14.12.2022. Monsieur le Russlandversteher

„Dumme Gedanken hat jeder, nur der Weise verschweigt sie“. Wilhelm Buschs klugen Ratschlag vermag der französische Staatspräsident leider bis heute nicht zu beherzigen. Im April 2022 nur noch deshalb ein zweites Mal in den Élysée-Palast gewählt, weil er nicht Marine Le Pen heißt, legt der ansonsten zu Recht als sprunghaft geltende Emmanuel Macron eine eiserne Beharrlichkeit an den Tag, wenn es darum geht, im Ukrainekrieg Verständnis für Russland aufzubringen.

Seit Beginn des russischen Überfalls am 24. Februar 2022 ließ Monsieur le Président wissen, dass Putin kein „Schlächter“ sei und die russischen Gräuel in der Ukraine kein „Völkermord“ sind. Er machte sich Putins Behauptung zu eigen, dass es sich bei den Russen und Ukrainern um zwei „Brudervölker“ handelt. Er warnte dringend davor, Russland am Ende künftiger Friedensverhandlungen zu „erniedrigen“.

Kürzlich (am 3. Dezember 2022) sattelte Macron im französischen Fernsehen noch einmal drauf. Nach mehr als zehn Monaten des russischen Vernichtungsfeldzugs und der russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine verwies er auf Wladimir Putin, der noch vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine „Sicherheitsgarantien“ für sein Land gefordert hatte. Wenn Russland sich zu Friedensgesprächen bereit erkläre, müsse der Westen, so Macron, auf diese Forderungen „eingehen“.

Konkret gelte es, Russlands Widerstand gegen den Nato-Beitritt der Ukraine und die Stationierung von Waffen, „die Russland bedrohen könnten“, zu respektieren. So, als würde ein kriegslüsterner Westen nur davon träumen, seine Raketen auf Moskau zu richten. Doch die Wahrheit sieht anders aus, und Macron tut nur so, als würde er es nicht wissen: Der Westen erlaubt der Ukraine nicht einmal, Raketen auf russische Militärziele jenseits der ukrainischen Grenze abzufeuern, obwohl sie von dort aus angegriffen wird.

Mit anderen Worten, Macron vertritt die These, dass man dem Urheber des größten bewaffneten Konfliktes in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg brav zuhören und bei der Umsetzung seiner erfundenen Bedenken folgsam zur Hand gehen sollte.

Der französische Präsident ist zu seinen russlandfreundlichen Ideen zurückgekehrt, ausgerechnet in einer Zeit, in der Russland kaltblütig versucht, die Ukrainer durch Kälte und Hunger in die Knie zu zwingen. Ohne ein Wort über die Bestrafung des Kriegstreibers Putin zu verlieren und darüber, dass Russland für die Zerstörungen in der Ukraine aufkommen und den Opfern Entschädigungen zahlen muss, will er es erneut in die europäische Sicherheitsarchitektur einbeziehen.

Damit frönt Macron, als wäre nichts geschehen, einer alten französischen Vorstellung, die seit Charles de Gaulles Zeiten vor allem auf dem Unmut über die amerikanische Führung in der Nato fußt und durch die Ausblendung von Befürchtungen und Interessen der Bündnisländer, die an der Nato-Ostflanke liegen, ergänzt wird.

Der Krieg hat Macron nicht verändert. Für Polen ist das eine sehr ernüchternde Erfahrung. Und sie gibt Warschau recht, wenn es eine enge Anlehnung an Amerika sucht, massiv aufrüstet und seine Armee zahlenmäßig aufstockt. Alles um bloß nicht „verbündeten“ Politikern vom Schlage eines Emmanuel Macron ausgeliefert zu sein.

Lesenswert auch: ♦ „Lassen Sie ab von Polen“. Ein Franzose schreibt Staatspräsident Macron.“ „23.05.2022. Emma, Macron, New York Times & Co. Polen stellt sich quer“„28.04.2022. Macron ist nicht gut für Polen“.

RdP




28.04.2022. Macron ist nicht gut für Polen

Auch in Polen läutet das linksliberale Lager die Glocken des Triumphs. Emmanuel Macron hat Marine Le Pen besiegt und sich das Recht gesichert, das Land der Gallier weitere fünf Jahre lang zu führen.

Was ist davon zu erwarten? Der sprunghafte Chefkoch Macron wird uns weiterhin seinen politischen Lieblings-Mischsalat servieren. Ein Allerlei aus Träumen von einer europäischen Armee, mehr Distanz zu Amerika, dem anhaltenden Glauben daran, dass man sich mit Putin einig werden kann, dem Drang, die EU-Schulden zu vergemeinschaften, und weiteren Reformbemühungen, um Frankreich wettbewerbsfähiger zu machen.

Polen wird für Macron, wie gehabt, Gegenstand kaum verhohlener Abneigung bleiben. Die Liste seiner verbalen Angriffe ist lang. Schon vor fünf Jahren ließ sich Wahlkämpfer Macron immer wieder zu heftigen Drohungen gegen Polen hinreißen. Er setzte damals, 2017, die polnische Regierung mit Putins Herrschaft gleich. Er wetterte gegen angebliches polnisches Sozialdumping, weil die Firma Whirlpool ihren Betrieb aus Amiens nach Łódź/Lodsch verlegte.

Was Whirlpool angeht, wird innerhalb von drei Monaten nach meiner Wahl eine Entscheidung in Sachen Polen gefällt. Ich übernehme dafür die Verantwortung. Ich möchte, dass man sich den Fall Polen in seiner Gänze anschaut und dass (…) Sanktionen verhängt werden“.

