Migranten attackieren Polens katholische Gewissen

Nicht jeder ist ein Gast.

Wie sollen Katholiken mit den Geschehnissen an der polnischen Ostgrenze umgehen? Steht die Empfindsamkeit des Herzens der Vernunft des Handelns im Wege? Soll man jenen helfen, die sich den Eintritt in unser Haus mit Gewalt verschaffen? Wie kann man helfen, ohne die Gesetze zu brechen?

Auf diese und viele andere Fragen geht ein hoher katholischer Geistlicher ein, der sein seelsorgerisches Amt unmittelbar am Ort des Geschehens versieht.

Erzbischof Józef Jan Guzdek.

Erzbischof Józef Jan Guzdek,

ist Jahrgang 1956 und Doktor der theologischen Wissenschaften. Er wurde 1981 zum Priester geweiht und empfing 2004 das bischöfliche Sakrament. Guzdek war Weihbischof der Erzdiözese Krakau und ist seit 2010 Militärbischof der polnischen Armee. In dieser Eigenschaft wurde er 2015 zum Brigadegeneral befördert. Im Juli 2021 ernannte ihn Papst Franziskus zum Erzbischof von Białystok.

Erzbischof Józef Jan Guzdek in seiner Eigenschaft als Militärbischof der polnischen Armee.

Die östliche Grenze der Diözese Białystok stimmt auf einer Länge von etwa 200 Kilometern mit dem Verlauf der polnisch-weißrussischen Grenze überein. Guzdek soll nach dem Willen des Papstes das Amt als Militärbischof bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterbekleiden.

Kürzlich haben Sie in einer Ihrer Predigten gesagt, dass Migranten, die versuchen, unsere Ostgrenze zu überqueren, auf verantwortungsvolle Weise geholfen werden sollte. Welche Art von Hilfe haben Sie gemeint?

Diözese Białystok

Ein Christ, der einen Menschen in Not sieht, sollte nicht nach dessen Herkunft, Wohnort oder Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft fragen. Gemäß dem Geist des Evangeliums ist er verpflichtet, ihn als Nächsten zu sehen, an dem man nicht einfach vorbeigehen darf und der versorgt werden muss.

Allerdings muss jeder karitativen Hilfe eine Abwägung vorausgehen, was der in Not geratene Mensch braucht: Eine einmalige, vorübergehende Unterstützung oder eine langfristig angelegte Hilfe? Außerdem ist es wichtig, solche Menschen, wo immer möglich, dazu anspornen, selbst zurechtzukommen.

In jüngster Zeit sehen wir, wie notwendig es ist, Flüchtlingen und Migranten zu helfen, die nach dem Überqueren der polnisch-weißrussischen Grenze in Wäldern kampieren und dort vor allem durch Erschöpfung, Unterernährung, niedrige Temperaturen und manchmal durch Krankheiten dem Tod ausgesetzt sind. Die Botschaft des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter besteht darin, die Empfindsamkeit des Herzens mit der Vernunft des Handelns, mit Sachverstand und einer gewissen Ordnung zu verbinden.

Deswegen ist es wichtig, an dieser Stelle den Rat des Apostels Paulus anzuführen: „Wer aber für seine Verwandten, besonders für die eigenen Hausgenossen, nicht sorgt, der verleugnet damit den Glauben und ist schlimmer als ein Ungläubiger“ (1. Timotheus 5,8). Einen ähnlichen Hinweis gab seinerzeit der Primas von Polen Stefan Kardinal Wyszyński (1901-1981 – Anm. RdP), der seit dem 12. September 2021 zum Kreis der Seligen gehört. Man solle zuerst an die „Pflichten gegenüber den Kindern der eigenen Nation“ denken und erst dann anderen Völkern helfen.

Viele Katholiken fragen sich, was sie in der gegenwärtigen Situation tun sollen. Die Grenze für Migranten öffnen oder sie schließen und niemanden hineinlassen? Und wenn doch jemand durchkommt, sollen wir ihm helfen oder die staatlichen Stellen informieren?

Migranten, die die Grenze illegal überquert haben, müssen unbedingt die notwendige Unterstützung erhalten: Lebensmittel, warme Kleidung, Gelegenheit zum Aufwärmen. Das darf jedoch nicht zu Rechtsverstößen führen, zum Beispiel zur Beförderung von Migranten ins Landesinnere oder in ein anderes Land. Migranten, die in unserem Land Schutz und Betreuung benötigen, müssen die für solche Fälle vorgesehene Rechtsordnung respektieren und entsprechende Verfahren durchlaufen. Es gibt Möglichkeiten, einen ordnungsgemäßen Asylantrag zu stellen.

