1.05.2022. Es gibt ein Leben ohne russisches Gas in Polen

Das bis vor Kurzem Unvorstellbare hat sich ereignet und nichts ist passiert. Weder die polnische Industrie, noch die Haushalte merken etwas davon, dass Russland Polen am 27. April 2022 den Gashahn zugedreht hat. Das Land ist gut gewappnet. Wie war das möglich?

Lange hieß es, die russophoben Polen haben geradezu einen Narren an der Energieunabhängigkeit ihres Landes vom großen Nachbarn gefressen. Und man weiß ja nicht erst seit heute, dass jedem Narren seine Kappe gefällt. Also ernteten die Polen jahrelang das selbstgefällig-süffisante Lächeln deutscher Politiker, das man gemeinhin nur keck auftretenden Kleinkindern zuteilwerden lässt.

Das Mitleid galt ausdrücklich Polens „hinterwäldlerischen“ Nationalkonservativen, die sich der Energieunabhängigkeit von Russland restlos verschrieben haben. Der 2010 tödlich verunglückte Staatspräsident Lech Kaczyński hatte diesbezüglich bereits versucht, gemeinsame Projekte mit Litauen, Aserbaidschan, der Türkei und der Ukraine einzufädeln.

Doch Frau Merkels politischer Ziehsohn und Günstling Donald Tusk, zwischen 2007 und 2014 polnischer Ministerpräsident, und seine Mannschaft fielen dem polnischen Staatsoberhaupt immer wieder in den Arm. Sie steuerten, wie ihre geistige Heimat Deutschland, kräftig dagegen, in Richtung Abhängigkeit von Russland.

Der 2006 von der Regierung Jarosław Kaczyński begonnene Bau des Flüssiggas-Terminals in Świnoujście/Swinemünde wurde nach dem Machtwechsel 2007 zu Tusk als nicht vorrangig betrachtet und bis 2015 verschleppt. Im Jahr 2010 unterschrieb die Tusk-Regierung zudem einen preislich äußerst ungünstigen Gasvertrag mit Russland, der ursprünglich bis 2037 gelten sollte. Nach heftigen Protesten im Land und dem Einspruch der EU-Kommission wurde er vonTusk, notgedrungen, auf Ende 2022 verkürzt.

In seiner unverbrüchlichen Treue zu Frau Merkel handelte Tusk, nicht nur in diesem Fall, gegen lebenswichtige Interessen Polens. Brav sein war oberstes Gebot. Als „antirussischer Störenfried“ hätte Tusk 2014 keine Chance gehabt, von Frau Merkel für seinen langersehnten Traumjob als EU-Ratspräsident protegiert zu werden. Hätte Putin Polen damals den Gashahn zugedreht, wäre die Panik in Polen riesengroß gewesen. Das Land war auf russische Gaslieferungen angewiesen.

Das zu ändern war, wie wir heute sehen, für Polen überlebenswichtig. Deswegen drückten die regierenden Nationalkonservativen 2015, nach ihren Siegen in den Staatspräsidenten- und Parlamentswahlen, in Sachen Energieunabhängigkeit aufs Gaspedal.

Endlich wurde das Flüssiggas-Terminal in Świnoujście in Betrieb genommen. Es deckt heute, durch Tankerlieferungen aus Katar, den USA, Norwegen und Nigeria, ein Drittel des polnischen Gasbedarfs, der sich auf 20 Milliarden Kubikmeter jährlich beläuft. Die Lieferungen aus Norwegen kommen von Gasfeldern vor der Küste des Landes, die Polen gekauft hat und die der staatliche polnische Mineralölkonzern Orlen betreibt.

Das wichtigste Projekt jedoch ist die Baltic Pipe, eine Erdgasleitung, die von Norwegen über Dänemark durch die Ostsee bis nach Polen reicht. Im Oktober 2022, genau zu Beginn der Wintersaison, soll die Baltische Röhre in Betrieb genommen werden. Durch sie sollen bis zu 10 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Polen gepumpt werden, was der Hälfte des polnischen Bedarfs entspricht.