Macron blieb dieser Linie treu, als er während seines diesjährigen Wahlkampfes den polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki als einen „rechtsextremen Antisemiten, der LGBT verbietet“, diffamierte. Beweise dafür bleibt er bis heute schuldig.

Einzig zu solch einem Kommentar war Macron fähig, als der polnische Regierungschef, erschüttert von den russischen Gräueltaten in Butscha, zu mehr europäischer Einigkeit gegen Russland aufrief und den Hausherrn im Élysée-Palast beschwor: „Präsident Macron, Sie haben so oft mit Putin verhandelt. Was haben Sie erreicht? Haben Sie auch nur eine der Gräueltaten gestoppt? Mit Kriminellen darf man nicht verhandeln, Kriminelle müssen bekämpft werden. Würden Sie auch mit Hitler, mit Stalin, mit Pol Pot verhandeln?“, fragte der polnische Premierminister.

Was kann Polen von einem Macron erwarten, für den, anders als für US-Präsident Joe Biden, Putin kein „Schlächter“ ist und die russischen Gräuel in der Ukraine kein „Völkermord“ sind, dafür, so seine Meinung, handelt es sich bei den Russen und Ukrainern um zwei „Brudervölker“.

Im Hagel russischer Raketen setzt Macron weiterhin auf Diplomatie. Noch vor kurzem hat er Putin im Schloss von Versailles und im Fort de Brégançon hofiert. Heute mimt er den großen Vermittler, der Putin in langen Telefongesprächen zu zähmen vermag. Macron will es nicht wahrhaben, dass im Ukraine-Krieg das von ihm errichtete intellektuelle Gebäude eines „gemeinsamen Europas mit Russland und ohne Amerika“, unter der Last seiner eigenen, lange gepflegten Illusionen und Widersprüche, zusammengebrochen ist.

Die widerspenstigen polnischen Nationalkonservativen, die in Warschau regieren und stets vor Russland warnten, sind Macron seit eh und je ein Dorn im Auge gewesen. Ostmitteleuropa habe gefälligst den Mund zu halten, wenn Macron in seiner blinden Unterstützung für die Föderalisierung Europas immer neue Pläne schmiedet, auch um der lächerlichen Kleinstaaterei im Osten des Kontinents ein Ende zu bereiten.

Sehr zum Leidwesen Macrons sind für die meisten Menschen in diesen Ländern nicht er und seine französischen Wähler, sondern die Amerikaner, die ihre Truppen in Polen und im Baltikum massiv verstärken und Russland mit Sanktionen hart anpacken, die besseren Europäer.

Gewiss, in den letzten Jahren erlebte Polen einige wenige plötzliche und vehemente Sympathiebekundungen des nervös auftretenden, leicht reizbaren Präsidenten. Da versuchte Macron, sehr unbedarft, seine Abneigung zu kaschieren, um französische Atomkraftwerke oder U-Boote in Warschau an den Mann zu bringen. Doch sich verstellen gehört nicht zu seinen Stärken.

Paris und Berlin, das über den Zusammenbruch der deutschen Russlandpolitik zutiefst verwirrt ist, werden, wie üblich, versuchen, die Stärke des deutsch-französischen EU-Motors aufrechtzuerhalten. Den Polen, mit Ausnahme von Donald Tusk und den Seinen, hat eine solche Zusammenarbeit, die den Anspruch erhebt, die europäische Politik willkürlich zu bestimmen, noch nie gefallen. Und Macron wird seine Sichtweise auf Polen als ein fernes Land, das der aufgeklärten Politik des Visionärs aus Paris nur Probleme bereitet, wohl nicht ändern.

Das ist bedauerlich, aber c’est la vie.

Lesenswert auch: „»Lassen Sie ab von Polen.« Ein Franzose schreibt Staatspräsident Macron“

RdP




Das Wichtigste aus Polen 14.Februar bis 27.März 2021

Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Das Corona-Hoch. Gesundheitswesen am Limit, die Regierung tut ihr Bestes. Die traurigen Auftritte der Opposition. Was hat die EU in Sachen Impfstoffe falsch gemacht?  ♦ Warum wollen manche Polen die 750 Millionen Euro aus dem Corona-Aufbauprogramm nicht haben? Der Kampf um seine Ratifizierung stellt die Regierungskoalition vor eine harte Probe. ♦ Ministerpräsident Morawiecki in Paris. Neues in der französischen (Anti)Polenpolitik?




Das Wichtigste aus Polen 26.Januar – 15.Februar 2020

Kommentator Prof. Waldemar Czachur und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Staatspräsident Emmanuel Macron zum ersten Mal in Polen. Freundlicher Umgang, keine Annäherung ♦ Präsidentschaftswahlkampf kommt in Gang ♦ Braucht Polen noch Wahlen,  ein Parlament und einen Staatspräsidenten, wenn die EU ohnehin alles besser weiß und regeln will? ♦ Amerikanische F-35-Jäger für die polnische Luftwaffe ♦ Deutsche „Condor“-Airline in polnischer Hand.




Das Wichtigste aus Polen 20.Oktober – 22. November 2019

https://soundcloud.com/radiodienst-polska/das-wichtigste-aus-polen-20oktober-22november-2019

Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Neue Regierung vereidigt ♦ Ministerpräsident Morawieckis Regierungserklärung. Ein ehrgeiziger Fahrplan für die nächsten vier Jahre ♦ Das neue Parlament. Mehr Parteien, mehr Unruhe ♦ Donald Tusk. Lieber gut leben als eine Niederlage einstecken ♦ Emmanuel Macron bleibt auf Kollisionskurs mit Polen.




