Das Pilgern ist der Polen Lust

Jahr für Jahr gehen fünf bis sieben Millionen Polen auf Wallfahrt. 

Pilgern, eine Art der Volksfrömmigkeit, die sich längst überlebt hat? Nicht in Polen. Die Polen wallfahren ständig: zu kleinen Kapellen, wichtig nur für die Dörfer der Region, und zu heiligen Stätten in Europa.

Am liebsten jedoch besuchen sie die Pilgerstätten, die sie am besten kennen, ihre polnischen „locus sacer“, allen voran Jasna Góra, den Lichten Berg mit der Ikone der Muttergottes von Częstochowa, auch bekannt als die Schwarze Madonna. Hier, in Polens nationalem Heiligtum, beten sie, tun Buße, danken Gott und bitten ihn um Gnade.

Polizei- und Hobby-Reiter in polnischen Ulanenuniformen von vor 1939 im Anmarsch auf den Lichten Berg in Częstochowa.

Allein im August 2022 werden in Częstochowa etwa sechzig Wallfahrten erwartet. Darunter sind auch Rad- und Motorradfahrergruppen. Hobby-Reiter aus ganz Polen, teilweise in Ulanenuniformen aus der Vorkriegszeit, haben sich traditionell bereits Anfang Juli bei der Schwarzen Madonna „gemeldet“. Am 15. August wird in Częstochowa auch die alljährliche kaschubische Wallfahrt zu Fuß eintreffen. Die Pilger haben dann die längste Strecke von allen hinter sich gebracht. Von der Halbinsel Hela aus werden sie in neunzehn Tagen 638 Kilometer zurückgelegt haben.

Viele Wallfahrten erreichen den Lichten Berg am 15. August, dem Hochfest Mariä Himmelfahrt, einem gesetzlichen Feiertag und zugleich dem Tag der polnischen Armee. Dieses Datum hat für polnische Katholiken eine besondere Bedeutung. Polen gedenkt an diesem Tag des „Wunders an der Weichsel“, als es 1920 gelang, die gerade wiedergewonnene Unabhängigkeit zu retten. Lenins bolschewistische Truppen wurden vor Warschau vernichtend geschlagen und in die Flucht getrieben.

Krankenschwestern bei ihrer alljährlichen landesweiten Wallfahrt zum Lichten Berg.

Ob Polizisten, Lehrer, Krankenschwestern, Metzger, Landwirte oder Schornsteinfeger, es gibt keine Berufsgruppe in Polen, die nicht an einem festen Tag des Jahres, begleitet von ihren Seelsorgern, eine nationale Pilgerfahrt nach Częstochowa veranstalten würde. Hunderte von Bussen füllen dann die riesigen Parkplätze und in den Auen vor dem Kloster erstreckt sich, soweit das Auge reicht, das Blau der Polizeiuniformen oder das Weiß der Krankenschwesternhauben. Tag für Tag strömen zudem Hunderte, manchmal Tausende einzelne Pilger oder Familien herbei, um vor dem Gnadenbild der Schwarzen Madonna innezuhalten.

Eine Läufer-Wallfahrt, der Pfarrer auf dem Fahrrad vorneweg, begleitet von einer Motorradstaffel der Polizei, nähert sich dem Lichten Berg.

Jahr für Jahr gehen fünf bis sieben Millionen Polen, d. h. zwischen 15 und 18 Prozent der Bevölkerung, auf Wallfahrt. Wallfahrten zu Fuß, auch bekannt als Exerzitien auf dem Weg, gibt es seit Jahrhunderten. Zunächst verliefen sie unorganisiert, allein oder in kleinen Gruppen. Seit dem 16. Jahrhundert bildeten sich zunehmend die uns heute bekannten Wallfahrten heraus. Die Pilger brachen in immer größeren Scharen auf und immer öfter war ein Priester dabei.

Die Polen haben im eigenen Land einige hundert „heilige Orte“. Es wurde berechnet, dass 430 der 500 polnischen Pilgerstätten marianisch sind; darunter sind 180 durch einen Papst gekrönte Darstellungen der Muttergottes. 96 von ihnen sind Wallfahrtszentren, am liebsten aufgesucht werden 37 davon.

Woher kommt das?

Auch wenn die Verweltlichung fortschreitet und die Zahl der Priesterberufungen sinkt, wobei sie lange nicht den katastrophalen Stand von Deutschland erreicht hat, bleibt die religiöse Mobilität der Polen sehr hoch. Woher kommt das?

Der Pfarrer ist immer dabei.

Einst war die Antwort auf diese Frage einfach: Man pilgerte aus Dankbarkeit fürs Überleben, in einem Akt der Buße oder im Zusammenhang mit persönlichen Bitten. Als Polen zwischen 1795 und 1918 dreigeteilt war, pilgerte man zu den Gnadenstätten auch, um dafür zu beten, dass der eigene Staat wieder auf die Landkarte Europas zurückkehren möge.

In der Zeit des Kommunismus wiederum waren Wallfahrten zweierlei: Ausdruck der Zugehörigkeit zu der von den kommunistischen Machthabern bekämpften katholischen Kirche. Zugleich ein Manifest des Missfallens gegen das moskautreue Regime in Warschau. Eine Art politisch-religiöse Demonstration gegen den Kommunismus. Angesichts dessen versuchten die Behörden in jener Zeit gerade die Fußwallfahrten nach Tschenstochau zu unterbinden oder zumindest massiv zu behindern.

Feierlichkeiten auf dem Lichten Berg in Częstochowa 1966 zur Tausendjahrfeier der Taufe Polens, vom Kirchturm aus gesehen.

Dennoch versammelten sich, etwa im August 1957, bis zu einer halben Million Gläubige auf dem Lichten Berg in Częstochowa, damals eine Rekordzahl. Mehr als eine halbe Million Menschen fanden sich 1966 zur Tausendjahrfeier der Taufe Polens ein. Damals hatten die Kommunisten Papst Paul VI. verboten, ins Land zu kommen. Ein leerer Papstthron legte Zeugnis davon ab. Hunderttausende lauschten in den Częstochower Auen den Predigten Johannes Pauls II. bei sechs (1979, 1983, 1987, 1991, 1997 und 1999) von seinen insgesamt acht Pilgerreisen nach Polen. Eine halbe Million Menschen bereiteten im Mai 2006 auch Benedikt XVI. einen begeisterten Empfang.

Papst Johannes Paul II. auf dem Lichten Berg 1991.

Warum aber wallfahren die Polen heute ebenso gern wie vor vielen Jahren? Zum einen hängen sie weiterhin sehr an den Traditionen und heimischen Werten. Auf die Wallfahrten gingen die Großmütter, sie nahmen ihre Töchter mit, jetzt pilgern die Enkelinnen.

Das Gefühl von Gemeinschaft und Solidarität ist sehr wichtig.

Zum anderen ist der Glaube für die Polen weiterhin wichtig, viele suchen darin Zuflucht vor den Problemen, die mit der Moderne auf sie eingestürmt sind. Ermüdet vom immer schnelleren Leben, suchen sie auf den Wallfahrten zu den heiligen Stätten eine andere Welt, Reflexion, Erholung.

Drittens pilgern die Polen, weil sie beisammen sein wollen. Die Wallfahrt gibt ihnen, was den Menschen im sozialen Leben fehlt: Vertrauen, Sicherheit, tiefgehende Erlebnisse, Nachdenklichkeit. Das Gefühl von Gemeinschaft und Solidarität. Die religiöse Komponente ist aber, gerade in Polen, immer noch das Wichtigste. 80 Prozent der polnischen Pilger sind aus religiösen Gründen unterwegs.

80 Prozent der polnischen Pilger sind aus religiösen Gründen unterwegs.

Die große Mehrheit der Pilger erreicht glücklich ihr Ziel. Trotz Schmerzen, Regen, Hitze und sogar Verletzungen oder sonstiger Pilgerabenteuer. Viele von ihnen sind Veteranen, die zum fünften, zehnten oder sogar vierzigsten Mal mitlaufen. Aber jedes Jahr kommen auch neue Teilnehmer hinzu. Zunächst erschrocken von der Vorstellung, jeden Tag 35 bis 40 Kilometer weit zu laufen, überwinden sie ihre Bedenken und machen sich auf den Weg. Wie bereitet man sich auf seine erste Wallfahrt zu Fuß vor, um sie erträglicher zu machen?

Ein Rucksack, der wächst

Ein Pilger ist wie… eine Schildkröte. Er trägt sein Hab und Gut auf dem Rücken. Und zwar buchstäblich.

Der Wanderrucksack, den er mitnimmt, sollte die notwendigsten Pilgerutensilien enthalten. Aber das Wort „Wesentliches“ wird von manchen Pilgern eher frei interpretiert. Vor allem die Neulinge packen ein großes Mineralwasser, eine Thermoskanne Kaffee, fünf belegte Brötchen (sonst ist die Oma böse), vier Schokoriegel, eine warme Jacke, einen Regenschutz sowie einen Teller, Löffel, Schüssel und Becher ein. Am besten gleich einen Zwei-Liter Wasserbehälter, damit man nicht dehydriert. Zu Beginn der Wanderung scheint der Rucksack leicht zu sein. Nach ein paar Stunden gibt der Rücken stärker nach als die Beine. Bis der Pilger schließlich bei einer Rast demütig wird und wirklich weiß, was er braucht.

Je leichter der Rucksack, desto weniger schmerzen die Beine.

„Als ich das erste Mal zu Fuß unterwegs war, nahm ich einen großen Rucksack mit“, erinnert sich in der katholischen Wochenzeitung „Niedziela“ („Der Sonntag“) ein junger Pilger, der mit der Goralen-Wallfahrt von Zakopane zum Lichten Berg unterwegs war. „Jetzt werde ich wahrscheinlich nur einen Rosenkranz, das Portemonnaie, ein Taschenmesser, einen dünnen Einweg-Regenmantel und ein paar Schuhe zum Wechseln mitnehmen. Und vielleicht ein paar Notfallmedikamente. Als Faustregel gilt: Je leichter der Rucksack, desto weniger schmerzen die Beine. Ach ja, und die Bibel muss man mitnehmen. Aber ich empfehle die elektronische Version, im Mobiltelefon. Die ist viel leichter.“

Natürlich hat jeder neben dem Tagesrucksack auch einen großen Reiserucksack dabei oder eine Tasche und ein zusammengefaltetes Zelt, falls die Pilger nicht bei Privatleuten übernachten. Das große Gepäck fährt in Kleintransportern oder in LKW ’s und wartet auf die Pilger beim nächsten Zwischenstopp. Es sollte warme Kleidung, eine Jacke, einen Vorrat an Unterwäsche und Hygieneartikel enthalten. Ein Hut ist ebenfalls ein Muss.

Die Pilger erhalten bei der Anmeldung ein Pilgerheft mit dem Verlauf der Strecke und weiteren nützlichen Hinweisen sowie eine Identifikationsmarke. Diese Gegenstände sind stets mitzuführen. Die Marke sollte an einer sichtbaren Stelle angebracht werden, und das Pilgerheft gehört in den Tagesrucksack. Darüber hinaus sollte man die Broschüre vor der Wanderung sorgfältig studieren. Darin sind die Haltestellen markiert und die Regeln und Vorschriften detailliert beschrieben. Denn während einer Wallfahrt …

…  müssen die Regeln beachtet werden!

Manchmal kommt es, vor allem jungen Pilgern so vor, als seien die Vorschriften dazu da, die Wallfahrt zu erschweren. Sie betrachten sie als ein notwendiges Übel und die besonders religiösen unter ihnen als eine zusätzliche Buße.

Die Vorschriften und Regeln während der Wallfahrt sind jedoch eine Voraussetzung dafür, das Ziel wohlbehalten zu erreichen. „Die Regeln sind keine Erfindung eines böswilligen Priesters, sondern eine Art weise Disziplin, die es ermöglicht, manchmal Tausende von Menschen zu steuern und deren Sicherheit zu gewährleisten“, so ein freiwilliger Ordner in der kaschubischen Pilgerfahrt gegenüber der Zeitschrift „Niedziela“. „Wenn in den Vorschriften steht, dass „wir kein Eis essen“, dann nicht, um jemanden zu ärgern, sondern um Lebensmittelvergiftungen und Mandelentzündungen vorzubeugen.

Freiwillige Ordner sorgen für Verkehrssicherheit und die Einhaltung der Regeln.

Und wenn wir hartnäckig darauf pochen, dass in der Pilgergruppe auf einer Wegestrecke keine „Löcher“ (d.h. Freiräume) entstehen, dann nur, um den reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, denn an uns fahren ständig Autos vorbei, die uns überholen müssen.“

Das Gleiche gilt für die Nachtruhe. Sie dauert normalerweise von 22 bis 4.30 oder 5 Uhr. Und Ruhe bedeutet ein echtes Gebot der Stille und Ruhe, alle Handys werden ausgeschaltet. Der gesamte Körper muss sich regenerieren, damit der anstrengende Marsch über viele Tage hinweg nicht zu Lasten der Gesundheit geht. Ein Pater erinnert sich in „Niedziela“, wie er einst als Seminarist eine Fußwallfahrt von Lubawa aus unternahm. Er war der Quartiermeister und hat damals gelernt, dass das Verhalten der Pilger, die Einhaltung der Regeln, darüber entscheidet, ob Privatleute sie gerne aufnehmen.

„Privatleute, die Vertrauen in die guten Manieren der Pilger hatten, nahmen uns bereitwillig auf. Diejenigen, die eine gewisse Aufsässigkeit bemerkten, behandelten uns vorsichtiger. Ich erinnere mich an einen Gastgeber, der uns nicht aufnehmen wollte, er war sehr aufgeregt. Es stellte sich heraus, dass im Jahr zuvor einer der Pilger, die in seiner Scheune übernachtet hatten, eine Nadel hatte liegen lassen. Und die Kuh hatte dafür mit ihrem Leben bezahlt. Da die Nacht nahte und es immer noch zu wenig Unterkünfte gab, kam er dann doch noch selbst zu uns und nahm die letzten obdachlosen Pilger bei sich auf.

Und wie steht es um die Gesundheit?

Neulinge (oder auch potenzielle Pilger) fürchten sich wahrscheinlich am meisten vor den Blasen an den Füßen, mit denen erfahrene Pilger ihnen ständig Angst einjagen. Die Vorstellung, mit schmerzenden Beinen erschöpft am Straßenrand zu sitzen, macht vielen, die mit dem Gedanken spielen, an einer Wallfahrt teilzunehmen, Angst.

Pfarrer Tomasz Roda aus Koszalin/Köslin hat nur dank seiner eingelaufenen Sandalen etliche Wallfahrten wohlbehalten überstanden.

„Ich hatte schreckliche Angst vor Blasen, erinnert sich eine ehemalige Einsteigerin. „Das Einzige, was mir dazu einfiel, war, die uralte Pilgerregel zu brechen, dass der Schuh über den Knöchel reichen und eingelaufen sein muss. Also habe ich in brandneue Sandalen aus einem Markensportgeschäft investiert. Das Wichtigste war die Sohle. Sie durfte nicht zu hart sein, weil sonst beim langen Asphaltlaufen Prellungen am Fuß entstehen. Schließlich entschied ich mich für Sandalen mit einer weichen Schaumstoffsohle, die die Schritte abfedert. Der Preis spielte keine Rolle. Schließlich werden die Schuhe jahrelang halten.“

Sie behielt recht. Während andere sich mit Blasen herumplagten, hatte sie während der gesamten Wallfahrt gesunde Füße.

Wunde Füße werden verarztet.

Es ist natürlich auch ratsam, sich entsprechend den Wetterverhältnissen zu kleiden. Bei Hitze auf leichte, luftdurchlässige Sachen zu achten. Das bedeutet nicht, dass man sich bis auf die nackte Haut entkleiden sollte. Schließlich ist eine Wallfahrt kein Freibad und es ist auf die Kleiderkultur zu achten. Außerdem schützt längere Kleidung vor Sonnenbrand und dem Asphaltfieber, einer lästigen Allergie gegen heißen Asphalt.

Luftdurchlässig und zugleich bedeckt sollte der Pilger gekleidet sein.

Generell wird die Gesundheit der Pilger von freiwilligen Sanitätern überwacht. Es sind erfahrene Pilger mit medizinischer Ausbildung, die während der Ruhepausen und in den Unterkünften beratend zur Seite stehen, verletzte Beine verbinden und auch kranke Pilger professionell untersuchen können. Bei jeder Wallfahrt ist mindestens ein Arzt mit dabei. Wenn ein Pilger wirklich nicht weitergehen kann, fährt er in einem der Begleitfahrzeuge so viele Etappen mit, bis seine Füße wiederhergestellt sind. Wenn es nicht anders geht, muss er nach Hause, aber das passiert wirklich selten.

Es ist immer ratsam, eine kleine Reiseapotheke dabei zu haben: Wasserstoffperoxid, Pflaster, elastische Binden. Denn meistens haben die Pilger zwar Angst um ihre Füße, aber es sind oftmals die Kniegelenke, die versagen. Wenn man Kopfschmerzen hat, lohnt es sich manchmal nicht, deshalb beim Arzt Schlange zu stehen, besser ist es seine eigene Tablette zur Hand zu haben.

Die Freude, den Lichten Berg erreicht zu haben, macht selbst den größten Schmerz wett.

Der Pilger ist ein Mensch der Tat, unabhängig. Er versucht, allein zurechtzukommen. Und das Wichtigste bei einer Wallfahrt sind der innere Antrieb und der Glaube! Geht man mit einer Bitte zur Muttergottes, erträgt man alle Widrigkeiten. Die Freude, den Lichten Berg erreicht zu haben, macht selbst den größten Schmerz wett.

© RdP




Sonntage in Polen. Verschnaufen statt kaufen

Anders als in Ungarn, hat sich in Polen der Verzicht auf den Handel am Sonntag durchgesetzt.

Die heftige Auseinandersetzung ist fürs Erste entschieden. Mitte März 2019 fiel endlich das klärende Machtwort der Regierung. „Es gibt keine Absichten die Einschränkungen im Sonntagshandel zu lockern“. Bis dahin sah es zeitweise danach aus, als überkäme Polens nationalkonservative Regierende zunehmend die Angst vor der eigenen Courage.

Tatarenmeldungen im Kampf der Weltanschauungen

Es hieβ, aus Angst vor dem Unmut der Wähler wird die Regierung das Verbot der Sonntagsöffnung von Geschäften zurücknehmen, so wie es Viktor Orban 2016 tat. In Ungarn hatte die Sonntagsschließung gerade mal ein Jahr überdauert. Die Regierung in Budapest hob sie wieder auf, weil alles darauf hindeutete, dass sie eine von der Opposition angeregte Volksabstimmung zum Sonntagshandel verlieren würde.

Gekonnt arrangierte Medienkampagnen der Sonntagshandel-Lobbyisten hatten seit Anfang 2019 den polnischen Himmel über dem sonntäglichen Verkaufsverbot zunehmend getrübt. Tatarenmeldungen häuften sich. Die meisten Polen seien dagegen, so die Umfrageergebnisse. Tante-Emma-Läden, denen eigentlich auf diese Weise geholfen werden sollte, gingen noch schneller ein. Handelszentren würden verbluten, weil die Sonntagskundschaft ausbliebe.

Solidarność-Plakat. Oben: „Herrgott, bitte mach, dass Mutti am Sonntag mit mir zu Hause sein kann.“ Unten: „Eltern, kauft nicht am Sonntag ein.“

Woher die Angaben, auf denen diese Behauptungen fuβten eigentlich stammten, blieb ungeklärt. Auch die Methodik der Umfragen lag im Dunkeln. Wer sich genauer einlas, stieβ immer wieder auf das Wort „schätzungsweise“. Erste Angaben des Statistischen Hauptamtes, Anfang März veröffentlicht, sprachen da eine ganz andere Sprache.

Was aus westeuropäischer Sicht wie eine Lappalie aussehen mag, entwickelte sich in Ungarn und Polen zu einem heiklen Politikum. Hier und dort stilisierten Regierungsgegner die Diskussion über die Einschränkung des Sonntagshandels zu einer neuen Schlacht im Krieg der Weltanschauungen hoch. Obrigkeitsstaat, Bevormundung, klerikales Denken gegen Shoppingfreiheit, Selbstbestimmung und Modern Lifestyle.

In Polen, so die „Schreckensbotschaft“ der Gegner, standen dahinter die angeblich allmächtige katholische Kirche und die von ihr an der Leine geführten Gewerkschaft Solidarność samt der regierenden Kaczyński-Partei Recht und Gerechtigkeit. Allein das war schon ein Gegenargument.

Doch umgesetzt wurde hier, vor allem, eine weitverbreitete Forderung hunderttausender „Wochenend-Sklaven“, die nicht selten nur jeden vierten, fünften Sonntag zu Hause sein konnten. Das jedoch verschwiegen die Verfechter der Flexibilität, die selbst meistens jedes Wochenende frei haben, tunlichst.