Zudem achten die Behörden seit einigen Jahren penibel darauf, dass die Gaslager stets gut gefüllt sind. Während die Gasspeicher in der EU im Durchschnitt nur zu 30 Prozent voll sind, beträgt der entsprechende Wert in Polen 78 Prozent – Tendenz steigend. Mit den 4 Milliarden Kubikmetern jährlicher Eigenförderung reicht das aus, um den laufenden Verbrauch zu decken.

Zudem entstehen jetzt zusätzliche Gasleitungen nach Deutschland, Litauen und in die Slowakei, um im Ernstfall auch von dort Gas zu beziehen oder umgekehrt von Polen aus in diese Länder zu liefern. Wenn demnächst ein weiteres Flüssiggas-Terminal in Danzig betriebsbereit sein wird, soll Polen zu einem der größten Erdgas-Exporteure innerhalb der EU aufsteigen.

Haben ist allemal besser als brauchen.

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RdP




Und Tschüss… Polens Abschied von Gasprom

Epochaler Wandel in der polnischen Energiepolitik.

Polen will ab Januar 2023 kein russisches Erdgas mehr kaufen. Die kurze Erdgasleine, an der die Sowjetunion und später Russland das Land geführt haben, wird gekappt.

Mitte November 2019 hat das staatliche polnische Energieunternehmen PGNiG SA (Polnische Erdölbergbau und Gaswesen AG) termingerecht den bis Ende 2022 laufenden, über ein Vierteljahrhundert abgeschlossenen, Vertrag mit Gasprom gekündigt. Eine automatische Verlängerung um weitere fünf Jahre soll es nicht geben. In knapp zwei Jahren verliert Gasprom somit seinen sechstgrößten europäischen Kunden nach Deutschland, der Türkei, Italien, Großbritannien und Frankreich.

Polen und Deutschland – zwei Unterschiede

Sichtbar werden bei dieser Gelegenheit wieder einmal zwei gravierende Unterschiede zwischen der polnischen und der deutschen Energiepolitik.

Zum einen wird die Energiepolitik in Polen vor allem als ein Teil der Sicherheitspolitik aufgefasst und gehandhabt. In Deutschland hingegen fällt Energiepolitik in die Sparten Handel, Umwelt, Klima.

Der zweite Unterschied ergibt sich aus dem ersten. Polen setzt alles daran, die Energieabhängigkeit von Russland zu beenden. Deutschland findet nichts dabei, mit dem Bau der Nord Stream 2-Gasleitung unter der Ostsee eine noch engere Bindung an Russland einzugehen.

Die deutsche Bundesregierung spricht sich zwar für Sanktionen gegen Russland wegen der Eroberung der Krim und des Krieges im Donbass aus, andererseits hält sie aber an einem Vorhaben fest, durch das weitere Milliarden von Euro nach Russland fließen und Putins brachiale Politik mitfinanzieren.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 sind Erdgas und Erdöl für den angeschlagenen russischen Nachfolgestaat die wichtigsten Finanzierungsquellen und zugleich die wichtigsten Instrumente, wenn es um seine internationale Geltung geht.

Sehr viel mehr steht Russland nicht zur Verfügung, um seiner Machtpolitik Nachdruck zu verleihen. Lieferstopps, Vorzugspreise für Nachgiebige politische Partner wie Weißrussland, Höchstpreise für Widerspenstige wie Polen, das lange Zeit keine Ausweichmöglichkeiten auf andere Gaslieferanten hatte.

Das Abnabeln von den russischen Erdgaslieferungen gehört zu den wichtigsten Vorhaben der regierenden polnischen Nationalkonservativen. Sie haben es im Parlamentswahlkampf 2015 angekündigt und setzen das Vorhaben seit ihrer Regierungsübernahme mit Nachdruck um.

Mit Erdöl ist die Sache leichter

Die Erdöllieferverträge haben eine Laufzeit von zwei bis drei Jahren. Es gelten weitgehend die aktuellen Weltmarktpreise. Zudem verfügt Polen seit den 1970er Jahren über einen laufend modernisierten Erdölhafen in Gdańsk, wo seit Neuestem bis zu vierhundert Tanker pro Jahr ihre Fracht löschen. Diese wird in der angrenzenden zweitgrößten Raffinerie Polens verarbeitet. Zudem haben die Erdöltanks im Danziger Erdölhafen ein Fassungsvermögen von gut vier Millionen Kubikmetern.