Das Wichtigste aus Polen 20. Januar – 10. Februar 2019

Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Frühling Radikal. Robert Biedrońs neue Partei ♦ Nach dem tödlichen Attentat auf Gdańsk-Stadtpräsident Paweł Adamowicz ♦ Vor der großen Iran-Konferenz in Warschau♦ Macron kommt nach Warschau ♦ Polen und der Brexit.




Das Wichtigste aus Polen 9. Dezember – 22. Dezember 2018

Kommentator Witold Krzesiński und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ UNO-Klimakonferenz  in Katowice.  Wie das Kohleland Polen aus der Not eine Tugend machte und warum der polnische Kohleausstieg so schwierig ist ♦ Der Untergang der Partei Nowoczesna (Die Moderne) ♦ Hat viele Pfunde zum Wuchern: Wie sich die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit für die Europa- und Parlamentswahlen rüstet. ♦ Macron-Dämmerung von Polen aus  gesehen.




»Lassen Sie ab von Polen.« Ein Franzose schreibt Staatspräsident Macron

„Versuchen Sie bitte nicht auch noch der Staatschef in Warschau zu sein. Dort hat man Sie nicht gewählt.“

Der französische Journalist Olivier Bault lebt und arbeitet in Polen als Korrespondent der katholischen Tageszeitung „Présent“ sowie der Internetportale Réinformation TV und Visegràd Post. Seinen „Offenen Brief an den französischen Staatspräsidenten“ veröffentlichte das Wochenmagazin „Do Rzeczy“ („Zur Sache“). Zwischentitel von RdP.

Olivier Bault.

Sehr geehrter Herr Präsident!

Am 1. Mai 2017, zwischen der ersten und zweiten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen, sagten Sie zu Ihren Anhängern:

„Ihr kennt die Freunde und Verbündeten von Frau Le Pen. Das sind die Regime der Herren Orbán, Kaczyński und Putin. Das sind keine Staatsordnungen der offenen und freien Demokratie. Tagtäglich werden dort zahlreiche Freiheiten gebrochen und mit ihnen unsere Werte“.

Etwas früher, in der Tageszeitung „La Voix du Nord“ vom 27. April 2017 haben Sie versprochen, dass, wenn die Franzosen Sie wählen sollten, Sie für eine schnelle Einführung von Sanktionen gegen Polen eintreten werden, weil man ein Land nicht tolerieren darf, das sich „in der EU die Unterschiede in den Sozialkosten zunutze macht und gegen alle Prinzipien der EU verstöβt“.

Sie haben auβerdem gesagt: „Was Whirlpool (Betrieb in Amiens und seine für Mitte 2018 geplante Produktionsverlagerung nach Lodz – Anm. RdP) angeht, wird innerhalb von drei Monaten nach meiner Wahl eine Entscheidung in Sachen Polen gefällt. Ich übernehme dafür die Verantwortung. (…) Ich möchte, dass man sich den Fall Polen in seiner Gänze anschaut und dass bei Angelegenheiten, die die Rechte und Werte der EU betreffen, Sanktionen eingeführt werden“.

Emmanuel Macron im Wahlkampf bei den aufgebrachten Whirlpool-Arbeitern in Amiens am 27. April 2017.

Aus Ihren Drohungen gegen Polen geht hervor, dass Sie diesem Land vorwerfen, es betreibe Sozialdumping und verletzte zugleich die Prinzipien der EU. Sie sagen nicht, um welche Prinzipien es sich handelt, aber Ihre Ansprache vom 1. Mai 2017 hilft besser zu verstehen, was sie meinen.

Sozialdumping? Wovon reden wir?

Es ist schon befremdlich: der künftige Präsident der Republik, der sich im Wahlkampf als ein Ultraeuropäer darstellt, ein Verfechter einer immer engeren EU-Integration, des freien Handels und des freien Wettbewerbs, droht plötzlich einem EU-Land, weil ein privates Unternehmen beschlossen hat seine Produktion in dieses EU-Land zu verlegen.

Zwar sind die Löhne in Polen niedriger als in Frankreich, aber auch die Arbeitsproduktivität ist geringer. Polen nämlich, genauso wie andere einst kommunistische Staaten, hat seinen Rückstand noch lange nicht aufgeholt und den wirtschaftlichen Entwicklungsstand Westeuropas noch nicht erreicht.

Die jetzige polnische Regierung unter Frau Beata Szydło von der sozialkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit hat zum ersten Mal in Polen einen gesetzlich vorgeschriebenen minimalen Stundenlohn (von 12 Zloty = ca. 2,85 Euro – Anm. RdP) eingeführt. Sozialversicherungsbeiträge müssen seit Neuestem, ungeachtet der Einstellungsform (also auch bei Werk- und Zeitverträgen – Anm. RdP), entrichtet werden.

Warum also werfen Sie dieser Regierung Sozialdumping vor? Als stellvertretender Chef der Präsidialkanzlei von Staatspräsident François Hollande und danach als Wirtschaftsminister in der Regierung Manuel Valls hatten Sie nie Probleme mit den polnischen Regierungen unter Donald Tusk und Ewa Kopacz.

Das wundert schon. Nach seiner Machtübernahme 2007 hat Ministerpräsident Donald Tusk, der heutige Vorsitzende der Europäischen Rates, nämlich einer enormen Ausweitung der zivilrechtlichen Arbeitsverträge zugestimmt. Solche Beschäftigungsformen (Zeitverträge, Werkverträge, gewerbliche Scheinselbständigkeit – Anm. RdP) ermöglichten die Umgehung des polnischen Arbeitsrechts. Für Hunderttausende von Beschäftigten wurden keine oder nur ganz geringe Sozialversicherungsbeiträge abgeführt, sie erhielten kein Kranken- und kein Urlaubsgeld.