Mit von der Partie waren auch die Verbände und Lobbyisten des Discounthandels mit ihren düstersten Vorhersagen. Bis zu 80.000 Angestellte im Handel würden arbeitslos, umgerechnet bis zu einer Milliarde Euro Steuereinnahmen könnten wegfallen, wenn die Läden nur noch an sechs Tagen geöffnet sein würden.

Solidarność-Plakat. „Gebt uns die Eltern am Sonntag zurük.“

Die überwiegend gegen die nationalkonservative Regierung eingestellten Medien trugen ebenfalls das Ihre dazu bei. Deren Lamento war laut. Ihre Darstellung der Notlagen und Unwägbarkeiten, die die Sonntagsschließung ganz sicher verursachen werde klang dramatisch. Entlassungen, Versorgungsengpässe, eine schmerzhafte Einschränkung der Lebensqualität, wo doch die ganze Welt den Handel von Einschränkungen befreie.

Versprochen ist versprochen

Recht und Gerechtigkeit, seit November 2015 an der Regierung, hatte im Wahlkampf versprochen die Sonntagsschließung einzuführen. Ihr wichtiger politischer Verbündeter Solidarność, der sich als eine christliche Gewerkschaft versteht, hatte darauf gedrängt. Die Freiheit der Verbraucher nämlich, konnte nur auf Kosten von 1,2 Millionen im Verkauf Beschäftigten funktionieren, von denen die meisten Frauen sind.

Immer wieder forderten auch Geistliche in Polen einen Stopp des Sonntagshandels, und zwar nicht nur Katholiken. Dieselbe Forderung beendete die alljährliche Woche der Gebete um die Einigkeit der Christen im Januar 2015, einer der wichtigsten ökumenischen Veranstaltungen im Lande. Damals und einige Male mehr, riefen Vertreter der katholischen, mehrerer protestantischer und der orthodoxen Kirchen dazu auf, dem Sonntag seinen besonderen Charakter zurückzugeben.

Solidarność-Plakat. „Deine Freiheit ist die Unfreiheit der anderen.“

Nach den Wahlen von 2015 versuchte die neue Regierungspartei die Umsetzung dieses Wahlversprechens erst einmal auf die lange Bank zu schieben. Sie befürchtete heftigen Widerstand, geschürt von der Opposition und deren Medien. Dabei hatte sie doch bereits den hitzigen Konflikt um die Justizreform am Hals. Hinzu kam die zornige Auseinandersetzung um einen besseren Schutz des ungeborenen Lebens, genauer, das Verbot kranke Kinder im Schoβ der Mutter zu töten.

Auch hier hielt sich Recht und Gerechtigkeit, entgegen ihren Wahlversprechungen, bedeckt. Es waren katholische Laienorganisationen, die mit gut 800.000 Unterschriften zweimal, 2016 und 2018, entsprechende Bürger-Gesetzentwürfe im Parlament eingebrachten. Zweimal brachte die Kaczyński-Partei sie zu Fall, aus Angst vor weiteren stürmischen Protesten der Abtreibungsbefürworter.

Solidarność-Plakat. „Lasst uns den Sonntag zurückgewinnen. Unterschreibe den Gesetzentwurf über die Einschränkung des Sonntagshandels.“

Als die Solidarność-Gewerkschafter in Sachen Sonntagshandel nicht locker lieβen, versuchten die Kaczyński-Leute sie mit dem Vorschlag zwei handelsfreie Sonntage einzuführen ruhig zu stellen. Das schlug fehl. Am Ende stand, anders als in Ungarn, eine stufenweise Einführung des handelsfreien Sonntags.

Das Gesetz vom 10. Januar 2018 legt fest: ab März 2018 gibt es noch zwei verkaufsoffene Sonntage im Monat. Und ab 2019 nur noch einen. Ab 2020 erfolgt dann die Reduzierung auf sieben offene Sonntage im ganzen Jahr (einer vor Ostern, zwei vor Weihnachten sowie jeweils die letzten Sonntage im Januar, April, Juni und August). Zudem dürfen Geschäfte an Heiligabend und Karsamstag nur noch bis 14 Uhr öffnen, damit die Angestellten rechtzeitig zu Hause sein können.

Keiner verhungert vor verschlossenen Ladentüren

Zweiunddreiβig Ausnahmen sieht das Gesetz vor, u.a. für Bäckereien, Konditoreien und Eisdielen, Tankstellen, Blumenläden, Zeitungs- und Tabakläden, Apotheken, Geschäfte in Bahnhöfen und Flughäfen u. e. m. Auβerdem dürfen alle Läden am Sonntag öffnen, in denen sich der Besitzer hinter die Theke stellt. Seine Angestellten müssen frei haben.

Die Befürchtungen der Regierung und die Hoffnungen der Opposition haben sich schnell zerschlagen. Dreiβig Jahre nach dem Ende des Kommunismus haben die meisten Polen offensichtlich ihren Kaufrausch ausgelebt. Jedenfalls nahmen sie, ganz anders als die Ungarn, die Sonntagsschließung erstaunlich gelassen und verständnisvoll hin, obgleich 76 Prozent von ihnen einräumten, wenigstens ab und zu am Sonntag eingekauft zu haben. Auch wenn oppositionelle Parteien und Medien emsig daran arbeiteten, es regte sich kein ernsthafter Protest.

Erste gut nachvollziehbare Angaben des polnischen Statistischen Hauptamtes (SH) zerstreuten die anfänglichen Befürchtungen. Im März 2018, dem ersten Monat, in dem die neuen Bestimmungen an zwei Sonntagen galten, stieg der Umsatz des polnischen Handels um 8,8 Prozent, im April 2018 um 8,1 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum in 2017, als noch an allen Sonntagen geöffnet war. Dieser monatliche Trend hat sich, mit einem Plus zwischen 6 und 8,5 Prozent, bis Ende 2018 und auch Anfang 2019 fortgesetzt. Die gute Wirtschaftslage und die deutlich erhöhten Sozialleistungen haben neue Kaufkraft erzeugt.

Solidarność-Plakat. Oben: „Am Sonntag kaufe ich nicht ein“. Unten: „Heute ist Sonntag und Mutti ist wieder zur Arbeit“.

„Die Kunden haben sich schnell auf die neuen Umstände eingestellt. So, wie seit eh und je in Deutschland, kaufen sie nun rechtzeitig für das Wochenende ein. Der Sonntagsumsatz verteilt sich überwiegend auf den Freitag und den Samstag. Wem sonntags dennoch etwas im Kühlschrank fehlt, der geht in den Tante-Emma-Laden oder zur Tankstelle“, so der Kommentar der Statistiker vom SH.

Es wird geheuert statt gefeuert

Von Massenentlassungen ist nichts bekannt. Zettel und Plakate an Schaufenstern mit „Verkäufer gesucht“ sind weiterhin oft zu sehen. Zudem gab das Statistische Hauptamt bekannt, dass 2018 im polnischen Handel 120.000 Arbeitsplätze entstanden sind.
Das Tempo der Schlieβung von Tante-Emma-Läden hat sich deutlich verringert. Im Jahr 2017, noch ohne Handelssperre am Sonntag, wurden 13.720 von ihnen aufgegeben. Im Jahr 2018, dem ersten teilweise ohne Sonntagshandel, schlossen 8.834. Trotzdem gibt es in Polen immer noch 25 Läden pro 10.000 Einwohner. In Spanien sind es elf, in Frankreich zwei.

„Entsklavung“ mit Lücken

Von den Angestellten im Handel befürworten 92 Prozent der Frauen und 90 Prozent der Männer die neue Regelung ausdrücklich. Sie klagen jedoch darüber, dass ihre Arbeitszeit an Sonnabenden bis 22, teilweise bis 24 Uhr verlängert wurde. Zudem zitieren manche Discounter ihre Angestellten am Montag für vier Uhr oder noch früher zur Arbeit.

Alfred Bujara.

Alfred Bujara, Solidarność-Chef der Sparte Handel, Banken, Versicherungen, seit Jahren das Gesicht des Kampfes um „Entsklavung“ im Handel, wie er es nennt, sagt dazu: „Das ist ein ernsthaftes Problem, vor allem in kleineren Orten, von wo aus es um diese Zeit keine öffentlichen Verbindungen gibt. Deswegen fordern wir nicht erst seit heute, dass der Sonntag für Angestellte im Handel am Samstag um 22 Uhr beginnt und am Montag um 5 Uhr früh endet. So ist es in vielen europäischen Ländern“.

Die Arbeitgeber im Handel fordern hingegen eine Regelung, die den Angestellten lediglich zwei freie Sonntage im Monat gesetzlich garantieren soll.

Bujara: „Das Ergebnis wäre, dass die Angestellten von Montag bis Sonnabend mit Arbeitsvertrag arbeiten würden. An ihren freien Sonntagen könnte man sie mit einem Werk- oder Zeitvertrag beschäftigen. Der „Wochenendsklave“ wäre wieder da.“

Die Verlierer sind…

Es gibt zwei eindeutige Verlierer der neuen Regelungen. Zum einen sind es Handelszentren, in denen an Sonntagen ganze Familien flanierten, einkauften, aβen, ins Kino gingen. Die Zentren haben weiterhin an allen Sonntagen geöffnet, aber in Anbetracht der geschlossenen Läden, ziehen Restaurants und Kinos alleine viel weniger Publikum an.

Zum anderen sind es Studenten. Schätzungsweise vierzig Prozent von ihnen jobben regelmäβig an Wochenenden. Nun entfällt der Handel teilweise für sie, es bleibt die Gastronomie.
Deutliche Vorteile verzeichnen dagegen generell Kinos, Konzertveranstaltungen, Zoos, Museen und andere Freizeiteinrichtungen.

Ohne Kampf kein Sieg

So also sieht das vorläufige Ergebnis im langen Kampf um die „Entsklavung“ im polnischen Handel aus. Nach dem Ende des Kommunismus, als der allgemeine Kaufrausch ausbrach und jahrelang immer neue Rekorde brach, blühte, bis zum Jahr 2007, der Handel ungezügelt an 365 Tagen im Jahr.

Solidarność-Plakat. „Ich kaufe nicht am Sonntag ein.“

Erst 2007 gelang es der ersten Regierung Jarosław Kaczyńskis, trotz Sturmfeuer der liberalen Medien und unzähliger Herolde der freien Marktwirtschaft, den Art. 151 §1 ins Arbeitsgesetzbuch zu bringen: „Die Arbeit an gesetzlichen Feiertagen im Handel ist nicht erlaubt”. Der politische Kampf um die zehn Worte war sehr heftig und Vorhersagen genauso düster, wie vor der Einführung des Verkaufsverbots an Sonntagen.

Dank Art. 151 §1 bekamen die Angestellten im Handel 2007 wenigstens an gesetzlichen Feiertagen frei. Bis dahin arbeiteten alle Discounterketten, Baumärkte, Möbelhäuser usw. auch an Allerheiligen, an Weihnachten, Ostern, Neujahr. Jetzt dürfen an den dreizehn gesetzlichen Feiertagen in Polen nur die Geschäfte öffnen, deren Eigentümer oder deren Familien sich hinter den Ladentisch stellen.

Die Sonntagsarbeit im Handel war ein ständig wiederkehrendes Thema der politischen Auseinandersetzung. Ihrem Ziel am nächsten waren die Befürworter des arbeitsfreien Sonntags im Jahr 2001. Damals verabschiedete das Wahlbündnis Solidarność (AWS: eine inzwischen längst Geschichte gewordene Allianz der Gewerkschaft und einiger Dutzend konservativer und liberalkonservativer Kleinparteien, die Polen zwischen 2001 und 2005 regierte) eine entsprechende Novelle im Arbeitsgesetzbuch.

Solidarność-Plakat. „Am Sonntag kaufe ich nicht ein.“

Der damalige, wie es hieβ, linke Staatspräsident, der Postkommunist Aleksander Kwaśniewski legte jedoch dagegen sein Veto ein, und das Wahlbündnis Solidarność besaß nicht die erforderliche 3/5 Mehrheit, um dieses Veto im Sejm niederzustimmen. Aldi, Lidl, Netto, die portugiesische Discounterkette Biedronka (Maikäfer), Praktiker, Rossmann u.a. konnten aufatmen.

Das letzte Mal vor 2018 stand die Sonntagsarbeit im März 2014 auf der Tagesordnung des Sejm. Mit den Stimmen der Regierungskoalition Bürgerplattform (PO) und Bauernpartei (PSL) unter Donald Tusk, unterstützt von den „regierungsnahen“ Oppositionsparteien, den Postkommunisten und der rabiaten Palikot-Bewegung, wurden zwei Gesetzesvorschläge zur Beseitigung der Sonntagsarbeit abgelehnt. Der eine war durch eine Bürgerinitiative entstanden und wurde von gut 120.000 Menschen unterschrieben, den anderen hatte die oppositionelle Recht und Gerechtigkeit (PiS) eingebracht.

Ob der Kampf beendet ist? Vorerst sicherlich ja, aber die Drohung der Opposition nach einem eventuellen Wahlsieg alles wieder rückgängig zu machen steht im Raum.

© RdP




Der Poltergeistliche

Am 27. Dezember 2018 starb Bischof Tadeusz Pieronek.

Die Tugend der Mäβigung bei der Strafpredigt war ihm nicht gegeben. Bischof Tadeusz Pieronek wurde nicht müde, Feuer, Schwefel und Schande gegen Polens regierende Nationalkonservative und alles was sie taten heraufzubeschwören. Aus Nachsicht nun Mäβigung walten zu lassen, wäre in seinem Fall jedoch verhängnisvoll. Schlieβlich ist nichts erfolgreicher als der Exzess, wenn jemand so sehr geltungs- und mediensüchtig ist, wie es der Verblichene war.

Held der Schreckensberichte

Zur Geltung verhalf dem Bischof die geballte Macht der Anti-Recht-und-Gerechtigkeit-Medien, sowohl der polnischen, wie die „Gazeta Wyborcza“, als auch der polnischsprachigen, die in groβer Zahl von ausländischen, überwiegend deutschen Medienunternehmen betrieben werden.

Fernsehteams aus Deutschland und Frankreich konnten jederzeit mit Pieronek rechnen, wenn sie ihre maβlos überzogenen Schreckensberichte im heutigen Polen drehten, dem angeblichen Hort des Faschismus, Nationalismus, Antisemitismus, Klerikalismus, der allgemeinen Unterdrückung und des heldenhaften zivilen Widerstandes, der in Wirklichkeit ein normaler Protest war, weder helden- noch massenhaft, dafür sehr hysterisch. Die Gegenseite kam in diesen Berichten gar nicht erst zu Wort.

Bischof Pieronek am Grab des verunglückten Staatspräsidenten Lech Kaczyński und seiner Gattin in der Wawel-Krypta. „Die gehören nicht hierher“.

Das Gefühl von Peinlichkeit schien dem Seelenhirten Pieronek dabei immer mehr abhandenzukommen. Noch im Frühjahr 2018, vor laufender TV-Kamera von France 3, am Grab des verunglückten Staatspräsidenten Lech Kaczyński und seiner Gattin stehend, wetterte der Geistliche gegen den für die beiden „unpassenden“ Bestattungsort in der königlichen Krakauer Wawel-Krypta und gegen das in Polen angeblich herrschende autoritäre Regime.

Das vermeintliche „Regime“, dem Bischof Pieronek stets unerbittlich die Leviten las, hat ihn deswegen nie im Geringsten belangt, ebenso wenig wie einen der Künstler, Wissenschaftler, Journalisten, Politiker, die in den Schreckensreportagen ausländischer Medien über Polen, gemeinsam mit ihm, ihre Jeremiaden anstimmten, frei nach Friedrich Schiller: „Alles in Polen hat sich in Prosa und Versen verschlimmert. Ach, und hinter uns liegt weit schon die goldene Zeit!“.

Mehr noch. Einer der führenden Vertreter des „Regimes“, Polens Staatspräsident Andrzej Duda, auch er in Kraków zu Hause, twitterte kurz nach Pieroneks Tod: „Wir haben uns gekannt und waren in vielen Angelegenheiten verschiedener Meinung, vor allem was die Politik angeht. Wir hatten oft unterschiedliche Ansichten, aber ich habe für den Herrn Bischof stets Achtung empfunden. (…) Sein Tod ist ein Verlust für die Kirche in Polen.“ Ob ausgerechnet diese Würdigung dem unversöhnlichen Gottesmann im Jenseits gefallen hat?

Ans Dritte Reich angeschlossen

Er gelangte dorthin nach einem langen Leben, dass 1934 seinen Anfang im Dorf Radziechowy, Landkreis Żywiec, nahm, etwa einhundert Kilometer südöstlich von Kraków, im heutigen Dreiländereck Polen-Slowakei-Tschechien.

Vater Władysław Pieronek (1896-1947). Haus in Radziechowy.

Der Vater war einst Gemeindevorstand, Eigentümer eines Gemischtwarenhandels, und ein vermögender Mann für ein Dorf, das damals in einem eher ärmlichen Teil Polens lag. Fleiβ und eisernes Sparen erlaubten dem Ehepaar Pieronek zehn Kinder groβzuziehen und ihnen eine Ausbildung zu ermöglichen. Tadeusz war das achte Kind in der Geschwisterreihe.

Die Familie drängte sich in einer engen Wohnung in der ersten Etage des zweistöckigen Hauses, das der Vater über Jahre mühsam gebaut hatte. Unten war der Laden. Zwei Zimmer der ersten Etage wurden an junge Lehrer vermietet. Ganz oben befand sich das Warenlager.

September 1939. Deutsches Flugzeug, polnische Flüchtlingskolonnen.

Anfang September 1939 flüchteten die Pieroneks mit Tausenden anderer Zivilisten vor den schnell vorrückenden deutschen Truppen. Nach Tagen des Herumirrens im dichten Flüchtlingsstrom, der sich über die Landstraβen wälzte, immer wieder von deutschen Flugzeugen beschossen, kehrten sie erschöpft nach Hause zurück.

„Saybusch-Aktion“. Vertreibung der polnischen Bevölkerung.

Ihre Heimat wurde bereits im Oktober 1939 als Teil des sogenannten Regierungsbezirks Kattowitz (hierbei handelte es sich um den östlichen, polnischen Teil Oberschlesiens) an das Dritte Reich angeschlossen. Żywiec hieβ ab jetzt Saybusch. Im Landkreis sollten Deutsche aus dem Baltikum, der Bukowina, aus Wolhynien und dem Balkan, die Hitler „heim ins Reich“ befohlen hatte, eine neue Heimat finden.

Höfe, Wohnungen, Werkstätten, Läden wurden den deutschen Umsiedlern in Aussicht gestellt. Es galt diese Versprechen einzulösen, als im Morgengrauen des 20. September 1940 deutsche Räumkommandos mit der Aussiedlung der Polen begannen. Die „Aktion Saybusch“ lief an. Innerhalb von zwanzig Minuten durfte jeder Auszusiedelnde nur ein Gepäckstück zum Mitnehmen richten. Stunden später zogen Deutsche in ihre Unterkünfte ein.

„Saybusch-Aktion“. „Heim ins Reich“ geholte Deutsche ziehen ein.

Über Sammellager wurden bis 1944 etwa fünfzigtausend Polen aus dem Landkreis Żywiec in das sogenannte Generalgouvernement (so hieβen die Gebiete des besetzten Polens mit Warschau und Kraków, die nicht ans Reich angegliedert wurden) gebracht. Dort wurden sie zumeist auf freiem Feld abgesetzt und sich selbst überlassen.

Wohlwissend, dass auch sie dieses Schicksal ereilen wird, brachten die Pieroneks ihre Kinder bei Verwandten und Bekannten unter. Tadeusz und sein zwei Jahre älterer Bruder Mieczysław fanden Unterschlupf beim Bruder der Mutter, einem Priester in Kęty (deutsch Kenty). Es ist eine Kleinstadt zwischen Żywiec und Oświęcim, an dessen Rand sich das Vernichtungslager Auschwitz befand.

Bis Oświęcim sind es von Kęty aus nur zwanzig Kilometer. „Wir konnten Auschwitz riechen. Ein süβlicher Geruch lag in der Luft. Wir wussten was sich dort abspielt. Nicht in allen Einzelheiten, aber wir wussten es“, erinnerte sich der Bischof Jahrzehnte später in einem Interview. „In Oświęcim auf der Straβe habe ich einige Male Gefangenenkolonnen gesehen, SS-Männer, Hunde“.

Die Berufung

Im April 1945, der Krieg erreichte inzwischen die Vororte von Berlin, trafen nach und nach im ruinierten Haus in Radziechowy die verstreuten Kinder und die Eltern Pieronek ein. Es glich einem Wunder, alle hatten überlebt.

