Pfarrer in gottlosen Weiten

Ein polnischer Priester berichtet über sein Tun und Leben in der Ukraine.

Pfarrer Jan Dargiewicz aus Ełk/Lyck in Masuren, arbeitet seit zehn Jahren in der Ukraine. Seine Gemeinde Rasjesd, die zum katholischen Bistum Odessa-Simferopol gehört, befindet sich westlich von Odessa, an der Grenze zu Transnistrien. Das Bistum hat eine Fläche von 138.000 Quadratkilometern, soviel wie Bayern, Niedersachsen und Hessen zusammen. Es erstreckt sich entlang der gesamten ukrainischen Schwarzmeerküste und umfasst auch die inzwischen von Russland besetzte Krim. In diesem Gebiet leben gerade einmal 20 Tausend Katholiken. Über das Leben und Wirken eines katholischen Pfarrers in den gottlosen Weiten des Ostens stand Pfarrer Dargiewicz der Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) vom 3. April 2015 Rede und Antwort.

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Pfarrer Jan Dargiewicz

Welche Sprache spricht man in Odessa?

Die meisten sprechen Russisch, weil in diesem Teil der Ukraine zur Sowjetzeit die Russifizierung mit viel Nachdruck betrieben wurde. Ukrainisch galt als die Sprache der Dörfler, also sprach man in der Öffentlichkeit Russisch. Jetzt ist das Ukrainische in Mode gekommen, immer mehr Leute sprechen Ukrainisch.

Das Bistum Odessa-Symferopol hat eine Fläche von 138.000 Quadratkilometern, soviel wie Bayern, Niedersachsen und Hessen zusammen.
Das Bistum Odessa-Symferopol hat eine Fläche von 138.000 Quadratkilometern, soviel wie Bayern, Niedersachsen und Hessen zusammen.

Zu welchen Glauben bekennen sich die Menschen?

Nur fünf Prozent der Bewohner unseres Bistums bekennen sich überhaupt zu irgendeiner Religion. Die Sowjets haben Weiβrussland und die Ukraine auf der Höhe der Stadt Winniza von Nord nach Süd der Länge nach geteilt.     Westlich dieser Linie befanden sich, nach dem Einmarsch der Sowjets am 17. September 1939, die von Polen abgetrennten Gebiete, welche 1944 aus zwischenzeitlicher deutscher Besatzung von den russischen Truppen erneut erobert wurden. Der katholische und orthodoxe Glaube waren dort sehr stark ausgeprägt. Die Sowjets verfolgten die Kirchen in diesen Landstrichen zwischen 1939 und 1941 und dann wieder ab 1944 unerbittlich. Pfarrer und Popen wurden ermordet oder deportiert, Kirchengebäude zweckentfremdet oder zerstört, den einfachen Volksglauben, soweit ihn alte Menschen praktizierten, ließ man jedoch gewähren. Ein paar eingeschüchterte und drangsalierte Pfarrer und Popen durften in irgendwelchen Kleinstkapellen die Seelsorge halbwegs fortsetzten.

In den weiβrussischen und ukrainischen Gebieten östlich von Winniza, die schon ab 1918 zur Sowjetunion gehörten, erstreckte sich seit den Massakern und Säuberungen der 30er Jahre ein gottloser Raum. Allein in Odessa wurden zwischen 1937 und 1938 in den Kellern des NKWD knapp eintausend Geistliche aller Religionen durch Kopfschuss ermordet: Pfarrer, Pastoren, Popen, Rabbiner, Mullahs der Krimtataren, Mönche, Nonnen. Ziel war der totale Atheismus: keine Geistlichen, keine Kirchen, ein absolutes Verbot „religiöser Propaganda“, wie die Seelsorge genannt wurde. Mir ist vor kurzem eine Frau in Odessa begegnet, die noch in den 80er Jahren zu drei Jahren Lagerhaft verurteilt wurde, weil sie eine abgegriffene englische Broschüre über die Muttergottes von Fatima besaβ.

So gesehen sind wir hier Pioniere und Missionare im wahrsten Sinne des Wortes. Die ersten Priester kamen Anfang der 90er Jahre hierher und begaben sich auf die Suche nach den letzten Gläubigen. Die Anfänge sahen so aus, dass ein Pfarrer eine Kirchenruine vorfand und eine alte Frau, die letzte Katholikin weit und breit. Sie war es, die die Kirche vor der Einebnung gerettet hatte, als irgendwann in der Sowjetzeit die Bulldozer anrückten. Sie blieb so lange vor den Mauerresten stehen, bis das Abrisskommando sich sagte, das lohnt nicht und abzog. So geschehen in der Stadt Kertsch auf der Krim.

Wiederaufgebaute Kirche in Kertsch.
Wiederaufgebaute Kirche in Kertsch.

In Cherson schlief der Pfarrer anfangs im Zelt, wärmte sich an einer Kerze, wusch sich und aβ bei fremden Leuten. Die ersten Messen hielt er zunächst auf der Eingangstreppe, dann im Vorraum, am Ende im Kircheninneren. Jahrzehntelang hatte sich dort ein Kino mit dem Namen Pawel Morosow befunden, einer Ikone der Sowjetpropaganda, symbolisiert durch einen Bauernjungen, der seinen eigenen Vater als einen „Volksfeind“ angezeigt hatte, weil dieser angeblich Getreide versteckte und sich der Kollektivierung widersetzte. Jungen aus der Umgebung bewarfen den Pfarrer mit Steinen, weil er ihnen das Kino „weggenommen hat“. Jetzt ist die Stadt stolz auf die prächtig aufgebaute Kirche und einer dieser Jungen ging ins Priesterseminar.

Wie sieht heute Ihre Arbeit aus?

Es ist immer noch sehr schwer. Unsere Gegend ist bitterarm. Einige wenige  Oligarchen schwimmen in unvorstellbarem Reichtum. Besonders auf dem Lande herrscht fast schon das blanke Elend. Die Kluft zwischen Reich und Arm ist schier bodenlos. Das Christentum wurde ausgerottet. Den Menschen fehlt ein geistiges, ein moralisches Fundament. Der Kommunismus förderte vor allem die schlechten Eigenschaften im Menschen: Passivität, Mitläufer- und Denunziantentum, das Wegschauen, das Nach-Oben-Ducken und Nach-Unten-Treten. Mittlerweile kommen noch die Verlockungen des Konsums hinzu, und dann der Krieg. Viele halten das nicht aus. Alkoholismus und Drogensucht richten Furchtbares an. Wer kann, geht: nach Europa, nach Russland…

Dennoch steht die Kirche immer besser da.

Nach dem was war, kann es nur besser werden. Neue Pfarrgemeinden entstehen, weil sich immer mehr versprengte, katholische Familien bei uns melden, die den Glauben wieder leben wollen. Plötzlich stellt sich heraus, dass es in dem Ort noch mehr Katholiken gibt. Menschen lassen sich taufen, nehmen die Sakramente entgegen, ein normales geistiges und religiöses Leben kommt nach und nach in Gang. 2005 bat mich ein 75-jähriger Mann ihn zu taufen. Seine Eltern waren katholisch, sein ganzes Leben lang wartete er darauf endlich einem Pfarrer zu begegnen. Ich war der erste, den er in seinem Leben traf. Auf den Dörfern in der weiten Steppe erfahren die Menschen erst nach und nach, dass die katholische Kirche wieder vor Ort ist.

Die meisten Priester in Ihrem Bistum kommen aus Polen.

So ist es. Wir sind räumlich am nächsten dran, wir können uns aufgrund der Verwandtschaft der Sprachen am schnellsten mit den hiesigen Menschen verständigen. Die katholische Kirche in der Ukraine haben anfänglich fast ausnahmslos polnische Pfarrer, Mönche und Nonnen wieder aufgebaut. Oft unter unsäglichen Mühen und Entbehrungen. Finanziert wird unser Tun ausschlieβlich aus Spenden, die in den Kirchen in Polen gesammelt werden. Das ist unsere polnische Beteiligung an dem Evangelisierungswerk der Kirche, zu der wir alle aufgerufen sind. Die ersten ukrainischen Pfarrer wurden bereits geweiht. Sie sollen in der Zukunft die katholische Kirche in der Ukraine aufbauen und festigen.

Wie steht es um den Kirchenbau?