Wie existentiell wichtig für das kommunistische Polen sowjetische Erdöllieferungen waren, kann man auch anhand der Briefmarken sehen. Gleich drei wurden (von oben) 1964,1965 und 1969 (s. unten) der Erdölraffinerie in Płock an der Druschba-Erdölleitung gewidmet.

Das schafft gute Ausweichmöglichkeiten, wenn russische Erdöllieferungen ausbleiben, wie im April und Mai 2019 geschehen. Über die Druschba/Freundschaft-Pipeline floss damals aus Russland stark verunreinigtes Rohöl.

Durch diese Pipeline, die eine Kapazität von 1,4 Millionen Fass Erdöl pro Tag hat, pumpt Russland über eine Entfernung von knapp sechstausend Kilometern mehr als ein Viertel all seiner Rohölexporte.

Die in den 1960er Jahren zu Sowjetzeiten gebaute Pipeline beginnt in der Nähe von Samara, geht weiter nach Weißrussland (Raffinerie Mosyr) und gabelt sich dort in eine nördliche Linie, die nach Polen (Raffinerie Płock) und Deutschland (Raffinerie Schwedt) führt, und in einen südlichen Zweig in die Ukraine, nach Ungarn, in die Slowakei und nach Tschechien. Ein weiterer Ableger führt zum russischen Hafen Ust-Luga an der Ostsee.

Fast zwei Monate lang ruhte der Betrieb der Druschba 2019 bis die Leitungen gereinigt waren und die Russen sich verpflichtet haben die Kunden angemessen zu entschädigen. Derweil funktionierte der Kraftstoffmarkt in Polen völlig normal. Vorräte und Zukäufe auf dem Weltmarkt, die über den Erdölhafen in Gdańsk ins Land gelangten, machten es möglich.

Druschba/Freundschaft-Erdölpipeline.

Mittlerweile bezieht Polen noch 65 Prozent seines Erdöls aus Russland (1996 waren es 100 Prozent). Der Rest kommt aus Saudi-Arabien, Nigeria, Kasachstan, Großbritannien, Norwegen. Drei Prozent des Bedarfs deckt die Eigenförderung. Alternative Bezugsquellen, vielfältige Lager- und Transportmöglichkeiten machen Russland, das zudem ja dringend auf die Einnahmen angewiesen ist, als Erdöllieferanten nach Polen weitgehend ersetzbar.

Erdölhafen in Gdańsk. Briefmarke von 1976.

Erdgas. Russland lockt,…

Auf dem Erdgasmarkt ist die Lage für Polen erst seit Kurzem ähnlich komfortabel. Damit sie entstehen konnte, musste in den letzten Jahren ein gewaltiger Aufwand betrieben werden.

Die Ausgangssituation nach dem Ende des Kommunismus 1990 war für Polen fatal. Erdgasverbindungen nach Westeuropa gab es nicht. Weder Pipelines, noch einen Flüssiggashafen. Das Land, von den Missständen der kommunistischen Planwirtschaft und einer radikalen ökonomischen Transformation (Balcerowicz-Plan) schwer geprüft, hatte damals, kurz nach 1990, nicht den politischen Mut aufgebracht diese Isolation, zum Beispiel in Richtung norwegische Gasvorkommen, zu durchbrechen. Das geschah erst, mit der Machtübernahme der Nationalkonservativen im Jahre 2015 und läuft seither als Projekt unter dem Namen Baltic Pipe.

Ein Vierteljahrhundert früher lockten die Russen Polen mit einem neuen gigantischen Vorhaben: der Jamal-Leitung. Stabile Lieferungen und Transitgebühren für das durch Polen nach Deutschland fließende Erdgas, das klang vielversprechend.

Russland erschloss damals die schier unermesslichen Gasvorkommen auf der sibirischen Halbinsel Jamal am Nordpolarmeer, mit 115.000 Quadratkilometern Fläche etwas größer als die einstige DDR.