Es ist nicht die Aufgabe eines barmherzigen Menschen, die Motive eines illegalen Migranten zu beurteilen. Ob es sich um einen Menschen handelt, der ein besseres Leben sucht, oder um jemanden, der Verbrechen begangen hat und vor der Justiz flieht. Jemand der hilft ist auch nicht in der Lage zu erkennen, ob der Ankömmling in mafiöse oder terroristische Aktivitäten verwickelt ist. Dafür sind entsprechende staatliche Stellen da. Sie müssen jeden überprüfen, der über die grüne Grenze gekommen ist.

Polen ist für seine Gastfreundschaft bekannt. Aber bezeichnen wir jemanden, der im Schutze der Dunkelheit oft unter Anwendung von brutaler Gewalt in unser Haus einbricht, als einen Gast? Jeder, der bei klarem Verstand ist, denkt darüber nach, wie er sein Haus sichern kann, damit ein Einbruch oder Überfall nicht vorkommt.

Allein in den letzten Jahren haben Hunderttausende von Ukrainern in Polen Zuflucht und Arbeit gefunden. Im letzten und in diesem Jahr kamen mehr als 30.000 Menschen aus Weißrussland. Sie sind mit offenem Herzen aufgenommen worden.

Doch verdienen diejenigen, die illegal und sogar gewaltsam in unser Land eindringen, dazu unsere Soldaten, Grenzschutzbeamten und Polizisten angreifen, einen gastfreundlichen Empfang? Emotionale Erpressung ist besonders unehrlich. Vor allem die Verwendung von Zitaten aus dem Evangelium durch radikale Aktivisten, die oft selbst Gewalt anwenden und nichts mit dem Dekalog, mit den Leitlinien des Evangeliums zu tun haben wollen.

Einige Migranten schaffen es über die Grenze und verstecken sich in den Wäldern. Sie haben oft nichts zu essen. Humanitäre Organisationen versuchen, ihnen zu helfen. Andererseits gibt es die Meinung, dass wir auf diese Weise andere dazu ermutigen, die Grenze zu überwinden. Wie stehen Sie zu dieser Frage?

Bei Treffen mit der Leitung der Caritas Polska und der Caritas der Erzdiözese Białystok haben wir betont, dass Hilfe nicht unter Verletzung der Gesetze geleistet werden darf.

Als Metropolit der Erzdiözese Białystok, die an der polnisch-weißrussischen Grenze liegt, kann ich reinen Herzens bezeugen, dass die Pfarrgemeinden, mit denen ich in ständigem Kontakt stehe, die Prüfung der christlichen Empfindsamkeit bestehen und den bedürftigen Migranten, wo sie nur können, helfen.

Meine Diözese sieht Migranten als Mitmenschen und eilt ihnen zu Hilfe. In den „Zelten der Hoffnung“ gibt es das Nötigste für erschöpfte, frierende und schwache Ankömmlinge. Jeder, der glaubt, eine solche Person treffen zu können, kann hier ein Hilfspaket bekommen. Es ist jedoch kaum anzunehmen, dass die Migranten von sich aus an solche Orte kommen werden. Sie versuchen, die Grenzdörfer und -städte zu meiden und unbemerkt ihr Ziel zu erreichen, das in der Regel Deutschland ist.

Es liegt in seiner eigenen Verantwortung, wie sich der Bewohner eines Grenzgebiets verhält, wenn er auf Migranten trifft, und ob er die staatlichen Stellen informiert oder nicht. Es ist richtig, dass wir auch für die Sicherheit der Europäischen Union verantwortlich sind, der wir angehören. Ich bin überrascht über Aussagen wie: „Gib ihnen zu essen, gib ihnen zu trinken und lass sie dann ihren Weg gehen… nach Deutschland“. Sollen wir etwa die Sicherheit eines Nachbarlandes außer Acht lassen?

Sie haben sich mit Priestern von Kirchengemeinden im Grenzgebiet getroffen. Wie beurteilen sie die Situation? Wie ist die Stimmung unter den Menschen, die in der Nähe der Grenze leben?

