Schnecken bringen Mäuse

Still und im Eiltempo hat die Schneckenzucht in Polen Fuβ gefasst.

Jedes Jahr verlassen Abermillionen von Schnecken die Farm in Oldrzyszowice in alle Himmelsrichtungen. Doch dessen ungeachtet, wartet am Ende meistens ein Franzose auf die Lieferung, und mit Franzosen ist in Sachen Schneckenqualität nicht zu spaβen. Das haben die drei Gründer der PSH (Polish Snail Holding) schnell begriffen, und darauf baut ihr Erfolg auf.

Der polnische Eigenkonsum von Schnecken liegt nur knapp über Null, die polnische Schneckenausfuhr dagegen reicht inzwischen an eintausend Tonnen pro Jahr heran und verzeichnet hohe Zuwachsraten. Damit hat Polen Rumänien, einen seit langem führenden europäischen Schneckenexporteur, eingeholt.

Ein Viertel des polnischen Schneckenexports wird im April und Mai auf Wiesen und in den Wäldern Polens gesammelt, der Rest entstammt der Zucht. Und hier gehört die Firma PSH in Oldrzyszowice (fonetisch Oldschischowitze), einem kleinen Ort, der knapp 30 Kilometer westlich von Opole/Oppeln liegt und einst Hilbersdorf hieβ, zu den Marktführern. Die Wochenzeitung „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“) vom 6. März 2016 widmete den Groβzüchtern eine Reportage.

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So sieht die Weide aus, in einer der drei gröβten Schneckenfarmen Polens.

Im Sommer sieht man aus der Ferne ein grünes Netz über dem 1,5 Hektar groβen Feld aufgespannt, und grüne Pflanzen mit groβen Blättern. Dann werden am Boden Holzplatten sichtbar. Aus Brettern zusammengezimmert, jeweils etwa ein Quadratmeter groβ und wie Parkettstäbe aneinandergereiht, bedecken siebzehntausend Stück von ihnen das ganze Feld. Hebt man sie hoch, kommen Kolonien von Schnecken zum Vorschein, die von unten an dem Holz kleben. So sieht die Weide aus, in einer der drei gröβten Schneckenfarmen Polens.

Marktlücke entdeckt

Die Anfänge in 2005 waren mehr als bescheiden. Pawel Piwowarski und Damian Gajewski gingen gemeinsam in eine Schulklasse. Ihre Wege hatten sich jedoch 1997, gleich nach dem Abitur, getrennt. Der eine studierte Biologie, der andere Betriebswirtschaftslehre. Als sie sich ein paar Jahre später zufällig wieder trafen, waren sie beide auf der Suche nach einer Geschäftsidee, mit der man Geld verdienen könnte. Die Handelsfirma, die sie anschließend gemeinsam gründeten, entpuppte sich allerdings schon sehr bald als Flop.

Die Kombination aus den beiden Fachgebieten Biologie und BWL hingegen erwies sich als überaus glücklich, als die Beiden auf die rettende Idee mit der Schneckenzucht kamen. Zu diesem Thema brachte das Durchforsten des Internets damals wenig an Informationen zu Tage, und das wiederum war eine sehr gute Nachricht. Eine Marktlücke war entdeckt. Kurz darauf machten sie den einzigen Schneckenfachmann Polens, im Krakauer Institut für Zootechnik, ausfindig und ließen sich von ihm beraten.

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Damian Gajewski. Konnte einen Bankfilialleiter für das etwas schräge Jungunternehmen begeistern.

Pawel, der Biologe, brachte daraufhin zehn Säcke Schnecken aus der Gegend von Avignon in Frankreich mit, während Damian, der Betriebswirt, bei den Banken um einen Kredit zur Finanzierung der neugeborenen Geschäftsidee warb. Zum Glück lieβ sich ein Bankfilialleiter für das etwas schräge Jungunternehmen begeistern und bereut diesen Entschluss im Nachhinein nicht. Eine bescheidene EU-Förderung zu bekommen war umständlich, aber nach einigen Anläufen wurde auch sie gewährt.

Derweil stieβ ein dritter Kollege aus alten Zeiten zu den beiden Firmengründern. Andrzej Minossora kam nach einigen Jahren, in denen er in den USA gelebt hatte, nach Oldrzyszowice zurück und überlegte, was er mit dem Acker anfangen sollte, den er von seinem Vater geerbt hatte.

Küchenreife Mast

Einige wenige Zahlen genügen, um sich einen Begriff vom heutigen Ausmaβ des damaligen Vorhabens zu machen. Etwa vierhundert Tonnen der Weichtiere verarbeitet PSH im Jahr. Sie züchtet selbst und hat etliche Kleinzüchter als Zulieferer unter Vertrag. Sechzigtausend Schnecken braucht man, um auf eine Tonne zu kommen. Während der Fortpflanzungszeit legt eine Schnecke bis zu fünfhundert Eier.

Fünf Monate im Jahr haben mehrere Dutzend Leute in Oldrzyszowice alle Hände voll zu tun, bis die Weichtiere küchenreif gemästet sind. Ende Februar, Anfang März werden sie aus der Winterstarre geholt. In groβen Nylonnetzen haben sie bis dahin bei fünf Grad im Kühlraum überwintert. Jetzt werden sie in der blankgeputzten Halle auf mehrstöckige Reproduktionstische verteilt, reichlich mir Warmwasser begossen und kommen dann munter aus ihren Schneckenhäuschen heraus.

Wasser wird in den nächsten Tagen immer wieder in großen Mengen verabreicht, um so den Winterdurst zu stillen, und auch an Futter wird nicht gespart. Das Futter muss zu Staub zermahlen sein, und die groβe Kunst ist, die richtige Mischung aus Maismehl, Soja sowie verschiedenen Getreidesorten zu finden. Eine Zusammensetzung, die die meisten Züchter als ihr Betriebsgeheimnis für sich behalten.

Aufgezogen werden zumeist die sehr ergiebigen afrikanischen Schnecken Helix aspersa maxima, auch die Groβen Grauen genannt, und die etwas kleineren Helix aspersa Müller. Den polnischen Winter würden diese Arten in freier Natur nicht überleben, sie sind somit keine Gefahr für die heimischen Bauchfüßler.

Wohlfühlprogramm

Damit die Exoten bereit sind sich fortzupflanzen, muss ein Wohlfühlprogramm in die Wege geleitet werden. Etwa zwanzig Grad Lufttemperatur. Bis zu achtzehn Stunden lang muss das künstliche Licht brennen. Dazu erfolgt eine regelmäßige Berieselung aus Sprühnebel-Düsen. Jeden Tag müssen Kot und Futterresten akkurat von den Tischen, auf denen die Schnecken herumkriechen, weggespült werden.

Bis zu elf Stunden kann es zur erfolgreichen Paarung dauern, denn Landschnecken sind Zwitter, doch sich selbst befruchten können sie sich nicht und müssen sich daher zunächst über ihr jeweiliges Geschlecht einig werden. Sie betasten einander mit den Fühlern, reiben lange die Unterseite ihrer glitschigen Körper aneinander. Stunden später, wenn sie denn wollen, bohren sich die Tiere jeweils in das Fleisch der Partnerschnecke und stoßen sogenannte Liebespfeile ab, um ein Hormonsekret zu übertragen.

Erst danach begatten sie sich und werden anschließend in Schälchen mit Erde gelegt, damit sie dort ihre in weiβe Kokons gehüllten Eier ablegen können. Dort herausgeklaubt, landen die Kokons in mit Erde gefüllten Styroporboxen. Je wärmer die Boxen gelagert werden, umso schneller platzt die weiβe Hülle und gelbbraune durchsichtige Eier mit Kleinschnecken darin kommen zum Vorschein. Jetzt ist es an der Zeit die Winzlinge aus den Boxen in Wärmetunnel mit viel Feuchtigkeit, der geeigneten Temperatur und sehr viel Licht zu verlegen. Täglich frisches Wasser und gutes Futter beflügeln die Mast. Mittlerweile ist es Ende Mai geworden und warm genug, um die Millionen von neuen Kriechern nach Drauβen zu befördern.

Abgesammelt wird zum ersten Mal im Juni, nachdem die Mutterschnecken, die den Winter über im Kühlraum verbrachten, sich gepaart haben. Die Haupternte findet im September statt, sobald die jungen Schnecken groß genug sind.

Weil die Weinbergschnecke (Helix pomatia) auch in Polen allmählich rar wird, und man vor allem in Frankreich praktisch jede Menge dieser Delikatesse absetzten kann, gehen die Züchter dazu über, auch der „Masurischen Auster“ das afrikanische Wohlfühlprogramm angedeihen zu lassen. Mit gutem Erfolg.

Schneckenkaviar schmeckt nach Wald

An einem Februarwochenende hatten die Drei von PSH an die zweihundert Interessierte aus ganz Polen zu einer kostenlosen Anleitung zum Schneckenzüchten zu Gast. Die Abnehmer im Ausland setzten auf kontinuierliche Lieferungen zu stabilen Preisen und in gleichbleibender, guter Qualität. Sich mit kleinen Züchtern im fernen Polen abzugeben ist den ausländischen Käufern zu viel Aufwand. Und da die Nachfrage noch immer gröβer ist als das Angebot, brauchen Firmen wie die PSH verlässliche Zulieferer. Anfang 2016 gab es in Polen um die einhundert bereits eingeführte Schneckenzuchtfarmen und circa zweihundert Neueinsteiger.

