Sonntage in Polen. Verschnaufen statt kaufen

Anders als in Ungarn, hat sich in Polen der Verzicht auf den Handel am Sonntag durchgesetzt.

Die heftige Auseinandersetzung ist fürs Erste entschieden. Mitte März 2019 fiel endlich das klärende Machtwort der Regierung. „Es gibt keine Absichten die Einschränkungen im Sonntagshandel zu lockern“. Bis dahin sah es zeitweise danach aus, als überkäme Polens nationalkonservative Regierende zunehmend die Angst vor der eigenen Courage.

Tatarenmeldungen im Kampf der Weltanschauungen

Es hieβ, aus Angst vor dem Unmut der Wähler wird die Regierung das Verbot der Sonntagsöffnung von Geschäften zurücknehmen, so wie es Viktor Orban 2016 tat. In Ungarn hatte die Sonntagsschließung gerade mal ein Jahr überdauert. Die Regierung in Budapest hob sie wieder auf, weil alles darauf hindeutete, dass sie eine von der Opposition angeregte Volksabstimmung zum Sonntagshandel verlieren würde.

Gekonnt arrangierte Medienkampagnen der Sonntagshandel-Lobbyisten hatten seit Anfang 2019 den polnischen Himmel über dem sonntäglichen Verkaufsverbot zunehmend getrübt. Tatarenmeldungen häuften sich. Die meisten Polen seien dagegen, so die Umfrageergebnisse. Tante-Emma-Läden, denen eigentlich auf diese Weise geholfen werden sollte, gingen noch schneller ein. Handelszentren würden verbluten, weil die Sonntagskundschaft ausbliebe.

Solidarność-Plakat. Oben: „Herrgott, bitte mach, dass Mutti am Sonntag mit mir zu Hause sein kann.“ Unten: „Eltern, kauft nicht am Sonntag ein.“

Woher die Angaben, auf denen diese Behauptungen fuβten eigentlich stammten, blieb ungeklärt. Auch die Methodik der Umfragen lag im Dunkeln. Wer sich genauer einlas, stieβ immer wieder auf das Wort „schätzungsweise“. Erste Angaben des Statistischen Hauptamtes, Anfang März veröffentlicht, sprachen da eine ganz andere Sprache.

Was aus westeuropäischer Sicht wie eine Lappalie aussehen mag, entwickelte sich in Ungarn und Polen zu einem heiklen Politikum. Hier und dort stilisierten Regierungsgegner die Diskussion über die Einschränkung des Sonntagshandels zu einer neuen Schlacht im Krieg der Weltanschauungen hoch. Obrigkeitsstaat, Bevormundung, klerikales Denken gegen Shoppingfreiheit, Selbstbestimmung und Modern Lifestyle.

In Polen, so die „Schreckensbotschaft“ der Gegner, standen dahinter die angeblich allmächtige katholische Kirche und die von ihr an der Leine geführten Gewerkschaft Solidarność samt der regierenden Kaczyński-Partei Recht und Gerechtigkeit. Allein das war schon ein Gegenargument.

Doch umgesetzt wurde hier, vor allem, eine weitverbreitete Forderung hunderttausender „Wochenend-Sklaven“, die nicht selten nur jeden vierten, fünften Sonntag zu Hause sein konnten. Das jedoch verschwiegen die Verfechter der Flexibilität, die selbst meistens jedes Wochenende frei haben, tunlichst.

Mit von der Partie waren auch die Verbände und Lobbyisten des Discounthandels mit ihren düstersten Vorhersagen. Bis zu 80.000 Angestellte im Handel würden arbeitslos, umgerechnet bis zu einer Milliarde Euro Steuereinnahmen könnten wegfallen, wenn die Läden nur noch an sechs Tagen geöffnet sein würden.

Solidarność-Plakat. „Gebt uns die Eltern am Sonntag zurük.“

Die überwiegend gegen die nationalkonservative Regierung eingestellten Medien trugen ebenfalls das Ihre dazu bei. Deren Lamento war laut. Ihre Darstellung der Notlagen und Unwägbarkeiten, die die Sonntagsschließung ganz sicher verursachen werde klang dramatisch. Entlassungen, Versorgungsengpässe, eine schmerzhafte Einschränkung der Lebensqualität, wo doch die ganze Welt den Handel von Einschränkungen befreie.

