Umbau in der Tusk-Pyramide

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Weltkriegsmuseum in Gdańsk. Wo der deutsche Schuh drückt.

Ein markanter, schräg stehender Turm aus Glas und rotem Beton erhebt sich über den bereits fertiggestellten unterirdischen Ausstellungssälen, die 37.000 Exponate beherbergen sollen. Die größten von ihnen – darunter zwei Panzer – wurden schon während der Bauphase mit Kränen ins Gebäude gehievt. Das Museum des Zweiten Weltkrieges in Gdańsk sollte bereits seit 2014 über den Krieg auf eine neue, „europäische“, „universelle“, „ganzheitliche“, „globale“ Weise erzählen: aus der Sicht der Zivilbevӧlkerung aus aller Welt, unter anderem auch der Polen. Doch die Bauarbeiten befinden sich inzwischen gut zwei Jahre im Verzug. Die Kosten auf dem unbedacht ausgewählten sumpfigen Baugelände explodieren, und das ursprüngliche Ausstellungskonzept wird in Frage gestellt, sehr zum Leidwesen deutscher Medien.

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„Tusk-Pyramide“. Museum des Zweiten Weltkrieges in Gdańsk. Entwurf und Baustelle.

Das Vorhaben wurde 2008 durch den damaligen polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk angeregt und veranlasst. Es sollte „sein“ Museum werden, „seine“ Antwort auf das Museum des Warschauer Aufstandes von 1944, dessen Urheber 2004 der damalige Oberbürgermeister von Warschau und spätere Staatspräsident Polens (2005-2010) Lech Kaczyński war.

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„Kaczyński-Museum“ des Warschauer Aufstandes von 1944 in Warschau.

Tusk, 2005 fest davon überzeugt, den Wahlsieg in der Tasche zu haben, konnte Lech Kaczyński die Niederlage, die er damals bei den Präsidentschaftswahlen davontrug nie verzeihen, empfand sie als tief demütigend. Alle die Tusk damals näher kannten, berichten einmütig: der Mann war ab dann geradezu besessen von dem Gedanken politische Rache zu nehmen. Lech Kaczyński kam bei der Flugzeugkatastrophe von Smolensk im April 2010 ums Leben.

„Polentum das ist Abnormität“

Das Warschauer Museum des Aufstandes wird bis heute von Besuchern umlagert, ist zu einer wichtigen nationalen Institution geworden. Es stellt nicht nur aus, es prägt durch seine vielfältigen Aktivitäten in erheblichem Maβ das Geschichtsbewusstsein, beflügelt die Fantasie der jungen Generation. Kaum eine Klassenfahrt nach Warschau ohne einen Besuch in diesem Museum, und das ohne jeglichen Zwang.

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Ministerpräsident Donald Tusk legt am 1. September 2012 den Grundstein für „sein“ Museum.

Im Wettlauf mit seinen politischen Erzfeinden, Lech Kaczyński und seinem Bruder Jarosław, wollte Donald Tusk gleichsam auf musealem Gebiet in nichts zurückstehen, auch wenn er an einem ganz anderen Ausgangspunkt ansetzte.

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Lech Kaczyński (damals Oberbürgermeister von Warschau) dekoriert am 1. August 2004 Vetereanen des Warschauer Aufstandes bei der Eröffnung „seines“ Museums.

Tusk war und ist jeglicher polnischer Patriotismus tiefst zuwider. Man sah es ihm fӧrmlich an, wieviel Überwindung es ihn als Regierungschef kostete, an offiziellen Feierlichkeiten mit Nationalhymne, Fahnenhissen und Kranzniederlegungen teilnehmen zu müssen. Sein Credo hat der studierte Historiker bereits 1987 in seinem Essay „Der gebrochene Pole“ in der Zeitschrift „Znak“ dargelegt:

„Leere, nur irgendwo in der Ferne wälzen sich Husaren und Ulanen, Aufständische und Marschälle vorbei, zeichnen sich die Steppenlandschaften der Ukraine und der Helle Berg von Tschenstochau ab, historische Aufträge, polnische Aufstände, die nach Monaten in denen sie ausgebrochen sind benannt wurden (…). Was bleibt vom Polentum übrig wenn man ihm dieses ganze hehre, düstere, lächerliche Theater unerfüllter und unbegründeter Träumereien wegnimmt? Das Polentum verdummt uns, macht uns blind, führt uns ins Reich der Mythen. (…). Es ist selbst ein Mythos. Ja, das Polentum assoziiert man mit Niederlage, mit Pech, mit Gewitterstürmen. Es kann ja auch nicht anders sein. Polentum das ist Abnormität.“

