9.07.2022. Es tut Polen gut, den Euro nicht zu haben

Die meisten Polen haben sich weder durch den Ukraine-Krieg noch durch die hohe Inflation von ihrer Überzeugung abbringen lassen, dass der Euro nicht gut für sie und ihr Land wäre. Das geht auch aus den zwei neuesten, repräsentativen Meinungsumfragen von Ende Juni und Anfang Juli 2022 hervor. Etwa 65 Prozent der Befragten wollen die nationale Währung, den Zloty, beibehalten. Nur gut 25 Prozent sind dagegen, der Rest hat keine Meinung dazu.

Mit dieser Haltung erbringen die meisten Polen den Beweis dafür, dass sie vorerst dem gesunden Menschenverstand nicht abgeschworen haben. Und das, trotz einer ebenso naiven wie massiven Propaganda der EU-Enthusiasten, die wollen, dass das Land so schnell wie möglich und um jeden Preis der Eurozone beitritt.

In ihrer ablehnenden Haltung bestärkt wird diese Mehrheit durch ihre Beobachtungen diesseits und jenseits der Grenzen zu den drei Nachbarländern, die den Euro haben: zu Deutschland, zur Slowakei und zu Litauen. Vor allem die beiden letztgenannten Staaten, mit denen sich Polen besser vergleichen lässt als mit Deutschland, gelten als warnende Beispiele.

Wochenende für Wochenende packen Abertausende von Slowaken und Litauern in den grenznahen Orten ihre Autos bis unters Dach voll mit polnischen Lebensmitteln, Baustoffen und Haushaltsgeräten, weil all das bei ihnen durch die Bank teurer ist. Inwieweit ist tatsächlich der Euro schuld daran? Fest steht: „Als sie noch ihre eigene Währung hatten, sind wir zu ihnen einkaufen gefahren“.

Die Katastrophe des Euro-Staates Griechenland stets vor Augen, schauen die finanzpolitisch besser bewanderten Polen heute auf das Vereinigte Königreich. Dank des Pfunds gelingt es den Briten, die wirtschaftlichen Verluste infolge des Brexits erheblich abzufedern. Da sind auch noch Schweden und Dänemark. Beiden geht es blendend ohne den Euro, beide haben die große Finanzkrise von vor mehr als einem Jahrzehnt trockenen Fußes überwunden. Ebenso das benachbarte Tschechien macht sich ganz gut ohne den Euro.

Da Polen weiterhin über eine eigene Landeswährung verfügt, hat es auch eine Zentralbank, die ihren Namen verdient, die Polnische Nationalbank NBP mit ihrem wichtigsten Gremium, dem Rat für Geldpolitik. Damit verfügt Warschau über Instrumente, mit denen man, bei Bedarf, den Zloty stärken oder schwächen und die Höhe der Inflation selbstverantwortlich beeinflussen kann. Die Regulierung der Geldmenge und der Leitzinsen sind beileibe keine Allheilmittel, aber generell und umso mehr in einer geldpolitisch so turbulenten Zeit wie der heutigen sind sie auf jeden Fall sehr hilfreich.

Länder, die der Eurozone beigetreten sind, haben sich dieser eigenständigen Instrumente entledigt. Und was nun? Nun müssen sie machtlos, geduldig und hinnehmend auf die Entscheidungen der weit entfernten, allmächtigen Europäischen Zentralbank warten.

In den europaweiten geldpolitischen Debatten ist viel die Rede vom Missmut deutscher Sparer und dem Risiko des Zusammenbruchs der maroden italienischen Staatsfinanzen. Der Renditeabstand zwischen deutschen Staatsanleihen und denen des hoch verschuldeten Italiens hatte sich zuletzt, allein infolge der Ankündigung einer sehr bescheidenen Straffung der lockeren EZB-Geldpolitik, ausgeweitet. Es kam zu einem weiteren Zinsanstieg für 10-jährige italienische Staatsanleihen.

Aber wer macht sich bei der EZB groß Gedanken über die konkreten geldpolitischen Belange Estlands, Litauens, Lettlands, der Slowakei, Sloweniens oder Kroatiens, das am 1. Januar 2023 den Euro einführen wird?

Von den Logenplätzen außerhalb des Euroraums, in Warschau, Prag, Kopenhagen, Stockholm, London, wird man mit Interesse beobachten, wie die EZB, die seit 2016 den Zinssatz für ihre Hauptrefinanzierungsgeschäfte bei 0,00 Prozent hält, die Quadratur des Kreises zu lösen gedenkt. Die Inflation in den Ländern der Eurozone schwankt extrem. Sie reichte von 20,1 Prozent in Estland, 18,5 Prozent in Litauen, 16,8 Prozent in Lettland, über 8,7 Prozent in Deutschland, 8,5 Prozent in Spanien, 8,1 Prozent in Portugal bis, am anderen Ende der Skala, hin zu 5,8 Prozent in Frankreich und auf Malta. Im Eurozonen-Durchschnitt lag sie im Mai 2022 bei 8,1 Prozent (alle Angaben laut Eurostat).

Was also wird die EZB in den kommenden Monaten tun? Wird sie die Geldpolitik stark straffen, einschließlich einer drastischen Anhebung der Leitzinsen, um das Leiden Estlands, Litauens und Lettlands, die vom Albtraum der Hochinflation geplagt werden, zu lindern? Oder wird sie die Geldpolitik nur ganz geringfügig verschärfen, um Italien vor dem Staatsbankrott zu retten und das Wachstum des bisher weit weniger unter der Inflation leidenden Frankreichs und Deutschlands zu unterstützen?

Man spricht in solchen Fällen von einer teuflischen Alternative, aber teuflisch ist sie in Wahrheit nur für die baltischen Staaten, denn die EZB wird sich ganz gewiss nicht nach deren Interessen richten.

Es ist also auf jeden Fall besser, es erst gar nicht darauf ankommen zu lassen und sich nicht vergewissern zu wollen, ob sich die EZB um polnische Nöte scheren würde. Daraus resultiert die Devise: Pole, bleib bei deinem Zloty.

RdP




3.07.2022. Botschafter Melnyk ist zu weit gegangen

In einer Zeit, in der Russland in seinem Land schlimmste Kriegsverbrechen begeht, relativiert der weltweit bekannteste Botschafter der Ukraine die entsetzlichen Verbrechen der ukrainischen Nationalisten unter Stepan Bandera. Trotz der raschen Reaktion von Politikern aus Warschau und Kiew werden die Äußerungen von Andrij Melnyk länger im Gedächtnis bleiben und das polnisch-ukrainische Vertrauen untergraben. Putin darf sich freuen.

Andrij Melnyk hatte sich bisher auf die Kritik an Deutschland spezialisiert, wo er seit vielen Jahren Botschafter ist. Er ist eine Berühmtheit, die die deutschen Fernseh- und Rundfunkstudios kaum noch verlässt. Seine wahrlich undiplomatischen Kommentare sollten Politik und Öffentlichkeit in der Phase der deutschen Sowohl-als-auch Zeiten-Halbwende wachrütteln, beschämen, zum Umdenken und entschlossenen Handeln bewegen.

Bei der Kritik an Melnyk trafen sich die Entspannungsromantiker (War doch nicht alles schlecht), die Patrioten (Wie kann man es wagen, über unseren Bundespräsidenten oder Bundeskanzler die Wahrheit zu sagen), die Angsthasen (Aber wenn der Putin dann böse mit uns ist…), die Geizhälse (Auf etwas Wohlstand verzichten, niemals…), die Chauvinisten (Der Melnyk soll still sein, der vertritt ja ein korruptes Lan…), die Altlinken (Egal, was kommt, wir stehen zum Land der Oktoberrevolution), die Wirtschaftsfreunde (Embargos sind schlecht fürs Geschäft)…. In Anbetracht solch einer Gesellschaft kann man durchaus sagen, „Viel Feind, viel Ehr.“

Dieses Mal jedoch, verteidigte Melnyk in einem Interview eifrig Stepan Bandera. Für ihn ist der von der Ukrainischen Aufständischen Armee an etwa hunderttausend Polen zwischen 1943 und 1945 begangene bestialische Völkermord eine verständliche, wenn nicht gar legitime, blindwütige Vergeltung für die Diskriminierung von Ukrainern in Polen vor dem Zweiten Weltkrieg und ansonsten nichts Besonderes. Die Polen nutzen das Thema politisch aus und Moskau verbreitet bis heute falsche Behauptungen über die Ermordung von vielen Tausend Juden durch Banderas Mordbanden, so Melnyk.

Nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine wurden die schwierigen historischen Fragen auf polnischer Seite in Bezug auf die Ukraine mit Erfolg zum Schweigen gebracht. Sie sollten in solch harten Zeiten die Beziehungen zu dem sich kämpfend verteidigenden Land nicht belasten. Das funktionierte, fiel aber vielen Polen nicht leicht.

Hierbei geht es darum, dass Massenmörder und die geistigen Urheber dieser Taten wie Bandera, Dmytro Kljatschkiwskyj, Roman Schuchewytsch, Mykola Lebed und Dutzende andere, in der Westukraine mit Denkmälern, Gedenktafeln, in Umzügen und Publikationen zu Helden stilisiert werden. Gleichzeitig verweigert die Ukraine bis heute Polen, die sterblichen Überreste der in Massengräbern verscharrten polnischen Zivilisten, die zumeist mit Äxten, Messern, Mistgabeln und Holzknüppeln umgebracht wurden, zu bergen und sie menschenwürdig zu bestatten.

Ihre Häuser, Gärten, Kirchen, Friedhöfe und alle anderen Zeichen ihrer jahrhundertelangen Anwesenheit in Wolhynien haben Banderas Helden dem Erdboden gleichgemacht und diese Erde in vielen Dutzenden von Dörfern umgepflügt. Sie haben bei der groß angelegten ethnischen Säuberung, der die deutschen Besatzer tatenlos zusahen, ganze Arbeit geleistet. Wo einst polnisches, aber auch jüdisches und tschechisches (auch einige Tausend Tschechen waren in Wolhynien ansässig) Leben war, pfeift der Wind über die Brachen oder wogt der begehrte ukrainische Weizen,

Deshalb lösten die Worte eines bekannten Diplomaten einen solchen Schock und Empörung in Polen aus. Die polnische Diplomatie war sich der Folgen für das Bündnis zwischen Warschau und Kiew bewusst, das während des Krieges mühsam und aufopferungsvoll aufgebaut worden war, und eilte zu Hilfe. Außenminister Zbigniew Rau und Minister Jakub Kumoch aus dem Präsidialamt beruhigten die Situation auf Twitter. Das ukrainische Außenministerium distanzierte sich von Melnyk und griff schnell ein. Die Äußerungen des Botschafters seien dessen private Meinung, die nicht mit der Position des Außenministeriums übereinstimme.

Es ist merkwürdig, dass das die private Meinung eines Botschafters ist. Sie passt zu einem nationalistischen Kolumnisten oder rechtsradikalen Aktivisten, nicht jedoch zu einem Diplomaten. Melnyks Worte lassen sich nicht so einfach ausradieren. Er hat Polen, dem treuesten Verbündeten der Ukraine in der Not, schwer zugesetzt und seinem Land in einer Zeit geschadet, in der es an der Front Niederlagen einstecken muss und vom müden Westen zunehmend unter Druck gesetzt wird, den Krieg zu Putins Konditionen zu beenden.

Vor fünf Monaten sorgten die Worte des deutschen Marinekommandeurs Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach für große Empörung. Zu einer Zeit, als Russland Zehntausende von Truppen an die Grenze zur Ukraine schickte, äußerte sich Schönbach bei einem Treffen in Indien über Putin, der Respekt verdiene, und über die Krim, die nie wieder unter die Kontrolle Kiews zurückkehren werde. Es handelte sich dabei um die private Meinung eines ranghohen Militärs, auch wenn einige vermuteten, dass er eine weit verbreitete deutsche Gesinnung offenbart hatte. Kurz danach wurde Schönbach abberufen.

Botschafter Melnyk kritisierte Schönbach besonders heftig und sprach von deutscher Arroganz und Größenwahn. Er begrüßte die Absetzung des deutschen Marinebefehlshabers, war aber der Ansicht, dass das keine ausreichende Reaktion Berlins sei: Es reiche, so Melnyk, nicht aus, um das Vertrauen wiederherzustellen. Wie wahr.

RdP




29.06.2022. Politik unterhalb der Gürtellinie. Gedanken am Rande der Warschauer Schwulenparade

Es sollten 80.000 kommen, am Ende waren es, so die Schätzungen der Polizei, etwa 15.000. Die zwanzigste alljährliche Gleichstellungsparade sexueller Minderheiten zog am Samstag, dem 25. Juni durch das, hitzebedingt, fast menschenleere Stadtzentrum von Warschau. Es gab keine Zwischenfälle, dafür, wie immer, einige Obszönitäten und, zum ersten Mal, viele ukrainische Homoaktivisten, die ihre Meinung laut kundtaten: Die Toleranz in Polen sei viel weiter fortgeschritten als in ihrer Heimat.

Mit von der Partie waren Politiker aus dem linksliberalen und vor allem dem linken Lager. Polens Linke ist zersplittert, aber in einigen Punkten zeigt sie Einigkeit. Fast ausschließlich angesiedelt in der dünnen Schicht großstädtischer Öko-, Urban-Styler- und gut situierter, dem westlichen Zeitgeist nacheifernder liberaler Bildungseliten-Milieus, konzentriert sich linke Politik beinahe ausnahmslos auf die Forderungen sexueller Minderheiten und Themen wie die weitestmögliche Freigabe von Abtreibungen sowie die Aufnahme von Migranten aus dem Nahen und Mittleren Osten. Die wichtigen Probleme der Sozialpolitik überlässt sie der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit, die diese mit Geschick anpackt und sich daher gute Chancen ausmalen kann, im Herbst 2023 die Parlamentswahlen zum dritten Mal in Folge zu gewinnen.

Doch die polnische Linke geht noch weiter. Regenbogenfahnen schwingend marschierten ihre Politiker auch bei der diesjährigen Warschauer Homoparade begeistert Hand in Hand mit Vertretern von Konzernen. Da waren die Repräsentanten großer Banken, darunter derjenigen, die für die Krise im Jahr 2008 verantwortlich waren: Goldman Sachs und J.P. Morgan. Auch Coca-Cola, Unilever und Microsoft waren mit von der Partie. Man war geradezu überrascht, dass Amazon nicht dabei war, denn das Unternehmen ist für seine hervorragende Behandlung aller Mitarbeiter, unabhängig von ihren sexuellen Veranlagungen, bekannt. Das sollte natürlich nur ein Scherz sein…

Wie auch immer, die Großkonzerne dieser Welt haben wieder einmal vorgegeben, die Unterdrückten zu sein, und linke Politiker haben diese Chuzpe bezeugt.

Wenn sich jemand fragt, warum die polnische Linke seit geraumer Zeit eine politische Niederlage nach der anderen einsteckt, so hat er die Antwort: Eine Politik, die sich fast ausschließlich unterhalb der Gürtellinie bewegt, greift viel zu kurz.

Es gibt in der Tat eine ganze Reihe von Problemen, die von einer politischen Kraft, die sich für die Rechte der Ausgegrenzten einsetzt, angegangen werden könnten. Was ist mit den Gewerkschaften in den Konzernen, die von ihren polnischen Arbeitnehmern erwarten, dass sie sich mit LGBTQIA-Milieus identifizieren? Wie könnte man das Rentensystem reformieren? Wie kann man Bedürftige schützen? Wie schafft man Wohnraum für  Geringverdiener?

Das sind die Themen, mit denen sich die Linke im Laufe ihrer Geschichte beschäftigt hat. Heute tun das die regierenden Nationalkonservativen und werden deswegen als Populisten verschrien.

Die Weltkonzerne verfahren in diesem Fall nach der Methode „Haltet-den-Dieb“. Sie selbst haben viel in Sachen Arbeitnehmerrechte im Westen und Ausbeutung billiger Arbeitskräfte in ärmeren Ländern auf dem Gewissen. Manche von ihnen unterlaufen die Sanktionen gegen Russland. Andere wiederum, wie BNP Paribas oder Google, stehen in engsten Geschäftsbeziehungen mit Staaten, wie dem Iran, dem Sudan oder Saudi-Arabien, wo die Homosexualität mit Gefängnis oder gar mit der Todesstrafe geahndet wird. Doch bei der Homoparade achtet niemand darauf, denn der Feind sind diejenigen, denen vorgeworfen wird, die Rechte von Minderheiten einzuschränken. In diesem Fall ist es angeblich die jetzige polnische Regierung.

