Polens Weg in der Klimapolitik…

…sollte nicht in den Freitod führen.

Die ehrgeizige EU-Klimapolitik stellt für Polen eine geradezu existenzielle Herausforderung dar. In welcher Weise soll sich das Land ihr stellen?

Szczyt klimatyczny Naimski
Dr. Piotr Naimski

Dr. Piotr Naimski ist Biochemiker und  Hochschullehrer. In der kommunistischen Zeit gehörte er zu den Mitbegründern des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR). Heute ist er Politiker, gehört der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) an und gilt als ihr prominentester Fachmann in Sachen Energiepolitik.  Naimski ist Sejm-Abgeordneter und leitet den parlamentarischen Europa-Ausschuss. RdP dokumentiert nachfolgend ein Interview des Politikers für den Sender Radio Maria vom 4. Dezember 2015.

In Paris geht in einigen Tagen der Klimagipfel zu Ende. Wem in Europa liegt am meisten daran den Ausstoβ von Treibgasen einzuschränken?

Seit einiger Zeit entsteht in Europa ein neuer Industriezweig: der Anlagenbau für die Gewinnung erneuerbarer Energien. Deren Produktion wird von einigen EU-Staaten stark gefördert und gewinnt dadurch einen erheblichen Vorteil gegenüber den traditionellen Methoden der Stromherstellung, vor allem aus Steinkohle aber auch aus Erdgas. Dieser Vorsprung wird zusätzlich durch geplante EU-Auflagen, die für alle Staaten der Gemeinschaft gelten sollen, vergröβert werden.

Um was genau geht es bei diesen Bestimmungen?

Eine von ihnen besagt, dass Strom aus erneuerbaren Energiequellen vorrangig in die Stromnetzte eingespeist werden muss. Dadurch wird Kohlestrom aus den Netzen verdrängt. Kohlekraftwerke füllen nur Versorgungslücken, falls der Wind nicht stark genug weht oder der Himmel bedeckt ist. Das ist der Kern der EU-Energiepolitik, vor allem aber Deutschlands.

Deutschland kann sich das leisten.

Ja. Die Zuschüsse werden überwiegend über die Stromrechnungen der deutschen Verbraucher finanziert. Der Anteil der Stromkosten am Familienhaushalt macht in Deutschland im Durchschnitt 4 bis 5% aus. In Polen liegen die Stromkosten aktuell bei 10% der Ausgaben, wodurch viele polnische Haushalte sich bereits jetzt an der Grenze zur Energiearmut bewegen. Daher sind polnische Verbraucher nicht in der Lage in demselben Maβe erneuerbare Energien zu bezuschussen wie ihre westlichen Nachbarn.
Deutschland hat enorme Gelder in Forschung und Produktion von Anlagen für erneuerbare Energien investiert. Das soll sich rentieren. Kohleländer, wie Polen, sollten sie zum Kohleausstieg gezwungen werden, sind ein groβer, dankbarer Markt für deutsche Hersteller.
Zudem wird die hoch subventionierte deutsche Energie aus erneuerbaren Quellen an der deutschen Energiebörse angeboten. Bei so hohen Zuschüssen kann der Preis für den aus anderen Quellen gewonnenen Strom nicht mithalten, auch wenn alles, wenigstens dem Anschein nach, gemäß marktwirtschaftlichen Prinzipien abläuft.

In Wirklichkeit jedoch, ist der Strom aus Kohle immer noch die preiswerteste Alternative. Die Entkarbonisierung, die mittlerweile der EU-Energiepolitik zugrunde liegt, begünstigt die Verbannung der Kohle aus der Wirtschaft, vor allem aus der Strom– und Wärmegewinnung.

Woher kommen diese Bestrebungen?

Da der Strom aus erneuerbaren Energiequellen, ohne hohe Zuschüsse, den Konkurrenzkampf gegen Erdgas und Kohle verlieren würde, musste die Politik einschreiten. Die Entkarbonisierung soll, so die Theorie, die CO2-Emissionen senken und somit die Klimaerwärmung aufhalten. An die Stelle von Kohle sollen erneuerbare Energien treten, und die brauchen Unterstützung. Dahinter verbergen sich gigantische Investitionen. Die Investoren wollen natürlich Gewinne sehen. Die Verbannung von Erdgas und Kohle aus der EU sowie der übrigen Welt liegen ihnen deswegen sehr am Herzen.

Hehre Ziele, mit falschen Methoden umgesetzt?

