Polen kleinhalten. Das Ringen an Oder und Neisse

Wie Deutschland sämtliche polnische Modernisierungsvorhaben torpediert.

Dass es einen starken Interessenkonflikt zwischen Polen und Deutschland gibt, lässt sich am deutlichsten an Oder und Neiße erkennen. Entlang dieser Flüsse verläuft die Linie einer der schärfsten Auseinandersetzungen innerhalb der Europäischen Union. Vom Ausgang dieses Ringens hängt die zukünftige Stellung Polens in Europa ab.

Am 25. März 2022 wurde in Gdańsk/Danzig der Verein „Ostsee-SOS“ registriert. Sein Ziel ist, „die natürlichen Küstengebiete gegen die Bedrohung durch nukleare Infrastruktur zu verteidigen“.

In Anbetracht der Tatsache, dass in Choczewo, einem pommerschen Dorf auf halbem Weg zwischen Karwia/Karwen und Łeba/Leba, das erste Kernkraftwerk Polens mit amerikanischer Technologie gebaut werden soll, liegt der Schluss nahe, dass das Ziel von „Ostsee-SOS” darin bestehen wird, den Bau des Kraftwerks zu verhindern.

Deutsche Medien, deutsche Behörden, deutsche Aktivisten, deutsches Geld

Während in Polen, abgesehen von der unmittelbaren Nachbarschaft des geplanten AKW, niemand von dem etwa zwanzig Mitglieder zählenden Verein Kenntnis genommen hat, erlangte er in Deutschland bereits landesweite Berühmtheit. Das ARD-Fernsehen, die Berliner Zeitung, der Deutschlandfunk, die TAZ und etliche andere deutsche Medien berichten in gewohnter Manier von „Angst”, „Protest”, „Befürchtungen” und dem „Kampf” der Umweltaktivisten, die sich beim genaueren Hinsehen fast ausnahmslos als die knapp zwei Dutzend Eigentümer von Ferienhäusern und Wohnungen entpuppten. Sie machen sich verständlicherweise Sorgen um ihre Investitionen, während die Kommunalpolitiker und die meisten Einwohner darauf hoffen, dass der AKW-Bau ihnen z.B. die lang ersehnte Kanalisation beschert.

„Ostsee-SOS“-Protest. Ein kleiner Verband, in Deutschland berühmt, in Polen kaum bekannt

Die deutsche Medienattacke geht einher mit einer unverblümten offiziellen Drohung, die der „Tagesspiegel” so betitelte: „Vier Bundesländer schreiten ein: Polen will Atomkraftwerk an der Ostsee bauen. Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen wollen das Vorhaben stoppen”. Dass man es ernst meint und dass es sich hier um eine konzertierte Aktion handelt, davon zeugen die Beteuerungen deutscher Aktivisten, ihr Know-how beizusteuern und selbstverständlich an den Blockaden der künftigen Baustelle teilzunehmen. Hinzu kommen erste Andeutungen, dass deutsche Umweltorganisationen Vereine wie den „Ostsee-SOS” mitfinanzieren wollen.

Polnische AKW-Pläne. Deutsche Darstellung

Doch nicht nur in Choczewo fährt Deutschland die geballte Kraft seiner Möglichkeiten gegen polnische Modernisierungsvorhaben auf. Die heute noch bescheidene „Ostsee-SOS”, die deutscherseits aufgepäppelt werden soll, ist eng mit der Initiative „Rettet die Oder“ verbunden. Letztere arbeitet mit der finanzmächtigen deutschen Umweltorganisation BUND zusammen. Ihre Mitglieder blockieren gemeinsam mit polnischen Umweltaktivisten seit einiger Zeit die Wiederherstellung der Binnenschifffahrt auf der Oder.