Wenn wir eine neue Pfarrei gründen, werden am Anfang die Heiligen Messen in privaten Häusern abgehalten. Dann mieten wir einen Saal. In einem der Orte handelt es sich dabei um den Saal im Haus der Veteranen der Roten Armee. An der Stirnseite hängen Hammer und Sichel, an den Wänden Portraits von Lenin, Marx, Engels, Stalin und anderer kommunistischer Größen, von denen sehr viele, wie Lenin, Stalin oder Dserschinski, furchtbare Verbrechen begangen haben. Plötzlich stehen da, inmitten dieses Panoptikums, das Kruzifix und das Bild Muttergottes, Menschen sprechen das Vaterunser. Deswegen bauen wir auch in der kleinsten Gemeinden ein Gotteshaus, und sei es eine winzige Kapelle. Gläubige, die sich in Privathäusern oder gemieteten Sälen zum Gottesdienst treffen werden als eine Sekte betrachtet. Wenn es eine Kirche oder Kapelle gibt, dann steigt gleich die Zahl der Gläubigen. Die Menschen sehen ein Gebäude mit dem Kreuz auf dem Dach, mit Heiligenfiguren, einem Altar, einem Taufbecken… Ein Kirchengebäude ist wie ein Leuchtturm.

Gibt es Chancen alte Kirchengebäude zurück zu bekommen?

Es ist sehr schwer. Das ukrainische Recht ist sehr kompliziert, die Beamten sind misstrauisch und wenig kooperativ, in den Archiven herrscht Chaos. Es kostet viel Mühe und man braucht viel Geduld um nachzuweisen, dass es sich bei der Ruine um eine Kirche handelt. Noch schwieriger ist es, wenn das Kirchengebäude bereits anderen Zwecken dient. Auch beim Neubau von Kirchen begibt man sich auf einen anstrengenden Weg.

Ehemalige katholische Kirche in Sweastopel (auf der heute russisch besetzten Krim) zum Kino "Druschba" - "Freundschaft" umfunktioniert. Seit 2008 geschlossen. Rückgabe wird dennoch verweigert.
Ehemalige katholische Kirche in Sewastopol (auf der heute russisch besetzten Krim) zum Kino „Druschba“ – „Freundschaft“ umfunktioniert. Seit 2008 geschlossen. Rückgabe wird dennoch verweigert.

Es gibt in unserem Bistum sehr viele ehemalige katholische Kirchen. Vom Ende des 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts, also vor der Oktoberrevolution 1917, hatten die zaristischen Behörden in der Gegend sehr viele Polen und Deutsche angesiedelt. Odessa wurde Ende 1794 von den russischen Behörden gegründet. Bereits im Juli 1795 kamen die ersten etwa einhundert polnischen Familien dort an. Um 1914 lebten in Odessa immerhin bis zu 30.000 Polen. Sie bauten in der Stadt katholische Kapellen und Kirchen. Die schöne Kathedrale in Odessa haben die Sowjets in eine Sporthalle umgewandelt. Erst 1991 wurde sie zurückgegeben und wieder hergerichtet. Die St. Klemens Kirche war das größte Gotteshaus östlich von Polen, es hatte zweitausend Sitzplätze. Den dortigen Probst, Pfarrer Józef Szejner haben die Sowjets bereits im Mai 1922 ermordet, das Gebäude 1933 in die Luft gesprengt. Viele Kirchengebäude haben als Ruinen überdauert. Sie zurückzubekommen und wiederaufzubauen ist eine Aufgabe für Generationen.

Stimmt es, dass der Katholizismus in der Ukraine eindeutig mit dem Polnischsein gleichgestellt wird?

Die Kirche ist katholisch, also heilig, allgemein und apostolisch. Wir sind für alle Katholiken da. In der Praxis findet die Seelsorge überwiegend in drei Sprachen statt; auf Ukrainisch, Russisch und Polnisch. Als ich aber eine Gruppe von Armeniern zu betreuen begann, habe ich angefangen den Gottesdienst auf Armenisch abzuhalten. Doch Sie haben Recht. Die katholische Kirche wird in der Ukraine sehr oft mit dem Polentum gleichgesetzt. Oft gehört nur ein polnisch klingender Nachname dazu, um als Pole und katholisch angesehen zu werden. Zu uns kamen nicht wenige junge Menschen, die irgendjemand in der Schule darauf hingewiesen hat, dass, wenn sie so einen Namen tragen, sie ganz bestimmt Polen seien.

Wie sieht Ihre tagtägliche Arbeit aus?

Ich bin Pfarrer in einer Pfarrei die etwa 200 auf 300 km groβ ist. Der Ort Rasjesd wurde von den Sowjets an einem Eisenbahnknotenpunkt aus dem Boden gestampft. Um an allen Orten eine Messe zu zelebrieren lege ich an jedem Sonntag etwa 300 km zurück. Es ist eine schwere, aber auch sehr schöne, bewegende Arbeit. Die Menschen sehnen sich geradezu nach Seelsorge.

Pfarrer Jan Dargiewicz mit seinen Gemeindemeitgliedern.
Pfarrer Jan Dargiewicz mit seinen Gemeindemitgliedern.

Gleichzeitig kommt man oft mit äuβerster Armut in Berührung. Ich habe gelernt Sanitäter zu sein. Zusammen mit unserer Gemeindeschwester waren wir einige Male bei einer fast einhundertjährigen Frau, die einst zwei Jahre lang in eine polnische Schule gegangen ist. Sie las und betete auf Polnisch, sprechen konnte sie nicht. Sie lebte in Armut, war von Würmern befallen. Wir mussten die Parasiten erst entfernen, bevor ich die Sakramente spenden konnte. Die Menschen hier leben einen einfachen, ehrlichen den Mitmenschen zugewandten Glauben. So ist mir bei einer meiner „Sonntagsrunden“ das Geld ausgegangen. Ich konnte nicht tanken, um nach Hause zu kommen. Mir kam der Gedanke: „Lieber Gott, Du hast mich hierher geschickt, tue etwas“. Nach der Messe verlasse ich die Kapelle. Ein Mann kommt auf mich zu, gibt mir etwas Geld und sagt: „Das habe ich gerade beim Einkaufen gespart und will es Ihnen geben“. Auf diese Weise gibt uns Gott zu verstehen, dass er über uns wacht: „Mach Dir keine Sorgen, arbeite nur“.

Wie ist die Identität der Menschen in Odessa?

In Odessa leben Vertreter von 121 Nationalitäten. In der Zarenzeit war das ein Schmelztiegel der Nationen. Es war eine sehr reiche Stadt, es kamen Menschen von überall her. Es gibt immer noch viele Zeugnisse des einstigen Reichtums. Die Menschen gehen miteinander freundschaftlich, friedfertig um, auch wenn sie in sehr unterschiedlichen, manchmal sehr exotischen Sprachen untereinander sprechen, verschiedene Glauben praktizieren. Das stört niemanden.

Dennoch kam es am 2. Mai 2014 in Odessa zu schweren Krawallen und Zusammenstöβen mit 48 Toten und gut zweihundert Verletzten als Folge.

Das kam von Auβen. Es begann mit einem Marsch von Fuβballfans. Es war ein friedlicher Marsch, der durch Provokationen gestört wurde. Alles war gut durchdacht, einschlieβlich der Anwesenheit russischer Medien an den wichtigsten Orten des Geschehens. Es waren Leute von auβerhalb. Sie riefen „Russland“, „Referendum“. Sie fuhren von Stadt zu Stadt. Ich bin hier schon lange, kenne die Einheimischen. So etwas würden sie nicht tun, und wie man sieht fiel die Provokation auf einen sehr unfruchtbaren Boden, weil es hier bis heute eher friedlich zugeht.

Welchen Einfluss hat der Krieg im Donbas auf das Leben in Odessa und Umgebung?

Dieser Krieg spaltet die Gesellschaft. Familien sind zerstritten. Ich kenne z. B. Geschwister, von denen der Bruder in der Ukraine und die Schwester in Russland lebt. Sie ruft an und sagt dem Bruder, dass Russland die Ukraine vom Faschismus befreien wird usw. Die Macht der Propaganda ist so groβ, dass man nichts erklären kann. Verwandte wenden sich voneinander in Hass ab. Man spürt die Bedrohung. Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Gegend zu „Neurussland“ gehören sollte. Nach dem 2. Mai 2014 herrschte lange Zeit Ruhe, jetzt steigt die Spannung wieder. Meine Pfarrei grenzt ja an Transnistrien, und das ist so als würden wir Russland zum Nachbarn haben. Wenn es einen Angriff auf uns geben sollte, dann von zwei Seiten.

Gibt es in Ihrer Pfarrei Flüchtlinge?

Ja, viele. Es gibt auch eine Menge Soldaten die von der Front zurückkommen, darunter viele Verwundetete und Invaliden. Die Krankenhäuser sind überfüllt. Unsere Gemeindemitglieder, unsere Nonnen gehen zu ihnen. Es gibt Bekehrungen, Taufen… Vorher hatten diese Menschen keine Zeit, keine Gelegenheit an Gott zu denken.