Sie sehen einen Splitter in des Bruders Auge, und werden des Balkens in Ihrem Auge nicht gewahr.

Was „das tagtägliche Brechen zahlreicher Freiheiten und damit unserer Werte“ angeht, so sehen Sie einen Splitter in des Bruders Auge und werden des Balkens in Ihrem Auge nicht gewahr.

Das französische Problem mit den No-go-Areas.

In Frankreich, und nicht in Polen, gibt es „No-go-Areas“, wo die Rechte der Bürger nicht geschützt werden. Frauen trauen sich dort nicht auf die Straβe, dürfen keine Lokale betreten.

In Frankreich, und nicht in Polen, kommt es beinahe tagtäglich zu mutwilligen Zerstörungen und Attacken auf christliche Einrichtungen.

Am 3. August 2016. Gewaltsame Räumung der Pariser Hl. Rita-Kirche durch die Bereitschaftspolizei, um den Abriss des Gotteshauses zu ermöglichen.

Nicht in Polen, sondern in Frankreich, wurden Polizeikräfte angewiesen hart gegen friedliche Demonstranten vorzugehen, die für den Erhalt der traditionellen Familie eintraten. Dieselbe Polizei bekam Anweisungen sich bei Ausschreitungen autonomer und linksradikaler Gruppen zurückzuhalten.

Es gab und gibt in Polen zahlreiche Kundgebungen, Märsche und Demonstrationen gegen die seit November 2015 amtierende Regierung. Bis jetzt hat die Polizei gegen die Protestierenden kein einziges Mal Gewalt (Schlagstöcke, Tränengas, Wasserwerfer) eingesetzt. Es gab keine einzige vorläufige Festnahme. Die Polizeimaβnahmen beschränkten sich einige Male auf das Wegtragen von Blockierern und die Feststellung von Personalien. Auch Märsche und Kundgebungen nationalgesinnter Milieus, wie der groβe Marsch zum Unabhängigkeitstag, dem 11. November, in Warschau verliefen bis jetzt ohne Zwischenfälle.

Nicht in Polen, sondern in Frankreich, werden jedes Jahr etwa zweihundertzwanzigtausend ungeborene Kinder getötet. Nicht in Polen sondern in Frankreich hat das Parlament im Februar 2017 ein Gesetz verabschiedet, das für Betreiber von Internetportalen, die gegen die Tötung ungeborener Kinder eintreten, Strafen von bis zu zwei Jahren Freiheitsentzug und bis zu dreißigtausend Euro Buβgeld vorsieht.

Haben Sie vielleicht mit Ihrer Feststellung vom Verstoβ gegen EU-Prinzipien und einem autoritären Regime in Polen, die Brüsseler Anschuldigungen zur Reform des polnischen Justizwesens und den Konflikt um das Verfassungsgericht gemeint? Wenn ja, dann muss man fragen: kennen Sie alle Einzelheiten und Umstände dieser Auseinandersetzung? Vergegenwärtigt man sich, wie sehr Ihnen die französische Finanzstaatsanwaltschaft zum Wahlsieg verholfen hat, dann haben Sie ja vielleicht auch gar nichts dagegen, wenn das Justizwesen korrupt und politisch beeinflussbar ist.

Sozialpolitik demokratiegefährdend?

So oder so, wenn Sie sich der Demokratie verbunden fühlen, dann sollten Sie die Lösung ihrer Probleme lieber den polnischen Wählern überlassen. Die kennen ihr Land besser.

Bitte bedenken Sie auch, dass der Teil der heutigen polnischen Opposition, der sich für die Belegung des eigenen Landes mit Sanktionen ausspricht, einer alten, unglücklichen polnischen Tradition frönt, die wir in Frankreich nicht kennen und die Polen schon einmal, im 18. Jahrhundert, seine Unabhängigkeit gekostet hat: Fremde Mächte um Hilfe bitten, um am Trog zu bleiben und die Sanierung des Landes zu verhindern. Deswegen bleiben Sie, bitte sehr, der Staatspräsident der Franzosen und versuchen Sie bitte nicht, zugleich auch der Staatschef der Polen und der Ungarn zu sein, denn die haben Sie nicht gewählt.

Es ist wahr, dass Organisationen, wie „Reporter ohne Grenzen“ oder „Freedom House“, die Meinungsfreiheit in Polen negativer einschätzen seitdem Recht und Gerechtigkeit an der Regierung ist. Bitte beachten Sie jedoch, dass z.B. „Freedom House“ auch die Sozialpolitik der jetzigen polnischen Regierung (neues Kindergeld, kostenlose Medikamente für Rentner über fünfundsiebzig Jahre usw.) als demokratiegefährdend ansieht, weil sie „die finanziellen Möglichkeiten des Staates für die Ziele einer Partei einspannt“ (Bericht „Freedom in the World 2017“).

Man darf sich schon über die linke Organisation „Reporter ohne Grenzen“ wundern, die geschwiegen hat als die Regierung Donald Tusk faktisch alle konservativen Journalisten aus den öffentlichen Medien davongejagt hat. Als dieselbe Regierung ohne sich zu zieren eingriff, um den politischen Kurs privater Zeitungen („Rzeczpospolita“/„Die Republik“ und „Fakt“) zu ihren Gunsten zu ändern. Als sie Polizei und Staatsanwälte in die Redaktion des Nachrichtenmagazins „Wprost“ (“Direkt“) schickte, die bei Rangeleien mit den Redakteuren versuchten diesen ihre Laptops mit Quellenangaben zu entreiβen.

Medienvielfalt in Frankreich

Lassen Sie uns lieber über die Medienfreiheit in Frankreich reden. Dort haben alle führenden Medien einträchtig Sie unterstützt, und alle haben Ihren Wahlsieg mit einem Enthusiasmus zur Kenntnis genommen, den man eher in totalitären Regimen vermuten würde.