Versprochen ist versprochen

Recht und Gerechtigkeit, seit November 2015 an der Regierung, hatte im Wahlkampf versprochen die Sonntagsschließung einzuführen. Ihr wichtiger politischer Verbündeter Solidarność, der sich als eine christliche Gewerkschaft versteht, hatte darauf gedrängt. Die Freiheit der Verbraucher nämlich, konnte nur auf Kosten von 1,2 Millionen im Verkauf Beschäftigten funktionieren, von denen die meisten Frauen sind.

Immer wieder forderten auch Geistliche in Polen einen Stopp des Sonntagshandels, und zwar nicht nur Katholiken. Dieselbe Forderung beendete die alljährliche Woche der Gebete um die Einigkeit der Christen im Januar 2015, einer der wichtigsten ökumenischen Veranstaltungen im Lande. Damals und einige Male mehr, riefen Vertreter der katholischen, mehrerer protestantischer und der orthodoxen Kirchen dazu auf, dem Sonntag seinen besonderen Charakter zurückzugeben.

Solidarność-Plakat. „Deine Freiheit ist die Unfreiheit der anderen.“

Nach den Wahlen von 2015 versuchte die neue Regierungspartei die Umsetzung dieses Wahlversprechens erst einmal auf die lange Bank zu schieben. Sie befürchtete heftigen Widerstand, geschürt von der Opposition und deren Medien. Dabei hatte sie doch bereits den hitzigen Konflikt um die Justizreform am Hals. Hinzu kam die zornige Auseinandersetzung um einen besseren Schutz des ungeborenen Lebens, genauer, das Verbot kranke Kinder im Schoβ der Mutter zu töten.

Auch hier hielt sich Recht und Gerechtigkeit, entgegen ihren Wahlversprechungen, bedeckt. Es waren katholische Laienorganisationen, die mit gut 800.000 Unterschriften zweimal, 2016 und 2018, entsprechende Bürger-Gesetzentwürfe im Parlament eingebrachten. Zweimal brachte die Kaczyński-Partei sie zu Fall, aus Angst vor weiteren stürmischen Protesten der Abtreibungsbefürworter.

Solidarność-Plakat. „Lasst uns den Sonntag zurückgewinnen. Unterschreibe den Gesetzentwurf über die Einschränkung des Sonntagshandels.“

Als die Solidarność-Gewerkschafter in Sachen Sonntagshandel nicht locker lieβen, versuchten die Kaczyński-Leute sie mit dem Vorschlag zwei handelsfreie Sonntage einzuführen ruhig zu stellen. Das schlug fehl. Am Ende stand, anders als in Ungarn, eine stufenweise Einführung des handelsfreien Sonntags.

Das Gesetz vom 10. Januar 2018 legt fest: ab März 2018 gibt es noch zwei verkaufsoffene Sonntage im Monat. Und ab 2019 nur noch einen. Ab 2020 erfolgt dann die Reduzierung auf sieben offene Sonntage im ganzen Jahr (einer vor Ostern, zwei vor Weihnachten sowie jeweils die letzten Sonntage im Januar, April, Juni und August). Zudem dürfen Geschäfte an Heiligabend und Karsamstag nur noch bis 14 Uhr öffnen, damit die Angestellten rechtzeitig zu Hause sein können.

Keiner verhungert vor verschlossenen Ladentüren

Zweiunddreiβig Ausnahmen sieht das Gesetz vor, u.a. für Bäckereien, Konditoreien und Eisdielen, Tankstellen, Blumenläden, Zeitungs- und Tabakläden, Apotheken, Geschäfte in Bahnhöfen und Flughäfen u. e. m. Auβerdem dürfen alle Läden am Sonntag öffnen, in denen sich der Besitzer hinter die Theke stellt. Seine Angestellten müssen frei haben.