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Paweł Piwowarski (erster von rechts) erklärt Neueinsteigern aus ganz Polen wie Schneckenzucht funktioniert.

Der Schnupperkurs endete mit einer Verkostung. Es gab Schnecken mit Knoblauch in Tomatensoβe, wie die Spanier sie gerne essen. Man kostete Spaghetti mit Schnecken, nach italienischer Art. Probieren konnte man auch Schnecken mit Kräuterbutter, wie sie den Franzosen am besten schmecken. Der Zuspruch war nur anfänglich zögernd.

Ein Segment, in das die führenden Hersteller Polens, wie PSH, RKS Lubnica, Helixfood, Snails Garden oder Slow Farm mittlerweile vordringen, ist die Herstellung und Verarbeitung von Schneckenschleim, der als Mittel zur Glättung von Gesichtsfalten in hochwertigen Kosmetika zunehmend Verwendung findet.

Ganz zu schweigen vom Schneckenkaviar. Die kleinen weißen Kugeln werden in Döschen abgefüllt, sehen wie Forellenkaviar aus und schmecken nach Wald statt nach Fisch. Es ist immer noch eine verkannte Delikatesse, die den Feinschmeckern in Frankreich und den Scheichs am Golf jedoch bestens mundet.

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Ein Apfel täglich – Herrn Putin abträglich

Polen hat russisches Embargo gut weggesteckt.

Am 6. August 2014 verfügte Staatspräsident Wladimir Putin ein Einfuhrverbot für Agrarprodukte aus Ländern, die aufgrund der Krim-Besetzung gegen Russland Sanktionen verhängt hatten. Nach gut einem Jahr steht nun fest: der Agrar-Groβhersteller Polen hat das russische Embargo bislang gut weggesteckt. Russland wollte Polen und anderen EU-Staaten Schaden zufügen, hat aber vor allem sich selbst getroffen.

Das sind die Kernaussagen eines Berichtes, den der russische Volkswirt Jewgenij Gontmacher, stellv. Direktor des renommierten Instituts für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften und der polnische Politologe Ernest Wyciszkiewicz vom Polnisch-Russischen Dialogzentrum in Warschau Anfang November 2015 gemeinsam veröffentlicht haben.

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Spätsommer 2014. Russische Berhörden vernichten „Schmuggelobst“ aus Polen in der Nähe von Kaliningrad.

Moskaus Hoffnungen und Erwartungen bei der Verhängung der Gegensanktionen waren hochgesteckt und klar umrissen. Begleitet wurde diese Maβnahme von Vernichtungsaktionen, bei denen Planierraupen und Bagger vor laufenden Kameras Lebensmittel aus EU-Staaten in Matsch verwandelten. Der Wegfall des russischen Marktes für europäische Agrarprodukte sollte:

1. den EU-Agrarproduzenten Milliardenverluste zufügen;

2. Zehntausende von Arbeitsplätzen in der EU gefährden;

3. heftige Proteste hervorrufen, die die innenpolitische Festigkeit der einzelnen EU-Staaten nachhaltig untergraben und ihre Regierungen zwingen sollten, notgedrungen, einen russlandfreundlichen Kurs in der Auβenpolitik einzuschlagen;

4. Unfrieden zwischen den EU-Staaten säen;

5. die bis dahin eher schwach entwickelte russische Agrarproduktion ankurbeln.

Russland schadet sich selbst

Die Autoren widmen sich zuerst Russland. Dort haben sich zwischen Mai 2014 und Mai 2015 die Nahrungsmittel im Durchschnitt um 23% verteuert. So ist der Preis für Schweinefleisch um 23% gestiegen, der für Käse um 20%, für tiefgefrorenen Fisch um 38%, bei Mohrrüben beträgt die Preissteigerung 39%, bei Äpfeln 37% und bei Getreide 49%. Auch die Preise von Nahrungsmitteln, für die kein Einfuhrverbot bestand stiegen in ähnlichem Ausmaß: Zucker um 52%, Sonnenblumenöl um 23%, Nudeln um 21%.

Drei Umstände führten zu dieser Situation: die EU-Sanktionen, die daraufhin verhängten russischen Einfuhrverbote und der Verfall des Rubel.

Derweil kommt die ausgeweitete russische Agrarproduktion nur schwer in Gang. Eine industriemäβige Fischzucht und Tierhaltung erfordern enorme Investitionen. Putin jedoch hat das Embargo zunächst für ein Jahr verhängt, dann um ein weiteres Jahr verlängert. Diese Zeiträume sind zu kurz, um gewaltige Ausgaben zu wagen. Umso mehr als Bruteier, Kälber, Futtermittelzusatzstoffe für Milchvieh und Fischbrut, Kartoffelsetzlinge, Zuckerrüben und Mais für eine Massenproduktion in Russland teuer im Westen gekauft werden müssten.

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Die ausgeweitete russische Agrarproduktion kommt nur schwer in Gang.

Zudem sind den russischen Verbrauchern unverändert importierte Nahrungsmittel lieber als einheimische, und sie werden in ihrer Haltung noch bestätigt. Der hohe Preisanstieg hat die Nachfrage gedrosselt. Um Käufer zu locken, drücken russische Hersteller massiv die Kosten. Schlechte Qualität ist die Folge. Laut offiziellen russischen Angaben entsprechen 23% der heimischen Milchprodukte, darunter 78% des Käses, nicht den Normen.

Polen weiβ sich zu helfen

Dem ersten Anschein nach versetzte Russland mit seinen Embargomaβnahmen Polen einen schmerzlichen Schlag. Der Verlust eines groβen Absatzmarktes, der zudem fast vor der Haustür lag, sollte enorme Einbuβen nach sich ziehen, polnische Getreidebauern, Viehhalter, Obstproduzenten und die gesamte Lebensmittelbranche auf die Barrikaden treiben. Bevorstehende Kommunalwahlen (November 2014), Präsidentschafts- und Parlamentswahlen (im Mai bzw. Oktober 2015) schienen die Verantwortlichen in Warschau besonders erpressbar zu machen. Doch der Kreml hatte sich verhoben.

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Polnische Lebensmittel bei Tesco in Groβbritannien.

Die gesamten polnischen Exporte des Jahres 2014 beliefen sich auf 165 Mrd. Euro. Davon entfielen 26,3% auf Deutschland, 6,4% jeweils auf Tschechien und Groβbritannien, 5,6% auf Frankreich, 4,5% auf Italien, 4,2% auf Russland und 4,1% auf die Niederlande. Demnach verkaufte Polen 2014 deutlich mehr Waren und Dienstleistungen nach Tschechien (für knapp 11 Mrd. Euro) als nach Russland (für 7 Mrd. Euro), das immerhin vierzehnmal mehr Einwohner zählt.

Für 2015 wird ein Rückgang des Russland-Anteils am polnischen Export von 4,1 auf 2,8% vorhergesagt. Die Ausfuhr polnischer Äpfel, Birnen und anderer Obstsorten, polnischen Gemüses, von Haselnüssen (2013 kaufte Russland immerhin 90 Tonnen), Schweinefleisch und Käse ist 2015 bei null angelangt.

Anfänglich hat das russische Embargo sehr vielen polnischen Agrarproduzenten das Leben schwer gemacht. Lkw-Transporte mussten umkehren, Lagerhallen quollen über, die oft schnell verderbliche Ware musste zu Schleuderpreisen abgestoβen werden.

Schon im August 2014 gab die EU-Kommission bekannt, es werde EU-weit Kompensationszahlungen für Embargo-Geschädigte geben.

Nach anfänglicher Orientierungslosigkeit, einer Unlust zu handeln und der Unterschätzung der Embargo-Verluste durch die Verantwortlichen in Warschau, gelang es schlussendlich doch noch das EU-Hilfsprogramm in Anspruch zu nehmen.

Polnische Obst-und Gemüsebauern bekamen bis Juni 2015 insgesamt 155 Mio. Euro Entschädigung. Die zweite Tranche von 200 Mio. Euro soll bis Ende Juni 2016 ausgezahlt werden.

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Polnischer Stand bei der Agrar-Messe in Schanghai 2014.

Zuvor, bereits im Frühherbst 2014. hatte es eine massive Werbekampagne gegeben: „Iss polnische Äpfel, Putin zum Trotz“, die in kurzer Zeit eine Verdopplung der Binnennachfrage nach polnischem Obst mit sich gebracht hatte. Gleichzeitig startete das Landwirtschaftsministerium in Warschau eine emsige Suche nach Ersatzmärkten in Südostasien, im Nahen Osten und Nordafrika. Sie wurde von Erfolg gekrönt.

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Polnische Präsentation bei der Agrarmesse in Abu Dhabi 2015.