Es scheint auch für die Schwulenaktivisten keine Rolle zu spielen, was ein Sponsoren-Unternehmen tut. Entscheidend ist, dass seine Chefs, und auf deren „Empfehlungen“ hin auch die Mitarbeiter, Regenbogenfahnen schwingen und die richtigen, politisch korrekten Ansichten vertreten.

RdP




26.06.2022. Die Freiheit zu töten ist keine Freiheit

Am 23. Juni schmetterte der Sejm den Gesetzentwurf zur Einführung faktisch uneingeschränkter Abtreibungen in Polen mit einer überwältigenden Mehrheit ab. Den Vorschlag ausgearbeitet hatte die Bürgerinitiative „Legale Abtreibung ohne Kompromisse“. Mit 201.000 Unterschriften versehen, wurde er im Parlament eingereicht und kam auf die Tagesordnung.

Die polnische Verfassung sieht vor, dass Gesetzentwürfe von Bürgerinitiativen, die innerhalb von maximal drei Monaten von mindestens 100.000 Menschen unterschrieben wurden, im Sejm debattiert werden müssen. Dabei entscheiden die Abgeordneten, ob sie den Entwurf in zweiter (Ausschüsse) und dritter Lesung (Abstimmung im Plenum) behandeln oder ihn bereits in der ersten Lesung (Debatte und Abstimmung im Plenum), wie jetzt geschehen, verwerfen wollen.

Die Initiative hielt, was ihr Titel versprach. Sie öffnete einer Abtreibungspraxis, die durch nichts beeinträchtigt werden sollte, Tür und Tor. Abtreibung auf Wunsch bis zur 12. Woche, ohne jegliche Beratung. Danach fast genauso, denn die Kriterien wurden bewusst verschwommen definiert und der Katalog war umfangreich: „Gefahr für das Leben der Frau“, „für ihre körperliche und geistige Gesundheit“, „falls das Ergebnis der pränatalen Diagnostik“ oder „andere medizinische Hinweise“ „auf das Vorliegen von Entwicklungsstörungen oder genetischen Anomalien des Fötus hinweisen“ sollten. In Anbetracht solch dehnbarer Begriffe wie „geistige Gesundheit“, „andere medizinische Hinweise“, „Entwicklungsstörungen“ hätte der ungeborene Mensch auch nach der 12. Schwangerschaftswoche, bei entsprechendem Wunsch, keine Überlebenschance gehabt.

Zwar gilt die Schwangerschaft (noch) nicht als Krankheit, dennoch sollte deren Beseitigung vom Nationalen Gesundheitsfonds erstattet werden. Bereits 13-jährige Mädchen sollten entscheiden dürfen, ob sie abtreiben wollen.

Im 460-köpfigen Sejm stimmten 265 Abgeordnete gegen die Gesetzesinitiative, 175 dafür, 4 enthielten sich der Stimme, 16 waren abwesend. Mit seinem klaren Votum für das Leben hat das Parlament alles beim Alten belassen. Nur eine Vergewaltigung und eine akute Gefahr für das Leben der Mutter rechtfertigen in Polen eine Abtreibung. Abtreibende Frauen werden strafrechtlich nicht verfolgt, dafür aber, zumindest theoretisch, alle, die ihnen dabei zur Hand gehen.

Seit dem Verfassungsgerichtsurteil vom Oktober 2020 genießen nicht nur gesunde, sondern auch kranke und behinderte ungeborene Menschen in Polen ein uneingeschränktes Recht auf Leben. Kurzum: Was nach der Geburt gilt, gilt auch vorher. Führen Kranke und Behinderte etwa ein „lebensunwertes“ Leben und dürfen deswegen schon vorab eliminiert werden? Der Stolz, mit dem so „fortschrittliche“ Länder wie Dänemark verkünden, man habe „erfolgreiche Arbeit“ geleistet und es geschafft, dass praktisch keine Kinder mehr mit dem Down- oder Turner-Syndrom zur Welt kommen, lässt jeden empfindsamen Menschen schaudern.

Ein noch größeres Schaudern empfindet man beim Lesen von Berichten über brutale „Fließband-Abtreibungen“ in Sowjet-Russland kurz nach seiner Entstehung. Die erste Regierung der Welt, die vor fast genau einhundert Jahren ein uneingeschränktes Töten von ungeborenen Kindern erlaubte, war nämlich das verbrecherische bolschewistische Regime.

Nach Polen brachten die deutschen Besatzer die uneingeschränkte Abtreibung auf Wunsch. Am 9. März 1943 wurde diese, vorher bereits im Rahmen der deutschen Vernichtungspolitik praktizierte, Verfahrensweise, durch einen „Führererlass“ offiziell sanktioniert. Deswegen haben die heutigen Appelle und Initiativen, dass bevorzugt Ärzte in Deutschland bei polnischen Frauen Abtreibungen vornehmen sollen (wollen), einen wahrlich makabren Beigeschmack. Für deutsche Frauen übrigens standen auf Abtreibung im Dritten Reich bis zu fünfzehn Jahre Zuchthaus oder die Todesstrafe.

So gesehen, war der 23. Juni 2022 in Polen ein guter Tag für die Menschlichkeit. Gewiss, der Staat darf und soll sich nicht in das Intimleben der Bürger einmischen, solange sexuelle Vorlieben einvernehmlich und nicht mit Kindern praktiziert werden.

Doch die Abtreibung ist eine ganz andere Sache. Hier wird kein Blinddarm herausoperiert, sondern ein Schmerz empfindender, werdender Mensch mit einer eigenen DNA, Fingerabdrücken und anderen nur für ihn typischen Wesensmerkmalen durch Tötungspillen, tödliche Injektionen, das Heraussaugen oder Herausreißen, um sein Leben gebracht. Es handelt sich um eine Verletzung einer Grundfreiheit, des Rechts auf Leben der Schwächsten. Und der demokratische Staat ist dazu da, um die Schwächsten zu schützen.

RdP




23.06.2022. Willkommen in Polen ohne jüdische Maschinenpistolen

Ein bekanntes Sprichwort sagt: „Es gibt nichts Schlimmes, was nicht gut ausgehen kann“. Das klappt nicht immer, aber manchmal zum Glück eben doch. Es kann also durchaus sein, dass es am Ende des gerade ausgebrochenen polnisch-israelischen Streits um die Wiederaufnahme israelischer Klassenfahrten nach Polen gelingt, eine neue Form für diese Reisen zu finden. Die bisherige ist aus polnischer Sicht unhaltbar.

Seit etwa 1988 bis zum Beginn der Corona-Pandemie kamen Jahr für Jahr Tausende israelischer Jugendlicher, um die Holocaust-Stätten in Polen zu besuchen. Sie kamen, besichtigten, was im Programm vorgesehen war, nahmen oft am Marsch der Lebenden in Auschwitz teil und reisten mit der Überzeugung ab, das „Land der Mörder“ besucht zu haben.

Auschwitz-Birkenau, Bełżec, Kulmhof, Majdanek, Płaszów, Sobibór, Stutthof, Treblinka und viele andere ehemalige deutsche Todeslager befinden sich auf polnischem Gebiet. Die Deutschen verwandelten das verkehrsgünstig gelegene, besetzte Polen in ein millionenfaches menschliches Schlachthaus. Sie karrten Juden aus Deutschland, Griechenland, Ungarn, Holland und weiß Gott woher heran, um sie im okkupierten Polen industriell umzubringen. Heutige Teenager, auch israelische, tun sich schwer mit solchen „Details“ wie der Tatsache, dass Polen besetzt war und seine Bewohner ebenfalls massenhaft ermordet wurden, unter anderem deswegen, weil sie Juden versteckt hielten, worauf nur im besetzten Polen automatisch die Todesstrafe stand.

Die jungen Besucher aus Israel sahen die Menschen, die heute rings um die Holocaust-Stätten leben, und an sie und ihre Vorfahren richteten sie ihre Vorwürfe. Sie sahen in ihnen die Täter oder zumindest wohlwollende passive Zuschauer des Holocaust.

