24.04.2023. Angela die Ausgezeichnete

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel für außergewöhnliche Verdienste das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland „in besonderer Ausführung”verliehen. Es ist die höchste deutsche Auszeichnung.

Deutsche Bundespräsidenten erhalten es von Amts wegen, aber in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik haben bisher nur zwei Bundeskanzler, Konrad Adenauer und Helmut Kohl, diesen Orden erhalten. Nicht einmal Willy Brandt, immerhin der einzige Friedensnobelpreisträger unter allen deutschen Kaisern, Königen, Staatspräsidenten und Kanzlern, wurde für würdig genug befunden, derart geehrt zu werden.

Anders Angela Merkel. Sie hat Putin in der internationalen Politik und wirtschaftlich stets gestärkt und so letztendlich, wenigstens indirekt, die Saat des Krieges gemehrt. Und nun, nach all der Kritik an Merkels langjähriger Politik, Deutschland in ein Bündnis mit Putins Russland zu drängen, geht der höchste deutsche Orden an die wichtigste Architektin dieses Vorhabens.

Der ehemaligen DDR-Bürgerin wird nachgesagt, dass sie auf ihrem Schreibtisch stets das Porträt einer anderen souveränen ostdeutschen Frau stehen hat, das von Sophie von Anhalt-Zerbst, der späteren russischen Zarin Katharina II., die 1729 in Pommern geboren wurde. Sie hat Russland in ein Imperium verwandelt. Die Tilgung Polens von der Europakarte für 123 Jahre gehört mit zu den „Glanzleistungen” ihrer Politik. Aus dem westlichen Teil Pommerns, ihrem Wahlkreis jenseits der Oder, wurde  Angela Merkel viele Jahre lang in den Bundestag gewählt.

Ihr irritierendes Beharren darauf, dass sie im Grunde alles richtig gemacht hat, wurde mit der nun vorgenommenen Ehrung im Nachhinein geadelt. Musste das unbedingt sein?

Steht der deutsche Bundespräsident etwa in der Schuld von „Mutti“? Steinmeier ist zwar Sozialdemokrat, aber als Außenminister in zwei Merkel-Kabinetten (2005-2009 und 2013-2017) gehörte er zu den engagiertesten Putinverstehern unter den deutschen Spitzenpolitikern überhaupt und setzte Merkels Russland-Politik hartnäckig um. Weder die Annexion der Krim, noch der Krieg im Donbas und die KGB-Morde an russischen Oppositionellen haben ihn eines Besseren belehrt. Die „deutsch-russische Partnerschaft” war durch nichts zu erschüttern.

Im Gegenzug schlug ihn Angela Merkel 2016 als Kandidaten der GroKO für die Wahl zum Bundespräsidenten vor und hievte ihn so in das höchste deutsche Staatsamt. Jetzt bekam sie von ihm die höchste deutsche Auszeichnung, obwohl (oder vielleicht gerade weil?) sie jede Selbstkritik scheut. Steinmeier hat sich zwar nach dem russischen Überfall auf die Ukraine von seiner prorussischen Haltung sanft distanziert, aber so ganz falsch konnte sie ja nicht gewesen sein, wenn ihre wichtigste Verfechterin in solcher Weise geehrt wird. Und das gut ein Jahr nach Beginn der russischen Attacke, als auf der Hand liegt, was Putin angerichtet hat.

Das alles setzt ein bitteres Nachdenken in Gang. Trotz der Beteuerungen, Deutschland habe aus dem Flirt mit Putin gelernt, bleibt die deutsche Politik ein Kontinuum. So wie Merkel die SPD-Politik von Bundeskanzler Gerhard Schröder, ein Bündnis mit dem Kreml aufzubauen, fortgesetzt hat, so ehrt nun Bundespräsident Steinmeier, ein ehemaliger SPD-Politiker und Schröders ehemaliger Staatssekretär, Merkel für die Fortsetzung des Flirts mit dem russischen Bären.