RdP




Andrzej Duda. An Gottes Segen ist ihm gelegen

Man darf gespannt sein. Am 6. August hat der neue Staatspräsident sein Amt angetreten.

Wieder einmal geht ein Gespenst um in Polen, dieses Mal seitdem Andrzej Duda am 24. Mai 2015 die Präsidentschaftswahlen gewann: es ist das Gespenst des Gottesstaates, einer Herrschaftsform, bei der die Staatsgewalt allein religiös legitimiert und von einer göttlich erwählten Person (gottberufener Prophet, gottbegnadeter König), einer Priesterschaft (z.B. dem katholischen Klerus) oder einer kirchlichen Institution (z. B. der Bischofskonferenz) auf der Grundlage religiöser Prinzipien ausgeübt wird. Sogar Ministerpräsidentin Ewa Kopacz malt schon diesen Teufel (Engel?) an die Wand. Glaubt man den Warnern, driftet Polen, mit Duda am Steuer, in die düstere Finsternis des Mittelalters ab.

Zweifelsohne twitterte der postkommunistische Politiker Tomasz Kalita jedenfalls allen polnischen Kirchengegnern tief aus der Seele, als er Mitte Juli 2015 schrieb: „Nach dem Urlaub beginnt der gewählte Staatspräsident seine Aktivitäten mit der Teilnahme an religiösen Feierlichkeiten. Wurde in Polen vor Kurzem ein Staatsoberhaupt oder ein Kirchenoberhaupt gewählt?“

Antiklerikale in Sorge

Polens Antiklerikale haben wahrlich allen Grund zur Sorge, denn auch vor dem Urlaub verhielt sich Duda keineswegs besser. Schon nach seinem Wahlsieg legte er anderentags auf dem Heimweg von Warschau nach Kraków einen Zwischenstopp in Częstochowa/Tschenstochau ein, um auf dem Hellen Berg „der Muttergottes für die Fürsorge, für die Kraft“, die sie ihm im Wahlkampf angedeihen lieβ, zu danken. Spät abends in Krakau angekommen, suchte er noch in der Wawel-Kathedrale die Reliquien des Hl. Stanislaus auf, um auch dort einen Augenblick lang zu beten.

Andrzej Duda. Am 25. Mai 2015, gleich nach dem Wahlsieg das Gnadenbild der Schwarzen Madonna aufgesucht.
Andrzej Duda. Am 25. Mai 2015, gleich nach dem Wahlsieg, das Gnadenbild der Schwarzen Madonna aufgesucht.

Kurz darauf, am Sonntag, dem 8. Juni 2015 erreichte Dudas religiöses Engagement seinen vorläufigen Höhepunkt. Während einer Freiluftmesse in Warschau gelang es ihm eine Hostie einzufangen, die der Wind vom Altar in den Zuschauerbereich wehte. Der Präsident schoss aus seinem Sitz in der ersten Reihe empor, fing die Hostie und umschloss sie mit den Händen. Nach einer kurzen Zeit des Zögerns wurde er zum Altar geleitet, wo er die Hostie zurückgab.

 

Warschau am 8. Juni 2015. Hostie erfolgreich eingefangen.
Warschau am 8. Juni 2015. Hostie erfolgreich aufgefangen.

Der gewandelten Hostie – als dem wahren Leib Christi – bringt man in der katholischen Kirche höchste Ehrfurcht entgegen. Geweihte Hostien werden im Tabernakel aufbewahrt, vor allem für die Kommunion für Kranke und Sterbende, aber auch zur stillen Anbetung der Gläubigen. Diese ganz besondere Verehrung kommt auch bei der Fronleichnamsprozession zum Ausdruck, bei der ein Priester oder ein Diakon eine geweihte Hostie in der Monstranz zu den Außenaltären trägt. So gesehen, hat sich Duda durch und durch korrekt verhalten. Er bekam dafür viel Lob von den Katholiken und erntete Hohn bei den Antiklerikalen. Als den „Der mit der Hostie tanzt“ schmähten und verspotteten ihn Autoren von Memes und Karikaturen im Internet.

Der Fototermin-Katholizismus von Ministerpräsidentin Ewa Kopacz entfacht verständlicherweise keine antikerikale Hysterie.
Privataudienz bei Papst Franziskus am 12. Juni 2015. Der Fototermin-Katholizismus von Ministerpräsidentin Ewa Kopacz entfacht verständlicherweise keine antikerikale Hysterie.

„Es ist schon interessant festzustellen“, so die „Gazeta Polska Codziennie“ („Polnische Zeitung Täglich“) vom 23. Juli 2015, „dass die Kirchenbesuche und Messeteilnahmen des abgewählten Staatspräsidenten Komorowski auf dem Hellen Berg in Częstochowa niemals auch nur den Schatten einer antiklerikalen Hysterie hervorgerufen haben. Genauso wenig, wie die kürzlich, am 12. Juni 2015, absolvierte Privataudienz von Regierungschefin Ewa Kopacz bei Papst Franziskus. Die antiklerikalen Künder wissen sehr wohl zwischen dem Fototermin-Katholizismus der jetzt Regierenden und dem authentischen Glauben Dudas zu unterscheiden.“

Dudas Antwort auf diese Attacken ist denkbar einfach: „Denjenigen, die mich wegen meines Betens und meiner Kirchenbesuche angreifen, möchte ich sagen, dass ich als Staatspräsident niemanden zum Beten zwingen werde. Ich bitte jedoch darum, dass niemand mir das Beten zu verbieten versucht. Ich habe vor dem Wahlkampf gebetet, ich habe im Wahlkampf gebetet, und ich werde auch jetzt beten“.

Ein Mann der konservativen Elite

„Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“ Mahatma Gandhis Worte geben sehr gut wieder, was zwischen dem Herbst 2014, als der Präsidentschaftswahlkampf begann, und der Verkündung des Wahlergebnisses am Abend des 24. Mai 2015 in Polen geschah. Zweifelsohne öffnet Dudas Amtsantritt ein grundlegend neues Kapitel in der Geschichte der III. Polnischen Republik, die es seit 1990 gibt, wobei die Tatsache, dass Polen den jüngsten (Jg. 1972) freigewählten Staatspräsidenten der Welt haben wird, eine eher untergeordnete Rolle spielen dürfte.

Andrzej Dudas Eltern, Jan und Janina, er Elektrotechniker, sie Chemikerin, sind Professoren an der renommierten Krakauer Hochschule für Bergbau und Hüttenwesen (AGH). Der Vater seiner Ehefrau Agata, einer Germanistin und Deutschlehrerin am namhaften 2. Krakauer Lyzeum, ist der berühmteste, lebende moderne polnische Dichter Julian Kornhauser.

Die Eltern: Prof. Jan und Prof. Janina Duda.
Die Eltern: Prof. Jan und Prof. Janina Duda.

Duda entstammt einer konservativen Elite, die es weder im kommunistischen, noch in der vom ausufernden, hemdsärmeligen Self-made-Man-Kapitalismus geprägten Folgezeit leicht hatte. Ein Patriotismus kennzeichnet sie, der das eigene Land, das eigene Volk, seine Geschichte und Tradition eindeutig in den Mittelpunkt stellt, aber andere Länder und Völker keineswegs herabsetzt oder gar verachtet, was für den Nationalismus typisch ist.

Bildung, Kultur, Fachwissen und Fleiβ, nicht Ellbogen, sind die Instrumente des Aufstiegs. Man ist und gibt sich in diesen Kreisen aus Überzeugung bescheiden, denn das Fortkommen wurde mühsam erkämpft. Andrzej Dudas Eltern kamen aus Kleinstädten zum Studium nach Krakau, wo sie sich kennengelernt haben. Das Studentenleben fristeten sie in Vier- bzw. Fünfbettzimmern der Uni-Wohnheime. Die erste gemeinsame Wohnung des angehenden Wissenschaftlerehepaares war neun Jahre lang ein neun Quadratmeter groβes Zimmer im Mitarbeiterhotel der AGH-Hochschule, das sie mit ihrem kleinen Sohn Andrzej teilten, bis sie eine Wohnung bekamen.

In der Familie Duda war der Glaube ein fester und natürlicher Bestandteil des Alltags. Menschen dieser Schicht mussten im kommunistischen Polen ein Vielfaches an Leistung und Wissen aufbringen, um beruflich weiterzukommen. Da sie die Parteizugehörigkeit verweigerten, blieben Leitungsfunktionen, Auslandsstipendien und manch andere Privilegien für sie zumeist unerreichbar.