Ich war in der Grenzregion und habe mehrere Berichte von Geistlichen erhalten, und ich möchte noch einmal betonen, dass mich die Haltung der Pfarrer und Gemeindemitglieder der Grenzdörfer ermutigt. Seit August dieses Jahres teilen sie das, was sie haben, mit Migranten in Not. Die Caritas Polska und die Erzdiözese Bialystok haben außerdem weitere Lebensmittel- und Kleidungslieferungen bereitgestellt, als dies notwendig war, um einer größeren Gruppe, die den Weg nach Polen gefunden hat, zu helfen. Darüber hinaus sollen die ständig vor Ort anwesenden Caritas-Vertreter den aktuellen Bedarf ermitteln.

Die Gemeindepfarrer erwähnten auch eine gewisse Angst unter Menschen, die abgeschieden leben. Sie berichteten davon, dass Lebensmittel aus Wohnungen entwendet und Autos aufgebrochen wurden. Sie betonten auch, dass sich die Einwohner inzwischen, dank der Anwesenheit von Soldaten und Beamten, sicher fühlen.

Sie sagten, Herr Erzbischof, dass viele Bewohner der Grenzgebiete Fragen zu den Motiven und dem Verhalten der Migranten , die an der polnisch-weißrussischen Grenze auftauchen, stellen.

Die jüngsten Ereignisse an der Grenze, bei denen sich nicht wenige Migranten aggressiv gegenüber Beamten und Soldaten verhielten, haben zur Polarisierung der Einstellung gegenüber diesen Menschen beigetragen. Viele fragen sich, ob es wirklich so ist, dass sie in die Europäische Union kommen wollen, um unter Wahrung der europäischen Kultur und Sitten zu leben und zu arbeiten.

Die Gläubigen wollen den Bedürftigen helfen. Gleichzeitig wird das Bild des armen, hilfsbedürftigen Migranten oft mit teuren Handys und Designerkleidung sowie aggressiven, wütenden Verhaltensweisen, die sie an den Tag legen, in Verbindung gebracht. Das dämpft den Eifer.

Auch die Absichten mancher Politiker, Promis und Aktivisten, die ihre Hilfsbereitschaft kundtun, wirken zweifelhaft. Es stellt sich die Frage, ob sie wirklich diejenigen unterstützen wollen, die Hilfe brauchen. Oder vielleicht benutzen diese Menschen sie nur dazu, um sich in den Medien darzustellen?

Sie trafen sich mit Soldaten, den Beamten des Grenzschutzes und der Polizei, die die Grenze bewachen und Angriffe von Migranten abwehren. Wie beurteilen Sie die Haltung, den Zustand und die Moral dieser Menschen?

Ich beobachte das Engagement und eine bewundernswerte Gelassenheit der Beamten und Soldaten. Sie müssen auf Gewalt mit Gewalt reagieren, aber sie tun es stets angemessen zur Bedrohung. In anderen Ländern hätten die Ordnungskräfte auf solche gewalttätigen Angriffe mit mehr Nachdruck reagiert.

Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass die Beamten, die die Grenze verteidigen, nicht aus Stahl sind. Die andauernde Anspannung erschöpft sie körperlich und geistig. Für manche sind die bösartigen Unterstellungen, die verächtlichen Äußerungen einiger Prominenter und Politiker, die abschätzigen Kommentare von Journalisten eine zusätzliche psychologische Belastung. Sie zielen darauf ab, die Moral der Soldaten und Offiziere zu schwächen.

Aktivisten, Promis und Oppositionspolitiker haben sie öffentlich mit SS-Bewachern von KZs, mit Wachleuten an der Berliner Mauer verglichen. Sie wurden von ihnen als „Abschaum“, „Müll“, „Hunderudel“, als „herz- und gehirnlose Maschinen“ bezeichnet.

Deshalb ist es so wichtig, den Menschen in Uniform Wohlwollen und Herzlichkeit entgegenzubringen.

Werden Soldaten, die an der Grenze zu Weißrussland Dienst tun, von Seelsorgern unterstützt?

Die Soldaten wurden von verschiedenen Einheiten aus dem Landesinneren, in denen Seelsorger Dienst tun, an die Grenze geschickt. Ihre Pfarrer besuchen sie vor Ort,  sprechen mit ihnen und feiern, bei günstigen Umständen, mit ihnen die Heilige Messe. Da die Geistlichen die Soldaten und Beamten kennen und diese ihnen vertrauen, können sie deren Moral heben und sie psychisch aufbauen. Unter den Grenzschutzbeamten befindet sich auch ein Kaplan der Grenzschutzabteilung Podlachien, der in meiner Diözese dient. Mehrere Seelsorger bleiben über längere Zeit bei den Soldaten und Beamten an verschiedenen Orten, um sie geistig und psychologisch zu begleiten

Wie können wir den Soldaten und Beamten helfen, die unsere Grenze verteidigen?