Deutsche Aktivisten gegen polnische AKW. Frankfurt Oder im Juli 2021

Alle Wege führen nach Deutschland

Worum geht es? Die Oder ist ein sehr attraktiver Schifffahrtsweg, der genutzt werden kann, um Fracht aus Schlesien und Tschechien zu den Häfen von Szczecin/Stettin und Świnoujście/Swinemünde zu befördern. Ein mittelgroßer Lastkahn kann 500 Tonnen Ladung an Bord nehmen, die sonst auf etwa 25 Schwerlastwagen transportiert werden. Und da Binnenschiffe in der Regel nicht allein, sondern im Verband fahren, muss diese Zahl noch multipliziert werden. Die Vorteile der Binnenschifffahrt liegen also auf der Hand: Die Verringerung des Lkw-Aufkommens auf den Straßen wirkt sich auf die Sicherheit, die Umwelt und auch auf die Kosten aus, denn für den Transport von vielen Hunderten Tonnen Ladung sind nur wenige Binnenschiffsbesatzungen anstelle von Dutzenden von Fahrern erforderlich. Der Nachteil ist die Geschwindigkeit, aber bei Schwertransporten, z.B. von Rohstoffen, Zuschlagstoffen und Baumaterialien, ist das nicht so wichtig.

Vor einem halben Jahrhundert wurden auf der Oder jährlich mehrere Millionen Tonnen an Gütern transportiert. Mit dem Ende des kommunistischen Polens begann die Nutzung der Oder jedoch zu sinken. Einer der Gründe dafür war die Vernachlässigung der Wasserstraßen, die ebenso wie die Straßen an Land einer ständigen Pflege bedürfen. In diesem Fall: die Vertiefung der Fahrrinne, Wartung der Anlagen, Schleusen usw. Es stellt sich natürlich die Frage, inwieweit diese Vernachlässigung eine Begleiterscheinung des schlechten Zustands war oder inwieweit sie beabsichtigt war.

In den 1990er-Jahren und im darauffolgenden Jahrzehnt wurde Polen allmählich zu einem Reservoir billiger Arbeitskräfte für die größten EU-Länder, allen voran Deutschland, was erhebliche infrastrukturelle Veränderungen mit sich brachte. Welchen Sinn hatte die Aufrechterhaltung von Nord-Süd-Verkehrswegen (und die Oder ist einer davon), wenn fast der gesamte polnische Handel und Transit in Ost-West-Richtung verlief? Waren wurden von Polen nach Deutschland und zurück sowie zwischen Deutschland und Russland und den postsowjetischen Staaten transportiert.

Der Zusammenbruch des Nord-Süd-Verkehrs war daher ein deutlicher Hinweis auf den Verlust der wirtschaftlichen Unabhängigkeit Polens und die Unterordnung der polnischen Verkehrsinfrastruktur unter die Bedürfnisse unserer stärkeren EU-Partner. Daher wurden vor allem die durch Polen verlaufenden Ost-West-Strecken neugebaut und modernisiert. Das waren die Autobahnen A2 und A4, deren fehlende Abschnitte unter der Regierung Tusk in aller Eile fertiggestellt wurden. Eine solche Politik verschärfte Polens infrastrukturelle Nachteile, mit all ihren Folgen für seine gesamte Wirtschaft.

Nur über Hamburg

Polens Flüsse hingegen fließen nicht quer durch das Land, und so ist es nicht verwunderlich, dass die Binnenschifffahrt praktisch ausgestorben ist. Mit dem zunehmenden Stillstand auf der Oder begann das Sterben des Stettiner Hafens und machte die einst  prosperierende Hafen- und Schiffbaustadt zu einem armen Vorposten Berlins. Swinemünde hat dank seiner Lage am offenen Meer, einem kleinen Marinehafen und einem Terminal, von dem aus regelmäßig Fähren nach Schweden verkehren, überlebt.

Die Bedeutung von Świnoujście nahm zu, nachdem auf Wolin 2016 ein Flüssiggashafen fertiggebaut worden war. Nur wenige erinnern sich heute an die heftigen deutschen Proteste gegen diese strategische Investition. Zu den Einwänden gehörten sogar die angeblichen Schäden, die der Gashafen mecklenburgischen Vögeln und Fledermäusen zufügen würde. Vordergründig ging es um Fledermäuse, in Wirklichkeit um die Nord-Stream-Pipeline-2, die zur gleichen Zeit gebaut wurde. Der Gashafen Świnoujście stand in direkter Konkurrenz zu den russischen Gaslieferungen.

Die Deutschen warfen Polen außerdem vor, dass schwere Gastanker die unterseeische Pipeline beschädigen könnten, lehnten aber eine Ausbaggerung der Wasserstraße kategorisch ab. Auf diese Weise versuchte Berlin die polnischen Investitionen so weit wie möglich zu verzögern, was wahrscheinlich auch das langsame Tempo der Arbeiten am Gashafen unter der Regierung Tusk erklärt.