Das war umso leichter, als sich die israelischen Ausbilder in Yad Vashem und die begleitenden Lehrer nicht sonderlich bemühten, den Kontext des Holocaust zu erläutern; mitunter entstand sogar der Eindruck, dass sie nichts dagegen hatten, dass die deutsche Täterschaft verdrängt oder verwischt wurde, während sie stillschweigend akzeptierten, dass die Polen als die Schuldigen hingestellt wurden. Umfragen jedenfalls, die unter den jungen israelischen Polen-Besuchern nach deren Rückkehr gemacht wurden, förderten teilweise Haarsträubendes zu Tage.

Verstärkt wurde diese Erscheinung durch die Besonderheit der Fahrten: Die Jugendlichen wurden von Agenten des israelischen Geheimdienstes geschützt. Die Busse waren streng bewacht, während der Fahrten durch Polen blieben die Gardinen zugezogen. In Zivil, jedoch mit Uzi-Maschinenpistolen bewaffnet und mit Diplomatenpässen ausgestattet, schritten die Bewacher sehr rüde ein. Sobald sie nur den geringsten Verdacht schöpften, waren sie mit Schlagstöcken, Handschellen oder gar mit der Waffe zur Hand. Schüsse fielen zum Glück nicht, aber zu Handgreiflichkeiten und teilweise erheblichen Körperverletzungen kam es immer wieder. Opfer waren ausnahmslos, so die polnischen Polizeiberichte, nicht etwa tätlich gewordene Antisemiten, sondern ahnungslose Passanten und Besucher von Gedenkstätten.

Es gibt einen Film, der auf YouTube zu sehen ist: „Defamation“. Der Regisseur, Yoaw Shamir, ist Jude und israelischer Staatsbürger; der Film selbst wurde auf Festivals mit vielen Preisen ausgezeichnet. Ein Teil dieses Werks ist einer israelischen Schülerreise nach Polen gewidmet. Shamir gelang es, seinen Kameramann mit versteckter Kamera als Betreuer mit auf die Fahrt zu schicken.

Wir beobachten also eine Gruppe von Kindern, die in einem Gefühl paranoider Bedrohung gehalten werden. Sie befinden sich in Polen in einem Land von Mördern, die ihre Vorfahren umgebracht haben, und sie wollen auch sie ermorden. „Entfernt euch nicht von der Gruppe, geht nicht außerhalb des Kreises der bewaffneten Wachen, verkehrt nicht mit den Einheimischen. Lasst auf keinen Fall zu, dass sie euch etwas geben, sie werden versuchen, euch zu vergiften.“

Die Jugendlichen wurden bereits in Israel vor jeglichen Kontakten mit der polnischen Außenwelt dringend gewarnt. Die Ausbilderin in Yad Vashem gibt in dem Film den Schülern folgenden Hinweis mit auf den Weg nach Polen: „Es werden Leute vom Sicherheitsdienst bei euch sein, damit ihr keine Berührung mit der einheimischen Bevölkerung habt. Ihr werdet auf Menschen treffen, die euch nicht mögen. Ihr werdet sehen, dass sie euch nicht mögen. Sogar heute mögen sie euch nicht.“

Frustriert verbrachten die jungen Israelis ihre Abende eingesperrt in Hotels, die sie nicht selten demolierten. Es entstand eine enorme, für zwölf- bis fünfzehnjährige Schüler geradezu unzumutbare emotionale Belastung, denn im Hintergrund wirkten die Bilder von Gaskammern, Krematorien und die Berichte von unsäglichen Grausamkeiten. Unter solchen Umständen kann man Polen nur hassen lernen.

Nach der Pandemie weigerte sich Warschau, die Reisen in ihrer alten Form fortzuführen, und bot den Israelis Verhandlungen an, die derzeit stattfinden.

Die polnische Position umschrieb unlängst der stellvertretende Außenminister Paweł Jabłoński.

Erstens: „Dass die Touren von schwer bewaffneten Wachen begleitet werden, vermittelt den Teilnehmern den falschen Eindruck, dass Polen ein gefährlicher Ort ist. Diese Behauptung entspricht in keinster Weise den Tatsachen.“

Zweitens: „Es ist nicht die Absicht Polens, Besuche israelischer Jugendlicher zu verhindern. Sie müssen jedoch zur Verbesserung der polnisch-israelischen Beziehungen beitragen und nicht, wie jetzt, zu deren Verschlechterung.“

Drittens: „Das Wissen um das tausendjährige, oft sehr gedeihliche polnisch-jüdische Mit- und Nebeneinander muss ein Teil des Besuchsprogramms sein. Polnische Reiseleiter und Einrichtungen, die sich um das jüdische Kulturerbe in Polen kümmern, müssen zur Vorbereitung und Durchführung der Fahrten herangezogen werden“.

Viertens: „Das Aufenthaltsprogramm muss Begegnungen mit polnischen Jugendlichen beinhalten.“

Es liegt an den Israelis, ob die Klassenfahrten zu den Holocaust-Gedenkstätten in Polen wieder aufgenommen werden. Und zwar ohne vorgehaltene Maschinenpistolen.

Lesen Sie mehr dazu: „Junge Juden schauen auf Polen oder: was israelische Schülerreisen an die Orte deutscher Verbrechen anrichten“

RdP




12.06.2022. Der Ukraine-Krieg und die polnische Seele

Wir haben es schwarz auf weiß: Die Polen sind das pro-amerikanischste und am stärksten Russland ablehnende Volk der Welt.

Das geht aus einer von der Stiftung Alliance of Democracies zyklisch durchgeführten Erhebung hervor. Bürger aus 52 Ländern beantworten dabei Fragen zu ihrer Einstellung gegenüber den Großmächten der Welt. Die neueste Umfrage wurde im April und Mai 2022 abgehalten, also bereits nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Die Ergebnisse zeigen, dass knapp 90 Prozent der Polen eine negative Einstellung gegenüber Russlands Handeln haben. Gleichzeitig loben sie die Vereinigten Staaten mehr, als es die Amerikaner selbst tun.

Diese Ergebnisse spiegeln treffend die polnischen Befindlichkeiten. Und sie erklären, weshalb es die Realisten in Polen so schwer haben, d.h. jene Politiker und Kommentatoren, die die Politik als einen nicht enden wollenden Wettstreit von Kräften und Interessen umschreiben, und nicht als einen Katalog von Werten, Hoffnungen und Wünschen.

Die antirussische Haltung der Polen ist zu einem großen Teil das Ergebnis historischer Erfahrungen. Der polnischen Teilungen sowie der sowjetischen Besetzung und der Unterwerfung durch Moskau im 20. Jahrhundert. Aus dieser Perspektive nehmen die Polen den russischen Überfall auf die Ukraine wahr, schätzen seine Folgen ein und fühlen sich ganz und gar bestätigt. „So kennen wir die Russen, so sind sie: brutal, primitiv, grausam.“

Kein Wunder also, dass die polnische Öffentlichkeit dazu neigt, sich allen aus Moskauer Sicht ungünstigen Berichten anzuschließen und solche zu verdrängen, die die Situation in einem anderen Licht zeigen. Daher werden Schilderungen, dass die russische Armee zusammenbricht, dass deren Angriffe erfolglos sind und sie nur Verluste erleidet, als wahr akzeptiert. Kurzum: Russland steht unmittelbar vor dem Zusammenbruch, ist ein Koloss auf tönernen Füßen. Ist das wirklich so und nur so? Realisten melden da ihre Zweifel an. Dass die polnischen Medien die Invasion als eine Kette von russischen Katastrophen darstellen, ist eine Form der Befriedigung der emotionalen Bedürfnisse des Publikums.

Die sehr starke Abneigung gegenüber Russland hilft auch ein anderes Rätsel zu lösen. Dieselben Leute, die glauben, dass Russland zerfällt, erwarten gleichzeitig, dass es jeden Moment in Polen einmarschieren wird. Da der Krieg mit Polen unvermeidlich ist, ist es für Polen umso besser, je länger die Kämpfe in der Ukraine andauern. Nur so kann ein Einmarsch russischer Truppen in Polen verhindert werden.

Doch wie kann man gleichzeitig an extreme Schwäche und totale Stärke glauben? Und: Sollte man nicht fragen, welche Kosten Polen bereit ist, auf sich zu nehmen, um Moskau zu schwächen? Wie viele ukrainische Kriegsflüchtlinge kann es noch aufnehmen? Wie viel kriegsbedingte Inflation kann es verkraften?