„Europäertum als Normalität“

Tusk hat sich von diesen Worten nie distanziert. Gegen „Polentum als Abnormität“ hilft bekanntlich nur Europa. Stets auf der Flucht vor der Bürde des Nationalen, traf und trifft Tusk auf viele Deutsche, die sich auch auf der Flucht vor ihrer Geschichte befinden. Er ist ihr Lieblingspole. Frau Merkel war schon bei der ersten Begegnung hingerissen.

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Gegen „Polentum als Abnormität“ (Tusk) hilft nur die Flucht nach Europa.

Europa als Lӧsung aller Probleme? Die Polen haben daran eine Zeitlang geglaubt. Tusk war ihr Mann. Die Ernüchterung, die mit der Euro- und Emigrantenkrise kam, hat das geändert. Tusk ist sich treu geblieben und wurde von Frau Merkel mit einem EU-Spitzenjob bedacht.

Danzig, Westerplatte, Wald
„Klein Verdun“. Deutsche Truppen dringen vor auf die Westerplatte unmittelbar nach der Kapitulation der polnischen Verteidiger am 7. September 1939.

Keine Erinnerung an den tapferen Widerstand

Ursprünglich war in Gdańsk ein Museum der Verteidigung der Westerplatte 1939 geplant, gewidmet der polnischen Thermopylen-Schlacht. Sie gilt bis heute als Inbegriff des nationalen Selbstbehauptungswillens, umschrieben in den schwermütigen Strophen des Dichters Konstanty Ildefons Gałczyński:

„Als die Zeit gekommen war,
und sommers man zu sterben hatte,
schritten himmelwärts Paar um Paar
die Soldaten der Westerplatte.
Und wie schön war der Sommer in jenem Jahr.“

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Verteidigung der Westerplatte. Briefmarken der Polnischen Post von 1945…

Das Museum der Westerplatte sollte, kaum jemand erinnert sich heute noch daran, die Antwort auf Erika Steinbachs Berliner Vertriebenenzentrum sein, und die Bundesrepublik wollte sich sogar an den Baukosten beteiligen.

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… und 1989.

Donald Tusk, der strahlende Wahlsieger vom Herbst 2008, hat das ganz in seinem Sinne geändert. Als erstes wurde der geplante Bau des 2006 ins Leben gerufenen Museums der Polnischen Geschichte in Warschau auf Eis gelegt. Als zweites wich die Erinnerung an den tapferen  polnischen Widerstand in Form des Museums der Westerplatte, nun einer „europäischen Sichtweise“ des Zweiten Weltkrieges. Untergebracht in einem kolossalen, modernen Bau, der Danziger „Tusk-Pyramide“, wie manche spotteten, die das Warschauer „Kaczynski-Museum“ überragen sollte. Tusks „Europäertum als Normalität“ versus „Polentum als Abnormität“.

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Denkmal auf der Westerplatte. Ein in den Boden gerammtes Seitengewehr signalisiert Friedens- und zugleich Verteidigungsbereitschaft. Briefmarke der Polnischen Post von 1964.

Nach der Niederlage der Tusk-Partei Bürgerplattform bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen von 2015, stellt die neue Regierung dieses Konzept nun in Frage (siehe nachstehend das Interviev mit Kulturminister Prof. Piotr Gliński). Ein Sturm der Entrüstung seitens der Befürworter des Europäertums ist die Antwort.

Der Publizist Piotr Semka, einer der drei Gutachter, den die neue Regierung um Einschätzung des bisherigen Ausstellungskonzeptes bat, beschreibt sehr präzise die Bedenken im Wochenmagazin „Do Rzeczy“ („Zur Sache“) vom 25. Juli 2016:

„Die Polen haben 1939-1945 an einem gerechten Krieg teilgenommen. Mutig widersetzten sie sich der deutschen und der sowjetischen Aggression. Sie haben allen Grund stolz darauf zu sein.