Der Wechsel in der polnischen Politik nach der Machtübernahme der Nationalkonservativen im Jahr 2015 bestand darin, eine starke polnische Eigenständigkeit aufzubauen, was zwangsläufig bedeutete, dass man sich von der früheren Abhängigkeit von deutschen Interessen lösen musste. Die ständigen Einwände Berlins konnten die Entwicklung des Landes nicht mehr aufhalten. Das galt auch für die Oder und die Häfen von Stettin und Swinemünde.

Im Jahr 2008 veröffentlichte das Europäische Parlament einen Bericht mit dem Titel „Die sich wandelnde Rolle der EU-Seehäfen in der globalen maritimen Logistik – Kapazitäten, Herausforderungen und Strategien”. In diesem Bericht wurden die fünf wichtigsten Häfen der Union aufgeführt: Rotterdam, Antwerpen, Hamburg, Marseille und Amsterdam.

Nicht ohne Grund unterhält der Hafen Hamburg seit knapp dreißig Jahren eine Repräsentanz in Warschau

Der deutsche Hafen Hamburg wurde als der wichtigste in Mittel- und Osteuropa aufgeführt. Hamburg sollte der Umschlagplatz für den gesamten Seeverkehr in die Ostseegebiete werden. Waren aus Fernost und den USA sollten zunächst auf Riesen-Containerschiffen nach Hamburg gebracht werden und von dort aus mit kleineren Schiffen in die Ostseehäfen transportiert werden. Der Großteil der Ladungen gelangte jedoch auf Lkws in den Osten.

Die polnischen Ostseehäfen Swinemünde, Stettin und Danzig sollten als sogenannte Zubringerhäfen nur noch Empfänger kleinerer Ladungen aus Hamburg sein. Hamburg sollte zu einer maritimen Drehscheibe aufsteigen und Deutschland, als Vermittler für den Weitertransport von Waren in die Ostsee, Geld verdienen.

So gesehen überrascht es nicht, dass die polnische Entscheidung zum Ausbau des Hafens Szczecin-Świnoujście, die mit der Einrichtung eines Containerterminals in Świnoujście und der Vertiefung der Wasserstraße verbunden ist, in Deutschland eine große Welle des Widerstands auslöste.

Im benachbarten Mecklenburg-Vorpommern gab es sofort einen Aufschrei, weil die Hafenerweiterung und der zunehmende Schwerlastverkehr die Region ökologisch verwüsten und die Erholung in den Ostseebädern auf Usedom stören würden. Deutschland weigerte sich daher, die bestehende Wasserstraße, die teilweise auf seinem Territorium liegt und in den Hafen von Swinemünde führt, zu vertiefen. Die Aufnahme größerer Schiffe wurde somit unmöglich gemacht und der Sinn einer Erweiterung des Hafens von Swinemünde infrage gestellt.

Polen beschloss daraufhin eine neue Wasserstraße von Nordosten her abzustecken, die es den Schiffen ermöglichte, das umstrittene Gebiet zu umgehen, auf das die Deutschen schon seit DDR-Zeiten Anspruch erheben. Die Wasserstraße zwischen Swinemünde und Stettin wurde ebenfalls vertieft, sodass größere Schiffe in Stettin einlaufen können. Der Containerterminal in Świnoujście soll bis 2027 fertiggestellt werden, dann wird Polen nicht mehr auf die Umladungen in Hamburg angewiesen sein.

Die Blockade der Oder

Das deutsche Problem mit Stettin und Swinemünde ist jedoch vielschichtiger. Es geht nicht nur darum, dass die neuen Investitionen es ermöglichen, schwere Tiefseeladungen direkt nach Polen zu bringen und damit dem Hamburger Hafen Arbeit und Gewinne wegzunehmen.

Zwei Wasserwege: der Rhein und die Oder

Es ist die Oder, die genutzt werden könnte, um Güter zwischen Swinemünde und Schlesien sowie Süd- und Osteuropa zu transportieren. Wenn dieser Plan in Erfüllung geht, werden die deutschen Häfen und Logistikzentren nicht nur einen Großteil der polnischen Kunden verlieren, auf die sie bisher angewiesen waren, sondern auch einen großen Teil der Auftraggeber aus Ost-Mitteleuropa.