Es gibt Fragen über Fragen, aber sie werden zumeist ausgeblendet. Emotionen lassen sich nicht von Logik leiten. Übertriebene Zuversicht und übermäßige Angst, das Kippen von einem Extrem ins andere, sind psychologisch gesehen keine Seltenheit.

Eine weitere prägende polnische Befindlichkeit ist das fast blinde Vertrauen in die Fähigkeiten Amerikas und das nicht minder merkwürdige und starke Vertrauen in seine guten Absichten. Die Polen lieben Amerika, mehr als die Amerikaner selbst, so das Fazit der eingangs erwähnten Umfrage. Sie idealisieren es. Sie wollen es nicht wahrhaben, dass die USA, auch wenn sie die einzige demokratische Großmacht sind, oft nur ihre eigenen Interessen verfolgen und um Geltung für sich kämpfen. Mit diesem emotionalen Vorteil und dem Wissen um die polnische Liebe ist es für Amerika ein Leichtes, sich in Polen durchzusetzen.


Das wiederum hängt mit einem weiteren Merkmal der polnischen Mentalität zusammen, einem Erbe der Romantik. Die Politik wird nicht in den Kategorien von Stärke und Schwäche wahrgenommen. Was sie prägen soll sind Werte. Folglich ist der Kampf um mehr Einflussnahme und Vorteile in den Augen der Polen vor allem ein Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen den Mächten des Lichts und den Mächten der Finsternis.

Deshalb können polnische Politiker nicht das tun, was die Politiker woanders seit Jahrhunderten praktizieren: auf Zeit spielen, ausweichen, Bündnisse schließen und wechseln, andere zynisch hinters Licht führen. Die polnische Öffentlichkeit weigert sich in ihrer Mehrheit zur Kenntnis zu nehmen, dass sich das Gute und das Böse nur selten, vielleicht sogar nie, in Reinkultur offenbaren. Selbst während des Zweiten Weltkriegs ging, wer Hitlers Bösem ein Ende setzen wollte, ein Bündnis mit Stalins nicht weniger Bösem ein. Das freie Polen bot beiden die Stirn.

Man paktiert nicht mit dem Bösen, das Gute muss unterstützt werden. Dieser Grundsatz, übertragen auf den Bereich der konkreten Politik, bedeutet, dass die meisten Polen, wie Untersuchungen erneut zeigen, radikalste Sanktionen gegen Russland wollen, auch wenn das ihren Interessen drastisch zuwiderläuft. Diese Haltung wiederum befreit die Regierung von der Notwendigkeit, sich für die steigenden Lebenshaltungskosten und andere kriegsbedingte Unwägbarkeiten zu erklären, solange sie auf der Seite des Guten steht.

Eigentlich heißt es zu Recht, dass Emotionen keine guten Ratgeber in der Politik sind. Aber vielleicht leben wir inzwischen doch in einer besseren Welt und die alten Wahrheiten sind nicht mehr gültig?

RdP




4.06.2022. Der Günstling geht von Bord. Donald Tusk verlässt Europa

Die farblose Amtszeit von Donald Tusk als Chef der Europäischen Volkspartei geht zu Ende. Zwei Jahre vor dem Ablauf seiner Wahlperiode übergab Tusk auf dem EVP-Kongress in Rotterdam das Steuer an den CSU-Mann Manfred Weber. Ein deutscher Politiker beerbt einen deutschen Politiker ohne deutschen Pass.

Donald Tusk verdankte seine EU-Ratspräsidentschaft (2014-2019) und den anschließenden dreijährigen EVP-Vorsitz Angela Merkel. Ihre Gunst erwirkte er in seiner Zeit als polnischer Ministerpräsident zwischen 2007 und 2014 durch seine bis an die Selbstverleugnung gehende Deutschlandergebenheit.

Putin hofieren und die Ukraine ignorieren, Polen in die Energieabhängigkeit von Russland treiben, Nord Stream 2 gutheißen, die Amerikaner mit ihren Raketenschutzschild-Plänen aus Polen fortscheuchen. Für Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel und andere treue deutsche Russland-Partner war Tusk, „der Pflegeleichte“, wie ihn Der Spiegel seinerzeit beschrieb, ein nicht zu unterschätzender Handlanger, der im Gegenzug in der EU hoch hinaus wollte.

Tusk hatte sich die Verwirklichung seines Wunschtraums redlich erdient, ehe er 2014 nach Brüssel aufbrechen durfte. Das ohnehin schmale Fundament seiner europäischen Karriere begann 2021, nach dem Abgang der deutschen Gönnerin, sofort zu bröckeln. Deutschlandergebenheit ist seine größte politische Stärke, aber bei aller Anstrengung konnte er darin den macht- und postenhungrigen Manfred Weber aus dem bayerischen Niederhatzkofen fürwahr nicht überbieten.

Ohne Angela Merkel war es ein Leichtes, Tusk loszuwerden. Als EU-Ratsvorsitzender und als Chef der Europäischen Volkspartei hat er sich in der internationalen Politik keinen Namen gemacht. Stets erweckte er den Eindruck, am Nebentisch zu sitzen, ein Anhängsel des realen politischen Weltgeschehens zu sein. Er wurde wenig beachtet und kaum ernst genommen, genoss dafür im Stillen das Luxusleben eines Spitzenpolitikers mit etwa 25.000 Euro Monatsgehalt, saftigen Zulagen, drei Butlern, vier Fahrern und einem 30-köpfigen Sekretariat. Knapp zwei Millionen Euro soll Donald Tusk steuerfrei in Brüssel verdient haben.

Leer sind dagegen die Schubladen, die er als EU-Ratspräsident und EVP-Vorsitzender hinterlässt. Wie soll die heutige EU der 27 in der Zukunft funktionieren? Die EU-Erweiterung und ihr Tempo? Die EU-Einwanderungs- und Asylpolitik? Energiepolitik, Klimapolitik, Ostpolitik, usw.? Rien, wie Edith Piaf sang, mit anderen Worten: Nichts. Für das Vordenken und Machen war Angela Merkel zuständig. Ihr politischer Ziehsohn war in Brüssel in beiden Positionen schmerzlich vorhersehbar: Er tat nichts. So sollte es wohl auch sein.

Dafür war er geradezu hektisch aktiv auf Twitter, wo der eigentlich zur Neutralität verpflichtete oberste EU-Beamte durch seine bitterbösen Kommentare den innenpolitischen Konflikt in Polen kräftig aufmischte. Ab und zu tat er es auch vor Ort. Dafür war er seiner Patronin gut. Als ihm die polnische Regierung deswegen beim Antritt für die zweite Halbzeit als EU-Ratschef ihre Unterstützung verweigerte, warf sich Deutschland energisch ins Zeug und stellte eine breite Mehrheit für seine Wiederwahl auf die Beine.

Inzwischen hat Tusk seine Schuldigkeit getan. Er ist gut versorgt und soll gehen. Eine Verwendung auf EU-Spitzenposten-Niveau gibt es für ihn nicht mehr. Andere wollen schließlich auch mal.

Doch der durchtrainierte 65-Jährige hat keine Lust aufs Rentnerdasein. Nach etlichen verlorenen Wahlen seiner Partei seit 2015 will er es nun seinem Erzfeind Jarosław Kaczyński so richtig zeigen. Mit diesem Auftrag verlässt er auch den Brüsseler Olymp. Ursula von der Leyen gab ihn in diesen Tagen, per Twitter, Tusk noch einmal mit auf den Heimweg: „Lieber Donald, Du verkörperst unsere Werte. Nun kehrst Du in Dein Land zurück, um sie zu verteidigen.“

Seit knapp einem Jahr steht Tusk wieder an der Spitze seiner Partei, der Bürgerplattform. Der innenpolitische Blitzsieg nach der Rückkehr, den er sich erhofft hatte, blieb ihm versagt. Mühsam versucht er nun die Opposition in einem Block unter seiner Führung zu bündeln und den regierenden Nationalkonservativen ihren hohen Umfragevorsprung streitig zu machen. Beides bisher vergeblich.