Sie brauchen unser Wohlwollen, unsere moralische Unterstützung und vor allem unser Gebet. In den Garnisonkirchen werden beim gemeinsamen Gebet zwei Anrufungen hinzugefügt: eine für die Migranten und eine für die Soldaten und Beamten, die an der Ostgrenze Dienst tun.

Die Bewohner der Grenzregion bringen ihnen viel Dankbarkeit entgegen. Obwohl Soldaten und Beamte gut verpflegt werden, fällt es schwer, nicht gerührt zu sein, wenn ältere Menschen mit heißem Tee, Kaffee, Butterbroten und einem Stück Kuchen, aus den umliegenden Häusern zu ihnen zur Grenze kommen.

Ich hoffe, dass nicht nur die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage eine gute Gelegenheit sein werden, all jenen zu danken, die die Grenzen unseres Landes verteidigen.

Das Gespräch erschien im katholischen Wochenmagazin „Gość Niedzielny“ („Der Sonntagsgast“) vom 28.11.2021.

RdP




Migranten-Attacken. Widerstehen und gewinnen

Warum Polen so und nicht anders handelte.

Mitte November 2021 hat die Europäische Kommission Polen ein Angebot gemacht. Sie sei bereit, zwei Prozent der Kosten für die Sicherung der Grenze zu Weißrussland zu übernehmen, erwarte aber im Gegenzug, dass die EU-Grenzschutzagentur Frontex sich an den Asylverfahren für Migranten, die versuchen aus Weißrussland nach Polen zu gelangen, beteiligt. Polen lehnte das ab. 

Zu groß war die Befürchtung, die Kontrolle über das Geschehen an der Grenze zu verlieren und zugleich einen weiteren Bestandteil staatlicher Souveränität an die EU abzutreten. Und das alles, wie aus Warschau zu vernehmen war, für 6,8 Millionen Euro. Soviel macht nämlich der Anteil der von der EU angebotenen Summe an den mit ca. 340 Millionen Euro veranschlagten Gesamtkosten des geplanten modernen, elektronisch vielfach gesicherten Grenzzauns zu Weißrussland aus.

Geplanter Grenzzaun: 5,5 Meter hoch und mit einer Stacheldrahtkrone versehen, alle 5 Meter ein dicker Stahlpfahl, dazwischen 10 Zentimeter starke Stahlstaketen, modernste Überwachungsanlagen.

Die polnische Ostgrenze ist auch die Ostgrenze der EU. Aber nach den Verträgen, die aus polnischer Sicht von der EU zunehmend verletzt und zuungunsten der Nationalstaaten überinterpretiert werden, sind die einzelnen Mitgliedsländer für den Schutz ihrer Grenzen verantwortlich. Das geht ganz klar aus den Artikeln 4 und 5 des Maastrichter Vertrages von 1992 und den Artikeln 3, 4 und 79 Abs. 5 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union von 2009 hervor. Es besteht also keine Verpflichtung, so die offizielle polnische Haltung, die Grenze einer EU-Überwachung zu unterziehen.

Die Einbindung von Frontex, der EU-Grenzschutzagentur und womöglich noch des EASO, des EU-Büros für Asylfragen, in die Asylverfahren an der weißrussischen Grenze, hätte, so die Befürchtung, fatale Folgen für Polen haben können.

Von den weißrussischen Grenztruppen herangefahren und ausgestattet, stürmten die Migranten bis Ende November 2021 die Grenze jede Nacht in 50 bis 200 Mann zählenden Trupps an zwei, manchmal drei voneinander entfernten Stellen. Zuerst bewarfen sie die polnischen Grenzpatrouillen mit Steinen und Holzteilen, dann wurde der Grenzzaun mit Stahlscheren zerschnitten. Darüber geworfene Holzstege sollen den Weg nach Polen bahnen, während weißrussische Uniformierte die polnischen Posten mit Laserstrahlen und extrem hellem Taschenlampenlicht zu blenden versuchen. Einige Dutzend Meter tief auf polnischem Gebiet gestellt, werden die Eindringlinge wieder an die Grenzlinie gebracht und müssen auf weißrussisches Territorium zurückweichen.

Gibt es unter ihnen Verwundete oder Kranke, wird für sie ärztliche Hilfe geholt. Wer nach dem Verarzten laufen kann, muss zurück nach Weißrussland. Ist eine Person schwer krank oder besteht der Verdacht auf eine schwere Erkrankung, erfolgt die Einweisung in ein polnisches Krankenhaus.