Das ist, so die Überzeugung in Warschau, der wahre Grund für die Hysterie, die im vergangenen Jahr an der Oder ausgebrochen ist. Gemeint ist die in Deutschland erfundene Behauptung, Polen habe eine Quecksilbervergiftung des Flusses verursacht. Diese Darstellung wurde sofort blindlings von den polnischen Lokalbehörden, die der oppositionellen Bürgerplattform nahestehen, aufgegriffen. Als sich später herausstellte, dass das Fischsterben durch die Algenentwicklung verursacht worden war, hat sich niemand entschuldigt.

Bauarbeiten an der Oder im Frühjahr 2023

Sterbende Fische und die ökologische Argumentation sollten die bereits laufende Vertiefung der Oder, die die Schifffahrt auf dem Fluss wieder ermöglichen soll, dauerhaft stoppen. Derzeit hat die Oder die niedrige Schiffbarkeitsklasse II; die Warschauer Behörden wollen sie auf die Klasse III, die Lastkähne mit bis zu 700 Tonnen zulässt, anheben. Deswegen werden auf polnischer Seite die Sporne, seit Jahrzehnten vernachlässigte Uferbefestigungen, modernisiert, um den Fluss schiffbar zu machen, seinen Strom zu kanalisieren und bei dieser Gelegenheit die Hochwassergefahr zu verringern.

Das ist nur der Anfang eines ehrgeizigen Plans zur Wiederherstellung der Binnenschifffahrt in Polen. Im Jahr 2016 ratifizierte Polen das AGN-Übereinkommen, eine europäische Vereinbarung über Hauptbinnenwasserstraßen von internationaler Bedeutung. Im Rahmen dieses Übereinkommens wurden technische Anforderungen für die drei wichtigsten Flussstraßen Polens festgelegt:

die E30 (die Oder von der Mündung in Richtung Schlesien mit einer möglichen Verlängerung über Kanäle bis zur Donau),

die E40 (von Danzig über die Weichsel, dann durch Weißrussland und die Ukraine bis zum Schwarzen Meer) und

die E70 (die die Oder über die Warta/Warthe und die Noteć/Netze mit der Weichsel verbindet).

Diese Wasserstraßen sollen der fünften Schifffahrtsklasse angehören, was mit erheblichen Kosten verbunden sein wird (z. B. Vertiefung und Verbreiterung der Fahrrinne und Vergrößerung der Durchfahrtshöhe unter den Brücken), aber gleichzeitig einen ununterbrochenen Schiffsverkehr ermöglichen wird. Und obwohl diese Pläne nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus politischen Gründen vorerst nicht umgesetzt werden können (so ist es heute schwer vorstellbar, eine Route durch Weißrussland und die Ukraine zu bauen), müssen ihre Entwürfe in Berlin Anlass zu ernster Sorge geben, weil sie wichtige regionale Handelsrouten auf polnische Häfen umzuleiten drohen.

Wahrscheinlich ganz zufällig, sind die Pläne zur Modernisierung der Flüsse seit mehreren Jahren Gegenstand der Kritik und der Proteste von Umweltaktivisten, insbesondere von solchen, die eng mit deutschen Organisationen zusammenarbeiten. Auch der umweltbewusste WWF kritisierte in seinem Bericht 2020 das Vorhaben zum Ausbau der immerhin sehr umweltfreundlichen Flussschifffahrt und schlug vor, besser auf die Schiene zu setzen. Und vielleicht wäre da auch etwas dran, aber wieso kämpft niemand in vergleichbarem Umfang gegen die ausgebauten Binnenwasserstraßen in Westeuropa, damit aus Rhein, Mosel und Spree endlich wieder naturbelassene Gewässer werden?

Der neue Zentrale Flughafen bei Łódź. Visualisierung

Der Kampf darum, wer im östlichen Teil Europas am Handel verdienen wird, dreht sich nicht nur um Seehäfen und Binnenwasserstraßen. Kaum jemand nimmt zur Kenntnis, dass es bei der aktuellen Auseinandersetzung auch um den in der Nähe von Łódź/Lodz zu bauenden neuen polnischen Zentralen Flughafen geht. Nicht nur der Personenverkehr und die Konkurrenz zum neuen Flughafen Berlin Brandenburg stehen zur Debatte. Von viel größerer Bedeutung ist das gleichzeitig entstehende Schienennetz, das sich an dem geplanten Flughafen zu einem riesigen Eisenbahnknotenpunkt bündeln soll.