Sowohl in Frankreich als auch in Europa sagt man, Recht und Gerechtigkeit habe in Polen die Kontrolle über die öffentlich-rechtlichen Medien übernommen.

Doch auf welche Weise wurden die Mitglieder des französischen Medienrates (CSA) und in der Folge die Chefs der französischen öffentlich-rechtlichen Medien gewählt? Haben die Franzosen etwa nicht gesehen, wie vor der Debatte der Präsidentschaftskandidaten die Chefin von France Télévisions, Frau Delphine Ernotte, mit Ihrer Gattin wie mit einer alten Bekannten Küsschen ausgetauscht hat?

Küsschen ausgetauscht: Fernsehchefin Delphine Ernotte und Brigitte Macron.

Anstatt sich um den Pluralismus der polnischen Medien zu kümmern, die unter Ministerpräsident Donald Tusk nicht weniger regierungstreu waren (was damals niemanden in Europa gestört hat), nehmen Sie sich bitte des Pluralismus der öffentlich-rechtlichen Medien in Frankreich an.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen, Herr Staatspräsident, empfehlen sich mit der Eingabe von „Collectif des Usagers du service public de l’audiovisuel“ (einer Organisation der Nutzer öffentlich-rechtlicher Medien), die den Pluralismus in den mit Gebühren finanzierten französischen Medien anmahnt, zu beschäftigen. Alle in Frankreich wissen, dass sich der Pluralismus unserer französischen öffentlich-rechtlichen Medien nur von der liberalen Linken, die Sie vertreten, bis zur radikalen Linken, die Jean-Luc Mélenchon nahesteht, erstreckt.

Weiter, was die französischen privaten Medien angeht, mit Verlaub Herr Staatspräsident, sie sind alle in den Händen von ihren Freunden, Milliardären um nicht zu sagen Oligarchen. Diese Leute sind nur an ihren Geschäften interessiert, die Sie zu schützen versprachen, und nicht an ehrlicher, objektiver und vielfältiger Berichterstattung.

Dazu gehört Partick Drahi, der aufgrund Ihrer Einflussnahme, als Sie stellvertretender Chef der Präsidialkanzlei waren, den Mobilnetzbetreiber SFR kaufen konnte. Drahi dankte es Ihnen, indem er Ihnen während des Präsidentschaftswahlkampfes alle seine Medien zur Verfügung stellte (BFM TV, Radio RMC, die Zeitungen „Libération“, „L’Express“, L’Expansion“). Auβerdem entsandte Drahi den Chef seiner Mediengruppe, Bernard Mourad in Ihren Wahlkampfstab.

Dasselbe taten Ihre Freunde Vincent Bolloré (Canal+) und Xavier Niel („Le Monde“). Zu ihnen gesellten sich weiterhin solch namhafte Persönlichkeiten der Medienwelt, wie Pierre Bergé („L’Obs“, „Huffington Post“, „La Vie“) oder Arnaud Lagardère (Europe 1, „Paris Match“, Le JDD, RFM). Sogar Serge Dessault, dessen Zeitung „Le Figaro“ zunächst Ihren Konkurrenten François Fillon unterstützt hatte, musste sich vor der ersten Wahlrunde für Sie aussprechen und gegen eine Kandidatin, die die Eurowährung verwerfen und aus der EU austreten wollte.

Das ist verständlich, doch kann man von Medienfreiheit und Medienvielfalt reden, wenn alle groβen französischen Medien sich in den Händen einer kleinen Gruppe von Unternehmermilliardären befinden, die alle in etwa die gleichen Ziele verfolgen?

Medienvielfalt in Polen

Der polnische Staatspräsident Andrzej Duda und die Regierung von Frau Beata Szydło können von einer solch breiten Medienunterstützung in ihrem Land nur träumen. Im Gegenteil! Abgesehen vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen gibt es noch zwei groβe TV-Sender: TVN und Polsat. Beide halten mit ihrer tiefen Abneigung gegen die jetzige polnische Regierung nicht hinter dem Berg. Ähnlich verhält es sich mit Rundfunk und Presse, von der die meisten Redaktionen deutschen Medienkonzernen gehören.

Es gibt aber auch konservative Zeitungen und Magazine, denn die polnische Presse ist weit vielfältiger als die französische. So war es auch zu Zeiten der Tusk-Regierung zwischen 2007 und 2015, aber konservative Herausgeber hatten es damals nicht leicht, weil die Tusk-Verwaltung Druck auf Anzeigenkunden machte, damit diese die konservative Presse mieden.

Heute gehören die gröβte Tageszeitung („Fakt“), eines der gröβten Wochenmagazine („Newsweek“) und das gröβte Internetportal (Onet.pl) dem deutsch-schweizerischen Unternehmen Ringier Axel Springer. Diese Medien sind eindeutig gegen Recht und Gerechtigkeit ausgerichtet, gegen deren Vorstellung von einer EU als einem Europa der Nationen sowie ihrer wertkonservativen Weltanschauung.

Bei der zweiten Wahlrunde der Präsidentschaftswahlen gab es in meinem Wahlkreis VII (für Franzosen die in den Ländern Ostmitteleuropas leben) drei Kandidaten, die schon vorab gelobten Ihre künftige Regierung zu unterstützen: einen Sozialisten von der PS, einen Zentristen von der UDI und den Kandidaten Ihrer Partei, der LREM. Ebenso verhielt es sich mit dem Kandidaten der eigentlich oppositionellen Mitte-Rechts-Partei Les Républicains. Um sicher zu gehen meine Stimme nicht für Sie abgegeben zu haben, hätte ich Marine Le Pen wählen müssen.

