Das Wichtigste aus Polen 14. Oktober – 10. November 2018

Kommentator Dr. Jacek Sokołowski und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Was sagen uns die Ergebnisse der Kommunalwahlen? ♦ Was sagen uns die Vorbereitungen auf die Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Wiedererlangung der Unabhängigkeit über die polnische Gesellschaft und die polnische Politik? ♦ Was sagt man in Polen zu dem geplanten Rückzug Frau Merkels aus der Politik?




Prozente, Mandate, Sieger, Verlierer. Kommunalwahlen 2018

Auf einen Blick.

Die Regionalwahlen vom 21. Oktober und 4. November 2018 eröffneten eine Wahlsaison in Polen, die bis zum Frühjahr 2020 dauern wird. Im Mai 2019 finden Europawahlen statt, im Herbst 2019 Parlamentswahlen und im Frühjahr 2020 Präsidentschaftswahlen.

Bei den Kommunalwahlen 2018 erfolgte die Stimmabgabe auf drei Ebenen: für die sechzehn Woiwodschaftslandtage, 380 Kreistage und für die gut 2.500 Gemeinderäte. Direkt gewählt wurden auch die Gemeindebürgermeister sowie die Oberbürgermeister (Stadtpräsidenten) der 107 kreisfreien Städte.

● Die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit ist aus der ersten Runde des Wahl-Vierkampfes deutlich gestärkt hervorgegangen und konnte ihr kommunalpolitisches Gewicht auf dem flachen Land deutlich erhöhen. Sie erhielt 2 Millionen Stimmen mehr als bei den Kommunalwahlen 2014. In den groβen und mittelgroβen Städten jedoch, gelang es ihr nicht Land gutzumachen.

Das Resultat der Kommunalwahlen 2018 haben Fachleute inzwischen auf die Parlamentswahlen hochgerechnet. Demnach ergäbe sich eine Mehrheit von 42 Prozent für Recht und Gerechtigkeit. Die Regierungspartei würde sich damit wieder die absolute Mehrheit sichern. Bis Herbst 2019 jedoch, wenn die wahren Ergebnisse bekannt sein werden, ist es noch lange hin.

● Die 2015 abgewählte Bürgerplattform ging zusammen mit der von ihr inzwischen völlig vereinnahmten Partei Die Moderne (Nowoczesna) in die Wahl, unter dem Etikett: Bürgerkoalition. Auch sie verzeichnete einen Stimmenzuwachs, und zwar von 1 Million Stimmen, musste aber auf dem flachen Land sehr viele ihrer Bastionen in den Woiwodschaften und Landkreisen räumen.

Auch ihre Erfolge in den groβen und mittelgroβen Städten fallen eher mager aus. Das Rennen dort (Kraków, Gdańsk, Gdynia usw.) machten überwiegend Regionalpolitiker, die sich von der Bürgerplattform distanziert, beziehungsweise ganz und gar abgewandt haben. In vielen Städten stellte die Bürgerplattform-Bürgerkoalition (BP-BK) keine Kandidaten auf oder ihre Kandidaten scheiterten, wie u. a. in Gdańsk (Jarosław Wałęsa, Sohn des früheren Staatspräsidenten) oder in Szczecin.

● Der Verlierer der Wahl ist die Bauernpartei, der treue Mehrheitsbeschaffer und Koalitionspartner der Bürgerplattform. Fast 1 Million ihrer Wähler sind zu 90 Prozent zu Recht und Gerechtigkeit übergelaufen. Korruptionsskandale, Filz, das weitverbreitete Gefühl die Menschen auf dem Land im Stich gelassen zu haben und die zunehmende Verflechtung mit der vehement nach links tendierenden BP-BK, waren den bodenständigen Wählern der ländlichen Regionen eindeutig zu viel des Guten.

● Die postkommunistische Allianz der Demokratischen Linken konnte sich als eine politische Randerscheinung behaupten.

