29.06.2022. Politik unterhalb der Gürtellinie. Gedanken am Rande der Warschauer Schwulenparade

Es sollten 80.000 kommen, am Ende waren es, so die Schätzungen der Polizei, etwa 15.000. Die zwanzigste alljährliche Gleichstellungsparade sexueller Minderheiten zog am Samstag, dem 25. Juni durch das, hitzebedingt, fast menschenleere Stadtzentrum von Warschau. Es gab keine Zwischenfälle, dafür, wie immer, einige Obszönitäten und, zum ersten Mal, viele ukrainische Homoaktivisten, die ihre Meinung laut kundtaten: Die Toleranz in Polen sei viel weiter fortgeschritten als in ihrer Heimat.

Mit von der Partie waren Politiker aus dem linksliberalen und vor allem dem linken Lager. Polens Linke ist zersplittert, aber in einigen Punkten zeigt sie Einigkeit. Fast ausschließlich angesiedelt in der dünnen Schicht großstädtischer Öko-, Urban-Styler- und gut situierter, dem westlichen Zeitgeist nacheifernder liberaler Bildungseliten-Milieus, konzentriert sich linke Politik beinahe ausnahmslos auf die Forderungen sexueller Minderheiten und Themen wie die weitestmögliche Freigabe von Abtreibungen sowie die Aufnahme von Migranten aus dem Nahen und Mittleren Osten. Die wichtigen Probleme der Sozialpolitik überlässt sie der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit, die diese mit Geschick anpackt und sich daher gute Chancen ausmalen kann, im Herbst 2023 die Parlamentswahlen zum dritten Mal in Folge zu gewinnen.

Doch die polnische Linke geht noch weiter. Regenbogenfahnen schwingend marschierten ihre Politiker auch bei der diesjährigen Warschauer Homoparade begeistert Hand in Hand mit Vertretern von Konzernen. Da waren die Repräsentanten großer Banken, darunter derjenigen, die für die Krise im Jahr 2008 verantwortlich waren: Goldman Sachs und J.P. Morgan. Auch Coca-Cola, Unilever und Microsoft waren mit von der Partie. Man war geradezu überrascht, dass Amazon nicht dabei war, denn das Unternehmen ist für seine hervorragende Behandlung aller Mitarbeiter, unabhängig von ihren sexuellen Veranlagungen, bekannt. Das sollte natürlich nur ein Scherz sein…

Wie auch immer, die Großkonzerne dieser Welt haben wieder einmal vorgegeben, die Unterdrückten zu sein, und linke Politiker haben diese Chuzpe bezeugt.

Wenn sich jemand fragt, warum die polnische Linke seit geraumer Zeit eine politische Niederlage nach der anderen einsteckt, so hat er die Antwort: Eine Politik, die sich fast ausschließlich unterhalb der Gürtellinie bewegt, greift viel zu kurz.

Es gibt in der Tat eine ganze Reihe von Problemen, die von einer politischen Kraft, die sich für die Rechte der Ausgegrenzten einsetzt, angegangen werden könnten. Was ist mit den Gewerkschaften in den Konzernen, die von ihren polnischen Arbeitnehmern erwarten, dass sie sich mit LGBTQIA-Milieus identifizieren? Wie könnte man das Rentensystem reformieren? Wie kann man Bedürftige schützen? Wie schafft man Wohnraum für  Geringverdiener?

Das sind die Themen, mit denen sich die Linke im Laufe ihrer Geschichte beschäftigt hat. Heute tun das die regierenden Nationalkonservativen und werden deswegen als Populisten verschrien.

Die Weltkonzerne verfahren in diesem Fall nach der Methode „Haltet-den-Dieb“. Sie selbst haben viel in Sachen Arbeitnehmerrechte im Westen und Ausbeutung billiger Arbeitskräfte in ärmeren Ländern auf dem Gewissen. Manche von ihnen unterlaufen die Sanktionen gegen Russland. Andere wiederum, wie BNP Paribas oder Google, stehen in engsten Geschäftsbeziehungen mit Staaten, wie dem Iran, dem Sudan oder Saudi-Arabien, wo die Homosexualität mit Gefängnis oder gar mit der Todesstrafe geahndet wird. Doch bei der Homoparade achtet niemand darauf, denn der Feind sind diejenigen, denen vorgeworfen wird, die Rechte von Minderheiten einzuschränken. In diesem Fall ist es angeblich die jetzige polnische Regierung.

Es scheint auch für die Schwulenaktivisten keine Rolle zu spielen, was ein Sponsoren-Unternehmen tut. Entscheidend ist, dass seine Chefs, und auf deren „Empfehlungen“ hin auch die Mitarbeiter, Regenbogenfahnen schwingen und die richtigen, politisch korrekten Ansichten vertreten.

RdP