Die Befürchtungen der Regierung und die Hoffnungen der Opposition haben sich schnell zerschlagen. Dreiβig Jahre nach dem Ende des Kommunismus haben die meisten Polen offensichtlich ihren Kaufrausch ausgelebt. Jedenfalls nahmen sie, ganz anders als die Ungarn, die Sonntagsschließung erstaunlich gelassen und verständnisvoll hin, obgleich 76 Prozent von ihnen einräumten, wenigstens ab und zu am Sonntag eingekauft zu haben. Auch wenn oppositionelle Parteien und Medien emsig daran arbeiteten, es regte sich kein ernsthafter Protest.

Erste gut nachvollziehbare Angaben des polnischen Statistischen Hauptamtes (SH) zerstreuten die anfänglichen Befürchtungen. Im März 2018, dem ersten Monat, in dem die neuen Bestimmungen an zwei Sonntagen galten, stieg der Umsatz des polnischen Handels um 8,8 Prozent, im April 2018 um 8,1 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum in 2017, als noch an allen Sonntagen geöffnet war. Dieser monatliche Trend hat sich, mit einem Plus zwischen 6 und 8,5 Prozent, bis Ende 2018 und auch Anfang 2019 fortgesetzt. Die gute Wirtschaftslage und die deutlich erhöhten Sozialleistungen haben neue Kaufkraft erzeugt.

Solidarność-Plakat. Oben: „Am Sonntag kaufe ich nicht ein“. Unten: „Heute ist Sonntag und Mutti ist wieder zur Arbeit“.

„Die Kunden haben sich schnell auf die neuen Umstände eingestellt. So, wie seit eh und je in Deutschland, kaufen sie nun rechtzeitig für das Wochenende ein. Der Sonntagsumsatz verteilt sich überwiegend auf den Freitag und den Samstag. Wem sonntags dennoch etwas im Kühlschrank fehlt, der geht in den Tante-Emma-Laden oder zur Tankstelle“, so der Kommentar der Statistiker vom SH.

Es wird geheuert statt gefeuert

Von Massenentlassungen ist nichts bekannt. Zettel und Plakate an Schaufenstern mit „Verkäufer gesucht“ sind weiterhin oft zu sehen. Zudem gab das Statistische Hauptamt bekannt, dass 2018 im polnischen Handel 120.000 Arbeitsplätze entstanden sind.
Das Tempo der Schlieβung von Tante-Emma-Läden hat sich deutlich verringert. Im Jahr 2017, noch ohne Handelssperre am Sonntag, wurden 13.720 von ihnen aufgegeben. Im Jahr 2018, dem ersten teilweise ohne Sonntagshandel, schlossen 8.834. Trotzdem gibt es in Polen immer noch 25 Läden pro 10.000 Einwohner. In Spanien sind es elf, in Frankreich zwei.

„Entsklavung“ mit Lücken

Von den Angestellten im Handel befürworten 92 Prozent der Frauen und 90 Prozent der Männer die neue Regelung ausdrücklich. Sie klagen jedoch darüber, dass ihre Arbeitszeit an Sonnabenden bis 22, teilweise bis 24 Uhr verlängert wurde. Zudem zitieren manche Discounter ihre Angestellten am Montag für vier Uhr oder noch früher zur Arbeit.

Alfred Bujara.

Alfred Bujara, Solidarność-Chef der Sparte Handel, Banken, Versicherungen, seit Jahren das Gesicht des Kampfes um „Entsklavung“ im Handel, wie er es nennt, sagt dazu: „Das ist ein ernsthaftes Problem, vor allem in kleineren Orten, von wo aus es um diese Zeit keine öffentlichen Verbindungen gibt. Deswegen fordern wir nicht erst seit heute, dass der Sonntag für Angestellte im Handel am Samstag um 22 Uhr beginnt und am Montag um 5 Uhr früh endet. So ist es in vielen europäischen Ländern“.

Die Arbeitgeber im Handel fordern hingegen eine Regelung, die den Angestellten lediglich zwei freie Sonntage im Monat gesetzlich garantieren soll.

Bujara: „Das Ergebnis wäre, dass die Angestellten von Montag bis Sonnabend mit Arbeitsvertrag arbeiten würden. An ihren freien Sonntagen könnte man sie mit einem Werk- oder Zeitvertrag beschäftigen. Der „Wochenendsklave“ wäre wieder da.“

Die Verlierer sind…

Es gibt zwei eindeutige Verlierer der neuen Regelungen. Zum einen sind es Handelszentren, in denen an Sonntagen ganze Familien flanierten, einkauften, aβen, ins Kino gingen. Die Zentren haben weiterhin an allen Sonntagen geöffnet, aber in Anbetracht der geschlossenen Läden, ziehen Restaurants und Kinos alleine viel weniger Publikum an.