Je mehr sich nun der Kommunismus in Polen unter den sowjetrussischen Fittichen ausbreitete, umso schwieriger wurde das Leben der Pieroneks in Radziechowy. Das neue Regime gängelte die Privatwirtschaft immer heftiger: willkürlich auferlegte Sondersteuern, ständige Kontrollen und Durchsuchungen, Preisvorgaben die jeglichen Gewinn verschlangen. So sah die von den Kommunisten ausgerufene „Schlacht um den Handel“ aus, in der auch Tadeuszs Vater nicht bestehen konnte. Sein Laden wurde 1949 verstaatlicht. Die Kommunisten hatten die Schlacht gewonnen, nur gab es, so lange sie regierten, also bis 1989, kaum etwas zu kaufen.

Immerhin durfte Tadeusz, das Kind eines „Dorfbonzen“, die Grundschule beenden und 1951 das Abitur im Gymnasium von Żywiec machen. Dass er aufs Priesterseminar in Kraków gehen würde war für ihn seit Langem beschlossene Sache. Das tiefreligiöse Elternhaus, wo das Praktizieren des Glaubens so selbstverständlich war wie das Atmen, aber auch die Kriegserlebnisse, die Repressalien des Kommunismus formten seine Berufung.

Katholische Universität Lublin 1961.

Im Jahr 1957 zum Priester geweiht, studierte Pieronek bis 1961 Kirchenrecht an der Katholischen Universität Lublin (KUL). Bis Anfang der Neunzigerjahre war das die einzige verbliebene katholische Hochschule mit universitärem Charakter im ganzen kommunistischen Machtbereich von der Elbe bis Pjöngjang in Nordkorea.

Die Gängelungen und Repressalien der kommunistischen Verwaltung waren zeitweise so heftig, dass die Schlieβung der KUL nur eine Frage von Wochen, gar Tagen zu sein schien. Doch die Hochschule überdauerte. Dort verteidigte Pieronek seine Dissertation und erhielt Anfang der sechziger Jahre den Doktortitel.

Katz-und-Maus-Spiel mit der Stasi

Zu jener Zeit wurde die polnische Stasi auf ihn aufmerksam. Die geheimpolizeiliche Überwachung der katholischen Kirche im kommunistischen Polen war beinahe lückenlos. Jeder Geistliche, ob Pfarrer, Mönch oder Nonne, jeder Angestellte der Kirche, ob Organist oder Küster, hatte eine Geheimdienstakte, die ihm von Stasi-Dienststelle zu Stasi-Dienststelle folgte, jedes Mal wenn er versetzt wurde. Spitzel wurden mit Hilfe von Erpressung, Geld, oder durch gekonntes Ausnutzen von Minderwertigkeitskomplexen und Ambitionen angeworben und auf kirchliche Einrichtungen und Würdenträger angesetzt.

Eine gute Gelegenheit Kirchenleute in ihre Dienststellen zu locken und dort unter Druck zu setzen, boten der polnischen Stasi Reisepass-Angelegenheiten. Die Reisen ins kapitalistische Ausland waren damals, seit dem politischen Tauwetter vom Oktober 1956, immerhin möglich, aber sie wurden sehr streng reglementiert.

Die Kirche schickte ihre Geistlichen nach Rom zum Studium an die Päpstliche Lateranuniversität oder auf Missionen in die Dritte Welt. Folglich reichten sie Gesuche ein, man möge ihnen einen Reisepass ausstellen. Regelmäßig folgte erst einmal eine Ablehnung. Die Reisewilligen wurden zum „klärenden Gespräch“ in die örtliche Passbehörde, die in die Zuständigkeit der Stasi fiel, gebeten. Ausgestattet mit IM-Berichten über die Stärken und Schwächen der Antragssteller konnten Stasi-Offiziere diese gezielt ausfragen, einschüchtern, durch weitere Absagen und Vorladungen zermürben, um sie letztendlich als Spitzel anzuwerben. Nicht selten gelang das.

Im Jahr 1961 wollte Pfarrer Tadeusz Pieronek den Bruder seines Vaters, Paweł Pieronek, der in Detroit in den USA lebte und ein Fotoatelier betrieb, besuchen. Die Stasi zog wieder einmal alle Register und Pfarrer Pieronek willigte ein. Unter der Nummer 2718 und dem Tarnnamen „Felix“ wurde er in die geheime Spitzelkartei der Lubliner Woiwodschafts-Stasibehörde eingetragen. Man wurde sich einig, dass es dazu keiner Verpflichtungserklärung bedürfe. Im Oktober 1961 konnte er reisen.

So begann ein einige Jahre andauerndes Katz-und-Maus-Spiel Pieroneks mit der polnischen Stasi, was man anhand seiner Stasi-Unterlagen zurückverfolgen kann. „Als Gegenleistung für die Ausreiseerlaubnis hatte er sich bereiterklärt uns Auskünfte über antikommunistische Aktivisten und Strukturen unter den USA-Polen zu liefern“, heiβt es in einem Stasi-Bericht.

Sitz der Römischen Rota, der Palazzo della Cancelleria.

Doch, anstatt nach ein paar Wochen nach Polen zurückzukehren, flog Pieronek von den USA aus nach Rom, um beim Gericht der Römischen Rota, der zweithöchsten Spruchkammer der katholischen Kirche, ein zweijähriges Praktikum anzutreten. Erst jetzt merkten die Stasi-Leute, dass das sein eigentlicher Reisegrund gewesen war.

Als Diplomaten der polnischen Botschaft getarnte Agenten der polnischen Stasi machten ihn 1962 in Rom ausfindig und erinnerten an seine „Pflichten“. Pieronek erschien daraufhin 1962 und 1963 ein paar Mal zu konspirativen Treffen, plauderte einige Interna aus, über Verhaltensweisen, Vorhaben und Positionen einzelner polnischer Bischöfe, die am Zweiten Vatikanischen Konzil teilnahmen.

Polnische Bischöfe (v. l. n. r.) Antoni Baraniak, Karol Wojtyła, Primas Stefan Wyszyński, Bolesław Kominek beim Zweiten Vatikanischen Konzil.

Die Kommunisten in Moskau und im übrigen Ostblock betrachteten die beabsichtigten Reformen in der katholischen Kirche als sehr gefährlich, könnten sie am Ende die Kirche doch attraktiver und dadurch einflussreicher werden lassen. Das Ausspionieren des Konzils hatte also oberste Priorität und Pieronek war bei Weitem nicht die einzige polnische Stasi-Informationsquelle in Rom.

Im Nachhinein erst merkten die Stasi-Leute, dass Pieronek sie ein zweites Mal hinters Licht geführt hatte. Nach eineinhalb Jahren der Abwesenheit von Polen wollte er im Sommer 1963 wenigstens für kurze Zeit nach Hause, die Familie sehen. Damit die Behörden ihn wieder nach Rom fahren lassen würden, täuschte er vor, weiterhin Spitzel sein zu wollen. Wieder aus Polen in Rom angekommen, verweigerte er jedoch jegliche weitere Zusammenarbeit.

Pfarrer Tadeusz Pieronek Anfang der Sechzigerjahre in Rom.

Mehr noch. Aus anderen Spitzelquellen erfuhr die Stasi, dass Pieronek, noch vor seiner USA-Reise im Herbst 1961, die Stasi-Anwerbung seinen Vorgesetzten gemeldet hatte. Auch hatte er wesentlich dazu beigetragen kirchenintern einige polnische Geistliche in Rom als Stasi-Zuträger zu entlarven.

Der geistigen Enge des kommunistischen Polens der Sechzigerjahre entkommen, genoss er es die damalige Welthauptstadt der Mode und Kultur, das Rom Fellinis, Marcello Mastroiannis und Sophia Lorens erleben zu können, ohne sich jedoch davon vereinnahmen zu lassen.  Ausgestattet mit einem Pass des Vatikanstaates, damit ihn die Stasi zu Hause  wegen der vielen Stempel in seinem polnischen Reisedokument nicht belangen konnte, bereiste er Europa, unternahm zwei ausgedehnte Rundreisen durch die USA.

Vor allem jedoch studierte er und begleitete seinen Krakauer Bischof Karol Wojtyła bei dessen Aufenthalten in Rom.  Dort war er sein persönlicher Sekretär. Pieronek war dabei als Wojtyła 1977 den Kardinalshut in Empfang nahm, war zugegen bei Wojtyłas Gesprächen mit Papst Paul VI, er begleitete ihn bei seinen Reisen durch Italien.  Er meinte aus der damals entstandenen Nähe zum späteren Papst den Rückhalt in den innerkirchlichen Machtkämpfen zu haben, die er künftig entfachen sollte.

In jenen Jahren fertigte die polnische Stasi mehre Charakteristiken Pieroneks an. Er sei sehr pflichtbewusst, zudem ein hervorragender Kirchenjurist, dem viele Karrieretüren offen stünden. Dazu gescheit, gelehrig, aufgeweckt, fröhlich, kein Dogmatiker. Neigt jedoch zu Hochmut, Überheblichkeit und Geltungssucht.

Letztgenannte Eigenschaften wogen gut vier Jahrzehnte später so schwer, dass er ins Abseits geriet. Groll und Verbitterung darüber, verleiteten ihn in den letzten Lebensjahren zu immer radikaleren politischen Stellungnahmen und Verhaltensweisen.

Jahre des Aufstiegs

Noch überwogen jedoch offensichtlich die positiven Charaktereigenschaften. Nach der Rückkehr aus Rom 1965 begannen für Pfarrer Dr. Tadeusz Pieronek lange Jahre des Aufstiegs als Kirchenjurist und Wissenschaftler. Er habilitierte 1975. Den Professorentitel bekam er 1987 verliehen.

Hohe Ämter in der Krakauer Bischofskurie und leitende Beraterfunktionen im polnischen Episkopat paarten sich mit wissenschaftlichen Würden an allen polnischen kirchlichen theologischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Pieronek wurde nach und nach zum Mitherausgeber aller wichtigen polnischen kirchenjuristischen und theologischen Zeitschriften. Man wählte ihn zum Vorsitzenden der Polnischen Theologischen Gesellschaft u. v. m.

Bis zum Ende des Kommunismus in Polen 1989 behielt ihn die Stasi im Visier, aber sie konnte nichts gegen ihn ausrichten. Pieroneks wissenschaftliche Kompetenz, sein wachsendes Ansehen und sein durch und durch anständiger Lebenswandel machten ihn gegen Erpressungsversuche immun.

Pieroneks Sternstunde schlug Anfang der Neunzigerjahre. Er war maβgeblich an der Vorbereitung des Konkordats beteiligt, das im Juli 1993 zwischen Polen und dem Vatikan geschlossen wurde. Der Unterzeichnung folgte eine fast fünf Jahre lang dauernde heftige innenpolitische Auseinandersetzung um die Ratifizierung des Abkommens. Polens Postkommunisten, im Herbst 1993 an die Macht gekommenen, blockierten sie.

Der eloquent und einnehmend auftretende Pieronek war damals eines der wichtigsten medialen Gesichter der Kirche in diesem Streit. Da sprach nicht mehr nur der Fachmann für Kirchenrecht, sondern (seit 1992) der Weihbischof der Diözese Sosnowiec/Sosnowitz und vor allem (seit 1992) der Generalsekretär der Polnischen Bischofskonferenz.

Eitler Medienstar

Die Bischöfe, die ihn in dieses Amt wählten, mögen gedacht haben: er ist noch nicht alt (59 Jahre), gebildet, aber als hoher Würdenträger unerfahren. Man kann ihn leicht steuern. Das jedoch war eine Fehleinschätzung. Der intelligente und schlagfertige Pieronek legte einen Ehrgeiz an den Tag, den niemand so erwartet hatte.

Er entfesselte sofort einen nicht enden wollenden Kleinkrieg um Zuständigkeiten und Personalentscheidungen gegen den Vorsitzenden der Bischofskonferenz und Primas von Polen, Kardinal Józef Glemp. Nach Auβen drang damals kaum etwas davon. Beide Kirchenmänner waren klug genug, den Konflikt nicht auβer Kontrolle geraten zu lassen, aber die Spannungen, das wissen wir heute, waren enorm.

Sie wurden zum ersten Mal sichtbar, als Pieronek 1999 alles daran setzte Kardinal Glemps Wiederwahl zum Vorsitzenden der Bischofskonferenz zu verhindern. Er war damals nur noch Mitglied, nicht mehr Generalsekretär des Gremiums, und er ging mit seinem Anliegen an die Presse. Diese für Kirchenkreise, wo auf Diskretion sehr geachtet wird, geradezu rabiate Vorgehensweise wurde Pieronek zum Verhängnis. Er scheiterte kläglich.

Das wichtigste Pfund mit dem Pieronek in seiner Zeit als Generalsekretär der Polnischen Bischofskonferenz wucherte, war seine, für damalige Kirchenverhältnisse, enorme Medienpräsenz. Eloquent, kompetent, dynamisch kam er daher, machte vor den Kameras und Mikrofonen eine gute Figur. Man sah, er gefiel sich in dieser Rolle.

Pieronek machte vor den Kameras und Mikrofonen eine gute Figur, und er gefiel sich in dieser Rolle.

Zunehmend selbstverliebt, vergaβ der neue Medienstar jedoch Distanz zu wahren. Bischof Pieronek wurde Teil der Medienwelt und erlag, wie viele weltliche Politiker auch, der Illusion sie dauerhaft in seinem Sinn beeinflussen zu können. Die Zuneigung der linksliberalen Medien, die in den Neunzigerjahren in Polen den Ton angaben, beeindruckte ihn sehr.

Er trug seine Kumpanei mit Adam Michnik, Chefredakteur der eindeutig kirchenfeindlichen „Gazeta Wyborcza“, offen zur Schau. Er wurde Mitglied im Rat der von George Soros finanzierten, alles andere als kirchenfreundlichen, Batory-Stiftung. Beeinflusst hat er sie dadurch nicht im Geringsten, aber sie beeinflussten ihn. Vor allem übernahm er ihre Sichtweise der polnischen Politik und ihre krassen Freund-Feind-Bilder.

Viel gewollt, wenig bewirkt

Mit seiner Idee von der Schaffung moderner, starker Kirchenmedien in Polen erlitt Pieronek Schiffbruch. Auf sein Betreiben hin, wurden fast alle kleinen Diözesan-Rundfunksender zu einem groβen katholischen Radio zusammengelegt: locker, flockig, unkompliziert, mit viel Musik. Was er nicht bedacht hatte: auf dem Gebiet der Unkompliziertheit waren andere Radiosender schon damals viel weiter. Pieroneks Radio musste, mangels Geld, an einen ausländischen Investor verkauft werden, der die letzten katholischen Sendungen umgehend aus dem Programm nahm.

Die von Pieronek aus der Taufe gehobene Katholische Informations-Agentur (KAI) besteht noch, aber ihre Bedeutung auf dem Medienmarkt blieb gering. Eine katholische Zeitung, ein katholischer Fernsehsender, die er angedacht hatte, sind nie entstanden.

Der ehrgeizige Bischof Pieronek scheiterte dort, wo der Redemptoristen-Pater Tadeusz Rydzyk in Toruń/Thorn Erfolg hatte. Aus Spenden finanziert, schuf er Radio Maryja, den TV-Sender Trwam, die Tageszeitung „Nasz Dziennik“ und eine Medienhochschule, die katholische Journalisten ausbildet. Je mehr Erfolg diese sehr traditionell ausgerichteten Medien hatten, umso heftiger wetterten der gescheiterte „liberale Bischof“ und seine medialen linken Verbündeten gegen sie.

„Bischof Ohneland“

Er war sich sicher, 1998 die Wiederwahl zum Generalsekretär der polnischen Bischofskonferenz in der Tasche zu haben, ohne zu merken, dass er als Selbstdarsteller für die Kirche zunehmend zu einer Belastung wurde. Die Niederlage versetzte seinen Ambitionen einen mächtigen Dämpfer.

Aus Angst in der Provinz ausharren zu müssen, lieβ er sich daraufhin von seinen Pflichten in der Diözese Sosnowiec, für die er ohnehin nie Zeit hatte, entbinden und wurde zu einem „Bischof Ohneland“. Die Ernennung zum Rektor der Päpstlichen Theologischen Akademie in Kraków (1998 – 2004) entsprach bei Weitem nicht seinen Ambitionen.

Mit 71 Jahren wurde Bischof Pieronek 2005 zum Senior-Domherrn im Domkapitel der Königlichen Basilika und Erzkathedrale der Heiligen Stanislaus und Wenzeslaus auf dem Wawelhügel in Kraków gewählt, was einer Pensionierung gleichkam.

Krass, krasser, Pieronek

Der pensionierte Bischof empörte sich immer wieder über die angebliche „Politisierung der Kirche, die ihre Sympathien für die Nationalkonservativen kaum verbergen kann“, und verwandelte sich derweil endgültig in einen Politiker im permanenten Unruhestand. Es war ihm ein Bedürfnis zu beweisen, dass er noch Geltung hat, dass seine Meinung wichtig sei, dass es Medien gibt, die seine Meinung lautstark kolportieren und ein Publikum, das sie ernst nimmt.

Er geiβelte kollektiv seine Amtsbrüder, sie entsagten angeblich der Bescheidenheit und dabei bewohnte er selbst auf Kosten der Kirche ein Luxusapartment auf dem Wawel. Er forderte vehement, Polen solle Migranten aufnehmen. Dass Kirche und Regierung viel leisten in Syrien, dem Libanon und in Jordanien, um das Los der Kriegsflüchtlinge vor Ort zu lindern überging er stets mit Schweigen.

Nur einmal widerfuhr dem Bischof eine Entgleisung, die ihm seine Bewunderer sehr übel nahmen. Im Januar 2010 äuβerte er in einem Interview, der Holocaust werde als „Propagandawaffe benutzt, um Vorteile herauszuschlagen, die oft ungerechtfertigt seien.“ Zwar zog er diese Behauptung schnell zurück und verurteilte in der drauffolgenden Zeit den Antisemitismus immer wieder ausdrücklich. Doch mehr als ein Jahr lang stellten ihn, die ihm sonst so gewogenen Medien unter Quarantäne.

Pieronek hielt sich aus tiefster Überzeugung an die Kirchendoktrin. Seine ablehnenden Äuβerungen zum Feminismus, zur künstlichen Befruchtung, zur Tötung ungeborener Kinder, zur „Homoehe“ lieβ man ihm zähneknirschend durchgehen, schlieβlich war er katholischer Bischof. Er revanchierte sich mit der Gleichsetzung seines Landes mit Nordkorea, bemühte gern Hitler und Stalin, wenn es galt die Lage in Polen zu schildern.

„In Polen herrscht ein schwül-stickiges Klima. Man riecht überall den Gestank von Faschismus, Rassismus, Kommunismus und Nationalismus. Wir werden eines Tages daran ersticken.“

„Bald wird es in jedem Städtchen ein Denkmal Lech Kaczyńskis (des 2010 verunglückten Staatspräsidenten – Anm. RdP) geben müssen, so wie es in der Sowjetunion Stalin-Denkmäler gab, und in jeder Wohnung ein Portrait Lech Kaczyńskis, vor dem man sich wird verbeugen müssen so wie in Nordkorea.“

„Wir sind am Ende des Weges angekommen. Es herrscht zwar keine formal ausgerufene Diktatur, aber das was wir in Polen haben, weist alle Merkmale einer Diktatur auf.“

Die Sozialprogramme der Regierung, so seine Meinung, „das neue Kindergeld in Höhe von 500 Zloty, der soziale Wohnungsbau, das Schulausstattungsgeld zu Beginn des Schuljahres über 300 Zloty, die Lohnerhöhungen für Lehrer, das alles dient einzig und allein der Wählerbestechung. (…) Als Hitler an die Macht kam hat die Mehrheit der Deutschen auch geglaubt, dass seine Politik ihren Bedürfnissen entspricht.“

„Das war eine Verzweiflungs- aber auch eine Heldentat“. So kommentierte Pieronek die Selbstverbrennung eines offenbar geistesgestörten Mannes am 19. Oktober 2017 im Stadtzentrum von Warschau, der verkündet hatte, er tue es aus Protest gegen die Regierungspolitik. In diesem Fall fand es die Bischofskonferenz für angebracht, sich von diesen Äußerungen offiziell zu distanzieren.

Die Regierung „ordnet die Behinderten einer Menschenkategorie zu, die vegetieren und letztendlich sterben soll. Das wäre das Beste für die Regierenden“, so Pieroneks Kommentar zu dem Protest einer Gruppe von Eltern mit behinderten Kindern im Parlament im Frühjahr 2018. Sie kampierten einige Wochen lang in der Parlamentslobby und forderten mehr Betreuungsgeld.

Bischof Tadeusz Pieronek wühlte Polen immer wieder auf. Er erregte Anstoβ und trug, leider, erheblich zur Verschärfung der politischen Debatte in Polen bei, weil er nicht fähig war seine Gefühlsausbrüche zu bändigen.