Derweil kann man sich nur schwerlich dem Eindruck entziehen, dass die historische Herangehensweise, die im geplanten Museum des Zweiten Weltkrieges bevorzugt wird, teilweise bundesdeutsche Vorbilder nachahmt. Es liegt auf der Hand, dass die Deutschen im Falle des Zweiten Weltkrieges ihre Militärgeschichte nicht hervorheben können. Das wiederum verleitet zu der Feststellung: lasst uns die Militärgeschichte beiseitelegen, das ist nichts Gutes, und uns der Zivilbevӧlkerung   widmen, also auch den Bomben- bzw. »Vertreibungsopfern«

Diese Methode“, so Semka weiter, „war gut erkennbar bei der öffentlichen Vorabpräsentation des Museumskonzeptes im Rahmen einer Ausstellung auf dem Langen Markt in Gdańsk 2009. Dort bündelte man die Fotos des zerstörten Warschau mit denen bombardierter deutscher Städte kurzerhand zu einer Antikriegsbotschaft. Im Ausstellungskatalog des Museums, im Abschnitt „Leben unter Bomben“, finden sich auf einem Foto Menschen, die in London in der U-Bahn  Schutz vor Bomben suchen, und auf dem Bild nebenan sieht man einen deutschen Wegweiser zum Luftschutzbunker. Bei vielen Polen stöβt eine solche Gleichsetzung auf Widerspruch.“

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Publizist Piotr Semka.

Semka weist auch auf ein weiteres Problem hin. „Die Botschaft, die das Museum vermitteln soll, lautet: »Lasst uns die Geschichte Europas erzählen und mit einem positiven Schlusseffekt versehen in Gestalt der Europäischen Union als einer Garantin des dauerhaften Friedens in Europa.«

Eine solche Ausstellung“, so Semka, „hätte durchaus Sinn in dem geplanten Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel. (…) Macht es aber einen Sinn enorme Summen polnischer Steuergelder in ein solches universelles Vorhaben zu stecken, während die Welt keine Ahnung hat von den komplizierten Vorgängen in Polen während des letzten Krieges?“

Deutsche Medien: in Polen an vorderster Front

Wie in vielen anderen innerpolnischen Angelegenheiten, so stehen auch im Feldzug  um das ursprüngliche Museums-Konzept deutsche Medien und ihre Interviewpartner geschlossen an vorderster Front.

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Historiker Bogdan Musiał.

„Es ist geradezu frappierend zu beobachten, wie groẞ in Deutschland das mediale Interesse an der Auseinandersetzung  um das Museum des Zweiten Weltkrieges in Gdańsk ist und überhaupt an den historischen Debatten in Polen. Deutsche Medien kümmern sich ansonsten herzlich wenig um die franzӧsische oder britische Geschichtspolitik, geschweige denn um die ӧsterreichische, belgische oder dänische“, schreibt der Historiker Bogdan Musial im Wochenmagazin „wSieci“ („imNetzwerk“) vom 25. Juli 2016.

Im Falle Polens jedoch, gehen die deutschen Medien von sich aus und mit den Stimmen der polnischen Kritiker auf ihrer Seite, hart ins Gericht mit den Bedenken und Änderungswünschen der im Herbst 2015 neu gewählten Entscheidungsträger. Sie treten stets wohlwissend darüber auf, wie die Polen, „als Täter“, den Zweiten Weltkrieg in ihrem Museum darzustellen haben. Beispiele sind Legion.

„Museumsstreit. Polnische Regierung schürt antideutsche Stimmung“ (Deutschlandfunk, 17. Juni 2016)

„Polen als Kollaborateure, als Täter, polnische Gewalttaten an anderen Nationen – all dies wollen die Nationalisten nicht thematisieren“.

„Danzig. Polen will Kriegsgeschichte umschreiben” (Rheinische Post, 13. Mai 2016)

„In dieses Konzept, das einer Geschichtswaschmaschine ähnelt, in der alle möglichen Flecken auf der eigenen historischen Weste möglichst entfernt werden. (…) Im Zentrum der Debatte steht dabei die Frage der „nationalen Unschuld Polens im Weltkrieg“ (…) Blutgetränkte Hemden werden (…) in Polen derzeit gewaschen. Die Regierung greift zum Fleckenentferner “.

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Polenbild vor Augen.