Tusks radikale „Kaczyński muss weg“-Rhetorik, ohne auch nur den Ansatz eines überzeugenden, positiven politischen Programms, zieht nicht so recht. Die Pannen, Fehler und Unterlassungen aus seiner Regierungszeit werden hervorgeholt und untergraben seine Glaubwürdigkeit, ebenso wie seine Wutausbrüche auf Twitter.

Angela Merkel genießt, so gut es geht, ihren Ruhestand. Ihr einstiger Protegé, jetzt ganz auf sich gestellt, versucht sein Comeback und scheint dabei manchmal ziemlich überfordert zu sein. Der Ausgang der Parlamentswahlen im Herbst 2023 wird sein politisches Schicksal besiegeln. Ein schmerzhafter Absturz ist nicht ausgeschlossen.

RdP




31.05.2022. Ukraine und die neuen polnischen Realisten

In den letzten Tagen gelang es Henry Kissinger, dem schon etwas in Vergessenheit geratenen ehemaligen US-Außenminister, aufs Neue die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Der inzwischen 99-Jährige huldigte, mittels Video-Schaltung, auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos einer Realpolitik, wie aus dem 19. Jahrhundert. Er sagte, die Ukraine müsse territoriale (Abtretung gut eines Drittels des Staatsgebietes) und politische (Abrüstung, keine Nato-Mitgliedschaft) Zugeständnisse an Russland machen, um den Krieg so schnell wie möglich zu beenden.

Kissinger sprach laut aus, was viele andere, bis jetzt zumeist, nur hinter vorgehaltener Hand von sich geben. Tatsache ist, dass die Gereiztheit und Unzufriedenheit darüber, dass der Krieg, nach gut drei Monaten, immer noch nicht zu Ende ist, in vielen Hauptstädten spürbar zu steigen beginnt. Gewiss, der Frieden hat seinen Preis und den soll das Opfer, die Ukraine zahlen. Der friedliebende Weltstartege Kissinger wirft, wie selbstverständlich, fremdes Staatsgebiet und seine Bewohner den Russen zum Fraß vor, dabei ließe sich Putin mit der Rückgabe von Alaska an Russland sicherlich noch schneller besänftigen.

Auf dem angesehenen Treffen in Davos führte das Thema auch in anderen Debatten zu heftigen Auseinandersetzungen. Graham Allison, ein Schüler Kissingers und Harvard Professor, wiederholte die These seines Lehrmeisters und argumentierte, dass eine fortgesetzte militärische Unterstützung der Ukraine eine gefährliche Weiterentwicklung des Krieges nach sich ziehen wird. Deshalb müsse man sich mit den Russen an den Verhandlungstisch setzen. Das rief jedoch den heftigen Widerspruch von Lawrence Freedman, eines britischen Militär- und Strategiehistorikers hervor. Sein Argument: Man dürfe auf keinen Fall die weiße Fahne zu einem Zeitpunkt hissen, zu dem Russland zwar geschwächt, aber nicht in seiner Existenz bedroht sei.

Der Streit zwischen Allison und Freedman ist ein gutes Beispiel für die wachsenden Meinungsverschiedenheiten im Westen. Die Verfechter schneller Verhandlungen im Namen des Realismus, möchten mit Russland, so bald es geht, wieder ins Geschäft kommen und machen sich Sorgen um die künftige Stellung des Landes in der Weltpolitik. Kissinger, Scholz, Macron & Co. wollen zudem vermeiden, dass eine starke Ukraine das Gleichgewicht der Kräfte in Europa zum Nachteil Russlands und der traditionellen Russland-Partner Deutschland und Frankreich verändert.

Die Befürworter einer weiteren Unterstützung der Ukraine in Washington, London und Warschau sagen hingegen: Wenn Russland beschlossen hat, mit einem Krieg den Spieß umzudrehen und seine Beziehungen zum Westen völlig zu ruinieren, dann muss man Moskau unbedingt erlauben Selbstmord zu begehen. Russland jetzt die Hand zu reichen, wäre eine große Dummheit.

Man kann also, im Namen des Realismus, die seit gut zwei Jahrhunderten geltenden europäischen Sicherheitsregeln beibehalten und damit Russland weiterhin erlauben seine Nachbarn zu bedrohen, zu erpressen und zu überfallen.

Oder man kann dem neuen Realismus huldigen, indem man die einmalige Gelegenheit ergreift, um die europäischen Sicherheitsregeln dauerhaft zu ändern und damit Russland die Lizenz zum Bedrohen, Erpressen und Überfallen ein für allemal zu entziehen.

Die Polen gehören zu den neuen Realisten. Zu oft war ihr Land in Zeiten des alten Realismus die Ukraine von heute.

RdP




23.05.2022. Emma, Macron, New York Times & Co. Polen stellt sich quer

Man sollte vorsichtig sein, Staatsbesuche als historisch zu bezeichnen. Solche Bewertungen können schnell von der Zeit überholt werden. Der Aufenthalt des polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda am 22. Mai 2022 in Kiew  wird jedoch ganz bestimmt für länger in den Köpfen der Ukrainer und Polen bleiben. Nicht nur, weil Duda der erste ausländische Staatschef war, der seit Beginn des Krieges am 24. Februar 2022 vor dem ukrainischen Parlament, der Werchowna Rada, sprach.

Wichtig waren die spontanen, herzlichen Gesten, die Wolodymyr Selenskij und Duda austauschten. Einen hohen symbolischen Wert hat dabei die Ankündigung Selenskijs, dass alle Polen in der Ukraine, genauso wie jetzt alle Ukrainer in Polen, mit den Einheimischen, bei Sozialleistungen, Steuern, auf dem Arbeitsmarkt, im Gesundheits- und Bildungswesen gleichgestellt sein sollen. Wichtig waren auch die sich anschlieβenden stehenden Ovationen der ukrainischen Abgeordneten.

Noch wichtiger jedoch waren die Worte, die der polnische Staatspräsident an die Ukrainer richtete: „Nur die Ukraine hat das Recht, über ihre Zukunft zu entscheiden. Nichts über dich (Ukraine) ohne dich“. Duda sprach im Namen fast aller Polen. Eine freie Ukraine ist das wirksamste Bollwerk gegen Russland. Sie zu unterstützen ist oberste polnische Staatsraison.

Dudas Worte fielen im richtigen Moment, denn nach drei Monaten Krieg macht sich in Westeuropa Kriegsmüdigkeit breit. In Deutschland unterschreiben Hunderttausende den „Emma“-Brief an den Bundeskanzler, in dem faktisch die Ukrainer zur Kapitulation aufgerufen werden. Frankreichs Staatspräsident Macron sowie Ex-Premier Berlusconi in Italien warnen vor einer Demütigung Russlands. Sorgen bereitet ihnen und nicht nur ihnen, was sein wird, sollte die Ukraine gewinnen.

Und außerdem, so die Klagen in vielen westeuropäischen Hauptstädten, treffen die Sanktionen alle. Die Preise steigen, die Wirtschaft leidet, und es ist an der Zeit, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Die Lösung kann nur Frieden heiβen. Zu welchem Preis? Territoriale Zugeständnisse von Kiew an Moskau, das sind die Andeutungen, die Wolodymyr Selenskij in seinen Telefongesprächen mit westlichen Politikern zu hören bekommt.

Die „New York Times“, die wichtigste Tageszeitung der Vereinigten Staaten und vielleicht der ganzen Welt, die sich vor einem Vierteljahrhundert gegen die Nato-Erweiterung um Polen aussprach und diese in einem Kommentar als einen „fatalen Fehler“ bezeichnete, meinte in diesen Tagen, dass „Putin zu viel persönliches Prestige investiert hat“, als dass man von ihm einen Rückzug aus den besetzten Gebieten erwarten könnte.

Diesen Neigungen, Stimmungen und Bestrebungen gilt es sich entschieden zu widersetzen. Ein Paktieren über die Köpfe der Ukrainer hinweg ist mit Polen nicht zu machen, das war die wichtigste Botschaft des Kiew-Besuches von Andrzej Duda.