Die Zahlen belegen es. Der polnische Agrarexport wuchs 2014 um 7,1%, für 2015 wird ein Zuwachs von 6,5% vorhergesagt. Russlands Embargo hat anfänglich wehgetan, aber es hat auch Anpassungsmaβnahmen erzwungen, die den polnischen Agrarexport schon ein Jahr später gegen russische Sanktionen praktisch immun gemacht haben.

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Araber für Millionen

Bieten und bewundern. Janów Podlaskis Pferdezauber.

Was für ein Anblick, wenn sie sich in der Arena hoch aufbäumen, erhaben schnauben und dann mit donnernden Hufen dahinpreschen! „Pride of Poland“, der Stolz Polens, nennt sich die Araber-Pferdeschau in Janów Podlaski, im Osten des Landes, nur einen Kilometer von der weiβrussischen Grenze entfernt. Dorthin zieht es jedes Jahr im August Schaulustige aus ganz Polen und  betuchte Pferdezüchter aus aller Welt. Höhepunkt ist stets die Auktion, bei der in diesem Jahr ein neuer Rekord aufgestellt wurde: die 10jährige Schimmelstute „Pepita“ ging für 1,4 Mio. Euro in die Schweiz.

Wie „Pepita“ bei „Pride of Poland“ 2015 versteigert wurde, zeigen diese stimmungsvollen Filmaufnahmen.

Polen, seit jeher ein wichtiges Pferdeland, hat sich in den letzten Jahren endgültig zu einer europäischen Groβmacht auf dem Gebiet der Araberzucht hochgearbeitet. Es kann sich heute, als eine von nur wenigen Nationen, dem Wettbewerb mit den weltbesten Haltern in Nahost auf Augenhöhe stellen.

„In Belgien, Deutschland, Italien, in den skandinavischen Ländern, die einst durchaus führend waren, schwächelt die Araberzucht seit einiger Zeit. Sie ist kurzatmig geworden. Die besten Pferde von dort gelangen umgehend nach Nahost. Zu sehr setzt man auf den schnellen Gewinn, aber die Zucht des reinsten Geblütes, mit den wertvollsten Arabern erfordert viel Zeit, Geduld und Anstrengung“, sagt Leszek Świętochowski, der Chef aller staatlichen Gestüte Polens, und erläutert die Vorgehensweise der staatlichen Züchter so: „Wir setzen auf Beständigkeit und nicht auf das schnelle Geld. Die besten Pferde werden nicht veräuβert. In diesem Jahr haben wir zwar einige Prachtstuten zur Auktion freigegeben, aber erst nachdem sie bei uns eine Reihe an Nachwuchs zurückgelassen haben.“

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Die diesjährige Auktion bestätigte wieder einmal, dass sich Ausdauer auszahlt. Für die zweitteuerste Stute „Pistroria“ zahlte ein Käufer aus den Emiraten 665.000 Euro. Von den 28 Stuten, die angeboten wurden, wurden 22 verkauft. Der Gesamterlös betrug 3,95 Mio. Euro.

Kunstwerke die sich vermehren

Bevor die eigentliche Versteigerung die Emotionen zum Sieden bringt, findet die „Nationale Vorführung der Araberpferde“ statt. Staatliche und private Züchter präsentieren ihre besten Hengste und Stuten. Stand, Schritt, Trab, Freilauf, die Vorführer geben ihr Bestes. Eine dreiköpfige Jury bewertet die Pferde in der Arena, vergibt wie am Flieβband maximal zwanzig Punkte jeweils für Typ, Kopf und Hals, Gebäude (Rumpf), Fundament (Beine) und Bewegung. Die abschließende Bewertung ergibt sich aus der Summe der fünf Teilnoten.

Immer neue Pferde erscheinen auf dem Rasen, für einen Laien, eines so schön wie das andere. In den Logen, die Elite der polnischen Entscheidungsträger, Fachleute, Züchter. Monika Luft ist Herausgeberin des Internet-Fachportals „polskiearaby.com“. Für sie sind Araberpferde Kunstwerke: „Es gibt viele Sammler, die solche lebendigen Kunstwerke in ihren Ställen unbedingt haben wollen. Bilder oder Skulpturen können sich nicht vermehren. Araberpferde dagegen sind Meisterstücke die sich reproduzieren. Auch das ist so faszinierend an ihnen.“

Anna Stojanowska, seit Jahren schon im polnischen Landwirtschaftsministerium zuständig für die Pferdezucht, ist eine der Schlüsselfiguren im polnischen Arabergeschäft. Sie genieβt es sichtlich, die Schauen und die groβe Versteigerung als polnische Co-Ansagerin und Co-Auktionatorin, zusammen mit einem eigens angereisten amerikanischen Profi, zu leiten.

„Das Araberpferd ist ein ausgesprochen schönes Tier. Es hat einen kleinen, formvollendeten Kopf, funkelnde Augen, eine graziöse Art sich zu bewegen, typisch ist auch die hohe Schweifhaltung. Die einen suchen Zuchtaraber, die ihnen den besten Nachwuchs garantieren, andere wiederum wollen mit ihnen vor allem bei Schauen reüssieren. Wieder andere wünschen sich in erster Linie ein schönes Reitpferd, und es gibt auch diejenigen, die das alles in einem Pferd vereinigen möchten“, sagt Stojanowska und beeilt sich, der gerade vorbeieilenden Shirley Watts die Hand zu schütteln.

Rolling-Stones-Schlagzeuger Charly Watts mit Ehefrau Shirley bei "Pride of Poland" 2014.
Rolling-Stones-Schlagzeuger Charly Watts mit Ehefrau Shirley bei „Pride of Poland“ 2014.

Die Ehefrau des Rolling-Stones-Schlagzeugers Charly Watts, der 2015 ausnahmsweise nicht mit dabei ist, gehört in Janów Podlaski seit gut drei Jahrzehnten zur Stammkundschaft. Die Ställe und weitläufigen Weiden der führenden britischen Züchterin, gelten geradezu als ein Pferdeparadies. Stets anwesend sind Amerikaner, ebenso wie die zahlreichen Mitglieder und Vertreter arabischer Herrscherfamilien aus den Golfstaaten. Kein Wunder, dass bei der Festlegung des Termins von „Pride of Poland“ stets die Faustregel gilt: nicht früher als zwei Wochen nach dem Ende des Ramadan. Hingegen zum ersten Mal, besuchte 2015 eine chinesische Beobachter-Gruppe die Auktion. Die Veranstalter versprechen sich viel von dieser Erkundungsreise.

Privatisierung wäre das Ende

Die legere Kleidung, die auch von den Besuchern im VIP-Bereich ausnahmslos getragen wird, macht eine Zuordnung, Groβ-VIP, Klein-VIP oder nur VIP-Personal, für einen Nicht-Kenner der Szene fast unmöglich. Doch, will man diese Leute zufriedenstellen, müssen sie Araber präsentiert bekommen, die mit der Zeit galoppieren. Marek Trela, Direktor des Janower Gestüts, fasst das so zusammen: „Pferde, die noch vor 30 oder 25 Jahren die höchsten Preise bei den wichtigsten Championaten errangen, sind inzwischen ganz und gar out. Heute gefallen den Käufern zartere, raffiniertere Erscheinungen mit sehr markant geformten Köpfen am besten.“

Wie es bei den Auktionen in Janów Podlaski zugeht und wie schön die Pferde sind, die in diesem Jahr angeboten wurden zeigt dieser Film.

Jerzy Białobok, Direktor des zweitgröβten, staatlichen Araber-Gestüts in Michałowice, unweit von Kielce in Mittelpolen, der die Stute „Pistoria“ (665.000 Euro) nach Janów Podlaski mitbrachte, schildert die heutige Situation der polnischen Araberzucht: „Dank Janów und Michałowice ist das polnische Zuchtprogramm nach dem Krieg wie Phönix aus der Asche entstiegen. Auf dieser Grundlage entwickeln sich inzwischen viele private Aktivitäten. Es gibt in Polen etwa 1.200 Araber-Stuten, davon befinden sich 350 in staatlichem Besitz. Die gröβten privaten Halter haben bis zu dreiβig Tiere. Doch darauf kann man nicht bauen. Viele Züchter geben nach einiger Zeit auf, weil ihnen der Aufwand zu groβ ist, beziehungsweise weil das Geschäft, aus dem sie ihre Leidenschaft finanziert haben, gelitten hat oder gar zusammengebrochen ist. In den 90er Jahren gab es Pläne, wie vieles andere, auch die polnische Araberzucht zu privatisieren. Das wäre das Ende gewesen. Zum Glück spricht heute niemand mehr davon.“

Sieben Generationen Araberliebe

Das Gestüt Michałowice existiert seit 1953. Janów Podlaski feiert bald sein zweihundertjähriges Bestehen. Doch wie kamen die Araberpferde eigentlich nach Polen?

Fürst Hieronim Janusz Sanguszko (1743-1812) gilt als Bergründer derArabe-Pferderzucht in Polen.
Fürst Hieronim Janusz Sanguszko (1743-1812) gilt als Bergründer derAraber-Pferderzucht in Polen.