Zum anderen sind es Studenten. Schätzungsweise vierzig Prozent von ihnen jobben regelmäβig an Wochenenden. Nun entfällt der Handel teilweise für sie, es bleibt die Gastronomie.
Deutliche Vorteile verzeichnen dagegen generell Kinos, Konzertveranstaltungen, Zoos, Museen und andere Freizeiteinrichtungen.

Ohne Kampf kein Sieg

So also sieht das vorläufige Ergebnis im langen Kampf um die „Entsklavung“ im polnischen Handel aus. Nach dem Ende des Kommunismus, als der allgemeine Kaufrausch ausbrach und jahrelang immer neue Rekorde brach, blühte, bis zum Jahr 2007, der Handel ungezügelt an 365 Tagen im Jahr.

Solidarność-Plakat. „Ich kaufe nicht am Sonntag ein.“

Erst 2007 gelang es der ersten Regierung Jarosław Kaczyńskis, trotz Sturmfeuer der liberalen Medien und unzähliger Herolde der freien Marktwirtschaft, den Art. 151 §1 ins Arbeitsgesetzbuch zu bringen: „Die Arbeit an gesetzlichen Feiertagen im Handel ist nicht erlaubt”. Der politische Kampf um die zehn Worte war sehr heftig und Vorhersagen genauso düster, wie vor der Einführung des Verkaufsverbots an Sonntagen.

Dank Art. 151 §1 bekamen die Angestellten im Handel 2007 wenigstens an gesetzlichen Feiertagen frei. Bis dahin arbeiteten alle Discounterketten, Baumärkte, Möbelhäuser usw. auch an Allerheiligen, an Weihnachten, Ostern, Neujahr. Jetzt dürfen an den dreizehn gesetzlichen Feiertagen in Polen nur die Geschäfte öffnen, deren Eigentümer oder deren Familien sich hinter den Ladentisch stellen.

Die Sonntagsarbeit im Handel war ein ständig wiederkehrendes Thema der politischen Auseinandersetzung. Ihrem Ziel am nächsten waren die Befürworter des arbeitsfreien Sonntags im Jahr 2001. Damals verabschiedete das Wahlbündnis Solidarność (AWS: eine inzwischen längst Geschichte gewordene Allianz der Gewerkschaft und einiger Dutzend konservativer und liberalkonservativer Kleinparteien, die Polen zwischen 2001 und 2005 regierte) eine entsprechende Novelle im Arbeitsgesetzbuch.

Solidarność-Plakat. „Am Sonntag kaufe ich nicht ein.“

Der damalige, wie es hieβ, linke Staatspräsident, der Postkommunist Aleksander Kwaśniewski legte jedoch dagegen sein Veto ein, und das Wahlbündnis Solidarność besaß nicht die erforderliche 3/5 Mehrheit, um dieses Veto im Sejm niederzustimmen. Aldi, Lidl, Netto, die portugiesische Discounterkette Biedronka (Maikäfer), Praktiker, Rossmann u.a. konnten aufatmen.

Das letzte Mal vor 2018 stand die Sonntagsarbeit im März 2014 auf der Tagesordnung des Sejm. Mit den Stimmen der Regierungskoalition Bürgerplattform (PO) und Bauernpartei (PSL) unter Donald Tusk, unterstützt von den „regierungsnahen“ Oppositionsparteien, den Postkommunisten und der rabiaten Palikot-Bewegung, wurden zwei Gesetzesvorschläge zur Beseitigung der Sonntagsarbeit abgelehnt. Der eine war durch eine Bürgerinitiative entstanden und wurde von gut 120.000 Menschen unterschrieben, den anderen hatte die oppositionelle Recht und Gerechtigkeit (PiS) eingebracht.

Ob der Kampf beendet ist? Vorerst sicherlich ja, aber die Drohung der Opposition nach einem eventuellen Wahlsieg alles wieder rückgängig zu machen steht im Raum.