Das polnische Engagement und die polnische Effizienz haben einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass Russland die Ukraine nicht zerschlagen und den Westen nicht zwingen konnte, Mord und Annexion stillschweigend zu akzeptieren. Die Fähigkeit Polens, die Länder der Region zur Unterstützung der Ukraine zu organisieren, Millionen von Flüchtlingen, darunter auch Ehefrauen und Kindern von Soldaten, einen sicheren Zufluchtsort zu bieten, polnische Waffen- und Hilfsgüterlieferungen, der riesige Strom ausländischer Versorgung, der im Transit durch polnisches Territorium die Ukraine erreicht, spielen eine wichtige, vielleicht entscheidende Rolle. Jetzt galt es ein starkes politisches Signal zu setzten.

Der polnische Staatspräsident zögerte nicht, die Ukraine mit einer klaren Botschaft zu unterstützen. Dass freie Nationen nicht käuflich sind, und dass die freie Welt heute das Gesicht der Ukraine trägt. Es gibt keine Politik ohne Moral, keine Sicherheit ohne Wertetreue, ohne die Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Der Westen ist diesbezüglich gespalten. Polen hat hierzu klar Position bezogen.

RdP




16.05.2022. Medienfreiheit in Polen oder Reporter ohne (Scham)Grenzen

Jedes Jahr veröffentlicht die internationale Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) eine Rangliste der Medienfreiheit. Seit 2016 wird Polen darin regelmäßig immer weiter unten gelistet.

Dieses Mal belegte es den 66. Platz, den schlechtesten in der Geschichte des Rankings. Betrachtet man jedoch ausschließlich das politische Kriterium (es gibt auch ein juristisches, ökonomisches und soziokulturelles Bewertungsmerkmal sowie den Aspekt der Sicherheit für Medienschaffende), dann liegt Polen auf Platz 110 (von 180 aufgeführten).

Beim Umschalten zwischen den Kanälen mit der TV-Fernbedienung, beim Durchsuchen von Nachrichtenportalen oder beim Lesen einer Wochenzeitung ist uns nicht bewusst, dass Polen in Bezug auf die Meinungsfreiheit schlechter dasteht als Moldawien, Burkina Faso, Samoa, Sierra Leone, Tonga oder Niger. Dass die Slowakei (wo vor nicht allzu langer Zeit Journalisten auf Bestellung ermordet wurden) sogar 39 Plätze höher eingestuft wird. Aber Reporter ohne Grenzen sehen uns so.

Was geschah also in Polen im Jahr 2021? In dem Ranking werden nüchterne Indikatoren mit Urteilsbegründungen versehen. Und hier sind Worte sehr wichtig.

Laut RoG hat der staatliche Energiekonzern Orlen die zwanzig polnischen Regionalzeitungen, die bisher dem deutschen Verlagshaus Passauer Neue Presse gehörten, nicht für umgerechnet ca. 45 Millionen Euro gekauft, sondern „übernommen“. Ob das mit Hilfe der Polizei, der Armee oder der polnischen Geheimdienste geschah, ist nicht bekannt.

Bekannt ist hingegen, dass die deutschen Eigentümer händeringend nach einem Käufer suchten, um weitere schmerzliche finanzielle Verluste zu vermeiden, und dass sie in Anbetracht dessen ein gutes Geschäft gemacht haben. Andere Offerenten, abgesehen von Orlen, gab es nicht. Ohne den Kauf hätten die Deutschen die Blätter eines nach dem anderen eingestellt. Knapp 2.500 Arbeitsplätze standen auf dem Spiel und wurden gerettet. Dass seit Mitte der Neunzigerjahre praktisch ausnahmslos alle polnischen Regionalzeitungen einem deutschen Konzern gehörten und von ihm politisch linksliberal gleichgeschaltet waren, hat die RoG nie gestört.

Das Gleiche gilt für den Gesetzentwurf zur Regelung der Anteile von Nicht-EU-Kapital an polnischen Medien, was z. B. in Frankreich längst beschlossen wurde. Schon das Erscheinen des Entwurfs wurde als Bedrohung der Meinungsfreiheit bewertet. Die Tatsache, dass das Gesetz aufgrund des normalen demokratischen Prozesses (Veto des Präsidenten) gescheitert ist, beweist für die RoG nichts. Denn was für eine Freiheit ist das, wenn solche Projekte überhaupt entstehen?

Auch wird das Arbeitsverbot für Journalisten im polnischen Grenzgebiet zu Weißrussland erwähnt, nachdem Diktator Lukaschenka begonnen hatte, massenweise Migranten für teures Geld nach Minsk einzufliegen. An die Grenze gekarrt, wurden sie dann zum gewaltsamen Stürmen der polnischen Grenzanlagen angestachelt. Als Aktivisten, Oppositionspolitiker und einige Journalisten begannen den Grenzzaun einzureißen, die Grenzpolizei bei ihrer Arbeit massiv zu provozieren und zu behindern, musste eine No-Go-Zone entlang der Grenze her.

Diese Umstände werden von RoG genauso wenig erwähnt wie die Tatsache, dass die meisten polnischen Medien sechs Monate lang über nichts anderes Horrorberichte verfassten, als über die gefühllose Haltung des Staates gegenüber den Lukaschenka-Migranten. Weil Polen ein freies Land ist und jeder schreibt, was er will.

Es gibt auch Anschuldigungen, dass Gesetze seit dreißig Jahren nicht geändert wurden. Da wird z. B. die Beleidigung bestimmter Institutionen mit einer Gefängnisstrafe geahndet. Doch es ist totes Recht, da es nicht angewendet wird. Es stimmt, dass öffentlich-rechtliche Medien Werbeaufträge von der öffentlichen Hand erhalten, aber das war auch schon vor zehn oder zwanzig Jahren so und hat die RoG damals nicht im Geringsten gestört.

Etwa 70 Prozent aller Medien in Polen verfolgen einen harten, unversöhnlichen Kurs gegenüber der nationalkonservativen Regierung. Dazu gehören die größten Tageszeitungen: „Fakt“, „Gazeta Wyborcza“, „Rzeczpospolita“, „Dziennik Gazeta Prawna“, die auflagenstärksten Wochenmagazine „Newsweek“, „Polityka“, „Angora“, „Tygodnik Powszechny“, der Fernsehsender TVN, alle großen Internetportale u. v. m.

Derweil residieren in Polen, dem Land, wo es angeblich kaum mehr Meinungsfreiheit gibt, der Agora-Konzern als Herausgeber der „Gazeta Wyborcza“ und deren Redaktion in einem prächtigen Büropalast mitten in Warschau. Agora hat 2021 Einnahmen in Höhe von umgerechnet ca. 76 Millionen Euro und einen Nettogewinn von ca. 6 Millionen Euro verbucht. Ein Jahr zuvor hatte der Konzern keine Hemmungen, von der verhassten Recht-und-Gerechtigkeit-Regierung umgerechnet 5 Millionen Euro an Corona-Hilfen entgegenzunehmen.

Das Bild, das diese Medien Tag für Tag, Woche für Woche seit sieben Jahren von Polen zeichnen ist tiefschwarz. Politiker aus dem Regierungslager sind immer schlecht, gemein, zynisch und unfähig. Wenn sie Wahlen gewinnen, dann nur mit Lügen. Wenn ihre Politik „ausnahmsweise“ erfolgreich ist, dann nur durch Zufall oder weil sie ihre Ideen irgendwo geklaut haben. Angeführt werden sie von einem Kaczyński, dem Hitler, Stalin, Pol Pot und Putin nicht im Entferntesten das Wasser reichen können. Nichts funktioniert, wohin man blickt, herrscht Hoffnungslosigkeit, wohin man das Ohr wendet, da rasseln die Ketten.

Es sind ausnahmslos Reporter dieser Medien, die den Reportern ohne Grenzen über die Medienfreiheit in Polen Rapport erstatten. Im Jahr 2015 befand sich Polen auf der RoG-Liste auf Platz 18. Damals wie heute verkündet jeder in Polen, was er will, nur geschieht das jetzt unter der falschen Regierung.

RdP




10.05.2022. Vom polnischen Traum Russland loszuwerden

Es kann sein, dass wir in Polen, und mit uns die Bewohner der ganzen Region zwischen Russland und Deutschland, bald den Moment erleben werden, von dem wir noch bis vor Kurzem nur träumen konnten. Den Augenblick, in dem wir sagen können: Die Sicherheit unsrerer Staaten und Nationen ist für eine oder vielleicht sogar mehrere Generationen nachhaltig gewährleistet. Voraussetzung dafür ist eine dauerhafte, tiefgreifende militärische, wirtschaftliche und politische Schwächung Russlands.