● Ein oder zwei Happen von einem verhältnismäβig kleinen Tortenstück, konnten sich auch bei dieser Kommunalwahl verschiedene lokale und regionale Wahlkomitees sichern.

Alles Weitere können Sie denn nachfolgenden Schautafeln entnehmen. Bitte ggf. vergrößern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© RdP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 




Das Wichtigste aus Polen 9. September – 29. September 2018

Kommentator Dr. Michał Kuź und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Kommunalwahlen am 21. Oktober.  Warschau, Kraków, Wrocław und viele weitere Hochburgen der Opposition in Bedrängnis.  ♦ Staatspräsident Andrzej Duda in Washington. „Fort Trump“ – ständige US-Militärbasis in Polen ist möglich. Polen und USA gemeinsam gegen Nord Stream 2.  Je mehr US-Präsenz in Polen, umso größer die US-Interessen und die amerikanische Bereitschaft für Polen einzustehen. ♦ Gipfel der Drei-Meere-Initiative in Bukarest. Vor Kurzem noch, u. a. in Deutschland, kritisiert und belächelt. Inzwischen durchaus erfolgreich. USA von Anfang an dabei. Deutschland muss sich  seit diesem Jahr  mit Beobachterstatus begnügen. Wofür steht das Vorhaben?




Das Wichtigste aus Polen 25. März – 21. April 2018

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die  wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Polen bereitet sich auf die Kommunalwahlen im Herbst 2018 vor. Erster Urnengang an der Weichsel seit Oktober 2015.  Test für Regierung und Opposition. ♦ Pläne, Vorschläge, Drohungen. Die Wahlofferten der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit und der oppositionellen Bürgerplattform. ♦ Konflikt der EU mit Polen. Waffenstillstand zeichnet sich ab. ♦ Der Holocaust-Konflikt mit Israel. Stand der Dinge. ♦ Untersuchungen der Smoleńsk-Flugzeugkatastrophe vom 10. April 2010. Vieles spricht für eine Explosion.




Kommunen zum Leben erweckt

Am 12. Februar 2015 starb Prof. Jerzy Regulski.

Er verkörperte eine Spezies, die im kommunistischen Polen in der Wissenschaft lange Zeit anzutreffen war. Alles an diesen Menschen schien aus der Vorkriegszeit zu sein. Ihr Auftreten und Benehmen, ihre Haltung und ihre Umgangsformen standen im schroffen Gegensatz zur allgegenwärtigen, primitiven Propaganda, zur Rüpelhaftigkeit, Tristesse und Alltagsmühsal des Lebens im Kommunismus.

Die kultivierten Damen und Herren „der alten Schule“ wahrten zu ihrer Umgebung eine gewisse Distanz, und doch waren sie bestens integriert. Eingeschüchtert und mit Doktor- bzw. Professorentiteln ausgestattet, brauchten sie den Sozialismus nicht zu rühmen. Der rote Staat lieβ sie gewähren, er benötigte ihr Fachwissen, ihre Sprachkenntnisse, ihre guten Manieren, um nach Auβen einen positiven Eindruck zu erwecken. Es genügte, dass sie sich auf ihr Fachgebiet beschränkten, ansonsten wegschauten, den Mund hielten, ihre Privilegien genossen und im Ausland eine gute Figur machten. Ganz im Sinne der Lehre Lenins über „die Fachleute, die von Dienern des Kapitalismus, zu Dienern der werktätigen Massen, zu ihren Ratgebern gemacht werden müssen.“

Abkömmling parasitärer Bourgeoisie

Jerzy Regulski wurde 1924 geboren in Zarybie, einem Vorort von Warschau, wo die Unternehmerfamilie eine Residenz bewohnte. Vater Janusz war General- und Finanzdirektor des damals gröβten polnischen Energiekonzerns Siła i Światło SA („Kraft und Licht AG“), der bis 1939 gut 30 Mio. Dollar in Polen investierte, was heute einer Summe von etwa 450 Mio. Dollar gleichkäme. Einen Namen hatte er sich aber vor allem als langjähriger Präsident des noblen Polnischen Automobil-Clubs gemacht.

