Bitterer Ernst. Den Polen schmeckt der Wodka nicht
Noch stärker haben sie sich vom Bier abgewandt.
Die Ergebnisse des Alkoholumsatzes in Polen im Jahr 2021 erscheinen wie ein Traum von Suchttherapeuten und Abstinenzaktivisten, die seit Jahren verschiedene Ideen zur Einschränkung des Konsums ins Gespräch bringen. Für die Spirituosen- und Brauereiindustrie hingegen sind solche Resultate eine wirtschaftliche Katastrophe.
Schon während der Pandemie zeigte sich, dass die Polen seltener zur Flasche greifen. Man könnte annehmen, dass Menschen, die zu Hause eingesperrt sind, dazu neigen, sich mit Alkohol aufzuheitern oder ihren Kummer darin zu ertränken.
In der anderen Waagschale jedoch lagen Partys, die nicht stattfanden , geschlossene Restaurants und Kneipen. Das war letztendlich ausschlaggebend für den Rückgang des Verbrauchs. Im Jahr 2020, als alle Angst vor COVID-19 hatten, kauften die Polen 51,4 Millionen Liter Alkohol weniger als im Jahr zuvor.
Am meisten darunter gelitten haben die den Markt anführenden Brauereien . Der Biermarkt schrumpfte damals um 2,1 Prozent, d. h. im Laufe des Jahres 2020 wurden 135 Millionen Halbliterflaschen Bier weniger verkauft. Die Hersteller von Wodka, des am zweithäufigsten gekauften alkoholischen Getränks, verzeichneten einen Umsatzrückgang von 0,8 Prozent.
Gleichzeitig wurden weitere Veränderungen in der Nachfrage immer offensichtlicher. Gefragter sind teurere, hochwertige Spirituosen. Zu den Spitzenreitern beim Umsatzwachstum gehört der Whisky, von dem 2020, also während der Pandemie, gut 20 Prozent mehr verkauft wurden als 2019.
Der Apfelwein. Eine flüchtige Liebe
Mit dieser Entwicklung enden auch die überzogenen Hoffnungen, Polen werde sich zu einer Apfelwein-Macht entwickeln. Wach sind noch die Erinnerungen daran, als vor einigen Jahren prophezeit wurde, dass dieser Markt, bei einer solchen Apfelproduktion, und Polen ist der drittgrößte Hersteller der Welt, geradezu zum Erfolg verdammt sei. Schlagzeilen verkündeten damals: „Die Polen haben sich in den Apfelwein verliebt“.
Doch es war eine flüchtige Liebe. Seit mindestens fünf Jahren schrumpft der Apfelweinmarkt stetig. Allein im Jahr 2020 wurden 21 Prozent weniger verkauft als im Jahr zuvor. Die Abwärtsspirale wurde durch die Hersteller selbst in Gang gesetzt, als sie versuchten, statt eines wohlschmeckenden und relativ günstigen Getränks, vergleichsweise teure und geschmacklich mäßige Apfelweine an den Mann zu bringen. Bisher schafft die Branche es nicht, da wieder herauszukommen.
Bierbäuche so klein wie vor zehn Jahren
Heute wissen wir, dass das polnische Trinkverhalten im Pandemiejahr 2020 Bestandteil eines schon früher begonnenen Trends gewesen ist: In Polen wird einfach immer weniger Alkohol getrunken.
Der Markt ist im Jahr 2021 noch weiter geschrumpft, und wiederum war das Bier am stärksten betroffen. Bereits im Jahr 2020 lag der Verbrauch in Polen bei 96 Liter pro Kopf und war damit der niedrigste in den letzten zehn Jahren. Im Jahr 2021 ging der Bierabsatz um weitere 4 Prozent zurück.
Das ist ein schwerer Schlag für die Brauereien, denn nicht nur der Trend des sinkenden Absatzes hat sich verfestigt, sondern auch das Umsatzergebnis ist zum ersten Mal gesunken (um 1,1 Prozent): von 18 Milliarden Zloty (ca. 3,83 Milliarden Euro) im Jahr 2020 auf 17,8 Milliarden Zloty (ca. 3,79 Milliarden Euro) im Jahr 2021.
Der markanteste Rückgang ist vor allem bei den beliebtesten, den schlichten und preiswerten Lagerbieren zu verzeichnen. Sie machen zwar immer noch einen großen Teil des gesamten Bierabsatzes (80,3 Prozent) aus, verlieren aber seit Jahren einige Prozentpunkte an alkoholfreie Biere und aromatisierte Lagerbiere.