Migrant wird ins Krankenhaus abtransportiert.

Bei den Verhören durch den polnischen Grenzschutz ergibt sich immer wieder dasselbe Bild. Es handelt sich zuallermeist nicht um Flüchtlinge, sondern um nicht schlecht situierte junge Leute, die in spezialisierten Reiseagenturen, für Tausende von Dollar, ein Pauschalpaket erstanden haben: Flug nach Minsk und mehrtägige Unterbringung im Hotel. Weitere Hunderte von Dollar bezahlen sie für Taxis, die sie an die Grenze bringen. Dort treibt sie der weißrussische Grenzschutz immer wieder zu den nächtlichen Attacken auf die polnischen Grenzsicherungsanlagen an. Lukaschenka hat sie geholt, er ist für ihr Wohlergehen verantwortlich, so die strikte Haltung Warschaus. 

Die ausländischen Frontex-Beamten würden die Zurückweisungen dieser oft sehr gewalttätigen Flüchtlinge zu verhindern versuchen. Menschen, die eigentlich wegen Gewaltanwendung und Sachbeschädigung strafrechtlich belangt werden sollten, würden von Frontex und EASO dazu ermutigt Asyl in Polen zu beantragen. Keiner von diesen Beamten jedoch wäre für das weitere Schicksal der Asylbewerber verantwortlich. Gemäß dem Grundsatz, der besagt, dass ein Einwanderer keinen erneuten Asylantrag in einem anderen EU-Land stellen darf, müssten die Migranten in Polen bleiben. Ein Seitentor für eine Einwanderung, die Polen unbedingt unterbinden will, wäre damit sperrangelweit geöffnet.

Vorzeigeeinsatz. Deutscher Frontex-Gastbeamter bei Passkontrolle an der polnischen Grenze zu Russland bei Kaliningrad während der Fußball EM 2012, die von Polen und der Ukraine ausgerichtet wurde.

Die vermeintlichen Asylanten, die angeblich Schutz in Polen suchen, wären zudem nicht im Geringsten daran interessiert in Polen zu bleiben. Das könnte zu weiteren Problemen, dieses Mal an der polnisch-deutschen Grenze führen. Aus Litauen, das etwa viertausend der Lukaschenka Import-Asylanten im Juli und August 2021 aufgenommen hat, sind inzwischen die meisten nach Deutschland geflohen.

Sollten die durch die Frontex-Asylverfahren nach Polen hereingelassenen Migranten ebenfalls in größerem Umfang nach Deutschland weiterziehen, wäre es nicht auszuschließen, dass Berlin das Schengen-Abkommen an der polnischen Westgrenze aussetzen würde. Also ist es aus der Sicht der Warschauer Behörden besser, an der derzeitigen Strategie einer klaren Abweisung von illegalen Grenzüberquerern festzuhalten und die Kontrolle über die weißrussische Grenze unter keinen Umständen aufzugeben.

Polen weiß sich zu helfen

Zudem ist Frontex, das seine Zentrale in Warschau hat, anders als von manchen Medien suggeriert, keine Supereinheit, die Kommandotruppen einsetzen könnte, die die Weißrussen zur Flucht nach Minsk und die Einwanderer zur Rückkehr nach Afghanistan, Syrien und in den Irak bewegen würde. Vielmehr handelt es sich um eine Agentur mit 1.300 Schreibtisch-Beamten, deren Hauptaufgabe darin besteht, die Grenzpolitik zu koordinieren, Informationen auszutauschen und zu analysieren, und in Notfällen Hilfe zu organisieren.

Übrigens hat sich Frontex-Chef Fabrice Leggeri am 4. Oktober 2021 vor Ort ein Bild von der Lage an der polnisch-weißrussischen Grenze gemacht.

Frontex-Chef Leggeri (mit Schal) an der Grenze.

„Fabrice Leggeri verschaffte sich einen Überblick über die Aktivitäten des Grenzschutzes und zeigte sich beeindruckt von den Maßnahmen, die zur angemessenen Sicherung der Grenze getroffen wurden. Er dankte Polen für die Zusammenarbeit mit Frontex seit Beginn der Krise, für den ständigen Informationsaustausch und die Bereitstellung von Angaben über die Situation am polnischen Abschnitt der EU-Außengrenze“, hieß es nach dem Besuch im offiziellen Kommuniqué.