Die Natur ist nun einmal sehr launisch. Bei hoher Windstärke an der Nordsee sind die Leitungsnetze schnell überlastet. Um dies zu verhindern wird der überschüssige deutsche Strom unkontrolliert nach Polen und Tschechien geleitet. Das ist gefährlich und teuer für uns, weil wir abrupt unsere eigene Stromherstellung herunterfahren müssen. Dieses Problem kann man nur mit einem enormen finanziellen Aufwand in den Griff bekommen, aufwendige technische Einrichtungen und vertragliche Regelungen sind hierzu erforderlich. Die, praktisch im Alleingang und über Nacht beschlossene, deutsche Energiewende nach der Katastrophe von Fukushima 2011, macht den Nachbarn Deutschlands das Leben schwer.

Wird es im Ergebnis des Pariser Klimagipfels COP 21 zu einer weiteren Begrenzung der CO2-Emissionen kommen?

Auf dem COP 21-Gipfel soll eine neue internationale Klimaschutz-Vereinbarung in der Nachfolge zum Kyoto-Protokoll verabschiedet werden. Die EU ist als eine Einheit der Klimaschutz-Vereinbarung beigetreten. Deswegen tritt Polen in Paris auch in einer Doppelrolle auf: als Unterzeichner des Kyoto-Protokolls und als EU-Mitglied. Als Staat hat Polen in Sachen CO2-Reduktion, wie alle anderen, seine freiwillige Klimaschutz-Zusage eingereicht. Sie entspricht dem EU-Ziel bis 2030 die CO2-Emissionen um 40% zu senken. Dieses Ziel berücksichtigt allerdings nicht die Besonderheiten der Wirtschaft Polens, die auf dem preiswerten Steinkohle-Strom basieren.

Die Würfel sind also gefallen.

So sieht es aus, aber alles ist noch in Bewegung. Die CO2-Ziele der EU übersteigen jedenfalls bei Weitem die Möglichkeiten und Zusagen vieler Staaten der Welt. Sie bedeuten ebenfalls, dass die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Industrie gegenüber der übrigen Welt weiterhin sinken wird. Auch das ist ein Problem, über das sich die europäischen Politiker ernsthafte Gedanken machen sollten.

Die EU-Klimaziele werden auch eine enorme Belastung für die Wirtschaft Polens sein.

Die Regierung von Frau Ewa Kopacz hat im Herbst 2014 die EU-Klimaziele blindlings akzeptiert: 40% CO2 Emissionen weniger bis 2030 und der Anteil erneuerbarer Energien an der Energieerzeugung soll von aktuell 10 auf 27% steigen.
Das war eine sehr leichtsinnige Zusage. Sie erfordert die Stilllegung des gesamten Stein- und Braunkohlebergbaus, der gesamten noch verbliebenen Stahl-, Zement- und Papierindustrie, ebenso der Schwerchemie, dazu praktisch die komplette Aufgabe der Stromerzeugung aus Kohle, die Notwendigkeit von Stromimporten usw., und das alles innerhalb von fünfzehn Jahren. Dadurch werden wir gigantische ökonomische und soziale Probleme bekommen.

Gibt es einen Ausweg?

Ohne Nachverhandlungen wird es wahrscheinlich nicht gehen. Auβerdem müssen wir bei der ganzen Problematik nicht nur die CO2-Reduktionen durch Stilllegungen ins Auge fassen, sondern auch die Absorption von CO2 durch Wälder. Das erfordert gut durchdachte, mit anderen Staaten, die in gleicher Weise betroffen sind, abgestimmte diplomatische Vorstöβe innerhalb der EU.

Deswegen wahrscheinlich die offiziell bekanntgegebene Konferenzstrategie Polens in Paris.

Polen will der neuen globalen Klima-Vereinbarung zustimmen, vorausgesetzt dreiviertel aller UNO-Mitgliedsstaaten, die insgesamt 90% aller Treibgase erzeugen, treten ihr bei.

Zurück zur EU. Will sie sich durch ihr Vorpreschen vorsätzlich selbst schädigen?

Irgendwann sind die in der EU dominierenden Politiker zu der Überzeugung gekommen, dass sich die EU an die Spitze der CO2- Reduzierer stellen muss, dann wird sie den Rest der Welt nach sich ziehen. Doch der Rest der Welt will und kann das nicht, zumindest nicht in dem Tempo.

Teilen Sie den Eindruck, dass da auch Heuchelei mit im Spiel ist?

Zu einem gewissen Teil, ja. In Europa werden die energieintensiven Industrien wegen CO2-Emissionen stillgelegt. Die Produktion, z. B. von Zement, geht nach Indien und Pakistan, von wo er in groβen Mengen wieder nach Europa importiert wird. Wir verlieren die Arbeitsplätze, die CO2-Emissionen werden lediglich verlagert.