Geld ist in diesen Kreisen zweitrangig, wichtiger ist die Herausforderung der Aufgabe. Nach seinem Jurastudium an der Jagiellonen-Universität lehnte Duda 2005 ein sehr einträgliches Angebot einer groβen Maklerfirma zugunsten der eher brotlosen Assistentenstelle und einer wissenschaftlichen Karriere an der Universität ab. Als Staatspräsident wird Duda sechsmal weniger verdienen als ein Europaabgeordneter, der er seit Mai 2014 und bis noch vor Kurzem war.

Good boy, bad boy

„Polityka“, das Wochenblatt der postkommunistischen Linken, das regelmäβig die besten Sejm-Abgeordneten des Jahres kürt, hegte noch im September 2013 nicht die geringsten Zweifel an Dudas Fachwissen, seiner Dialogfähigkeit, seinen guten Manieren. „Einer der aktivsten Abgeordneten. Seine Reden im Plenarsaal gelten fast ausschlieβlich den Gesetzen und der Gesetzgebung (…). Sachlich, kultiviert, offen für Argumente, zeigt er, dass man diskutieren kann ohne jemanden zu beleidigen. Keine Boshaftigkeit, keine personenbezogenen Attacken, stattdessen Sachargumente.“

Der beste Sejm-Abgeordnere. "Polityka" im September 2013.
Der beste Sejm-Abgeordnere. „Polityka“ im September 2013.

Im September 2014 fand sich Duda unter den besten polnischen Europaabgeordneten, die die „Polityka“ ausgemacht hat. „Diskussionen mit seiner Teilnahme waren stets intelligent, sachlich, manchmal bissig. Er ist ein hervorragender Jurist, der Populismus meidet und sich an die Regeln der politischen Kultur hält, aber auch, wenn es notwendig ist, ein politischer Kämpfer sein kann.“

Der beste polnische Europaabgeordnete. "Polityka" im September 2014.
Der beste polnische Europaabgeordnete. „Polityka“ im September 2014.

Wenige Monate später verwandelte sich der Präsidentschaftskandidat Duda, der einst sachliche, intelligente, kultivierte, dialogorientierte, hervorragende Jurist in derselben „Polityka“ in einen „wenig bekannten Hinterbänkler“, eine „jämmerliche Marionette Kaczyńskis“, einen „kirchenhörigen Fundamentalisten“. Die Zahl einflussreicher Medien, die ihn so darstellen, ist in Polen Legion. Duda wird es genauso schwer haben, wie sein politischer Förderer Lech Kaczyński, der im April 2010 ums Leben gekommene, viel geschmähte polnische Staatspräsident, dessen enger Mitarbeiter er war.

Der beste Feind. "Polityka" im Mai 2015.
Der beste Feind. „Polityka“ im Mai 2015.

 

„Intensiver Katholik“

Jarosław Kaczyński, Lechs Zwillingsbruder und Chef der oppositionellen nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), der Duda zum Kandidieren ausgewählt und bewogen hat, bezeichnete ihn als einen „intensiven Katholiken“. Was heiβt das?

Polens gröβtes Nachrichtenmagazin, der katholische „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“) vom 3. Mai 2015 ist dieser Frage nachgegangen und stellt fest:

„Es ist ein Jemand, der den Glauben nicht als ein Beiwerk zum Privatleben betrachtet (schöne Trauung, Taufe, Beerdigung), sondern als etwas, was sein ganzes Leben durchdringt und seine Entscheidungen beeinflusst. Eine solche Haltung schlieβt keineswegs Fehler und Abstürze aus. Ein „intensiver Katholik“ nimmt die göttlichen und kirchlichen Gebote ernst. Er ist kein „selektiver Katholik“, der sich, wie in einem Supermarkt, das aus dem Katholizismus herausnimmt, was ihm gerade passt, und sich seinen eigenen „Glauben“ zurechtbastelt. (…)

Kann ein Politiker ein „intensiver Katholik“ sein? Ja, er kann und er sollte es sogar sein, auch wenn er beschimpft wird als „Fundamentalist“, als „Lakai des Vatikans“ usw. Ein Katholik und Politiker zugleich, hat das Recht sich auf die christliche Moral- und Soziallehre zu berufen. Genauso, wie eine Feministin und Politikerin sich auf den Feminismus und ein Homo-Aktivist und Politiker sich auf die Homo-Ideologie berufen darf“, schreibt das Blatt und fährt fort:

„In der Demokratie muss man Kompromisse schlieβen, um Recht zu schaffen. Ein Katholik kann für ein Gesetz stimmen, das aus der Sicht der katholischen Lehre unvollkommen ist, aber eine Verbesserung gegenüber dem bisherigen Zustand bringt. Er darf das geringere Übel wählen, um ein gröβeres zu vereiteln.
Wenn man hört, wie und was Andrzej Duda sagt, hat man den Eindruck, dass er das alles sehr gut versteht und darauf vorbereitet ist, das höchste Amt im Staate auszuüben ohne von dem eigenen Glauben abzurücken.“

Gottesstaat? Lächerlich

Auch die katholische Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) vom 30. Juli 2015 nahm sich des Themas „Gottesstaat“ an. Das Blatt schreibt:

„Die polnische Verfassung garantiert jedem Bürger die Gewissens- und Religionsfreiheit, und definiert präzise, wie die Beziehungen zwischen dem Staat, den Kirchen und anderen Glaubensgemeinschaften auszusehen haben. Letztere sind ohne Ausnahme vor dem Gesetz gleich. D. h. Polen ist kein Gottesstaat. Um ein solcher zu werden, müsste man die Verfassung und viele andere Gesetzte ändern, so auch das Konkordat mit dem Vatikan. Danach jedoch sieht es nicht aus.

Von allen Kirchen und Glaubensgemeinschaften spielt die katholische Kirche die wichtigste Rolle. Das resultiert nicht aus den Rechtsvorschriften, sondern aus der Geschichte und aus der Zahl ihrer Gläubigen. Darum sollte es wahrlich nicht verwundern, dass Bürger katholischen Glaubens des Öfteren die höchsten Ämter im Staate bekleiden. Ergibt sich aber daraus, dass sich Polen in einen „Gottesstaat“ verwandelt? Sicherlich nicht“, stellt die Zeitung fest, und schreibt weiter:

„Es gibt noch ein Argument. Es geht aus der Lehre Christi hervor. Es war Christus, der befahl: „gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, aber Gott, was Gottes ist.“ Daraus resultiert aus der Sicht der Katholiken die Achtung für die Autonomie und Unabhängigkeit von Kirche und Staat. Deswegen dürfen Geistliche keine Staatsämter innehaben.

Doch die Autonomie bedeutet nicht, dass die Kirche, verstanden als die Geistlichen und die Gläubigen, nicht laut und deutlich ihre Lehre verkünden darf. Das besagt auch das Gesetzbuch des Kirchenrechts der katholischen Kirche (Codex Iuris Canonici): „Der Kirche kommt es zu, immer und überall die sittlichen Grundsätze, auch über die soziale Ordnung, zu verkündigen, wie auch über menschliche Dinge jedweder Art zu urteilen, insoweit die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen dies erfordern“ (Can. 747 – § 2).

Die Frau Ministerpräsidentin (siehe 1. Absatz dieses Textes – Anm. RdP) sollte eigentlich wissen, dass die einzigen gefährlichen Gottesstaaten islamischer und nicht christlicher Provenienz sind. Schade, dass sie mit solch dümmlichen Feststellungen das Ansehen ihres Amtes schädigt“, endet das Blatt.

Andrzej Duda will und wird, bevor er das Amt antritt, seinen Glauben nicht an der Garderobe abgeben. Dialogorientiert wie er ist, will er jedoch, so seine Ankündigung, ein ernsthaftes Gespräch mit allen Bürgern, auch mit seinen ideologischen Gegnern suchen. Man darf gespannt sein auf diese Präsidentschaft.

© RdP




Das Wichtigste aus Polen 24. Juli – 6. August 2016

 

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen.
Katholische Weltjugendtage in  Kraków mit 2 Mio. Teilnehmern waren ein geistlicher und organisatorischer Erfolg. Papst Franziskus enttäuschte die Opposition und  deutsche Medien: keine Schelte für Polens Regierung und Bischöfe.
Neues Gesetz über das Verfassungsgericht und keine Aussicht auf Beilegung des Konfliktes, den die Opposition als ihren letzten Zündstoff im innenpolitischen Kampf betrachtet.
Kostenlose Medikamente für Menschen über fünfundsiebzig. Ein weiteres wichtiges soziales Programm wird in die Wege geleitet.
Wo und wie verbringen die Polen in diesem Jahr ihren Urlaub.