„Abschied von Europa“ (Süddeutsche Zeitung“, 18.Mai 2016)

„Das erinnert an Museen in Russland und Weißrussland, die der nationalen Ertüchtigung dienen sollen, indem sie Mythen in Szene setzen.“

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Deutsche Nachrichten und Berichte aus „Hitler-Polen“.

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„Strahlendes Heldentum statt europäischen Kontextes“ (FAZ, 23. Mai 2016)

„Einer in europäischen Bezügen verhafteten Schilderung des Zweiten Weltkriegs aus polnischer Perspektive, zieht man in nationaler Selbstgenügsamkeit eine Interpretation vor, die sich auf Heldentum beschränkt, dafür aber auch ohne „dunkle Flecke“ auskommt.“

„Abschied vom Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig?“ (WDR 5, Scala, 20. Mai 2016)

„Der polnische Kulturminister hat verlautbaren lassen, er wolle kein Museum des Zweiten Weltkrieges sondern lieber ein Museum der Verteidigung Polens vor den Deutschen 1939 haben. Mein Kollege Martin Sander ist aus Berlin zugeschaltet. Herr Sander, wie ernst ist denn diese Verlautbarung zu nehmen?“

„Ja, doch schon sehr ernst, Frau Dichter.“

Drückt also hier der deutsche Schuh? „Kollaborateure“, „Täter“, „polnische Gewalttaten“ „blutgetränkte Hemden“, „dunkle Flecke“ und die Lage ist „schon sehr ernst, Frau Dichter“, denn die Polen wollen tatsächlich so etwas Unglaubliches tun, wie ihrer Verteidigung vor den Deutschen 1939 gedenken… Dementsprechend sieht auch der deutsche Wunschentwurf von einem polnischen, „europäischen“ Museum des Zweiten Weltkrieges aus.

Komplizen dringend gesucht

Für Hunderttausende von Polen, die Juden halfen, die im Widerstand waren oder die „nur“ die gnadenlosen deutschen Bestimmungen umgingen („Schwarzhandel“), um nicht zu verhungern, waren Kollaboration, Denunziantentum  bedauerliche, traurige und zugleich lebensgefährliche Erscheinungen. Doch unter den schrecklichen Bedingungen der deutschen Besatzung Polens blieb sie eine Nebenerscheinung.

Als solche wird sie in Polen thematisiert, dargestellt, erforscht. Wer es nicht glaubt, solte sich zumindest einmal polnische Spielfilme ansehen, die die Besatzungszeit und Widerstand zum Thema haben. Seit dem ersten Film, dem 1946 gedrehten „Zakazane piosenki“ („Verbotene Lieder“), gibt es kaum einen, in dem nicht irgendwo die Gestalt des Denunzianten auftaucht, vor dem man sich in Acht nehmen muss, den es zu beseitigen gilt.

Nicht erst seit heute versuchen nicht gerade wenige deutsche Medienleute, Wissenschaftler, manchmal auch Politiker die Polen zu überreden, mitunter geradezu auch zu zwingen, aus der Nebenerscheinung Kollaboration den Dreh- und Angelpunkt der Darstellung  der Besatzungszeit in Polen zu machen. Die fieberhafte Suche nach Komplizen, der Versuch auf diese Weise der schrecklichen deutschen Einsamkeit zu entkommen, in Anbetracht der Ungeheuerlichkeiten die die Vorfahren angerichtet haben, ist nachvollziehbar,  doch akzeptieren kann man ihn nicht.

Zwar hat das von der neuen polnischen Regierung beanstandete Museumskonzept der Ausstellung in Gdańsk mit den o. e. Wunschvorstellungen deutscher Redakteure nicht viel zu tun, doch bezeichnend ist, was sie vor allem in diese Ausstellung hineininterpretieren.

Der Eindruck mag täuschen, doch er drängt sich auf. Oft haben sich dieselben Autoren vehement gegen die Relativierung der Geschichte ausgesprochen, als etwa Erika Steinbach ihr Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin nach dem Motto einrichten wollte; „Wir Deutsche haben vertrieben, dann haben die Polen vertrieben. So ist es eben mit den Vertreibungen.“

Schwebt vielleicht nun denselben Leuten  ein „europäisches“ Museum des Zweiten Weltkrieges vor nach dem Motto: „Wir Deutsche haben Juden umgebracht, die Polen haben Juden umgebracht. So ist es eben mit dem Judenumbringen, einem im Grunde »europäischen Projekt«“?