© RdP




Das Wichtigste aus Polen 18. September – 24. September 2016

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Woche in Polen. Emigranten, Brexit, weniger EU-Zentralismus: verhaltener Optimismus in Warschau nach dem EU-Gipfel in Bratislava. Neue, schockierende Erkenntnisse, wie die Smoleńsk-Katastrophe vom 10. April 2010 „untersucht“ wurde. Woran kränkelt die Opposition in Polen. Hochpolitisch und vorest suspendiert: die neue Umsatzsteuer.




Brot auf dem Rückzug

Polnische Bäcker haben Grund zur Sorge.

Trotz aller Bemühungen der Bäcker, schmeckt das tägliche Brot den Menschen hierzulande offensichtlich immer weniger. Die Bilanz des Jahres 2014, die die Vereinigung des Bäckerhandwerks der Republik Polen (SRP RP) Mitte April 2015 in Warschau vorgestellt hat, machte diesbezüglich leider jegliche in eine andere Richtung deutende Illusion zunichte.

Knapp dreihundert Bäckereibetriebe haben 2014 schließen müssen. Neuntausend gibt es noch im ganzen Land, etwa dreitausend weniger als vor zehn Jahren.

Grund dafür ist der seit dem Ende des Kommunismus stetig zurückgehende Brotverzehr. Mitte der 80er Jahre betrug er im Durchschnitt 85 kg pro Jahr und Person. Im Jahre 2005 waren es 70,8 kg, 2013 noch 49,7 kg, im letzten Jahr verringerte er sich wiederum auf 47,8 kg. Damit liegen die Polen um gut ein Kilogramm vor den als leidenschaftliche Brotesser geltenden Deutschen, doch das dürfte für die polnischen Bäcker kaum ein Trost sein.

Der rapide Rückgang des Brotkonsums sofort nach dem Ende des Kommunismus hatte vor allem mit der Aufhebung des amtlich festgelegten, niedrigen Brotpreises zu tun. Auch wenn sonst die Regale leer waren, Brot, als das elementarste Grundnahrungsmittel, musste immer vorrätig sein. Billig zu haben, wurde es oft in zu groβen Mengen gekauft und später, alt und hart geworden, weggeworfen. Wer für den Eigenbedarf Tiere hielt, verfütterte es in Unmengen an Kaninchen, Hühner, Tauben, kleinere Bauernbetriebe an Pferde. Brot war eben billiger und leichter zu haben als die stets raren Futtermittel.

Die Abschaffung der staatlichen Preisbindung nach 1990 wirkte wahre Wunder gegen diese Verschwendung. Sehr schnell lernten die Menschen nur so viel zu kaufen, wie unbedingt notwendig war. Inzwischen kostet ein Kilogramm des billigsten Brotes etwa 8 Zloty (ca. 2 Euro).

Der zweite Grund für den nachlassenden Brotkonsum sind die veränderten Essgewohnheiten. Kinder und junge Leute greifen beim Frühstück lieber zu Cornflakes, Müsli und Yoghurt. Das früher allgegenwärtige Broteschmieren für die Arbeits- und Schulpause hat sehr nachgelassen. Yuppies essen mittags lieber einen Salat, Schülern schmecken fruchtige Kornriegel oder Chips besser. Zudem beinhaltet jede Schlankheitsdiät die Empfehlung unbedingt auf Brot zu verzichten.

Die auf dem Balkan und in Russland weit verbreitete Sitte, zu jeder warmen Mahlzeit, auch wenn reichlich Kartoffeln gereicht werden, Brot zu essen, hat in Polen nie Fuβ gefasst. Dafür wird schon mal gerne Brot zur Suppe serviert, ohne die ein normales polnisches Mittagessen undenkbar wäre.