Während der Belagerung Warschaus durch deutsche Truppen, zwischen dem 8. und 28. September 1939, wurde Regulski-Senior zum Kommandanten des Ordnungsdienstes berufen, der an Stelle der Anfang September 1939 aus der Stadt evakuierten Polizei, deren Aufgaben wahrnahm.

Während der Besatzungszeit unterstützte er unermüdlich Flüchtlinge und Häftlinge durch seine Arbeit in Hilfskommitees der polnischen Caritas und des Polnischen Roten Kreuzes. Als eine herausragende Persönlichkeit des „kapitalistischen Polens“ wurde er 1948 von den Kommunisten zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Zuge des langsam einsetzenden politischen Tauwetters nach dem Tode Stalins im März 1953, kam er als gebrochener Mann 1955 frei.

Sein Sohn Jerzy hatte bereits 1946, als junger Student, für ein Jahr lang Bekanntschaft mit dem kommunistischen Kerker gemacht. Schwer misshandelt und psychisch gebrochen, entließ man ihn „auf Probe“. Seitdem wurde Jerzy Regulski nicht müde Selbstkritik zu üben.

Die strikt antikommunistischen „Nationalen Streitkräfte“ (NSZ), eine starke Untergrundorganisation, in der er im Krieg Mitglied gewesen war, war für ihn nun, entsprechend der kommunistischen Propagandaauslegung, „faschistisch“. Der Warschauer Aufstand von 1944, in dem er gekämpft hatte – ein „unverantwortliches Abenteuer“. Der antikommunistische Widerstand nach 1945 – „ein Fehler“.

Kompromiss Kompromissowitsch

Diese „Läuterung“ war für den „Abkömmling der parasitären Bourgeoisie“ der Passierschein zum Studium an der Warschauer Technischen Hochschule, später sogar am Pariser Centre de Rechreche d’Urbanisme. Der studierte Bauingenieur, promovierte und habilitierte an der Architekturfakultät der Warschauer Technischen Hochschule, war Professor an der Universität Łódź, später an der Polnischen Akademie der Wissenschaften.

Kurz vor seinem Tod offenbarte Jerzy Regulski in einem Zeitungsinterview: „Das Jahr im Gefängnis hatte einen kolossalen Einfluss auf meine Weltanschauung. Dort habe ich mir meine Philosophie des Überlebens geschaffen, der Wahrung eines Gleichgewichts zwischen den eigenen Werten und dem Leben in einer Umgebung, wie sie damals war.“

Regulski sagte von sich, er sei ein Anhänger der „organischen Arbeit“ (praca organiczna). Dieser im 19. Jh. von polnischen Positivisten geprägte Begriff umschreibt eine Ideologie, die die sinnvolle Arbeit zur Stärkung der Kräfte der Nation (Bildung, Steigerung des ökonomischen Potentials) den angeblich fruchtlosen Aufständen vorzieht. Der Spielraum für organische Arbeit war jedoch im totalitären Kommunismus, der jede Eigeninitiative, jeden undogmatischen Gedanken als Bedrohung ansah, denkbar gering und lieβ Legionen von Gutwilligen „Positivisten“ schier verzweifeln. Die Kompromisse, die ihnen abverlangt wurden, machten sie letztendlich zu Mitläufern und Unterstützern des Systems.

Steckenpferd kommunale Selbstverwaltung

Während der „ersten Solidarnośc“, zwischen August 1980 und der Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981, in einer Zeit, in der die Freiheit in Polen brodelte, entdeckte Regulski sein Steckenpferd, das er bis zu seinem Tode mit Leidenschaft pflegte: die kommunale Selbstverwaltung.

