2012 von 118.000 auf 255.000 erhöht. Zum Abschuss freigegeben wurden daher auch Kleintiere und trächtige Säue. Zwischen Juli 2014 und Februar 2015 sind in ganz Polen 8000 Wildschweine erlegt worden.

Das Vorhaben dauert an,  stöβt  jedoch auf Widerstand bei den Jägern. Im Internetforum der Polnischen Jägervereinigung ist u. a. zu lesen: „Der Anblick von Föten, die aus dem Bauch einer trächtigen Sau herausgenommen werden oder der Anblick von Ferkeln, die orientierungslos herumlaufen wenn sich die Sau nicht mehr bewegt, ist nicht zu ertragen. Das mache ich nicht mit“.

Ähnlich groβe Probleme wie die starke Verbreitung der Wildschweine bereitet der Biber, dessen Bestand von 235 Stück im Jahr 1928 inzwischen auf etwa 80.000 angestiegen ist. Die arbeitswütigen Nager vernichten immer gröβere Waldflächen. Unter Kühen und Landmaschinen bricht der von Bibern untertunnelte Boden ein, das von Bibern gestaute Wasser überschwemmt Felder, Deiche werden zerwühlt. Mittlerweile erteilen Behörden Genehmigungen Biberbaue- und Dämme abzutragen. Die Tiere werden zum Abschuss freigegeben. Jedoch sind Biber sehr wachsam, intelligent, flink und deswegen schwer zu bejagen, was dazu führt, dass die Abschussquoten meistens nicht ausgeschöpft werden. Viel wirksamer sind Fallen.

© RdP

     

Mai 2014. Wildschweine auf einem polnischen Acker, auf dem Mais ausgesät wurde.




Kalte Winde aus dem Osten

Russsiches Embargo. Polnische Bauern fühlen sich im Stich gelassen.

Sanktionen, die Russland zuerst gegen polnische und bald darauf gegen Agrarprodukte aus allen EU-Ländern im Sommer 2014 verhängt hat, veranlassten den Agrarexperten und Europaabgeordneten der Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Janusz Wojciechowski zu einer kritischen Bestandsaufnahme der, wie er meint, (Un)Tätigkeit der Regierung und insbesondere des Landwirtschaftsministers Marek Sawicki von der (koalitions)Bauernpartei PSL in dieser Angelegenheit. Wojciechowski schrieb in der Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) vom 19. August 2014 u.a.:

Agrarexperte und Oppositionspolitiker Janusz Wojciechowski
Agrarexperte und Oppositionspolitiker Janusz Wojciechowski

Warum hat Russland ein Einfuhrverbot für Agrarerzeugnisse aus Polen und danach aus der ganzen EU verhängt? Die Politiker der Bauernpartei PSL (der mitregierenden kleinen Koalitionspartei in der Regierung Tusk – Anm. RdP), die seit sieben Jahren die Macht über die polnische Landwirtschaft haben, behaupten, schuld daran seien die Besuche polnischer Politiker während der Proteste auf dem Maidan in Kiew. In Wirklichkeit setzt Moskau eine Politik um, die der (am 10. April 2010 bei Smolensk tödlich verunglückte – Anm. RdP) Staatspräsident Lech Kaczyński (bei seinem spektakulären öffentlichen Auftritt in Tiflis/Tibilissi am 12. August 2008, als russische Panzer auf die Stadt rollten – Anm. RdP) zutreffend umschrieben hat: „Heute Georgien, morgen die Ukraine, übermorgen die baltischen Staaten und danach Polen“. Sich dieser Politik entgegenzustellen ist eine Frage der polnischen Souveränität. Wir müssen die Unabhängigkeit der Ukraine unterstützen, sonst haben wir Russland bald an unseren Grenzen. Das Embargo ist Bestandteil der russischen imperialen Politik. Die Anwesenheit des einen oder anderen Politikers auf dem Maidan hat in diesem Fall wahrlich nicht die geringste Bedeutung.

