18.03.2022. Russen-Boykott. Vernunft tut Not!

Auch in Polen nehmen Kultureinrichtungen und Veranstalter russische Musik und Theaterstücke aus ihrem Programm, und sagen Auftritte russischer Künstler ab. Die antirussische Aufregung sorgt für Diskussionsstoff.

Drei Argumente sprechen für den Boykott.

Erstens: Der von Putin ausgelöste blutige Krieg ist ein unpassender Zeitpunkt, um Russlands Größe zu bewundern, auch wenn diese Größe im kulturellen Bereich unbestreitbar ist.

Zweitens: Auch Kultureinrichtungen wollen ihre Haltung zum Ausdruck bringen, und es ist ganz natürlich, dass sie auf diese Weise protestieren.

Drittens: Wir mögen Schostakowitsch weiterhin und halten Tschaikowsky keineswegs für Putin-freundlich, aber dass, was Putin tut, schließt Russland und die Russen aus der internationalen kulturellen Gemeinschaft aus.

So weit, so gut.

Man kann verstehen, dass Filmfestspiele keine von der russischen Regierung finanzierten Produktionen zeigen wollen, aber was soll man mit Kirill Serebrennikows Film machen? Ein herausragender, vom Putin-Regime verfolgter Regisseur, dessen „Petrov’s Flu“ vorerst nicht in die Kinos kommt. Was tun mit Produktionen, deren Urheber gegen die Behörden und das System vorgehen? Einige polnische Festivalveranstalter (New Horizons und Millennium Docs Against Gravity) behielten ihren gesunden Menschenverstand, andere (z. B. das Warschauer Filmfestival oder Cinema on the Border) fackelten nicht lange und bedankten sich bei den Russen.

Man kann verstehen, dass das Alte Theater in Kraków die Zusammenarbeit mit Konstantin Bogomolow, der mehr oder weniger offen Putin unterstützt, aufgegeben hat, aber warum wurde das mit seiner Nationalität begründet? Und woher kam die Idee, die Premiere von „Boris Godunow“ in der Warschauer Oper abzusagen? Und welchen Sinn macht es, die Werke aller russischen Komponisten im Kulturprogramm des Polnischen Rundfunks zu streichen?

Sollten nicht, wennschon, dennschon, Buchhändler alle russischen Schriftsteller aus den Regalen nehmen und Bibliotheken ebendiese mit einer Ausleihsperre belegen? Die Romane von Dostojewski und Bulgakow oder die Theaterstücke von Gogol und Tschechow stehen Russland und den Russen kritisch gegenüber, wie der Regisseur Iwan Wyrypajew kürzlich bei einer Aufführung von „Onkel Wanja“ im Warschauer Teatr Polski zu Recht betonte. Der Theaterdirektor sah sich jedoch offensichtlich gezwungen, seine Entscheidung, Tschechow zu spielen, nach der Aufführung zu erklären.

Dabei würde es wahrlich genügen den Saal der Warschauer Oper bei der „Boris Godunow“-Premiere dezent mit einigen ukrainischen Akzenten zu schmücken, anstatt sie abzusagen.

Und noch eins. Wer einen Boykott beginnt, muss auch eine Vorstellung davon haben, wann er ihn beenden will. Wenn der letzte russische Soldat die Ukraine verlassen hat? Mit oder ohne Krim? Mit oder ohne Donbass? Und wenn das noch in ein paar Jahrzehnten nicht passiert ist? Sollen wir uns, um Putin zu ärgern, so lange die Ohren zuhalten, Rachmaninow und Rimski-Korsakow verschmähen, die an diesem Krieg ebenso wenig schuld sind wie Dschingis Khan?




16.03.2022. Mut muss sein

Noch wissen wir nicht, was der Aufbruch nach Kiew bringen wird. Aber eines wissen wir bereits: Polen, Tschechien und Slowenien werden heute von mutigen Männern regiert. Mut ist der Schlüssel zu allem.

Die Kiew-Expedition des Premierministers Mateusz Morawiecki, seines Stellvertreters in der Regierung Jarosław Kaczyński, der Regierungschefs Tschechiens Petr Fiala und Sloweniens Janez Janša ist kein beispielloses Ereignis. Es gab einen Präzedenzfall: die Georgien-Expedition des polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczyński, der später, in der Flugzeugkatastrophe von Smolensk im April 2010, tödlich verunglückte.

Lech Kaczyński bat im August 2008 die Staatschefs der drei baltischen Staaten und der Ukraine mit ihm nach Tiflis zu fliegen, in die georgische Hauptstadt, auf die gerade russische Panzerkolonnen vorrückten. Er hielt dort, vor Zehntausenden von Menschen, eine denkwürdige Rede über den Willen Russlands zu imperialer Ausdehnung. „Heute Georgien, morgen die Ukraine, übermorgen die baltischen Staaten, und dann ist vielleicht auch mein Land, Polen an der Reihe.“ Das mutet 14 Jahre später fast prophetisch an.