War er sich dessen bewusst? Eine Anekdote, die er immer wieder erzählte, klingt aufschlussreich: „Bischof Pieronek war gestorben und ging in Richtung Paradies. Plötzlich blieb er vor einer halboffenen Tür stehen und sah Petrus, der ziemlich beschäftig zu sein schien. Ein Engel flog herbei und verkündete streng: »Polnische Bischöfe werden hier nicht aufgenommen.« Das war Bischof Pieronek sehr unangenehm. Da sah ihn Petrus. Er eilte herbei und sagte: »Tadeusz? Komm rein, du bist doch kein richtiger Bischof.«“

Tadeusz Pieronek fand seine letzte Ruhestätte in der Bischofskrypta der Krakauer Peter-und-Paul-Kirche. Das „Regime“, dass er stets aufs heftigste bschimpfte, wurde bei den Trauerfeierlichkeiten durch den stellvertretenden Ministerpräsidenten und Wissenschaftsminister Jarosław Gowin vertreten.

© RdP




Kirchgänger, Priester, Sakramente. Die polnische Kirchenstatistik 2018

Neue Angaben, alte Probleme.

Jedes Jahr, seit 1984, stehen an einem Sonntag im Oktober vor sämtlichen Kirchen in Polen Priester und erfassen nach der heiligen Messe mit mechanischen Handzählern, per Klick, jeden Gottesdienstbesucher. Bei der Zählung am 16. Oktober 2016 gab es wieder einmal etwas weniger Klicks als im Vorjahr. 

Es soll stets ein gewöhnlicher Sonntag des Kirchenjahres sein, an dem die Erfassung durchgeführt wird, keiner der hohen kirchlichen Feiertage, an denen üblicherweise wesentlich mehr Menschen in die Gotteshäuser strömen.

Die Ergebnisse vom 16. Oktober 2016 wurden im Januar 2018 veröffentlicht. Gut ein Jahr benötigt das Statistische Institut der Katholischen Kirche (Instytut Statystyki Kościoła Katolickiego – ISKK) jedes Mal um diese und viele weitere Angaben aus allen 10.339 polnischen Pfarreien zu sammeln und zu verarbeiten. Das Ergebnis ist ein etwa sechzigseitiges „Statistisches Jahrbuch der Kirche in Polen“ („Annuarium Statisticum Ecclesiae in Polonia“).

Wer am Ende der Messe die Kirche verlieβ, wurde am Ausgang mit einem Klick erfasst.

Die Bilanz der letzten Zählung, die am 15. Oktober 2017 stattgefunden hat, wird dementsprechend erst im Januar 2019 bekannt gegeben.

Am Sonntag, dem 16.Okroiber 2016, für den die statistische Auswertung nun vorliegt, wurden im ganzen Land 47.979 heilige Messen gefeiert. Die Untersuchung bestätigte den bisherigen Trend. Die Zahl der Sonntagsmesse-Besucher (dominicantes) nimmt von Jahr zu Jahr langsam aber stetig ab. Im Vergleich zu 2015 kamen 2016 um die 3,1 Prozent weniger Leute zur Sonntagsmesse. Die Zahl derer, die die Kommunion empfingen (communicantes) sank um 1 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

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Dominicantes und Communicantes in Polen 1980-2016

Während 1980 bis zu 51 Prozent der Gläubigen jeden Sonntag zur Messe erschienen, waren es 2003 noch 46 Prozent, 2013 noch 39,1 Prozent und 2016 genau 36,7 Prozent. Dennoch belegt Polen in dieser Hinsicht weiterhin, zusammen mit Malta, den ersten Platz in Europa. Zum Vergleich: in Deutschland liegt die Anzahl bei 10 Prozent, in Spanien bei 12 Prozent. In Irland, Portugal und Italien bewegen sich die Zahlen jeweils knapp unter 20 Prozent.

Trotz des Rückgangs 2016 kann man bei den leicht sinkenden Zahlen derer, die zur Kommunion gingen immer noch nicht von einer Tendenz sprechen. 1980 handelte es sich nur um 7,8 Prozent, 2016 waren es immerhin 16 Prozent der Kirchgänger.

Die Zählung bestätigte weiterhin, dass der Südosten Polens deutlich frommer ist als der Rest des Landes. Auch 2016 gab es die meisten Sonntagmesse-Besucher in den Diözesen Tarnów (66,9 Prozent), Rzeszów (60,5 Prozent) und Przemyśl (56,4 Prozent), in diesen Diözesen konnte sogar ein Anstieg um einige Prozentpunkte verzeichnet werden.

Etwas über dem Durchschnitt liegt Ostpolen mit den Diözesen Siedlce (46 Prozent), Drohiczyn (45,8 Prozent), Zamość-Lubaczów (45 Prozent) und Białystok (44,2 Prozent).

Am unteren Ende der Skala befinden sich die Diözesen im Westen und Nordwesten des Landes: Szczecin-Kamieniec (Stettin-Kamenz 22,7 Prozent), Koszalin-Kołobrzeg (Köslin-Kolberg 24,4 Prozent), Zielona Góra-Gorzów Wielkopolski (Grünberg-Landsberg a. d. Warthe 28,3 Prozent) und die zentralpolnische Diözese Łódź (Lodsch 23,4 Prozent).

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Knapp 80 Prozent der sonntäglichen Kirchgänger finden sich immer noch am Vormittag, zu den Messen zwischen 8 und 11 Uhr ein. Langsam wächst jedoch die Zahl derer, die die Gottesdienste ab 14.30 Uhr besuchen. Vor zehn Jahren waren es 13,5 Prozent, jetzt sind es 15 Prozent. Für gewöhnlich werden in den groβstädtischen Gemeinden Polens an Sonntagen bis zu zehn, an Arbeitstagen fünf Messen zelebriert. In kleineren Orten sind es weniger.

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Die meisten Kommunionempfänger (communicantes) wurden in den Diözesen Tarnów (22,7 Prozent), Opole (Oppeln 21,1 Prozent) und Zamość-Lubaczów (20,1 Prozent) gezählt. Die wenigsten in den Diözesen Sosnowiec (Sosnowitz 10,3 Prozent), Szczecin-Kamieniec (Stettin-Kamenz 10,5 Prozent) und Koszalin-Kołobrzeg (Köslin-Kolberg 10,5 Prozent).

Im Jahr 2016 ließen sich knapp 137.000 Paare katholisch trauen. Knapp 375.000 Kinder wurden getauft (ein Plus von 5.000 gegenüber dem Vorjahr). Getauft werden in Polen zwischen 95 und 97 Prozent aller Neugeborenen. Seit Jahrzehnten ändert sich nichts an dieser Tatsache.

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Die Erstkommunion erhielten knapp 285.000 Kinder (gut 10.000 mehr als in 2015), die Firmung 299.000 (gut 5.000 weniger als in 2015). Etwas mehr als 75 Prozent aller Getauften lassen sich ebenfalls firmen.

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Taufen und Geburten in Polen 1960 -2015

Polen ist in 41 Diözesen aufgeteilt. Die bevölkerungsreichsten unter ihnen sind: Katowice (Kattowitz 1,7 Millionen Einwohner), Warschau 1,7 Millionen (diese Diözese umfasst nur die Stadt auf dem westlichen Ufer der Weichsel sowie deren Vororte, der östliche Stadtteil mit Vororten bildet die Diözese Warschau-Praga) und Kraków (Krakau 1,6 Millionen Einwohner). Die geringste Bevölkerungszahl haben die Diözesen Drohiczyn (246.000), Białystok (452.000) und Ełk (Lyck 459.000).

Den Hirtendienst versahen 2016 in Polen insgesamt 25.016 Priester. Die meisten von ihnen sind in den Diözesen Tarnów (1.559), Kraków (1.182) und Katowice (1.071) tätig. Die geringste Anzahl an Priestern gibt es in den Diözesen Drohiczyn (183), Elbląg (Elbing 273) und Ełk (Lyck 274).

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An Diözesan-und Ordenspriesterseminaren studierten 2016 insgesamt 3.399 angehende Priester.

In 2.218 Klöstern lebten 18.197 Schwestern, die einem der 104 in Polen tätigen Frauenorden angehören. Die gröβten Frauenorden in Polen sind: die Dienerinnen der Unbefleckt Gezeugten Heiligen Jungfrau Maria (888 Nonnen), die Schwestern von der heiliegen Elisabeth (858) und die Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul (762).

Die Zahl der Männerorden betrug 58. Ihnen gehörten 11.942 Mönche an, von denen 3.252 im Ausland tätig waren. Die gröβten männlichen Ordensgemeinschaften in Polen sind die Franziskaner (1.303 Mitglieder), die Salesianer (1.058) und die Pallottiner (953).

Was ist davon zu halten

Die neueste Erhebung wurde in Polen vielfach gedeutet und kommentiert. Die Kommentare aus dem linken Spektrum waren vorhersehbar. So dreht sich nun mal das Rad der Geschichte, hieβ es. Schuld seien der Zölibat, die Weigerung Frauen zum Priesteramt zuzulassen, die Ablehnung der „Homoehe“ usw., usf.

Wie reagierten die Betroffenen? Hier die Äuβerungen von zwei führenden katholischen Publizisten des Landes.

»Wir machen weiter«

Pfarrer Marek Gancarczyk, bis Mitte Januar 2018 Chefredakteur des auflagenstärksten Wochenmagazins Polens, des katholischen „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“).

Wird eine Zeit kommen, in der die Zahl der sonntäglichen Kirchgänger wieder steigt? Bis jetzt gibt es keinen Grund zur Freude. Seit beinahe vierzig Jahren fällt die Zahl der Teilnehmer an der sonntäglichen Eucharistie kontinuierlich. Es gab in diesem Zeitraum auch einige Zuwächse, wie in den Jahren 1997/1998 sowie 2006/2007, aber die langfristige Tendenz ist stabil – wir in Polen gehen seltener in die Kirche.

Ja, gewiss. Die gewaltige Auswanderung auf der Suche nach Arbeit in den letzten zwei Jahrzehnten tat das ihre, ebenso die verbreitete Sonntagsarbeit. Es stimmt auch, dass alle soziologischen Untersuchungen ergeben, dass die meisten Polen, auch wenn sie seltener in die Kirche gehen, der christlichen Tradition verbunden bleiben, den katholischen Glauben als einen wichtigen Bestandteil der polnischen Identität betrachten.

Des Weiteren stimmt es, dass die Kirchen bei uns immer noch so voll sind, wie nirgendwo sonst in Europa. Das gemeinsame Rosenkranzbeten an den Grenzen im Herbst 2017. Die riesigen Dreikönigsumzüge im ganzen Land. Die Kirche in Polen legt immer noch eine erstaunliche Vitalität an den Tag.

Ja, fast alle polnischen Säuglinge werden getauft. Gleichzeitig gibt es seit knapp dreiβig Jahren wieder Religionsunterricht in den Schulen. Und?

Das alles, was ich gerade als Ermunterung erwähnt habe, ist nur ein schwacher Trost. Wenn es so weiter geht, werden auch wir eines Tages auf dem Niveau

„Mein glücklicher Tag“: Geburtstag, Taufe, Trauung. Briefmarkenserie der Polnischen Post von 2007.

Deutschlands, Frankreichs oder Dänemarks landen. Hinter den neuesten trockenen Statistikzahlen stehen konkrete Entscheidungen von Millionen von Menschen für und gegen den Glauben.

Manchmal überkommt mich der Eindruck, dass sich auch bei uns hie und da eine Art Einsicht in eine angebliche historische Unvermeidlichkeit breit macht. Überall gibt es eine Abwendung von der Kirche, auf Dauer kann man sich dem auch bei uns nicht entziehen. Doch, man kann und man muss. Wir müssen. Wir machen weiter. Die weiβe Fahne wird nicht aus dem Fenster gehängt, so Gancarczyk.

»Nichtgläubige Katholiken, gläubige Atheisten«

Tomasz P. Terlikowski legte seine Sichtweise der Dinge in der Tageszeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) dar.

Den Jubelruf, schreibt Terlikowski, der aus den Kehlen weltlicher Kommentatoren drang, nachdem die Kirche zugegeben hatte, dass die Zahl regelmäβig praktizierender Katholiken zurückgeht, konnte man wahrscheinlich noch in Tibet hören. Sofort traten Fachleute auf den Plan, die versicherten, dass die gesunden, reichen und glücklichen EU-Polen keinen Gott mehr brauchen. (…)

Nichts Neues

Dabei sind die Ergebnisse der Untersuchung, seiner Meinung nach, keineswegs überraschend. Die Jahre atheistischer und laizistischer kommunistischer Propaganda, der Konsum der nachkommunistischen Zeit haben das ihre getan.

Zudem sind die nichtgläubigen Protest-Kirchgänger, von denen wir so viele in der kommunistischen Zeit hatten, endlich zu der Überzeugung gekommen, dass die Teilnahme an der Messe, wenn man weder an die Wiederauferstehung Jesu Christi noch an den Heiligen Geist glaubt, schlicht und einfach hirnrissig ist. Genauso gut, ja sogar viel besser, kann man diese Zeit beim Einkaufen oder beim Training verbringen.

Terlikowski erinnert in diesem Kontext an Untersuchungen aus dem Jahr 2013, aus denen hervorging, dass an die Auferstehung Christi lediglich 47 Prozent der Polen glauben, an den Heiligen Geist als dritte Person der göttlichen Trinität 40 Prozent, an die Unsterblichkeit der Seele 39 Prozent, an die unbefleckte Empfängnis 38 Prozent.

Diese Untersuchung belegt, dass in etwa 39 bis 40 Prozent der Polen Katholiken sind. Der Rest bekennt sich zu einer eigenen Religion, die mit dem Christentum (und ganz sicher mit dem Katholizismus) wenig gemein hat. „Das bitte ist keinesfalls die Meinung eines religiösen Fanatikers, sondern eine schlichte Tatsachenfeststellung“, schreibt der Autor.

Christentum ohne Wiederauferstehung ist wie alkoholfreier Wodka

„Stellen wir uns einen Atheisten vor, der versichert, dass er an Gott glaubt. Was würden wir über ihn sagen? Die Antwort ist einfach: wir würden sagen, er sei kein Atheist. Genauso ist es mit „Katholiken“, die weder an die Auferstehung noch an die unbefleckte Empfängnis glauben. Sie sind wie die Atheisten, die an Gott glauben oder wie diejenigen, die sich zum alkoholfreien Wodka bekennen (das Christentum ohne Wiederauferstehung macht genauso viel Sinn wie der alkoholfreie Wodka).

Diese Menschen, egal wie sie sich selbst bezeichnen, sind keine wirklichen Katholiken und es ist gut so, dass sich das in der Teilnahme an den heiligen Messen widerzuspiegeln beginnt. Dank dessen, beginnen die Gläubigen zu verstehen, dass der Wunschtraum von einem Land, das das Evangelium von Jesus Christus nach auβen trägt und selbst keine Evangelisation braucht, ins Reich der Märchen gehört.

Die Kirche muss sich dessen dringend bewusst werden und Schlüsse daraus ziehen. Diese Schlüsse indes sind offensichtlich: man muss das ganze Evangelium verkünden, ohne es zu „verdünnen“ oder an den jeweiligen Bedarf „anzupassen“. Man kann nämlich nicht teilweise Katholik sein, genauso wie man schlecht halbwegs schwanger sein kann“, beschlieβt Terlikowski seinen Text.

RdP    

 

 




Lutherjahr wunderbar? Kritischer Blick aus Polen. Zum Hören

Prof. Grzegorz Kucharczyk und Janusz Tycner im Gespräch über den Protestantismus in Polen. ♦ 500 Jahre Reformation.  Kein Anlass zum Feiern? ♦ Der rasante Aufstieg und das jähe Ende der Reformation in Polen. ♦ Hat das katholische Polen die falsche Religion?  Max Weber auf Irrwegen. ♦ Verstrickungen und Verdrängungen. Der Protestantismus im kommunistischen Polen. ♦ Luther: gefeiert weil ungelesen. 

Grzegorz Kucharczyk, „Krise und Zerstörung. Skizzen zur protestantischen Reformation“.

Briefmarke der Polnischen Post von 2017 zum fünfhundertsten Jahrestag der Reformation.




Das Wichtigste aus Polen 8. Oktober – 15.Oktober 2017

Kommentatorin Olga Doleśniak-Harczuk und Janusz Tycner diskutieren die  wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Landesweite Gebetsinitiative „Rosenkranz bis zu den Grenzen“ erntet groβen Zuspruch in Polen, Häme und Nasenrümpfen in Deutschland. ♦ Das abgekühlte Verhältnis zwischen Staatspräsident Andrzej Duda und der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit nützt beiden Seiten des Konfliktes und schwächt die Opposition. ♦ Gute Haushalts- und Wirtschaftslage Polens spiegelt sich im Staatshaushaltsentwurf 2018 wieder. ♦ Die betrügerischen Reprivatisierungen in Warschau werden endlich geahndet.




Beten und bewegen im Land menschenleerer Kirchen

Leid und Erfolg eines polnischen Pfarrers in Frankreich.

Waren Sie oft soweit, dass Sie nur noch Ihre Koffer packen und weg wollten?

Ja, viele Male, und viele Male habe ich innerlich gerufen: „Herr, hier kann man nichts mehr ausrichten. Ich habe keine Ideen mehr.“
Schon der Anfang war schwierig. Die Sprachbarriere: ein Priester aus Oberschlesien soll sich mit in Cannes geborenen Franzosen verständigen. Ich fühlte mich sehr klein und auch die Leute haben es mich manchmal schmerzlich spüren lassen. In meinem Kopf hämmerte ständig die Frage: war das eine gute Entscheidung? Wenn jemand Zdzisław Brzezinka (fonetisch: Szislaw Bschesinka – Anm. RdP) heiβt, dann hat er in Frankreich keine guten Karten.

Für einen Franzosen unaussprechlich.

Sie fragten, ob es einen entsprechenden französischen Vornamen gibt. Gibt es nicht. Ich habe meinen Pfarrgemeindemitgliedern gesagt: „Ihr könnt Schislaf sagen“, aber dabei dachte jeder an „Ich habe Durst“ (Jʼai soif). In einer Regionalzeitung schrieben sie: „In seinem Namen und Vornamen kommt das „z“ viermal vor!“

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Pfarrrer Zdzisław Brzezinka.

Zuerst war ich in Cannes. Das ging noch. Viele Rentner, die regelmäβig zur Kirche gingen. Es war die Zeit der Gewöhnung an die neue Umgebung, des Erlernens der Sprache, der Kultur.

Die wahren Lehrstunden der Demut begannen, als ich eine Pfarrei übernehmen musste, die man unweit von Nizza aus fünf Kleinstädten zusammengelegt hat.

Wie wurden Sie empfangen?

Zur offiziellen Begrüβung des neuen Pfarrers und um die kleinen Kirchengemeinden in den einzelnen Orten vorzustellen, kamen nicht einmal dreiβig Leute. Und das aus einer Pfarrgemeinde, die zehneinhalbtausend Einwohner zählte. Hätte man sie nicht ausdrücklich darum gebeten, wären sie gar nicht gekommen. Sie hatten kleine Modelle ihrer Kirchen dabei und lasen das was sie sagen wollten vom Blatt ab. Sie redeten mich mit dem Vornamen meines Vorvorgängers an. Man sah, dass sie jeglichen Kontakt zur Kirche verloren hatten. Es war zum Heulen.

Doch der neue Gemeindepfarrer krempelte die Ärmel hoch und…

Es war ein verzweifeltes Anrennen gegen die Widrigkeiten, krampfhafte Versuche Anschluss zu finden. Ich bin zu allen möglichen Treffen gegangen, ich habe Nachbarn beim Umzug geholfen, ich habe mit Kindern Fuβball gespielt und mich ständig gefragt, was dieses Rumkaspern eigentlich mit Seelsorge zu tun hat?

Die Kirchen waren nur bei Beerdigungen voll, Anlässen die dort einen mehr gesellschaftlichen als religiösen Charakter haben. Ich habe versucht sie zu nutzen, um das Evangelium weiterzugeben, eine geistige Verbindung herzustellen. Es hat nichts gebracht. Wie oft habe ich damals in meinen Gebeten den Satz wiederholt: „Herr, ich weiβ nicht, was ich tun soll.“

Warum sind die Kirchen im Westen menschenleer geworden?

