15.08.2022. Populismus als Alibi

Sollen wir wirklich daran glauben, dass das Grundproblem in Europa
heute wieder die soziale Unzufriedenheit und der Rechtspopulismus sind und nicht etwa unfähige oder einfach nur korrupte Politiker?

Die Aussicht auf schwerwiegende wirtschaftliche und soziale Probleme durch die von Russland verursachte Energiekrise, hat in einigen europäischen Medien das Gespenst einer populistischen Revolte aufkommen lassen. In der deutschen öffentlichen Debatte, die sich sowieso zumeist aus dem Thema Angst speist, warnen Vertreter staatlicher Institutionen bereits vor sozialen Unruhen, die
natürlich von rechtsradikalen Kreisen ausgehen werden.

Solche Katastrophen-Fantasien werden auch durch die
instabile Lage in Italien beflügelt. Dort ist nach dem Zusammenbruch der Regierungskoalition von Mario Draghi die Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) der Favorit bei den anstehenden Wahlen. Von ihren hysterischen Kritikern wird sie mit Adjektiven, wie „postfaschistisch“, „rechtsnational“, „rechtsextrem“, „populistisch“ und „souveränitistisch“, bedacht. Mit der Wirklichkeit hat das, weiß Gott, nicht viel zu tun.

Berücksichtigt man zudem die wachsende soziale Unzufriedenheit in Frankreich nach der Wiederwahl von Staatspräsident Emmanuel Macron, ergibt sich, aus der Sicht der Populismus-Beschwörer, ein sehr besorgniserregendes Bild von Europa.

Doch haben wir es nicht vielleicht mit einem Versuch zu tun, zu der
sattsam bekannten Strategie des letzten Jahrzehnts, dem „Unternehmen Angst“, zurückzukehren? Der ausgesprochen kluge dritte US-Präsident Thomas Jefferson hat einmal gesagt, dass es nichts gibt, was die Menschen so sehr schmerzt und wovor sie sich mehr fürchten als all die schlimmen Dinge, die nie geschehen werden.

Die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens in den europäischen Ländern ist zweifellos ein sehr wichtiges Thema. Das andere ist die Neigung von Politikern und Medien, Emotionen, vor allem Angst, zu schüren. Dahinter verbirgt sich der Wunsch, sich aus der eigenen Verantwortung zu stehlen und sich den politischen und geistigen Machterhalt zu sichern.

Es kann sein, dass der kommende Winter für viele europäische Nationen sehr schwierig wird, aber für die Ukrainer wird er unvergleichlich schwieriger werden. Doch warum sollten wir glauben, dass das Grundproblem in Europa heute wieder einmal die soziale Unzufriedenheit und der Rechtspopulismus sind, und nicht inkompetente oder einfach nur korrupte Politiker?

Seit Jahren betreiben einige von ihnen eine leichtsinnige
Finanzpolitik und stürzen ihre Staaten in Schulden. Andere wiederum haben in ihrer Unverantwortlichkeit ihre Länder komplett vom russischen Gas abhängig gemacht. Und wer hat die meisten Armeen in der EU kaputtgespart? Wer hat mit Erfolg den Glauben verbreitet, mit Sonne, Wind und russischem Erdgas könne man riesige Volkswirtschaften problemlos am Laufen halten?

Sie haben versagt und dennoch sollen wir uns erneut um sie scharen, aus Angst vor dem Populismus, dessen Gespenst sie wieder einmal an die Wand malen. Man kann sich zudem des Eindrucks nicht erwehren, dass das Schüren von Ängsten vor einer Energiekrise im Winter dazu dienen könnte, die Öffentlichkeit für eine schnelle Einigung mit dem Kreml, auf Kosten der Ukraine, zu gewinnen.

RdP