Russland kennt keine Gnade

Ein Pole in den Fängen des Unrechts.

Dem russischen Straflager ist Anatol Łoś nur deshalb lebend entkommen, weil er sich einst eine eiserne Kondition antrainiert hat, weil er Russisch spricht und Russland gut kennt. Ein durchschnittlicher westeuropäischer Kaufmann hätte so etwas niemals durchgestanden. Zum Backen und zum Bestreuen von Gebäck lieferte Łoś über Jahre hinweg Tonnen von Schlafmohnsamen nach Russland. Und dann, plötzlich, hat man aus ihm einen Rauschgifthändler gemacht.

Nachstehend dokumentieren wir einen Bericht des Wochenmagazins „wSiecI“ („imNetzwerk“) vom 4. – 10. Januar 2016.

Die polnische Firma BNI Sp. z o. o. (BNI GmbH) hat ihren Sitz am Rande von Warschau. Jahrelang fuhren auf ihrem Hof russische Lkws vor, um für Groβhändler in Russland Container mit Schlafmohnsamen abzuholen. Irgendwann baten die Kunden aus dem Osten, die Firma möge die Ware selbst anliefern und sich um die Grenzabfertigung kümmern, weil der russische Zoll mit ausländischen Fuhrunternehmen gnädiger umgehe als mit den eigenen.

Für den in Polen und in Frankreich eingekauften Schlafmohn gab es alle amtlicherseits erforderlichen polnischen sowie französischen Papiere, die bestätigten, dass die Ware keine drogenhaltigen Substanzen enthält. Geliefert wurde nur in verplombten Lkws. An der Grenze machte der russische Zoll seine Rauschgiftkontrollen, anschlieβend fand noch eine penible Überprüfung der Samen im Hinblick auf mögliche Schadstoffe statt. Eine Kontrolle, die von russischer Seite bei allen aus dem Westen eingeführten Lebensmitteln durchgeführt wird.

Die Lieferungen gingen an Groβbäckereien und Gebäckfabriken. Alles legal, genau belegt anhand von Attesten, Frachtbriefen und Rechnungen. Die BNI hatte eine Zweigstelle in Rostow am Don eingerichtet, einer Zweimillionenstadt im Süden Russlands. Dort fuhr der heute 64-jährige Anatol Łoś (fonetisch Uosch) regelmäβig hin, um nach dem Rechten zu sehen.

Beweise werden sich finden

Łoś war daher sehr erstaunt als er im März 2012 Besuch von Beamten der Rauschgiftfahndung (Rosnarkokontrol) bekam, die ihm andeuteten, dass er Probleme bekommen könnte. Łoś ignorierte diese Warnung, wähnte sich auf der sicheren Seite. Alle Papiere waren in bester Ordnung, warum sollte die Firma also noch mehr Schutzgeld zahlen als bisher, fragte er sich? Zwei Monate später war er bereits in Haft.

„Er hat mich kurz auf dem Handy angerufen, dass sie ihn mit einem Bus von Rostow nach Apscheronsk (Entfernung ca. 370 km Richtung Süden – Anm. RdP) bringen. Mit diesem Bus war eine ganze Mannschaft von Beamten gekommen um ihn abzuholen, alle waren mit Kalaschnikows bewaffnet. Zuerst habe ich nichts verstanden, dann merkte ich, wie meine Knie weich wurden, und dann bin ich ins Flugzeug gestiegen und nach Russland geflogen, um meinen Mann zu retten“, berichtet seine Ehefrau Olga.

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Mit Putins Anordnung, den Süden Russlands vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2012 von Rauschgifthändlern zu säubern, begann Anatol Łoś’s  dramatische „Drogenkarriere“ .

Vor Ort begann sie nachzuforschen was eigentlich vorgefallen sei. Der Eigentümer einer russischen Firma, die von BNI beliefert wurde, namens Salimgeroi Kurajew hatte eine kleine Portion Schlafmohn als Handelsprobe an zwei Männer verkauft, die sich als Vertreter einer Bäckerei ausgaben. Wie sich später herausstellte, war einer von ihnen in Wirklichkeit ein Drogenabhängiger, der andere ein verdeckter Ermittler der Drogenfahndung. Das war der Ausgangspunkt der ganzen Affäre.