Frontex verfügt über keine eigenen Grenzbeamten. Als Litauen, das sich als erstes Land der Invasion von Lukaschenka-Migranten stellen musste, im Sommer 2021 Hilfe anforderte, bat Frontex Polen darum, 50 Grenzschutzbeamte und Polizisten sowie einen Hubschrauber nach Litauen zu entsenden. Polen kam diesem Ersuchen nach. Polnische Grenzschutzbeamte versehen außerdem ihren Dienst bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung in Slowenien, Mazedonien und Süditalien.

August 2021. Innenminister Mariusz Kamiński verabschiedet polnische Polizisten vor ihrem Frontex-Grenzeinsatz in Litauen.

Frontex könnte also nur andere Mitgliedsstaaten bitten, ihre eigenen Grenzbeamten zu schicken, um Polen zu helfen. Polen aber hat derzeit 16.000 eigene Grenzschutzbeamte, Polizisten und Soldaten an seiner gut 400 Kilometer langen Grenze zu Weißrussland stationiert und kann diese Zahl im Bedarfsfall erheblich erhöhen. Was könnten da einige Dutzend Beamte aus anderen EU-Ländern, die man unterbringen, verpflegen und durch Dolmetscher unterstützen müsste Weiteres ausrichten, außer zusehen und Polen daran hindern die Eindringlinge zurückzuschicken?

Politische Ziele im Schatten der Krise

Die Forderungen, Frontex soll an der polnisch-weißrussischen Grenze aktiv werden, waren jedoch nicht auf mangelndes Wissen zurückzuführen. Aus der Sicht der Warschauer Behörden war die Sache klar. Die der jetzigen polnischen Regierung feindlich gesinnten EU-Bürokraten, aber auch ähnlich eingestellte westliche Medien, Aktivisten und die „totale“, wie sie sich selbst nennt, Opposition in Polen selbst, wollten damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Zum einen sollte bewiesen werden, dass das Warschauer „Regime“ mit der Situation alleine nicht zurechtkommt und auf die Hilfe der EU zurückgreifen muss. Folglich sollte die Regierung sich auch in anderen Forderungen der EU beugen. Andererseits setzte die polnische „totale“ Opposition darauf, dass es dank Frontex und EASO möglich sein würde, die Lukaschenka-Migranten nach Polen hineinzulassen.

Der weißrussische Diktator würde schnell weitere Kontingente „anliefern“. Die „Vorräte“ im Nahen und Mittleren Osten, in Afrika sind geradezu unerschöpflich. Und wenn man erst einigen Tausend Einlass gewährt hätte, dann gäbe es keinen Grund „unmenschlich“ zu sein und die Einreise von weiteren Zehn- und Hunderttausenden zu verwehren. Ein goldenes Geschäft für Lukaschenka.

Hinzu kämen Unmut und Chaos, die in Polen ausbrechen würden, so die offen zum Ausdruck gebrachte Hoffnung der polnischen „totalen“ Opposition. Dies könnte ihr endlich den Weg zur Macht freimachen. Wen wundert es, dass in Anbetracht solcher Aussichten die jetzigen polnischen Regierenden den einzigen Ausweg darin sahen, hart zu bleiben und nicht um einen Zentimeter Lukaschenkas Erpressung nachzugeben.

Mediale Inszenierungen, seriöser Journalismus hat das Nachsehen

Aus derselben Ecke kamen immer wieder die lautstarken Forderungen, dass die Medien an die Grenze zurückkehren sollen, um die „Wahrheit“ über die Vorgänge dort herauszufinden. Drei Monate lang, vom 2. September 2021 an, war ein drei Kilometer breiter Streifen auf der polnischen Seite der Grenze eine für Fremde unzugängliche Sperrzone, wo das Ausnahmerecht galt.

Pressezentrum der Grenzpolizei in Popławce.

Seit Anfang Dezember 2021 gelten, da das Ausnahmerecht nicht mehr verlängert werden konnte, dort besondere, geordnete Zugangsregeln für die Medien. Im Dorf Popławce unweit der Achtzehntausend-Einwohner-Kreisstadt Sokółka, im nördlichen Abschnitt der polnisch-weißrussischen Grenze, hat der polnische Grenzschutz ein Pressezentrum eingerichtet. Journalisten müssen sich dort akkreditieren, werden über die Gefahren belehrt und können sich in der drei Kilometer breiten Zone nur in Begleitung eines Grenzschutzbeamten bewegen, wie es in fast allen Frontgebieten der Welt üblich ist.