Seit dem Bauende 1999 transportiert die gut viertausend Kilometer lange Jamal-Leitung Erdgas durch Weißrussland und Polen bis nach Ostdeutschland. Ein Ableger führt über die Ukraine und die Slowakei nach Österreich.

…Polen zahlt viel und hat das Nachsehen

Der 1996 geschlossene polnisch-russische Jamal-Gasvertrag, später einige Male überarbeitet und erneuert, wird nach seiner Beendigung im Dezember 2022 als einer der ungünstigsten Handelsverträge in die jüngste polnische Geschichte eingehen.

Der Erdgasversorgung durch Russland ganz und gar ausgeliefert, zahlte Polen Spitzenpreise. Westeuropäische Staaten, die Erdgas aus verschiedenen Quellen beziehen konnten, bekamen den russischen blauen Brennsoff erheblich billiger.

Im Jahr 2010 stand eine weitere Erneuerung des Jamal-Vertrages an. Die damalige Regierung Donald Tusk führte bereits seit einiger Zeit eine Charmeoffensive in Richtung Moskau. Anlässlich des Tusk-Besuchs in der russischen Hauptstadt im Februar 2008, bei den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Kriegsausbruchs im polnischen Sopot im September 2009 und bei der Begegnung Donald Tusks mit Wladimir Putin in Katyn, an den Gräbern der 1940 von den Sowjets ermordeten polnischen Offiziere im April 2010, legten beide Politiker einen demonstrativ herzlichen Umgang miteinander an den Tag.

Tusk verfolgte damals zwei Ziele. Zum einen wollte er, vor allem, seiner politischen Ziehmutter Angela Merkel einen Gefallen tun. Polen sollte kein „Störfaktor“ mehr sein in den guten Beziehungen und bei den Geschäften Deutschlands und der EU mit Russland.

Zum anderen wollte er als „Mann des Dialogs“ seinen Erzrivalen, den angeblich „ewig rückwärtsgewandten“ Staatspräsidenten Lech Kaczyński, den Putin nicht ausstehen konnte, in Polen und in Europa bloßstellen.

Nach Lech Kaczyńskis tragischem Tod beim Flugzeugunglück bei Smolensk am 10. April 2010 verstärkte Tusk seine Charmeoffensive abermals deutlich. Zum einen überließ er alleinig Russland die Untersuchung der Unglückursachen vor Ort. Die Russen weigern sich bis heute das Flugzeugwrack zurückzugeben.

Zum anderen hatte Tusk 2010 vor, im Erdgasgeschäft Polen auf Jahrzehnte fest an Russland zu binden. Auf diese Weise wollte er die „strategische Partnerschaft“ mit Moskau, an die er blauäugig glaubte, dauerhaft festigen.

Der Jamal-Vertrag sollte gleich auf 27 Jahre, also bis 2037, verlängert werden, und das zu für Polen denkbar ungünstigen Konditionen. Hätte sich die EU-Kommission damals nicht eingemischt und Tusk, unter Hinweis auf die EU-Energierichtlinien, gezwungen den Vertrag nur bis Ende 2022 abzuschließen, wäre der Schaden noch gigantischer ausgefallen.

Die damals ausgehandelten Preise, gekoppelt an den aktuellen Erdöl-Weltmarktpreis, waren in Tusk-Polen eines der bestgehüteten Geheimnisse, bis die russische Presseagentur Interfax sie 2015 plötzlich preisgab.

Von 2011 bis 2012, so konnte man nachlesen, kosteten Polen 1.000 Kubikmeter russisches Erdgas im Schnitt gut 500 US-Dollar. Der Preisdurchschnitt für Westeuropa betrug 440 US-Dollar.

Die Differenz blieb, laut Interfax, weiterhin groß, obwohl Polen den Russen ab 2013 einen Rabatt von zehn Prozent abtrotzen konnte. So zahlte Polen im Jahr 2013 für 1.000 Kubikmeter russisches Erdgas im Schnitt 429 US-Dollar. Deutschland: 366, Italien: 399, Österreich: 402, Frankreich: 404 US-Dollar.