Jedenfalls kӧnnen  deutsche Rechte anscheinend ebenso wenig wie deutsche Linke ohne „die Polen als Täter“ auskommen.

Und so entpuppt sich „die »europäische Perspektive« als eine, in den blauen Sternebanner eingewickelte, deutsche Keule“, so einer der Internetkommentare zum Thema. „Die Deutschen rücken gerne zusammen, wenn es darum geht anderen auf ihrer Anklagebank Platz zu machen“, so ein anderer.

Was will die neue Regierung vom MZW?

Nachfolgend dokumentieren wir ein Gespräch zum dem Thema mit dem polnischen Kulturminister Prof. Piotr Gliński (Jg. 1954). Er ist von Ausbildung und Beruf Soziologe, Hochschullehrer und war zwischen 2005 und 2011 Präsident der renommierten Vereinigung Polnischer Soziologen (PTS).

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Kulturminister Piotr Gliński.

Wann wird das Museum des Zweiten Weltkrieges (weiter MZW – Anm. RdP) in Gdańsk eröffnet?

Ich hoffe zu dem Zeitpunkt, zu dem es die Leitung der Einrichtung angekündigt hat, also zur Jahreswende 2016/ 2017. Ich möchte auch gleich die Öffentlichkeit beruhigen: niemand möchte dieses Museum abschaffen.

Wird die Entlassung des Museumsdirektors, Prof. Machcewicz die Eröffnung nicht verzögern?

Es sind noch keine Entscheidungen gefallen. Zurzeit beabsichtigen wir zwei Einrichtungen zusammenzuführen: das MZW mit dem Museum der Westerplatte und des Verteidigungskrieges von 1939. Es gibt keinen Grund, weshalb zwei so themenverwandte Museen getrennt voneinander in einer Stadt wirken sollten. Es lohnt sich sie zu vereinigen, umso mehr als die Einrichtung, der Prof. Machcewicz vorsteht ursprünglich Museum der Westerplatte hieβ. Erst drei Monate nach seiner Gründung wurde es in MZW umbenannt.

Durch die Zusammenlegung von zwei Einrichtungen wird eine neue entstehen, die dann einen neuen Direktor bekommt, und Prof. Machcewicz wird abberufen. Was missfällt Ihnen so an der Ausstellung, die seine Mitarbeiter vorbereitet haben?

Ich will hier nicht als Rezensent der Ausstellung auftreten. Um das uns im Januar 2016 vorgelegte Konzept zu beurteilen, habe ich drei Sachverständige berufen. Alle drei Gutachten waren verhalten kritisch. Ich möchte aber das Problem nicht allein auf die Position und Person des Direktors beschränken. Ich sage noch einmal: obwohl wir im europäischen Vergleich zu wenige Museen haben, können wir es uns nicht leisten in einer Stadt zwei getrennte und zugleich dermaβen themenverwandte Einrichtungen zu unterhalten.

Die Gutachten fielen negativ aus, doch Prof. Machcewicz wird seinen Posten allein aus wirtschaftlichen Gründen verlieren?

Die Gutachten berühren ein viel weiträumiger abgestecktes Feld. Wir sehen die Notwendigkeit Donald Tusks Geschichtspolitik zu korrigieren. In der Debatte um das MZW wird dieser Name kaum erwähnt. Doch Donald Tusk ist Urheber dieses Museums. Der jetzige MZW-Direktor Paweł Machcewicz war sechs Jahre lang offizieller Bevollmächtigter des Ministerpräsidenten für dieses Museum und setzte die Geschichtspolitik der vorherigen Regierungsmannschaft um. Doch Regierungen wechseln und mit ihnen wechseln manchmal die Konzepte, das sollte Prof. Machcewicz eigentlich wissen.

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Tusk-Adlatus und MZW-Direktor Paweł Machcewicz (links)

Was gefällt Ihnen nicht an der Geschichtspolitik der vorherigen Regierung?