August 2021. Medieninszenierung. Oppositionspolitiker Piotr Ikonowicz ruft Grenzschutzbeamte zum Ungehorsam auf.

Die Errichtung der Sperrzone war nach mehreren Wochen unguter Erfahrungen mit Medien und sogenannten Aktivisten erfolgt. Letztere behinderten massiv die Arbeit des Grenzschutzes und scheuten sich nicht, die gerade errichteten Grenzsicherungsanlagen zu zerstören. Immer wieder versuchten sie die Grenzlinie zu durchbrechen, um die auf weißrussischem Territorium kampierenden Migranten, für die Lukaschenka zuständig war, zu versorgen. Angesichts der angespannten Lage und der massiven bewaffneten Präsenz von Sicherheitskräften auf beiden Seiten, hätten solche Aktivisten-Aktionen schnell zu schweren Zwischenfällen führen können.

Medieninszenierung. August 2021. Stellv. Vorsitzende des Senats von der Opposition, Gabriela Morawska-Stanecka versucht eine Grenzpolizeikette zu durchbrechen, um zu den Migranten auf der weißrussischen Seite der Grenze vorzudringen.

Nebenbei bemerkt haben polnische Behörden drei Mal Hilfskonvois mit Verpflegung, Decken, Medikamenten für die Migranten losgeschickt. Alle wurden an weißrussischen Grenzübergängen abgewiesen.

Medieninszenierung. August 2021. Aktivisten zerstören die neuerrichteten Grenzschutzanlagen.

Die meisten Aktivisten-Auftritte an der Grenze waren medienwirksam inszeniert. Es ging darum künstlich Fakten zu schaffen, Emotionen zu schüren, die Abwehrmaßnahmen ausschließlich in ein schlechtes Licht zu rücken, Grenzschutzbeamte, Polizisten, Soldaten psychisch zu zermürben, kurzum dem Warschauer „Regime“ so viele Ohrfeigen wie möglich zu verpassen. An eine ausgewogene Berichterstattung war nicht zu denken.

Es wäre anders, wenn die meisten Medien in Polen, aber auch im Ausland, sich nicht so sehr von der Logik der „totalen“ Kriegsführung gegen die ungeliebte Regierung in Warschau leiten ließen. Ihre uneingeschränkte Anwesenheit an einer Grenze, die zur Front eines hybriden Krieges geworden ist, musste, wie es unter Kriegsbedingungen üblich ist, eingeschränkt werden.

Wenn einige Medien ihre eigene Regierung als den Hauptfeind betrachten, so offizielle Stellen in Warschau, unterstützen sie zwangsläufig, wenn auch nicht unbedingt absichtlich, den weißrussischen Diktator und seinen Gönner im Kreml in ihrem Kampf gegen Polen. Lukaschenka wusste das geschickt zu nutzen. Seriöser Journalismus hatte unter diesen Umständen leider das Nachsehen.

Was die Spanier dürfen, dürfen die Polen nicht

Die Europäische Kommission wollte Frontex nutzen, um ihre Befugnisse zu erweitern. Diesmal ging es um die Grenzen der Mitgliedsstaaten und ihre Asylpolitik. Sollte das gelingen, würde Polen, so die Befürchtungen in Warschau, wahrscheinlich bald von Einwanderern via Weißrussland überschwemmt werden, aus denen die reicheren Länder mittels der Umverteilung diejenigen aussieben würden, die ihre Arbeitsmärkte brauchen könnten.

Die zurückbleibende Mehrheit würde sich in Lagern auf polnischem Gebiet aufhalten und ständig versuchen, aus diesen zu entkommen. Die Verantwortung für ihre Flucht trüge Polen und müsste die Migranten nach einer Abschiebung aus Deutschland erneut aufnehmen. Mit welcher Begründung sollten polnische Behörden jemanden mit Gewalt im Land festhalten? Das ist nicht bekannt.

Auf diese Weise hätte die Europäische Union Polen so etwas wie die 2015 geplante und glücklicherweise blockierte Umverteilung von Migranten beschert. Damals ging es darum, dass Polen und die anderen Länder Ostmitteleuropas einen Teil von den Hunderttausenden Afghanen, Arabern, Kurden und Afrikanern, die Deutschland zu sich eingeladen hatte und die ausschließlich nach Deutschland wollten, übernehmen sollten.

