Frankreich, Südkorea, USA. Wer wird Polens Atomkraftwerke bauen?

Wahrscheinlich doch die Amerikaner.

In den Betrachtungen und Analysen, wer Polen, das bis jetzt kein einziges AKW besitzt, mit ziviler Nukleartechnologie beliefern soll, wird eher ein verengter Blickwinkel gewählt: wer liefert was, zu welchem Preis und zu welchen Bedingungen. Doch in diesem Fall geht es nicht nur um eine rein technische oder wirtschaftliche Entscheidung. Es ist ein Schritt, der weitreichende Auswirkungen auf dem Gebiet der Sicherheits- und Außenpolitik haben wird.

Das erste polnische AKW wird wahrscheinlich in der Gegend von Gdańsk/Danzig entstehen und soll 2033 ans Netz gehen. Insgesamt sind sechs AKWs geplant. Nach 2033 soll alle zwei Jahre ein Atomkraftwerk fertiggestellt werden. Um die polnischen Nuklearaufträge ringen seit einigen Jahren drei Bieter. Wo liegen die Vor- und Nachteile bei einer Entscheidung für einen von ihnen?

Südkorea

Die Koreaner waren die Ersten, die ein konkretes Angebot in Warschau abgaben. Südkorea ist für Polen geradezu ein Vorbild dafür, wie sich ein sehr armes Land, das zudem einen unberechenbaren Nachbarn hat, in ein wirtschaftliches Kraftzentrum verwandeln kann. Der gefährliche Nachbar Seouls ist Nordkorea, für Polen ist es Russland.

Polen und Südkorea arbeiten bereits im Bereich der Verteidigung eng zusammen. Der Kauf von 1.000 südkoreanischen Panzern, annähernd 650 Panzerhaubitzen und 50 FA-50-Kampfjets ist der größte Auftrag in der Geschichte der polnischen Armee. Sehr wichtig aus polnischer Sicht ist bei diesem Projekt der Technologietransfer sowie die Vereinbarung, dass ein Teil der bestellten Ausrüstung in Polen von einheimischen Rüstungsunternehmen hergestellt werden soll.

Die Koreaner locken bei dem Bau von Kernkraftwerken ebenfalls mit großen Vorteilen. Das von Korea Hydro & Νuclear Power unterbreitete Angebot bezieht sich nämlich nicht nur auf den AKW-Bau, sondern auch auf die Zusammenarbeit bei der Produktion von Halbleitern und der Wasserstofftechnologie. Zudem wollen sich die Koreaner mit einem Anteil von 49 Prozent an dem gemeinsamen Projekt begnügen und beabsichtigen, koreanische Banken in die Finanzierung miteinzubeziehen.

Von einer zuverlässigen Vertragserfüllung kann man ausgehen. Die Koreaner haben bereits Erfahrung mit ähnlichen Projekten in den Vereinigten Arabischen Emiraten gesammelt. Das koreanische Angebot wäre das finanziell günstigste mit etwa 3 Milliarden Euro pro Gigawatt.

Die bisherigen Erfahrungen mit koreanischen Investitionen in Polen sind sehr gut. Korea ist jedoch kein NATO-Staat, liegt geographisch weit entfernt, und beide Länder verbinden keine gemeinsamen geostrategischen Interessen. Für Seoul ist Polen ein rein kommerzieller Kunde.

Die Koreaner zeigen sich sehr offen für eine Zusammenarbeit. Selbst dann, wenn Polen ihr Angebot nicht annehmen sollte, stünden sie als Lieferant von AKW-Ersatzteilen und Kernbrennstoff zur Verfügung. Ebenso enthält das Angebot eine Unterstützungszusage für die Entsorgung des atomaren Abfalls, was bei der Planung einer solchen Investition ebenfalls zu berücksichtigen ist

Frankreich

Paris lockt Polen mit seinen Angeboten und Versprechungen zur Nukleartechnologie seit über einem Jahrzehnt. In der Anfangsphase war der Adressat dieser Bemühungen die Regierung von Donald Tusk, die jedoch, trotz vieler vollmundiger Ankündigungen, den AKW-Bau nie in Angriff genommen hat. Eine Weile nach dem Wahlsieg der Nationalkonservativen im Herbst 2015 eröffnete der französische Staatsmonopolist Électricité de France (EdF) erneut sein Büro in Warschau und begann nun die Regierung von Recht und Gerechtigkeit zu umwerben. Frankreich ist zweifellos das europäische Land mit der größten Erfahrung auf diesem Gebiet. Es bezieht zudem mehr als 70 Prozent seiner eigenen Energie aus dieser Quelle.

Eine Zusammenarbeit mit den Franzosen wäre sinnvoll, wenn Paris und Warschau durch eine strategische Allianz in Europa verbunden wären. Paris jedoch arbeitet hauptsächlich mit Berlin zusammen und schließt eine politische Zusammenarbeit mit der Regierung in Warschau aus. Wenn es nichts zu verkaufen gibt, „würdigen“ die Franzosen Polen, wie auch ganz Ostmitteleuropa, mit Nichtachtung.