Zunächst mit den Türken und Tataren, gegen die das Land seit dem 14. Jh. bis ins späte 17. Jh. fast ständig Krieg führte. Die reguläre Zucht begann jedoch erst nach 1803, als Polen schon dreigeteilt war. Fürst Hieronim Sanguszko, dessen Reichtum als „fast unermäβlich“ beschrieben wurde, schickte seinen Stallmeister Kajetan Burski in die Wüsten Arabiens, mit dem Auftrag bei den Beduinen Araber zu kaufen. Die fünf Pferde, die Burski nach vielen Abenteuern mitbrachte, erweckten viel Bewunderung und Neid.

Nach 1815 holte Graf Wacław Rzewuski, ein Abenteurer und ausgewiesener Kenner orientalischer Kultur, der viel Zeit bei den Beduinen verbracht hatte, nach und nach 137 reinrassige Araber nach Europa und gründete 1817, mit Genehmigung des russischen Zaren, das Gestüt in Janów Podlaski. Die bis heute erhaltenen klassizistischen Gebäude schuf damals der Italiener Enrico Morini.

Graf Wacław Seweryn Rzewuski (1784-1831), in Arabien wie in Polen zu Hause, gründete 1817 das Gestüt in Janów Podlaski.
Graf Wacław Seweryn Rzewuski (1784-1831), in Arabien wie in Polen zu Hause, gründete 1817 das Gestüt in Janów Podlaski.

Der Zweite Weltkrieg vernichtete dann geradezu barbarisch mehr als einhundert Jahre harter Arbeit. Am 7. September 1939 begann die chaotische Evakuierung des Gestüts vor den herannahenden deutschen Truppen gen Osten. Zehn Tage später überfiel die Sowjetunion Polen. Auf überfüllten Straßen, unter dem Beschuss der Tiefflieger, ging es zurück nach Janów, um den Sowjets zu entkommen. Viele Pferde verendeten, rissen aus, wurden gestohlen, doch ein Teil des Bestandes konnte gerettet werden.

Die Deutschen, die sich inzwischen in Janów einquartiert hatten, räumten den Ort im Oktober 1939. Hitler und Stalin teilen sich das besiegte Polen, Janów wurde der Sowjetunion zugeschlagen. Die Sowjets brachten die prächtigen Araber, die sich gerade mal ein wenig erholen konnten, bis ans Kaspische Meer, wo die edlen Tiere, in primitivsten Verhältnissen untergebracht, elend verendeten.

Im Sommer 1940 kam Janów, aufgrund einer Korrektur der sowjetisch-deutschen Demarkationslinie, abermals unter deutsche Besatzung. In den groβen Ställen standen nur noch einige wenige, alte, kranke, fast wertlose Araber. Kommandant in Janów wurde Oberst Hans Fellgiebel, ein Pferdekenner- und Liebhaber, zudem der jüngere Bruder von General Erich Fellgiebel, dem späteren Verschwörer des 20. Juli.

Polen anständig behandelt. Der deutsche Kriegskommendant des Gestütes Janów Podlaski, Oberrst Hans Fellgiebel.
Polen anständig behandelt. Der deutsche Kriegskommendant des Gestütes Janów Podlaski, Oberrst Hans Fellgiebel.

Zusammen mit dem polnischen Gestütsleiter Stanisław Pohoski und seinem Stellvertreter Andrzej Krzyształowicz begannen sie im Auftrag der Wehrmacht die Zucht wiederaufzubauen. Nach dem Krieg gelang es dann Krzyształowicz, als langjährigem Direktor, Janów wieder seine alte Gröβe zu verlehien. Seine Büste ist heute in dem schönen Park, der das Gestüt umgibt nicht zu übersehen.

Direktor Andrzej Krzyształowicz (1915-1999) hat dem Janower Gestüt zu seine heutige Bedeutung verliehen.
Direktor Andrzej Krzyształowicz (1915-1999) hat dem Janower Gestüt seine heutige Bedeutung verliehen.

Oberst Fellgiebels Bemühungen um die Zucht und sein anständiges Verhalten gegenüber der polnischen Belegschaft wurden nach dem Krieg honoriert. Zweimal, 1957 und 1969, hat man ihn in Janów Podlaski überaus freundlich empfangen.

Die befohlene Evakuierung der Pferde vor den heranziehenden Russen konnte aber auch er nicht verhindern. Es begann eine gefährliche und abenteuerliche Odyssee durch Niederschlesien, Sachsen, Böhmen. In einem Auβenbezirk Dresdens überlebte der Transport die verherenden Luftangriffe zwischen dem 13. und 15. Februar 1945. Später beschlagnahmten die Sowjets zwei der besten Pferde, um sie dem amerikanischen General George Patton als Beweis ihrer Freundschaft zu schenken. Erst 1946 gelang es den polnischen Stallmeistern den kläglichen Rest ihrer Schützlinge nach Janów zurückzubringen, zu den schneeweiβen Stallungen mit dem markanten Uhrenturm am Ende einer langen Ulmenallee.

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Passkontrolle an der Scholle

Kein Agrarland in Ausländerhand, fordern Polens Bauern.

Im Frühjahr 2015 wurden in Polen für einen Hektar Agrarland auf dem freien Markt im Schnitt 25. 300 Zloty (gut 6.300 Euro) gezahlt; das waren 12 % mehr als ein Jahr zuvor. Das lockt ausländische Käufer.

Bei Privatisierungen durch die staatliche Agentur für Landwirtschaftliche Immobilien (Agencja Nieruchomości Rolnych – ANR) stieg der Kaufwert durchschnittlich um 12,4 % auf 24.670 Zloty (knapp 6.200 Euro/ha). Am gefragtesten waren hierbei große Flächen in der Nähe von landwirtschaftlichen Betrieben. So haben laut ANR-Angaben Grundstücke mit einer Größe von 100 bis 300 ha im Frühjahr 2015 bei Versteigerungen im Schnitt 28.000 Zloty (7.000 Euro/ha) eingebracht. Grundstücke mit 1 bis 10 ha kosteten hingegen günstigere 20.400 Zloty (5.100 Euro/ha).

Die höchsten Preise haben Investoren bei Privatisierungen in der Woiwodschaft Wielkopolskie (Groβpolen – Poznań, ca. 9.300 Euro/ha) Śląskie (Schlesien – Katowice, 9.250 Euro/ha) und Opolskie (Oppeln, 9.200/ha) gezahlt. Am unteren Ende der Skala befanden sich die Woiwodschaften Świętokrzyskie (Heiligkreuz – Kielce, ca. 3.400 Euro/ha), Podlaskie (Białystok, ca. 3.900 Euro/ha) und Podkarpackie (Vorkarpatenland – Rzeszów, ca. 4.050 Euro/ha).

Die polnischen Landwirte haben in den letzten Jahren ihre Betriebe modernisiert und dadurch die Ressourcen ihrer bisher verfügbaren Flächen ausgeschöpft, heiβt es in einem Kommentar zu diesem Bericht. Die einzige Möglichkeit, den Umsatz zu steigern, sei jetzt für die Bauern die Ausweitung ihrer landwirtschaftlich nutzbaren Flächen. Deshalb übersteige die Nachfrage derzeit das Angebot, und dieser Trend werde sich fortsetzen.

Mit und ohne Genehmigung

Zum Vergleich: 1 ha Agrarland koste in Bayern durchschnittlich ca. 41.000 Euro, in NRW – ca. 35.000 Euro, in Schleswig-Holstein – 26.000 Euro, in Hessen – 15.000 Euro, in Thüringen und Brandenburg – ca. 8.600 Euro. Die Preise in der polnisch-deutschen Grenzregion haben sich somit auf beiden Seiten in etwa angeglichen.

Noch können Ausländer in Polen Agrarland nur mit einer Sondergenehmigung kaufen oder pachten. Nach offiziellen Angaben des Warschauer Innenministeriums gibt es nicht viele ausländische Käufer. So haben sie in der Woiwodschaft Zachodniopomorskie (Westpommern – Szczecin) zwischen 2011 und 2013 lediglich 23 ha erworben.

In ganz Polen kaufen Ausländer offiziell etwa 1.000 bis 3.000 ha im Jahr. Insgesamt befinden sich nicht ganz 50.000 ha polnischen Ackers zurzeit in ausländischem Besitz.

Doch der Schein trügt. So haben zwischen 2011 und 2013 Firmen mit ausländischer Minderheitsbeteiligung allein in Westpommern 3.000 ha Agrarland gekauft. Zudem kauften sich Ausländer in der gleichen Region und Zeit in polnische Agrarunternehmen ein, die etwa 5.000 ha ihr Eigen nennen. In beiden Fällen braucht man dazu keine Genehmigung. Zu gegebener Zeit verwandeln sich solche Firmen dann, auf dem Wege der Kapitalerhöhung, in ausländisches (zumeist holländisches, deutsches und britisches) Mehrheitseigentum. Völlig im Dunkeln liegt die Zahl von Landkäufen, bei denen Polen nur als Strohmänner fungieren.

Planerfüllung geht vor

Gerade in der Woiwodschaft Westpommern kam es deswegen in den letzten Jahren wiederholt zu groβen Protesten polnischer Bauern, die ihre Betriebe erweitern wollten. Die ausländischen Käufer jedoch, treiben die Preise in die Höhe. Die Bauern werfen dem Landwirtschaftsministerium in Warschau und der ANR Versäumnisse und Leichtsinn vor.