Der Verdacht hinsichtlich der Absichten der Europäischen Kommission ist insofern berechtigt, weil EU-Institutionen, wie man mehr als einmal gesehen hat, unterschiedliche Standards für verschiedene Länder anwenden. Dies gilt auch für Fragen der Pushbacks, d. h. der Zurückdrängung von illegalen Einwanderern, die die Grenze überschritten haben.

Es ist allgemein anerkannt, dass einem Einwanderer, der illegal in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Union eingereist ist, Asyl gewährt werden sollte, wenn er darum bittet. Das Problem ist, dass die Lukaschenka-Einwanderer, die Polens Grenzen im Osten stürmen, dort nicht um Asyl bitten, weil sie das in ihrem Wunschland Deutschland, Frankreich oder Schweden beantragen wollen. Deswegen werden sie von polnischen Beamten zurückgeschickt.

Die EU wollte jedoch ursprünglich, dass sie nicht zurückgeschickt, sondern in Polen aufgenommen werden, und hierbei wäre die Anwesenheit von Frontex eine wirksame Hilfe. Warschau hielt dagegen, dass dieselbe EU keine Skrupel hatte, als afrikanische Eindringlinge die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla an der marokkanischen Küste stürmten. Dort war das Zurückdrängen erlaubt. Aber Spanien wird schließlich von der Linken regiert, der die EU-Kommission sehr wohlgesonnen ist, so die offiziellen Kommentare in Warschau. 

Über polnische Köpfe hinweg

Die Versuche von Frau Merkel und Präsident Macron über polnische Köpfe hinweg mit Lukaschenka und Putin zu verhandeln, waren, aus Warschauer Sicht nur ein weiterer Beleg dafür, dass die Spitzenpolitiker der EU Polen und die anderen Länder der Region nicht wie gleichwertige Partner behandeln. Nur zu gerne, und das zur Freude der polnischen „totalen“ Opposition, würden sie auch die Sicherheits- und Ausländerpolitik Polens und des Baltikums in ihre Hände nehmen.

Lukaschenka, der seit den gefälschten Präsidentschaftswahlen vom 9. August 2020 vom Westen boykottiert wird, hat nur auf eine solche Gelegenheit gewartet. Unmittelbar nach seinem Gespräch mit Frau Merkel nahm der Druck auf die polnische Grenze weiter zu. Migranten wurden von weißrussischen Beamten angestachelt einen Angriff auf den polnischen Grenzübergang in Kuźnica zu unternehmen. Zur Verteidigung setzten die Polen Wasserwerfer ein. Neun polnische Polizisten wurden verletzt, einer von ihnen erlitt einen Schädelbruch.

November 2021. Lukaschenka-Migranten stürmen den Grenzübergang Kużnica.

Das war nicht die Art von Unterstützung oder Internationalisierung des Konflikts, die sich das offizielle Polen wünschte. Diese Herangehensweise hatte ihren Ursprung in der von den Medien und linken Politikern immer wieder vorgebrachten Behauptung, an der polnisch-weißrussischen Grenze handele es sich um eine „humanitäre Krise“. In Wirklichkeit war es von Anfang an eine handfeste internationale politische Krise in Form eines gegen Polen zynisch geführten hybriden Angriffskrieges.

Deswegen startete Warschau eine diplomatische Blitzoffensive. Vom 21. November 2021 an besuchte Regierungschef Mateusz Morawiecki innerhalb einer Woche, zu Spitzengesprächen, Tallinn, Riga, Vilnius, Budapest (Treffen mit den Visegrád-Ministerpräsidenten Ungarns, Tschechiens und der Slowakei), Zagreb, Paris, Ljubljana, Berlin und London. Staatspräsident Andrzej Duda traf sich in dieser Zeit mit den Staatspräsidenten Deutschlands, der Ukraine und mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Auf polnischen Druck musste sich sogar Frau Merkel in Sachen Lukaschenka-Migranten solidarisch mit Polen zeigen. Mit Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in Berlin am 25.11.2021.

Es gelang eine Wende herbeizuführen. Überall, sogar in Berlin aus dem Munde von Frau Merkel, flossen Worte der Unterstützung und Solidarität mit der polnischen Haltung und der Ablehnung für Lukaschenkas Vorgehen. Eine EU-Einheitsfront entstand, aus der, wie es scheint, keiner so leicht ausbrechen kann und will. Selbst Deutschland hat es abgelehnt die Lukaschenka-Migranten aufzunehmen. Die etwas späte Einsicht in die Notwendigkeit der Erpressung zu widerstehen hat sich auf polnisches Betreiben hin durchgesetzt. Für wie lange?

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