Meister des roten Charmes

Am 9. Januar 2015 starb Józef Oleksy.

Er kam stets wohlgenährt, jovial, gut gelaunt daher, umgeben von der Aura eines herzensguten Lebemannes. Der sympathische Genussmensch Józef Oleksy verkörperte geradezu perfekt die chamäleonhafte Fähigkeit vieler einstiger kommunistischer Apparatschiks sich der neuen Umgebung anzupassen. Schelmisch mit den Augen zwinkernd behauptete er sogar, selbst ein Opfer des Kommunismus zu sein.

Józef Oleksy wurde 1946 in Nowy Sącz geboren, in einer Gegend, die auch heute als eine Hochburg  des Glaubens und traditioneller sozialer Strukturen gilt. Der Vater war Tischler, die Mutter Näherin. Der kleine Józio, eines von fünf Kindern, war mit Leib und Seele Messdiener und kam nach der Grundschule, mit 14 Jahren, auf ein Knabenseminar in Tarnów für Jungs die später Priester werden wollten. Dort das Abitur zu machen, war ihm nicht gegönnt, denn 1963, eine Woche vor Beginn des neuen Schuljahres, schlossen die kommunistischen Behörden das Knabenseminar. Daher rührte sein selbstzuerkannter „Opferstatus“.

Das Abitur legte er an einem staatlichen Gymnasium in Tarnów ab und ging 1964 nach Warschau. Dort, ausgestattet mit Pluspunkten für seine soziale Herkunft als Arbeitersohn, behauptete er sich bei der Aufnahmeprüfung (14 Kandidaten auf einen Studienplatz) zur elitären Fakultät für Auβenhandel an der besten Wirtschafts-Universität des Landes, der Hochschule   für Planung und Statistik (SGPiS). Wer dorthin gelangte und sich geschickt anstellte, konnte sich seine Karriere bereits ausmalen: einen Posten im Ministerium für Auβenhandel oder in einem der staatlichen (andere gab es nicht) Auβenhandelsunternehmen, Westreisen, Devisenspesen, ein gutes Leben, aufgebaut auf dem Schwarzmarktkurs des Dollar.

Natürlich war das alles nicht ohne Parteimitgliedschaft und enge Kooperation mit der Staatssicherheit zu haben. „Ich war ein Opportunist“, gestand Oleksy selbstkritisch in seinem letzten Zeitungsinterview Ende Dezember 2014, auf dem beigefügten Foto war er schon sichtlich vom Tode gezeichnet. Der verhinderte Priester war umgeschwenkt, wurde im Studium kommunistischer Jugendfunktionär, trat 1969 in die Partei ein.

Ende der 90er Jahre kam heraus, dass er 1970 eine Verpflichtungserklärung beim Geheimdienst unterschrieben hatte, den er bis 1978 mit Informationen belieferte, über seine Umgebung, über seine Auslandsreisen in den Westen und über Leute, vor allem polnische Emigranten, die er dort traf. Als er ein Stipendium im elsäβischen Straβburg bekam, soll er die Stadt für eine künftige Einnahme durch Warschauer-Pakt-Truppen auskundschaftet haben.

Oleksy war ein klassischer Apparatschik, arbeitete in den Leitungsstrukturen der kommunistischen Studentenorganisation, ab 1977 im Zentralkomitee der herrschenden kommunistischen Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP). Dort erlebte er, gut versorgt, die stürmische Zeit der ersten Solidarność zwischen August 1980 und Dezember 1981, die Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981. Mitte 1987 wurde er in Anerkennung seiner treuen Dienste Parteichef  der kleinen Woiwodschaft (Provinz) Bielsko Biała im Osten des Landes.

„Opportunist“ zu sein bedeutete für Oleksy sich als Parteifunktionär nicht allzu weit aus dem Fenster zu lehnen. Unrecht geschehen zu lassen und wegzuschauen, nach Oben zu ducken und nach unten möglichst wenig zu treten. Das war der Typus des im Westen damals so geschätzten „liberalen“ Kommunisten.

Zusammen mit den KP-„Jungfunktionären“ Leszek Miller (Jg. 1946), Włodzimierz Cimoszewicz (Jg. 1950) und Aleksander Kwaśniewski (Jg. 1954) verwandelte Oleksy die ausgediente polnische KP, nach dem Zusammenbruch im Jahre 1989, Anfang 1990 in eine „Sozialdemokratie“.

Die vier knüpften noch während der Gespräche am Runden Tisch (Februar-April 1989) gute Kontakte zu den führenden linken Bürgerrechtlern und Dissidenten, wie Adam Michnik, Jacek Kuroń, Bronisław Geremek u. v. a. m., die auf der Seite der Solidarność damals den Ton angaben. Sie stellten den neuen „Sozialdemokraten“ und ihrer Anhängerschaft aus alten Kadern, die das Parteibuch gegen das Scheckbuch eintauschten, den Freibrief in die neue Wirklichkeit aus.