In der Vergangenheit waren gerade die ehemaligen deutschen Ostgebiete in Polen (Pommern, das südliche Ostpreuβen, Niederschlesien) die Gegenden, in denen es sehr viel Agrarland in staatlichem Besitz gab. Unmittelbar nach dem Krieg entstanden dort oft riesige Staatsgüter, dadurch dass deutscher Groβgrundbesitz zusammengelegt wurde. Die Kommunisten verstaatlichten diesen Grund und Boden am liebsten und sahen die neuen polnischen Landbewohner gerne als Landarbeiter und nicht als selbständige Bauern. Privateigentum sollte es ja im Kommunismus nach Möglichkeit nicht geben.

Nach dem Ende des Kommunismus, 1990, kam der schnelle Niedergang der einst hochbezuschussten Staatsgüter. Die ANR-Treuhand übernahm sie, um anschließend das Land zu verkaufen oder zu verpachten. Am Anfang waren knapp 5 Mio. ha. im Bestand der ANR, heute handelt es sich noch um 1,6 Mio. ha, wovon 1,3 Mio. ha verpachtet sind.

Um die Staatskasse aufzufüllen wird auf die ANR viel Druck ausgeübt, damit möglichst schnell, noch möglichst viel Agrarland verkauft wird. Die Vorgaben sind hoch. Deswegen, so die Bauernverbände und die Opposition, scheren sich die Angestellten in den ANR-Regionalbüros wenig darum, wem sie Land verkaufen. Planerfüllung geht vor.

Wieviel polnisches Agrarland sich tatsächlich in ausländischem Besitz befindet, ist unter den gegebenen Umständen nicht feststellbar.

Bald wird es ohnehin keine Hindernisse mehr geben. Am 1. Mai 2016 sollen die im EU-Beitrittsvertrag festgelegten Beschränkungen für Ausländer fallen. Theoretisch warten auf sie in Polen insgesamt 14 Mio. ha Agrarland. Stand heute (rechnet man 25.000 Zloty pro ha) handelt es sich dabei somit um einen Gesamtwert von ca. 350 Mrd. Zloty (gut 87 Mrd. Euro). Angesichts der enormen Kaufkraft ausländischer Inverstoren gibt es in Polen immer mehr Befürchtungen vor einem Ansturm aus dem Westen.

Die Debatte ist sehr emotionsbeladen. Alarm schlagen die Bauern, ihre Organisationen, die nationalkonservativen Medien und die Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Sie fordern juristische Beschränkungen und weisen darauf hin, dass es solche Beschränkungen in den meisten Ländern der alten EU durchaus gibt.

In Frankreich sind die Regulierungen dermaβen streng, dass ein Ausländer oder gar ein französischer Anleger, der in Zeiten niedriger Zinsen in Agrarland investieren möchte, kaum eine Chance dazu hat. In Dänemark muss ein ausländischer Käufer seine heimatliche Scholle veräuβern, sich im Land dauerhaft niederlassen und entsprechende Qualifikationen vorweisen, bevor er sich als Landwirt betätigen darf. Auch in Deutschland können Behörden einschreiten, wenn der begründete Verdacht besteht, der Kauf diene rein spekulativen Zwecken. Spanische Vorschriften favorisieren eindeutig einheimische Familienbetriebe auf dem Lande.

Bloβ nicht in Brüssel anecken

All das hat man im EU-Musterland Polen nicht. Entsprechende Gesetzentwürfe gibt es, sie werden jedoch von der regierenden Koalition aus Bürgerplattform (früher Tusk, jetzt Ministerpräsidentin Kopacz) und Bauernpartei (PSL) blockiert. Man möchte keine Scherereien mit Brüssel haben.

Derweil bekommen Polens Bauern auch im elften Jahr der EU-Mitgliedschaft deutlich niedrigere Direktzahlungen als ihre Westeuropäischen Kollegen. EU-Gelder für die Entwicklung des ländlichen Raums kommen vor allem den reichsten Landwirten zugute. Nicht selten werden sie von Unternehmern, die keine Landwirte sind abgefangen. Nur 10% der Gelder aus dem EU-Kohäsionsfond werden in Polen auf dem Lande ausgegeben, obwohl dort 38% der polnischen Bevölkerung wohnt.

Die politische Klientel der mitregierenden Bauernpartei (PSL) ist gut versorgt, die Wähler der Tusk-Kopacz-Partei (PO) leben ehedem nicht auf dem Lande. Die Regierungskoalition kann es sich seit acht Jahren erlauben eine Entstaatlichung des ländlichen Raums zu betreiben. Schulen, Postämter, Polizeiwachen, Überlandbusverbindungen, Bahnstationen werden massenhaft geschlossen.

Hinzu kommt der mangelnde oder gar fehlende Schutz der Rechte der Landbevölkerung. Es geht um breit angelegte Betrügereien, bei denen gelieferte Produkte (vor allem Getreide, Schweine und Obst) nicht bezahlt werden. Die Polizei erklärt sich in der Regel für nicht zuständig, Staatsanwaltschaften stellen die Verfahren schnell ein, kommt es dennoch zum Verfahren, verhandeln Gerichte im Schneckentempo. Nur Banken handeln binnen kurzer Zeit.

Land auf Zwangsversteigerungen zu erwerben wird im ländlichen Polen traditionell gemieden. Ausländer allerdings dürften da viel weniger Vorbehalte haben.

© RdP




Was wollen die Bauern

Ein Fachpolitiker beurteilt, ein Landwirt berichtet.

Tagelang war Warschau im Februar 2015 Schauplatz intensiver Proteste der Landwirte, organisiert von der Bauern-Solidarność und der Bauerngewerkschaft im postkommunistischen Gesamtpolnischen Gewerkschaftsverband OPZZ. Dass diese beiden Organisationen, ansonsten miteinander verfeindet, Hand in Hand agierten, ist bisher einmalig und ein Beweis für die feste Entschlossenheit der Landbevölkerung für ihre Interessen einzustehen.
Regierung und regierungsnahe Medien haben die Proteste als unberechtigt und überzogen eingestuft. Von Dreistheit, Unverschämtheit und Parasitentum war sogar die Rede. Die Bauern bekommen Direktzahlungen aus der EU. Der Staat finanziert zu gut 90% ihre Krankheitskosten und Renten, da Bauern nur Kleinstbeiträge in ihre Renten- und Krankenkasse (KRUS) einzahlen, die nicht vergleichbar sind mit den Beiträgen anderer Berufsgruppen. Sie entrichten keine Einkommenssteuer. Sie bekommen jährlich umgerechnet ca. 20 Euro Diesel-Geld pro Hektar aus der Staatskasse, und so weiter, und so fort…. Kurzum: Horden schlitzohriger, zahnlückenstrotzender Rüpel haben ihr Schlaraffenland in der Provinz verlassen und sich auf ihren Monster-Treckern auf den Weg nach Warschau gemacht, weil sie den Hals nicht vollkriegen können. So in etwa die offizielle Auslegung.

Krzysztof Ardanowski
Krzysztof Ardanowski

Krzysztof Ardanowski ist Sejm-Abgeordneter der nationalkonservativen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und war Berater für Agrarfragen des im April 2010 tödlich verunglückten Staatspräsidenten Lech Kaczyński. Mit ihm sprach am 19. Februar 2015 das Internetportal „wPolityce.pl“ („inderPolitik.pl“). Nachfolgend die wichtigsten Passagen:

Frage: Glauben Sie, dass die Bauern mit ihren Forderungen zu 100% Recht haben?

Ardanowski: Da vermischt sich sehr Wichtiges mit weniger Bedeutendem. Das schafft Raum für Manipulationen und die Darstellung der Bauern als habgieriger Krawallmacher.

Frage: Worum geht es also?
                                     

                                     Gleichberechtigung

Ardanowski: Die Bauern fordern keine neuen Privilegien, wie ständig behauptet wird. Wer so redet, der hat keine Ahnung von der EU-Agrarpolitik. Die polnischen Bauern (gut 1,3 Mio. von ihnen bekommen EU-Direktzahlungen – Anm. RdP) denken so: wenn wir auf der Ausgabenseite schon die allgemeingültigen Anforderungen und hohen Kosten der EU-Mitgliedschaft tragen müssen (teure Sanitär-, Veterinär- und Umweltschutzmaβnahmen), dann wollen wir auch auf der Einnahmenseite wie die anderen EU-Bauern behandelt werden. (…)

Frage: Die polnischen Bauern nehmen es den Verantwortlichen übel, dass sie nicht wie ihre Kollegen in Deutschland oder Frankreich behandelt werden. (500 Euro pro Hektar EU-Direktzahlungen gibt es in Griechenland und auf Malta, ca. 100 Euro in Lettland, in Polen etwa 200 Euro pro Hektar, in Frankreich ca. 250 Euro, in Deutschland ca. 300 Euro pro Hektar, der EU-Durchschnitt liegt bei ca. 250 Euro – Anm. RdP). Haben sie recht damit?