Kurajew warf man nun vor, er betreibe Handel mit einem Rohstoff zur Herstellung von Drogen. Worin aber das Wesen dieses Drogengeschäftes bestanden haben soll wurde nie geklärt, denn der Beschuldigte hatte 1 kg Schlafmohnsamen für den offiziellen Preis von damals 110 Rubel verkauft.

Es wurde auch nie die Frage beantwortet, wie man aus handelsüblichem Schlafmohn Rauschgift gewinnen könne. Diese Frage wurde zwar später vor Gericht gestellt, der Richter aber ließ sie nicht zu. Stattdessen wurde die Behauptung aufgestellt, Schlafmohn der Firma BNI beinhalte Reste von Mohnstroh, aus dem sich Rauschgift gewinnen ließe. Die Mohnstrohbeimischung betrug jedoch nicht einmal ganze 4 kg in der sichergestellten Zehntonnenpartie (10.000 kg), so die Berechnung der Ermittler anhand der Stichprobenuntersuchung aus einigen Säcken.

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Emblem der russischen Drogenfahndung. Egal wie, Erfolge müssen her.

Der leitende Untersuchungsbeamte telefonierte daher vier Mal mit seinem Vorgesetzten und fragte nach, ob er für den Polen Łoś wirklich Untersuchungshaft beantragen solle. Er sollte. Auch der Haftrichter war sich nicht sicher, ob er dem Antrag stattgeben soll. Der leitende Untersuchungsbeamte hingegen hegte nun keine Zweifel mehr und beteuerte: „Ich gebe Ihnen mein Offizierswort, dass es in spätestens drei Tagen Beweise geben wird.“ Olga Łoś: „Nun war klar, egal was passiert, Beweise werden sich finden.“

Ihr Mann beteuerte beharrlich seine Unschuld, auch wenn er daraufhin immer wieder für Tage in der eiskalten, kahlen Strafzelle landete. Olga Łoś fuhr immer wieder nach Apscheronsk, wo sie einen Anwalt für ihren Mann gefunden hatte. Sie brach um drei Uhr früh in Rostow auf, quälte sich auf der mit Baustellen übersäten, kurvenreichen Landstraβe voran, um in das Bergstädtchen zu gelangen. Dort befand sich das zuständige Gericht, und dort residierte, im gröβten Gebäude der Stadt, die Drogenfahndungsbehörde.

Der Anwalt hatte meistens nur sehr wenig Zeit für die Ehefrau seines Mandanten. Sie hatte den Eindruck, er flüchte vor ihr, weiche ihren Fragen aus. Die Verhandlung wurde für Dezember 2012 angesetzt. Einige Monate vorher riet ihr der Anwalt: „Fangen Sie schon mal an Geld für das Gericht bei Seite zu legen. Das Ganze wird nicht billig sein.“

Überlebenskampf

In der Untersuchungshaft in Apscheronsk zahlte man für alles. Für jeden Besuchstermin, für einmal Telefonieren in der Woche, für die Aushändigung eines Päckchens, von dessen ursprünglichem Inhalt gewöhnlich nicht viel übrig geblieben war wenn es ankam.

Als Olga Łoś klar wurde, dass der Anwalt aus Apscheronsk ihrem Mann nicht wirklich helfen wollte, fand sie einen Rechtsbeistand in Rostow. Dieser war sehr engagiert und rettete Anatol Łoś wahrscheinlich das Leben. Bei einem Besuchstermin begutachtete er das wunde Knie seines Mandanten. Man hatte den Häftling die Treppe hinuntergestoßen. Der Anwalt war bei der Roten Armee während des Afghanistankrieges Sanitäter gewesen. Er ging in die nächste Apotheke und brachte dem Häftling ein Antibiotikum. Der beginnende Wundbrand konnte geheilt werden.