Das Wichtigste aus Polen 10. Juli – 23. Juli 2016

Jakub Kukla und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. Katholische Weltjugendtage in Kraków – Papst Franziskus und bis zu 2 Mio. Besucher werden erwartet. Flächendeckender Mindestlohn von umgerechnet 2,90 Euro wird ab dem 1. Januar 2017 eingeführt. Knapp dreiβg Jahre nach dem Ende des Kommunismus werden die hohen Vorzugsrenten ehem. Stasibeamter auf das Normalmaβ reduziert. Renteneintrittsalter wird für Frauen von 67 auf 60 und für Männer von 67 auf 65 reduziert. Die Ehefrau des polnischen Staatspräsidenten soll ein Gehalt bekommen.




Das Wichtigste aus Polen 8. November – 14. November 2015

Kommentator Andrzej Godlewski und Joachim Ciecierski gehen auf die wichtigsten Ereignisse der Woche ein: Polen feierte am 11. November seine Unabhängigkeit. Neue Regierung stellte sich vor. Die Rolle der Opposition – wie sollte sie agieren? Inoffizieller EU-Gipfel in Malta ohne Polen. Staatspräsident Andrzej Duda zu  Besuch im Vatikan. Dudas offen gezeigte Gläubikeit stört die meisten Polen keineswegs. Der katholische Weltjugendtag findet Ende Juli 2016 in Kraków statt, ein Ereigniss auf das man gespannt sein darf.




Das Wichtigste aus Polen 16. August – 22. August 2015

Kommentator Janusz Tycner und Joachim Ciecierski gehen auf die wichtigsten Ereignisse der Woche in Polen ein: Feierlichkeiten zum Tag der Polnische Armee am 15. August in Warschau. Der Sieg über die Bolschewisten vor Warschau am 15. August 1920 rettete Polens junge Unabhängigkeit. Polens Armee in keinem guten Zustand. Staatspräsident Andrzej Dudas erste Auslandsbesuche. Das Pilgern ist der Polen Lust.

August 1920. Piłsudskis Sieg – Europas Rettung

Ein Anti-Katyń gibt es nicht




2015 polnische Missionare

Auf allen Kontinenten.

Den im April 2015 veröffentlichten Angaben der Polnischen Bischofskonferenz zufolge, arbeiten Missionare und Missionarinnen aus Polen in 97 Ländern der Welt, darunter: 828 in Afrika, wovon die meisten in Kamerun – 125, Zambia – 77, auf Madagaskar – 58 und in Tansania – 65; 786 in Mittel- und Südamerika, wovon die meisten in Brasilien – 260, Bolivien – 119, Argentinien – 121 und Peru – 63; 314 in Asien und Vorderasien, wovon die meisten in Kasachstan – 108, Israel – 53, Japan – 29, auf den Philippinen – 29 und in Usbekistan – 17; 70 in Ozeanien, wovon die meisten in Papua-Neuguinea – 66 und 17 in Nordamerika. Unter den insgesamt 2015 polnischen Missionaren gibt es 1023 Mönche (von denen 18 Bischöfe sind), 640 Nonnen, 302 Diözesanpriester und 50 Laien. Männerorden, die die meisten Missionare entsandt haben: die Verbisten – 209, die Franziskaner-Konventualen – 90, die Franziskaner – 75, die Salesianer – 74 und die Pallottiner – 72. Die meisten Missionarinnen haben die Franziskanerinnen Missionarinnen Marias – 54, die Dienerinnen des Heiligen Geistes – 50 und die Schwestern von der Heiligen Elisabeth – 42 in die Welt geschickt. Unter den Diözesanpriestern kommen die meisten aus den Diözesen: Przemyśl- 18, Katowice – 14, Kraków – 14 und Lublin – 14. Das Durchschnittsalter aller polnischen Missionare und Missionarinnen beträgt 46 Jahre.

©RdP




Ein Priester kauft Windeln

Der Szczeciner Pfarrer Tomasz Kancelarczyk hat Hunderte von Leben gerettet.

(…) Mein erster Fall, das war eine Abiturientin aus gutem Hause, sehr in die Gemeindearbeit eingebunden. Über ihre Schwangerschaft hat sie niemandem etwas erzählt. Sie hatte auch schon einen Termin für den Eingriff. Ihre beste Freundin kam damit zu mir, und ich, naiv wie ich war, und meiner seelsorgerischen Überzeugungsfähigkeiten völlig gewiss, wurde eines Besseren belehrt.

Das Mädchen hörte sich an, was ich zu sagen hatte, und erklärte mir dann geradeheraus, dass sie das Kind niemals gebären werde. Sie war sich da hundertprozentig sicher. Meine Beteuerungen, sie werde Hilfe bekommen, das Kind sei doch kein Hindernis beim Studium und im weiteren Leben, trafen auf taube Ohren. Wir hatten einige Gespräche. Nichts half. Ich hab‘s dann aufgegeben. Was kann ein Priester da noch ausrichten? Das Kind wird er ganz bestimmt nicht austragen können.

Einige Tage später, ich stand vor dem Altar, überkam mich mit unglaublicher Wucht der Gedanke, wenn ich nicht alles tue. was in meiner Macht steht, um diese Abtreibung zu verhindern, dann bin ich ein Feigling und werde dem Mädchen das Leben ruinieren.

Dem Mädchen?

Sie müsste mit der Gewissheit leben, ihr Kind umgebracht zu haben. Das war eine kluge, empfindsame junge Frau. Es galt ihr Kind und sie selbst zu retten. Das Trauma nach einer Abtreibung ist keine Erfindung devoter Frömmlerinnen. Das ist ein schrecklicher Zustand der Depression, des Hasses, der Ängste, der Schuldgefühle, die viele Frauen überkommt und oft bis an ihr Lebensende nicht mehr loslässt.

Ich bin noch einmal zu ihr gefahren und habe alles auf eine Karte gesetzt. „Ich werde es nicht zulassen. Ich fahre jetzt zu Deinen Eltern. Du wirst es nicht tun“. Dann passierte etwas schreckliches. Ihr schönes Gesicht entstellte sich zu einer hasserfüllten Fratze. Ich bekam Angst. Wir sind mit Krach auseinandergegangen.

Ich verspürte einen tiefen Schmerz darüber, dass das Kind umgebracht wird. Ich war in einen Kampf auf Leben und Tod verwickelt. Verzweifelt habe ich mich ans Telefon gesetzt und alle Orden, die ich kannte angerufen, mit der Bitte um Gebete für die Rettung des Kindes. Auch ich habe innbrünstig gebetet. Eine Woche verging. Es klingelt an der Tür. Ich mache auf, vor mir steht „meine“ Abiturientin. Sie lacht, strahlt vor Glück. „Ich werde gebären“. Das Kind kam auf die Welt, sie hat sich das Leben eingerichtet. Das Kind bedeutet ihr alles, auch ihre Familie ist verrückt nach ihm.

Was muss man tun, um eine Frau und ihr Kind zu retten?

Nach so vielen Jahren weiβ ich, dass man auf drei Ebenen gleichzeitig handeln muss. Wichtig ist, ein konkretes Hilfsangebot zu machen und es umzusetzen. Genauso wichtig ist das Gebet. Zugleich muss man deutlich machen, was in Wirklichkeit eine Abtreibung ist, und welch unschätzbaren Wert das Leben hat.

Haben die „Märsche für das Leben“ einen Sinn?

Ja. Es wird öffentlich ein Zeugnis abgelegt, auf diese Weise werden die Öffentlichkeit, und vor allem die jungen Menschen, geprägt. Doch die Märsche dürfen kein Ziel an sich sein. Die Vereinigung Civitas Christiana hat mich in Szczecin 2006 zum ersten Mal zur Teilnahme eingeladen. Damals habe ich in einer Berufsschule Religion unterrichtet. Meine Schüler waren bei Leibe keine braven Kinder. Dennoch sind wir zusammen hingegangen und trafen auf ein Häuflein trauriger älterer Damen. Die Jungs fühlten sich dabei unwohl, ich übrigens auch (…)

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Zwanzigtausend Menschen nahmen im Mai 2014 am Szczeciner Marsch für das Leben teil.

Ein Jahr später haben wir die Vorbereitung des Marsches praktisch an uns gerissen, mit viel Phantasie und Energie. Die jungen Leute hatten viele gute Ideen. Es ging fröhlich und bunt zu, es herrschte eine ganz andere Atmosphäre, und es kamen zweitausend Leute! Von Jahr zu Jahr wurden es immer mehr. Im Mai 2014 marschierten schon zwanzigtausend Menschen gemeinsam mit uns. Doch der Marsch, auch wenn die Vorbereitungen wochenlang dauern, ist ein leichtes Unterfangen. Ein Kind zu retten ist viel schwieriger.

Warum?