Geplanter Eisenbahnknotenpunkt am künftigen Zentralen Flughafen (CPK) bei Łódż, der bis 2027 fertiggestellt werden soll

Zurzeit werden mehr als 60 Prozent der polnischen Luftfracht aus Asien und Amerika über deutsche Flughäfen wie Leipzig oder Frankfurt abgewickelt. Nach der Eröffnung des neuen polnischen Zentralen Flughafens droht diesen Flughäfen, dass sie Kunden aus Polen und einem großen Teil Ost-Mitteleuropas verlieren. Seine Schaffung und der Ausbau der polnischen Ostseehäfen bedrohen die deutsche Dominanz in Ost-Mitteleuropa. Und das ist der eigentliche Grund für den Aufschrei.

Ein rebellisches Rädchen

Die Zeit seit Herbst 2015 war für Polen eine Periode des schnellen Wachstums, trotz der Pandemie und der durch den Krieg in der Ukraine verursachten Krise. Das steht in krassem Gegensatz zu der Zeit von Donald Tusk (2007 bis 2015), als die gerade beschriebenen Großvorhaben rundweg als „unrealistisch” abgelehnt wurden. Damals ging es der polnischen Regierung jedoch hauptsächlich darum, die Interessen anderer zu befriedigen.

Es ist klar, dass eine solche Politik in Deutschland keine Begeisterung hervorruft. Denn Polen, das nur ein Rädchen in der deutschen Wirtschaftsmaschinerie und ein untergeordneter Vollstrecker von Anweisungen aus Berlin sein sollte, strebt plötzlich nach der Position eines gleichberechtigten Partners, entwickelt sich zum Rivalen. Kein Wunder, dass Deutschland um seine Interessen bangt, diese Entwicklung Polens auf unterschiedliche Weise blockiert, um sie zu verhindern.

Dabei ist es bemerkenswert, dass Berlin eine direkte Einmischung vermeiden möchte. Stattdessen nutzt es eine Vielzahl von Instrumenten – von den EU-Institutionen über die Medien bis hin zu Umweltschützern. All dies soll den Eindruck erwecken, dass die derzeitige polnische Politik nicht nur ein deutsches, sondern ein breiteres europäisches Problem ist.

Ein solches Szenario wurde an der Oder angewandt, als die brandenburgische Regierung und Umweltorganisationen die polnische Entscheidung zur Regulierung des Flusses vor einem Verwaltungsgericht anfochten. Das Woiwodschafts-Verwaltungsgericht in Warschau ordnete im Dezember 2022 einen Stopp der Regulierungsarbeiten an, und vier Monate später wurde diese Entscheidung vom Obersten Verwaltungsgericht in Warschau bestätigt.

Deutsche Umweltschützer nutzten hier den Vorwand des letztjährigen Fischsterbens im Fluss und behaupteten, dass die Oder nach dieser Katastrophe renaturiert werden müsse und dass jede weitere Arbeit angeblich ein weiteres Aussterben von Leben im Fluss bedeuten würde. Die Umweltschützer sind jedoch so entgegenkommend, dass sie die Schifffahrt auf der Oder nicht grundsätzlich ablehnen, flache Schiffe werden akzeptiert. Das heißt, Schiffe, die nichts transportieren können. Dadurch würden die derzeitigen Investitionen des Staates in die Oderschifffahrt ihren Sinn verlieren. Daher wird trotz des Urteils des Obersten Verwaltungsgerichts weiter an der Regulierung gearbeitet.

Wie man Polen die Energie entzieht

Die Grenzkonflikte sind nicht auf die Oder beschränkt. Wenn man auf der Karte entlang der Grenze ganz nach Süden scrollt, kommt man nach Turów, wo es einen Braunkohletagebau gibt, um den Polen bereits mit der früheren tschechischen Regierung gestritten hat.

Als dieser Streit beigelegt war, schalteten sich die Deutschen ein und waren, wie die Deutsche Welle unverblümt berichtete, von der polnischen Vereinbarung mit den Tschechen „überrascht“. Der Tagebau in Turów deckt fast 10 Prozent des polnischen Energiebedarfs, sodass seine Schließung ein schwerer Schlag für die polnische Wirtschaft gewesen wäre. Da es jedoch nicht möglich war, den polnischen Tagebau durch tschechische Hände zu schließen, wurde diese Aufgabe von den Behörden der deutschen Stadt Zittau übernommen.