„Wir haben alles in unserer Macht stehende getan, um Anatol zu helfen. Die Zellen in russischen Gefängnissen sind überfüllt. In der Regel gibt es mehr Insassen als Schlafplätze. Daher wird abwechselnd geschlafen. Auf kleinster Fläche sind sehr unterschiedliche Menschen zusammengepfercht. Einer der seine Familie mit der Axt erschlagen hat, neben einem Rauschgiftsüchtigen auf Entzug, der schreit und sich vor Schmerzen windet. Wer bezahlt, kommt in eine bessere Zelle“, erzählt der BNI-Firmenchef Wojciech Urbański.

Das Geld für Łoś floss ununterbrochen nach Russland, wurde im Firmenbudget fest eingeplant. Schon zu Beginn des Untersuchungsverfahrens gab es Hinweise, dass es für ein gigantisches Bestechungsgeld eingestellt werden könnte. Soviel konnte die Firma jedoch nicht aufbringen. Auβerdem war die Aussicht, dass die Russen ihr Wort auch halten würden zu vage.

„Man versuchte mich nach Russland zu locken. Ich sollte im Untersuchungsverfahren aussagen. Ich war durchaus bereit hinzufahren, aber ein russischer Bekannter fasste sich nur an den Kopf und fragte, ob ich denn verrückt geworden sei. Wenn sie mich verhören wollten, dann höchstens in Polen oder in der polnischen Botschaft in Moskau. Bei einer informellen Anfrage wie dieser hingegen, sei die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch mich als „Mitschuldigen“ einsperren würden sehr groβ“, erzählt BNI-Chefmanager Robert Olszewski.

Bei BNI hatte man allen Grund sich vorsichtig zu verhalten. Die Russen beteuerten z.B., dass Łoś während der Verhandlung auf freiem Fuβ bleiben könne, sobald das polnische Auβenministerium ein förmliches Schreiben mit der Garantie ausstellen würde, dass der Angeklagte jeder Vorladung Folge leistet.

„Das war, wie sich später herausstellte, jedoch nicht ernst gemeint. Wir haben ein solches Garantieschreiben erwirkt, was nur sehr selten gelingt. Wenn »Rauschgift« im Spiel ist, wird die Angelegenheit sehr genau geprüft. Die Russen haben Anatol dennoch nicht auf freien Fuβ gesetzt“, erinnert sich Urbański.

Als Łoś zu elf Jahren schweren Straflagers verurteilt wurde, kümmerte sich die Firma um das Wichtigste: er sollte bloβ nicht in ein Lager jenseits des Ural kommen. So wurde er in die Nähe von Krasnodar verlegt. Der Kommandeur des Lagers bekam alle drei Monate ein dickes Bündel Dollarscheine damit er seine schützende Hand über den Häftling hielt. Auch Łoś selbst bekam Geld, um die mit ihm einsitzenden Kriminellen bezahlen zu können. Jeder von ihnen hatte ein Messer bei sich. Łoś lernte es sehr wachsam zu schlafen.

„Eigentlich, so sagte er mir, habe er damals mit seinem Leben abgeschlossen“, so Łoś‘s polnischer Anwalt Marek Markiewicz.

Eingesperrt, Firma beschlagnahmt

Aus einer aufgerissenen Tüte rieseln Schlafmohnkörner auf den Tisch. Im Warschauer BNI-Büro zeigt uns Chefmanager Olszewski die in Frankreich eingekaufte Ware aus der Nähe. Wenn man die 500 Gramm Packung genau untersucht, kann man manchmal eine winzig kleine Verunreinigung, nicht gröβer als 0,5 mm, entdecken. Der Schlafmohn wurde bereits in Frankreich gereinigt und der millimetergroβe Halm ist gemäβ den EU-Vorschriften völlig belanglos. Für Russland jedoch wurde die Ware zusätzlich noch einmal gereinigt. BNI hatte speziell zu diesem Zweck eine Maschine gekauft.

„Wir waren sehr darum bemüht keine Probleme zu bekommen. Wir waren vorsichtig. Wir hatten alle Papiere, wir haben alle offiziellen und „nicht offiziellen“ Gebühren bezahlt. Man kennt ja die russische Wirklichkeit. Wir haben für das gesorgt, was die Russen »Krischa« – »Überdachung« nennen. Wir haben einen Schutzschirm aus Leuten mit Beziehungen aufgespannt, der die Firma vor behördlichen Repressalien bewahren sollte“, berichtet Urbański.