Im Jahr 2014 betrugen die Preise pro 1.000 Kubikmeter: für Polen 379 US-Dollar, Deutschland: 323, Österreich: 329, Frankreich: 338, Italien: 341 US-Dollar.

Solche Unterschiede gelten bis heute. Ende 2015, sofort nach ihrem Antritt, reichte die neue nationalkonservative Regierung unter Frau Szydło bei dem Schiedsgericht in Stockholm Klage gegen Gasprom ein, mit der Begründung, der Gaspreis im Jamal-Vertrag sei zu hoch und entspreche nicht der Situation auf dem europäischen Markt. Das Urteil wird bis Mitte 2020 erwartet. Sollte es positiv für Polen ausfallen, verspricht PGNiG SA die erhoffte russische Teilrückzahlung an seine Kunden, Haushalte sowie Firmen, weiterzugeben.

Nach PGNiG-Berechnungen hat Polen seit 2014 jährlich etwa 250 Millionen Euro mehr für das russische Gas bezahlt als es auf dem Weltmarkt gekostet hätte.

Hahn auf, Hahn zu

In Deutschland wird oft und gerne auf die Zuverlässigkeit, einst der Sowjetunion und jetzt Russlands, im Gasgeschäft hingewiesen. Die polnischen Erfahrungen auf diesem Gebiet sind nicht so gut.

Aus PGNiG-Angaben geht hervor, dass Gasprom seit 2004 Polen das Gas sieben Mal ohne Vorwarnung abgedreht und wiederholt die vereinbarten täglichen Liefermengen plötzlich gesenkt hat.

Zudem kam 2017 das Gas eine Zeit lang mit Wasser versetzt in Polen an und war unbrauchbar. Daraufhin sah sich PGNiG genötigt im Eilverfahren eine Erdgas Trocknungsanlage am Abnahmepunkt der Jamal-Pipeline zu bauen, um künftig Schäden am Leitungssystem zu verhindern.

Piotr Woźniak, der PGNiG-Chef: „Die Russen haben aus irgendwelchen Gründen immer wieder Mal die Lieferungen eingestellt. Wir konnten uns durch unsere Vorräte über Wasser halten. Das Problem war, dass es bei jedem Vorkommnis keinen Kontakt mit den Russen gab. Wir bekamen keine Antworten auf unsere Anfragen oder die Antworten entsprachen nicht der Wahrheit, was das Ergreifen von Gegenmaßnahmen unmöglich machte. Wir tappten jedes Mal im Dunkeln. “

Der Jamal-Vertrag von 2010 beinhaltet zudem die so genannte „Take-or-pay-Klausel“, die Polen verpflichtet mindestens 85 Prozent (8,7 Mrd. Kubikmeter) der vereinbarten Gasmenge zu bezahlen, auch wenn es momentan gar nicht so viel Gas benötigt. Das kommt in den letzten Jahren zunehmend vor, seitdem immer mehr Gas aus anderen Quellen ins Land gelangt.

LNG-Terminal in Świnoujście: Polens Gastor zur Welt

Im Januar 2006 fasste die damalige erste nationalkonservative Regierung (2005-2007) unter Kazimierz Marcinkiewicz, den im Juli 2006 Jarosław Kaczyński ablöste, den Beschluss, Polen durch den Bau eines Flüssiggashafens vom russischen Erdgasmonopol zu befreien. Als Standort wurde Świnoujście/Swinemünde ausgewählt.

Im Sommer 2007 zerbrach Jarosław Kaczyńskis Drei-Parteien-Koalitionsregierung. Die vorgezogenen Neuwahlen im Oktober 2007 gewann die Tusk-Partei Bürgerplattform. Das Vorhaben in Świnoujście passte nicht zu Tusks vertrauensvollem Schmusekurs mit Moskau. Er hätte auf die Investition am liebsten verzichtet, doch das Vorhaben zu widerrufen wäre ein allzu offensichtlicher Schritt gewesen. So legte er erst 2011 den Grundstein für die Anlage, und auch sonst wurde auf verdeckte Verzögerung gesetzt.