Das Kraftwerk und der Braunkohletagebau in Turów. Von hier kommen knapp 10 Prozent der polnischen Elektrizität

Der Bürgermeister der sächsischen Stadt behauptet, dass der Tagebau in Turów das Bodenniveau um einen Meter senken könnte. Außerdem könnte der polnische Tagebau eine Grundwasserverschmutzung und eine zu große Lärmbelästigung verursachen. Deshalb wird Zittau beim EuGH eine Klage gegen das polnische Bergwerk einreichen. Die Braunkohlegruben auf der deutschen Seite der Grenze stören die Zittauer Behörden natürlich nicht so sehr wie die polnische.

Deutsche Online-Petition gegen polnische AKW

Die Energiewirtschaft, das Rückgrat der Wirtschaft, zu treffen, ist noch gefährlicher als der Kampf um die Vorherrschaft im Handel. Ein Teil des Energiekonflikts ist natürlich das Fit-For-55-Klimapaket, das Polen teilweise umgehen möchte, indem es auf Atomstrom setzt. Und hier kommen wir zurück auf das geplante Kraftwerk in Choczewo und den Verein „Ostsee-SOS”, der sich auf eine Auseinandersetzung mit der polnischen Regierung vorbereitet.

Till Backhaus (SPD), der Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern, hat die Regierung in Berlin bereits zum Einschreiten aufgefordert. „Wir sind gegen den Bau eines Atomkraftwerkes, weil diese Technologie nicht beherrschbar ist“, sagte Backhaus und zeigte sich besorgt um die Umwelt. „Die Flora und Fauna der Ostsee wird darunter leiden“, sagte er. So sieht das auch die Umweltorganisation „Ostsee-SOS”. Aber man sollte keine voreiligen Schlüsse ziehen: Es handelt sich sicherlich um eine zufällige Ähnlichkeit der Ansichten.

Nimmt man alles zusammen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass derzeit ein Konflikt zwischen Polen und Deutschland im Gange ist, in dem es um Entwicklungsperspektiven Polens geht, die Deutschland eindeutig nicht schmecken.

RdP

Der Artikel erschien im Wochenmagazin „Sieci” („Netzwerk”) am 15.05.2023.




Frankreich, Südkorea, USA. Wer wird Polens Atomkraftwerke bauen?

Wahrscheinlich doch die Amerikaner.

In den Betrachtungen und Analysen, wer Polen, das bis jetzt kein einziges AKW besitzt, mit ziviler Nukleartechnologie beliefern soll, wird eher ein verengter Blickwinkel gewählt: wer liefert was, zu welchem Preis und zu welchen Bedingungen. Doch in diesem Fall geht es nicht nur um eine rein technische oder wirtschaftliche Entscheidung. Es ist ein Schritt, der weitreichende Auswirkungen auf dem Gebiet der Sicherheits- und Außenpolitik haben wird.

Das erste polnische AKW wird wahrscheinlich in der Gegend von Gdańsk/Danzig entstehen und soll 2033 ans Netz gehen. Insgesamt sind sechs AKWs geplant. Nach 2033 soll alle zwei Jahre ein Atomkraftwerk fertiggestellt werden. Um die polnischen Nuklearaufträge ringen seit einigen Jahren drei Bieter. Wo liegen die Vor- und Nachteile bei einer Entscheidung für einen von ihnen?

Südkorea

Die Koreaner waren die Ersten, die ein konkretes Angebot in Warschau abgaben. Südkorea ist für Polen geradezu ein Vorbild dafür, wie sich ein sehr armes Land, das zudem einen unberechenbaren Nachbarn hat, in ein wirtschaftliches Kraftzentrum verwandeln kann. Der gefährliche Nachbar Seouls ist Nordkorea, für Polen ist es Russland.