Ardanowski: Ganz und gar. Politiker der Bauernpartei PSL (sie ist der kleine Koalitionspartner der seit 2007 regierenden Bürgerplattform PO und stellt den Landwirtschaftsminister Marek Sawicki – Anm. RdP) behaupten, dass Bauern in Lettland und Bulgarien noch kleinere EU-Direktzahlungen bekommen, aber dort gibt es kaum Landwirtschaft. Zehn Jahre nach dem EU-Beitritt muss sich Polen in eine Reihe mit Frankreich, Deutschland, Dänemark oder Holland stellen – Ländern die ähnlich viel wie wir produzieren, aber viel höhere Direktzahlungen und Unterstützungen für ländliche Gebiete bekommen.
Es war ein strategischer Fehler, der während der Verhandlungen (betreffend des neuen EU-Haushaltes 2013-2020 – Anm. RdP) gemacht wurde. Vertreter der Regierung Tusk haben sich sehr passiv in Sachen Landwirtschaft verhalten. Der polnische Landwirtschaftsminister (Marek Sawicki – Anm. RdP) war sehr zurückhaltend…. Aber auch wenn er viel offensiver agiert hätte, es wäre ihm im Alleingang nicht gelungen die Gleichstellung der polnischen Bauern zu erwirken. Ohne tatkräftige Unterstützung in Brüssel durch den eigenen Ministerpräsidenten, den Finanzminister, den Wirtschaftsminister, durch das ganze Kabinett, ist das nicht machbar. Donald Tusk aber pokerte gerade um seinen neuen Posten des EU-Ratspräsidenten. Ein Tusk, der aufmuckt, der fordernd auftritt, wäre schnell aus dem Rennen. Der Preis für seinen Posten war sein Stillhalten.

Frage: Das war‘s also?
                                                     

 Hilfe in der Not

Ardanowski: So sieht es aus. (…) Die Bauern haben in den letzten Jahren viel investiert. Die Regierung und ihre Medien wurden nicht müde den „polnischen Aufschwung“ zu rühmen. Dem Landvolk wurde eingetrichtert: nehmt Kredite auf, dann habt ihr die geforderten Eigenmittel, um in den Genuss der EU-Fördermittel aus dem Topf „Unterstützung ländlicher Gebiete“ zu kommen. Es hieβ, die gute Konjunktur für Agrarprodukte werde noch lange anhalten. Sehr viele Bauern haben so in die Milchproduktion, in die Schweinezucht, den Obstanbau usw. investiert. Inzwischen aber ist der Preis für 1 l Milch von 1,70 Zloty (ca. 0,40 Euro) auf unter 1 Zloty (ca. 0,24 Euro) gefallen. (Für 1 kg Kartoffeln werden den Bauern 0,02 Zloty (0,004 Euro) gezahlt. Für 1 kg Schwein bekommen sie im Durchschnitt 3,50 Zloty (0,85 Euro), im Juli 2014 waren es noch 5,50Zloty (ca. 1,35 Euro). Viele können ihre Kredite nicht mehr bedienen – Anm. RdP).

Frage: Wirtschaftsliberale sagen, Risiko gehört zum Geschäft. Wer einen Kredit aufnimmt, muss damit rechnen, dass er scheitert.

Ardanowski: Nur, in der EU-Landwirtschaft gibt es keinen freien Markt. Alles ist reguliert, vorgegeben, reglementiert. (…) Die Bauern können ihre Kosten kaum mehr senken. Den versprochenen stabilen Agrarmarkt, bei dem die Bauern auf Hilfe in der Not bauen können, gibt es nicht (angesichts des russischen Embargos, der Afrikanischen Schweinepest, des vor kurzem verhängten Verbotes der industriellen rituellen Schächtung – die polnischen Rindfleischexporte nach Israel und in arabische Staaten hatten einen Wert von 800 Mio. Euro im Jahr – Anm. RdP).

Frage: Stichwort Milchproduktion.

Ardanowski: Erstens. Die EU-Kommission hat für Milchproduzenten, die vom russischen Embargo getroffen wurden, ein Hilfsprogramm vorbereitet, von dem Litauen, Lettland, Estland und Finnland profitieren werden. Polen nicht, weil das polnische Landwirtschaftsministerium nicht rechtzeitig die erforderlichen Angaben und Unterlagen nach Brüssel geliefert hat!!!
Zweitens. Gleichzeitig wurden polnische Milchbauern mit hohen Strafen wegen Überschreitens der Milchquoten im Quotenjahr 2013/2014 belegt: insgesamt 46 Mio. Euro. Die entsprechende Behörde hat in den letzten fünf Monaten alle Auszahlungen für gelieferte Milch beschlagnahmt, um das Geld einzutreiben.
Drittens. Am 1. April 2015 werden die EU-Milchquoten abgeschafft. Polnische Milchbauern witterten darin eine Chance für sich, und erhöhten vorauseilend den Milchviehbestand, um gut „durchzustarten“. Vieles von der gestiegenen Produktion fiel noch in das letzte Quotenjahr 2014/2015. Die Strafen für polnische Milchbauern wegen Überproduktion werden dieses Mal ca. 200 Mio. Euro betragen. Die Strafe pro Milchbauer und abgeliefertem Liter soll sich auf 0,90 Zloty (ca. 0,21 Euro) belaufen. Das heißt, die Milchbauern werden eine Zeitlang völlig leer ausgehen. Die Gerichtsvollzieher interessiert das leider nicht im geringsten.
Die Proteste haben inzwischen einen Teilerfolg gebracht. Die EU-Kommission hat versprochen die Strafzahlungen von einem auf drei Jahre zu verteilen.

Frage: Stichwort Schweinefleisch.

Ardanowski: Auch hier hat sich die Situation dramatisch verschlechtert. Aufgrund des russischen Embargos ist ein enormes Überangebot auf dem gesamten EU-Markt entstanden. Die Preise sind im Keller angelangt, es tobt ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb. Polen wird von Schweinehälften aus Dänemark und Deutschland regelrecht überflutet. Jetzt rächt sich die überstürzte, reichlich naive Privatisierung der polnischen Industriemetzgereien. Anstatt den umliegenden Bauern Anteile an den Betrieben zu gewähren, wurde z. B. 2004 die gröβte polnische Schlachterei Sokołów Podlaski (7 Fabriken) an den finnischen Fleischkonzern HK Ruokatalo und die dänische Firma Danish Crown verkauft. Die wichtigsten Teilhaber an Danish Crown sind dänische Schweinezüchter. Kein Wunder, dass die Sokołów Podlaski-Fabriken in Polen fast ausschlieβlich dänisches Fleisch verarbeiten.
                  

Ernstgenommen werden

Frage: Die Bauern legen in ihren Protesten eine groβe Solidarität an den Tag. Das war früher nicht so.

Ardanowski: Bis vor nicht allzu langer Zeit haben die Fleischproduzenten mit den Schultern gezuckt wenn der Milchpreis fiel, und wenn der Schweinefleischmarkt zusammenbrach, dann sagten die Maisbauern, dass sie das nichts angehe. Die Bauern merken endlich, dass die Landwirtschaft einem System kommunizierender Röhren gleicht. (…)
Die ganze Situation ist eine Folge von Versäumnissen und einer leichtfertigen Sorglosigkeit der Regierung Tusk und jetzt der Regierung Kopacz, nach dem Motto: die EU-Direktzahlungen werden es schon richten, und für Probleme sind wir ja eh nicht zuständig, weil über die Landwirtschaft in Brüssel entschieden wird. Inzwischen lassen sich aber die Bauern nicht mehr auf diese Art abspeisen.
Frage: Sollte Recht und Gerechtigkeit die im Herbst 2015 anstehenden Parlamentswahlen gewinnen, werden sie ein gewaltiges Problem zu bewältigen haben.

Ardanowski: Ja, und ich bin weit entfernt davon zu behaupten, es gebe da ein Paar einfache Lösungen und damit hat es sich. Die über Jahre andauernden Unterlassungen und Versäumnisse der Regierung machen einige schwierige und komplizierte Entscheidungen notwendig, aber wir werden sie ganz bestimmt nicht scheuen. Vor allem jedoch darf man sich nicht sklavenhaft an der EU-Landwirtschaftspolitik orientieren, die nicht immer für uns von Vorteil ist. Man muss in Brüssel agieren und zugleich eine eigene nationale Landwirtschaftspolitik betreiben, wie das die groβen EU-Agrarstaaten seit eh und je tun. (…).

Frage: Wie geht es weiter mit den Protesten?

Ardanowski: Die Taktik der Regierung scheint zu sein: abwarten, in der Hoffnung die Bestellung der Felder im Frühjahr werde die Bauern schon zurück nach Hause locken.

Ein polnischer Bauer und seine Sorgen

Am 14. Februar 2015 veröffentlichte die Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) das Gespräch mit Tomasz Śmietało, einem Landwirt aus der Region Podlasie (mit Białystok) im Nordosten des Landes. Nachfolgend die wichtigsten Auszüge:

Tomasz Śmietało
Tomasz Śmietało

Frage: Worauf spezialisiert sich Ihr Betrieb?