Damals kehrten die russischen Panzer um. Heute stärken die mutigen Vier der Ukraine den Rücken, indem sie vor Ort der Welt mitteilen, dass dort ein Krieg für die europäischen Werte geführt wird. Werte mit denen sich der Westen jeden Tag so gerne brüstet. Aber wenn Bomben fallen, würden viele dort am liebsten abwarten, bis der Starke den Schwachen befriedet hat, und man getrost zum business as usual zurückkehren kann.

Der deutsche und der österreichische Bundeskanzler, der französische Staatspräsident oder der Ministerpräsident Italiens stiegen in den Zug nach Kiew nicht ein. Es sind Chefpolitiker von Ländern, die durch ihr Vorgehen Russlands Energiemacht vergrößert und es dadurch letztendlich zu Eroberungen ermutigt haben. Mit dem Bau der beiden Ostsee-Unterwasserpipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 hat sich Deutschland völlig unnötig von Moskau energiepolitisch abhängig gemacht, und gleichzeitig die Ukraine, durch die bisher Erdgas aus Russland nach Westeuropa floss, bewusst einer wichtigen Geldquelle und ihrer geopolitischen Bedeutung beraubt.

Von den vier Mutigen, die nach Kiew aufgebrochen sind, kommen zwei aus Polen. Ohne Mut hat ein mittelgroßes Land, das zwischen zwei Großmächten liegt, keine Chance. Wenn der Mut fehlt, wird Ostmitteleuropa, wieder einmal, zwischen den Mühlsteinen mächtiger Fremdinteressen zerrieben. Ohne Mut, kann die Politik auf Dauer nicht erfolgreich sein. Mut allein, garantiert natürlich noch nichts, aber wenn er fehlt, ist die Katastrophe vorprogrammiert.

Kaczyński, Morawiecki, Fiala und Janša zeigten der Ukraine in ihren schwersten Stunden, dass sie nicht allein ist. Sie zeigten Haltung und sie machten vor, wie man europäische Werte in die Realität umsetzt.

RdP




Mit Putin telefonieren

Machen wir uns keine Illusionen: Viele in Europa wären über eine rasche Niederlage der Ukraine erleichtert. Anstatt zu helfen, telefonieren sie mit dem Aggressor

Der Elysée-Palast teilte am Samstag, dem 12. März mit, dass der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz erneut mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Sachen Krieg in der Ukraine telefoniert haben. „Die drei Staatschefs haben ein Telefongespräch geführt, in dem Frankreich und Deutschland von Russland die sofortige Einstellung des Krieges forderten“, so das Kommuniqué.

Nach Angaben des Elysée-Palastes hat Macron seit seinem letzten Treffen im Kreml am 7. Februar 2022 bereits neun Telefongespräche mit Putin geführt, darunter am Donnerstag, dem 3. März. Damals hieß es, dass „Macron und Scholz darauf bestanden, dass jede Lösung der Krise durch Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland erfolgen solle“. Macron, Scholz und Putin vereinbarten auch, in den kommenden Tagen weiterhin engen Kontakt zu halten.

Auf der einen Seite haben wir das Ausbremsen wirklich harter Sanktionen (Energieträgerembargo), die Russland in kürzester Zeit in die Knie zwingen könnten (auch wenn sie mit wirtschaftlichen Kosten für Europa verbunden sind), auf der anderen Seite den zwanghaften Hang zum Telefonieren mit dem Aggressor. Alle zwei oder drei Tage ein Anruf – immer mit dem gleichen Ergebnis. Der Nutzen dieser Telefonate für das Opfer, die Ukraine ist gleich Null, während gleichzeitig der Eindruck entsteht, dass Berlin und Paris psychologisch gar nicht in der Lage sind, einen harten, lang anhaltenden Konflikt mit Russland zu ertragen.

Man fragt sich wo wäre Polen, wenn es die Vereinigten Staaten nicht gäbe? Inwieweit könnte die Europäische Union, die ja von den beiden Telefon-Gesprächspartnern Putins dominiert wird, den Staaten im Osten, einschließlich Polen, eine robuste Sicherheit garantieren? Man wird den Eindruck nicht los, dass sehr viele in Westeuropa nach einer raschen Niederlage der Ukraine und dem Triumph Moskaus erleichtert aufatmen würden. Liebend gern würden sie danach erneut so etwas wie die Minsker Gespräche organisieren, bei denen die russischen Eroberungen besiegelt und die Ukraine politisch und militärisch mundtot gemacht würde, um sich reinen Gewissens wieder auf Putin einzulassen.

Aber man muss sich auch fragen: Wo stünden wir, wenn Macron und Scholz zumindest einen Teil der Energie, die sie für das antichambrieren im Kreml aufwenden, darauf verwendet hätten, wirksame Wege zur Bestrafung Russlands zu finden? Oder die Ukraine mit der den Waffen zu versorgen, die es ihr ermöglichen würden, der russischen Armee noch größere Verluste zuzufügen?

Sanktionen, Waffen, Hilfe für Flüchtlinge, Unterstützung für Staaten, die Ukrainer aufnehmen. So sollte die solidarische Antwort der freien Welt auf die russische Aggression aussehen. Alles andere ist in diesem Stadium des Krieges ein beschämendes Ausweichen.

RdP