Gut zwei Jahre lang sahen Behörden weg, als die italienische Baufirma die den Zuschlag bekommen hatte, pfuschte, Termine nicht einhielt, immer neue Nachzahlungen einforderte. Einmal zog sie sich komplett von der riesigen Baustelle zurück, die immer mehr im Chaos versank, um dann nach einigen Wochen wiederzukehren. Schlecht ausgehandelte Bauverträge erlaubten ein solches Gebaren. Tusk schien es nicht zu kümmern.

Erst die Krim-Annexion durch Russland im Frühjahr 2014, die Tusks Freundschaft mit Moskau den Todesstoß versetzte, markierte die Wende. Plötzlich hatte er es eilig. Zwei Jahre später als ursprünglich festgelegt, konnte Tusks Nachfolgerin Ewa Kopacz die Anlage am 11. Oktober 2015 einweihen. Zwei Wochen später verlor Frau Kopacz die Wahlen. Die Nationalkonservativen gewannen die absolute Mehrheit. Deren Leute standen am 20. November 2015 dann am Kai, um den ersten Tanker mit Erdgas aus Katar offiziell zu begrüßen.

Flüssiggasterminal in Świnoujście.

Seither ist das LNG-Terminal „Lech Kaczyński“ Polens Gastor zur Welt. 2018 legten dort 29 Gastanker an mit 13,5 Mrd. Kubikmetern Gas (nach der Rückvergasung). 2019 brachten 31 Gastanker 14.8 Mrd. Kubikmeter Gas (nach Rückvergasung). Die heutige Jahreskapazität des Terminals von 5 Mrd. Kubikmetern Flüssiggas soll nach dem laufenden Ausbau auf 7,5 Mrd. Kubikmeter steigen.

Gleichzeitig sanken die Gaseinfuhren aus Russland. 2018 waren es 9 Mrd. Kubikmeter, 2019 – 8,95 Mrd. Kubikmeter. Der Anteil des russischen Erdgases am polnischen Gesamtimport verminderte sich von 89 Prozent im Jahr 2016 auf 67 Prozent im Jahr 2018 und 61 Prozent im Jahr 2019. Ab 2023 sollen es null Prozent sein.

Es sei denn, die Russen bieten ihren Rohstoff günstig auf dem internationalen Spotmarkt an, wo, wie zum Beispiel in Rotterdam, nicht vertraglich gebundene Mengen von Erdgas gehandelt werden. Solchen „Schnäppchenkäufen“ von Gasprom will sich PGNiG künftig keineswegs verschließen.

Amerikanisches Erdgas ist billiger

Am 8. Juni 2017 legte der „Clean Ocean“, nach sechzehntägiger Fahrt von Port Sabine in Louisiana, in Świnoujście an. Zur Begrüßung erschien Beata Szydło. „Solche Tage gehen in die Geschichte ein“, sagte die Ministerpräsidentin, denn es war wahrlich ein geschichtsträchtiges Ereignis. Zum ersten Mal gelangten 90 Millionen Kubikmeter amerikanisches Flüssiggas auf diesem Weg nach Polen.

Der „Clean Ocean“-US-Gastanker im Flüssiggasterminal von Świnoujście.

Damals war das ein Gelegenheitskauf. Inzwischen hat PGNiG im November 2018 einen Gas-Liefervertrag mit der amerikanischen Firma Cheniere abgeschlossen. Laufzeit: 24 Jahre. Der Abnahmepreis orientiert sich an den im amerikanischen Henry Hub, einem Drehkreuz des US-Erdgashandels im Bundesstaat Louisiana, laufend ermittelten Kursen. Alles ist übersichtlich, dafür sorgen die US-Behörden.

Oft erachten deutsche Medien die von den Russen immer wieder verbreitete Behauptung, amerikanisches Erdgas sei deutlich teurer als das russische, als selbstverständlich. In Wirklichkeit ist es für Polen deutlich billiger. Mitte 2019 zahlte Polen für 1.000 Kubikmeter US-Erdgas zwischen 140 und 160 US-Dollar. Darin enthaltene Kosten: Rohstoff (90 bis 110 USD), Transport und Regasifizierung (40 bis 50 USD).