Man muss starke Nerven haben und oft ein enormes Tempo an den Tag legen. Man wird zu so einer Art Anti-Abtreibungs-Bereitschaftsdienst. Als immer mehr Anrufe kamen, dass wieder einmal eine Frau „ein Problem“ hat und es loswerden will, wurde mir klar, dass ein jeder solcher Alarm irgendwie anders ist, eine andere Vorgehensweise und Hilfestellung verlangt. (…) Manchmal muss man wie ein Priester handeln, manchmal wie ein Psychologe, ein anderes Mal wie die Sozialhilfe, nicht selten wie ein Fuchs.

Fuchs?

Sagen wir: unkonventionell handeln. Ein Problem ist immer: wie komme ich mit dem Mädchen ins Gespräch? Wenn das gelingt, dann haben wir den ersten Anhaltspunkt, und die Chance ein Leben zu retten wächst enorm.

Welche Frauen entscheiden sich für die Abtreibung?

Vor allem fehlt ein positiv eingestellter Mann an ihrer Seite. Entweder war gelegentlicher Sex im Spiel oder ein Mann, mit dem die Frau schon länger zusammenlebt, und der dann plötzlich fragt: bist Du sicher, dass es mein Kind ist? Viele Männer überlassen „groβzügig“ und „modern“ die Entscheidung der Frau: mach was Du willst. In jedem Fall ziehen, das fehlende Sicherheitsgefühl, die Angst, die Wut auf den Mann, die unheilvolle Entscheidung abzutreiben nach sich.

Die Mädchen stammen aus ganz unterschiedlichen Verhältnissen. Manchmal sind sie ungebildet und arm. Manchmal sind es Frauen in gehobener Stellung mit einem guten Einkommen. Vor nicht langer Zeit bekam ich die Nachricht von einem Mannequin das abtreiben wollte. Klar: Angst vor einem Bruch der Karriere, einer entstellten Figur. Es gelang ihr zu helfen. Sie gebar, wurde wieder schlank. Das Kind ist ihr Ein und Alles. Sie ist wieder zurück auf dem Laufsteg.

Oft sind es Teenager. Blanke Verzweiflung! „Die Eltern werden mich umbringen!“ Gewiss, meistens sind die Eltern wütend, aber das geht schnell vorbei, und als Groβeltern schäumen sie nur so über vor Freude. Die Leute wollen oft die Schwangerschaft nicht, aber das Kind, das Ergebnis dieses Zustandes, macht sie glücklich.

Wie weit reicht Ihr Aktionsradius?

Er erstreckt sich auf ganz Polen. Wenn die Mädchen auβerhalb von Szczecin wohnen, dann setzten wir uns ins Auto und fahren los. Wenn es wirklich am anderen Ende des Landes ist, dann suchen wir nach Mitarbeitern der Bruderschaft der Kleinen Füβe (Bractwo Małych Stópek). Es gibt dreitausend von ihnen im ganzen Land. Das Internet ist ein groβer Segen für die Pro-Life-Bewegung. Es eint die Menschen zugunsten einer guten Sache. Ich kann auch immer auf die Leute von der Gemeinschaft Hauskirche (Wspólnota Kościół Domowy) zählen. Wenn zu einer Frau, die ihr ungeborenes Kind töten will, eine einfühlsame, wohlwollende Person kommt, mit einem konkreten Hilfsangebot, dann ist die Chance groβ, dass die Frau ihre Entscheidung ändert. Ausschlaggebend ist die psychologische Unterstützung, dabei muss es nicht unbedingt ein Diplom-Psychologe sein. Ich sage meinen Mitarbeitern: „Wir alle retten diese Kinder. Auf jede mögliche Weise“.

Was sind das für Organisationen, von denen Sie sprechen?

Ich bin kein Roboter. Es kamen immer mehr schwierige Fälle hinzu, aber ich konnte stets auf die Unterstützung der Vereinigung Civitas Cristiana in Szczecin zählen. Ohne ihre Arbeit, ihr Engagement würden sich meine Möglichkeiten schnell erschöpfen. Dabei gibt es immer mehr Bedarf. Deswegen haben wir die Bruderschaft ins Leben gerufen, die eine Stiftung betreibt. Zur Bruderschaft stoβen Menschen aus dem ganzen Land. Wir sammeln Geld, das den Frauen zu Gute kommt. Wir verteilen auch „Hänschen“ („Jaśki“) – Modelle eines zehnwöchigen Menschen, und silberfarbene kleine Füβe. Auβerdem „betreiben“ wir eine „Gebets-Babyklappe“.

Małe stópki foto

 

Ach so, Nonnen beten und Frauen treiben nicht ab?

Ja, so kann man das sagen. Es passiert, dass wir auf Frauen in der frühen Schwangerschaft treffen, ihnen Angebote unterbreiten, die ihre Probleme lösen und sie dennoch dabei bleiben abzutreiben. Mir ist dann immer schrecklich zumute. Ich weiβ, diese Frau wird gleich den gröβten Fehler ihres Lebens begehen. Sie wird Pillen schlucken und in häuslicher Abgeschiedenheit ein mehrwöchiges totes Kind gebären und seinen Leichnam „entsorgen“. In meiner ganzen Hilflosigkeit schreibe ich E-Mails an Ordensgemeinschaften. Es sind sage und schreibe 83 die uns unterstützen. Alle beten für diese Frau und für gewöhnlich mit Erfolg.

Kleben Sie Plakate mit toten Kindern, Opfern von Abtreibungen?

Nein, aber ich verurteile solche Plakate nicht, weil sie viele Menschen sehr nachdenklich stimmen. Abtreibung ist wahrlich keine „Auflösung eines Kindes im Nebel“.

Ich jedoch habe eine andere Methode gewählt. Wir haben mit der Bruderschaft eine Ausstellung für Gymnasiasten vorbereitet, die eine positive Botschaft vermittelt. Auf einem Plakat ist ein Junge mit einem Ball zu sehen, darunter die Information wann ein Kind im Mutterleib zu treten beginnt. Auf einem anderen ein Mädchen mit einem Kamm und die Mitteilung, wann im Mutterleib die Haare des Kindes zu wachsen beginnen. Die Plakate erläutern, dass ab dem 21. Tag nach der Empfängnis der Mensch bereits ein schlagendes Herz hat, dass er Schmerz empfindet usw.

Die heutige Jugend ist auf vielen Gebieten sehr bewandert, aber über die Entwicklung des Menschen weiβ sie erschreckend wenig. Man muss es ihr beibringen. Wenn man den jungen Leuten zeigt, wie ein Kind im Mutterleib aussieht, wie es wächst, dann wird ihnen niemand mehr einreden können, es handle sich um einen „nicht identifizierbaren Gewebeklumpen“.

Sie sprachen von den „Hänschen“. (…)

Die haben eine enorme Wirkung. Vor einiger Zeit wurde ich ins Fernsehen eingeladen, um über den Schutz des ungeborenen Lebens zu sprechen. Ich habe auch die „Hänschen“ mitgenommen, sie auf den Tisch im Studio gelegt, und sie dort nach dem Ende des Gespräches liegen gelassen. Nach mir sollten Befürworterinnen der Abtreibung diskutieren. Sie wurden geradezu hysterisch als sie die Modelle eines zehn Wochen alten Menschen sahen, forderten, die „Abtreibungsfigürchen“ sofort zu entfernen. Auch die kleinen Füβe verfehlen nicht ihre Wirkung. (…) Wenn wir sagen: „Töte nicht“, dann müssen wir auch vor Augen führen, wen konkret man nicht töten darf.

Pfarrer Kancelarczyk mit einem „Hänschen".
Pfarrer Kancelarczyk mit einem „Hänschen“.

Ist es nicht seltsam, dass man im 21. Jahrhundert nicht wissen kann, wie ein werdender Mensch aussieht?

Aber so ist es. Ich war einmal mit einem Vortrag in einer Schule. Ich habe die „Hänschen“ verteilt, erzählt. Beiläufig sah ich, wie eines der Mädchen das Modell mit zitternden Händen anfasste. Nach der Stunde kam sie heulend zu mir. Sie war in der zehnten Woche schwanger und hatte sich schon für die Abtreibung entschieden. Das Modell hat ihr die Augen geöffnet.

Abtreibungsbefürworter werden sagen, Sie üben Druck und psychische Gewalt aus.

Dann muss ich Ihnen folgende Geschichte erzählen. Vor einiger Zeit bekam ich eine Nachricht von einer Pro-Life-Aktivistin aus Norwegen, dass eine Frau in Szczecin Hilfe braucht. Wir haben sie gefunden. Diese Frau suchte zunächst einen Sponsor für ihre Abtreibung. Ein Herr erklärte sich bereit den Eingriff zu bezahlen, doch die Frau hat es sich anders überlegt. Sie entschied sich für das Kind. Der Sponsor hat sich von ihr abgewandt. Seine Hilfe beschränkte sich auf das Töten. So sieht das aus. Die Abtreibungsbefürworter beschäftigen sich mit den Ungeborenen auf die Weise, dass sie aus ihnen Tote machen. Wir helfen den Lebenden.