Es gibt viele Erklärungen dafür, aber ich habe keine schlüssige Antwort auf diese Frage und will auch nicht verallgemeinern. Die Suche nach den Ursachen endet meistens in Schuldzuweisungen an diese Menschen. Ich weiβ nicht warum die Kirchen verwaist sind, aber ich weiβ, dass Gott über allem seine schützende Hand hält.
Kardinal Jean-Marie Lustiger (1926-2007, Erzbischof von Paris – Anm. RdP), mit den Vorwurf konfrontiert, dass die katholische Kirche in Frankreich von Irrglauben und Irrlehren zersetzt wird, antwortete: „Das stimmt, aber wir waren die ersten, die angefangen haben nach einer Therapie gegen diese Krankheit zu suchen.“ Andere zu beschuldigen ist ein Ausdruck des Hochmuts. Ich habe das begriffen, als ich selbst glaubte in eine ausweglose Lage geraten zu sein.

Was hat das Fass zum Überlaufen gebracht?

Ich bin zu den Treffen der Equipes Notre-Dame gegangen, der einzigen geistlichen Gemeinschaft (von Ehepaaren – Anm. RdP), die es in unserer Pfarrgemeinde gab. Es war toll. Kaffeetrinken, Gelächter, nette Gespräche. Alles, auβer Gott. Irgendwann habe ich ihnen gesagt: „Entschuldigt bitte, aber ihr seid keine religiöse, geistliche Gemeinschaft“. Sie haben es mir sehr übel genommen. Ich ging nach Hause. Mir wurde bewusst: „Jetzt hast du die einzige Laiengruppe in deiner Gemeinde auseinandergejagt“. Das war keine einfache Zeit. Ich bekam Briefe. Ein Gemeindemitglied schrieb mir: „Welcher Satan hat Sie, Herr Pfarrer zu uns geschickt?“

Hat es weh getan?

Sehr. Ich fand keinen Schlaf mehr. Aber gerade diese Gemeinschaft schuf den Ansatz für die Erneuerung. Es war sehr schwer ihnen den lebendigen Glauben zu vermitteln. Der „Widerstand der Materie“ war am Anfang enorm. Doch die meisten dieser Leute, alle zwischen fünfunddreißig und fünfzig Jahre alt, erwiesen sich als musikalisch sehr begabt. Ich habe vorgeschlagen, dass sie in der Messe spielen und singen. Das kam sehr gut an! Es entstand eine Gruppe, die andere zum gemeinsamen Proben zu überreden begann. Nach und nach bekam ich in der Kirche neue Gesichter zu sehen.

Wie ging es weiter?

Ich habe mich auf den Alpha-Kurs besonnen (Näheres dazu hier – Anm. RdP). Ich kannte ihn von früher, aber erst in Frankreich habe ich erlebt, welch enorme Wirkung er hat. Am Anfang haben wir ihn für eine kleine Gruppe von „Eingeweihten“ gemacht. Ich beobachtete, wie er den Glauben, der in ihnen fast schon abgestorben war zum Aufblühen brachte.

Wie belebt man also eine Pfarrgemeinde, die dahinscheidet?

Ich habe alles getan, um die Menschen dort abzuholen wo sie standen, auch wenn das sehr weit weg von Gott gewesen ist. Ich habe mir aber auch geschworen, ich werde mich niemals verstellen, mich anbiedern, so tun, als sei ich kein katholischer Pfarrer. Ich habe nie die Soutane abgelegt, bin niemals in „zivil“ aufgetreten. Und auch wenn es manchmal sehr fehl am Platze zu sein scheint, du musst den Mut haben zum Wort Gottes zu stehen und es zu den Menschen zu tragen.

Wichtig war auch das Gefühl der völligen Ratlosigkeit, das mich immer wieder beschlich. In einer Umgebung, die dich entweder ablehnt oder der du gänzlich egal bist, bist du ja völlig allein. Du hast dann nur zwei Möglichkeiten: entweder du fasst Mut oder du packst deine Sachen und gehst. Mut fassen bedeutet, sich niemals verkriechen, von Unfreundlichkeiten abschrecken lassen. Auf die Menschen zugehen und reden.

Ich kann mich gut erinnern an meine erste Begegnung mit dem Bürgermeister des Städtchens, in dem ich wohnte. Er war ein eingefleischter Kommunist. Ich kam um die Ecke und stieβ beinahe mit ihm zusammen. Er wusste wer ich bin und sagte: „Seit acht Monaten hat es nicht geregnet. Diese Trockenheit wird uns vernichten. Könnten Sie, Herr Pfarrer, mit dem Chef darüber reden?“ „Mal sehen was sich machen lässt“, habe ich ihm geantwortet und ging meinen Weg. Am Abend begann es zu regnen und es goss die nächsten zwei Wochen lang in Strömen. Ich traf ihn etwa zehn Tage später. „Herr Pfarrer, es reicht!“, rief er mir von der anderen Straβenseite aus zu.

Sie haben versucht so viele persönliche Kontakte wie möglich zu knüpfen.

Ja, denn sonst hast du ein Amt und keine Pfarrgemeinde. Zu dem oberen Teil der Stadt führte eine lange Treppe. Dreihundert Stufen rauf und dreihundert Stufen runter, manchmal einige Male am Tag. Ich weiβ nicht, wie ich das überstanden habe.

Eines Tages war endlich der von allen langersehnte Fahrstuhl fertig. Nur, dass er ständig kaputt ging. Ich habe dem Bürgermeister vorgeschlagen, ich werde ihn weihen. „Das ist verboten!“, entgegnete er. „Trennung zwischen Kirche und Staat.“

Ich bin regelmäβig zu den Sitzungen des Stadtrates gegangen, denn oft wurden dort Dinge besprochen, die auch die Pfarrgemeinde betrafen. Sie waren sichtlich verunsichert durch meine Anwesenheit, haben sehr aufgepasst was sie sagten. Der Bürgermeister fragte mich manchmal nach meiner Meinung und grinste dabei verschmitzt. Es war wie bei Don Camillo und Peppone.

Im September fand die feierliche offizielle Einweihung des Fahrstuhls statt. Er wurde mit republikanischem Pomp (Hissen der Tricolore, Marseillaise, gespielt von der Feuerwehrkapelle, Ehrenformation mit vier Dorfgendarmen usw.) seiner Nutzung übergeben. Der Lift fuhr los, blieb aber in der Mitte seines Weges stehen und wollte nicht weiter. Ich habe mir jeden Kommentar verkniffen.

Im Oktober habe ich eine Prozession geführt. Es war eine der vielen Prozessionen, die das besondere Kolorit vieler französischer Kleinstädte ausmachen, aber eigentlich kaum etwas mit dem Glauben zu tun haben. Es ist nur noch Tradition, festliche Folklore, wenn man so will, eine touristischer Attraktion, bei der Atheisten die Figur der Muttergottes herumtragen, hinter der der kommunistische Bürgermeister mit aufgeblähter Brust und Schärpe herschreitet.

Ich ging voran, hinter mir die Menge. Plötzlich bin ich von der vorgegebenen Route abgebogen. „Was machen Sie, Herr Pfarrer!?“, der Bürgermeister war sehr beunruhigt. Ich bin direkt auf den Fahrstuhl zumarschiert. „Wenn ich das Städtchen segnen soll, dann werde ich auch dieses Wunderwerk der Technik weihen.“ Der Bürgermeister war sprachlos und ich habe Thérèse von Lisieux (Näheres dazu hier – Anm. RdP) zitiert, die gesagt hat, dass sie von einem Fahrstuhl träumt, der sie direkt in den Himmel bringt. Das kam bei den Franzosen sehr gut an.

Dann habe ich den Fahrstuhl geweiht und laut gesagt: „Na? Seht ihr wie wunderbar er jetzt funktioniert?“ Wie sie sich alle darauf gestürzt haben, um es zu überprüfen! Ich habe mich innerlich vor Lachen geschüttelt. Übrigens hat der Bürgermeister mir gegenüber unter vier Augen zugegeben, dass der Fahrstuhl seither problemlos funktioniert. „Gott hält über allem seine schützende Hand“, habe ich ihm darauf geantwortet. Er gab sich nachdenklich.

Wurden Sie tätlich angegriffen?

Eine Zeit lang kam eine Gruppe von Jugendlichen in die Nähe der Kirche, um Fuβball zu spielen. Immer wieder kickten sie den Ball gegen die Kirchenmauer, die Glasfenster waren in Gefahr. „Könnt ihr aufhören?“ „Wir sind keine Katholiken, wir sind Moslems.“ „Und was wäre, wenn ich den Ball gegen die Mauer eurer Moschee kicken würde?“ Ein Junge fuhr mit der Hand über die Kehle.

Ich habe seinen Vater getroffen. Wir haben uns in aller Ruhe unterhalten. „Sehen Sie, dass ist ein wichtiges Gebäude für uns, unser Heim. Wir leben in Frieden miteinander. Wozu das aufs Spiel setzen?“ Seitdem hörte das Kicken des Balls gegen die Kirchenwand auf, die Jungs grüβten mich mit „bonjour“.

Es ist glimpflich ausgegangen, aber wir sind auch zu der Kirche gefahren, in der Pfarrer Jacques Hamel ermordet wurde (Näheres dazu hier – Anm. RdP). Die Kirche ist von Blumen und Gittern umgeben. Blumen und Gitter, das ist das Janusgesicht der heutigen Lage vielerorts in Frankreich. Pfarrer Hamel war doch mit dem dortigen Imam befreundet, kannte viele moslemische Familien und wurde von zwei Fundamentalisten ermordet.

Bei einem meiner ersten Gespräche mit jungen Moslems im Städtchen habe ich gesagt „Je suis un Polonais“ und sie ratterten daraufhin die Namen und Vornamen aller polnischen Fuβballer bei den Weltmeisterschaften 1974 herunter! Ich war perplex. Oft habe ich von Moslems gehört; „Gut, dass Sie hier sind, Herr Pfarrer.“

Sie haben am Anfang dreiβig Kirchgänger vorgefunden. Wie viele waren es nach sieben Jahren?

Siebenhundert. Im August 2014 ging es dann zurück nach Polen. Ich bin um halb zwei in der Nacht mit dem Auto aufgebrochen. Leise, ohne viel Aufhebens. Der letzte Kreisel in meiner Pfarrgemeinde war voll von Menschen. Sie kamen um mich zu verabschieden. Ich hatte feuchte Augen.

Wie wird die französische Gemeinde ohne Sie zurechtkommen?

Man soll die Menschen an Gott binden, niemals an sich selbst.

Das Gespräch erschien im katholischen Wochenmagazin „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“) vom 19.02.2017.

RdP




Was bewegt Radio Maryja

Ein Gespräch mit dem Gründer und Direktor des Senders, Pater Tadeusz Rydzyk.

Radio Maryja, der katholische Sender aus Toruń/Thorn feierte am 9. Dezember 2016 sein 25-jähriges Bestehen. Überwiegend ehrenamtlich betrieben und fast ausschlieβlich aus Zuhörerspenden finanziert, stellt es ein Vorhaben dar, das von den Menschen in Polen in einer Weise unterstützt wird, die alles bisher Dagewesene übertrifft.

Auf deutschsprachige Medien wirkt der Sender seit eh und je wie ein rotes Tuch. Ihre Beschreibungen münden zumeist in heftigen Beschimpfungen.

♦ Radio Maryja „ist ultrakatholisch, ultranationalistisch, ultrarechts und extrem europafeindlich, und obendrein pflegt es einen ätzenden, hasserfüllten Antisemitismus“ (Neue Züricher Zeitung, 5.12.2002). ♦ „Katholischer Hetzsender Radio Maryja“ (Schweizer Rundfunk, 26.09.2015). ♦ „Der katholische Sender Radio Maryja hetzt gegen Juden“ (Spiegel, 29.04.2006). ♦ „Das Radio-Maryja-Imperium ist antisemitisch, homophob, anti-ökumenisch (Religionsphiolosophischer Salon, 18.12.2015).♦  „Rassistische und antisemitische Inhalte sind bei Radio Maryja an der Tagesordnung“ (Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung, 3.09.2009).

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Pater Rydzyk im Gespräch mit der israelischen Botschafterin in Warschau Anna Azari am 7. September 2016.

Man könnte meinen, Joseph Goebbels, lebte er noch, könnte in Toruń in die Lehre gehen. Beweise (Zitate) für diese schwerstwiegenden Vorwürfe werden nur in den seltensten Fällen erbracht, und wenn, dann sind sie sehr dürftig. Einige Zuhörer-Entgleisungen von vor zehn Jahren und mehr, die in Telefon-Livesendungen vorgekommen sind. Eine dubiose geheime Tonbadaufnahme von Pater Rydzyk aus dem Jahr 2007 (also kein Sendebeitrag).

Auβerdem einige Rundfunk-Livedebatten Anfang der 2000er Jahre, hervorgerufen durch das Buch des jüdisch-amerikanischen Autors Norman Finkelstein „Holocaust-Industrie. Wie das Leiden der Juden ausgebeutet wird“, das in Deutschland, mit einer Startauflage von fünfzigtausend Exemplaren (!), bei dem angesehenen Piper Verlag erschienen ist, einhunderttausend Mal verkauft und in einer sehr hitzigen Debatte beileibe nicht ausschlieβlich kritisch beurteilt wurde. Und das war’s.

In den 25 Jahren des Bestehens von Radio Maryja, bei dem die Zuhörer fast ununterbrochen auf Sendung sind, gab es Anlass zu Kritik, manchmal auch zu einer Rüge. Davon gab es, verdient und unverdient, weiβ Gott genug. Doch die These „hasserfüllter Antisemitismus“ sei dort „an der Tagesordnung“ und quasi die wichtigste Botschaft des „katholischen Hetzsenders“ hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun.

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Johannes Paul II. 1995 im Gespräch mit Pater Rydzyk: „Jeden Tag danke ich Gott dafür, dass es in Polen ein Radio gibt, das Radio Maryja heiβt“.

So  sahen und sehen es offensichtlich nicht nur die Päpste Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus sondern auch die israelische Botschaft in Warschau, bei der Pater Rydzyk Gast sein darf. Rydzyk reist zudem seit knapp drei Jahrzehnten regelmäβig nach Isreael. Kein einziges Mal ist ihm die Einreise verweigert worden.

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Audienz bei Papst Bendeikt XVI. am 4. November 2007.

Lange Zeit hieβ es „das Problem“ werde sich „durch die Biologie“  von selbst lösen. Radio Maryja sei ein Vorhaben ohne Zukunft, ein zum Aussterben verurteiltes Reservat alter Menschen. „Wir brauchen euch nicht“, lautete jahrelang sinngemäβ die Botschaft der „aufgeklärten“ Eliten an sie. „Wir haben ja eure Kinder und Enkelkinder auf unserer Seite“. Es sah so aus, aber diese Rechnung ging nicht auf.

Die Abgänger der Radio-Maryja-Journalistenschule (fünfhundert Studenten), um nur ein Bespiel zu nennen, sind keine unterwürfigen Glaubenseiferer. Gut geübt im Umgang mit den modernsten Medientechniken, kreativ, tragen sie ihren Glauben im Herzen und nicht wie eine Monstranz vor sich. Der erste Spielfilm, den eine Gruppe von ihnen gerade fertiggestellt hat, „Die abgebrochene Ähre“, hat auch feindselig eingestellte Filmkritiker durch seine Qualität zutiefst beeindruckt.

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Pater Rydzyks Studenten. Den Glauben im Herzren tragen.

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Pater Rydzyk meidet den Begriff „Massenmedien“, gebraucht dafür lieber die Bezeichnung „gesellschaftliche Kommunikations- bzw. Verständigungsmittel“. Der Adressat ist für ihn nicht „die Masse“, sondern die Gesellschaft: Menschen, Personen, Persönlichkeiten, wie er sagt. Es geht ihm nicht um „Übermittlung“ sondern um „Kommunikation“, um „Wechselwirkung“. Es gibt in Polen keine Medien, die Radio Maryja in dieser Hinsicht überbieten würden.

Im Auditorium überwiegen die 40 bis 59jährigen. Zudem haben 53 Prozent der Radio-Maryja-Zuhörer Abitur bzw. einen Hochschulabschluss. An manchen Tagen lauschen den Sendungen zugleich bis zu fünfhunderttausend Menschen.

radio-maryja-okladka-w-sieciMit den Jahren wurde das Thorner Projekt um eine Tageszeitung („Nasz Dziennik“ – „Unser Tagblatt“), einen Fernsehsender (Trwam) und eine Hochschule erweitert . 2016 ist der Rundbau einer Kirche für 3000 Gläubige vollendet worden. Weitere Vorhaben des unermüdlichen Paters Tadeusz Rydzyk kann man aus dem folgenden Gespräch erfahren, das im Wochenmagazin „wSieci“ („im Netzwerk“) vom 5.12.2016, unter dem Titel „Gewaltige Kräfte sind gegen uns angetreten“ erschienen ist. Es stellt eine Seltenheit dar, denn Pater Rydzyk gewährt normalerweise keine Interviews. Wir dokumentieren den Wortlaut mit geringfügigen Kürzungen.

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Pater Tadeusz Rydzyk. Jg. 1945. Redemptorist. Seit 1971 Priester.

Radio Maryja feiert 25 Jahre seines Bestehens. Rückblickend stellt sich die Frage: woher haben Sie gewusst, dass gerade die Medien ein so wichtiger Austragungsort des Kampfes um den katholischen Glauben, die polnische Kultur, die ökonomische Unabhängigkeit sein werden.

Das war offensichtlich.

Viele haben sich (nach 1989 – Anm. RdP) dahingehend beirren lassen, dass sie glaubten, dass Medien nun vom Grundsatz her ehrlich, unvoreingenommen sein werden, und dass die Herkunft des Kapitals, das hinter ihnen steht ohne Bedeutung sein wird. Die klügsten Professoren waren davon überzeugt.

(…) Seiner Zeit habe ich sehr an die katholischen Intellektuellen geglaubt. An die Klubs der Katholischen Intelligenz (1956 von den Kommunisten in fünf Städten zugelassene katholische Vereinigungen – Anm. RdP), an „Znak“ („Zeichen”, 1956-1978 von den Kommunisten zugelassene kath. Laienorganisation – Anm. RdP) , „Więź“ ( „Bund“, von den Kommunisten 1958 zugelassene Monatszeitschrift reformorientierter Katholiken – Zweites Vatikanisches Konzil – Anm. RdP), an „Tygodnik Powszechny“ („Allgemeine Wochenzeitung“ seit 1945 von den Kommunisten in Kraków zugelassene, streng zensierte katholische Zeitschrift reformorientier Katholiken – Anm. RdP).

Anfänglich wollte ich sogar Radio Maryja ebenfalls in Kraków ansiedeln. (…) Ich habe damals gehofft, dass diese Gruppen der Geist der Nation, ihre intellektuelle Elite sein würden, doch ich wurde enttäuscht.

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Radio-Maryja-Funkhaus in Toruń. Hörer zu Besuch.

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Enttäuscht war auch der Heilige Vater Johannes Paul II. Er schrieb 1995 an Jerzy Turowicz (1912-1999, Chefredakteur von „Tygodnik Powszechny“ in den Jahren 1945-1999), dass „die Kirche in diesem schwierigen Augenblick, beim »Tygodnik Powszechny« leider nicht die Unterstützung und den Schutz fand, die sie gewissermaβen erwarten konnte. Sie fühlte sich nicht ausreichend geliebt.“

Ich möchte diese konkrete Situation nicht beurteilen. Das Problem der Intellektuellen war, dass sie ihr Gewissen und ihre Pflichten gegenüber der eigenen Gemeinschaft aufgegeben hatten. Bildung selbst ist nicht genug, man muss weise und charakterstark sein. Auch der Teufel ist intelligent, aber das nützt nichts, weil er einen schlechten Charakter hat.

Doch das alles hat nicht erst damals (Anfang der 90er Jahre – Anm. RdP) begonnen. Schon Kardinalprimas Stefan Wyszyński (1901-1981, Primas von Polen 1948-1981 – Anm. RdP) sprach davon (in den 60er Jahren – Anm. RdP), dass die Intellektuellen ihn enttäuscht und verraten haben. Und das nimmt seither zu. Nehmen wir nur die Welt der groβen Medien. Es ist ein Drama. Sie lernen neue Techniken, Tricks, Kniffe zu beherrschen, aber die Wahrheit und das Gute findet man dort nicht.

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Briefmarken der Polnischen Post zum 10. Jahrestag der Gründung von Radio Maryja.

Das war lange Zeit auch Teilen der polnischen Kirche nicht bewusst.

Ich bin mir nicht sicher, ob man das so sagen kann. Die Medienberichte darüber, was die Bischöfe zu dem einen oder anderen Problem meinen, sind teilweise sehr verfälscht. Ich erinnere mich an ein Treffen mit Kardinalprimas Józef Glemp (1929-2013, Primas von Polen 1981-2006 – Anm. RdP) einige Monate vor seinem Tod. Es war der Namenstag von Bischof Antoni Dydycz (von Drohiczyn – Anm. RdP).