Es fällt schwer, dieses nicht auch als eine Geste in Richtung Kreml zu deuten: Wir sind mit euch, wir schämen uns für nichts, wir haben uns nichts vorzuwerfen und wir freuen uns darauf, mit euch bald wieder ‚Geschäfte as usual‘ zu machen. Und die Politikerin, die das Symbol unserer Allianz mit euch ist, schmücken wir so ehrenvoll, wie wir können.

Im Kreml hat man dieses Signal aus Deutschland ganz gewiss mit Genugtuung registriert. Auch das offizielle Warschau hat es wahrgenommen. Das Vertrauen in die deutsche Politik wird es in Polen nicht stärken.

RdP




4.06.2022. Der Günstling geht von Bord. Donald Tusk verlässt Europa

Die farblose Amtszeit von Donald Tusk als Chef der Europäischen Volkspartei geht zu Ende. Zwei Jahre vor dem Ablauf seiner Wahlperiode übergab Tusk auf dem EVP-Kongress in Rotterdam das Steuer an den CSU-Mann Manfred Weber. Ein deutscher Politiker beerbt einen deutschen Politiker ohne deutschen Pass.

Donald Tusk verdankte seine EU-Ratspräsidentschaft (2014-2019) und den anschließenden dreijährigen EVP-Vorsitz Angela Merkel. Ihre Gunst erwirkte er in seiner Zeit als polnischer Ministerpräsident zwischen 2007 und 2014 durch seine bis an die Selbstverleugnung gehende Deutschlandergebenheit.

Putin hofieren und die Ukraine ignorieren, Polen in die Energieabhängigkeit von Russland treiben, Nord Stream 2 gutheißen, die Amerikaner mit ihren Raketenschutzschild-Plänen aus Polen fortscheuchen. Für Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel und andere treue deutsche Russland-Partner war Tusk, „der Pflegeleichte“, wie ihn Der Spiegel seinerzeit beschrieb, ein nicht zu unterschätzender Handlanger, der im Gegenzug in der EU hoch hinaus wollte.

Tusk hatte sich die Verwirklichung seines Wunschtraums redlich erdient, ehe er 2014 nach Brüssel aufbrechen durfte. Das ohnehin schmale Fundament seiner europäischen Karriere begann 2021, nach dem Abgang der deutschen Gönnerin, sofort zu bröckeln. Deutschlandergebenheit ist seine größte politische Stärke, aber bei aller Anstrengung konnte er darin den macht- und postenhungrigen Manfred Weber aus dem bayerischen Niederhatzkofen fürwahr nicht überbieten.

Ohne Angela Merkel war es ein Leichtes, Tusk loszuwerden. Als EU-Ratsvorsitzender und als Chef der Europäischen Volkspartei hat er sich in der internationalen Politik keinen Namen gemacht. Stets erweckte er den Eindruck, am Nebentisch zu sitzen, ein Anhängsel des realen politischen Weltgeschehens zu sein. Er wurde wenig beachtet und kaum ernst genommen, genoss dafür im Stillen das Luxusleben eines Spitzenpolitikers mit etwa 25.000 Euro Monatsgehalt, saftigen Zulagen, drei Butlern, vier Fahrern und einem 30-köpfigen Sekretariat. Knapp zwei Millionen Euro soll Donald Tusk steuerfrei in Brüssel verdient haben.

Leer sind dagegen die Schubladen, die er als EU-Ratspräsident und EVP-Vorsitzender hinterlässt. Wie soll die heutige EU der 27 in der Zukunft funktionieren? Die EU-Erweiterung und ihr Tempo? Die EU-Einwanderungs- und Asylpolitik? Energiepolitik, Klimapolitik, Ostpolitik, usw.? Rien, wie Edith Piaf sang, mit anderen Worten: Nichts. Für das Vordenken und Machen war Angela Merkel zuständig. Ihr politischer Ziehsohn war in Brüssel in beiden Positionen schmerzlich vorhersehbar: Er tat nichts. So sollte es wohl auch sein.