Sie sollten die Verbündeten sein im Kampf gegen den angeblich unbändigen Teufel des polnischen Nationalismus, Antisemitismus, des katholischen Fundamentalismus, den vor allem Adam Michnik und seine Gazeta Wyborcza bis heute unablässig an die Wand malen. Diese, mal sehr enge, mal lockere Allianz, durchlebte verschiedene Stadien, aber sie lebt bis heute.

Schon im September 1993 waren die (Post)Kommunisten wieder an der Regierung. Die Unstimmigkeiten im Solidarność-Lager und der tiefe wirtschaftliche Fall des Landes verhalfen ihnen damals bei den Wahlen zur Macht. Oleksy wurde Parlamentspräsident und im März 1995 Regierungschef.

Mit Lech Wałęsa, dem damaligen Staatspräsidenten, befand er sich in einem Konflikt, ihm war Oleksy nicht folgsam genug.  Laut Verfassung ernannte in jener Zeit der polnische Staatspräsident die Minister für Äuβeres, Inneres und Verteidigung. Der Ministerpräsident hatte das zu akzeptieren.

Mitte November 1995 verlor Wałęsa die Präsidentschaftswahlen für eine zweite Amtsperiode und sollte nur noch bis zur Vereidigung seines Nachfolgers, des Postkommunisten Aleksander Kwaśniewski, am 23. Dezember 1995 amtieren.

Vier Tage zuvor, am 19. Dezember 1995, lieβ der von Wałęsa seiner Zeit berufene Innenminister Milczanowski eine politische Wasserstoffbombe hochgehen. Er erstattete bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen Oleksy wegen Spionage für Russland und erläuterte den Sachverhalt zwei Tage später im Parlament. Oleksys Deckname soll „Olin“ gewesen sein.

Oleksy musste zurücktreten. Sein Nachfolger wurde Włodzimierz Cimoszewicz. Wie so oft in Polen, blieb jedoch auch die Oleksy-Affäre unaufgeklärt. Jedenfalls hat die Staatanwaltschaft das Verfahren gegen ihn im April 1996 eingestellt, sprach von „ernsthaften Verfehlungen des Staatsschutzes“ und einer „gemeinen politischen Provokation“. Nur, es waren Oleksys Parteifreunde in der Staatsanwaltschaft, die das sagten.

Die Postkommunisten mussten 1997 die Macht an das Wahlbündnis Solidarność abgeben, an eine bunt zusammengewürfelte Allianz der Gewerkschaft Solidarność und einiger Dutzend mit ihr kooperierender liberaler und konservativer Kleinparteien (Ministerpräsident Jerzy Buzek). 2001 gewannen Postkommunisten  noch einmal triumphal die Wahlen und regierten Polen bis zum Herbst 2005 (Ministerpräsident Leszek Miller). Seither befindet sich die postkommunistische Allianz der Demokratischen Linken im Niedergang.

Józef Oleksy hat sich von der Olin-Affäre politisch nie wieder erholt. Er wurde zwar noch 2004 für kurze Zeit Innenminister im Kabinett Miller, dann noch einmal Parlaments- und Parteivorsitzender, sein politischer Einfluss aber war mehr als gering. Nach den von den Postkommunisten  dramatisch verlorenen Wahlen von 2005 ist er nicht einmal Abgeordneter gewesen, trat nur noch als politischer Kommentator  in Erscheinung.

Dann, im März 2007, wurden Tonaufnahmen publik, in denen Oleksy, im ungezwungenen Gespräch mit dem postkommunistischen Geschäftsmann Aleksander Gudzowaty, hemmungslos über seine Parteikollegen, u. a. den damals schon ehemaligen Staatspräsidenten Kwaśniewski, als Steuerhinterzieher, Schmiergeldempfänger und Dummköpfe herzieht. Er wurde daraufhin aus der Partei ausgeschlossen. 2010 hat man ihm vergeben und er durfte wieder eintreten.

Politisch bedeutungslos, doch stets freundlich, guter Dinge, leicht ironisch und redegewandt, wurde OIeksy in seinen letzten Lebensjahren gern von den Medien nach seiner Meinung gefragt, vor allem weil er nie um eine gute Pointe verlegen war. Sich dessen bewusst, dass er mit seinem Habitus und der hohen Tonlage seiner monotonen Stimme nur noch eine Soutane bräuchte, um einen polnischen Dorfpfarrer abzugeben, wie er im Buche steht, wurde Oleksy zuletzt nicht müde zu beteuern, wie eng verbunden er sich mit der katholischen Kirche fühle.

Im letzten Interview gefragt, ob er sich ein weltliches Begräbnis wünsche, antwortete er prompt: „Selbstverständlich ein kirchliches! Es soll die Klammer sein, die mein Leben zusammenhält.“

Bevor Józef Oleksy auf dem Warschauer Powązki-Friedhof bestattet wurde, fand in der Kathedrale der Polnischen Armee am Rande der Warschauer Altstadt ein Staatsakt statt, an dem u. a. Staatspräsident Komorowski, Ministerpräsidentin Kopacz und EU-Rastpräsident Tusk teilnahmen. Der Charme des Appratschiks wirkte bis zuletzt.

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