Diese Leute haben Anatol immer wieder nachdrücklich darauf hingewiesen, dass er aufpassen und der örtlichen Konkurrenz aus dem Weg gehen solle. Dennoch muss er irgendjemandem auf die Füße getreten haben.

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Roman Schilow, Eigentümer einer groβen australischen Firma, die mit Dörrobst handelt, sitzt auch im russischen Gefängnis.

„Damals habe ich gesagt, dass die erste Person, die jetzt bei unseren französischen Lieferanten erscheinen wird, die Probleme verursacht hat. Beinahe umgehend nach Anatols Verhaftung kam Roman Schilow zu ihnen, der Eigentümer einer groβen australischen Firma, die mit Dörrobst handelt“, sagt Urbański.

„Kurz darauf tauchte er auch bei uns in Warschau auf, um Schlafmohn für Russland zu kaufen. Wir schöpften zwar Verdacht, offiziell hatten wir aber keinen Grund nicht mit ihm zu reden. Vielleicht, so dachten wir, könnte man sogar etwas mehr erfahren. Wir redeten lange bei Wodka und Zubiβ. Schilow war bester Laune. Er habe eine »Super-Krischa«, ihm könne in Russland niemand etwas anhaben“, so Urbański.

Schilow flog von Warschau nach Moskau und schon drei Wochen später saβ er hinter Gittern. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Straflager. Seine Firma wurde durch die Russen beschlagnahmt.

Verhaftet wurde auch Prof. Olga Zelenina, Russlands herausragendste Kennerin von Ölpflanzen. Am 15. August 2012 stürmte eine maskierte Polizeieinheit ihre Wohnung in der Stadt Lunino, unweit von Pensa, etwa 550 Kilometer Luftlinie südöstlich von Moskau.

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Prof. Olga Zelenina nach ihrer Festnahme.

Prof. Zelenina hatte Pech. Sie hatte ein Gutachten verfasst, das den Behörden überhaupt nicht gefiel. Sie stellte fest, dass Schlafmohnkörner kein Rohstoff für Drogen sei. Ihr drohen bis zu zwölf Jahre Haft. Weil sich viele berühmte internationale Chemiker für sie eingesetzt haben, wurde sie bis zu ihrem Prozess auf freien Fuβ gesetzt.

Erfolge im Kampf gegen Drogen müssen sein

„Es ist klar, dass Schlafmohnkörner kein Rohstoff für Drogen sind, weil sie keine Alkaloide, wie z. B. Morphium enthalten“, sagt der polnische Sachverständige Jacek Wrona. „Auβerdem nutzen auch 4 kg Mohnstroh einem Drogenhersteller nichts. 4 Kilo passen in eine Einkaufstüte. Er benötigt aber mindestens einen groβen Kartoffelsack davon. Trockenes Stroh ist zudem ein schlechter Rohstoff. Verwenden kann man die oberen 10 cm des Stiels, der Rest ist wertlos. Deswegen war der Vorwurf gegen Łoś absurd.“

Russland hat ein riesiges Drogenproblem. Es wird buchstäblich von Heroin aus Afghanistan überschwemmt. Sehr oft wird der Verdacht geäuβert, dass diejenigen den Drogenhandel betreiben, die ihn eigentlich bekämpfen sollen, nämlich die Leute von der russischen Rauschgiftfahndung.

Als Russland sich auf die Olympischen Winterspiele in Sotschi vorbereitete, befahl Präsident Wladimir Putin den Süden Russlands von Drogenabhängigen zu säubern. Und gerade zu diesem Zeitpunkt begannen die Probleme Anatol Łoś‘ und der polnischen Firma BNI. Es genügt nur ein wenig im russischen Internet zu surfen, um zu sehen, dass es damals geradezu eine Welle von Verfahren in Sachen Schlafmohn gab. Diese Verfahren sollten den Beweis erbringen, dass Rauschgift aus dem Westen nach Russland gelangt, und dass die Rauschgiftfahndung diese Vorgänge erfolgreich bekämpft.