Im Unterschied zum Jamal-Vertrag, kann der Käufer des US-Flüssiggases bestimmen wohin die Ladung gebracht werden soll: nach Polen, in ein anderes Land Ostmitteleuropas oder in eine andere Gegend der Welt. Es gibt kein Weiterverkaufsverbot, wie bei den Russen.

Russisches Gas kostete in Europa Mitte 2019 durchschnittlich um die 180 US-Dollar für 1.000 Kubikmeter und so viel zahlte der russische Vorzugskunde Deutschland. Der Jamal-Vertrag von 2010 sieht für Polen eine Anlehnung des Erdgaspreises an den Rohölpreis vor, der Mitte 2019 bei etwa 75 US-Dollar pro Barrel lag. Daraus ergab sich der russische Gaspreis für Polen: von etwa 200 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter.

Aus Norwegen kommt die Gasfreiheit

Zwar soll das LNG-Terminal in Świnoujście erweitert werden und bald ein schwimmendes LNG-Terminal an der polnischen mittleren Ostseeküste bei Gdańsk entstehen. Doch um Gasprom ganz und gar abzulösen, bedarf es eines Pipeline-Anschlusses an Westeuropa, und zwar nicht, so wie Deutschland es sich vorstellt. Deutschland würde am liebsten bei den Russen gekauftes Erdgas von Westen her nach Polen pumpen.

Es bedarf eines Anschlusses an die norwegischen Erdgasvorkommen in der Nordsee. PGNiG hat dort inzwischen 29 Gasförderkonzessionen gekauft. Der eigene Rohstoff ist am billigsten. Er soll nach Polen durch die Baltic Pipe gelangen. Einen Teil davon, den zwischen Norwegen und Dänemark, gibt es seit langem. Nun wird mit Nachdruck die Verbindung von Dänemark nach Polen verlegt.

PGNIG-Chef Woźniak sagt: „Die Leitung hat ein jährliches Durchleitungsvermögen von gut 10 Milliarden Kubikmetern. Wenn unser Gas sie künftig zu 25 Prozent und fremdes zu 75 Prozent füllt, dann werden unsere Kalkulationen aufgehen“. Polen will nämlich das Erdgaskreuz für Ost- und Südostmitteleuropa werden.

Am 1. Oktober 2022 soll erstes norwegisches Erdgas nach Polen fließen. Es muss fließen, denn am 1. Januar 2023 laufen die russischen Lieferungen aus.

@ RdP




Das Wichtigste aus Polen 23. Dezember 2018 – 19. Januar 2019

Kommentator Dr. Michał Kuź und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Nach dem tödlichen Attentat auf den Gdansker Stadtpräsidenten Paweł Adamowicz ♦ Strompreissperre. Regierung hat drohenden großen Strompreisanstieg verhindert ♦ Lega-Chef Matteo Salvini zu Besuch in Warschau und was daraus werden könnte ♦ Trump zieht plötzlich US-Truppen aus Syrien ab. Könnte das auch Polen widerfahren?




Das Wichtigste aus Polen 9. Dezember – 22. Dezember 2018

Kommentator Witold Krzesiński und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ UNO-Klimakonferenz  in Katowice.  Wie das Kohleland Polen aus der Not eine Tugend machte und warum der polnische Kohleausstieg so schwierig ist ♦ Der Untergang der Partei Nowoczesna (Die Moderne) ♦ Hat viele Pfunde zum Wuchern: Wie sich die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit für die Europa- und Parlamentswahlen rüstet. ♦ Macron-Dämmerung von Polen aus  gesehen.




Das Wichtigste aus Polen 19. November – 9. Dezember 2017

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die  wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Der Wechsel an der Regierungsspitze. Die populäre und erfolgreiche Beata Szydło musste gehen wird aber weiterhin in der ersten Liga der polnischen Politik wirken. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki: ein herausragender Wirtschaftsprofi soll den nationalkonservativen Umbau Polens zu neuen Erfolgen führen.  ♦ Wie sich Polen nach und nach aus der Energieabhängigkeit von Russland befreit. Amerikanisches Flüssiggas hilft dabei. ♦ Jamaika wäre für Polen besser. Mit der GroKo und „Polenschreck“ Martin Schulz in der Regierung sind weitere deutsch-polnische Spannungen bereits vorprogrammiert.