Alles nur Wunschträume? Eine gesunde Portion Skepsis ist bei solchen Gedankenspielen ist stets angebracht, doch spricht vieles dafür, dass die erhoffte Entwicklung eintreten könnte.

Als US-Präsident Joe Biden sich am 26. März 2022 in Warschau, vom Redemanuskript abweichend, auf Putin bezogen zu dem Ausruf hinreißen ließ:Um Gottes willen, dieser Mann darf nicht an der Macht bleiben“, da sah sich das Weiße Haus genötigt diese Aussage abzumildern. „Man strebe keinen Regimewechsel in Russland an“, hieß es im Nachhinein.

Nur einen Monat später eröffnete sich uns ein Epochenwechsel in der amerikanischen Politik, als Außenminister Antony Blinken und Verteidigungsminister Lloyd Austin, nach ihrem Besuch in Kiew, freimütig die „Kriegsziele“ Amerikas umschrieben, und niemand in Washington machte Anstalten etwas daran zu korrigieren.

„Wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass es nicht mehr das tun kann, was es jetzt in der Ukraine tut.“ „Wir wollen nicht, dass sie ihre Fähigkeiten schnell wieder aufbauen können.“ (Austin). „Eine unabhängige Ukraine wird viel länger bestehen, als Wladimir Putin auf der politischen Bühne. Unsere Unterstützung für die Ukraine wird weitergehen (…) bis wir den endgültigen Erfolg sehen.“ (Blinken). Europäsche Polkitiker zogen nach. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach Klartext: „Die Ukraine muss den Krieg gewinnen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz übte sich in Eindeutigkeit: „Es wird keinen russischen Diktatfrieden geben. Putin wird den Krieg nicht gewinnen.“

Von der Leyen, Scholz, Macron & Co. möchten, dass die Ukraine den Krieg nicht verliert, würden danach aber am liebsten wieder politisch und wirtschaftlich mit Russland ins Gespräch und ins Geschäft kommen. Ganz nach dem altbekannten Motto und Vorwand: Russland kann und darf nicht isoliert werden.

Biden und seine Leute wollen viel mehr. Amerika soll den Ukraine-Krieg gewinnen. Die Amerikaner sprechen heute so, wie sie während des Zweiten Weltkrieges über Deutschland und Japan gesprochen haben. Sie wollen den geopolitischen Rahmen umbauen, in dem seit Ende des Zweiten Weltkrieges die Unabhängigkeit der Polen, Balten, Ukrainer und anderer Völker des sogenannten Zwischeneuropas stets zur Disposition stand, wenn es um gute Beziehungen und Geschäfte mit der Sowjetunion, bzw. Russland ging. Russland, wie es jetzt ist, ob mit oder ohne Putin, soll geschwächt und isoliert werden, so Washington.

Das entspricht voll und ganz den polnischen Wahrnehmungen, Erwartungen und Erfahrungen. Sie besagen, dass jegliche engeren, vielschichtigen, auf Vertauen in den Partner beruhenden Beziehungen mit dem heutigen Russland sehr gefährlich sind. Alles, was Gegenstand der Beziehungen ist, kann zu einem Zeitpunkt, der den Russen passt, und zu einem von ihnen festgelegten Zweck gegen uns verwendet werden. Alles. Vom Handel mit Äpfeln und Fleisch, über die Anwesenheit russischen Kapitals in Polen bis hin zum kleinen Grenzverkehr und den Feierlichkeiten zu wichtigen Jahrestagen.

Polens nationalkonservative Regierung hielt sich seit 2015 konsequent an diese Sichtweise. Es gab und gibt für sie keine bessere Option, als die erwähnten Risiken zu minimieren. Je weniger Handel wir treiben, je weniger wir kooperieren, umso besser für uns. Wenn ein Partner nur böse Absichten im Schilde führt, sollten wir uns so weit wie möglich von ihm fernhalten. Fazit: Man muss Politik gegenüber Russland betreiben, aber man sollte keine Politik mit Russland machen.

Das Jahr 2022 könnte, neben Daten wie 1918 (Wiedererlangung der Unabhängigkeit), 1920 (das Aufhalten des bolschewistischen Vormarsches auf Europa vor den Toren Warschaus), 1945 (die Sowjets zwingen Polen den Kommunismus auf) oder 1989 (Ende der Sowjetherrschaft in Polen) in die Geschichtsbücher eingehen und den Beginn einer neuen Ära markieren. Das Jahr 2022, ein Jahr ab dem Europa nicht mehr in ewiger Angst vor Russland, dessen Einfluss, seinen Manipulationen und Intrigen, und schließlich den von Moskau angezettelten verbrecherischen Kriegen leben muss.

Es gilt, nach dem für den Kreml verlorenen Ukraine-Krieg Russland in seine Grenzen weit im Osten zu drängen, sowohl geografisch, wie auch politisch. Die Amerikaner sehen das richtig und hoffentlich bleiben sie dabei. Eine Chance von historischer Bedeutung tut sich auf und eine einmalige Gelegenheit, die nicht verpasst werden sollten.

RdP




5.05.2022. Putin und die Selbstzerfleischung des Westens

Es ist eine der Binsenwahrheiten unserer Tage: Der russische Überfall auf die Ukraine hat sich faktisch in einen Krieg verwandelt zwischen Russland und der westlichen Welt, wie sie am Ende des Kalten Krieges vor dreißig Jahren entstanden ist. Die bisher akademisch geführten Debatten des Westens über den Zusammenprall der Kulturen oder das globale Ringen zwischen Staaten wie den USA, China und Russland, haben plötzlich die greifbare Form blutiger militärischer Schlachten und  russischer Kriegsgräuel, begangen bei Kiew oder im Donbass, angenommen.


Es sei jedoch daran erinnert, dass seit geraumer Zeit niemand den Westen so sehr bekämpft hat wie der Westen sich selbst. Er hat irgendwann begonnen, sich selbst aufrichtig zu hassen und so seine Daseinsberechtigung grundsätzlich zu verneinen. Diese Selbstaggression zergliedert die westliche Welt, schwächt ihre Position fortwährend und stellt die Aussicht auf ihren Fortbestand infrage.


Die Fähigkeit, sich selbst kritisch zu hinterfragen, war schon immer ein wesentliches Merkmal der westlichen Zivilisation, die sie vor dem Erstarren bewahrt hat. Sie war eine wesentliche Triebkraft für die anhaltende Erneuerung, die dem Westen im Laufe der Zeit einen Vorsprung in der Welt verschafft hat.


Was sich jedoch inzwischen in den westlichen Gesellschaften durch die kulturelle Linke und Rechte entwickelt hat, hat nichts mehr mit gesunder Selbstkritik zu tun, sondern gleicht einem hirnlosen Drang zur vollkommenen Selbstverneinung und Selbstzerstörung. Es stellt sich nämlich heraus, dass der Westen der einzig Schuldige für alles Böse in der Welt war und ist.

Es ist der Westen, der die Sklaverei, den Rassismus, die Ausbeutung und die Kriege erfunden hat, es ist der Westen, der die Welt ausplündert und vernichtet. Niemand sonst in der Geschichte hat so etwas getan. Alle anderen waren Opfer. Wenn sich der Westen also in sein Schneckenhaus zurückziehen (die extrem rechte Sichtweise) oder einfach aufhören würde zu existieren (der Traum der extremen Linken), würde die Welt unvergleichlich besser dastehen.

Das sehen Putin und seinesgleichen genauso. Russische Politik und Propaganda pflichteten jahrelang westlichen Politikern, Intellektuellen und Aktivisten, die das behaupten, eifrig bei. Putin&Co. hofierten sie im Kreml, umgarnen mit Komplimenten, Dialogangeboten, Stipendien und diskreten finanziellen Zuwendungen.

Die Energieabhängigkeit des Westens von Russland war das Eine. Das Andere war ein in schwere Selbstzweifel verstrickter Westen, der nicht an sich glaubt, sich geistig zerfleischt. Beides zusammen schuf die Überzeugung, dass sich die westliche Welt den russischen Kriegsabenteuern nicht oder nur schwach widersetzen wird.

Gewiss, Putin hat sich verrechnet, doch den Toten des Ukraine-Krieges bringt das nichts.

RdP