Im Kommunismus war sie abgeschafft und durch ein von Oben herab staatlich kontrolliertes System der „Volksräte“ ersetzt worden. Diese hatten keine Autonomie, kein Vermögen und keine eigenen Einnahmen. Alles, auch die simpelste Fassadenrenovierung oder Straβenausbesserung, wurde in Warschau (Ost-Berlin, Budapest, Moskau usw.) bewilligt und von dort finanziert. Gepaart mit anderen Grundübeln des Kommunismus (Materialmangel, Tonnenideologie, eine alles lähmende Bürokratie usw.) führte das zu einer geradezu beklemmenden Verwahrlosung der Provinz zwischen Elbe und Wladiwostok.

Arbeiterselbstverwaltung und Gewerkschaftsrechte, das waren die Themen, die die Gemüter in der Solidarność-Bewegung, zuerst in der Legalität und dann im Untergrund, erhitzten. Kaum jemand im Polen jener Zeit war sich nach vierzig Jahren Kommunismus der Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung für die Demokratisierung und den Wiederaufbau des Landes bewusst. Regulski tastete sich Ende der 1980er Jahre vorsichtig an die Opposition heran. Es gelang ihm und seinen engagierten Getreuen, die im Stillen an dem Thema arbeiteten, dieser Opposition ein Bewusstsein für das Thema zu vermitteln.

Der erste nichtkommunistische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki ernannte Jerzy Regulski Ende 1989 zum Bevollmächtigten für die kommunale Verwaltungsreform. In Windeseile wurden ganze Gesetzespakete verabschiedet, und bereits am 27. Mai 1990 fanden die ersten freien Wahlen nach dem Krieg in Polen statt: zu den Gemeinderäten.

Die kommunale Selbstverwaltung zog in die Gemeinden ein. Die zweite Etappe – die Einrichtung der kommunalen Selbstverwaltung auf Kreis- und Woiwodschaftsebene konnte erst 1999 umgesetzt werden. Regulski beaufsichtigte sie als stellvertretender Innenminister in der Regierung Jerzy Buzek.

Reformbedürftige Reform

Am Ende seines Lebens wurde Jerzy Regulski zunehmend zu einem lebendigen Denkmal der Erfolgspropaganda der seit 2007 in Polen regierenden Bürgerplattform. Als Berater von Staatspräsident Komorowski, verinnerlichte er dessen These, Polen erlebe gerade sein „goldenes Zeitalter“ und jeder, der diese Meinung nicht teilt, ist ein „Querulant und Extremist“. Regulski lieβ auch keine grundlegende Kritik an seinem Werk zu.

Dabei führt die fehlende Beschränkung auf zwei Amtsperioden, gepaart mit einer weitgehenden politischen Passivität der Polen, dazu, dass die meisten (direkt gewählten) Ober- und Gemeindebürgermeister Polens seit zwölf, oft sechzehn und manchmal zwanzig Jahren ununterbrochen amtieren.

In vielen Kommunen sind Ämterpatronage und das Entstehen von Geflechten, die auf gegenseitiger Hilfeleistung und auf Gefälligkeiten beruhen, die Folge. Dieses verdeckte Zusammenwirken führt zur Vermischung von gesellschaftlichen, politischen und unternehmerischen Interessen, und es überschreitet nicht selten die Grenze zur Korruption.

Die Kommunen werden mit immer neuen Aufgaben überfrachtet, ohne dass sie von der Zentralregierung Geld dafür bekommen. Das parallele Vorhandensein von zentralstaatlichen (dem von Warschau ernannten Woiwoden-Regierungspräsidenten unterstellten) und kommunalen (dem gewählten Woiwodschaftsmarschall unterstellten) Verwaltungsstrukturen in den sechzehn Provinzen Polens, leistet einer enormen Bürokratie Vorschub. Alle diese Probleme harren einer Lösung.

Trotz alledem, es war Regulski, der den Durchbruch zur Errichtung einer kommunalen Selbstverwaltung in Polen umgesetzt hat. Das ist sein bleibender Verdienst.

© RdP