Kalte Schulter der Heimat

Ende 2015 wurde Anatol Łoś zur Verbüβung der restlichen Strafe nach Polen entlassen. „Wir haben so sehr daran geglaubt, dass, sobald mein Mann nach Polen überstellt wird, ihm Gerechtigkeit widerfahren wird. Wir wollten uns nicht an das russische Oberste Gericht wenden, das zwischenzeitlich das Strafmaβ für den BNI-Kunden Kurajew herabgesetzt hatte. Wir wollten Anatol schnellst möglich nach Polen bringen“, sagt dessen Ehefrau Olga.

Im Verhandlungsaal des Amtsgerichts Warschau-Praga erlebte sie dann einen zweifachen Schock. Den ersten, als ihr Mann aus dem Untersuchungsgefängnis in den Gerichtssaal gebracht wurde und dort berichtete, was ihm im russischen Straflager widerfahren war. Weinend lief Sie nach drauβen. Das zweite Mal packte sie das blanke Entsetzten, als die Richterin teilnahmslos verkündete, dass das vom Gericht der Russischen Föderation gegen Anatol Łoś verhängte Urteil über elf Jahre Freiheitsentzug als rechtens anerkannt wird.

Olga wurde den Eindruck nicht los, dass das alles ein abgekartetes Spiel war, dass die Entscheidung bereits im Vorfeld gefällt worden war. Sie glaubt nicht daran, dass die Richterin in den gerademal zwanzig Minuten Verhandlungspause das Urteil schriftlich formulieren konnte.

„Ich dachte, das Gericht werde die Absurdität des Falls sofort erkennen. Als Anwalt habe ich schon viel erlebt, aber dieser Fall hat mich tief erschüttert. Es geht doch nicht darum, dass wir die »Unsrigen« vor den Fremden in jedem Fall in Schutz nehmen, aber ein polnischer Bürger muss sich auf seinen Staat verlassen können. Bei uns gilt doch der Grundsatz der Unschuldsvermutung“, sagt Anwalt Markiewicz.

Er kann weder das Urteil, noch die Atmosphäre, in der es gefällt wurde akzeptieren. „Mit unglaublicher Gleichgültigkeit, hat man automatisch ein Urteil kopiert, das die dunkle Seite Russlands symbolisiert.“ Anatol Łoś wurde aus dem Warschauer Gerichtssaal zurück in Untersuchungshaft gebracht.

Zwei Wochen später begleiteten ihn bewaffnete Polizisten zum Warschauer Appellationsgericht. Der Richter hob das erstinstanzliche Urteil auf und hat den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. So etwas passiert sehr selten, aber in diesem Fall hat das Gericht dem Antrag von Verteidigung und Staatsanwaltschaft stattgegeben.

Das Amtsgericht Warszawa-Praga hat Anatol Łoś während der zweiten Verhandlung, mit sofortiger Wirkung, auf freien Fuβ gesetzt. Das Gericht konnnte, entsptrechend den geltenden Regularien, das russische Urteil nicht aufheben. Es befand jedoch, dass der Verurteilte duch die vier Jahre, die er in russischer Untersuchungshaft und Haft verbracht hat, für seine „Schuld“ ausreichend bestraft wurde.

RdP




DAS WICHTIGSTE AUS POLEN 27. MÄRZ – 2. April 2016

Kommentator Janusz Tycner und Joachim Ciecierski gehen auf die wichtigsten Ereignisse der Woche ein: Warschau unter den zehn gefährlichsten Städten Europas, behauptet die Bild-Zeitung. Wir lachen darüber. Staatspräsident Andrzej Duda nutzt Teilnahme am Nuklear-Gipfel in Washington, um seine Sicht der polnischen Sicherheits- und Innenpolitik den amerikanischen meinungsbildenden Eliten zu vermitteln. Papst Franziskus kommt Ende Juli nicht nur zum Weltjugendtag in Kraków nach Polen. Erste Kontaktaufnahme der neuen Regierung auf höchster Ebene mit Weißrussland. Kostenlose Abgabe von Medikamenten an über 75jährige verabschiedet. Prozess in Sachen Amber-Gold-Affäre in Gdańsk eröffnet. Marihuanahaltige Schmerzmedikamente werden in Polen zugelassen und bezuschusst.