Sehr zu schaffen machen den Bäckern die Discounterketten, seitdem diese dazu übergegangen sind in ihren Filialen ofenfrische Backwaren anzubieten. Aus gefrorenem Teig, der aus Rumänien importiert wird, entstehen brot- und brötchenähnliche Produkte ohne jegliche Nährstoffe, luftgefüllt, dafür aber zu traumhaft niedrigen Preisen. Ein Brötchen kostet 16 Groszy (4 Cent). Für ein anständiges Brötchen vom Bäcker zahlt man mindestens 35 Groszy (ca. 9 Cent). Im Niedriglohnland Polen, wo das statistische Durchschnittsgehalt bei 3.200 Zloty brutto (ca. 800 Euro) und der gesetzliche Mindestlohn bei 1200 Zloty brutto (ca. 300 Euro) liegt, bestimmt zu achtzig Prozent (so das Ergebnis von Untersuchungen) der Preis das Kaufverhalten.

Eine Nische, die die polnische Bäckereibranche zu erschließen versucht, sind Brot und Brötchen von gehobener Qualität, die man in eigenen Geschäften an den Kunden bringen möchte. Stefan Putka, Chef der Wartschauer Bäckerinnung, der in seinen siebzig Läden in der Hauptstadt und deren Umgebung u.a. schmackhaftes Schwarzbrot zu 20 Zloty das Kilogramm anbietet, klagt keineswegs über mangelnde Nachfrage.

Der Massenverkauf jedoch findet zunehmend in den Discounterketten statt, die sich von industriellen Groβbäckereien beliefern lassen, weil Gummibrötchen aus rumänischem Tiefkühlteig nun mal nicht die gesamte Nachfrage abdecken. Für die kleinen und mittleren Betriebe bleibt daher tatsächlich nur noch der Direktverkauf in eigenen Läden in günstiger Lage, mit möglichst viel Laufkundschaft. Das Ganze meistens in Verbindung mit einem guten Angebot an Sandwiches und dem Verkauf von Kaffee und Tee.

In dieser Nische ist nicht viel Platz, und wer ihn ergattern will, muss einiges an Investitionskapital aufbringen. Ausgefallenere Backwaren finden Abnehmer unter Leckermäulern und in einer dünnen, großstädtischen Schicht von Gutverdienenden. Die erhoffte Trendumkehr für die ganze Branche wird dadurch kaum eintreten, darüber macht man sich bei den Innungen und bei der polnischen Bäckervereinigung keine Illusionen.

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Handel am Sonntag

Kirchen und Gewerkschaften geben zu bedenken.

Am Sontag frei zu haben, davon können viele polnische Arbeitnehmer nur träumen. Am Ende der diesjährigen Woche der Gebete um die Einigkeit der Christen (18. – 25. Januar 2015), einer der wichtigsten ökumenischen Veranstaltungen im Lande, riefen die Vertreter der katholischen, mehrerer protestantischer und der orthodoxen Kirchen dazu auf, dem Sonntag seinen besonderen Charakter zurückzugeben. Die Auseinandersetzung um den arbeitsfreien Sonntag, vor allem im Handel, ist somit um eine Facette reicher geworden.

Die polnische Verfassung schweigt dazu, das Arbeitsgesetzbuch stellt fest:

Art. 151: „Arbeitsfreie Tage sind Sonntage sowie gesetzliche Feiertage, die in den Vorschriften über arbeitsfreie Tage festgelegt worden sind“.

Art. 151 §1: „Die Arbeit an gesetzlichen Feiertagen im Handel ist nicht erlaubt“

Art. 151 §2: „Die Regelung in §1 wird auch dann angewandt, wenn der gesetzliche Feiertag auf einen Sonntag fällt.“

Art. 151 §3: „Sonntagsarbeit im Handel ist erlaubt bei Ausübung von Tätigkeiten von sozialer Nützlichkeit und bei der Befriedigung tagtäglicher Bedürfnisse der Bevölkerung“.

Für den durchgearbeiteten Sonntag, ob im Handel, in der Gastronomie, im Hotelwesen, auf der Tankstelle usw., sollte innerhalb von sechs darauffolgenden Arbeitstagen ein freier Tag gewährt werden. Ist das nicht möglich, werden 100% Zuschlag bezahlt.

Wer aus dem deutschsprachigen Raum nach Polen kommt, wundert sich manchmal. Am Sonntag haben alle grossen Geschäfte geöffnet, ungezügelt blüht der Handel, bis vor gar nicht allzu langer Zeit tat er es sogar an 365 Tagen im Jahr.