Die jetzige Struktur der französischen politischen Szene, die ohrenbetäubende Propaganda zu Ihren Gunsten und der Ihrer Anhänger erinnern wahrhaft an Polen, aber an das Polen von vor 1990.

Folglich, Herr Staatspräsident, wenn wir EU-Länder bestrafen wollen, weil dort „tagtäglich zahlreiche Freiheiten gebrochen und mit ihnen unsere Werte“, dann sollten es zuerst nicht Polen und Ungarn sein, sondern eher Frankreich.

Hochachtungsvoll Olivier Bault

RdP




Beten und bewegen im Land menschenleerer Kirchen

Leid und Erfolg eines polnischen Pfarrers in Frankreich.

Waren Sie oft soweit, dass Sie nur noch Ihre Koffer packen und weg wollten?

Ja, viele Male, und viele Male habe ich innerlich gerufen: „Herr, hier kann man nichts mehr ausrichten. Ich habe keine Ideen mehr.“
Schon der Anfang war schwierig. Die Sprachbarriere: ein Priester aus Oberschlesien soll sich mit in Cannes geborenen Franzosen verständigen. Ich fühlte mich sehr klein und auch die Leute haben es mich manchmal schmerzlich spüren lassen. In meinem Kopf hämmerte ständig die Frage: war das eine gute Entscheidung? Wenn jemand Zdzisław Brzezinka (fonetisch: Szislaw Bschesinka – Anm. RdP) heiβt, dann hat er in Frankreich keine guten Karten.

Für einen Franzosen unaussprechlich.

Sie fragten, ob es einen entsprechenden französischen Vornamen gibt. Gibt es nicht. Ich habe meinen Pfarrgemeindemitgliedern gesagt: „Ihr könnt Schislaf sagen“, aber dabei dachte jeder an „Ich habe Durst“ (Jʼai soif). In einer Regionalzeitung schrieben sie: „In seinem Namen und Vornamen kommt das „z“ viermal vor!“

ks. Zdzisław Brzezinka fot.
Pfarrrer Zdzisław Brzezinka.

Zuerst war ich in Cannes. Das ging noch. Viele Rentner, die regelmäβig zur Kirche gingen. Es war die Zeit der Gewöhnung an die neue Umgebung, des Erlernens der Sprache, der Kultur.

Die wahren Lehrstunden der Demut begannen, als ich eine Pfarrei übernehmen musste, die man unweit von Nizza aus fünf Kleinstädten zusammengelegt hat.

Wie wurden Sie empfangen?

Zur offiziellen Begrüβung des neuen Pfarrers und um die kleinen Kirchengemeinden in den einzelnen Orten vorzustellen, kamen nicht einmal dreiβig Leute. Und das aus einer Pfarrgemeinde, die zehneinhalbtausend Einwohner zählte. Hätte man sie nicht ausdrücklich darum gebeten, wären sie gar nicht gekommen. Sie hatten kleine Modelle ihrer Kirchen dabei und lasen das was sie sagen wollten vom Blatt ab. Sie redeten mich mit dem Vornamen meines Vorvorgängers an. Man sah, dass sie jeglichen Kontakt zur Kirche verloren hatten. Es war zum Heulen.

Doch der neue Gemeindepfarrer krempelte die Ärmel hoch und…

Es war ein verzweifeltes Anrennen gegen die Widrigkeiten, krampfhafte Versuche Anschluss zu finden. Ich bin zu allen möglichen Treffen gegangen, ich habe Nachbarn beim Umzug geholfen, ich habe mit Kindern Fuβball gespielt und mich ständig gefragt, was dieses Rumkaspern eigentlich mit Seelsorge zu tun hat?

Die Kirchen waren nur bei Beerdigungen voll, Anlässen die dort einen mehr gesellschaftlichen als religiösen Charakter haben. Ich habe versucht sie zu nutzen, um das Evangelium weiterzugeben, eine geistige Verbindung herzustellen. Es hat nichts gebracht. Wie oft habe ich damals in meinen Gebeten den Satz wiederholt: „Herr, ich weiβ nicht, was ich tun soll.“

Warum sind die Kirchen im Westen menschenleer geworden?

Es gibt viele Erklärungen dafür, aber ich habe keine schlüssige Antwort auf diese Frage und will auch nicht verallgemeinern. Die Suche nach den Ursachen endet meistens in Schuldzuweisungen an diese Menschen. Ich weiβ nicht warum die Kirchen verwaist sind, aber ich weiβ, dass Gott über allem seine schützende Hand hält.
Kardinal Jean-Marie Lustiger (1926-2007, Erzbischof von Paris – Anm. RdP), mit den Vorwurf konfrontiert, dass die katholische Kirche in Frankreich von Irrglauben und Irrlehren zersetzt wird, antwortete: „Das stimmt, aber wir waren die ersten, die angefangen haben nach einer Therapie gegen diese Krankheit zu suchen.“ Andere zu beschuldigen ist ein Ausdruck des Hochmuts. Ich habe das begriffen, als ich selbst glaubte in eine ausweglose Lage geraten zu sein.

Was hat das Fass zum Überlaufen gebracht?

Ich bin zu den Treffen der Equipes Notre-Dame gegangen, der einzigen geistlichen Gemeinschaft (von Ehepaaren – Anm. RdP), die es in unserer Pfarrgemeinde gab. Es war toll. Kaffeetrinken, Gelächter, nette Gespräche. Alles, auβer Gott. Irgendwann habe ich ihnen gesagt: „Entschuldigt bitte, aber ihr seid keine religiöse, geistliche Gemeinschaft“. Sie haben es mir sehr übel genommen. Ich ging nach Hause. Mir wurde bewusst: „Jetzt hast du die einzige Laiengruppe in deiner Gemeinde auseinandergejagt“. Das war keine einfache Zeit. Ich bekam Briefe. Ein Gemeindemitglied schrieb mir: „Welcher Satan hat Sie, Herr Pfarrer zu uns geschickt?“

Hat es weh getan?