DAS WICHTIGSTE AUS POLEN 28. MAI – 10. JUNI 2017

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die  wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen.  ♦  Exhumierung der Opfer der Smolensk-Flugzeugkatastrophe vom 10. April 2010 bringt erschreckende Tatsachen ans Tageslicht. ♦ Polen ist nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat geworden. ♦ Erdgas aus den USA direkt nach Polen. Russland hat das Nachsehen. ♦ Buhrufe, Zwischenrufe, lautes Fuβstampfen für polnische Vertreter bei den 10. Polnisch-Deutschen Medientagen. Neue Qualität des Dialogs mit Polen.




DAS WICHTIGSTE AUS POLEN 25. DEZEMBER 2016– 7. Januar 2017

 

Kommentator Andrzej Godlewski und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen.

Die Blockade des leeren Sejm-Plenarsaales beeindruckt Öffentlichkeit kaum. Oppositionschef Petru (Modernes Polen) fliegt mit Freundin über Silvester nach Portugal, sein Kollege Schetyna (Bürgerplattform) zum Skilaufen nach Österreich. Protest gerät zur Farce, aber der Beginn der Sejm-Sitzung am 11. Januar dürfte leider unruhig werden.

Silvester-Krawalle im masurischen Ełk/Lyck.

Die Verursacher der gigantischen Abhöraffäre, die 2014-2015 Polen erschüttert und wesentlich zur doppelten Wahlniederlage der Bürgerplattform 2015 beigetragen hat, in  erster Instanz verurteilt.

Polen erwirkt beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg einstweilige Verfügung gegen russisch-deutsche Erdgasbeförderungspläne.

Der polnische Staat kauft die Czartoryski-Kunstsammlung: 86.000 Objekte und 240.000 Handschriften, Bücher und Drucke. Juwel der Kollektion ist Leonardo da Vincis „Dame mit Hermelin“.




DAS WICHTIGSTE AUS POLEN 17. APRIL – 23. APRIL 2016

Kommentator Janusz Tycner und Joachim Ciecierski gehen auf die wichtigsten Ereignisse der Woche ein: 90 Jahre Rundfunk in Polen. Reporter ohne Grenzen sehen, was wir nicht sehen: die Medienfreiheit sei in Polen beeinträchtigt. Erdgaspipeline von Norwegen über Dänemark nach Polen soll Russland vom polnischen Energiemarkt dauerhaft fernhalten. Staatspräsident Andrzej Duda bringt Bulgariens Unterstützung für die Stärkung der Nato-Ostflanke und die Emigrantenpolitik der Visegrad-Saaten nach Warschau mit. Deutscher Außenminister Frank- Walter Steinmeier in Warschau: Beziehungen korrekt, aber nicht überschwänglich.




Das Wichtigste aus Polen 9. August – 15. August 2015

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner gehen auf die wichtigsten Ereignisse der Woche in Polen ein: Hitze und Stromsperren plagen das Land. Warum büßt die Regierungspartei Bürgerplattform ihre Popularität ein? Ständige Nato-Stützpunkte in Polen werden schwer zu bekommen sein.




Das Wichtigste aus Polen 20. Dezember – 31. Dezember 2015

Kommentator Janusz Tycner und Joachim Ciecierski gehen auf die wichtigsten Ereignisse der Woche in Polen ein: neues Gesetz über das Verfassungsgericht in Kraft getreten. Verfassungsgerichtspräsident verweigert seine Anwendung. Berichte von totalen Abhörüberwachungsplänen der neuen Regierung unbegründet. Abhöraffäre der Tusk-Regierung zieht immer weitere Kreise. Flüssiggashafen in Świnoujście steht kurz vor Inbetriebnahme. Zwei polnische Journalisten aus der Geiselhaft des Islamischen Staates befreit.