Im Jahr 2021 lag der Einbruch bei Lagerbieren bei bis zu 5 Prozent im Vergleich zu 2020. Der Verkauf von Starkbieren, mit einem höheren Alkoholgehalt, war in gleicher Weise rückläufig.
Woher dieser Wandel? Fachleute sprechen von einer Kombination aus mehreren Umständen. Da war die Pandemie mit einer langen Phase, in der die Gelegenheit zum geselligen Treffen „auf ein Bier“ gefehlt hat. Die Gewohnheiten der Menschen scheinen sich durch die Pandemie dauerhaft etwas verändert zu haben. Hinzu kommt die Inflation. Nicht nur Energie, Kraftstoffe und Lebensmittel, auch das Bier wird teurer. Zudem wurde die Verbrauchssteuer auf Alkohol leicht angehoben. Da wird eben auf Geselligkeiten, die oft mit dem Biertrinken verbunden sind, verzichtet.
Unwiderstehliche Äffchen
Und warum trinken die Polen weniger Wodka? Einer der Gründe ist die Einführung der Zuckersteuer, denn viele polnische Wodkasorten sind süß. Es ging vor allem darum, den gigantischen Absatz von sogenannten Äffchen einzuschränken. So heißen im Volksmund preiswerte Flachmänner mit 0,1 l Füllmenge.
Tag für Tag gingen in Polen drei Millionen von ihnen über den Ladentisch, davon eine Million bereits bis zwölf Uhr mittags. Jährlich eine Milliarde Stück. Die „Kurzen“ mit 0,1 l Inhalt lagen noch im Jahr 2020 mit gut 40 Prozent an erster Stelle aller in Polen verkauften Wodkaflaschen. Es folgten die 0,25 l-Fläschchen mit 30 Prozent, der halbe Liter kam auf einen Marktanteil von 26 Prozent. Die restlichen 4 Prozent machten die 0,7 l sowie die Literflaschen aus.
Forscher haben seinerzeit knapp zweihundert Verkäufer befragt und mehr als zehntausend Kassenquittungen eingesehen. Ergebnis: drei Viertel der Kunden kauften nur das Äffchen, beziehungsweise sie nahmen noch ein Getränk zum „Nachspülen“ und/oder eine Kleinigkeit (Schokoriegel, verpacktes Würstchen u. ä.) als Zubiss dazu.
Der Flachmann ist rasch beschafft: im Laden oder an der Tankstelle. Er lässt sich unauffällig verstauen: im Handschuhfach, in der Mantel-, Hand- oder Aktentasche. Er ist fix geleert: beim Gassi gehen mit dem Hund, auf dem Nachhauseweg von der Arbeit, in der Mittagspause, auf der Parkbank, in der Bürotoilette. Die leere Flasche landet diskret im städtischen Müllbehälter oder irgendwo im Grünen.
Wer seinen Alkoholspiegel kurzfristig erhöhen möchte ohne gleich aufzufallen, ist heute mit etwa 8 Zloty (ca.1,70 Euro) dabei. Der Inhalt der „Kurzen“ wird in Polen nur geringfügig teurer angeboten als in der normalen Flasche. In Deutschland sind Preisunterschiede von rund einhundert Prozent bei Flachmännern im Vergleich zu den handelsüblichen Flaschen die Regel, nicht selten ist das sogar die untere Grenze.
Wodka muss in Polen mindestens 37,5 Prozent Alkohol aufweisen. Meistens hat er 40 Prozent. Anders verhält es sich mit Äffchen-Eigenkreationen der Brennereien, die in gröβere Flaschen gar nicht erst abgefüllt werden.
Deren Inhalt hat etwas weniger Prozente, wird dementsprechend geringer besteuert und als „Spirituosengetränke“ geführt, was den meisten Käufern erst gar nicht auffällt. Kirsche und Zitrone, dicht gefolgt vom Quitten- und Himbeergeschmack sind die Renner. Aromastoffe und der hohe Zuckeranteil kaschieren die schlechtere Qualität des Wodkas. Der Gewinn steigt, neue Kunden, vor allem Frauen, werden angelockt.
Die neue Zuckersteuer auf stark gesüßte alkoholische und nichtalkoholische Getränke, und eine Sonderabgabe für Wodka und „Spirituosengetränke“ in Flaschen bis zu 0,3 l Inhalt sollten die Äffchen-Vorherrschaft brechen. Auf die Sonderabgabe regierten die Brennereien, noch bevor sie in Kraft trat, indem sie Flaschen mit… 0.35 l auf den Markt brachten.