Der Kardinalprimas erhob sich, um zu gratulieren, und sagte auch, dass wir keine Medien haben, die uns die Wahrheit über Polen sagen. Und er fügte hinzu: „Es gibt nur Radio Maryja und das Fernsehen Trwam“ (Gegründet 2003 von Pater Rydzyk, wie sein gesamtes Wirken, aus Spenden finanziert – Anm. RdP). Das hat er einige Male wiederholt, und dankte mir. Ich war froh darüber, denn früher hatte der Kardinalprimas Radio Maryja auch anders betrachtet. Am Anfang waren unsere Beziehungen gut, dann wechselte es (noch 2010 wollte Glemp Pater Rydzyk aus der Leitung des Senders entfernen und sprach von einem „groβen Problem für die Kirche“ – Anm. RdP). Er sagte noch, als ob er in meinen Gedanken gelesen hätte: „Das war schon sehr unterschiedlich im Episkopat, aber nun ist es so, wie ich es sage.“ Tatsache ist jedoch, dass viele Bedrohungen nicht erkennbar waren.

Zum Beispiel die Bedeutung des Kapitals. Sogar anständige Menschen ließen sich einreden, dass es vor allem darum gehe alles Staatsvermögen schnellst möglich zu verkaufen, zu privatisieren. Egal an wen, egal wie billig, egal was der Käufer daran verdient.

So war es. Sogar Geistliche haben mir manchmal gesagt: „Agrarland ist doch eine Ware wie jede andere“. Nein, Agrarland ist keine Ware. Ein sehr edler Mensch wurde ZChN-Abgerordneter (katholische konservative Partei Christlich-Nationale Vereinigung – Anm. RdP) und sagte zu mir: „Es lohnt sich alles zu verkaufen, auch für einen Zloty“. Ich war verwundert: „Wie kann es sich für einen Zloty lohnen, wenn es viel mehr wert ist?“ Und er wiederholte nur dasselbe – es lohnt sich. Das war unlogisch.

Als das Wahlbündnis Solidarność (eine Koalition aus der Gewerkschaft und einem Dutzend konservativer Kleinparteien – Anm. RdP) regierte (zwischen 1997 und 2001 unter Ministerpräsident Jerzy Buzek – Anm. RdP) habe ich diese Leute gefragt, warum sie den Ausverkauf von Staatseigentum betreiben, obwohl sie gerade gewählt wurden, um den Ausverkauf zu stoppen. Ich denke nicht, dass diejenigen, die es gemacht haben, es uneigennützig taten. Nein, sie haben im Auftrag gehandelt. Zum Glück wacht Polen jetzt auf.

Ist es nicht zu spät dafür? Beinahe alle Medien sind schon in ausländischer Hand, von der Industrie ist nicht mehr viel übrig geblieben. Es wird nicht einfach sein, das alles wieder aufzubauen.

Natürlich wird es nicht leicht fallen, aber es ist möglich. Wir sollten jeden Tag singen „Noch ist Polen nicht verloren, solange wir leben“ (»Dabrowski-Mazurka«, die polnische Nationalhymne – Anm. RdP). Radio Maryja übrigens ist der einzige polnische Sender, der einmal am Tag alle Strophen der Nationalhymne abspielt.

Neulich haben die Studenten der Hochschule für Mediale und Soziale Kultur in Toruń (von Pater Rydzyk 2001 in Toruń gegründete Hochschule, die katholische Journalisten und Politologen ausbildet – Anm. RdP) zum St. Andreas Fest (Nacht zum 30. November – Anm. RdP) eine Feier organisiert, die sie „Unabhängigkeitsball“ nannten. Am Ende sangen sie die »Dabrowski-Mazurka« bis zur letzten Strophe. Wunderbar. Es gibt eine herrliche Jugend, es gibt Hoffnung. Sie darf sich nur nicht verführen lassen. Für böse Menschen ist das ein Leichtes.

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Radio Maryja Hochschule für Mediale und Soziale Kultur in Toruń. Studenten.

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Sehr oft stoβen wir auf ungewöhnliche Zeugnisse, die abgelegt werden von Menschen, deren Leben sich dank Radio Maryja verändert hat. Ihre Sendungen sind eine einzige Schule der Sorge um Polen. Oft eht es darin um alleinstehende, kranke, abgehängte Menschen. Es ist beinahe der einzige Platz im Äther, wo man mit der Evangelisierung in Berührung kommt, begleitet vom ruhigen Gespräch und der Suche nach Wahrheit.

Uns erreichen solche Zeugnisse sehr oft. Sie geben uns Kraft. Doch es ist das Werk sehr vieler Menschen: der Redemptoristen-Padres (Radio Maryja wird vom Redemptoristen Orden betrieben – Anm. RdP), die im Rundfunk arbeiten, der Priester, die die Vorort-Kreise der Familie von Radio Maryja (vereinigen Hörer in einzelnen Pfarreien – Anm. RdP) betreuen, Tausende von Laien und Freiwilligen die unser Radio ausmachen. Es fällt nicht leicht, das alles zu finanzieren. Es sind riesige Kosten.

Hatten Sie nicht Angst vor dieser Herausforderung? Das ist doch keine einmalige Aktion, sondern eine stete Anstrengung, es gibt riesige monatliche Verbindlichkeiten, Rechnungen, Ausgaben.

Dieselbe Frage wurde uns gestellt als wir um die Sendelizenz für Radio Maryja gekämpft haben. Wir wurden schrecklich blockiert, man versuchte uns zu entmutigen, wandte verschiedene Tricks an. Sie (der Landesrundfunkrat – Anm. RdP) haben uns gefragt: „Pater, woher wollen Sie dafür das Geld nehmen?“. Ich habe geantwortet, die Leute werden es geben, so wie sie für Kirchen, für die katholische Universität Lublin und andere Werke spenden. Man hat es belächelt.

Und dann kam mir eine Idee. Ich habe mich daran erinnert, dass wir vor nicht langer Zeit die Monstranzen vergoldet hatten und die Menschen dafür Ringe und Schmuck gespendet haben. Es kam u. a. ein Herr mit zwei Kindern, zog den Siegelring vom Finger und gab ihn uns. Er sagte: „Ich bin der Muttergottes viel schuldig“. Ich weiβ nicht einmal, wie er hieβ.

Etwas von dem Gold war übriggeblieben. Ich habe gesagt: „Ich habe Gold. Kommt nach Toruń, ich zeige es euch.” Zum Glück kamen sie nicht, denn es war nur eine Handvoll, aber es hat gewirkt. Später entstand daraus die Legende von Koffern voller Schmuck und Dollars, die ich angeblich zur Sitzung des Landesrundfunkrates mitgebracht haben soll. Das ist nicht wahr. Ich bin mit dem Bild der Muttergottes hingefahren, vor dem Kardinalprimas Wyszyński gebetet hat.

Dieses Radio ist durch Gebete erfleht worden. Nächtelang haben wir uns dafür im Gebet an Gott gewandt. Die Parzelle in Toruń hat das inzwischen schon verstorbene Ehepaar Poznański unserem Orden geschenkt. Ich hatte oft das Gefühl, dass Gott dieses Werk leitet.

Sie wiederholen oft: „Lasst uns so beten, als würde alles von Gott abhängen und lasst uns so arbeiten, als wäre alles von uns abhängig“.

Denn so ist es. Deswegen versuchen wir die Menschen so gut zu erreichen wie es nur geht: über Satelliten, Internet, Fernsehen. Und die Menschen geben uns Ratschläge, kümmern sich darum, dass sich das alles weiterentwickelt.

Jetzt haben sie den ersten Spielfilm hergestellt „Abgebrochene Ähre“ („Zerwany kłos“) über die selige Karolina Kózkówna (1914, als 16-Jährige von einem russischen Soldaten ermordet – Anm. RdP), eine schöne, sehr professionell und mit viel Engagement gedrehte Filmerzählung. Werden weitere folgen?

Wir werden sehen. Erst einmal arbeiten wir daran, dass der Film in die Kinos kommt und jeder ihn sehen kann. Wir warten auf die Vertragsunterzeichnung. Den Film, das will ich unterstreichen, haben die Studenten unserer Hochschule für Mediale und Soziale Kultur gedreht.

Denken Sie auch daran ein Theater zu gründen? Es wird immer schwieriger bei uns ein Theater zu finden, dass auf die wahren Werte setzt.

Nun gut, dann eröffne ich vor Ihnen, als Ersten, unseren Plan etwas zu schaffen, was ich vorläufig das „Institut Johannes Paul II. »Gedenken und Identität«“ nennen werde. Ich sehe das u. a. als ein sehr modernes Museum, wie das Museum des Warschauer Aufstandes in Warschau oder das Holocaust-Museum in Washington. Licht, Ton, Bilder, Laser. Der Besuch dort soll ein Erlebnis schaffen, die Identität der jungen Menschen formen, die Herzen bewegen. Dort soll die Schönheit Polens, seiner Geschichte, so wie Johannes Paul II. darüber sprach, gezeigt werden.

Und das Theater?

Dort soll es eine Aula für sechshundert Personen geben und eine Theaterbühne. Dorthin sollen gute, integre Schauspieler kommen, Theater machen und bei der Gelegenheit unsere Studenten unterrichten. Ich sehe einen groβen Bedarf dafür. Das was heute gezeigt wird ist oft Antikunst.

Sind das weit in der Ferne liegende Pläne?

Ich weiβ nicht, ob ich das sagen soll… Nun gut, Architekten arbeiten bereits daran. Bei einer guten Idee, einem wertvollen Einfall, soll man nicht zögern, sondern ihn umsetzten. Geschäftspläne für die Evangelisation soll man nicht machen. Wenn es ein gutes Werk ist, dann wird Gott helfen. Und gute Menschen. Radio Maryja ist ein Beweis dafür. Für den Film „Abgebrochene Ähre“ haben Menschen ein Prozent ihrer Einkommenssteuer gespendet. Das ganze Projekt kostete 550.000 Zloty (ca. 130.000 Euro – Anm. RdP). Jeder kann nun sehen, wie sinnvoll das Geld ausgegeben wurde.

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„Beten ist immer die Rettung“. Kirche der Allerheligsten Jungfrau Maria – des Sterns der Neuen Evangeliserung und des Hl. Johannes Paul II. in Toruń. Aus Spenden gebaut und eingeweiht im Mai 2016 in unmittelbarer Nachbarschaft des Radio-Maryja-Funkhauses und der Radio-Maryja-Hochschule.

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Haben Sie heute das Gefühl, dass das Bestehen von Radio Maryja sicher ist? Es gab Jahre, in denen fast jeden Monat eine neue mediale Treibjagt auf Sie und das Radio begann. (…)

Dass der Radiosender ganz sicher ist, das kann ich nicht sagen. (…) Gegen uns arbeiten internationale Kräfte. Sie sind im Kampf gegen uns bis sehr weit nach oben vorgedrungen, leider auch innerhalb der Kirche. Sie haben verschiedene Methoden angewendet. Es gab Augenblicke, in denen war der Druck geradezu unerträglich, und das von allen Seiten. Rettung, Zuflucht und Kraftquelle für mich war damals das Gebet. Stundenlang habe ich in der Kapelle gekniet und Gott um Unterstützung gebeten. Beten ist immer die Rettung. (…)

Hatten Sie Angriffe erwartet?

Ich war vorbereitet, aber ich hätte nicht gedacht, dass es derartige Verleumdungen hageln würde, derartige Lügen, und dass sogar einige Geistliche ihnen Glauben schenken würden.

Die erfundene Maybach-Limousine oder ein Hubschrauber, den Sie für sich gekauft haben sollen.

Ich habe Maybachs – als Modellautos, die mir die Zuhörer geschickt haben (lacht). Als es veröffentlicht wurde, wusste ich nicht was ein Maybach ist. Später, bei einer Fahrt auf der Autobahn, hat man mir einen Maybach gezeigt. Nichts Besonderes, ein Auto eben.

Haben Sie versucht diese Information richtig zu stellen?

Das hatte damals (2004 – Anm. RdP) die „Gazeta Pomorska“(„Pommerische Zeitung” – Anm. RdP) in die Welt gesetzt. Mein Mitarbeiter, Pater Jan hat daraufhin den Chefredakteur angerufen und ihm gesagt, dass das nicht stimmt. Er antwortete: „Ja, aber wir haben es schon geschrieben und das ist jetzt eine Tatsache“. Er hat es nicht richtig gestellt. So funktioniert das.

Mit dem Hubschrauber war es so. Irgendjemand hatte uns gesagt, dass eine Firma Pleite gegangen sei und sehr preiswert eine solche Maschine verkaufen wolle. Ich dachte mir, das sollte man sich doch einmal ansehen. Ich wollte sie nicht für mich, sondern für unsere Techniker, die auf den damals noch miserablen Straβen lange unterwegs waren bis sie am anderen Ende Polens ankamen, um eine Sendeanlage zu reparieren. Für ein Radio bedeutet jede Stunde Schweigen einen Verlust von Zuhörern, und erst recht wenn es sich um einen ganzen Tag handelt!

Wir sind also hingefahren. Sie haben uns sogar auf einen Probeflug mitgenommen und ich konnte zum ersten Mal unser Radio von oben sehen. Doch der Preis war für uns unvorstellbar hoch. Danach stellte sich heraus, es war eine Provokation. Nicht die erste und sicherlich nicht die letzte.

Wir wurden sehr oft in ähnlicher Weise heimgesucht. Eine Zeitung hatte sogar dauerhaft zwei Mitarbeiter beauftragt uns rund um die Uhr zu beobachten. Die Armen mussten uns auflauern. (…)

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Briefmarke der Polnischen Post zum 25. Jahrestag der Gründung von Radio Maryja.

Man kann sich unter solchen Umständen leicht abkapseln, das Vertrauen in die Menschen verlieren. War es bei Ihnen so?

Nein. Ich fühle mich immer frei. Ich fürchte mich nur vor Gott, möchte vor dem Jüngsten Gericht bestehen, um nicht in die Hölle zu gelangen. Ich bange um mein Gewissen, aber ich werde nie kapitulieren. Andererseits erfahre ich auch unglaublich viel Wohlwollen. Vor einigen Jahren war das manchmal anders. Heute kommen die jungen Leute von selbst auf mich zu, grüβen, sprechen mich freundlich an.

Machen sie auch Selfies mit Ihnen?

Ja. Wenn ich nicht gerade sehr in Eile bin, dann willige ich ein, auch wenn ein solches Foto das Gesicht sehr entstellt (lacht).

Manche behaupten die „Gazeta Wyborcza“ (die linksradikale „Wahlzeitung“, eine unerbittliche mediale Gegnerin von Radio Maryja – Anm. RdP) sei im Begriff unterzugehen.

Das sind Märchen. Wie oft hat man schon darüber geschrieben. Wahrscheinlich bereiten sie wieder etwas vor, verpuppen sich. Sie sind doch gerade dabei einen neuen TV-Sender zu eröffnen, geben insgesamt um die zwei Dutzend Pressetitel heraus, haben Internetportale. Nur naive Menschen können so etwas behaupten. Ich lasse mich nicht täuschen. Allzu mächtige Kräfte stehen hinter ihnen, als dass sie abstürzen könnten.

George Soros (US-Milliardär, der in Polen viele linke Projekte, u. a. „Gazeta Wyborcza“ mitfinanziert – Anm. RdP) wird es nicht zulassen?

Es ist nicht nur der eine Soros. Hauptsache es gibt mehr Gutes in Polen.

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Pater Rydzyk und Jarosław Kaczyński. Text auf dem Plakat: „Wir flehen um Einigkeit im Vaterland‘.

Ein Jahr nach dem politischen Wechsel gibt es mehr davon? Wie beurteilen Sie die jetzige Regierung?

Vor allem hoffe ich, dass diejenigen die Regieren das Gute wollen. Bei vielen Regierungsmitgliedern sehe ich, dass es edle Menschen sind, dass sie für Polen arbeiten wollen. Oft höre ich im Ausland, dass man uns um diesen Staatspräsidenten, diese Regierung beneidet. Es sind Menschen die beten, die sich um ihr Land kümmern.

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Pater Rydzyk und Staatspräsident Andrzej Duda am Rande der Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag der Gründung von Radio Maryja in Toruń am 4. Dezember 2016.

Doch den Tag sollte man erst nach dem Sonnenuntergang loben und Menschen erst nach ihren Tod heiligsprechen. Jeder macht Fehler. Vor uns befinden sich Fallgruben und andere Fallen, und um sie herum viele Menschen aus den alten Seilschaften. Wir sehen, wie sie Sand ins Getriebe streuen. (…)

Ist es nicht ausreichend die politische Macht zu erobern, um zu regieren?

Nein, weil das Gewissen das wichtigste ist. Hochschulen, Medien, die Opposition sind nicht nur von anständigen Menschen bevölkert.

In den letzten Monaten haben diese Menschen nicht gescheut dazu aufzurufen Polen mit verschiedenen Strafen und Sanktionen zu belegen.

Ich sage es offen: Das ist Verrat. In Polen sollten wir unsere polnischen Probleme allein lösen. Nehmen wir etwa das „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“. Ich frage: welcher Demokratie? Vielleicht der sozialistischen? Das sind Menschen aus den alten Seilschaften. Nicht alle, einige wurden verführt, aber die meisten doch.

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Pater Rydzyk und Ministerpräsidentin Beata Szydło im Studio von Radio Maryja.

Es wird behauptet, Sie bekommen Millionen von Zloty von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit.

Das sind Verleumdungen. Ich habe nichts bekommen und ich habe Recht und Gerechtigkeit um nichts gebeten. Wenn es die Möglichkeit gibt eine offene, transparente Ausschreibung zu gewinnen, warum sollten wir nicht daran teilnehmen? Alles ist transparent, man sieht es, kann es überprüfen. (Im April 2016 bekam der Fernsehsender von Radio Maryja, Trwam von Kulturministerium 140.000 Zloty – ca. 33.000 Euro für eine Werbekampagne, die das Bücherlesen fördern soll zuerkannt – Anm. RdP).

Haben wir etwa keine Bürgerrechte? Steht uns etwa nicht das Recht zu geachtet zu werden? Neulich haben sie eine Frau zu uns geschickt, die mit einer Fratzenmaske Jarosław Kaczyńskis um unsere neue Kirche lief. Mit welchen Recht eigentlich? Hat Jarosław Kaczyński nicht schon genug gelitten?

Man kann mit jemandem anderer Meinung sein, aber man sollte sachbezogen diskutieren. Das was sie machen, bewegt sich auf einem sehr niedrigen Niveau. Dieses ständige Aufeinanderhetzen der Menschen tötet seelisch. Dasselbe haben sie nach der Tragödie von Smolensk (Absturz der polnischen Präsidentenmaschine am 10. April 2010, alle 96 Insassen kamen ums Leben – Anm. RdP) gemacht. Dieses Verhöhnen des menschlichen Todes, des Leidens. Das ist sehr unpolnisch, das gehört nicht zu unserer Zivilisation. Das ist so bolschewistisch (…)

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Wie sehen Sie die Zukunft Polens? Die Linke und die Medien wollen uns davon überzeugen, dass wir „entchristlichen“ müssen, das Erbe der abendländischen Kultur und der Nation von uns weisen sollen, dass wir den Weg des Westens gehen sollen.

Diese Leute verstehen nichts oder sie werden vom bösen Willen getrieben. Oder beides. Wir müssen nichts, wir können unseren eigenen Weg gehen. Und im Westen sollten sie aufpassen, dass ihnen die Moslems nicht auf ihre Art die Religion beibringen.

Die Zeiten sind unruhig geworden. (…)

Ja es ist sehr unruhig. Wir dürfen nicht den Grundsatz vergessen: willst du Frieden, bereite Dich auf den Krieg vor. Die vorherige Regierungsmannschaft hat uns entwaffnet. Es gibt kaum eine Armee. Standorte wurden geräumt oder ganz aufgegeben. Wachdienste bewachen die Kasernen und das Militär geht um 15 Uhr nach Hause. Es ist lächerlich.

Sie haben es auf alles abgesehen: auf die Armee, die Bildung, Kultur, den Geist, die Kirche. Das alles muss wieder aufgebaut werden und es ist gut, dass das geschieht.

Bis jetzt wurden die Polen vor allem dazu angehalten zu emigrieren, sich als Arbeitskräfte in reichen Ländern zu verdingen. Dieses Emigrieren zerrüttet die Familien, macht Kinder zu Euro-Waisen. Deswegen freue ich mich, dass endlich Hoffnung zu keimen beginnt. Wir sollten keine Minderwertigkeitskomplexe haben. Auch die Kirche in Polen darf keine Komplexe haben. Wir als Kirche müssen wir bleiben und der Wahrheit dienen.

RdP




Fenster mit Aussicht auf Leben

Die UNO wird sie nicht schlieβen.