Das MZW wurde 2008 ins Leben gerufen, mitten in der weltweiten Wirtschaftskrise, als für nichts Geld im Staatshaushalt vorhanden war. Tusk und seine Leute kamen immer wieder mit der Ausrede, wegen der Krise können sie ihre Wahlversprechen nicht einlösen, und plötzlich, gründen sie, in dieser Krise, das MZW? Drei Jahre später, die Krise dauerte an, bewilligten sie 360 Mio. Zloty (ca. 85 Mio. Euro – Anm. RdP) für den Bau, und schoben im letzten Jahr weitere 90 Mio. Zloty (ca. 21 Mio. Euro – Anm. RdP) nach. Zusammen mit den laufenden Kosten ergibt das eine halbe Milliarde Zloty (ca. 118 Mio. Euro – Anm. RdP)!

Sind Sie nicht der Meinung, dass das MZW ein dringendes Vorhaben ist, höchst notwendig aus Sicht der polnischen Staatsräson?

Damals sollte eigentlich, vor allem, das Museums der Polnischen Geschichte in Warschau gebaut werden, das zudem zwei Jahre früher als das MWZ ins Leben gerufen worden war. Wieso hat die vorige Regierung an einem ganz neuen Museum gebaut, während das der Polnischen Geschichte keinen Sitz hatte und bis heute obdachlos ist? Es wurde ein neues Vorhaben in Gdańsk in Angriff genommen, während es in Warschau, so könnte man durchaus meinen, ein vorrangiges Projekt gab. Es wurde ein Museum blockiert, das eine Sichtweise der Geschichte Polens vermitteln sollte, die zur Integration unserer politischen und nationalen Gemeinschaft beitragen könnte.

Welche Korrekturen sind im MZW zu erwarten?

Es geht um die Schwerpunksetzung. Wenn wir uns schon mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen, dann sollte das, symbolisch umschrieben, eher die Sichtweise sein, die von der Westerplatte ausgeht. Eine Sichtweise in der die polnische Anstrengung, die polnische Leistung und die polnischen Opfer zur Geltung kommen, und nicht eine Sichtweise, die als universell, ganzheitlich bezeichnet wird.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Solche ganzheitlichen Museen sind ebenfalls notwendig. Mehr noch, ich finde den Entwurf des Teams von Prof. Machcewicz interessant.

Doch ich bin zugleich der Meinung, dass wir eine halbe Milliarde Zloty polnischer Steuergelder in erster Linie für andere, eindeutig wichtigere Ziele verwenden sollten. In diesem Fall für ein gutes und notwendiges Museum, das unsere Geschichte erzählt.

Warum war gerade der Zweite Weltkrieg für die Vorgängerregierung die wichtigste Herausforderung der Geschichtspolitik?

Ich habe diese Frage oft genug öffentlich gestellt. Sie war und ist an Donald Tusk gerichtet. Ich habe bisher keine Antwort bekommen. Es gab Andeutungen, dass es eine Antwort auf das Zentrum gegen Vertreibungen von Erika Steinbach sei. Doch, ich darf erinnern, es sollte ursprünglich ein Westerplatte-Museum sein. Es fällt mir zudem schwer zu glauben, dass die Erwiderung auf Frau Steinbachs Einrichtung eine verallgemeinernde, ganzheitliche Schilderung des Zweiten Weltkrieges sein kann, die zudem eine halbe Milliarde Zloty kostet.

Prof. Machcewicz fasst Ihre Vorwürfe so zusammen: das MZW setze die deutsche, nicht die polnische Geschichtspolitik um.

Ich habe einen solchen Vorwurf nie erhoben. Ich umschreibe sein Konzept als universell, verallgemeinernd. Wenn man den Zweiten Weltkrieg so darstellt, dass er furchtbar gewesen sei, dass alle für ihn die Verantwortung tragen, weil jede Seite irgendwo Dreck am Stecken habe, dann ist auch eine solche Beleuchtung beachtenswert. Doch zweifelsohne kann sie eine Relativierung der Verbrechen und eine Verharmlosung der Opfer nach sich ziehen, was den einen mehr, den anderen weniger zupass kommt.

Mir ist es lieber zu zeigen, dass man sogar unter den schrecklichsten Bedingungen sehr tapfere Entscheidungen treffen kann. Diese Entscheidungen darf und sollte man beurteilen. Dank einer solchen Herangehensweise bilden sich das Wertesystem und die Identität der nationalen Gemeinschaft heraus. Eine Gemeinschaft, die so etwas durchdacht und bewertet hat ist reifer, funktioniert besser und ist besser integriert, als eine Gemeinschaft die an all dem leidenschaftslos vorbeigeht. Deswegen sind einige Museen, Denkmäler, Kunstwerke notwendig, um unsere ganz und gar auβergewöhnlichen und spezifischen Erfahrungen in diesem Krieg zu verdeutlichen.