Die Zuckersteuer traf den Absatz von Äffchen besonders hart. Der Preis für ein 0,1 l Fläschchen stieg von 5,70 bis 6,50 Zloty (ca. 1,20 – 1,40 Euro) auf 8 bis 8,50 Zloty (um die 1,70 Euro) an. Das genügte, um den Verkauf um 30 Prozent zu reduzieren. Es war der größte Rückgang im Wodka-Segment im Jahr 2021. Insgesamt betrug er 11 Prozent im Vergleich zu 2020.
Hersteller von Limonaden und Fruchtsäften begannen schnell, den Zuckergehalt zu verringern. Bei den Äffchen ist das nicht möglich. Angesichts der minderen Qualität des Alkohols wären sie ungesüßt oder deutlich weniger gesüßt für ihre Liebhaber ungenießbar.
Mehr geht nicht
Jahrelang glaubte man, dass die Polen ein besonderes Problem mit dem Alkohol hätten. Denn an der Weichsel stieg der Verbrauch, während er sich in Westeuropa eher stabilisierte bzw. rückläufig war. Schließlich pendelte sich der durchschnittliche europäische Konsum bei etwa 10 Litern reinen Alkohols pro Kopf und Jahr ein. Inzwischen hat der polnische Pro-Kopf-Verbrauch den europäischen Durchschnitt erreicht und zeigt keine Tendenz, erneut anzusteigen.
Da nun nicht mehr die Menge das Problem war, begann man von der falschen Art des Trinkens als einem polnischen Problem zu reden. Es wurde behauptet, dass die Polen immer noch nicht wegen des Geschmacks, oder um einen Anlass zu feiern, sondern zumeist ohne Anlass sehr exzessiv trinken. Aber auch das ist schon lange nicht mehr der Fall. Aus Untersuchungen geht mittlerweile hervor, dass gerade mal 7 Prozent der erwachsenen Bevölkerung die Hälfte des in Polen konsumierten Alkohols trinken. Das sind all diejenigen, die ein Alkoholproblem haben.
Die Mehrheit übt sich eher in Zurückhaltung. Die Zahl der Autos steigt und mit ihr die erzwungene Enthaltsamkeit. Es ist inzwischen undenkbar, was in der kommunistischen Zeit gang und gäbe war: ausuferndes Trinken am Arbeitsplatz. Zudem zeichnet sich schon seit mindestens einem Jahrzehnt eine stete Abkehr von starken Getränken, hauptsächlich zugunsten des Bieres, ab.
Polen wurde zu einem Land der Biertrinker. Der Bierkonsum stieg seinerzeit so rasant, dass Prophezeiungen laut wurden, die Polen werden sogar die Tschechen im Biertrinken überholen. Die Wirklichkeit hat diese hurraoptimistischen Vorhersagen etwas zurechtgestutzt. Während ein Tscheche 182 Liter Bier pro Jahr konsumiert, trinkt ein Pole 96 Liter. Damit trinkt er zwei Liter weniger als ein Österreicher, aber immerhin knapp 4 Liter mehr als ein Deutscher.
Die Absatzzahlen für 2021 zeigen, dass Polen beim Alkoholkonsum den Höhepunkt eindeutig überschritten hat. Der Rückgang zeigt, dass die Polen nicht zu dem Trinkstil zurückgekehrt sind, der ihnen früher, ein wenig zu Unrecht, kollektiv unterstellt wurde, nämlich so zu trinken, dass es möglichst schnell zu Kopfe steigt.
Wie sieht die Zukunft des Trinkens an der Weichsel aus? Mittlerweile ist bekannt, dass die Polen im ersten Quartal 2022 noch weniger Wodka gekauft haben. Der Absatz war um 10 Prozent geringer als im ersten Quartal 2021.
Auch das Brauereiwesen zeichnet die Zukunft in dunklen Farben. Es erwartet keine Umsatzsteigerung und wäre bereits froh, wenn sich der Rückgang verlangsamen würde.
Konkrete Prognosen wagt niemand abzugeben. Zu viele nicht kalkulierbare Umstände gilt es zu berücksichtigen: Corona, steigende Produktionskosten, die schwankende Verfügbarkeit von Rohstoffen und Verpackungen, der Krieg in der Ukraine und schließlich das Wetter. Denn davon, wie sonnig der Sommer wird, hängt der Bierverkauf am meisten ab.
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