Dafür war er geradezu hektisch aktiv auf Twitter, wo der eigentlich zur Neutralität verpflichtete oberste EU-Beamte durch seine bitterbösen Kommentare den innenpolitischen Konflikt in Polen kräftig aufmischte. Ab und zu tat er es auch vor Ort. Dafür war er seiner Patronin gut. Als ihm die polnische Regierung deswegen beim Antritt für die zweite Halbzeit als EU-Ratschef ihre Unterstützung verweigerte, warf sich Deutschland energisch ins Zeug und stellte eine breite Mehrheit für seine Wiederwahl auf die Beine.

Inzwischen hat Tusk seine Schuldigkeit getan. Er ist gut versorgt und soll gehen. Eine Verwendung auf EU-Spitzenposten-Niveau gibt es für ihn nicht mehr. Andere wollen schließlich auch mal.

Doch der durchtrainierte 65-Jährige hat keine Lust aufs Rentnerdasein. Nach etlichen verlorenen Wahlen seiner Partei seit 2015 will er es nun seinem Erzfeind Jarosław Kaczyński so richtig zeigen. Mit diesem Auftrag verlässt er auch den Brüsseler Olymp. Ursula von der Leyen gab ihn in diesen Tagen, per Twitter, Tusk noch einmal mit auf den Heimweg: „Lieber Donald, Du verkörperst unsere Werte. Nun kehrst Du in Dein Land zurück, um sie zu verteidigen.“

Seit knapp einem Jahr steht Tusk wieder an der Spitze seiner Partei, der Bürgerplattform. Der innenpolitische Blitzsieg nach der Rückkehr, den er sich erhofft hatte, blieb ihm versagt. Mühsam versucht er nun die Opposition in einem Block unter seiner Führung zu bündeln und den regierenden Nationalkonservativen ihren hohen Umfragevorsprung streitig zu machen. Beides bisher vergeblich.

Tusks radikale „Kaczyński muss weg“-Rhetorik, ohne auch nur den Ansatz eines überzeugenden, positiven politischen Programms, zieht nicht so recht. Die Pannen, Fehler und Unterlassungen aus seiner Regierungszeit werden hervorgeholt und untergraben seine Glaubwürdigkeit, ebenso wie seine Wutausbrüche auf Twitter.

Angela Merkel genießt, so gut es geht, ihren Ruhestand. Ihr einstiger Protegé, jetzt ganz auf sich gestellt, versucht sein Comeback und scheint dabei manchmal ziemlich überfordert zu sein. Der Ausgang der Parlamentswahlen im Herbst 2023 wird sein politisches Schicksal besiegeln. Ein schmerzhafter Absturz ist nicht ausgeschlossen.

RdP




Das Wichtigste aus Polen 13. März bis 16. April 2022

Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Polens politische Aktivitäten im Ukrainekrieg. Vorläufige Bilanz ♦ Ukrainische Flüchtlinge. Aufnahme konfliktlos aber nicht problemlos ♦ Viktor Orbans Haltung zum Ukrainekrieg beschädigt die polnisch-ungarischen Beziehungen ♦ Deutsche Zeitenwende aus polnischer Perspektive ♦ Angela Merkel. Ein Denkmal bröckelt.




Das Wichtigste aus Polen 23.November – 21.Dezember 2019

Kommentator Prof. Waldemar Czachur und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Aufatmen im Land. Polen konnte sich vorläufig aus der EU-Klimaneutralität bis 2050 ausklinken  ♦ Präsidentschaftswahlen im Mai 2020. Der Wahlkampf kommt in Gang. ♦ Warum nicht alle jubeln in Polen. Olga Tokarczuks Literatur-Nobelpreis. ♦ Angela Merkels Besuch in Auschwitz.




Das Wichtigste aus Polen 14. Oktober – 10. November 2018

Kommentator Dr. Jacek Sokołowski und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Was sagen uns die Ergebnisse der Kommunalwahlen? ♦ Was sagen uns die Vorbereitungen auf die Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Wiedererlangung der Unabhängigkeit über die polnische Gesellschaft und die polnische Politik? ♦ Was sagt man in Polen zu dem geplanten Rückzug Frau Merkels aus der Politik?