Sehr. Ich fand keinen Schlaf mehr. Aber gerade diese Gemeinschaft schuf den Ansatz für die Erneuerung. Es war sehr schwer ihnen den lebendigen Glauben zu vermitteln. Der „Widerstand der Materie“ war am Anfang enorm. Doch die meisten dieser Leute, alle zwischen fünfunddreißig und fünfzig Jahre alt, erwiesen sich als musikalisch sehr begabt. Ich habe vorgeschlagen, dass sie in der Messe spielen und singen. Das kam sehr gut an! Es entstand eine Gruppe, die andere zum gemeinsamen Proben zu überreden begann. Nach und nach bekam ich in der Kirche neue Gesichter zu sehen.

Wie ging es weiter?

Ich habe mich auf den Alpha-Kurs besonnen (Näheres dazu hier – Anm. RdP). Ich kannte ihn von früher, aber erst in Frankreich habe ich erlebt, welch enorme Wirkung er hat. Am Anfang haben wir ihn für eine kleine Gruppe von „Eingeweihten“ gemacht. Ich beobachtete, wie er den Glauben, der in ihnen fast schon abgestorben war zum Aufblühen brachte.

Wie belebt man also eine Pfarrgemeinde, die dahinscheidet?

Ich habe alles getan, um die Menschen dort abzuholen wo sie standen, auch wenn das sehr weit weg von Gott gewesen ist. Ich habe mir aber auch geschworen, ich werde mich niemals verstellen, mich anbiedern, so tun, als sei ich kein katholischer Pfarrer. Ich habe nie die Soutane abgelegt, bin niemals in „zivil“ aufgetreten. Und auch wenn es manchmal sehr fehl am Platze zu sein scheint, du musst den Mut haben zum Wort Gottes zu stehen und es zu den Menschen zu tragen.

Wichtig war auch das Gefühl der völligen Ratlosigkeit, das mich immer wieder beschlich. In einer Umgebung, die dich entweder ablehnt oder der du gänzlich egal bist, bist du ja völlig allein. Du hast dann nur zwei Möglichkeiten: entweder du fasst Mut oder du packst deine Sachen und gehst. Mut fassen bedeutet, sich niemals verkriechen, von Unfreundlichkeiten abschrecken lassen. Auf die Menschen zugehen und reden.

Ich kann mich gut erinnern an meine erste Begegnung mit dem Bürgermeister des Städtchens, in dem ich wohnte. Er war ein eingefleischter Kommunist. Ich kam um die Ecke und stieβ beinahe mit ihm zusammen. Er wusste wer ich bin und sagte: „Seit acht Monaten hat es nicht geregnet. Diese Trockenheit wird uns vernichten. Könnten Sie, Herr Pfarrer, mit dem Chef darüber reden?“ „Mal sehen was sich machen lässt“, habe ich ihm geantwortet und ging meinen Weg. Am Abend begann es zu regnen und es goss die nächsten zwei Wochen lang in Strömen. Ich traf ihn etwa zehn Tage später. „Herr Pfarrer, es reicht!“, rief er mir von der anderen Straβenseite aus zu.

Sie haben versucht so viele persönliche Kontakte wie möglich zu knüpfen.

Ja, denn sonst hast du ein Amt und keine Pfarrgemeinde. Zu dem oberen Teil der Stadt führte eine lange Treppe. Dreihundert Stufen rauf und dreihundert Stufen runter, manchmal einige Male am Tag. Ich weiβ nicht, wie ich das überstanden habe.

Eines Tages war endlich der von allen langersehnte Fahrstuhl fertig. Nur, dass er ständig kaputt ging. Ich habe dem Bürgermeister vorgeschlagen, ich werde ihn weihen. „Das ist verboten!“, entgegnete er. „Trennung zwischen Kirche und Staat.“

Ich bin regelmäβig zu den Sitzungen des Stadtrates gegangen, denn oft wurden dort Dinge besprochen, die auch die Pfarrgemeinde betrafen. Sie waren sichtlich verunsichert durch meine Anwesenheit, haben sehr aufgepasst was sie sagten. Der Bürgermeister fragte mich manchmal nach meiner Meinung und grinste dabei verschmitzt. Es war wie bei Don Camillo und Peppone.

Im September fand die feierliche offizielle Einweihung des Fahrstuhls statt. Er wurde mit republikanischem Pomp (Hissen der Tricolore, Marseillaise, gespielt von der Feuerwehrkapelle, Ehrenformation mit vier Dorfgendarmen usw.) seiner Nutzung übergeben. Der Lift fuhr los, blieb aber in der Mitte seines Weges stehen und wollte nicht weiter. Ich habe mir jeden Kommentar verkniffen.

Im Oktober habe ich eine Prozession geführt. Es war eine der vielen Prozessionen, die das besondere Kolorit vieler französischer Kleinstädte ausmachen, aber eigentlich kaum etwas mit dem Glauben zu tun haben. Es ist nur noch Tradition, festliche Folklore, wenn man so will, eine touristischer Attraktion, bei der Atheisten die Figur der Muttergottes herumtragen, hinter der der kommunistische Bürgermeister mit aufgeblähter Brust und Schärpe herschreitet.