Es geht darum, dass in einer „universellen“, „europäischen“, „globalen“ Betrachtung diese unsere polnische Spezifik nicht untergehen darf. Es ist die Pflicht des polnischen Staates diese Besonderheit der polnischen Erfahrung der Auβenwelt zu vermitteln.

Wohin wollen Sie also die Schwerpunkte in der Geschichtspolitik verschieben?

Wir müssen eine Wahl treffen hinsichtlich der Werte. Es gibt Staaten, für die die Geschichte wichtig ist, weil sie sie noch nicht verarbeitet haben, weil sich ihre Identität immer noch formt. Es gibt aber auch solche die man als posthistorisch bezeichnen kann. Und es gibt Staaten die sich lieber posthistorisch geben, weil die Geschichte für sie eine zu schwere Bürde ist.

War die Geschichtspolitik der Vorgängerregierung posthistorisch?

In groβem Maβe, ja. Deswegen unterscheiden wir uns so sehr von unseren Vorgängern. Wir sind der Meinung, dass wir uns den Posthistorismus nicht leisten können. Für uns ist die universelle Sichtweise auf die Geschichte weniger wichtig. Wir wollen nicht, dass man die Geschichte verallgemeinert, relativiert und im Endeffekt banalisiert.

Die Geschichte ist Lehrmeisterin des Lebens. Sie zeigt die Entscheidungen auf, die getroffen wurden und ihre Folgen. Wir wollen darlegen, dass man das Gute vom Bösen klar unterscheiden kann, und nicht, dass es in der Geschichte nur unterschiedliche Grautöne gibt.

Für mein politisches Milieu hat die Unterscheidung zwischen Gut und Böse eine Schlüsselbedeutung. Das ist nicht immer einfach. Es gibt eine Ethik der Überzeugungen und eine Ethik der Verantwortung. Wir stellen den Heroismus der Polen, die für höhere Ideen gekämpft haben nicht auf eine Ebene mit den Fähigkeiten, derer es bedurfte um den Krieg lediglich zu überleben.

Prof. Machcewicz verteidigt sich, in dem er sagt, dass man unsere Auβergewöhnlichkeit nur zeigen kann, wenn man sie dem gegenüberstellt, wie Krieg und Widerstand in anderen Ländern ausgesehen haben.

In einem polnischen Museum des Zweiten Weltkrieges sollten wir unsere Spezifik zeigen, so wie die Briten, Israelis oder Belgier das in ihren Museen tun. Gewiss, diese Besonderheit sollte man vor dem Hintergrund der Erfahrungen anderer Völker veranschaulichen, dabei jedoch an die Proportionen denken. Daran z. B., dass der Warschauer Aufstand, der 63 Tage lang dauerte seinesgleichen sucht. Die Aufstände in Paris und Prag waren dagegen nur kurze Kriegsepisoden.

Der ausländische Besucher wird alle diese Aufstände vor Augen haben: die Zahl der Opfer, wieviel Tage sie gedauert haben, die deutschen Verbrechen in ihrem Verlauf usw. Er kann daraus seine Schlüsse ziehen.

Die Welt kennt unsere Geschichte und ihre Besonderheiten nicht. Sie weiβ nicht, dass nur im besetzten Polen auf die Hilfe für, und das Verstecken von Juden die Todesstrafe stand, und zwar für die ganze Familie, Kinder wurden dabei nicht ausgenommen. Sie weiβ nichts über die Wohlynien-Massaker, über Piaśnica/Piaschnitz, die Westerplatte u. v. m. Das wollen wir erklären und zeigen.

Ja, es sollte einen Vergleich geben, doch die polnische Erfahrung muss in einem polnischen Museum vor diesem Hintergrund hervorgehoben werden. Wenn sie mit diesem Hintergrund verschmilzt, dann geht etwas sehr wichtiges verloren in Bezug auf unsere Identität und ebenso wird die Chance vertan, anderen etwas über uns zu vermitteln.

In wieweit sollen Museen, mit deren Hilfe wir die polnische Geschichtspolitik verwirklichen wollen, uns, die Polen, ansprechen, und in wieweit sollen sie in ihrer Darstellungsweise in die europäische- und Weltgeschichte eintauchen, damit unsere Sichtweise der Dinge auch im Westen zur Geltung kommt.

