Chopins Herzuntersuchung

165 Jahre nach dem Tod des Komponisten.

Das in der Warschauer Hl.-Kreuz-Kirche aufbewahrte Herz Fryderyk Chopins ist in einem sehr guten Zustand. Das wissen wir seit Mitte September 2014, als die Ergebnisse der im April 2014 durchgeführten Untersuchungen bekanntgegeben wurden.

Die Begutachtung wurde am 14. April 2014 vorgenommen. Auf einer Pressekonferenz in Warschau am 17. September 2014 sagte Prof. Tadeusz Dobosz vom Institut für Gerichtsmedizin der Universität Wrocław/Breslau, einige Historiker hätten in Frage gestellt, dass sich in dem in eine der Säulen der Kirche eingemauerten Behälter tatsächlich das Herz des Komponisten befindet. Die Untersuchung hat diese Zweifel zerstreut.

„Der französische Anatomiepathologe Jean Cruveilhier, der Chopins Leichnam obduzierte und das Präparat anfertigte, verwendete als Behälter kein Glas- sondern ein Kristallgefäβ. Der Deckel ist hervorragend angepasst, das Gefäβ sehr dicht. Beim Verschlieβen solcher Gefäβe wird das Gewinde mit Vaselin eingefettet. Cruvheilhier hat damit nicht gespart. Das Vaselin floss in den Behälter und bildete eine Schicht auf der Konservierungsflüssigkeit, die zusätzlich das Verdampfen verhindert“, sagte Prof Dobosz auf der Pressekonferenz.

Hinter diesem Epitaph in der Warschauer Hl.-Kreuz-Kirche verbirgt sich die Urne mit dem Herz von Chopin.
Hinter diesem Epitaph in der Warschauer Hl.-Kreuz-Kirche verbirgt sich die Urne mit dem Herz von Chopin.

Fryderyk Chopin starb am 17. Oktober 1849 in Paris und wurde auf dem Friedhof Père-Lachaise beigesetzt. Seine Schwester Ludwika brachte sein Herz in das damals zu Russland gehörende Warschau. Das seit 1795 endgültig dreigeteilte Polen sollte erst 1918 wiederauferstehen. Seinen Platz in der Hl.-Kreuz-Kirche fand die nationale Reliquie im Jahr 1880.

Die Hl. Kreuz-Kirche 1945.
Die Hl. -Kreuz-Kirche 1945.

Vor der in 2014 durchgeführten Beschau wurde der Behälter zum letzten Mal kurz nach dem Krieg, im Oktober 1945, begutachtet. Während der planmäβigen Zerstörung Warschaus durch deutsche Spreng- und Brandkommandos, zwischen Anfang Oktober 1944 (Kapitulation des Warschauer Aufstandes und die Vertreibung der restlichen Zivilbevölkerung aus der Stadt) und dem 17. Januar 1945 (Einmarsch der Russen), wurde das Gefäβ noch am 12 Januar 1945, auf Betreiben eines deutschen Offiziers, aus der Stadt herausgeholt und in Milanówek bei Warschau dem dort internierten Warschauer Weihbischof Antoni Szlagowski übergeben.

Das so gerettete Herz Chopins hat man kurz nach Kriegsende, am 17.Oktober 1945, dem 96. Todestag des Komponisten, wieder an seinem angestammten Ort untergebracht.

Die Hl.-Kreuz-Kirche heute.
Die Hl.-Kreuz-Kirche heute.

Vor einigen Jahren begann sich eine Gruppe von Wissenschaftlern um die erneute Begutachtung zu bemühen. Der Genetiker Prof. Wojciech Cichy von der Medizinischen Universität Poznań wollte Proben aus dem Herz entnehmen, um festzustellen woran genau Chopin gestorben sei. Und Prof. Tadeusz Dobosz hatte die Befürchtung, dass das Gefäβ womöglich undicht werden, die Konservierungsflüssigkeit verdampfen und das Herz vertrocknen könnte.

Prof. Tadeusz Dobosz
Prof. Tadeusz Dobosz

Nach der Beschau gewährte Prof. Dobosz der „Gazeta Wyborcza“ („Wahlzeitung“) am 17. September 2014 ein Interview. Hier die wichtigsten Auszüge.

Frage: Welches Bild bot sich Ihnen nach der Öffnung der Nische und der beiden Holzkästchen, in denen sich der Behälter befindet?

Prof. Dobosz: Das Kristallgefäβ ist 16 cm hoch und hat einen Durchmesser von 12 cm. Der Stand der Konservierungsflüssigkeit ist hoch, in den 160 Jahren ist vielleicht ein halber Zentimeter verdampft. Alles ist also in bestem Zustand. Wir hatten auch kein Problem mit dem Öffnen der beiden Kästchen, sie waren nicht verschlossen.