Haben Sie mit diesem Abtreibungssponsor gesprochen?

Er hat mich angerufen und sagte, er arbeite für die (rabiat antikatholische – Anm. RdP) Zeitschrift „Fakty i Mity“ („Fakten und Mythen“). Ich habe ihm geantwortet, dass ich für Jesus Christus tätig bin. So haben wir miteinander geplaudert. Es war ein wertvolles Gespräch, weil ich ihm von Fortgang des Geschehens berichten konnte: das Mädchen gebar ihr Kind, ist glücklich, der Kleine entwickelt sich prächtig.

Mir ist zu Ohren gekommen, dass finanzielle Hilfe für Frauen, die sich noch nicht entschieden haben, gleichzusetzen sei mit dem „Erkaufen“ ihrer Kinder und das sei unmoralisch.

Dann muss ich noch eine Geschichte erzählen. Wir hatten erfahren, dass eine schwangere Frau die Abtreibung vornehmen will. Wir gingen zu ihr. Eine winzige, kalte Einzimmerwohnung mit riesigen Mietrückständen. Ein Bild des Jammers. Die Frau schlief auf dem Fuβboden, ihr älteres Kind auf einem verfallenen Möbelstück. Es war zu spät für irgendwelche Diskussionen, die Suche nach dem Vater, Moralpredigten. Fast zeitgleich, so wollte es der Zufall, bekam ich einen Anruf von jemandem der Möbel loswerden wollte. Blitzschnell haben wir die Wohnung renoviert, die Möbel reingestellt. Wir haben die Frau mit der Gemeinschaft Hauskirche zusammengebracht, damit ihr, wenn nötig, immer geholfen werden konnte.

Sie stammte aus einem geradezu pathologischen Milieu. Es reichte aber aus, ihr nur die Hand hin zu strecken, um sie dort rauszuholen. Als sie Geburtswehen bekam, rief sie mich mitten in der Nacht an. Ich habe sie ins Krankenhaus gebracht. Und jetzt die Frage: haben wir ihr Kind wirklich „gekauft“?

Von Zeit zu Zeit veröffentlichen Sie auf Facebook einen Appell, zehn Zloty für Windeln zu spenden.

Das reicht für zwanzig Windeln. Windeln sind mein Symbol. Wenn ein Mädchen weint, da es nicht weiter weiβ, kein Geld hat, dann sagen wir ihr: „Gut, Dein Kind bekommt von uns Windeln für ein ganzes Jahr im Voraus“. Das wirkt. Die bedürftigen Frauen bekommen von uns auch den Kinderwagen, Kleidung, Pflegeprodukte für das Kleine. Wenn sie nicht selbst stillen kann, auch Babynahrung. Doch das mit den Windeln wirkt am meisten.

Es war schon komisch, als ich das erste Mal Windeln für ein ganzes Jahr im Voraus einkaufen gegangen bin. Eine Familie aus dem Bekanntenkreis hat mir aufgeschrieben wieviel Windeln das sein müssen. Beim Discounter habe ich den gröβten Wagen vollgebackt. Den Priesterkragen habe ich anbehalten. An der Kasse habe ich natürlich ein Ehepaar aus unserer Gemeinde getroffen. „Herr Pfarrer, gibt es in Ihrem Leben etwas wovon wir nichts wissen?“, haben sie höflich gefragt. Anschließend haben sie noch ein Paar Packungen Windeln auf den Wagen gelegt.

Sie haben den Fuchs erwähnt.

Sie meinen die unkonventionellen Hilfsmethoden. Es gibt sie. Manche Frauen sind buchstäblich von der Angst gelähmt, für rationale Argumente völlig unzugänglich. Einmal habe ich ein Komplott mit einem Mädchen geschmiedet, dessen Freundin unbedingt abtreiben wollte. Sie hatte schon die nötigen Pillen dazu.

Wir haben uns angeblich zufällig in einer Ladengalerie getroffen: ich, das Mädchen und ihre schwangere Freundin. Wir unterhielten uns über das Wetter und andere harmlose Dinge. Beim Abschiednehmen „habe ich mich erinnert“, etwas ganz besonderes auf meinem Handy zu haben. „Da sich gerade die Gelegenheit bietet, das ist meine Patentochter“, und ich zeige einen kleinen Film von der Ultraschalluntersuchung. „Anna strampelt, ihr Herz schlägt schon. Ist das nicht wunderbar?“ Drei Tage später ruft meine Mitverschwörerin an: „Die Freundin hat die Pillen weggeworfen“ (…) Ein anderes Mal, als ein weiteres Mädchen schrecklich weinte und klagte, dass das Kind keinen Vater haben wird, und deswegen will sie es weg machen lassen, habe ich, ganz spontan gesagt: „Dann werde ich das Kind als meins eintragen lassen.“

Ganz schön mutig.

Ja, obwohl die Vaterschaft eines Priesters nur eine geistige sein sollte, bin ich aufs Ganze gegangen. Es hat auch geholfen. Das Mädchen kam zur Besinnung, vielleicht bekam sie es auch mit der Angst zu tun, wegen dieser Vaterschaft. Sie hat das Kind auf die Welt gebracht. Es hat keinen Vater, aber es existiert.

Dürfen Sie sich so sehr engagieren?

Es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten darf. Die Pro-Life-Arbeit kann kein Ersatz für die biologische Vaterschaft sein. Da muss ein Priester sehr aufpassen und Distanz wahren. Doch ist es so verwunderlich, wenn ein Mann mit Priesterkragen gerührt ist, wenn er vor der Abtreibung gerettete Zwillinge sieht? Winzig, jeder etwa zwei Kilo schwer, rosig, strampelnd. Übrigens musste man für sie zweimal so viel Windeln anschleppen.

Ist es so verwunderlich, wenn ein Mann mit Priesterkragen gerührt ist, wenn er vor der Abtreibung gerettet Zwillinge sieht?
Ist es so verwunderlich, wenn ein Mann mit Priesterkragen gerührt ist, wenn er vor der Abtreibung gerettete Zwillinge sieht?

Haben Sie mit den biologischen Vätern der Kinder zu tun?

Manchmal. Das bedarf meistens einer sehr groβen Beherrschung, um so einem Kerl nicht einfach eine herunterzuhauen, damit er zur Besinnung kommt und Verantwortung übernimmt. Einem von ihnen habe ich sein ungeborenes Kind gezeigt. Er fing an zu schluchzen. Er wollte diese Schwangerschaft nicht. Später konnte er vor lauter Stolz auf den Sohn kaum laufen. (…)

Das Gespräch, das wir, mit freundlicher Genehmigung, leicht gekürzt wiedergeben, erschien in der Tageszeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) vom 6. Dezember 2014.

RdP




Handel am Sonntag

Kirchen und Gewerkschaften geben zu bedenken.

Am Sontag frei zu haben, davon können viele polnische Arbeitnehmer nur träumen. Am Ende der diesjährigen Woche der Gebete um die Einigkeit der Christen (18. – 25. Januar 2015), einer der wichtigsten ökumenischen Veranstaltungen im Lande, riefen die Vertreter der katholischen, mehrerer protestantischer und der orthodoxen Kirchen dazu auf, dem Sonntag seinen besonderen Charakter zurückzugeben. Die Auseinandersetzung um den arbeitsfreien Sonntag, vor allem im Handel, ist somit um eine Facette reicher geworden.

Die polnische Verfassung schweigt dazu, das Arbeitsgesetzbuch stellt fest:

Art. 151: „Arbeitsfreie Tage sind Sonntage sowie gesetzliche Feiertage, die in den Vorschriften über arbeitsfreie Tage festgelegt worden sind“.

Art. 151 §1: „Die Arbeit an gesetzlichen Feiertagen im Handel ist nicht erlaubt“

Art. 151 §2: „Die Regelung in §1 wird auch dann angewandt, wenn der gesetzliche Feiertag auf einen Sonntag fällt.“

Art. 151 §3: „Sonntagsarbeit im Handel ist erlaubt bei Ausübung von Tätigkeiten von sozialer Nützlichkeit und bei der Befriedigung tagtäglicher Bedürfnisse der Bevölkerung“.

Für den durchgearbeiteten Sonntag, ob im Handel, in der Gastronomie, im Hotelwesen, auf der Tankstelle usw., sollte innerhalb von sechs darauffolgenden Arbeitstagen ein freier Tag gewährt werden. Ist das nicht möglich, werden 100% Zuschlag bezahlt.