Krise vor dem Embargo

Die Probleme in der polnischen Landwirtschaft haben nicht mit dem russischen Embargo begonnen. Noch vor seiner Verhängung hatten die Landwirte in diesem Jahr groβe Mühe Weichobst (Johannisbeeren, Sauerkirschen), Fleisch, Milch und Getreide abzusetzen. Die Abnahmepreise sind sehr stark gefallen. Deutlich zu erkennen waren ungestrafte Preisabsprachen groβer verarbeitender Firmen und Handelsketten zu Ungunsten der Landwirte. (…) Hinzu kommt die Auswirkung von Armut, die den Absatz einiger Agrarprodukte eingeschränkt hat. So ist z. B. der Pro-Kopf-Verbrauch von Schweinefleisch in den sieben Jahren des Amtierens der jetzigen Regierung um acht Kilogramm gefallen. Wären da nicht die Armut und der reduzierte Verbrauch, wir könnten einen Groβteil dessen verzehren, was wir nicht exportieren dürfen.

Deutschland glimpflich davongekommen

Das russische Embargo berührt beinahe die Hälfte der EU-Agrarexporte nach Russland im Wert von 5,25 Mrd. Euro. Die EU-Agrarausfuhren nach Russland beliefen sich 2013, laut Eurostat-Angaben, auf 11,37 Mrd. Euro. Davon entfielen auf Deutschland 1,91 Mrd., auf die Niederlande 1,41 Mrd., auf Litauen 1,25 Mrd. und auf Polen 1,07 Mrd. Euro. Deutschland ist der gröβte europäische Agrarexporteur nach Russland, doch das Embargo trifft nur etwa ein Viertel seiner Ausfuhren im Wert von 595 Mio. Euro. Mit 927 Mio. Euro werden die russischen Sanktionen am empfindlichsten Litauen treffen. Für das kleine Land gleicht das einer Tragödie. An zweiter Stelle liegt Polen. Etwa 80% unserer Agrarexporte nach Russland im Wert von 841 Mio. Euro sind vom Embargo betroffen. Nicht wenige Verluste werden auch die Niederlande (528 Mio. Euro), Dänemark (377 Mio.), Spanien (338 Mio.), Belgien (281 Mio.) und Frankreich (244 Mio. Euro) verbuchen. Die genannten Zahlen sind nicht gleichzusetzten mit den Verlusten der jeweiligen Landwirte und Lebensmittelfirmen. Sie werden geringer ausfallen, da es wahrscheinlich gelingen wird einen Teil der blockierten Ausfuhren woanders zu verkaufen. (Die tatsächlichen polnischen Verluste werden offiziell inzwischen auf 500 Mio. Euro beziffert – Anm. RdP). Fazit: während es Litauen und Polen schwer getroffen hat, ist Deutschland glimpflich davongekommen und im Agrarhandel mit Russland weiterhin stark präsent. Die EU muss helfen. (…) So wie sie das 2011 getan hat, als der Gemüsemarkt zusammenbrach, weil deutsche Gurken mit E.coli-Bakterien verseucht waren. Damals hat auch Polen Kompensationszahlungen der EU in Höhe von 46 Mio. Euro bekommen. Leider gab es viele Ungereimtheiten bei der Umverteilung dieses Geldes, u.a. wurden in der Woiwodschaft Świętokrzyskie (Region in Mittelpolen um die Stadt Kielce – Anm. RdP) einige Tausend Feldgemüsebauern nicht berücksichtigt.