Polen und Südkorea arbeiten bereits im Bereich der Verteidigung eng zusammen. Der Kauf von 1.000 südkoreanischen Panzern, annähernd 650 Panzerhaubitzen und 50 FA-50-Kampfjets ist der größte Auftrag in der Geschichte der polnischen Armee. Sehr wichtig aus polnischer Sicht ist bei diesem Projekt der Technologietransfer sowie die Vereinbarung, dass ein Teil der bestellten Ausrüstung in Polen von einheimischen Rüstungsunternehmen hergestellt werden soll.

Die Koreaner locken bei dem Bau von Kernkraftwerken ebenfalls mit großen Vorteilen. Das von Korea Hydro & Νuclear Power unterbreitete Angebot bezieht sich nämlich nicht nur auf den AKW-Bau, sondern auch auf die Zusammenarbeit bei der Produktion von Halbleitern und der Wasserstofftechnologie. Zudem wollen sich die Koreaner mit einem Anteil von 49 Prozent an dem gemeinsamen Projekt begnügen und beabsichtigen, koreanische Banken in die Finanzierung miteinzubeziehen.

Von einer zuverlässigen Vertragserfüllung kann man ausgehen. Die Koreaner haben bereits Erfahrung mit ähnlichen Projekten in den Vereinigten Arabischen Emiraten gesammelt. Das koreanische Angebot wäre das finanziell günstigste mit etwa 3 Milliarden Euro pro Gigawatt.

Die bisherigen Erfahrungen mit koreanischen Investitionen in Polen sind sehr gut. Korea ist jedoch kein NATO-Staat, liegt geographisch weit entfernt, und beide Länder verbinden keine gemeinsamen geostrategischen Interessen. Für Seoul ist Polen ein rein kommerzieller Kunde.

Die Koreaner zeigen sich sehr offen für eine Zusammenarbeit. Selbst dann, wenn Polen ihr Angebot nicht annehmen sollte, stünden sie als Lieferant von AKW-Ersatzteilen und Kernbrennstoff zur Verfügung. Ebenso enthält das Angebot eine Unterstützungszusage für die Entsorgung des atomaren Abfalls, was bei der Planung einer solchen Investition ebenfalls zu berücksichtigen ist

Frankreich

Paris lockt Polen mit seinen Angeboten und Versprechungen zur Nukleartechnologie seit über einem Jahrzehnt. In der Anfangsphase war der Adressat dieser Bemühungen die Regierung von Donald Tusk, die jedoch, trotz vieler vollmundiger Ankündigungen, den AKW-Bau nie in Angriff genommen hat. Eine Weile nach dem Wahlsieg der Nationalkonservativen im Herbst 2015 eröffnete der französische Staatsmonopolist Électricité de France (EdF) erneut sein Büro in Warschau und begann nun die Regierung von Recht und Gerechtigkeit zu umwerben. Frankreich ist zweifellos das europäische Land mit der größten Erfahrung auf diesem Gebiet. Es bezieht zudem mehr als 70 Prozent seiner eigenen Energie aus dieser Quelle.

Eine Zusammenarbeit mit den Franzosen wäre sinnvoll, wenn Paris und Warschau durch eine strategische Allianz in Europa verbunden wären. Paris jedoch arbeitet hauptsächlich mit Berlin zusammen und schließt eine politische Zusammenarbeit mit der Regierung in Warschau aus. Wenn es nichts zu verkaufen gibt, „würdigen“ die Franzosen Polen, wie auch ganz Ostmitteleuropa, mit Nichtachtung.

Zudem muss man davon ausgehen, dass Paris, nach dem Ende des Ukraine-Krieges, unabhängig von dessen Ausgang, erneut, wie wahrscheinlich Berlin auch, auf eine enge Zusammenarbeit mit Russland setzen wird. Staatspräsident Macrons lange Telefongespräche mit Putin und die vielen französischen Firmen, denen, trotz Sanktionen, ihr Russland-Geschäft wichtiger ist als das Leben der Ukrainer, sind deutliche Indizien dafür.

EdF hat im Oktober 2021 ein erstes Angebot für Kernkraftwerke in Polen abgegeben. Die Regierung in Paris würde eine finanzielle Unterstützung für diese Investition garantieren. Die französischen Reaktoren des Typs EPR haben eine Betriebsdauer von 65 Jahren und würden zwischen 35 und 50 Milliarden Euro kosten, bei einer Leistung von 6,5 Gigawatt. Mindestens die Hälfte der Investitionen würde ausführenden polnischen Unternehmen zufließen, versichert die französische Seite.