Śmietało: Ich ziehe einhundert Mastschweine im Monat auf, habe 56 Jungsauen im geschlossenen System – mäste eigene Ferkel. Ich bin Schweinezüchter in dritter Generation. Den Betrieb habe ich von meinem Vater übernommen und vergröβere ihn nach Möglichkeit. Ich habe 18 ha Land hinzugekauft und einige neue Gebäude errichtet.

Frage: Trägt sich Ihr Betrieb nicht mehr?

Śmietało: Anstatt sich weiter zu entwickeln wird es wohl Zeit einzupacken. Es gilt Kredite abzuzahlen. Ich habe sie aufgenommen, um Land hinzu zu kaufen, die Wirtschaftsgebäude zu modernisieren, einen neuen Schweinestall zu errichten, um Traktoren zu kaufen. Das alles waren Investitionen in meinen Arbeitsplatz. Übrigens: die vielen schönen, neuen Trecker, die man im Fernsehen bei der Straβenblockade der Bauern in Zabłudów bei Białystok sehen konnte, gehören alle den Banken. Noch vor fünfzehn Jahren gab es Polnische „Ursus“-Traktoren für 100.000 Zloty (ca. 25.000 Euro – Anm. RdP). Die haben uns voll und ganz genügt, aber sie werden nur noch nach Afrika verkauft, weil sie angeblich nicht ganz den Umweltbestimmungen entsprechen, und wir müssen Traktoren aus dem Westen kaufen für 300.000 Zloty (knapp 75.000 Euro – Anm. RdP).

Frage: Die Banken geben doch keinen Leuten Kredite die zahlungsunfähig sind.

Śmietało: So lange alles lief, gab es Kredite. Jetzt, da ich kein Geld habe um zu zahlen, ist mir die Genossenschaftsbank (Bank Spółdzielczy) zum Glück entgegengekommen und hat die Raten erst einmal gestundet. Die wissen, wieviel ich wert bin. Früher waren mein Groβvater und mein Vater bei denen Kunden.

Frage: Wann fingen die Probleme an?

Śmietało: Vor einem Jahr als in der Region Podlasie die Afrikanische Schweinepest (ASF) ausbrach – eine Krankheit die von Wildschweinen übertragen wird und für das Hausschwein tödlich ist, Menschen aber in keinster Weise gefährdet. Es ging los mit den Preisspekulationen, vor allem seitens westlicher Firmen, die inzwischen auf dem polnischen Fleischmarkt vorherrschen. Sie wollten keine Schweine aus dem Gebiet, in dem der ASF-Virus festgestellt wurde kaufen, obwohl das Fleisch gesund, von den Veterinär-Kontrollen freigegeben und von höchster Qualität war. Das gesamte Fleisch für die Verarbeitung holten sie aus dem Westen.

Frage: Wieviel wird jetzt für ein Kilogramm Schwein gezahlt?

Śmietało: Etwa 3,50 Zloty (0,85 Euro – Anm. RdP), d. h. man muss pro Mastschwein etwa 100 Zloty (knapp 25 Euro – Anm. RdP) draufzahlen. Der Preis ist um 60% gefallen. Meine Frage: zahlen die Verbraucher auch 60% weniger für ihr Kotelett? Die Verbraucherpreise für Schweinefleisch sind um höchstens 5% zurückgegangen.

Frage: Wem verkaufen Sie ihre Schweine?

Śmietało: Einem örtlichen Kleinbetrieb. Nur so können wir noch existieren. Wären da nicht die kleinen polnischen Schlachtereien, dann gäbe es uns nicht mehr. Heute macht das polnische Schweinefleisch 10 bis 15% des Gesamtangebotes in unserem Land aus, der Rest kommt aus Deutschland und Dänemark: Ferkel, die man vor Ort mästet, Schweinehälften oder gleich fertige Wursterzeugnisse. Polnische Bauern werden ihre Schweine nicht los, obwohl der polnische Bestand in den letzten Jahren bereits von 19 auf 9 Mio. Stück zurückgegangen ist. Ich frage mich: wo ist unser Staat? Jeder Staat hat seine eigene Landwirtschaftspolitik, nur in Polen lässt man alles geschehen. (…)

Frage: Was hat die Landwirtschaft dem Land heute noch anzubieten?

Śmietało: Landwirtschaft das ist der Boden. Ohne Boden gibt es keinen Staat. Wir sind keine Unternehmer, wir bunkern unser Geld nicht in der Schweiz sondern investieren es in unsere Betriebe. Ich möchte, dass meine Kinder eines Tages auch Schweinezüchter werden.

Frage: Auf wen kann heute der Landwirt zählen?

Śmietało: Nur auf sich selbst.

Frage: Was erwarten die Landwirte in der Region Podlasie, die in ihrer Verzweiflung jetzt die Straβen blockieren?

Śmietało: Vor allem den Abschuss von Wildschweinen, die hektarweise den Mais vernichten. Es gibt Betriebe, in denen sie 80 bis 90% der Anbaufläche, manchmal zwischen 50 und 100 ha, zerwühlt haben. Die Wildschweine übertragen zu dem den ASF-Virus. Der Zuwachs des Bestandes ist enorm, dennoch erfüllen die Jagdpächter-Vereinigungen nicht einmal die Abschussvorgaben. Der Mais begünstigt diesen Zuwachs, macht die Tiere vermehrungsfreudiger, und erschwert den Abschuss, weil sie schwerer zu orten sind. Die Maismonokultur ist in den letzten Jahren entstanden, als aufgrund der EU-Zucker-Politik der Zuckerrübenanbau eingestellt werden musste und unsere Perle, die Zuckerfabrik in Łapy, geschlossen wurde. Bei mir in der Gegend wütet inzwischen eine Wildschweinrotte mit ca. 30 Tieren. Seit einem Jahr bitten und betteln wir darum sie zu dezimieren. Nichts passiert.

Frage: Die Regierung hat vorgeschlagen 850 Zloty (ca. 205 Euro – Anm. RdP) Entschädigung für einen vernichteten Hektar Mais zu zahlen.

Śmietało: Nicht alle kamen in den Genuss dieser Entschädigungen. Eine andere Sache ist, dass diese Summe nicht einmal zur Hälfte die Verluste abdeckt. Allein das Saatgut kostet pro Hektar 600 Zloty (ca. 145 Euro – Anm. RdP), die Aussaat von Mais auf einem Hektar kostet insgesamt 3000 Zloty (ca. 730 Euro – Anm. RdP). Ich habe Nachbarn, die letztes Jahr wegen der Wildschweine den Mais dreimal aussäen mussten.
Wenn ein mit ASF infiziertes Wildschwein entdeckt wird, werden im Umkreis von 10 km alle Schweine notgeschlachtet, auch wenn kein ASF-Virus bei ihnen festgestellt wurde. Meine Nachbarn kaufen meine gesunden Jungsauen nicht mehr, weil sie ihnen später von den dänischen und deutschen Schlachtfabriken bei uns nicht abgenommen werden. Die verarbeiten bei uns nur Importe aus ihren Ländern.
Wir haben Modernisierungskredite aufgenommen, die sehr verlockend erschienen, mit EU-Anteil. Aber wir müssen sie abzahlen. Wovon frage ich? (…)

Frage: Was könnte die Situation verbessern?

Śmietało: Angemessene Entschädigungen für ASF-geschädigte Schweinezüchter. In unserer Region Podlasie gibt es vorwiegend Familienbetriebe, in denen Schweine im geschlossenen System gezüchtete werden. Sie haben eigene Ferkel, die mit eigenem Futter gemästet und überwiegend an kleine, polnische Schlachtereien verkauft werden, die wiederum ihre Produkte selbst vertreiben. Das ist unsere Lebensgrundlage. In Masuren dagegen herrscht schon der amerikanische Konzern Smithfield. Der gibt den Bauern eigene Futtermittel, eigene Ferkel und verkauft die Fleischerzeugnisse an deutsche Discounter-Ketten in Polen. (…)
Die westlichen Konzerne wollen uns zugrunde richten und uns die Vertragsmast aufzwingen, bei der sie am besten verdienen, uns ein dänisches Ferkel geben, dänisches Futter und 30 Zloty (ca. 7,50 Euro – Anm. RdP) für die Aufzucht. So macht man freie Bauern zu Sklaven. (…)
RdP




Kalte Winde aus dem Osten

Russsiches Embargo. Polnische Bauern fühlen sich im Stich gelassen.