Die EU scheint jedenfalls fest entschlossen zu sein, an ihrem Alleingang festzuhalten.

Deutschland ist in der Lage seine kostspielige Energiewende zu bezahlen. Frankreich hat viele Atomkraftwerke und dementsprechend weniger  CO2-Emissionen. Polen hingegen, befindet sich in einer ganz anderen Lage. Es besitzt z. B. kein einziges Atomkraftwerk. Wir sollten uns der EU-CO2-Politik nicht verweigern, aber unsere Energiepreise müssen unserem Entwicklungsstand entsprechen, unser durch die Transformation erheblich deindustrialisiertes Land darf keine Industriewüste werden. Der polnische Weg in der Klimapolitik muss zwischen diesen beiden Polen verlaufen.

RdP




Windparks im Sumpf

Saubere Energie, schmutzige Geschäfte.

Immer mehr Windräder ragen aus der polnischen Landschaft. Ende 2014 gab es im Land 37 Windparks mit 627 Windrädern, die 3,5% des in Polen erzeugten Stroms herstellten.

Wie sehr die saubere Energie durch Korruption, Missachtung der Anwohner, übermäβige Lärmerzeugung und mangelnde technische Überwachung belastetet ist, das zeigte der Ende Juli 2014 veröffentlichte Prüfbericht der Obersten Kontrollkammer (Najwyższa Izba Kontroli – NIK).

Sitz der Obersten Kontrollkammer in der Warschuer Filtrowastrasse
Sitz der Obersten Kontrollkammer in Warschau

NIK ist der oberste polnische Rechnungshof, das höchste Organ der staatlichen Kontrolle im Staat und untersteht dem Sejm. Sie überprüft die Tätigkeit der Organe der Regierungsverwaltung, der Nationalbank, staatliche juristischer Personen und anderer staatlicher Organisationseinheiten unter den Gesichtspunkten der Legalität, der Wirtschaftlichkeit, der Zweckmäßigkeit und der Redlichkeit (nach Art. 203 der Verfassung) Die Oberste Kontrollkammer kann auch unter Legalitäts- und Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten die Tätigkeit anderer Organisationseinheiten und Wirtschaftsteilnehmer überprüfen, wenn diese Gelder und Vermögen des Staates oder der Gemeinden nutzen oder finanzielle Verpflichtungen zugunsten des Staates erfüllen.

Krzysztof Kwiatkowski, Chef der Obersten Kontrollkammer NIK
Krzysztof Kwiatkowski, Chef der Obersten Kontrollkammer NIK

Der Präsident der Obersten Kontrollkammer wird vom Sejm mit Zustimmung des Senats für sechs Jahre berufen. Er kann nur einmal erneut berufen werden. Den Posten bekleidet seit 2013 Krzysztof Kwiatkowski (geb. 1971, zwischen 2009 und 2011 Justizminister im Kabinett Tusk). Entgegen vielen Befürchtungen, auch die NIK werde, wie die Zentralbank, die Bankenaufsicht, der Landesrat für Rundfunk und Fernsehen und einige andre Institutionen, ganz und gar im politischen Kampf gegen die Opposition in den Dienst der Tusk-Regierung treten, bewahrte Kwiatkowski die Unabhängigkeit und Überparteilichkeit des Obersten Rechnungshofes, der in seinen Prüfberichten immer wieder die Korruption und Unfähigkeit der Verwaltung brandmarkt.

Die Kontrolle der Windparks fand zwischen August 2013 und Februar 2014 statt in zehn Woiwodschaften. Sie umfasste 28 Gemeindeämter, 19 Landrats- und 19 Kreis-Bauaufsichtsämter.

Nachstehend, zusammengefasst die wichtigsten Feststellungen des Prüfberichtes.

1.Behörden missachten durchweg Beanstandungen der Anwohner

Keine der kontrollierten Gemeinden hat eine Volksbefragung in Sachen Unterbringung von Windparks durchgeführt, obwohl die Anwohner oft heftig dagegen protestiert haben. Entscheidungen wurden durch Abstimmungen in den Gemeinderäten gefällt. Zwar konnten die Anwohner ihre Argumente gegen einen Windpark in allen Phasen der Entscheidungsfindung vorbringen, doch ihre Beanstandungen wurden in keinem einzigen Fall berücksichtigt.