Auch EdF hat Erfahrung mit der Durchführung internationaler Investitionen, z. B. im Vereinigten Königreich oder in Finnland. Im letztgenannten Fall kam es allerdings zu Verzögerungen und erheblichen technischen Problemen. Paris eilt inzwischen den Fakten voraus und unterzeichnet Kooperationsvereinbarungen mit zahlreichen polnischen Unternehmen, die sich an dem Projekt beteiligen könnten. Es ist eine Form der Druckausübung auf die polnische Regierung.

Vereinigte Staaten

Die Amerikaner sind von Anfang an die Favoriten in diesem Rennen. Sie setzen auf die Technologie von Westinghouse, das sichere und effiziente Anlagen vom Typ AP1000 herstellt. Eine erste Entscheidung wird für Ende Oktober 2022 erwartet. Finanziell liegt das Angebot in der Mitte der drei Gebote. Polen soll für Kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 6,7 Gigawatt rund 4,3 Milliarden Euro pro Gigawatt bezahlen, was weniger ist, als die Franzosen verlangen. Die Amerikaner garantieren auch eine höhere Beteiligung polnischer Unternehmen an diesem Projekt als die Koreaner.

Allerdings halten die Amerikaner nicht immer ihre Versprechungen ein. Ein Beispiel dafür sind die ersten sogenannten Offset-Abkommen für amerikanische Rüstungsgüter im Jahr 2003. Damals wurden lediglich 500 Millionen von den versprochenen mehreren Milliarden Dollar investiert. Nur 20 Prozent der 44 mit der polnischen Regierung eingegangenen Verpflichtungen wurden erfüllt. Der Vertrag über die Lieferung von 48 F-16 Kampfjets entpuppte sich in dieser Hinsicht damals als ein einziger Skandal.

Doch die USA sind sich heute darüber im Klaren, dass man in Europa vor allem mit Warschau in Sachen Ukraine-Krieg konstruktiv zusammenarbeiten kann, während sich Berlin und Paris als unsichere Kantonisten entpuppt haben. Es ist daher davon auszugehen, dass sie dieses Mal ihre Verpflichtungen ernst nehmen werden. Es gibt von polnischer Seite aber auch keinen Grund, mit einer Vorzugsbehandlung zu rechnen. Das amerikanische Angebot sollte ebenfalls sehr gründlich analysiert werden.

Das Fundament der polnischen Außen- und Sicherheitspolitik ist die strategische Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten. Ein politisch-militärisches Bündnis mit der größten Macht der Welt, riesige polnische Rüstungsaufträge an die USA sowie eine ständige und kontinuierlich erweiterte amerikanische Truppenpräsenz an der Ostflanke der NATO spannen einen Schutzschirm über Polen.

Auf dem Energiemarkt sind Polen und die USA bereits durch die Einfuhr von amerikanischem Flüssiggas verbunden. Warschau geht davon aus, dass die Amerikaner Energieanlagen, die ihnen langfristig Gewinn bringen, militärisch schützen werden.

Die von Westinghouse angebotenen Druckwasserreaktoren sind eine bewährte und sichere Konstruktion, die in vielen Teilen der Welt in Betrieb ist. Die Amerikaner bieten ein komplettes Paket an, einschließlich technischer Unterstützung und Finanzierung. Für Letzteres sollen die staatliche EXIM-Bank und die Development Financial Corporation zuständig sein. Die Amerikaner sind in diesem Fall daher auch ein guter Verbündeter, sollten Deutschlands AKW-Gegner in Regierung und Öffentlichkeit die Investitionen behindern wollen.

Auf der anderen Seite befürchtet man in Warschau, dass die Amerikaner die Kosten zu hoch ansetzen und den Termin für die Inbetriebnahme hinauszögern könnten. Das ist etwas, was sich Polen in Zeiten der Energiekrise nicht leisten kann und will.

Westinghouse argumentiert, dass es bereits vorläufige Kooperationsvereinbarungen mit mehr als 500 polnischen Unternehmen unterzeichnet hat und dass mehr als umgerechnet 21 Milliarden Euro, die für den Bau des Kraftwerks ausgegeben wurden, nach Polen zurückfließen sollen . Im Moment sind das Versprechungen. Wie viel sie wert sind, wird sich erst während der Vertragsverhandlungen zeigen.

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