Ich ging voran, hinter mir die Menge. Plötzlich bin ich von der vorgegebenen Route abgebogen. „Was machen Sie, Herr Pfarrer!?“, der Bürgermeister war sehr beunruhigt. Ich bin direkt auf den Fahrstuhl zumarschiert. „Wenn ich das Städtchen segnen soll, dann werde ich auch dieses Wunderwerk der Technik weihen.“ Der Bürgermeister war sprachlos und ich habe Thérèse von Lisieux (Näheres dazu hier – Anm. RdP) zitiert, die gesagt hat, dass sie von einem Fahrstuhl träumt, der sie direkt in den Himmel bringt. Das kam bei den Franzosen sehr gut an.

Dann habe ich den Fahrstuhl geweiht und laut gesagt: „Na? Seht ihr wie wunderbar er jetzt funktioniert?“ Wie sie sich alle darauf gestürzt haben, um es zu überprüfen! Ich habe mich innerlich vor Lachen geschüttelt. Übrigens hat der Bürgermeister mir gegenüber unter vier Augen zugegeben, dass der Fahrstuhl seither problemlos funktioniert. „Gott hält über allem seine schützende Hand“, habe ich ihm darauf geantwortet. Er gab sich nachdenklich.

Wurden Sie tätlich angegriffen?

Eine Zeit lang kam eine Gruppe von Jugendlichen in die Nähe der Kirche, um Fuβball zu spielen. Immer wieder kickten sie den Ball gegen die Kirchenmauer, die Glasfenster waren in Gefahr. „Könnt ihr aufhören?“ „Wir sind keine Katholiken, wir sind Moslems.“ „Und was wäre, wenn ich den Ball gegen die Mauer eurer Moschee kicken würde?“ Ein Junge fuhr mit der Hand über die Kehle.

Ich habe seinen Vater getroffen. Wir haben uns in aller Ruhe unterhalten. „Sehen Sie, dass ist ein wichtiges Gebäude für uns, unser Heim. Wir leben in Frieden miteinander. Wozu das aufs Spiel setzen?“ Seitdem hörte das Kicken des Balls gegen die Kirchenwand auf, die Jungs grüβten mich mit „bonjour“.

Es ist glimpflich ausgegangen, aber wir sind auch zu der Kirche gefahren, in der Pfarrer Jacques Hamel ermordet wurde (Näheres dazu hier – Anm. RdP). Die Kirche ist von Blumen und Gittern umgeben. Blumen und Gitter, das ist das Janusgesicht der heutigen Lage vielerorts in Frankreich. Pfarrer Hamel war doch mit dem dortigen Imam befreundet, kannte viele moslemische Familien und wurde von zwei Fundamentalisten ermordet.

Bei einem meiner ersten Gespräche mit jungen Moslems im Städtchen habe ich gesagt „Je suis un Polonais“ und sie ratterten daraufhin die Namen und Vornamen aller polnischen Fuβballer bei den Weltmeisterschaften 1974 herunter! Ich war perplex. Oft habe ich von Moslems gehört; „Gut, dass Sie hier sind, Herr Pfarrer.“

Sie haben am Anfang dreiβig Kirchgänger vorgefunden. Wie viele waren es nach sieben Jahren?

Siebenhundert. Im August 2014 ging es dann zurück nach Polen. Ich bin um halb zwei in der Nacht mit dem Auto aufgebrochen. Leise, ohne viel Aufhebens. Der letzte Kreisel in meiner Pfarrgemeinde war voll von Menschen. Sie kamen um mich zu verabschieden. Ich hatte feuchte Augen.

Wie wird die französische Gemeinde ohne Sie zurechtkommen?

Man soll die Menschen an Gott binden, niemals an sich selbst.

Das Gespräch erschien im katholischen Wochenmagazin „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“) vom 19.02.2017.

RdP




Das Wichtigste aus Polen 30. April – 13. Mai 2017

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die  wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Emmanuel Macrons „Kriegserklärung“ an Polen. Was verbirgt sich dahinter? ♦ Braucht Polen eine neue Verfassung, und wenn ja, warum?  Staatspräsident Andrzej Duda stöβt eine Debatte an. ♦ Viel Aufhebens , wenig Wolle. Der Warschauer „Marsch der Freiheit“ oder der Kampf gegen eine Diktatur die es nicht gibt. ♦ Es reicht aus nicht zu stehlen, oder warum Polens Staatsunternehmen plötzlich schwarze Zahlen schreiben.




Das Wichtigste aus Polen 23. Oktober -29. Oktober 2016

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Woche in Polen. Proteste gegen den Schutz des ungeborenen Lebens ebben ab. Ein neues soziales Programm, mehr Unterstützung für Frauen in Notlagen – die Regierung will alles tun, um Frauen zu überzeugen von der Tötung ungeborener Kinder abzusehen. Polens Medienlandschaft: Regierungsgegner eröffnen drei neue Fernsehsender.  Neue groβe Investitionen in der Autobranche (Mercedes, Toyota, Fiat) bringen statt Billigjobs Innovationen ins Land. Nach der Hubschrauber-Absage: wie geht es weiter in den polnisch-französischen Beziehungen. Unverhoffte Erwärmung in den polnisch – weiβrussischen Beziehungen.




Das Wichtigste aus Polen 9. Oktober – 15. Oktober 2016

Kommentator Andrzej Godlewski und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Woche in Polen.
Nach dem Fiasko der Bürger-Gesetzesinitiative gegen Tötung von ungeborenen Kindern will sich Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit der Sache annehmen: „Weniger Zwang mehr soziale Unterstützung in Notlagen und Überzeugungsarbeit“.
Polen storniert Bestellung von 50 französischen Militärhubschraubern. Zu teuer und ungeeignet.
Regisseur Andrzej Wajda gestorben.