Zudem muss man davon ausgehen, dass Paris, nach dem Ende des Ukraine-Krieges, unabhängig von dessen Ausgang, erneut, wie wahrscheinlich Berlin auch, auf eine enge Zusammenarbeit mit Russland setzen wird. Staatspräsident Macrons lange Telefongespräche mit Putin und die vielen französischen Firmen, denen, trotz Sanktionen, ihr Russland-Geschäft wichtiger ist als das Leben der Ukrainer, sind deutliche Indizien dafür.

EdF hat im Oktober 2021 ein erstes Angebot für Kernkraftwerke in Polen abgegeben. Die Regierung in Paris würde eine finanzielle Unterstützung für diese Investition garantieren. Die französischen Reaktoren des Typs EPR haben eine Betriebsdauer von 65 Jahren und würden zwischen 35 und 50 Milliarden Euro kosten, bei einer Leistung von 6,5 Gigawatt. Mindestens die Hälfte der Investitionen würde ausführenden polnischen Unternehmen zufließen, versichert die französische Seite.

Auch EdF hat Erfahrung mit der Durchführung internationaler Investitionen, z. B. im Vereinigten Königreich oder in Finnland. Im letztgenannten Fall kam es allerdings zu Verzögerungen und erheblichen technischen Problemen. Paris eilt inzwischen den Fakten voraus und unterzeichnet Kooperationsvereinbarungen mit zahlreichen polnischen Unternehmen, die sich an dem Projekt beteiligen könnten. Es ist eine Form der Druckausübung auf die polnische Regierung.

Vereinigte Staaten

Die Amerikaner sind von Anfang an die Favoriten in diesem Rennen. Sie setzen auf die Technologie von Westinghouse, das sichere und effiziente Anlagen vom Typ AP1000 herstellt. Eine erste Entscheidung wird für Ende Oktober 2022 erwartet. Finanziell liegt das Angebot in der Mitte der drei Gebote. Polen soll für Kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 6,7 Gigawatt rund 4,3 Milliarden Euro pro Gigawatt bezahlen, was weniger ist, als die Franzosen verlangen. Die Amerikaner garantieren auch eine höhere Beteiligung polnischer Unternehmen an diesem Projekt als die Koreaner.

Allerdings halten die Amerikaner nicht immer ihre Versprechungen ein. Ein Beispiel dafür sind die ersten sogenannten Offset-Abkommen für amerikanische Rüstungsgüter im Jahr 2003. Damals wurden lediglich 500 Millionen von den versprochenen mehreren Milliarden Dollar investiert. Nur 20 Prozent der 44 mit der polnischen Regierung eingegangenen Verpflichtungen wurden erfüllt. Der Vertrag über die Lieferung von 48 F-16 Kampfjets entpuppte sich in dieser Hinsicht damals als ein einziger Skandal.

Doch die USA sind sich heute darüber im Klaren, dass man in Europa vor allem mit Warschau in Sachen Ukraine-Krieg konstruktiv zusammenarbeiten kann, während sich Berlin und Paris als unsichere Kantonisten entpuppt haben. Es ist daher davon auszugehen, dass sie dieses Mal ihre Verpflichtungen ernst nehmen werden. Es gibt von polnischer Seite aber auch keinen Grund, mit einer Vorzugsbehandlung zu rechnen. Das amerikanische Angebot sollte ebenfalls sehr gründlich analysiert werden.

Das Fundament der polnischen Außen- und Sicherheitspolitik ist die strategische Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten. Ein politisch-militärisches Bündnis mit der größten Macht der Welt, riesige polnische Rüstungsaufträge an die USA sowie eine ständige und kontinuierlich erweiterte amerikanische Truppenpräsenz an der Ostflanke der NATO spannen einen Schutzschirm über Polen.

Auf dem Energiemarkt sind Polen und die USA bereits durch die Einfuhr von amerikanischem Flüssiggas verbunden. Warschau geht davon aus, dass die Amerikaner Energieanlagen, die ihnen langfristig Gewinn bringen, militärisch schützen werden.

Die von Westinghouse angebotenen Druckwasserreaktoren sind eine bewährte und sichere Konstruktion, die in vielen Teilen der Welt in Betrieb ist. Die Amerikaner bieten ein komplettes Paket an, einschließlich technischer Unterstützung und Finanzierung. Für Letzteres sollen die staatliche EXIM-Bank und die Development Financial Corporation zuständig sein. Die Amerikaner sind in diesem Fall daher auch ein guter Verbündeter, sollten Deutschlands AKW-Gegner in Regierung und Öffentlichkeit die Investitionen behindern wollen.

Auf der anderen Seite befürchtet man in Warschau, dass die Amerikaner die Kosten zu hoch ansetzen und den Termin für die Inbetriebnahme hinauszögern könnten. Das ist etwas, was sich Polen in Zeiten der Energiekrise nicht leisten kann und will.

Westinghouse argumentiert, dass es bereits vorläufige Kooperationsvereinbarungen mit mehr als 500 polnischen Unternehmen unterzeichnet hat und dass mehr als umgerechnet 21 Milliarden Euro, die für den Bau des Kraftwerks ausgegeben wurden, nach Polen zurückfließen sollen . Im Moment sind das Versprechungen. Wie viel sie wert sind, wird sich erst während der Vertragsverhandlungen zeigen.

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