Das ist, aus meiner Sicht, eine falsche Alternative. Die Ausstellungen müssen sich in gleicher Weise an Polen und an alle anderen Besucher wenden. Soweit ich es verstanden habe, fragen Sie danach, weil behauptet wird, dass eine universalistische Ausstellung für Ausländer, für z. B. Deutsche, die oft nach Gdańsk kommen, verständlicher sein wird.

Wir müssen unseren Standpunkt vertreten und uns nicht in den Posthistorismus einreihen, nur weil er in den westlichen Ländern vorherrscht. Wir dürfen aus diesem Grund nicht kapitulieren und z. B. nicht an die Konferenz von Jalta erinnern, die im Westen kaum jemand erwähnt und wo folglich kaum jemand um sie weiβ. Ohne die eigene Geschichte zu überdenken, können wir unsere Zukunft nicht bauen.

Ich unterstreiche noch einmal: ich möchte die jetzige Ausstellung weder abbauen noch vernichten. Das Team von Prof. Machcewicz hatte viele gute Ideen. Doch ich erinnere mich auch daran, dass das erste, 2008 vorgestellte Konzept zugleich äußerst ideologisch und vom polnischen Standpunkt aus gesehen sehr farblos war. Ich vertraue darauf, dass aufgrund von Nachbesserungen die Ausstellung uns hilft unsere Geschichte besser darzustellen.

Sollen wir das ganze Martyrium zeigen, wie schrecklich unsere Geschichte gewesen ist, wie wir vom bösen Westen betrogen wurden?

Ich rede nicht vom Martyrium, von der Leidensgeschichte des polnischen Volkes! Uns wird eingeredet, wir wollen nur das Leiden zeigen, Polen als Christus der Nationen, den Heldenmut usw., während wir von schwierigen Entscheidungen reden wollen, vor denen die Polen gestanden haben, vom Unterscheiden zwischen Gut und Böse, von der polnischen Spezifik. Das alles kann man in entsprechenden Proportionen verständlich machen. Wir nehmen eine Korrektur vor. Ohne das MZW aufzugeben vereinigen wir es mit dem Westerplatte-Museum, wollen die Ausstellung weiterentwickeln und verbessern. (…)

Bisher sieht es so aus, dass jede Regierungsmannschaft ihre eigene Geschichtspolitik fährt, Lehrbücher und Museen verändert. Vielleicht sollten wir gemeinsam die Prioritäten setzten?

Sie haben Recht, aber ihre Frage sollten Sie an die Vorgängerregierung und unsere politischen Konkurrenten richten. Warum gibt es bis heute in Warschau kein Museum der Polnischen Geschichte, kein Denkmal für Rittmeister Pilecki, keins für die Opfer der Smolensk-Katastrophe?

Was wollen Sie und ihre politische Umgebung tun, um gemeinsame Standards in der Geschichtspolitik zu erarbeiten?

Wir laden andere ein, sich unseren Standards anzuschlieβen. Allein anhand der Änderungen im Ausstellungskonzept des MZW sehe ich, dass diejenigen, die sich der Geschichtspolitik der Vorgängerregierung verschrieben haben, ihre Haltung ändern. Prof. Machcewicz sagt heute, dass man zu dem Ausstellungskonzept von 2008 nicht mehr zurückkehren sollte. Gut, dass er es verwirft. Die polnische Staatsräson erfordert, dass polnische Anliegen und Interessen deutlich und entschieden dargelegt werden, auch die polnische Vergangenheit.

Das alles soll jedoch geschehen, ohne den negativen Seiten der Geschichte auszuweichen. Nicht alle Polen haben sich immer vorbildlich verhalten und auch unsere Gemeinschaft war nicht immer nur heilig. Niemand kann und will das abstreiten. Dies jedoch zum Ausgangs- und Mittelpunkt der Betrachtung der polnischen Geschichte im Zweiten Weltkrieg zu machen, wie es nicht erst seit heute z. B. in Deutschland immer wieder angemahnt wird, ist eine grobe Ungehörigkeit.

Das Gespräch, das wir, mit freundlicher Genehmigung, leicht gekürzt wiedergeben, erschien in der Tageszeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) vom 6. August 2016.

RdP