Wer aus dem deutschsprachigen Raum nach Polen kommt, wundert sich manchmal. Am Sonntag haben alle grossen Geschäfte geöffnet, ungezügelt blüht der Handel, bis vor gar nicht allzu langer Zeit tat er es sogar an 365 Tagen im Jahr.

Erst 2007 gelang es der Regierung Jarosław Kaczyńskis, trotz Sturmfeuer der liberalen Medien und unzähliger Herolde der freien Marktwirtschaft, den Art. 151 §1 ins Arbeitsgesetzbuch zu bringen, und so den Angestellten im Handel wenigstens an gesetzlichen Feiertagen frei zu geben. Bis dahin arbeiteten alle Discounter-Ketten, Baumärkte, Möbelhäuser usw. auch an Allerheiligen, an Weihnachten, Ostern, Neujahr. Jetzt dürfen an den 13 gesetzlichen Feiertagen in Polen nur die Geschäfte öffnen, deren Eigentümer oder ihre Familien sich hinter den Ladentisch stellen.

Die Sonntagsarbeit im Handel bleibt ein ständig wiederkehrendes Thema der politischen Auseinandersetzung. Ihrem Ziel am nächsten waren die Befürworter des arbeitsfreien Sonntags im Jahr 2001. Damals verabschiedete das Wahlbündnis Solidarność (AWS; eine inzwischen längst Geschichte gewordene Allianz der Gewerkschaft und einiger dutzend konservativer und liberalkonservativer Kleinparteien, die Polen zwischen 2001 und 2005 regierte) eine entsprechende Novelle im Arbeitsgesetzbuch. Der damalige, wie es hieβ, linke Staatspräsident, der Postkommunist Aleksander Kwaśniewski legte dagegen sein Veto ein, und das Wahlbündnis Solidarność besaß nicht die erforderliche 3/5 Mehrheit, um dieses Veto im Sejm niederzustimmen. Aldi, Lidl, Netto, die portugiesische Discounter-Kette Biedronka (Maikäfer), Praktiker, Rossmann u. a. konnten aufatmen.

Das letzte Mal, bis jetzt, stand die Sonntagsarbeit im März 2014 auf der Tagesordnung des Sejm. Mit den Stimmen der Regierungskoalition Bürgerplattform (PO) und Bauernpartei (PSL), unterstützt von den „regierungsnahen“ Oppositonsparteien, den Postkommunisten und der rabiaten Palikot-Bewegung, wurden zwei Gesetzesvorschläge abgelehnt. Der eine entstand durch eine Bürgerinitiative und wurde von gut 120 000 Menschen unterschrieben, den anderen brachte Recht und Gerechtigkeit (PiS) ein.

Die Befürworter der Sonntagsarbeit in Politik und Wirtschaft behaupten, dass ihre Abschaffung zu Entlassungen im Handel und zur Drosselung des Wirtschaftswachstums führen wird. Der Polnische Verband für Handel und Distribution (POHiD), der Dachverband der groβen Handelsketten, sieht darin zudem eine Einschränkung der Gewerbefreiheit. Laut Meinungsumfragen sind 51% der Polen für die Beibehaltung des Sonntagshandels, 38% sind dagegen, 32% sagen, dass sie aus Prinzip am Sonntag nicht einkaufen. Dennoch: vor allem Ladengalerien, wo es Geschäfte, viel Gastronomie und Kinos gibt, sind an Sonntagen überlaufen.

„In einem Land, in dem mehr als 90% der Bürger sich als Katholiken betrachten, wird der Sonntag inzwischen als ein Tag angesehen, der sich genauso gut für die Erledigung tagtäglicher Angelegenheiten eignet, wie jeder andere. Sehr aussagekräftig und tragisch zugleich ist, dass ein verstärktes Kundenaufkommen in den Supermärkten unmittelbar nach jedem abgehaltenen Sonntagsgottesdienst einsetzt. Man kann verstehen, dass eine Generation die im Schatten leerer Regale aufgewachsen ist, sich an der Gewerbefreiheit und am Konsum berauscht. Fernsehen und Einkaufen mit der ganzen Familie gehören heute zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der Polen. Nur, warum muss das auf Kosten des sakralen Charakters des Sonntages gehen?“, ist auf der Internetseite der „Allianz für einen freien Sonntag“ (Przymierze na rzecz wolnej niedzieli) zu lesen.

Als im März 2014 der damalige Ministerpräsident Tusk freie Sonntage für Angestellte im Handel kategorisch ablehnte, sprach er im Namen seiner Wähler, der viel bewunderten, neuen Mittelklasse. Auf den Internetforen konnte man u. a. lesen:

„Bravo! Tusk hat den Hierarchen der katholischen Kirche, den Fanatikern und den arbeitsscheuen Parasiten Einhalt geboten.“

„Niemand wird mit vorschreiben, wann ich in die Läden gehen darf. Ich arbeite an Wochentagen bis 17 Uhr und bin dann müde.”

„Einkaufen am Sonntag, das ist für mich das wichtigste. Ich arbeite meistens zehn Stunden lang, abends muss man sich um die Kinder kümmern. Am Wochenende fahren wir meistes zu den Eltern und machen am Sonntagabend auf dem Rückweg Einkäufe für die ganze Woche. Wenn jemandem das nicht gefällt, dann soll er den Job wechseln. Warum soll ausgerechnet ich meinen Wochenplan ändern?“ © RdP

Die Auseinandersetzung dauert an. Für den arbeitsfreien Sonntag setzten sich Kirche, etliche katholische Laieninitiativen und die Gewerkschaft Solidarność ein.

Alfred Bujara
Alfred Bujara

Alfred Bujara ist Solidarność-Vorsitzender der Sparte Handel, Banken und Versicherungen. Die Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“), sprach mit ihm am 5. Januar 2015, noch vor dem Aufruf der Kirchen.

Frage: „Solidarność“ kämpft seit langem um ein Verbot des Handels an Sonntagen. Gegner dieser Idee behaupten, dass ihre Umsetzung zu einem Umsatzrückgang im Handel und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen würde.

Bujara: Jetzt haben wir ein von Gesetzes wegen eingeführtes Handelsverbot an 13 Feiertagen im Jahr und man kann nicht sagen, dass das den Handel negativ beeinflusst hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Im Jahr 2012 fiel der Feiertag Hl. Drei Könige auf einen Sonntag, der aus diesem Grund handelsfrei sein musste. Wir haben damals eine Untersuchung durchgeführt und es stellte sich heraus, dass an dem vorangegangenen Freitag und Samstag die Umsätze in den Geschäften um 5 bis 6% höher waren als an dem darauffolgenden Freitag, Samstag und Sonntag. Genauso war es vor dem Pfingstsonntag. Wie man sieht, verursachen die arbeitsfreien Tage im Handel einen Anstieg der Umsätze in den Läden, weil die Kunden auf Vorrat kaufen. Unserer Meinung nach würde ein arbeitsfreier Sonntag im Handel in den ersten zwei Jahren einen Umsatzanstieg nach sich ziehen. (…)

Frage: Warum überzeugen diese Argumente die Politiker und vor allem die Eigentümer der groβen ausländischen Handelsketten nicht?

Bujara: Es gibt keinen politischen Willen dazu. Dieses Parlament wird das Verbot von Sonntagsarbeit im Handel nicht mehr einführen, aber wir hoffen darauf, dass es nach den Wahlen dazu kommen wird, wenn sich die Zusammensetzung von Sejm und Senat ändern werden. Wir haben Verständnis für die Gewohnheiten der Kunden, und deswegen fordern wir nicht den Handel gleich an allen Sonntagen einzustellen. Am Anfang könnte man z. B. zwei freie Sonntage im Monat einführen. Selbstverständlich gäbe es einige Sonntage im Jahr, so z.B. vor den Weihnachts- und Osterfeiertagen, an denen der Handel stattfinden könnte.

Frage: Die Einführung der arbeitsfreien Sonntage liegt den Angestellten im Handel am Herzen?

Bujara: Ja, sie weisen immer wieder darauf hin. Die Angestellten wollen kein zusätzliches Geld, worauf noch vor einigen Jahren immer wieder verwiesen wurde, sondern fragen uns, was denn mit den arbeitsfreien Sonntagen sei. (…) 90% der Angestellten in dieser Branche, zumeist sind es Frauen mit Kindern, belastet am meisten, dass sie ihre Familien am Sonntag allein lassen müssen. Sonntagsarbeit ist für die Angestellten das mit Abstand gröβte Problem. Das darf man nicht ignorieren.“

RdP