http://www.radiodienst.pl/amber-gold-affaere-freibrief-zum-betrug-2/

http://www.auslandsdienst.pl/3/24/Artykul/144215,Amber-Gold-Freibrief-zum-Betrug




Das Wichtigste aus Polen 12. Juli – 18. Juli 2015

Kommentator Janusz Tycner und Joachim Ciecierski gehen auf die wichtigsten Ereignisse der Woche in Polen ein: Wahltermin steht fest – 25. Oktober 2015. Ministerpräsidentin Kopacz wird auf Bahnreisen von Missgriffen der eigenen Politik eingeholt. Vorerst muss Polen nicht für Griechenland zahlen. Die Designerdrogen sind wieder da. Nicht alle Flüchtlinge sind den Polen willkommen.




Drogenzucht gewinnt an Wucht

Alle zwei Tage wird irgendwo im Land eine Cannabisplantage ausgehoben.

Das kleine Anwesen in der Ortschaft Promna, Kreis Białobrzegi, unweit von Warschau, sah aus wie eine gut gehende Autowerkstatt. Sorgsam sortierte Felgen und Karosserieteile entlang des Zauns gestapelt, eine Montagegrube im Freien, Autos, die offensichtlich auf Reparatur warteten. Als jedoch die Fahndungsgruppe der Polizei in Begleitung einer Antiterroreinheit das Gebäude im Handstreich Ende Mai 2015 unter ihre Kontrolle brachte, fand sie im Inneren eine hochprofessionell betriebene Cannabisplantage vor. Bewässerung, Belüftung und Wärmeregulierung waren computergesteuert.

652 Pflanzen, manche weit über einen Meter hoch, haben die Beamten sichergestellt. Vierzehn Kilogramm Marihuana in einem Schwarzmarktwert von 700 Tausend Zloty (ca. 175 Tausend Euro) hätte man daraus herstellen können, hieβ es anschlieβend im Polizeibericht. Drei 30 bis 35-jährige Männer wurden vor Ort festgenommen und anschlieβend vom Haftrichter zunächst einmal für drei Monate in Untersuchungshaft geschickt.

Cannabisplantagen in stillgelegten Fabriken, einstigen Militäranlagen, in alten Scheunen, privaten Kellern oder auf freiem Feld – Polens Drogenfahnder geraten nur noch selten ins Staunen, wie kürzlich geschehen in der Gemeinde Łęczna bei Lublin. Bei einer Razzia drangen sie in die Hallen einer abgeschiedenen, ehemaligen Obstfabrik, wo fünftausend Cannbissetzlinge gediehen: bestes Saatgut, grell beleuchtet, stets frisch belüftet, reichlich gedüngt, automatisch beregnet und – von einem eigens in Holland angeheuerten Gärtner fachmännisch betreut.

Die angebliche Recyclingfirma zur Verwertung alter Kleidung war zwei Jahre lang tätig, bis sie aufflog. Als „Investor“ entpuppte sich eine vietnamesische Bande, deren Mitglieder sich jedoch rechtzeitig absetzen konnten. Neben dem Holländer landeten vier Polen in Untersuchungshaft. Mit jeder der drei bis vier Ernten im Jahr konnten die Ganoven bis zu einhundert Kilogramm Marihuana einfahren, in einem Schwarzmarktwert von jeweils ca. 5 Mio. Zloty (ungefähr 1,25 Mio. Euro).

In Anbetracht solcher Einnahmemöglichkeiten wundert es nicht, dass immer mehr „Unternehmer“ in die Cannabisbranche einsteigen, während sie vorgeben, wie vor kurzem aufgedeckt, eine Chemische Reinigung oder gar eine Straußenfarm zu betreiben. Wem des Startkapital für die lukrative durch eine Überdachung geschützte Produktion fehlt, der versucht sich als Freiluftgärtner, wie ein 44-jähriger Mann aus der Näher von Toruń/Thorn, der, getarnt inmitten eines groβen Maisfeldes, gut dreihundert stattliche Cannabisstauden züchtete. Oder er hegt das Kraut in „Heimarbeit“, wie der auβergewöhnlich erfolgreiche 56-jährige Hobbygärtner von Jelenia Góra/Hirschberg. Auf dem Dachboden seines Hauses brachte er eine Ernte von 50 kg Marihuana im Wert von ca. 1 Mio. Zloty (in etwa 250 Tausend Euro) ein.