Erst 2007 gelang es der Regierung Jarosław Kaczyńskis, trotz Sturmfeuer der liberalen Medien und unzähliger Herolde der freien Marktwirtschaft, den Art. 151 §1 ins Arbeitsgesetzbuch zu bringen, und so den Angestellten im Handel wenigstens an gesetzlichen Feiertagen frei zu geben. Bis dahin arbeiteten alle Discounter-Ketten, Baumärkte, Möbelhäuser usw. auch an Allerheiligen, an Weihnachten, Ostern, Neujahr. Jetzt dürfen an den 13 gesetzlichen Feiertagen in Polen nur die Geschäfte öffnen, deren Eigentümer oder ihre Familien sich hinter den Ladentisch stellen.

Die Sonntagsarbeit im Handel bleibt ein ständig wiederkehrendes Thema der politischen Auseinandersetzung. Ihrem Ziel am nächsten waren die Befürworter des arbeitsfreien Sonntags im Jahr 2001. Damals verabschiedete das Wahlbündnis Solidarność (AWS; eine inzwischen längst Geschichte gewordene Allianz der Gewerkschaft und einiger dutzend konservativer und liberalkonservativer Kleinparteien, die Polen zwischen 2001 und 2005 regierte) eine entsprechende Novelle im Arbeitsgesetzbuch. Der damalige, wie es hieβ, linke Staatspräsident, der Postkommunist Aleksander Kwaśniewski legte dagegen sein Veto ein, und das Wahlbündnis Solidarność besaß nicht die erforderliche 3/5 Mehrheit, um dieses Veto im Sejm niederzustimmen. Aldi, Lidl, Netto, die portugiesische Discounter-Kette Biedronka (Maikäfer), Praktiker, Rossmann u. a. konnten aufatmen.

Das letzte Mal, bis jetzt, stand die Sonntagsarbeit im März 2014 auf der Tagesordnung des Sejm. Mit den Stimmen der Regierungskoalition Bürgerplattform (PO) und Bauernpartei (PSL), unterstützt von den „regierungsnahen“ Oppositonsparteien, den Postkommunisten und der rabiaten Palikot-Bewegung, wurden zwei Gesetzesvorschläge abgelehnt. Der eine entstand durch eine Bürgerinitiative und wurde von gut 120 000 Menschen unterschrieben, den anderen brachte Recht und Gerechtigkeit (PiS) ein.

Die Befürworter der Sonntagsarbeit in Politik und Wirtschaft behaupten, dass ihre Abschaffung zu Entlassungen im Handel und zur Drosselung des Wirtschaftswachstums führen wird. Der Polnische Verband für Handel und Distribution (POHiD), der Dachverband der groβen Handelsketten, sieht darin zudem eine Einschränkung der Gewerbefreiheit. Laut Meinungsumfragen sind 51% der Polen für die Beibehaltung des Sonntagshandels, 38% sind dagegen, 32% sagen, dass sie aus Prinzip am Sonntag nicht einkaufen. Dennoch: vor allem Ladengalerien, wo es Geschäfte, viel Gastronomie und Kinos gibt, sind an Sonntagen überlaufen.

„In einem Land, in dem mehr als 90% der Bürger sich als Katholiken betrachten, wird der Sonntag inzwischen als ein Tag angesehen, der sich genauso gut für die Erledigung tagtäglicher Angelegenheiten eignet, wie jeder andere. Sehr aussagekräftig und tragisch zugleich ist, dass ein verstärktes Kundenaufkommen in den Supermärkten unmittelbar nach jedem abgehaltenen Sonntagsgottesdienst einsetzt. Man kann verstehen, dass eine Generation die im Schatten leerer Regale aufgewachsen ist, sich an der Gewerbefreiheit und am Konsum berauscht. Fernsehen und Einkaufen mit der ganzen Familie gehören heute zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der Polen. Nur, warum muss das auf Kosten des sakralen Charakters des Sonntages gehen?“, ist auf der Internetseite der „Allianz für einen freien Sonntag“ (Przymierze na rzecz wolnej niedzieli) zu lesen.