2. Bestechlichkeit

In 30% der kontrollierten Gemeinden wurden Windparks auf Parzellen errichtet, die Gemeinderatsmitgliedern, Bürgermeistern oder Angestellten der Gemeindeverwaltungen gehörten, Personen also die an der Entscheidungsfindung beteiligt gewesen waren. Interessenkonflikte und Korruptionswahrscheinlichkeit lagen in solchen Fällen auf der Hand.

3. Interessenkonflikte ohne Ahndung

Ein nicht kleiner Anteil von betroffenen Gemeinderatsmitgliedern hat sich aus Abstimmungen über die Errichtung von Windparks nicht ausgeschlossen, was sie nach Art. 25a des Gesetzes über kommunale Selbstverwaltung hätten tun müssen. Leider sieht das Gesetz in solchen Fällen keine Ahndung vor. NIK fordert eine diesbezügliche Änderung des Gesetzes.

4. Der Korruptionsmechanismus

80% der kontrollierten Gemeinden haben ihre Zustimmung zu einem Windpark davon abhängig gemacht, dass der Investor alle Planungsarbeiten für die Anlage finanziert und auβerdem Geldbeträge an die Gemeinde überweist. Das Erste verstöβt eindeutig gegen die geltenden Gesetzte, die solche Planungsarbeiten als alleinige Aufgabe der Gemeinde ansehen und private Finanzierungen ausschlieβen, damit Investoren Planungen nicht im eigenen Interesse beeinflussen können.

5. Lärm

In der polnischen Gesetzgebung ist der Mindestabstand zwischen Windrädern und Wohngebieten nicht festgelegt. In einzelnen EU-Staaten gelten unterschiedliche Regelungen. Für Polen maβgeblich ist der zugelassene Lärmpegel. Die gesetzlich festgelegte Messmethode sieht solche Messergebnisse als verbindlich an, die bei Windstärken von bis zu 5 Meter pro Sekunde festgestellt wurden. Jedoch verursachen Windräder den gröβten Lärm bei Windstärken zwischen 10 und 12 Meter pro Sekunde, doch da wurde nicht gemessen.

6. Infraschall und Stroboskopeffekt

Auch hier sieht die Gesetzgebung keine Mindestwerte vor, deswegen wurden beide Erscheinungen in der Nähe von Windparks seitens staatlicher Stellen nicht erforscht.

7. Keine technische Überwachung

Die Kreis-Bauaufsichtsämter haben nur die Konstruktion der Windräder geprüft (Fundamente, Maste). Völlig undefiniert in der geltenden Gesetzgebung bleibt jedoch, wer und nach welchen Kriterien die Generatoren, die Rotoren samt Gondeln, die Getriebe, die Transformatoren, die Propellerflügel begutachten und zulassen soll. Alle diese Bestandteile der Windräder unterliegen bis heute keiner Überprüfung.

8. Im Baurecht unbekannt

Windräder sind dem polnischen Baurecht bis heute unbekannt. In den Baugenehmigungen tauchen sie als „freistehende Schornsteine und Masten“, als „elektroenergetische Strecken“ oder als „andere Bauten“ auf. Dementsprechend wurde in manchen Landesteilen eine Betriebszulassung verlangt, während in anderen nur die Anmeldung bei Fertigstellung für die Betriebsaufnahme genügte.

9. Verschandelte Landschaft

Das juristische Chaos führte, trotz vieler Proteste, zur Aufstellung von Windrädern in Natur- und Landschaftsschutzgebieten. Sie werden für viele Jahre die Landschaft z. B. die Suwałki-Seenplatte im Nordosten des Landes verunstalten.

10. Ein Beispiel

Als exemplarisch beschreiben die Kontrolleure das Geschehen in der Dreitausendseelen-Landgemeinde Przerośl im Suwałkigebiet, in der Woiwodschaft Białystok. Der dortige Bürgermeister hat mit der spanischen Firma Gamesa Energia einen Vertrag über 691.000 Zloty (ca.170.000 Euro) abgeschlossen. Als Gegenleistung verpflichtete sich die Gemeinde einen neuen Flächennutzungsplan mit Berücksichtigung der neuen Windparks auszuarbeiten. Von der Firma Eko-Energia bekam die Gemeinde 1,7 Mio. Zloty (ca. 415.000 Euro) für weitere Korrekturen im Flächennutzungsplan, dieses Mal zu Gunsten der Errichtung ihrer Windkraftanlagen. Die Folge: diese Windräder sollen in einer Entfernung von nur 200 m zu den Wohnhäusern aufgestellt werden. Die Gemeinde Przerośl liegt in einem Landschaftsschutzgebiet.
Der Kontrollbericht fordert die Regierung auf alle diese Miβstände zu beheben.

© RdP