Cannabis ist die in Polen mit Abstand populärste Droge. Von nicht wenigen Medien und Schickimicki-Promis als völlig harmlos, entspannend und „in“ dargestellt, setzt sie seit Jahren ihren Siegeszug, vor allem unter der groβstädtischen Jugend, fort. Auch der Politrowdy Janusz Palikot hat das Seine dazu beigetragen. Der frühere Stellvertreter Donald Tusks in der regierenden Bürgerplattform und spätere Begründer einer rabiat-antikirchlichen Politbewegung, startete seiner Zeit einige publikumswirksame Propagandafeldzüge für die Freigabe von Cannabis in Polen. Schützenhilfe leistete dem inzwischen völlig ins politische Abseits geratenen Palikot u.a. die linke „Gazeta Wyborcza“, die sich auch weiterhin für die Kampagne gegen das Cannbisverbot engagiert.

Nach neusten Erkenntnissen schädigt der Dauerkonsum von Marihuana erheblich das Herz-Kreislaufsystem (Herzrhythmusstörungen), Lunge und Atemwege (sehr hoher Teergehalt), es beeinträchtigt die Konzentrationsfähigkeit und das Gedächtnis. Alkohol verstärkt diese negativen Wirkungen. Für nicht wenige ist es die Einstiegsdroge schlechthin.

Auf die illegale Herstellung von Betäubungsmitteln stehen in Polen Haftstrafen von 6 Monaten bis zu 8 Jahren. Wer bisher straffrei war und zum ersten Mal mit einer geringfügigen Menge Rauschgift (bis zu 5 Gramm Marihuana, bis zu 0,5 Gramm Amphetaminen, einigen Extasytabletten) ertappt wird, kann auf Einstellung des Verfahrens hoffen. Wiederholungstäter müssen mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren rechnen.

Der neuste Bericht des Fachportals Narkotyki.pl schlieβt mit der Feststellung: „Bezeichnend für den polnischen Drogenmarkt sind: die zunehmende Zahl von Personen, die mit Drogen experimentieren, das steigende Angebot, der Preisrückgang, die steigende Anzahl von Dealern und Schmugglern und ein Anstieg der heimischen Herstellung. Die Plage verbreitet sich in allen sozialen Schichten, am schnellsten jedoch unter Jugendlichen. Auf dem Drogenmarkt überwiegt Marihuana, aber es steigt auch die Nachfrage nach Haschisch, Amphetaminen und Kokain. All das führt zu einem schnellen Anstieg der Drogenkriminalität“.

2014 wurden in Polen gut 75 Tausend Drogendelikte registriert, etwa 2% mehr als im Vorjahr. Es wurden 301 Drogentote gezählt, von denen jedoch keiner auf Grund von Marihuanamissbrauch ums Leben kam.
Immer mehr Produzenten von Marihuana versuchen sich unauffällig im Umkreis der Groβstädte niederzulassen. Das aufgrund einer Vielzahl baulicher Veränderungen dort herrschende Chaos und der dichte Verkehr auf den Zufahrtstraβen schaffen ein relativ sicheres Umfeld für die Nachschubbeschaffung des nötigen Rohstoffs und den Abtransport des Fertigproduktes.

Mit der Zunahme der Drogenproduktion steigt auch die Erfolgsquote der Fahnder. Allein zwischen Januar und März 2015 haben sie 162 Cannabisplantagen ausgehoben (in demselben Zeitraum 2014 waren es lediglich 57) und 265 kg Marihuana sichergestellt. Die Polizisten verneinen die Frage, ob ihre Erfolge bei der Plantagenbekämpfung nur die Spitze des Eisbergs treffen. Es handle sich, so heiβt es, auf jeden Fall um viel mehr als nur die Spitze.

© RdP