Als Fenster des Lebens bezeichnet man in Polen das, was in Deutschland, etwas salopp, Babyklappe genannt wird, seitdem die erste im Jahr 2000 in Hamburg eröffnet wurde. Knapp sechzig solcher Fenster gibt es heute im Land. Sie sollen Kurzschlussreaktionen verhindern, wenn Schock, Panik und Verzweiflung Mütter dazu bringen ihre Neugeborenen irgendwo abzulegen und dem Tod auszusetzten.

Seitdem es in Polen die Fenster des Lebens gibt, und die Medien über jedes dort gefundene Baby berichten, ist die Zahl tot aufgefundener Kleinstkinder deutlich zurückgegangen. Dennoch werden immer noch bis zu zwei Dutzend tote Neugeborene pro Jahr auf Müllkippen, in Parks und Wäldern gefunden.

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Das Fenster des Lebens in Koszalin von Innen und von Auβen gesehen.

Als Ende Januar 2016 Schwester Malwina Iwanicka (fonetisch Iwanitzka) als Erste mitten in der Nacht das Klingeln hörte und hinunterlief, war klar, was das bedeutete. Zum ersten Mal seit sie vor sechs Jahren das lebensrettende Fenster in ihrem Kloster der Gemeinschaft der Töchter der Gottesliebe in Koszalin/Köslin eingebaut hatten, hatte jemand dort ein Neugeborenes zurückgelassen.

Der Junge war nur in eine Trainingsjacke eingewickelt, blutverschmiert und unterkühlt. Er musste erst kurz zuvor zur Welt gebracht worden sein, nicht einmal die Nabelschnur war abgebunden. Die Schwestern legten das Baby in ein vorgewärmtes Bettchen und riefen, wie vorgesehen, den Rettungsdienst herbei. Das Kind wurde umgehend ins Krankenhaus gebracht. Es schwebte in Lebensgefahr, so die Ärzte.

Zum Glück konnte Gabriel, diesen Namen haben ihm die Schwestern gegeben, selbständig atmen und wachte in einem Brutkasten wieder auf. Er wurde ins Register Aufgefundener Kinder eingetragen und kann adoptiert werden. Es sei denn, seine Mutter meldet sich und möchte ihn zu sich nehmen. Laut polnischem Recht hat sie sechs Wochen Zeit dazu und muss keinerlei strafrechtliche Folgen fürchten.

Entsprechende Fälle gab es bereits. So geschehen z. B. 2013 in Zamość. Dort hatten die Franziskanerinnen ein in ein weiβes Handtuch eigewickeltes Neugeborenes in ihrem Fenster des Lebens gefunden. Das Kind kam ins Krankenhaus, zwei Wochen später bestätigte das Gericht seinen Vornamen Piotr, den ihm die Schwestern gegeben hatten, und fügte noch einen Nachnamen hinzu, denn nur so konnte eine Geburtsurkunde ausgestellt werden. Der Kleine kam in ein Heim und sollte sehr bald Adoptiveltern vermittelt bekommen. Adoptionswillige Paare gibt es auch in Polen weit mehr als Neugeborene, die angenommen werden können.

Plötzlich jedoch erschien die Mutter bei Gericht mit dem Antrag auf Feststellung ihrer Mutterschaft. Die Gentests bestätigten dann, sie war Piotrs Mutter. Das Gericht gab ihr Piotr zurück, schränkte aber ihre Elternrechte ein. Mittlerweile kommt der Betreuer nicht mehr jede Woche sondern schaut nur noch alle drei Monate bei Mutter und Kind vorbei. Das ist nun ausreichend.

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Fenster des Lebens in Wrocław.

Manchmal allerdings, gibt es leider kein Happy End. Mitte März 2016 fanden die Borromäerinnen-Schwestern in Wrocław/Breslau in ihrem Fenster ein totes Baby. „Hoffentlich wird es Martyna woanders besser haben“, stand auf einem beigelegten Zettel. Das Mädchen war ein Frühgeborenes. Es kam etwa im sechsten Monat zur Welt und war kurz danach im Fenster abgelegt worden.

Einen glücklichen Ausgang hatte hingegen die Geschichte der kleinen Agata, die eines Tages in 2010 im Fenster des Lebens am Kloster der Schwestern der Hl. Familie von Nazareth in Kielce lag. Ärzte stellten fest, das Kind sei gesund und gut gepflegt. Wenige Stunden später meldeten sich die Mutter und deren Großmutter im Krankenhaus.

Die junge Frau konnte zwar nicht beweisen, dass sie die Mutter sei, als sie aber Agata auf den Arm nahm und das Kind vor Freude zu strampeln und zu lachen begann, war das Misstrauen überwunden. Die Mutter legte das Baby an ihre Brust an, und beide durften im Krankenhaus übernachten.

Pfarrer Krzysztof Banasik, stellv. Leiter der Caritas in Kielce, deren Büros sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Fensters befinden, ging der Sache nach und fand eine sehr typische Situation vor. Das Leben der jungen Frau, die einer zerrütteten Familie entstammte, war ganz und gar aus den Fugen geraten. Der Vater des Kindes, ein noch nicht erwachsener Tunichtgut, hatte sich aus dem Staub gemacht, genauso wie schon lange zuvor ihre alkoholabhängigen Eltern. Die im Krankenhaus mit erschienene Großmutter lamentierte nur, dass die Enkeltochter es nie im Leben schaffen werde die Kleine groβzuuziehen.

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Pfarrer Krzysztof Banasik.

Pfarrer Banasik beschaffte zwei Kinderwagen und die übrige Säuglingsausstattung, und das Sozialhilfezentrum der Stadt versprach längerfristige Unterstützung. Das wiederum veranlasste das Familiengericht Agata der Mutter anzuvertrauen, allerdings unter der Kontrolle einer Betreuerin. Mittlerweile ist eine solche Betreuung nicht mehr erforderlich.

Die Fenster des Lebens sollen auf jeden Fall die Anonymität garantieren: ruhige Lage, keine Kameras, kein helles Laternenlicht, das Fenster muss von Auβen leicht zu öffnen sein, der Innenraum ist warm und klimatisiert. Die meisten befinden sich in Klöstern und Krankenhäusern.

Das erste Fenster dieser Art in Polen wurde 2006 in Kraków von den Nazarethanerinnen-Schwestern eingerichtet. Drei Monate später lag dort ein kleiner Junge. Die Schwestern wussten in der ersten Aufregung nicht was sie tun sollten. Das Neugeborene war unterkühlt und sehr schwach. Die Ärzte konnten es retten. Das Baby bekam bald darauf eine Geburtsurkunde ausgestellt, nach einigen Monaten hatte es eine Familie gefunden, in der es aufwachsen kann.

Heute dauert es nicht mehr so lange, bis dass ein Kind in seine neue Familie darf. Seit 2006 wurde auf diese Weise allein in Kraków 18 kleinen Menschen das Leben gerettet. Im Jahr 2014 entkamen in ganz Polen 77 Neugeborene durch die Fenster womöglich dem Tod.

Derweil versucht das UN-Komitee für Kinderrechte seit 2012 ein Verbot von Babyklappen durchzusetzen. Im November 2015 wurde auch Polen von der UNO namentlich aufgefordert die Fenster des Lebens abzuschaffen, weil sie das „Recht der Kinder“ verletzen, die eigenen Eltern kennenzulernen. Zitat: „Zudem unterbleibe eine Abwägung des Rechts auf Leben und Entwicklung (Artikel 6 der Kinderrechtskonvention) mit dem Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Identität und auf Beziehungen zu seinen Eltern.“

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Marek Michalak, der Kinderrechtsbeauftragte des polnischen Parlaments.

Dieser Appell der UNO dürfte wirkungslos bleiben, denn bei der Abwägung, die in Polen keineswegs unterbleibt, kommen die polnischen Behörden zu einem anderen Schluss als die UNO.

Marek Michalak, der Kinderrechtsbeauftragte des polnischen Parlaments bringt die offizielle Haltung auf den Punkt, indem er sagt: „Das Recht auf Leben hat Vorrang vor dem Recht auf Identität. Die Fenster des Lebens sind der ein Teil der Alternative, deren anderer Part sind die Müllkippe, der Wald oder ein Kübel. Das UN-Komitee spricht von der Identität des Kindes. Das ist für uns kein Argument im Wettlauf um sein Leben.“

Die Behörden wissen sehr wohl, was sie tun wenn sie der UNO widersprechen. Eine andere Haltung wäre der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln und auch nicht durchsetzbar. Laut neusten Angaben kommen in Polen 99 Prozent der ungewollten Kinder in Krankenhäusern zur Welt und werden von dort zur Adoption vermittelt. Es geht also um das letzte eine Prozent. Dieses letzte Prozent soll auch eine Aussicht auf Leben haben.

© RdP




Hansdampf umgarnt die Massen

Am 21. Dezember 2015 starb Pater Jan Góra.

Für die Meisten war er ein Seelsorger und Visionär mit großer Ausstrahlung, der hunderttausende Jugendlicher, trotz aller Widrigkeiten und Ablenkungen der Moderne, für das Wort Gottes begeistern konnte. Es hieβ aber auch, er sei der Bürgerschreck der katholischen Kirche in Polen: eingebildet, eigensinnig, eigenmächtig, engagiert. Zweifelsohne war er einer der bekanntesten polnischen Geistlichen, vor allem, weil er niemanden gleichgültig lieβ.

Das unermüdliche Tun solcher Priester wie Jan Góra (fonetisch Gura) ist es, dass Leute wie den führenden Neomarxisten Polens, Sławomir Sierakowski in der linken „Gazeta Wyborcza“ (16. Januar 2016) entmutigt feststellen lässt: „Ohne die Schwächung der katholischen Kirche wird es keine nennenswerte Wählerschaft der Linken in Polen geben.”

An dieser Schwächung arbeiteten in der jüngsten Geschichte bereits nachhaltig und kontinuierlich: die deutsche Besatzungsmacht zwischen 1939 und 1945, die etwa fünftausend polnische Priester, Mönche und Nonnen in den Tod schickte (jeden fünften katholischen Geistlichen des Landes). Die sowjetischen und polnischen Kommunisten mit ihrer brutalen Atheismuspolitik. Nach 1989, die plötzliche Hinwendung zu Markt und Konsum, und mit ihr die klare „moderne“ Botschaft solcher Leute wie Sierakowski und der bis vor kurzem noch sehr einflussreichen „Gazeta Wyborcza“: Lieber Moneten als beten, Glaube und Kirche sind out.

Gewiss, die polnische Gesellschaft und mit ihr der polnische Katholizismus verändern ihr Gesicht, auch die Gläubigkeit polnischer Jugendlicher ist heute eine andere (wie diese aussieht, das kann man hier nachlesen). Vieles ändert sich in Polen, doch die Alltagsbeobachtung einer kraftvollen religiösen Vitalität, die von jungen Menschen mitgetragen wird, ist nach wie vor ganz bestimmt nicht trügerisch.

Glaube wie Luft und Wasser

Jan Góra wurde 1948 in Prudnik, einst Neustadt in Oberschlesien geboren. Mutter Helena, eine Textilarbeiterin, hatte ein Jahr zuvor Stanisław Góra, den Buchhalter der Fabrik, geheiratet. Beide waren polnische Vertriebene aus dem Osten des Landes, der 1945 endgültig an die Sowjets gefallen war. Sechs Kriegsjahre hatten sie schwer geprüft. Auf den kleinen Jan folgten schnell drei jüngere Brüder. „Der Glaube war in unserer Familie so selbstverständlich und allgegenwärtig, wie Luft, Wasser und Brot“, erinnerte sich Jahre später Pater Góra.

Geld war wenig vorhanden. Die Ferien verbrachte Góras ältester Sohn Jan regelmäβig auf dem Lande, in der Nähe der Stadt Tarnów, knapp dreihundert Kilometer östlich von Prudnik. Der Bruder des Vaters, ebenfalls mit dem Vornamen Jan, war dort Dorfpfarrer.

Der kleine Jan hat hautnah miterlebt, wie kommunistische Repressalien dem Priester das Leben schwer gemacht haben. Nach der Gleichschaltung aller Parteien, Verbände, Genossenschaften um 1948, war er, wie so viele andere Pfarrer, der einzige Fürsprecher, der den Dorfbewohnern geblieben war, in ihrer ständigen Auseinandersetzung mit der Willkür des kommunistischen Staates.

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Propaganda und Wirklichkeit. Landleben im kommunistischen Polen der 50er und 60er Jahre.

Dieser drückte den Bauern bei Nahrungsmitteln (Getreide, Kartoffeln, Schweine, Milch) immer höhere Zwangsabgaben (sog. Kontingente) zu Niedrigstpreisen auf. Wer sie nicht erbringen konnte, landete im Gefängnis, aus dem er nur herauskam, wenn er sich bereiterklärte der LPG (Kolchose) beizutreten.

Im Jahr 1956, im Zuge des politischen Tauwetters, das den Ostblock ergriffen hatte, endete die schlimmste Unterdrückung. Das Regime änderte seine Taktik. Statt auf Pseudo-Genossenschaften (LPGs), setzte es auf Staatsgüter. Diese erhielten jede erdenkliche staatliche Förderung, während den Privatbauern Kredite, knappe Maschinen, Kunstdünger, Baumaterial verwehrt wurden. Auf diese Weise sollten sie gezwungen werden ihr Land dem Staat gegen eine Altersrente zu überlassen. Das Ziel der endgültigen „Entprivatisierung“ der Landwirtschaft, die linientreue sowjetische und DDR-Genossen bei Polens Kommunisten ständig anmahnten, sollte hierdurch, auf Umwegen, erreicht werden.

Armut, Verfall, Ungerechtigkeit, Willkür, Landflucht, das Leben auf dem Dorf im Polen der 50er und 60er Jahre war sehr hart. Der Wille Priester zu werden keimte bei Jan sehr früh auf, aber eines Tages solchen Widrigkeiten die Stirn bieten zu müssen wie der Onkel, das überstieg in seiner Vorstellung damals noch seine Kräfte. Vergeblich hoffte Onkel Jan, der Neffe würde auf ein reguläres Priesterseminar gehen und später Gemeindepfarrer werden. Stattdessen klopfte Jan Góra im August 1966 an die Pforte des Dominikaner-Klosters in Poznań. Sechs Jahre später legte der 24-jährige sein ewiges Mönchsgelübde ab, nach weiteren drei Jahren erhielt er die Priesterweihe.

Ein Kumpel der fordert

Er war tief gläubig, aber Demut war nie seine Stärke. Góras Glück waren seine Vorgesetzten, die sein Temperament und seinen Tatendrang zum Wohle der Kirche und des Kirchenvolkes zu nutzen wussten. Von allen Seiten durch den kommunistischen Staat bedrängt, von der Nation verehrt und in die ungewollte, aber wahrgenommene Rolle der Fürsprecherin der Freiheit gedrängt, musste die Kirche ständig improvisieren. Dabei war Pater Góra in seinem Element.

Góra hoffte, die Dominikaner würden ihn weiter studieren lassen. Das bereits absolvierte Theologiestudium allein genügte ihm nicht. Doch stattdessen landete er 1975 im mittelpolnischen Tarnobrzeg (fonetisch Tarnobscheg), einer heute knapp fünfzigtausend Einwohner zählenden Stadt, in deren Nähe die Kommunisten damals gerade Europas gröβten Schwefeltagebau in Betrieb genommen hatten. Nach 1989 unrentabel geworden, hat sich dieses Gebiet inzwischen in eine Seenlandschaft verwandelt.

Als Pater Góra dort eintraf wurde die Kleinstadt, mit damals nicht einmal zwanzigtausend Einwohnern, von einem Ring aus Plattenbau-Siedlungen für zugezogene Arbeitskräfte umgeben. In den neu entstandenen Siedlungen durften, wie damals auch anderswo in Polen, natürlich keine Kirchen gebaut werden. Je weiter und beschwerlicher der Weg zur Kirche, umso weniger Kirchgänger, so das Kalkül der Kommunisten.

Pater Jan sollte hier den Religionsunterricht unterstützen. Den  hatten die Behörden bereits 1961 aus den Schulen verbannt, er durfte nur noch nachmittags in den Gotteshäusern stattfinden. Damit wollte der Staat die Kirche treffen, erreichte jedoch das Gegenteil. Denn auf diese Weise verlor er die Kontrolle über die Katechese und der freiwillige Gang zum Religionsunterricht wurde unweigerlich zu einer bewussten und demonstrativen politischen Geste.

Weiβe Kutte, lange Haare, abgetragene Wrangler-Jeans (ein in der kommunistischen Mangelwirtschaft schwer erfüllbarer Traum eines jeden jungen Polen), Turnschuhe, häufig einen kessen Spruch auf den Lippen, Pater Jan wurde schnell zum Idol der Jugend in Tarnobrzeg. Alle wollten in seinen Religionsunterricht, seine Gottesdienste waren übervoll. Er predigte kurz und prägnant, statt der Orgel erklangen Gitarren. Lange bevor das Klingelzeichen des Messdieners den Beginn der Jugendmesse verkündete, verscheuchte Pater Jan ältere Frauen aus der Kirche: „Geht nur, geht. Ihr könntet sonst noch den Glauben verlieren.“

Sich einschmeicheln, sich anbiedern, das war ihm fremd. Er war witzig und kumpelhaft im Umgang, oft lässig im Auftreten, zugleich aber stets klar in seinen Aussagen, wenn es um die katholische Morallehre ging. Vor den jungen Leuten stand ein missionierender Enthusiast, dem man es auf Anhieb ansah, dass er sie versteht, dass sie ihm wichtig sind, dass er sie nicht im Stich lässt, auch wenn er ihnen immer wieder mal die Leviten las.

Den Behörden in Tarnobrzeg war er zu erfolgreich. Sie bedrängten den örtlichen Bischof so lange, bis Pater Jan, nach drei Jahren, zu seinen Dominikanern nach Poznań zurückbeordert wurde.

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Dominikaner-Kirche in Poznań.

Jetzt hatten die kommunistischen Behörden in Poznań ein Problem mehr. Die geräumige Dominikaner-Kirche im Stadtzentrum war zwischen Ende der 70er und Ende der 80er Jahre an jedem Sonntag um 17 Uhr brechend voll. Dicht an dicht lauschten Schüler und Studenten den Predigten von Pater Jan.

Unter ihnen die drei Gymnasiasten: Paweł Kozacki, Tomasz Dostatni und Wojciech Prus. Der Erste von ihnen ist heute Prior aller polnischen Dominikaner, der Zweite – Pfarrer und namhafter katholischer Publizist, der Dritte, ebenfalls ein Mitbruder, leitet den Dominikaner-Verlag in Poznań. „Ich wollte so sein wie Góra“, sagt Prus heute.

„Darf ich mich mit Ihnen anfreunden?“

Als Kind lernte Jan Góra während seiner Ferienaufenthalte in der Gegend von Tarnów auch das verfallene Dorf Jamna kennen. Im Zuge einer Antipartisanenaktion hatten deutsch-ukrainische Unterverbände der SS-Division „Galizien“ Jamna Ende September 1944 niedergebrannt, die Einwohner wurden ermordet. Geblieben war auf einer Anhöhe das ruinierte, alte Schulgebäude. Ein verlassener Ort.

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Jamna, eines von Pater Góras Werken: von Deutschen im Krieg niedergebranntes Dorf in Jugend-Seelsorge-Zentrum „Respublica Domincana“ verwandelt.

1992 schenkte die Gemeinde den Dominikanern aus Poznań diese Anhöhe. Nach und nach verwandelte Pater Jan Góra sie gemeinsam mit hunderten jugendlicher Helfer in das Jugend-Seelsorge-Zentrum „Respublica Domincana“. Die Schule und weitere verfallene Gebäude wurden renoviert oder neu gebaut. 2001 war die Holzkirche fertig, errichtet im schönen, ortsüblichen Baustil der Goralen, der Berghirten- und Bauern, die die hohe Tatra und die Vortatra-Region bewohnen. Studenten, Pfadfinder, aber auch Jugendliche, die Probleme haben und die Seelsorge der Dominikaner in ganz Polen in Anspruch nehmen, gehen in Jamna das ganze Jahr über ein und aus.

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Neue Kirche in Jamna.

„Es gibt vier Personen, die aus Nichts etwas machen können: die Dreifaltigkeit und Jan Góra.” Dieser Ausspruch passte sehr gut zum Aquarell, das in seinem Arbeitszimmer hing. Demutsvoll beichtete darauf ein Mann dem Dominikaner-Pater seine Sünde: „Ich habe Pfarrer Jan nicht geholfen.“

Jan Góra wurde nie müde zu verkünden, die Dominikaner seien ein Bettelorden und er habe das Betteln perfekt zu beherrschen gelernt. Traf er vermögende Leute, dann lieβ er seinen Standardspruch hören: „Darf ich mich mit Ihnen anfreunden?“ Er liebte es zu erzählen, wie er Lednica dank Damenhöschen gekauft hat.