Frage: Und wie sieht das Herz aus?

Prof. Dobosz: Auf der Oberfläche gibt es Veränderungen, die auf Tuberkulose schlieβen lassen. Sicherheit hierüber würden wir bekommen, wenn man das Gefäβ, ohne es zu öffnen, in einem Computertomographen durchleuchten könnte. Dazu haben die Kirchenbehörden jedoch ihre Zustimmung verweigert, denn dann müsste das Herz die Kirche verlassen. Abgesehen davon sieht das Herz überraschend gut aus. Lediglich am oberen Rand ist die Struktur der Oberfläche etwas verwischt, aber in der Mitte und unten ist der Zustand ideal. (…)

Frage: Welche Farbe hat es?

Prof. Dobosz: (…) Das Konservierungsmittel hat das Organ ausgebleicht, die natürliche Röte ist verschwunden. Das Herz Chopins ist etwas gröβer als üblich, er litt ja an einer Kreislaufschwäche. Das Herz wurde während der Sektion aufgeschnitten, dadurch wurde es ein wenig verformt. Es wurde aber nicht, was einige Wissenschaftler angenommen haben, in eine Blase oder in ein Säckchen eingenäht.

Frage: Handelt es sich bei der Konservierungsflüssigkeit tatsächlich um Spiritus?

Prof. Dobosz: Es gab eine Hypothese, die besagte, dass es 70prozentiger Cognac gewesen sein soll. Das kann man nicht ausschlieβen, denn die Konservierungsflüssigkeit ist gelb, aber das kann auch durch Blut verursacht worden sein. Das jedoch, werden wir nicht erfahren, denn das Gefäβ ist absolut dicht, es gab keinen Anlass zu einem Eingriff. Wir haben nur eine Schicht Bienenwachs aufgetragen, dort, wo der Deckel auf das Gefäβ aufgesetzt wurde, damit es noch dichter wird.

Frage: Sie waren einer der Wissenschaftler, die auf eine Beschau drängten. Warum?

Prof. Dobosz: Ich wollte überprüfen, wie der Zustand ist und im Bedarfsfall handeln. Ich betreue das Museum für Gerichtsmedizin in Wrocław. Wir haben dort Präparate, die in etwa genauso alt sind, und wir wissen, wie leicht sie der Vernichtung anheimfallen können. Daher mein Drängen. Die Bemühungen dauerten sieben Jahre lang an. Wäre das Gefäβ undicht gewesen und man hätte es öffnen müssen, dann hätte es eine Chance für genetische Untersuchungen gegeben.

Prof. Witt aus Poznań war einer der ersten, der darum ersucht hat feststellen zu dürfen woran Chopin gelitten hat. Wir haben auf diesem Gebiet sowieso einen Nachholbedarf, alle Krankheiten an denen andere groβe europäische Komponisten litten, wurden inzwischen bereits diagnostiziert . Mozart bildet hier eine Ausnahme, aber wir verfügen auch nicht über seine sterblichen Überreste. Alle anderen Persönlichkeiten wurden genetisch untersucht und das brachte viele neue Erkenntnisse über sie. Wir in Polen schätzen unseren gröβten Komponisten so sehr, dass wir vor lauter Hochschätzung das Wissen über ihn nicht erweitern wollen.

Frage: Wer hat sich dem entgegen gestellt?

Prof. Dobosz: Alle, angefangen bei der Familie, wie die Urenkelin einer der Schwestern Chopins. Dagegen waren auch der Warschauer Kardinal Kazimierz Nycz und der vorherige Direktor des Nationalen Fryderyk-Chopn-Instituts (2001 vom Sejm ins Leben gerufen, verwaltet es den gesamten Nachlass des Komponisten – Anm. RdP). Dafür hat uns der jetzige Direktor des Instituts, Dr. Artur Szklener sehr bei den Bemühungen um eine Beschau geholfen. Es gelang auch den Warschauer Metropoliten, Kardinal Kazimierz Nycz umzustimmen, der zu Anfang die Meinung vertrat, man müsse den Willen der Familie respektieren, dann aber seine Meinung änderte, und dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Frage: Ist es nicht schade, dass es nicht gelang die Konservierungsflüssigkeit zu untersuchen?

Prof. Dobosz: Ich bin vor allem froh darüber, dass mit dem Herzen alles in bester Ordnung ist.(…). Die nächste Begutachtung soll in fünfzig Jahren stattfinden. Das werde ich nicht mehr erleben, aber dann erfahren wir wahrscheinlich woran Chopin gestorben ist. Schon heute gibt es Methoden genetische Analysen durchzuführen ohne ein Präparat zu berühren. In fünfzig Jahren wird es hierzu noch mehr Möglichkeiten geben.

Lesenswert auch: „Chopins Flügel befllügelt“.

RdP