Sanktionen, die Russland zuerst gegen polnische und bald darauf gegen Agrarprodukte aus allen EU-Ländern im Sommer 2014 verhängt hat, veranlassten den Agrarexperten und Europaabgeordneten der Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Janusz Wojciechowski zu einer kritischen Bestandsaufnahme der, wie er meint, (Un)Tätigkeit der Regierung und insbesondere des Landwirtschaftsministers Marek Sawicki von der (koalitions)Bauernpartei PSL in dieser Angelegenheit. Wojciechowski schrieb in der Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) vom 19. August 2014 u.a.:

Agrarexperte und Oppositionspolitiker Janusz Wojciechowski
Agrarexperte und Oppositionspolitiker Janusz Wojciechowski

Warum hat Russland ein Einfuhrverbot für Agrarerzeugnisse aus Polen und danach aus der ganzen EU verhängt? Die Politiker der Bauernpartei PSL (der mitregierenden kleinen Koalitionspartei in der Regierung Tusk – Anm. RdP), die seit sieben Jahren die Macht über die polnische Landwirtschaft haben, behaupten, schuld daran seien die Besuche polnischer Politiker während der Proteste auf dem Maidan in Kiew. In Wirklichkeit setzt Moskau eine Politik um, die der (am 10. April 2010 bei Smolensk tödlich verunglückte – Anm. RdP) Staatspräsident Lech Kaczyński (bei seinem spektakulären öffentlichen Auftritt in Tiflis/Tibilissi am 12. August 2008, als russische Panzer auf die Stadt rollten – Anm. RdP) zutreffend umschrieben hat: „Heute Georgien, morgen die Ukraine, übermorgen die baltischen Staaten und danach Polen“. Sich dieser Politik entgegenzustellen ist eine Frage der polnischen Souveränität. Wir müssen die Unabhängigkeit der Ukraine unterstützen, sonst haben wir Russland bald an unseren Grenzen. Das Embargo ist Bestandteil der russischen imperialen Politik. Die Anwesenheit des einen oder anderen Politikers auf dem Maidan hat in diesem Fall wahrlich nicht die geringste Bedeutung.

Krise vor dem Embargo

Die Probleme in der polnischen Landwirtschaft haben nicht mit dem russischen Embargo begonnen. Noch vor seiner Verhängung hatten die Landwirte in diesem Jahr groβe Mühe Weichobst (Johannisbeeren, Sauerkirschen), Fleisch, Milch und Getreide abzusetzen. Die Abnahmepreise sind sehr stark gefallen. Deutlich zu erkennen waren ungestrafte Preisabsprachen groβer verarbeitender Firmen und Handelsketten zu Ungunsten der Landwirte. (…) Hinzu kommt die Auswirkung von Armut, die den Absatz einiger Agrarprodukte eingeschränkt hat. So ist z. B. der Pro-Kopf-Verbrauch von Schweinefleisch in den sieben Jahren des Amtierens der jetzigen Regierung um acht Kilogramm gefallen. Wären da nicht die Armut und der reduzierte Verbrauch, wir könnten einen Groβteil dessen verzehren, was wir nicht exportieren dürfen.

Deutschland glimpflich davongekommen

Das russische Embargo berührt beinahe die Hälfte der EU-Agrarexporte nach Russland im Wert von 5,25 Mrd. Euro. Die EU-Agrarausfuhren nach Russland beliefen sich 2013, laut Eurostat-Angaben, auf 11,37 Mrd. Euro. Davon entfielen auf Deutschland 1,91 Mrd., auf die Niederlande 1,41 Mrd., auf Litauen 1,25 Mrd. und auf Polen 1,07 Mrd. Euro. Deutschland ist der gröβte europäische Agrarexporteur nach Russland, doch das Embargo trifft nur etwa ein Viertel seiner Ausfuhren im Wert von 595 Mio. Euro. Mit 927 Mio. Euro werden die russischen Sanktionen am empfindlichsten Litauen treffen. Für das kleine Land gleicht das einer Tragödie. An zweiter Stelle liegt Polen. Etwa 80% unserer Agrarexporte nach Russland im Wert von 841 Mio. Euro sind vom Embargo betroffen. Nicht wenige Verluste werden auch die Niederlande (528 Mio. Euro), Dänemark (377 Mio.), Spanien (338 Mio.), Belgien (281 Mio.) und Frankreich (244 Mio. Euro) verbuchen. Die genannten Zahlen sind nicht gleichzusetzten mit den Verlusten der jeweiligen Landwirte und Lebensmittelfirmen. Sie werden geringer ausfallen, da es wahrscheinlich gelingen wird einen Teil der blockierten Ausfuhren woanders zu verkaufen. (Die tatsächlichen polnischen Verluste werden offiziell inzwischen auf 500 Mio. Euro beziffert – Anm. RdP). Fazit: während es Litauen und Polen schwer getroffen hat, ist Deutschland glimpflich davongekommen und im Agrarhandel mit Russland weiterhin stark präsent. Die EU muss helfen. (…) So wie sie das 2011 getan hat, als der Gemüsemarkt zusammenbrach, weil deutsche Gurken mit E.coli-Bakterien verseucht waren. Damals hat auch Polen Kompensationszahlungen der EU in Höhe von 46 Mio. Euro bekommen. Leider gab es viele Ungereimtheiten bei der Umverteilung dieses Geldes, u.a. wurden in der Woiwodschaft Świętokrzyskie (Region in Mittelpolen um die Stadt Kielce – Anm. RdP) einige Tausend Feldgemüsebauern nicht berücksichtigt.

Der Minister lässt sich Zeit

Trotz groβer Versprechungen im Vorfeld, kam Landwirtschaftsminister Marek Sawicki vor einigen Tagen mit leeren Händen aus Brüssel zurück. Eventuelle Entscheidungen über Entschädigungen für Landwirte sollen erst im September fallen. Sawicki prahlte aber damit, dass er einen der zuständigen EU-Kommissare „aufgerüttelt“ hat. Kein Wunder, dass die EU schlummert, sie wurde ja von der polnischen Regierung systematisch eingelullt. Oppositionsführer Jarosław Kaczyński hat noch im April 2014 in einem Brief Ministerpräsident Tusk gewarnt, dass ein russisches Embargo drohe und man sich darauf gut vorbereiten sollte. Tusk hat nicht reagiert und der in seinem Namen antwortende Landwirtschaftsminister Sawicki höhnte und beteuerte, dass es kein Embargo geben wird. Noch am 2. Juli 2014 sprach er öffentlich davon, dass kein Embargo drohe und würgte alle diesbezüglichen Fragen ab, weil sie angeblich das Embargo heraufbeschwören würden. Während er seine hochmütigen Behauptungen in die Welt hinausposaunte ging wertvolle Zeit verloren. Die EU hätte schon im Vorfeld aktiv werden können, früher nach Ersatzabsatzmärkten Ausschau halten und die Landwirte hätten sich besser vorbereiten können.

Wo ist der Ministerpräsident?

Wir verzeichnen in Polen bei fast allen Agrarprodukten einen enormen Zusammenbruch der Nachfrage. Wir haben es nicht nur mit dem russischen Embargo zu tun, sondern auch mit der Afrikanischen Schweinepest, die sich von heute auf morgen in ganz Polen verbreiten und unsere Schweinezucht endgültig vernichten kann. Und wo ist Ministerpräsident Tusk? Im verlängerten Urlaub? In solchen Fällen muss der Regierungschef tätig werden. Er sollte schon längst in Berlin gewesen sein, wo sich (und nicht in Brüssel) die eigentliche EU-Hauptstadt befindet, und dort um die Zustimmung zur Entschädigung der polnischen Bauern nachsuchen. Er hat ja angeblich so gute Beziehungen zu Angela Merkel, dann soll er sie auch nutzen! Doch der Ministerpräsident ist abwesend, aber selbst wenn er da wäre, das Wort „Landwirtschaft“ nimmt er ja grundsätzlich nicht in den Mund. Das Landvolk ist nicht seine Wählerschaft. Der Ministerpräsident des gröβten europäischen Agrarstaates hat angesichts der seit Jahren gröβten Agrarkrise nichts, aber auch gar nichts, zu sagen. Stattdessen schickt er Landwirtschaftsminister Sawicki vor, der nicht in der Lage ist auch nur irgendetwas zu bewirken. Abgesehen von den Versäumnissen der Regierung sollte man hoffen, dass die EU-Hilfe kommt. (…). Doch wir müssen uns auch selbst helfen. Die gröβte Bedrohung für die Landwirte sind Kredite, die sie wegen fehlender Einnahmen nicht werden zurückzahlen können. Die Partei Recht und Gerechtigkeit hat daher einen Gesetzentwurf eingebracht, der ein einjähriges Moratorium für Darlehensrückzahlungen vorsieht. Hierzu müssten die Betroffenen einen Antrag stellen, der durch den Ortsvorsteher zu beglaubigen wäre. Auf diese Weise könnten viele Bauern der Zwangsversteigerung entgehen. Die Zinsen würden zwar weiterhin berechnet, doch würde man die aufgelaufenen Zinsen anschlieβend zu den Verlusten hinzurechnen und mit den EU-Kompensationszahlungen begleichen. Kommen die EU- Hilfen nicht, dann erfolgt der Ausgleich aus dem polnischen Staatshaushalt. So kann man den Landwirten helfen die Krise zu überstehen. Russland hat politische Sanktionen angewandt und daher muss man auch politisch antworten, im Geiste der europäischen und innerpolnischen Solidarität. Wir alle, nicht nur die Bauern, müssen der Gerechtigkeit halber die Kosten der Krise, die das Embargo hervorgerufen hat, tragen. Auf längere Sicht jedoch, müssen wir uns auf einen Wechsel der Absatzmärkte gefasst machen. Auf den russischen Markt kann man nicht zählen, weil aus dem Osten leider sehr kalte Winde wehen… RdP