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Ob Esel, Unternehmer oder Papst. Es gab niemanden, den Pater Góra in seine Werke nicht einspannen konnte.

Eines Tages kam eine Dame zu ihm, die ihr Herz erleichtern wollte. Nach einem längeren Gespräch zeigte Góra ihr ein Schreiben von Johannes Paul II., in dem der Papst dessen Vorhaben segnete. „Ich habe den Segen, aber ich habe kein Geld“, sagte Pater Góra zu ihr. „Und ich habe Geld, aber keinen Segen“, antwortete die Frau. Sie erzählte ihm, sie habe eine Firma die Damenunterwäsche herstelle. Pater Góra daraufhin: „Darf ich mich mit Ihnen anfreunden?“. Zwei Tage später fertigte der Notar zu Gunsten der von Pater Góra ins Leben gerufenen Stiftung eine Urkunde über den Erwerb von 40 Hektar Land in der Nähe des Lednica-Sees aus.

Lednica war sein gröβtes Werk

Das katholische Lednica-Jugendfestival war Pater Góras liebstes Kind und sein gröβtes Werk. Es findet seit 1997 am ersten Samstag im Juni statt. Neunzehnmal rief er die Jugendlichen auf, zu den Wiesen zwischen Poznań/Posen und Gniezno/Gnesen, zum gröβten katholischen Jugendtreffen der Welt ohne Anwesenheit des Papstes zu kommen.

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Der Fisch von Lednica als Tor und als Altar.

Es ist ein geschichtsträchtiger Ort, denn auf der Insel Ostrów im Lednica-See lieβen sich der polnische Fürst Mieszko I. und sein Hofstaat im Jahr 966 taufen. Die Geschichte des polnischen Staates nahm so ihren Anfang. „Hier hat Polen Christus gewählt. Auch ihr habt das gemacht, als ihr herkamt“, rief Pater Góra jedes Mal zur Begrüβung den jungen Menschen zu, die durch das groβe Tor strömten, das dem christlichen Symbol des Fisches nachempfunden ist. Es dient auch als Altar.

Die während der ganzen Nacht stattfindende Gebetswache ist voller Musik, Tanz, Symbole. Hunderte von Priestern, Mönchen, Nonnen sind dort als Ansprechpartner zugegen. Am Rande wirde gebeichtet, gebetet, geredet über Gott und die Welt.

Am 2. Juni 1997 kreiste der Hubschrauber mit Johannes Paul II. an Bord über den Wiesen von Lednica und Zehntausende winkten ihm zu. Der Papst war wieder einmal zu Besuch in seinem Heimatland. Eingebunden in ein dichtes Programm, wollte er auf Pater Góras Bitten hin, wenigstens mit dieser Geste zeigen, wie wichtig ihm die Jugend von Lednica ist.

Pater Góra bewegte Himmel und Erde, um die Jugend zum Kommen zu bewegen. Fallschirmspringer landeten auf den Lednica-Wiesen, Kunstflieger zeigten ihr Können. Das eine Mal bekam jeder Teilnehmer eine Lebkuchenpackung, dann wiederum ein kleines Messingkreuz, ein buntes Halstuch oder einen Brevier. Ganz Polen schrieb für Lednica per Hand die Bibel ab. Góra setzte den bereits gebrechlich gewordenen Primas von Polen Józef Glemp in ein wackeliges Boot, um eine brennende Fackel von der Insel Ostrów zu den Wiesen zu bringen. Einmal wollte er Mini-Weinfläschchen verteilen, benötigte dafür einhunderttausend kleine Korken. Er schrieb an den Bischof im portugiesischen Porto, wo Korkeichen wachsen, und bekam was er brauchte.

Auch den Papst verstand er für seine Ideen zu begeistern

Selbst Johannes Paul II. hatte Pater Góra sich um den Finger gewickelt. Der Papst bewunderte sein Engagement, seine verrückten Ideen, seinen Erfolg bei der Jugend. Schlieβlich ging es um die Zukunft der Kirche. So lange er lebte, nahm er jedes Jahr eine kurze Rede auf, die bei der Eröffnung von Lednica abgespielt wurde. Er segnete die Geschenke für die jungen Pilger, aber das alles war Pater Góra zu wenig.

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Pater Góra und Johannes Paul II: „Kann mir jemand sagen weshalb ich mich auf diesen Kerl eingelassen habe?“

Bei einem der privaten Mittagessen, zu dem er im Vatikan hinzu gebeten wurde, bat er den Papst einen Abguss von dessen Hand nach Polen mitnehmen zu dürfen. Am Abend tauchte Johannes Paul II. die rechte Hand in ein Gefäβ mit flüssigem Silicon. Mit dem Zeigefinger der linken Hand klopfte er gegen seine Stirn und fragte lachend seinen Sekretär Pater Dziwisz: „Kann mir jemand eigentlich sagen weshalb ich mich auf diesen Kerl eingelassen habe?“
Im Seelsorge-Zentrum von Lednica gibt es ein kleines Johannes-Paul II.-Museum. Der Abguss ist dort nicht zu übersehen.

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Bei Pater Góras Wirken und Werken hatte Johannes Paul II. seine Hand oft im Spiel. Der Abguss der Papst-Hand in Lednica soll daran erinnern.

In seinem Leben forderte er stets Höchstleistungen von sich, schonte sich nicht. Er starb so wie es einem Priester wie ihm zustand: vor dem Altar, während er die Messe zelebrierte.

Pater Jan Góra fand seine letzte Ruhestätte auf den Lednicer Wiesen. Staatspräsident Andrzej Duda verlieh ihm posthum das Groβkreuz des Ordens der Wiedergeburt Polens (Polonia Restituta). Das Lednica-Jugendfestival wird 2016 zum zwanzigsten Mal stattfinden. Das erste Mal ohne ihn.

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© RdP




Zwei Leben für den Glauben

Polnische Märtyrer selig gesprochen.

Es dauerte drei Tage bis die Nachricht von ihrer Ermordung aus der tiefsten peruanischen Provinz nach Europa durchdrang. Pater Jarosław Wysoczański erfuhr davon am 12. August 1991 in Kraków aus dem Fernsehen. Drei polnische Franziskaner waren auf Mission in Pariacoto. Nach drei Jahren sollten sie nacheinander den Heimaturlaub antreten. Pater Jarosław fuhr als erster. Die Hochzeit seiner jüngsten Schwester stand bevor. Sie hatte ihn gebeten, die Trauung vorzunehmen und rettete ihm damit das Leben.

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Pater Jarosław Wysoczański koordiniert seit seinem schweren Autounfall in Uganda, in Rom weltweit die Missionsarbeit der Franziskaner, und legt Zeugnis ab von der Arbeit seiner beiden Mitbrüder in Pariacoto.

Am folgenden Tag landete Johannes Paul II. auf dem Flughafen von Kraków zu seinem vierten Polen-Besuch. Eine seiner ersten Stationen war die Franziskanerkirche und das angrenzende Franziskanerkloster. Er wollte dort am Grab von Aniela Salwa beten, die er kurz zuvor, während einer Messe auf dem Krakauer Hauptmarkt, selig gesprochen hatte. Pater Jarosław durfte am Grab der soeben Seliggesprochenen Fotos der beiden ermordeten Mitmissionare anbringen, deren Eltern ebenfalls anwesend waren. Als sich der Papst von den Knien erhob, stellte ihm sein Sekretär, Bischof Dziwsz Pater Jarosław vor.

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Kraków, 13. August 1991. Johannes Paul II. betet am Grab von Aniela Salwa, an dem Pater Jarosław Wysoczański Fotos der in Pariacoto ermordeten Missionare angebracht hat.

„Johannes Paul selbst war bis zu diesem Zeitpunkt zweimal in Peru gewesen. Im Februar 1985, in Ayacucho, der Wiege des marxistischen Terrorismus, rief er während seiner Predigt, sichtlich erschüttert vom Ausmaβ der dort geschehenen Morde, mit bebender Stimme die Peruaner auf endlich Frieden zu schlieβen. Er kannte die Lage. Am Ende unseres kurzen, im Flüsterton geführten Gesprächs, sagte er zu mir: »Bleib tapfer. Wir haben zwei neue Märtyrer für den Glauben.« Er umarmte mich, segnete die verzweifelten Eltern und ging, umgeben von einem Pulk von Offiziellen und Begleitern.“, erinnert sich Pater Jarosław.

Zwei Geschichten werden eins

Im Jahr 1970 gründete Abimael Guzmán, Philosophieprofessor an der Universität in Ayacucho, eine radikale marxistische Organisation. Es sei an der Zeit, so Guzmán, dass das arme peruanische Volk die Macht übernehme und eine Kulturrevolution nach chinesischem Vorbild das Land erfasse. Mitte der 70er Jahre ging Guzmán in den Untergrund und wurde Anführer der Guerilla-Bewegung „Leuchtender Pfad“ (Sendero Luminoso). In der zweiten Hälfte der 80er und Anfang der 90er kontrollierte sie große Teile des Landes und hinterlieβ eine blutige Spur. Exzesse, wie das Massaker von Lucanamarca, bei dem die Kommunisten im April 1983 insgesamt 69 Bauern mit Macheten ermordeten, darunter 20 Kinder, waren keine Ausnahme. Etwa 70.000 Menschen haben ihr Leben verloren bis Guzmán im September 1992 gefasst und zu lebenslänglicher Haft verurteilt werden konnte.

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Terroristenführer Abimael Guzmán als Angeklagter vor Gericht in Lima im September 1992.

Die zweite Geschichte begann ebenfalls 1970, im Mai, in Pariacoto, einer Dreitausendseelen-Siedlung, gelegen in einem von den Anden umgebenen Talkessel. Ein gewaltiges Erdbeben verwüstete damals diese Gegend, knapp 70.000 Menschen kamen ums Leben. Monate vergingen bis Rettungsmannschaften in die letzten Winkel des Erdbebengebietes vorgedrungen waren.

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Opfer des kommmunistsichen Massakers von Lucanamarca vom April 1983 werden zu Grabe getragen.

Auch das ärmliche Pariacoto wurde schwer verwüstet. Peruanische Bischöfe schickten einige Nonnen, mit deren Hilfe die Siedlung nach und nach notdürftig wieder hergerichtet wurde. Die Seelsorgerinnen betreuten, und so ist es auch heute, weitere siebzig kleine, in den bis zu 5.000 m hohen Bergen verstreute Dörfer. Der Ritt in die entferntesten von ihnen dauerte zwei Tage. Es gab weder Wasser, noch Strom. Ein Wanderarzt kam alle drei bis vier Wochen auf dem Esel vorbei um nach seinen Patienten zu sehen.

Die zweite Heimat

Im Jahr 1988 kamen die drei polnischen Missionare: Jarosław Wysoczański (27 Jahre alt), Zbigniew Strzałkowski (phonetisch Stschalkowski) (30 Jahre), Michał Tomaszek (31 Jahre alt).

Als erstes kümmerten sie sich um die Wasserversorgung, holten Ingenieure in die Siedlung, die wussten wie man Wasser findet und es für die Versorgung speichert. In den Anden entspringt das Nass in den puquio, kleinen unterirdischen Quellen, die durch die ständig auftretenden kleineren Beben ihre Lage verändern. Deswegen war es so wichtig, dass sich alle Einwohner in das Vorhaben einbringen. „Es war erhebend zu sehen, wie eine Frau, die früher stundenlang das Wasser in Eimern kilometerweit herbeigeschleppt hatte, jetzt den Wasserhahn vor ihrem Haus aufdrehte um ihre Blumen zu gieβen. Die Wüste wurde zur Oase“, berichtet Pater Jarosław.

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Es galt auch die Seelsorge von Pariacoto aus in siebzig kleine Bergdörfer hoch in den Anden zu bringen.

Sie waren nur mit dem gekommen, womit sie vor den Andenbewohnern standen. Im Rucksack die Bibel, die Kutte, ein Paar Habseligkeiten. Ihre Bescheidenheit war der Passierschein in die Herzen der Indios. Sie arbeiteten Hand in Hand mit ihnen beim Bau der Wasserleitung, beim Ausbau der Kirche, beim Ausbessern der Straβe, beim Aufstellen der Masten, damit die Siedlung wenigstens zwei Stunden am Tag Strom aus Aggregaten nutzen konnte. Sie schufteten im Staub und kauten, wie die Einheimischen, Kokablätter, um in der dünnen Andenluft körperlich mithalten zu können. Sie organisierten Medikamente und brachten Kranke den viele Stunden dauernden Weg ins Hospital.

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Der Ritt in die entlegendsten Andendörfer dauerte bis zu zwei Tage.

Pater Zbigniew hat mir so das Bein gerettet. Es war von Wundbrand befallen. Bewusstlos hat er mich auf dem Esel einen ganzen Tag lang bis ins Krankenhaus transportiert“, berichtete Monate nach dem Mord einer der Indios dem überlebenden Pater Jarosław.

Pater Michał klapperte alle Häuser in der Siedlung ab, um die Eltern dazu zu bewegen die Kinder zweimal in der Woche, am Nachmittag, zum Religionsunterricht in die Kirche zu schicken. Das gab es vorher nicht. Als sein Leben zu Ende ging, war die Kirche stets voller Kinder, denen er die Bibel vorlas und erklärte, denen er das Singen beigebracht hat.

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Bescheidenheit und schwere Arbeit waren ihr Passierschein in die Herzen der Indios.

Die erste Heimat

Alle Drei stammten aus Kleinstädten in Südostpolen, der einzigen Gegend des Landes, wo der Zweite Weltkrieg zwar gewütet hatte, die sozialen Strukturen davon aber weitgehend unberührt geblieben waren. Ostpolen, seit 1945 zum Gebiet der damaligen Sowjetunion gehörend, das völlig zerstörte und entvölkerte Warschau, Groβpolen mit Poznań, die ehemaligen deutschen Ostgebiete, überall hatten Deutsche und Sowjets Hunderttausende von Polen ermordet, um- und ausgesiedelt.

Die südöstliche Ecke des nach 1945 auf der Europakarte völlig neu geformten Landes blieb jedoch so, wie sie vom Ursprung her war: kleinbäuerlich, tiefgläubig, nationalbewusst. Sogar die Kommunisten bissen sich daran letztendlich die Zähne aus. Die Kollektivierung der Landwirtschaft scheiterte. Trotz Verfolgung und Behinderung des Glaubens war junger Nachwuchs an Nonnen, Mönchen und Priestern, gerade in dieser Gegend, immer besonders zahlreich.

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Die späteren Missionare Michał Tomaszek (links) und Zbigniew Strzałkowski am Anfang ihre Noviziats bei den Franzisaknern in Kraków 1980.

Die drei jungen Männer lernten sich 1980 während des Noviziats bei den Franziskanern in Kraków kennen. Polen befand sich zu dieser Zeit in Aufruhr. In den letzten Augusttagen endeten die groβen Streiks an der Küste und in Oberschlesien. Solidarność, die erste freie Gewerkschaft im kommunistischen Machtbereich, entstand. Das Land streikte, debattierte, demonstrierte, kostete die Freiheit aus, die die in die Defensive gedrängten regierenden Kommunisten erst einmal nicht einzudämmen vermochten.

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Studentenpfarrer, Mystiker und Graf Joachim Badeni.

Wenn sie konnten, rannten die Drei in die Jagiellonen Universität, wo es nur so brodelte von Diskussionen, Flugblättern, Happenings. An Sonntagen galt es rechtzeitig in der Dominikanerkirche zu sein, bevor sie randvoll mit Menschen gefüllt war, die wie gebannt den Predigten des legendären Studentenpfarrers, Mystikers und Grafen Joachim Badeni oder des berühmten Priesters, Philosophen und Solidarność-Theologen Józef Tischner lauschten.

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Philosoph und Solidarność-Theologe, Pfarrer Józef Tischner.

Das am 13. Dezember 1981 ausgerufene Kriegsrecht setzte fast all dem ein Ende, nur die Kirchen blieben als Freiräume erhalten. Schauspieler, Musiker, Schriftsteller, die aus Protest massenhaft das Staatsfernsehen- und den Rundfunk boykottierten, gaben Lesungen, Konzerte und Vorstellungen unter dem Dach der Kirche. Bei den Krakauer Franziskanern, unter den atemberaubenden Glasmalereien Wyspiańskis, gerieten diese Auftritte zu Mysterien der Freiheit. Das alles formte die drei jungen Männer aus der Provinz, festigte ihre Charaktere, machte sie unempfänglich für die lateinamerikanische Befreiungstheologie, die marxistische Gewaltideen mit dem Christentum vermischte.

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In der Zeit des Kriegsrechts gerieten die Auftritte oppositioneler Künstler bei den Krakauer Franziskanern, unter den atemberaubenden Glasmalereien Wyspiańskis (hier „Gott Vater – Werde“), zu Mysterien der Freiheit.

Der Tod schleicht um Pariacoto

Im Jahr 1991 schließlich trafen beide Handlungen aufeinander. Die Terroristen wollten, dass die Welt sie wahrnimmt.
„Bis dahin wurden Kirchenleute in Ruhe gelassen“, berichtet Pater Jarosław. „Als erste haben sie die australische Herzjesu-Schwester Irene McCormac ermordet.“ Eine Terroristin richtete sie am 21. Mai 1991 in der Stadt Huashuasi mit einem Kopfschuss hin.

„Der Leuchtende Pfad wollte siebzehn Kilometer weiter, im Nachbardorf Yaután ein Schulungszentrum einrichten, um seine Ideologie zu verbreiten. Zuerst brachte die Guerilla bei einem nächtlichen Überfall die beiden Polizisten, den Anwalt und einen Fuhrunternehmer um. Wir sind dort hingefahren, um die Menschen zu trösten. Die Guerilleros haben daraufhin unsere Telefonleitung vernichtet. Dann flohen der Bürgermeister von Pariacoto, die Gemeindevorsteher und alle Polizisten aus den umliegenden Dörfern. Der Leuchtende Pfad wollte keine Vertreter der Verwaltung und keine Respektspersonen in der Gegend haben. Wir waren die letzten“, erzählt Pater Jarosław.

Mord auf dem Friedhof

Er ist überzeugt, dass die Terroristen seine Mitbrüder wegen der Propagandawirkung umgebracht haben. Johannes Paul II. sollte in wenigen Tagen seine Heimat besuchen. Der Tod zweier polnischer Missionare würde umso mehr für Aufsehen sorgen.

Als sie spätabends am 9. August 1991 in das kleine Kloster eindrangen, wollten sie auch die drei jungen peruanischen Postulanten mitnehmen. Pater Michał hat sie ihnen entrissen und in die Kapelle gebracht. Eigentlich planten die Terroristen in Pariacoto, wie sie es meistens zu tun pflegten, ein „Volkstribunal“ zu veranstalten. Doch die Einwohner wollten nicht kommen.

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Die peruanische Nonne, Schwester Berta Hernandez. Eine mutige Frau, die bis zuletzt von der Seite der Missionare nicht weichen wollte.

„Anklage“ wurde auf ihrem Pickup erhoben. Sie hätten den Menschen die Bibel nahegebracht, die Religion aber sei das „Opium fürs Volk“. Sie hätten Armen zu essen gegeben, so etwas schläfert den revolutionären Geist ein. Zeugin war die peruanische Nonne, Schwester Berta Hernandez, eine mutige Frau, die bis zuletzt von der Seite der Missionare nicht weichen wollte. Pater Zbigniew schwieg. Pater Michał sagte nur: „Wenn wir uns geirrt haben, dann sagt uns worin.“

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Das Todesurtei an den Rücken gepinnt: „So enden Lakaien des Imperialismus“.

Das Auto fuhr los, Schwester Berta blieb zurück. Auf dem Friedhof streckten zwei Kopfschüsse die Opfer nieder. Am Rücken von Pater Zbigniew heftete ein blutverschmierter Zettel „So enden Lakaien des Imperialismus“. Zwei Wochen später starb in der Ortschaft Vinzos der italienische Missionar, Pfarrer Alessandro Dordi auf dieselbe Weise.

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5. Dezember 2015. Während der Seligsprechungs-Feierlichkeiten im Fuβballstadion der westperuanischen Stadt Chimbote

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Briefmarke der Polnischen Post vom Dezember 2015, anlässlich der Seligsprechung der beiden Missionare.

Alle drei wurden knapp ein Vierteljahrhundert später, am 5. Dezember 2015, während der Feierlichkeiten im Fuβballstadion der westperuanischen Stadt Chimbote selig gesprochen.

PaterJarosław Wysoczański ging als Missionar nach Uganda. Nach einem schweren Autounfall wurde er nach Rom versetzt, von wo aus er die Missionsarbeit der Franziskaner weltweit koordiniert.

Die polnischen Franziskaner sind in Pariacoto geblieben. Heute setzt dort Pater Jacek Lisowski die Arbeit der Märtyrer fort.

© RdP




24. Dezember 2015. Sie schreiben, wir antworten

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