20.07.2022. Für Polen liegt Sri Lanka zwischen Brüssel und Amsterdam

Vor einigen Tagen gingen Bilder aus Colombo um die Welt, die zeigten, wie ein verzweifelter Mob den Palast von Präsident Gotabaya Rajapaksa stürmte, dem es in letzter Minute gelang, mit dem Flugzeug auf die Malediven zu entkommen. In Sri Lanka herrscht Chaos. Die Inflation hat 54 Prozent überschritten, es gibt keinen Treibstoff an den Tankstellen, der Strom wird nur ab und an eingeschaltet, in den Geschäften fehlen Lebensmittel und in den Apotheken Medikamente. Der Staat hat Konkurs angemeldet, kann seine Schulden von mehr als 50 Milliarden Dollar nicht begleichen.

Bei der Beschreibung der Ereignisse in Sri Lanka wird in den Medien weltweit eine der Hauptursachen der derzeitigen Krise geflissentlich ausgelassen oder nur vage angesprochen. Es geht um die Entscheidung von Präsident Rajapaksa im Jahr 2019, Sri Lanka innerhalb von zehn Jahren zu einem der weltweit führenden Länder in der ökologischen Landwirtschaft zu machen. Rajapaksa hielt Wort: Im April 2021 verbot er die Einfuhr und den Gebrauch von chemischen Düngemitteln.

Das Ergebnis war dramatisch. Entgegen der Behauptung, dass mit ökologischen Methoden vergleichbare Erträge wie in der konventionellen Landwirtschaft erzielt werden können, ging die heimische Reiserzeugung in den ersten sechs Monaten um 20 Prozent zurück. Sri Lanka, das sich bis dato selbst mit Reis versorgen konnte, war gezwungen, Reis im Wert von 450 Millionen Dollar zu importieren. Die Inlandspreise für dieses Grundnahrungsmittel stiegen dadurch um etwa 50 Prozent.

Durch das Verbot wurde auch die Teeernte vernichtet, ein wichtiges Exportgut und damit eine wichtige Devisenquelle. Die aufgrund des Rückgangs der Teeproduktion verursachten wirtschaftlichen Verluste werden auf 425 Millionen Dollar geschätzt.

Vor dem Ausbruch der Pandemie war Sri Lanka stolz darauf, den Status eines halbwegs wohlhabenden Landes erreicht zu haben. Heute ist eine halbe Million Menschen wieder in die Armut abgestürzt. Die rasant ansteigende Inflation und die rapide Schwächung der Währung zwangen Sri Lanka, die Einfuhr von Lebensmitteln und Treibstoff einschneidend zu drosseln.

Obwohl die Insel im Indischen Ozean weit von uns entfernt liegt und ihre Wirtschaft sich von der europäischen unterscheidet, bringen die Erfahrungen des Landes wichtige Lehren mit sich.

Das ökologische Ziel, gesunde Lebensmittel zu erzeugen, ist an sich lobenswert. Das Problem beginnt, wenn dieses Ziel ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen und sozialen Realitäten umgesetzt wird. Wenn diese als unerheblich angesehen werden, weil sie ideologischen Annahmen im Wege stehen.

Vielleicht wäre die Verwirklichung des Planes zur Schaffung einer ökologischen Landwirtschaft in Sri Lanka möglich, aber er würde eine längere Übergangszeit und die Suche nach ebenso wirksamen, natürlichen Ersatzstoffen für Kunstdünger erfordern. Das ist bisher nicht gelungen. Stattdessen wurde ein ehrgeiziges Ziel rücksichtslos in Angriff genommen. Und ausgerechnet während der Wirtschaftskrise, die die Pandemie verursacht hat. Das musste mit einer Katastrophe enden.

Ein Vergleich mit dem New Green Deal, der von der Europäischen Kommission verbissen vorangetrieben wird, bietet sich an. Die geplanten oder bereits eingeleiteten brachialen Maßnahmen können in den Ländern Mittel- und Südeuropas zu einer echten wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe führen. In Polen, einem bedeutenden Agrarproduzenten, werden sie mit Sorge und Zorn beobachtet und kommentiert.

Man könnte meinen, dass die Pandemie, die Inflation, der Krieg in der Ukraine und die Energieengpässe, die Europa inzwischen heftig zusetzen, Grund genug seien, den New Green Deal zu verschieben. Doch Frans Timmermans, der bei der EU-Kommission für das Programm „Fit for 55“ zuständig ist, hat nicht die Absicht, das Tempo zu drosseln.

Derweil zeigt die Entschlossenheit, mit der die holländische Regierung ihren radikalen „Stickstoffplan“ in die Tat umsetzt, dass der Zweck die Mittel heiligt, wie z. B. auch die Keulung von 30 Prozent des holländischen Viehbestandes, das Schießen auf protestierende Landwirte oder die Androhung der Zwangsenteignung derjenigen, die sich der Politik der Behörden widersetzen. Premierminister Mark Rutte scheint Präsident Gotabaya Rajapaksa in nichts nachzustehen.

Auch im Energiebereich geht die EU einen ähnlichen Weg wie Sri Lanka in der Landwirtschaft. Sie gibt bewährte und effiziente Methoden als umweltschädlich auf und ersetzt sie durch umweltfreundlichere, aber unerprobte und unsichere Versorgungssysteme. Sie tut das ohne ausreichende Übergangsfristen, in denen eine tragfähige Alternative zum aufgegebenen Modell hätte geschaffen werden können. Darüber hinaus führt sie radikale Veränderungen in einer denkbar ungeeigneten Zeit durch.

Wer weiß, ob Timmermans und Rutte nicht gut beraten sind, sich rechtzeitig um Fluchtflugzeuge zu kümmern.

RdP