Der Minister lässt sich Zeit

Trotz groβer Versprechungen im Vorfeld, kam Landwirtschaftsminister Marek Sawicki vor einigen Tagen mit leeren Händen aus Brüssel zurück. Eventuelle Entscheidungen über Entschädigungen für Landwirte sollen erst im September fallen. Sawicki prahlte aber damit, dass er einen der zuständigen EU-Kommissare „aufgerüttelt“ hat. Kein Wunder, dass die EU schlummert, sie wurde ja von der polnischen Regierung systematisch eingelullt. Oppositionsführer Jarosław Kaczyński hat noch im April 2014 in einem Brief Ministerpräsident Tusk gewarnt, dass ein russisches Embargo drohe und man sich darauf gut vorbereiten sollte. Tusk hat nicht reagiert und der in seinem Namen antwortende Landwirtschaftsminister Sawicki höhnte und beteuerte, dass es kein Embargo geben wird. Noch am 2. Juli 2014 sprach er öffentlich davon, dass kein Embargo drohe und würgte alle diesbezüglichen Fragen ab, weil sie angeblich das Embargo heraufbeschwören würden. Während er seine hochmütigen Behauptungen in die Welt hinausposaunte ging wertvolle Zeit verloren. Die EU hätte schon im Vorfeld aktiv werden können, früher nach Ersatzabsatzmärkten Ausschau halten und die Landwirte hätten sich besser vorbereiten können.

Wo ist der Ministerpräsident?

Wir verzeichnen in Polen bei fast allen Agrarprodukten einen enormen Zusammenbruch der Nachfrage. Wir haben es nicht nur mit dem russischen Embargo zu tun, sondern auch mit der Afrikanischen Schweinepest, die sich von heute auf morgen in ganz Polen verbreiten und unsere Schweinezucht endgültig vernichten kann. Und wo ist Ministerpräsident Tusk? Im verlängerten Urlaub? In solchen Fällen muss der Regierungschef tätig werden. Er sollte schon längst in Berlin gewesen sein, wo sich (und nicht in Brüssel) die eigentliche EU-Hauptstadt befindet, und dort um die Zustimmung zur Entschädigung der polnischen Bauern nachsuchen. Er hat ja angeblich so gute Beziehungen zu Angela Merkel, dann soll er sie auch nutzen! Doch der Ministerpräsident ist abwesend, aber selbst wenn er da wäre, das Wort „Landwirtschaft“ nimmt er ja grundsätzlich nicht in den Mund. Das Landvolk ist nicht seine Wählerschaft. Der Ministerpräsident des gröβten europäischen Agrarstaates hat angesichts der seit Jahren gröβten Agrarkrise nichts, aber auch gar nichts, zu sagen. Stattdessen schickt er Landwirtschaftsminister Sawicki vor, der nicht in der Lage ist auch nur irgendetwas zu bewirken. Abgesehen von den Versäumnissen der Regierung sollte man hoffen, dass die EU-Hilfe kommt. (…). Doch wir müssen uns auch selbst helfen. Die gröβte Bedrohung für die Landwirte sind Kredite, die sie wegen fehlender Einnahmen nicht werden zurückzahlen können. Die Partei Recht und Gerechtigkeit hat daher einen Gesetzentwurf eingebracht, der ein einjähriges Moratorium für Darlehensrückzahlungen vorsieht. Hierzu müssten die Betroffenen einen Antrag stellen, der durch den Ortsvorsteher zu beglaubigen wäre. Auf diese Weise könnten viele Bauern der Zwangsversteigerung entgehen. Die Zinsen würden zwar weiterhin berechnet, doch würde man die aufgelaufenen Zinsen anschlieβend zu den Verlusten hinzurechnen und mit den EU-Kompensationszahlungen begleichen. Kommen die EU- Hilfen nicht, dann erfolgt der Ausgleich aus dem polnischen Staatshaushalt. So kann man den Landwirten helfen die Krise zu überstehen. Russland hat politische Sanktionen angewandt und daher muss man auch politisch antworten, im Geiste der europäischen und innerpolnischen Solidarität. Wir alle, nicht nur die Bauern, müssen der Gerechtigkeit halber die Kosten der Krise, die das Embargo hervorgerufen hat, tragen. Auf längere Sicht jedoch, müssen wir uns auf einen Wechsel der Absatzmärkte gefasst machen. Auf den russischen Markt kann man nicht zählen, weil aus dem Osten leider sehr kalte Winde wehen… RdP