Als im März 2014 der damalige Ministerpräsident Tusk freie Sonntage für Angestellte im Handel kategorisch ablehnte, sprach er im Namen seiner Wähler, der viel bewunderten, neuen Mittelklasse. Auf den Internetforen konnte man u. a. lesen:

„Bravo! Tusk hat den Hierarchen der katholischen Kirche, den Fanatikern und den arbeitsscheuen Parasiten Einhalt geboten.“

„Niemand wird mit vorschreiben, wann ich in die Läden gehen darf. Ich arbeite an Wochentagen bis 17 Uhr und bin dann müde.”

„Einkaufen am Sonntag, das ist für mich das wichtigste. Ich arbeite meistens zehn Stunden lang, abends muss man sich um die Kinder kümmern. Am Wochenende fahren wir meistes zu den Eltern und machen am Sonntagabend auf dem Rückweg Einkäufe für die ganze Woche. Wenn jemandem das nicht gefällt, dann soll er den Job wechseln. Warum soll ausgerechnet ich meinen Wochenplan ändern?“ © RdP

Die Auseinandersetzung dauert an. Für den arbeitsfreien Sonntag setzten sich Kirche, etliche katholische Laieninitiativen und die Gewerkschaft Solidarność ein.

Alfred Bujara
Alfred Bujara

Alfred Bujara ist Solidarność-Vorsitzender der Sparte Handel, Banken und Versicherungen. Die Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“), sprach mit ihm am 5. Januar 2015, noch vor dem Aufruf der Kirchen.

Frage: „Solidarność“ kämpft seit langem um ein Verbot des Handels an Sonntagen. Gegner dieser Idee behaupten, dass ihre Umsetzung zu einem Umsatzrückgang im Handel und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen würde.

Bujara: Jetzt haben wir ein von Gesetzes wegen eingeführtes Handelsverbot an 13 Feiertagen im Jahr und man kann nicht sagen, dass das den Handel negativ beeinflusst hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Im Jahr 2012 fiel der Feiertag Hl. Drei Könige auf einen Sonntag, der aus diesem Grund handelsfrei sein musste. Wir haben damals eine Untersuchung durchgeführt und es stellte sich heraus, dass an dem vorangegangenen Freitag und Samstag die Umsätze in den Geschäften um 5 bis 6% höher waren als an dem darauffolgenden Freitag, Samstag und Sonntag. Genauso war es vor dem Pfingstsonntag. Wie man sieht, verursachen die arbeitsfreien Tage im Handel einen Anstieg der Umsätze in den Läden, weil die Kunden auf Vorrat kaufen. Unserer Meinung nach würde ein arbeitsfreier Sonntag im Handel in den ersten zwei Jahren einen Umsatzanstieg nach sich ziehen. (…)

Frage: Warum überzeugen diese Argumente die Politiker und vor allem die Eigentümer der groβen ausländischen Handelsketten nicht?

Bujara: Es gibt keinen politischen Willen dazu. Dieses Parlament wird das Verbot von Sonntagsarbeit im Handel nicht mehr einführen, aber wir hoffen darauf, dass es nach den Wahlen dazu kommen wird, wenn sich die Zusammensetzung von Sejm und Senat ändern werden. Wir haben Verständnis für die Gewohnheiten der Kunden, und deswegen fordern wir nicht den Handel gleich an allen Sonntagen einzustellen. Am Anfang könnte man z. B. zwei freie Sonntage im Monat einführen. Selbstverständlich gäbe es einige Sonntage im Jahr, so z.B. vor den Weihnachts- und Osterfeiertagen, an denen der Handel stattfinden könnte.

Frage: Die Einführung der arbeitsfreien Sonntage liegt den Angestellten im Handel am Herzen?

Bujara: Ja, sie weisen immer wieder darauf hin. Die Angestellten wollen kein zusätzliches Geld, worauf noch vor einigen Jahren immer wieder verwiesen wurde, sondern fragen uns, was denn mit den arbeitsfreien Sonntagen sei. (…) 90% der Angestellten in dieser Branche, zumeist sind es Frauen mit Kindern, belastet am meisten, dass sie ihre Familien am Sonntag allein lassen müssen. Sonntagsarbeit ist für die Angestellten das mit Abstand gröβte Problem. Das darf man nicht ignorieren.“

RdP